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Feier des National-Festes. – Gesang und Tanz. – Beforona. – Die Hochebene Ankay. – Das Gebiet von Emir. – Feierlicher Empfang. – Ambatomango. – Das Sikidh. – Der Triumphzug. – Ankunft in Tananariva.
24.Mai. Seit 24 Stunden hatte es nicht geregnet und in Folge dessen fanden wir die Wege etwas besser als gestern, auch waren die Hügel minder hoch und steil.
Wir theilten unsere Tagesreise gewöhnlich in zwei Abtheilungen ein: mit Tagesanbruch machten wir uns auf den Weg, nach drei- bis vierstündigem Marsche hielten wir an, um das Frühstück einzunehmen, welches aus Reis und Hühnern bestand, gewöhnlich aber durch einige Stücke wilden Geflügels, darunter sehr häufig schwarze Papageien und andere wunderschöne Vögel, vermehrt wurde, die Herr Lambert unterwegs schoß. Nach ungefähr zweistündiger Rast ging es an die zweite Abtheilung, die meistens der ersten gleich war.
Heute blieb es aber bei der ersten Abtheilung, und zwar dem großen National-Feste zu Ehren, das mit diesem Tage begann. Die Königin hatte ohne Zweifel am selben Morgen das glückbringende Neujahrs-Bad genommen. Herr Lambert wollte unsere Leute nicht des Vergnügens berauben, sich an der Feier dieses Festes zu betheiligen, wir hielten daher schon um 10 Uhr Morgens in dem Dorfe Ampatsiba an. Das erste Geschäft war: die Ochsen zu schlachten. Es wurden zwar nicht, wie es die Regeln des Festes eigentlich verlangen, so viele geschlachtet als für den Fleischbedarf dieses und der folgenden sieben Tage nöthig gewesen wären. Die Leute hätten einen so großen Vorrath nicht mitschleppen können; fünf der schönsten Thiere wurden aber dennoch dem Feste geopfert, denn Herr Lambert bewirthete nicht nur unsere Leute, sondern das ganze Dorf. Abends versammelten sich gewiß 4 bis 500 Menschen, Männer, Weiber und Kinder, vor unseren Hütten, und um die Freuden des Festes vollständig zu machen, ließ ihnen Herr Lambert ihr Lieblings-Getränk »Besa-Besa« kredenzen. Dieses für meinen Gaumen nichts weniger als schmackhafte Getränk besteht aus dem Safte des Zuckerrohres, aus Wasser und aus der bitteren Rinde Afatraina. Man schüttet erst das Wasser in den Zuckerrohrsaft, läßt dieses Gemisch gähren, gibt dann die Rinde hinzu und wartet eine abermalige Gährung ab. Der festliche Tag und wohl mehr noch der Genuß des Besa-Besa erregte in dem Völkchen eine so fröhliche Stimmung, daß es uns aus eigenem Antriebe seine Gesänge und Tänze zum besten gab; leider waren die einen so abgeschmackt als die anderen.
Einige der Mädchen schlugen mit kleinen Stäbchen aus voller Kraft auf ein großes Bambusrohr, andere sangen, oder besser gesagt, heulten dazu so stark sie konnten – es war ein wahrhaft höllischer Lärm. Zwei dieser schwarzen Schönheiten tanzten, das heißt, sie bewegten sich auf einem kleinen Raume langsam hin und her, hoben die Arme halb in die Höhe und drehten die Hände bald nach außen, bald nach innen.
Von den Männern ließ sich nur einer herbei, uns sein Talent als Tänzer zu zeigen. Wahrscheinlich war er der »Lion« des Dorfes. Er trippelte ungefähr auf dieselbe Art umher, wie seine reizenden Vorgängerinnen, nur etwas lebendiger. So oft er sich einem der Weiber oder Mädchen näherte, erlaubte er sich trotz unserer Gegenwart höchst ausdrucksvolle Geberden, welche, wie dieß freilich auch bei den öffentlichen Bällen in Paris der Fall ist, von der gesammten Gesellschaft mit dem größten Beifalle aufgenommen und mit schallendem Gelächter belohnt wurde.
Ich sah bei dieser Gelegenheit, daß sich die Eingeborenen nicht des Rauch-, sondern des Schnupftabakes bedienen. Sie führen aber die Prise nicht nach der Nase, sondern nach dem Munde. Männer und Weiber genießen den Tabak auf diese Weise.
Wenn ich behauptet habe, daß das Bad der Königin das einzige Fest auf Madagaskar sei, so habe ich insofern Recht, als es das einzige ist, welches allgemein gefeiert wird; die Eingeborenen halten aber auch noch bei einer anderen Gelegenheit große Festlichkeiten ab, und zwar bei der Beschneidung ihrer Kinder. Die Beschneidung findet in größeren Ortschaften statt, welche von der Regierung dazu bezeichnet werden und nach welchen zu einer bestimmten Zeit im Jahre die Eltern ihre Kinder zu bringen haben. Die glücklichen Väter laden zu diesem Feste ihre Verwandten und Freunde ein und erlustigen sich an Musik und Tanz, Essen und Trinken, so lange es die mitgebrachten Vorräthe an Ochsenfleisch, Reis und Besa-Besa gestatten.
25.Mai. Nach dem fröhlichen Tage von gestern hatten unsere Träger heute einen desto härteren; die Hügel waren sehr steil und bedeutend höher als bisher (5 bis 600 Fuß). Glücklicherweise hatte es nicht geregnet und auf den trockenen Wegen ging das Klettern noch so ziemlich.
Sämmtliche Hügel und Berge waren von Urwald bedeckt. Doch suchte ich vergebens nach jenen hohen, kräftigen Bäumen, wie ich sie in den Urwäldern Sumatra's oder Borneo's und selbst Amerika's gesehen hatte. Die dicksten Stämme mochten kaum 4 Fuß Durchmesser, die höchsten Bäume nicht mehr als 100 Fuß Höhe haben. Auch an Blumen, besonders Orchideen und an Schlingpflanzen herrschte nur geringer Reichthum, und das einzige, was diese Wälder auszeichnet, waren die kräftigen und mannigfaltigen Farrenkräuter, die Madagaskar mit Mauritius gemein hat. Man sagte mir, daß in der Nähe der Straße alle hohen Bäume bereits umgehauen worden seien, daß es aber tiefer im Innern der Wälder überaus schöne Exemplare gebe, und auch nicht an Schlingpflanzen, Orchideen u. s. w. fehle.
Von einigen der höheren Berge, die wir bestiegen, genossen wir herrliche Ansichten ganz eigener Art; noch habe ich keinen so großen Landstrich gesehen, der gleich diesem aus nichts als Hügeln, Bergen und schmalen Schluchten besteht und keine einzige Fläche aufzuweisen hat. Zweimal erblickten wir die See in weiter Ferne.
Diese Gegend müßte sich trefflich zum Kaffeebau eignen, denn der Kaffeebaum gedeiht am besten auf steil abfallenden Hügeln. Auch für Viehzucht, besonders Schafzucht, soll sie sehr geeignet sein. In künftigen Zeiten mögen hier vielleicht die schönsten Pflanzungen entstehen und Leben und Abwechslung in diese prachtvolle Landschaft bringen – heutzutage ist leider alles öde und menschenleer, kaum daß wir hie und da eine elende Hütte, halb im Gebüsche verborgen, entdeckten. Wir schliefen in dem Dorfe Beforona.
26.Mai. Die heutige Reise ist eine vollständige Wiederholung der gestrigen, nur mit der Abwechselung, daß wir in einem steil aufsteigenden Hohlwege einem Triebe Ochsen begegneten. Es war grausig anzusehen, wie die Thiere herunterkletterten; beinahe auf jedem Schritte glitten sie aus, und jeden Augenblick meinte ich, sie müßten auf uns herabstürzen. Mit Mühe fanden wir ein Plätzchen, wo wir uns so viel an die Seite drücken konnten, um sie vorüberzulassen.
Ziemlich spät Nachmittags erreichten wir unsere Nachtstation, ein ganz kleines Dörfchen mit einem desto größeren Namen, es hieß: Alamajaotra.
27.Mai. Die Hügel waren minder hoch und steil, die Schluchten und Thaler etwas breiter und die Wege besser. Einige Meilen vor der Nachtstation, auf dem einzigen höheren Berge, über welchen unser heutiger Weg führte, hörte die waldige Region plötzlich auf und eine wunderschöne Landschaft entfaltete sich vor unseren Blicken. Im Vordergrunde erhob sich in wellenförmigen Linien von Norden nach Süden eine Hügelkette, welche wir von unserem hohen Standpunkte vollkommen gut übersehen konnten, und hinter dieser die herrliche Hochebene Ankay, deren Breite wenigsten 15 Meilen beträgt und deren Länge von Norden nach Süden noch viel bedeutender ist. Gegen Osten im Hintergrunde schlossen zwei niedrige Gebirgsketten den Horizont. Unsere Nachtstation hieß: Maramaya.
28.Mai. Wir erstiegen die Hochebene Ankay, auf welcher wir ziemlich gute Wege fanden, so daß unsere Reise sehr rasch von statten ging; dagegen verloren wir viel Zeit mit dem Uebersetzen des Flusses Mangor. Es waren zur Ueberfahrt nur einige ausgehöhlte Baumstämme vorhanden, deren jeder kaum drei oder vier Personen faßte; es währte daher einige Stunden, bis unser zahlreiches Gefolge und sämmtliches Gepäck überschifft war. Die Flüsse, die ich bisher auf Madagaskar gesehen habe, den Mangor mit eingeschlossen, sind mitunter sehr breit, haben aber keine Tiefe – die größten könnte ein Schiff von 50 Tonnen nicht befahren. Die Gewässer sind sehr bevölkert, aber leider weniger von Fischen als von Kaimans.
Wir überstiegen die niedrige Gebirgskette Efody, dann schlängelte sich der Weg bis an das Dorf Ambodinangano, wo wir die Nacht verbrachten, durch niedliche kleine Thäler.
Schon an mehreren Orten hatte ich aufrechtstehende große Steine bemerkt, die stets einige Meilen von den Ortschaften entfernt errichtet waren. Die einen dienen, wie man mir sagte, als Grabes-Monumente, die anderen, um die Stellen zu bezeichnen, an welchen die wöchentlichen Märkte abgehalten werden. Es scheint wirklich, als wären die Bewohner Madagaskar's besonders darauf bedacht, alles anders zu machen, als die übrigen Menschen. So halten sie auch die Märkte anstatt in ihren Dörfern auf einsamen öden Plätzen, die meilenweit von jeder menschlichen Wohnung entfernt liegen.
29.Mai. Heute hatten meine Reisegefährten vollkommen Recht mit ihren Klagen über die Wege; letztere waren so schlecht, daß ich trotz meiner in dieser Beziehung gemachten Erfahrungen zugeben mußte, nicht viel ähnliche gesehen zu haben. Es handelte sich um die Uebersteigung der zweiten kleinen Gebirgskette von Efody, deren Auf- und Niedergang über alle Maßen steil war. Selbst meine Träger schienen es heute zu fühlen, daß mein Körper etwas irdischer Natur und nicht aus Luft zusammengesetzt ist. Sie schleppten mich gar mühsam über die schroffen Höhen, und von Zeit zu Zeit erlaubten sie sich sogar einen kurzen Halt, um Athem zu schöpfen und neue Kräfte zu sammeln.
Nach dem Uebergange dieser Gebirgskette betraten wir das Gebiet von Emir, das Stammland der Hovas, in dessen Mitte die Hauptstadt der ganzen Insel liegt.
Das Gebiet von Emir besteht aus einer großen herrlichen Hochebene, die sich an 4000 Fuß über die Meeresfläche erhebt. Viele vereinzelte Hügel steigen aus ihr empor. Die Waldungen hören nun auf; dagegen beginnt, je mehr man sich der Hauptstadt nähert, einige Kultur, das heißt Reisbau. Wo es keine Reisfelder gibt, ist der Boden mit dem kurzen bitterschmeckenden Grase bedeckt, dessen ich viel auf Sumatra gefunden, und welches leider nicht von dem geringsten Nutzen ist, da es das Vieh nicht liebt.
Sehr bevölkert scheint das Gebiet von Emir auch nicht zu sein, und ich suchte, selbst in der Nähe der Reisfelder, oft vergebens nach Ortschaften; sie mochten wohl hinter den Hügeln verborgen liegen.
In den wenigen Dörfern, durch welche wir kamen, bemerkte ich, daß die Hütten oder Häuser nicht wie in Tamatavé und wie in den waldigen Gegenden, die wir bisher durchzogen hatten, von Bambusrohr oder Holz, sondern von Erde und Lehm gebaut waren; auch sind sie größer und geräumiger und mit sehr hohen Dächern versehen, die mit einem schilfartigen Gras, das hier an allen Flüssen reichlich wächst, sehr nett gedeckt werden. Die innere Eintheilung ist aber ganz dieselbe. Gewöhnlich enthält jede Hütte nur ein einziges Gemach; in sehr wenigen wird eine kleine Stelle durch eine Wand von Strohmatten abgetheilt. An Einrichtung fehlt es ganz und gar – der größte Theil der Bewohner Madagaskar's besitzt nichts als einige Strohmatten, den kahlen Boden zu bedecken, und einige Töpfe von Eisen oder Thon, den Reis zu kochen; nirgends sah ich Betten, ja nicht einmal hölzerne Kisten zur Aufbewahrung der Kleider oder anderer Gegenstände. Freilich haben sie weder der einen noch der anderen nöthig, denn ihr Lager ist der Boden und ihr ganzer Reichthum an Kleidern beschränkt sich meistens auf einen einzigen Simbu, den sie bei Nacht über den Kopf ziehen. Jene, die den Luxus auf das höchste treiben, bedecken sich noch mit einer der Strohmatten, die sie selbst verfertigen. Einen so gänzlichen Mangel an jeder Bequemlichkeit des Lebens habe ich nur bei den Wilden in Nord-Amerika, im Oregon-Gebiet gefunden.
Manche der kleinen Dörfer, so wie auch einzelne Häuser, waren mit Erdwällen umgeben, ein Gebrauch, der noch aus der Zeit herrührt, in welcher die Bevölkerung in unzählig viele kleine Stämme getheilt war, die sich stets bekriegten. wie ich bereits in dem geographisch-historischen Ueberblick von Madagaskar erzählt habe, machten die beiden großen Chefs, Dianampoiene und Radama diesen Fehden dadurch ein Ende, daß sie die meisten Stämme ihrer Herrschaft unterwarfen.
Einige Meilen von dem Dorfe Ambotomango, unserer heutigen Nachtstation, kam uns ein großer Zug Menschen, mit Begleitung militärischer Musik, entgegen; es war eine Art Deputation, welche Prinz Rakoto, der Sohn der Königin Ranavola und künftige Thronerbe, zum Empfang des Herrn Lambert sandte, um diesem Liebe und Achtung zu beweisen. Die Deputation bestand aus zwölf der Ergebenen des Prinzen, aus vielen Offizieren, Soldaten und einem ganzen weiblichen Sängerchor.
Die Ergebenen Rakoto's, vierzig an der Zahl, sind junge Adelige, welche diesen Prinzen so lieben und verehren, daß sie sich durch einen Schwur verbunden haben, ihn bei jeder Gefahr bis auf den letzten Mann zu vertheidigen. Sie wohnen alle in seiner Nähe, und auf seinen Ausflügen ist er stets wenigstens von einem halben Dutzend dieser Getreuen umgeben, obwohl er durchaus nicht einer solchen Art Leibwache bedarf, da er bei der ganzen Bevölkerung, bei dem Adel wie bei dem Volke, sehr beliebt sein soll.
Herr Lambert wurde von dieser Deputation mit Ehrenbezeigungen empfangen, wie ein Prinz der königlichen Familie – eine Auszeichnung, die bisher auf Madagaskar keinem der hohen Adeligen des Reiches, um so viel weniger einem Weißen zu Theil geworden ist.
So oft unser Zug an einem Dorfe vorüberkam, eilte die ganze Bevölkerung herbei, uns Fremdlinge zu sehen, ja viele schlossen sich dem Zuge an, so daß er gleich einer Schnee-Lawine immer mehr anschwoll. Die guten Leute mochten ganz erstaunt sein, Weiße mit solchen Ehrenbezeigungen behandelt zu sehen. Keiner von ihnen wußte diese Auszeichnung zu deuten, denn niemand hatte ähnliches erlebt.
In dem Dorfe Ambatomango wurde Herr Lambert durch einen neuen Liebesbeweis von Seiten des Prinzen Rakoto überrascht – wir fanden hier dessen einziges fünfjähriges Söhnlein vor. Durch eine Unpäßlichkeit der Königin daran verhindert, selbst Herrn Lambert bis Ambatomango entgegenzukommen, sandte der Prinz ihm sein Kind, welches Herr Lambert während seines ersten Aufenthaltes in Tananariv adoptirt hatte.
Es herrscht auf Madagaskar die Sitte, Kinder zu adoptiren. In den meisten Fällen geschieht dieß, um wirklich ein Kind zu besitzen, in gewissen anderen aber ist es ein großer Freundschafts-Beweis, welchen der Vater des Kindes dem Manne geben will, der das Kind adoptirt. Die Adoptirung wird bei der Regierung angezeigt, die dem neuen Vater mittelst einer schriftlichen Bestätigung volle Rechte über das angenommene Kind ertheilt, welches den Namen des Adoptiv-Vaters erhält, gänzlich in dessen Familie übergeht und die gleichen Rechte mit seinen wirklichen Kindern besitzt.
Prinz Rakoto hatte Herrn Lambert bei der ersten Bekanntschaft so lieb gewonnen, daß er ihm den größten Beweis seiner Achtung und Freundschaft geben wollte und ihm sein theuerstes Gut, sein einziges Kind, antrug. Herr Lambert adoptirte es, benützte jedoch nicht alle Rechte eines Adoptiv-Vaters; er gab dem Kinde seinen Namen, ließ es aber bei seinen wirklichen Vater.
Dieses Kind ist von Geburt kein Prinz; da seine Mutter eine Sklavin war. Sie heißt Maria, ist aber ungeachtet dieses Namens keine Christin. Sie soll sehr verständig, sehr gutmüthig und doch dabei von festem Charakter sein. Der Prinz liebt sie über alle Maßen, und um sie stets um sich sehen zu können, hat er sie scheinbarer Weise einem seiner Getreuen zum Weibe gegeben.
Bis spät in die Nacht ging es bei uns sehr munter her; es wurde ein großes Mahl bereitet, welches wir nach Landessitte auf der Erde sitzend einnahmen. Getrunken wurde dagegen auf echt europäische Weise und auf das Wohl aller denkbaren Personen; heitere Musik und lautes Jubelgeschrei begleiteten jede ausgebrachte Gesundheit.
Der Chor der Sängerinnen, welchen der Prinz Rakoto zur Verherrlichung unseres Empfanges entgegengesandt hatte, bestand aus zwanzig Mädchen, die sich in eine Ecke des Saales kauerten und unser Trommelfell mit ihren kreischenden Stimmen erschütterten. Sie schrieen und heulten gerade so wie die Weiber und Mädchen in dem Dorfe, in welchem wir das Fest des Bades der Königin feierten. Sie hatten einen Mann zum Vorsänger und Lehrer, der aber Frauenkleider trug und noch dazu europäische. Da die Gesichtszüge beider Geschlechter wenig von einander verschieden sind und ihre Schönheit oder Häßlichkeit ungefähr dieselbe ist, würde ich unter dieser Karikatur gewiß keinen Mann vermuthet haben, hätte mich nicht Herr Lambert besonders darauf aufmerksam gemacht.
30.Mai. Diesen Morgen kam eine Gesandtschaft der Dorfbewohner, um Herrn Lambert zu einem Stiergefechte einzuladen, welches man ihm zu Ehren geben wollte. Wir machten erst das wichtige Geschäft des Frühstückes ab, dann gingen wir nach dem Schauplatze, fanden jedoch, daß die Anstalten zu dieser Festlichkeit wenig vorgeschritten waren und es noch geraumer Zeit zu ihrer Beendigung bedürfte. Wir dankten den Leuten für ihre Aufmerksamkeit, zogen es aber vor mit ihrem guten Willen vorlieb zu nehmen; denn es war uns darum zu thun, so schnell als möglich nach der nur mehr eine halbe Tagereise entfernten Hauptstadt zu gelangen, und dieß um so mehr, als wir die Nachricht erhalten hatten, daß das Sikidy (der Orakel-Spruch) den heutigen Tag als einen glücklichen für unseren Einzug in Tananariva bezeichnet habe und daß die Königin wünsche, Herr Lambert möchte diesen günstigen Moment nicht versäumen.
Auf ganz Madagaskar, aber vorzugsweise bei Hofe, ist es gebräuchlich, für alle Unternehmungen, für die wichtigsten wie für die geringfügigsten, das Orakel Sikidy zu befragen. Es geschieht dieß auf folgende, höchst einfache Art: Eine gewisse Anzahl von Bohnen und kleinen Steinen wird durcheinandergemengt und aus den Figuren, die sie bilden, lesen die mit diesem Talente begabten Personen den günstigen oder ungünstigen Erfolg. Dergleichen Orakel-Sprecher oder Deuter sind bei Hofe allein mehr als zwölf angestellt und die Königin zieht sie für die unbedeutendste Kleinigkeit zu Rath. Sie unterwirft sich den Aussprüchen des Sikidy dergestalt, daß sie in vielen Dingen ihrem eigenen Willen gänzlich entsagt und sich in dieser Beziehung zur größten Sklavin in demselben Lande macht, welches sie andererseits so despotisch regiert. Will sie z. B. irgend wohin einen Ausflug unternehmen, so muß erst das Orakel befragt werden, an welchem Tage, zu welcher Stunde dieß geschehen soll. Ohne den Ausspruch des Sikidy zieht sie kein Kleidungsstück an, genießt von keiner Speise – ja selbst hinsichtlich des Trinkwassers muß das Sikidy entscheiden, von welcher Quelle es zu holen sei.
Noch vor wenig Jahren herrschte allgemein die Sitte, bei der Geburt eines Kindes sogleich das Sikidy zu befragen, ob die Geburtsstunde eine glückliche gewesen sei. In dem Falle einer verneinenden Antwort legte man das arme Kind in die Mitte eines jener Wege, über welche die großen Ochsenzüge getrieben werden. Gingen die Thiere an dem Kinde vorsichtig vorüber, ohne es zu beschädigen, so war dadurch der böse Zauber des Orakels gebrochen und das Kind wurde im Triumphe wieder nach dem väterlichen Hause gebracht. Natürlich hatten aber nur wenige das Glück, diese gefährliche Probe zu bestehen, die meisten verloren dabei ihr Leben. Eltern, die ihre Kinder der Probe nicht unterwerfen wollten, setzten sie aus, besonders wenn es Mädchen waren, und bekümmerten sich nicht weiter um sie. Die Königin hat sowohl die Probe wie die Aussetzung verboten; es ist dieß vielleicht das einzige menschenfreundliche Gesetz, welches sie in ihrem ganzen Leben gegeben hat.
Alle Reisenden, die nach der Hauptstadt kommen wollen, müssen bei der Königin um die Erlaubniß dazu ansuchen und in der Entfernung von wenigstens einer Tagereise den Ausspruch des Sikidy erwarten, welches bestimmt, an welchem Tage und zu welcher Stunde sie ihren Einzug machen können. Tag und Stunde sind auf das strengste einzuhalten, und sollte der Reisende in der Zwischenzeit plötzlich erkranken und sich in die Unmöglichkeit versetzt sehen, zur vorgeschriebenen Zeit an die Thore der Stadt zu gelangen, so muß er eine neue Botschaft an die Königin senden und ein zweites Mal den Ausspruch des Sikidy abwarten, worüber nicht blos mehrere Tage, sondern oft einige Wochen verloren gehen.
Wir waren in dieser Hinsicht sehr glücklich – das Sikidy hatte die Liebenswürdigkeit, uns auch nicht einen einzigen Tag warten zu lassen und gerade denjenigen als einen glücklichen zu bezeichnen, an welchem wir, der Einrichtung unserer Reise zufolge, die Hauptstadt erreichen konnten.
Ich vermuthe sehr, daß dießmal die Neugierde der Königin einigermaßen auf den Ausspruch des Orakels einwirkte. Die gute Dame mochte es wohl kaum erwarten können, in den Besitz all' der Schätze zu kommen, welche, wie sie wußte, Herr Lambert für sie mitbrachte.
Unsere heutige Tagereise glich einem fortgesetzten Triumphzuge. Voran ging das militärische Musikcorps, diesem folgten viele Offiziere, von welchen einige sehr hohen Ranges, dann kamen wir, umgeben von den Getreuen des Prinzen, und den Schluß bildeten der weibliche Sängerchor, Soldaten und Volk. So wie gestern, drängte sich in jedem Dorfe, durch das wir kamen, Alt und Jung herbei; alle wollten die langerwarteten Fremdlinge sehen und viele schlossen sich dem Zuge an und begleiteten uns meilenweit.
Der Weg führte beständig durch die schöne Hochebene von Emir. Welches Aussehen würde dieses herrliche Stück Land gewinnen, wenn es ordentlich kultivirt und bevölkert wäre! Man sieht zwar ungleich mehr Felder und Dörfer als in den übrigen Gegenden, durch welche uns der Weg bisher geführt, aber doch sehr wenig im Verhältniß zu der Fruchtbarkeit des Bodens und der glücklichen Lage. Einen besonderen Reiz verleihen dieser Hochebene die vielen Hügel, die sie von allen Seiten durchkreuzen, und von welchen die meisten frei aufsteigen und in gar keiner Verbindung unter einander stehen. An Wasser fehlt es ebenfalls nicht, und wenn man auch keinen mächtigen Strom sieht, so gibt es doch unzählige viele kleine Flüsse und Teiche.
Vor ungefähr 40 Jahren soll die ganze Hochebene von Emir noch mit Waldungen bedeckt gewesen sein; jetzt ist sie ungefähr 30 englische Meilen ringsumher so baumlos, daß nur die reichen Leute Holz als Brennmaterial gebrauchen können, welches sie von ihren Sklaven herbeitragen lassen. Die Aermeren nehmen ihre Zuflucht zu einer Art kurzen Savannengrases, mit welchem Hügel und Ebenen reichlich bedeckt sind, und das eine starke, aber natürlich nicht lange anhaltende Flamme gibt. Glücklicherweise bedürfen die Leute des Feuers blos zu der Bereitung ihrer Mahlzeiten. Heizung können sie entbehren, obgleich der Thermometer in den Wintermonaten bis auf drei oder vier, ja manchmal sogar bis auf einen Grad Reaumur fällt. Die Häuser sind von ziemlich dicken Lehmwänden erbaut, die Dachungen dicht mit langem Grase bedeckt, daher ist es, trotz der Kälte von außen, im Innern ziemlich warm.
Die Wege waren vortrefflich; unsere Träger liefen, als hätten sie nichts zu tragen. Schon von weitem sahen wir Tananariva, die Hauptstadt des Landes, die beinahe in der Mitte der Hochebene auf einem der schönsten Hügel liegt, und früh am Nachmittag gelangten wir an die Vorstädte, welche die eigentliche Stadt von allen Seiten umgeben.
Diese Vorstädte waren ursprünglich Dörfer, welche sich nach und nach vergrößert haben und am Ende zu einem Ganzen vereinigt wurden. Von den Häusern ist die Mehrzahl aus Erde oder Lehm aufgeführt, jene dagegen, die in dem wirklichen Stadtgebiete liegen, müssen von Brettern oder wenigstens von Bambus gebaut sein. Ich fand sie durchgehends größer und geräumiger, als die in den Dörfern und auch viel reinlicher und in besserem Stande erhalten. Die Dächer steigen steil auf, sind sehr hoch und an den Endspitzen mit langen Stangen geziert. Auch hier bemerkte ich, daß einzelne Häuser, oder mitunter drei bis vier gemeinschaftlich von niedrigen Erdwällen umgeben waren, die jedoch keinen anderen Zweck haben, als die Hofräume von jenen der Nachbarhäuser abzusondern. Straßen und Plätze gibt es nur ganz unregelmäßige; die Häuser sind nämlich nicht in Reihen gebaut, sondern liegen gruppenweise theils um den Fuß des Hügels, theils an dessen Abhängen – der königliche Palast steht auf der höchsten Spitze. Der Theil der Vorstädte, durch welche wir kamen, war zu meiner größten Verwunderung sehr rein gehalten, und zwar nicht nur die Straßen und Plätze, sondern auch die Hofräume. Nur in den engen Gäßchen zwischen den Erdwällen sah es bisweilen etwas schmutzig aus.
Noch mehr aber als diese Reinlichkeit überraschte mich die große Menge Blitzableiter; beinahe jedes größere Haus war damit versehen. Sie wurden von Herrn Laborde eingeführt, einem Franzosen, der schon seit langen Jahren in Tananariva lebt und dessen abenteuerliche Lebensgeschichte mir Herr Marius während der Reise erzählte; ich werde meine neugierigen Leserinnen sehr bald mit diesem merkwürdigen Manne bekannt machen.
Wie man mir sagte, gibt es vielleicht keinen Ort auf der ganzen Welt, wo die Gewitter so furchtbar sind und der Blitz so häufig einschlägt wie hier. In Tananariva sollen durchschnittlich jedes Jahr an 300 Personen vom Blitze getödtet werden, und im vergangenen Jahre stieg deren Zahl sogar bis auf 400. In einem Hause allein tödtete derselbe Strahl 10 Personen. Diese heftigen Gewitter haben von Mitte März bis Ende April statt.
Wir waren unterdessen an das Stadtthor gelangt, vor welchem wir ein Piket Soldaten mit gekreuzten Gewehren aufgestellt fanden, die uns auf das höflichste den Eingang verwehrten. Es scheint an diesem Hofe Sitte, alles mit einer Art despotischer Feier zu umgeben, da jeder Fremdling, der nach der Hauptstadt kommen will, um die Erlaubniß dazu bei der Königin anhalten muß und sie daher von der Reise schon lange vorher unterrichtet ist. Ungeachtet dessen, daß der Reisende eine oder zwei Tagereisen von der Hauptstadt entfernt, abermals verpflichtet ist, einen Boten abzusenden, um von dem Sikidy die Nachricht einzuholen, an welchen Tage er seinen Einzug zu halten habe, so muß er dennoch wieder an dem Stadtthore anhalten, der Königin seine Ankunft melden und um Einlaß bitten. Ist die Königin gerade übler Laune, so läßt sie den Armen oft stundenlang in der glühendsten Sonnenhitze oder bei Sturm und Regen der Antwort harren.
Wir waren so begünstigt, die Erlaubniß zum Eintritt in die Stadt schon nach einer halben Stunde zu erhalten.
In dem Innern der Stadt sieht es ungefähr eben so aus, wie in den Vorstädten, nur mit dem Unterschiede, daß dem Gesetze zufolge, von welchem ich bereits gesprochen habe, die Häuser alle aus Brettern oder Bambus gebaut sind.
Wir stiegen bei Herrn Laborde ab, der ein sehr warmer Freund Herrn Lambert's und ein großer Beschützer jedes Europäers ist, welcher nach Tananariva kommt.