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VI

Noch immer sitzen auf der unversehrten Stadtmauer von Wimpfen die schweren Türme, die gedeckten Giebel. Doch in einer Lücke, über dem Lattenzaun eines kleinen Hofes stehen die zierlichen Arkaden, letzte Erinnerung an einen Stilwillen, der in diese Landschaft das Fremde eines größeren Reichszusammenhanges hineintrug. Die Häuser hier, die Mauern, die spitz betürmten Kirchen auf der Höhe sind derbe Feldsteingotik, doch die romanischen Bogensäulen zeigen die Bauweise des schwäbischen Sizilianers, des Hohenstaufen, der die rotbraunen Berge, die weißen Hafenstädte Apuliens am blauesten Meer mit Kastellen und Palästen besäte. In der Pfalz von Wimpfen, dem Königssitz aus ältester fränkischer Zeit, der Cornelia der Römer, lebte ein paar Jahre lang der Sohn Friedrichs, der in Frankfurt als Kind gekrönte Heinrich VII. Oft mag der jugendliche König in diesen Fensterbogen über dem Tal gestanden haben, voll Sehnsucht nach seinem Königreich, das sich freimachte von dem italischen Verhängnis. Umsonst. Seine Pläne zerbrachen an dem stärkeren Willen des Vaters, und den Aufrührer traf die Strafe der Verbannung. Wie mag dem Sterbenden in der tötlichen Malarialandschaft des Südens weh gewesen sein um dieses heitere, kühle Neckartal. Hier war das Kastell, geräumig und befestigt, mit Türmen und unterirdischen Gängen, versorgt aus Scheuern und Teichen. Erst der dreißigjährige Krieg durchfuhr mit Mord, Brand und Plünderung die reiche Landstadt. Die Stätten der niedergebrannten Häuser sind kleine viereckige Gärten geworden voller Rosen und Küchenkräuter. Der seitliche Zugang der Pfalzkapelle ist zugemauert, der Altan mit seinen stolzen Bogen dient der Herberge für die wandernde Jugend. Schmied und Küfer hämmern wie seit Jahrhunderten in der Werkstatt an den krummen Gassen für den ländlichen Bedarf. Der Brunnen fließt am kleinen eingezwickten Platz zwischen den einander überschneidenden Straßen, seine Säule trägt das Wappentier der Stadt, den Adler mit dem Schlüssel im Schnabel, es sieht hager aus wie ein Rabe, den linken Flügel über dem Rücken. Das wuchtige Hohenstaufentor trennt die Burg von der Stadt, hoch und steil steht der Turm in den ansteigenden Gassen zwischen geduckten dunklen Häusern, das Steingeländer der oberen Gasse krümmt sich wie der Leib eines Drachen zu ihm hin. Das Haus des Bürgermeisters mit dem zierlichen Erker und den von der Seite her ausgetretenen Treppenstufen steht oben, greisenhaft, doch noch immer stattlich mit seinem schwarzen Fachwerk. Der Stadtteich, jetzt von Bäumen eingefaßt und von Gänsen bevölkert, ist ein Ort der Sage aus ältester germanischer Zeit. Stammen von hier die schauernden Verse der Schubertschen Liedmusik?

Bild: Joachim Lutz

Das Bürgermeisterhaus

Dort oben auf dem Berge da ist ein dunkler See,
Und auf dem Wasser schwimmet ein Röslein weiß wie Schnee.
Es kam ein Hirtenknabe mit einem Haselstab:
Das Röslein muß ich haben, das Röslein brech ich ab.
Er zieht es mit dem Stabe wohl an den Binsenrand,
aus dem Wasser hebet sich eine weiße Hand.
Sie zieht das Röslein nieder tief in den dunkeln Grund:
Komm lieber Knab, ich mache dir viel Geheimes kund ...

Legenden hängen wie ein Gespinst um die von Strebepfeilern gestützten Kirchen, Moos wächst auf dem mürben Stein der Epitaphien, alte Bilder dunkeln in der Sakristei. Vor dem Mathildenbad halten an den Sonntagen die Autos aus IT, HD, IIIS, VS, IVB, – aus Frankfurt, Ludwigshafen, Darmstadt, Heilbronn, Worms, Mannheim. Von der Terrasse dort oben gesehen, wirkt die Landschaft wie ein Becken, in dem die Straßen aus lebendiger Ferne zusammenlaufen. Die Kleinheit, die Gleichmäßigkeit der Feldereinteilung mit den schmalen Vierecken an den Hängen und den Dreiecken zwischen den Landstraßen, dieses Flickenhafte, Parzellenmäßige, wirkt sehr deutsch, es wirkt keineswegs kraftlos, eher wie die saubere Rechenschaft in einem aufgeschlagenen Buch. Da und dort trägt eine gedehnte Kuppe, oder auch eine Seitenfalte, die Dächer einer Ortschaft. Über Gundelsheim und dem Schloß Hornegg drüben liegt eine Hochfläche, dort ist wie ein dunkler Pelz der Mosbacher Wald. Auch Wimpfen hat einen unantastbaren, ihm von einem der Kaiser auf ewig übermachten Waldbesitz. Das alte Städtchen Mosbach versteckt sich in dem Tal, das die Bahn nach Würzburg führt, dort liegt es holzduftend zwischen Wald und Weinbergen mit seinen krummen, engen Gassen, seine Bauerngärten am Elzbach riechen nach Buchs. Das Neckartal hier unten ist eine Großlandschaft dagegen, hier glänzt schlangenmäßig weithin der Fluß, die weißen Prellsteine an der Landstraße

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An der Kirche in Wimpfen

über seinem Ufer weisen nach Wimpfen im Tal. Diese Ortschaft ist in ihr Mauerviereck völlig eingeschlossen, die grauen Türme aus romanischer Bauzeit, das weiß man, sind schon das dritte sakrale Bauwerk an dieser Stelle. Die Stadtmauer ist schon ganz niedrig geworden, fast in die Erde eingesunken. Der steinerne dämmernde Raum der Kirche, selbst schon ein wenig in der Achse gebrochen durch den Neigungswinkel zwischen Schiff und Chor, hütet den Garten im wohlerhaltenen Kreuzgang. Diese Stiftskirche zu St. Peter weist für ihren Chor vier Grad Abweichung nach Norden von der Orientlinie auf. Die Verlängerung der Linie, sagen die Forscher, führt als Aufgangspunkt der Sonne 7.26 Uhr, das wäre am Tag von Petri Stuhlfeier, der im Februar liegt. Und die Stadtkirche, wie auch die Cornelienkirche in der oberen Stadt mit 16 und 17 Grad korrespondieren mit dem Sonnenaufgang am Tage von Maria Lichtmeß um 7.44 Uhr an jedem 2. Februar. Die Säulen, die Kapitale des Kreuzganges zeigen den Stilwandel der Baukunst von frühgotisch in hochgotisch und spätgotisch. So ist der Kreuzgang selber wie eine Sonnenuhr der Jahrhunderte. Die Inschriften, die flachen Bilder der Grabsteine an den Wänden wärmen sich im schrägen Licht der Nachmittagssonne, bald sinken sie zurück in den Schatten. Hier ist jenes Alt-Europa, das ganz gesättigt ist von der Macht der Toten, von einem gestalteten nachwirkenden Wissen. Was ist das Neue, Vielbeschäftigte der Welt da draußen, da doch selbst der Talmarkt, der sich unter den Bäumen vor der Kirche alljährlich um die Zeit des Johannistages mit dem Lärm seiner Schaubuden, Karusselle und Zigeuner wiederholt, nichts anderes sein kann als ein Überbleibsel aus kultischen Zusammenhängen, aus Volks- und Priestergebräuchen verschollener Zeiten. Unablässig und frisch zieht draußen der Fluß durch die Wiesen, wie eine brausende silberne Mauer steht das Wehr. Wohl sind an der Seite der Landstraße die schwarzen Schlote der Fabrik, die moderne Brücke setzt schlank wie ein Windspiel über die Furche des Flusses, die breiter ist als das Wasser. Aber auch die Fähre ist noch da zu Füßen der Stadt, wo einst die Kriegsscharen Tillys in einem verzweifelten Treffen ihren Feinden begegneten. Durch die Felder führt zwar die Landstraße zur Brücke, aber die Baumreihe noch immer zur uralten Bootslände.


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