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Es gibt, um es gleich zu sagen, zwei Neckar, den von Heidelberg und den von Mannheim. Es sind die zwei Ausdrucksformen des selben Flusses. Immer wieder gehen sie ineinander über, verschieben sich ineinander und trennen sich voneinander. Das eine ist der romantische Fluß, der Garten-Neckar. Die Felder reihen sich an ihm auf wie ein ewiger Fächer, die Weinberge schleichen an ihm hin wie große Igel. Die Dörfer liegen da, sicher und bequem gebettet und strecken ihre Kirchtürme hoch wie Spieße. Die Burgen, zersägt vom Alter, stehengeblieben wie Klippen aus der tobenden Flut des Bauernkrieges, sind an den Höhen der Täler aufgereiht wie die Stiche einer Naht, in Sichtweite voneinander, als wollten sie einander noch immer Feuerzeichen geben, wie damals, als sie gemeinsame Sache machten und die Bauern frohnden ließen.
Das andere ist der Neckar unserer Zeit. Die Eisenbahn ist seine Zuchtmeisterin. Sie brachte die Menschen auf den Gedanken, den Fluß zu recken, ihn in die Abschnitte eines Kanals aufzuteilen mit Schleusen für die Schiffahrt, mit Wasserschlössern für die Turbinen, mit dem tief ausgehobenen Strombett, groß genug für jede Hochflut. Das Wasser hat sich von weither diesen langen tastenden Weg zum Rhein gegraben, diese Traufe der sich verbreiternden, sich verengenden, sich aneinanderfügenden Täler; es wies den stählernen Strängen den Anstieg in das Land, ins Gebirge, nun kürzt der Schienenweg den Weg des Wassers. Schließlich machen sich diese Eisenbahnstrecken im europäischen Netz zum Maßstab für den Fluß. Sie lassen ihn klein und krumm erscheinen. Die Schnellzugsstrecken berühren ihn und verlassen ihn wieder. Durch die Bahnhöfe am Neckar laufen auch die Eisenbahnzüge wie ein Strom, sie gehen in anderen Zweigen auf und finden noch aus der Mündung im Mannheimer Bahnhof den Weg querüber den Rhein. Das ist dann Mannheim am Neckarende, einst aus einem Fischerdorf zur Stadt, von der Stadt zur Residenz und zur Hauptstadt eines kleinen Reiches erhoben, jetzt eine Stadt der Eisenbahnen und Fabriken, begonnen als eine geometrisch geordnete Häusermenge im Kreis der Zitadelle, in den spitzen Winkel zwischen beiden Flüssen hineingesteckt wie eine Münze zwischen Stamm und Ast eines Baumes. Holländische Städtebauer, gewohnt in Flächen und Wasserläufen zu denken, haben den Grundriß dieser Stadt entworfen. Wie im Schwemmland des Rheindeltas, so stehen da die Häuser auf Pfählen. Immer mehr Straßen, Häuser, Vorstädte überziehen die Ebene. Die tiefgelegenen Gärten an der Ostseite füllen sich mit Schutt als Grundlage des Neugebauten. Und mitten in dieser breit ausgeflossenen, alles bedeckenden Großstadt steckt der Güterbahnhof wie ein trockener Neckar, ein flaches schwarzes Strombett. Noch zehrt die innere Stadt von der Anmut, dem Reichtum, dem Lebensüberschuß der alten fürstlichen Bauweise. Die freie Großartigkeit des Schlosses, die üppige Grazie der Jesuitenkirche beschämt die bleichen jüngeren Hausgesichter. Selbst draußen im städtisch gewordenen Neckarau ragt noch die aus dem selben roten Sandstein gebaute Kirche unnahbar in ihrem noblen, stolzen Barock. Diese spiegelnden Säle des Schlosses mit den schmetterlingsbunten Dingen eines untergegangenen Lebens! Merkwürdig genug, von diesen Freitreppen in das Auto zu steigen, die lauten Straßen, die Schaufensterspiegel der Geschäftsstadt zu durcheilen, zum Rheinhafen hin mit seinen Speichern, seinen Kranen, dann zu den Massenquartieren und Bauzäunen der Neckarvorstadt und den reinlichen, nagelneuen, volkbewohnten Gartenstädten. Dort draußen waren einmal die Wildnisse, in denen Serenissimus die Bühne seines Jagdtheaters erbauen ließ. Hirsche und Wildschweine, gehetzt von den Klappern der Treiber, jagten in Scharen vorüber, um von der Loge aus abgeknallt zu werden und schließlich bei Feuerwerk und Trompetenschall den fürstlichen Namenszug aus schwarzen borstigen Tierleibern zu bilden. Jetzt endet hier der Fluß mitten im Gewimmel der emsigen Menschen zwischen hohen gleichmäßigen Häuserreihen, unter strengen Brückenspangen, an der mit Petroleumtanks besetzten Neckarspitze, den stählernen Laufgerüsten, den rauchenden Schloten von Ludwigshafen gegenüber. Hier vor der Neckarmündung, die den Strom breiter, wälzender, trüber macht, mit den ankernden Flotten in der Mitte der Wasserfläche, trifft noch immer der Blick, der den glänzenden kurzen Bogen des Rheines in seinen grünen Ufern umfaßt, die Kohlenhügel, die Ladekrane, die scharfgeschnittenen Mauern.