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Die Insel Madagaskar ist, einzelne Küstenstriche ausgenommen, sehr wenig bekannt; in das Innere zu dringen, gelang nur einzelnen Reisenden und selbst diesen war es nicht möglich, das Land mit Muße zu studiren. Was mich selbst betrifft, besitze ich leider zu wenig Kenntnisse, um ein Land wissenschaftlich beschreiben zu können; ich bin, wie ich bereits zu wiederholten Malen ausgesprochen habe, höchstens im Stande, einfache, der Wahrheit getreue Schilderungen dessen zu versuchen, was ich gesehen habe. Es dürfte daher, so viel ich glaube, für meine Leser nicht uninteressant sein, wenn ich, bevor ich die Erzählung meiner Erlebnisse auf Madagaskar beginne, aus verschiedenen Werken, welche über diese Insel erschienen sind, einen geographisch-geschichtlichen Ueberblick zusammenfasse.
Madagaskar soll bereits den Alten bekannt gewesen sein. Im 13ten Jahrhunderte erwähnt dieser Insel Marco Polo. Die Portugiesen besuchten sie im Jahre 1506, und das erste europäische Volk, welches Niederlassungen darauf zu gründen versuchte, war das französische im Jahre 1642.
Madagaskar liegt südöstlich von Afrika, von welchem Welttheile es blos durch den 75 Meilen breiten Kanal von Mozambique getrennt ist, erstreckt sich von dem 12. bis zu dem 25. Grade südlicher Breite und von dem 40. bis zu dem 48. Grade östlicher Länge, und ist nach Borneo die größte Insel der Welt. Ihr Flächeninhalt beträgt ungefähr 10.000 geographische Quadrat-Meilen. Die Bevölkerung wird sehr verschieden angegeben, von einigen auf 1½ bis 2 Millionen, von anderen bis auf 6 Millionen.
Die Insel besitzt unübersehbare Waldungen, ausgedehnte Ebenen, Thäler und Schluchten, viele Flüsse und Seen und große Gebirgszüge, deren Spitzen sich 10- bis 12.000 Fuß und noch höher erheben.
Die Vegetation ist überaus üppig, das Klima sehr heiß, letzteres an den Küsten, wo es viele Moräste gibt, für Europäer höchst ungesund, in dem Innern des Landes weniger. Die vorzüglichsten Produkte sind: Eigenthümliche Balsame und Harze, Zucker, Tabak, Seide, Reis, Indigo und Gewürze. Die Wälder liefern herrliche Hölzer für Bauten und Einrichtungen, die Fruchtbäume beinahe alle Früchte der tropischen Zone. Unter den vielen Palmen-Gattungen ist die schöne Wasserpalme sehr häufig. Aus dem Thierreiche besitzt Madagaskar ebenfalls einige eigenthümliche Gattungen, so die Familie der »Makis« oder Halb-Affen und den schwarzen Papagei, außerdem zahlreiches Hornvieh, Ziegen, Schafe und viele schöne Vögel. In den Wäldern und in den Savanen hausen wilde Ochsen und Schweine, wilde Hunde und Katzen, aber sonst keine gefährlichen Thiere. Die Schlangen sind unschädlich; andere Reptilien gibt es sehr wenig, und giftige Thiere sind blos der Tausendfuß und eine kleine schwarze Spinne, welche unter der Erde lebt und deren Stich tödtlich sein soll; sie kommt jedoch nur selten vor. Auch an Metallen, besonders an Eisen, und an Steinkohlen soll die Insel sehr reich sein; natürlich sind ihre mineralischen Schätze noch wenig erforscht.
Die Bevölkerung besteht aus vier verschiedenen Racen. Auf der Südseite leben die Kaffern, auf der Westseite die Neger, während auf der Nordseite die arabische Race und auf der Ostseite und im Innern die malaische vorherrschend ist. Diese Haupt-Racen zerfallen in viele Stämme, von welchen gegenwärtig jener der Hovas, zur malaischen Race gehörend, der zahlreichste und civilisirteste auf der ganzen Insel ist. Die Hovas bevölkern den größten Theil des Innern und bildeten schon zur Zeit der Entdeckung Madagaskars ein mächtiges Reich, dessen Hauptstadt »Tananariva«, in der Mitte einer großen Hochebene in dem Bezirke Emir gelegen, aus einer Vereinigung vieler Dörfer besteht.
Am wenigsten bekannt, oder besser gesagt, gänzlich unbekannt ist die Südwestküste, deren Bewohner für die ungastlichsten und für die erklärtesten Feinde der Europäer gelten. Alle diese verschiedenen Racen und Stämme sind wie die meisten primitiven Volker sehr träge, neugierig, abergläubisch und charakterlos.
Die Franzosen haben, wie oben erwähnt wurde, seit dem Jahre 1642 versucht, sich auf Madagaskar festzusetzen; sie eroberten einige Landstriche, errichteten hie und da Comptoirs und kleine Forts, konnten dieselben aber nie behaupten. Alle ihre Unternehmungen verunglückten einerseits durch das ungesunde Klima und in Folge der Strenge und Grausamkeiten, mit welchen sie die Eingeborenen behandelten, andererseits dadurch, daß sie von der Heimath nie zur rechten Zeit mit Geld und Truppen unterstützt wurden.
Sowohl die französische Regierung, als die Sociéte de l'Orient kamen in Beziehung auf diese Insel nie zu einem festen Entschlusse. Bald wollten sie dieselbe erobern, bald wieder ganz fallen lassen. Zu verschiedenen Malen sandten sie Schiffe und Truppen, überließen letztere dann ihrem Schicksale, und auf diese Weise gingen viele Menschenleben und große Summen Geldes verloren, ohne daß irgend etwas erreicht wurde.
Die letzte jener Unternehmungen fand im J. 1773 unter dem Oberbefehl des polnischen Grafen Benjowsky statt, welcher schon im voraus den Titel »Gouverneur von Madagaskar« erhielt.
Graf Benjowsky soll ein sehr fähiger und unternehmender Mann gewesen sein, und da er über eine größere Macht zu verfügen hatte, als dieß bei den früheren Expeditionen der Fall war, so hätte es ihm vielleicht geglückt, Madagaskar für immer an Frankreich zu bringen, oder doch wenigstens eine bleibende und wichtige Kolonie darauf zu gründen. Leider erging es ihm aber wie seinen Vorfahrern, ja noch schlechter, denn es blieb nicht nur die versprochene Unterstützung aus, sondern er fand auch gerade in dem Gouverneur von Bourbon, welcher ihn unterstützen sollte, den gefährlichsten Feind. Letzterer, anstatt ihm Truppen und Geld zu schicken, bot im Gegentheil aus Eifersucht alles auf, seine Macht zu schwächen und so kam es, daß trotz der ersten Erfolge Graf Benjowsky bald kaum mehr im Stande war, einige unbedeutende Forts und Comptoirs zu behaupten. Nach seinem Tode gingen auch diese verloren und im Jahre 1786 verließen die Franzosen Madagaskar gänzlich; von allen ihren früheren Eroberungen behielten sie blos das kleine Inselchen St. Maria.
Zu Anfang des 19ten Jahrhunderts versuchten es auch die Engländer, Niederlassungen auf Madagaskar zu gründen, aber ebenfalls ohne Erfolg; sie bemächtigten sich der Häfen von Tamatavé und Foulpointe, behaupteten sie jedoch nur kurze Zeit.
Unterdessen hatte sich im Innern des Landes das Reich der Hovas sehr vergrößert. Dianampoiene, der Chef von Tananariva, führte glückliche Kriege gegen die kleineren Chefs und fügte deren Staaten den seinigen bei. Er soll ein sehr thätiger und verständiger Mann gewesen sein und seinem Volke gute Gesetze gegeben haben. Unter seiner Regierung war der Genuß der Liqueurs und des Tabakes verboten. Dianampoiene starb im Jahre 1810 und hinterließ das bereits mächtige Reich seinem Sohne Radama. Dieser zählte nicht mehr als 18 Jahre, als er zur Regierung kam; er war wie sein Vater intelligent, rechtschaffen und sehr ehrgeizig. Er liebte die Europäer und suchte in deren Umgange seine Kenntnisse auszubilden.
Die Engländer benützten dieß sehr geschickt und wußten sich bei ihm in große Gunst zu setzen; er wurde bald dergestalt von ihnen eingenommen, daß er sie auf jede Art auszeichnete, und sogar zuweilen englische Uniform trug. Auch ging er einen Vertrag mit England ein, durch welchen er sich verpflichtete, dem Sklavenhandel nach dem Auslande zu entsagen. Als Entschädigung erhielt er dafür Geld und Geschenke, deren Werth ungefähr 2000 Pfd. Sterl. betrug, und die englische Regierung versprach überdieß, zehn junge Leute aus Madagaskar in England, und zehn andere in Mauritius in den verschiedenen Handwerken und Künsten unterrichten zu lassen.
Radama hielt den Kontrakt strenge ein, nicht so aber der englische General Hall, welcher dem Mr. Faryhar auf Mauritius als Gouverneur gefolgt war. General Hall mochte wohl meinen, daß die wilden gar keine Menschen seien; er schämte sich nicht, öffentlich zu erklären, daß ein Kontrakt mit einem Chef von Wilden geschlossen nicht die geringste Giltigkeit habe und brach ihn auf alle Art. Eine natürliche Folge dieser Handlungsweise war, daß Radama den Sklavenhandel wieder freigab und auf Kosten der Engländer die Franzosen zu begünstigen anfing, welche bei dieser Gelegenheit einen kleinen Landstrich an de Bai von Venatobé erwarben.
Die Engländer versuchten lange Zeit vergebens ihre einflußreiche Stellung wieder zu erlangen. Sie hatten sich nicht blos bei Radama, sondern auch bei dem Volke so verhaßt gemacht, daß man alles, was für falsch oder lügenhaft gehalten wurde, »englisch« nannte. Trotzdem gelang es ihnen am Ende doch den Vertrag zu erneuern und sogar noch mehr Begünstigungen zu erhalten. Es wurde ihnen erlaubt Missionäre einzuführen, Schulen zu errichten und die Bibel zu verbreiten. Ihre Schiffe durften gegen eine Abgabe von 1 Prozent in alle Häfen einlaufen, und im Jahre 1825 gestattete Radama den Engländern auch das Recht, sich auf der Insel niederzulassen, Häuser zu bauen, Händel zu treiben, die Erde zu kultiviren und industrielle Unternehmungen zu gründen.
Radama starb am 27. Juli 1828 im 36. Jahre. Die ehrgeizigen Pläne seine Vaters verfolgend, war es ihm gelungen, seine Herrschaft über den größten Theil der Insel auszubreiten und sich zum Könige von Madagaskar aufzuwerfen. Seinem Szepter gehorchten außer dem Lande der Hovas auf der Nordwest-Küste das Land der Seklaven mit der Hauptstadt Bombetok, auf der Westküste Mozangaye und auf der Nordküste die Länder der Antawaren und der Betimsaras; die Südwest-Küste allein und das auf der Südost-Küste gelegene Land der Anossy hatten ihre Unabhängigkeit behauptet.
Radama besaß ein großes Redner-Talent, und liebte sehr es zu zeigen. Er war überhaupt sehr eitel und für Huldigungen im höchsten Grade empfänglich. Sein Volk mußte ihm Ehren erweisen gleich einem Gott, und daß die englischen Missionäre unter seiner Regierung zu Einfluß gelangten, verdankten sie wohl größtentheils den Lobeserhebungen und Schmeicheleien, mit welchen sie ihn überschütteten. Sie verglichen ihn mit Napoleon dem Ersten, von dessen Großthaten ihm die Franzosen erzählt hatten und welchen er sich zum Vorbilde genommen zu haben schien. So ganz unrichtig kann man übrigens diesen Vergleich nicht nennen und den Titel »Radama des Großen« mag man ihm gerne zugestehen, wenn man bedenkt, was er in der kurzen Zeit seiner Regierung geleistet hat. Die Eroberung eines großen Theiles der Insel, die Abschaffung der Todesstrafe für viele Verbrechen, das Verbot des Sklavenhandels nach dem Auslande, die Gründung eines ziemlich gut geschulten Heeres, die Einführung vieler europäischen Handwerke – dieß alles war sein Werk. Er hat, der erste auf Madagaskar, der Civilisation die Thüre geöffnet, unter seiner Regierung wurden die ersten öffentlichen Schulen errichtet und die lateinischen Buchstaben für die Landessprache angenommen. Auf alle Art auf die materielle und geistige Verbesserung seines Reiches bedacht, machte er nur mit einem Gegenstande eine Ausnahme – von dem Baue guter Straßen wollte er nichts hören. Er meinte, gleich den meisten Fürsten halbwilder Volker, daß die schlechten Wege seine besten Festungen gegen die Europäer seien. Während der letzten Jahre seines Lebens ergab er sich leider großen Ausschweifungen, die wohl seinen frühen Tod verursacht haben mögen; viele behaupten, er sei vergiftet worden.
Mit Radama's Tode hörte nicht nur der englische, sondern jeder europäische Einfluß auf. Seine erste Frau Ranavola folgte ihm auf dem Throne und legte ihrem Namen den königlichen Titel Manjaka bei.
Dieses grausame, blutdürstige Weib begann die Regierung mit der Hinrichtung von sieben der nächsten Verwandten des verstorbenen Königs, ja nach den Berichten des Missionärs, Herrn Wilhelm Ellis, wurde nicht nur alles getödtet, was zu Radama's Familie gehörte, sondern auch jene Adeligen, welche dem Throne nahestanden und von welchen Ranavola befürchtete, daß sie Ansprüche darauf machen konnten.
Den Vertrag, welchen Radama mit den Engländern geschlossen hatte, hob sie sogleich auf. Ihr Haß gegen letzteres Volk war so groß, daß er sich auf alles erstreckte, was von England kam, selbst auf die von dort eingeführten Thiere. Alle jene, welche rein englischen Ursprunges waren, mußten getödtet oder wenigstens aus ihren Staaten entfernt werden. Aber auch die Franzosen fanden keine Gnade vor ihren Augen – sie wollte überhaupt nichts von Civilisation wissen und bestrebte sich, alle Keime derselben zu ersticken. Sie vertrieb die Missionäre, verbot das Christenthum und erschwerte jeden Verkehr mit den Europäern. Ihre Unterthanen, besonders jene, welche nicht dem Stamme der Hovas, aus dem sie entsprossen war, angehörten, behandelt sie mit der größten Strenge und Grausamkeit. Für die geringsten Vergehen unterwirft sie dieselben den härtesten Strafen und täglich ließ und läßt sie Todesurtheile vollziehen.
Einem Einzigen von den Blutsverwandten des Königs Radama, dem Prinzen Ramanetak, war es geglückt, durch zeitige Flucht das Leben zu retten. Dieser Prinz konnte gerechte Ansprüche auf den Thron erheben, und da sich die Königin Ranavola durch ihre harte und blutdürstige Regierung bei dem Volke sehr bald verhaßt gemacht hatte, so würde es ihm mit Hilfe der Franzosen gewiß gelungen sein, eine Revolution zu bewirken und sich des Thrones zu bemächtigen. Auch wäre dieß für die Franzosen jedenfalls von großem Nutzen gewesen, denn Prinz Ramanetak war ganz für diese Nation eingenommen. Die Regierung Frankreichs blieb aber der seit zwei Jahrhunderten gegen Madagaskar befolgten Politik getreu, und die großmüthige Hilfe, welche sie dem Prinzen anbot bestand in – 60 Flinten und 20 Fäßchen Pulver.
Wie ich zu Anfang meiner Reise erzählt habe, wurden die Franzosen in der Folge von der Königin Ranavola auch aus dem Landstriche vertrieben, welchen ihnen Radama an der Bai von Vanatobe eingeräumt hatte. Ob Frankreich Genugthuung verlangen und den übermüthigen Beherrschern Madagaskars einmal ernstlich die Macht eines europäischen Volkes zeigen, oder ob es diese Gelegenheit eben so unbenützt vorübergehen lassen wird, wie die früheren, wage ich nicht zu bestimmen. Die nächste Zukunft muß es lehren.