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Ganz gewiß hat oft manches Tier bessere Regungen als mancher Mensch. Und darum sind Tiere oft in Fabeln und Gleichnissen den Menschen als Vorbild hingestellt worden. Aber selbst die größten Tierfreunde können uns nicht immer die Tiere als Idealbild vorhalten. Und wenn Scheffel in seiner heiteren Weise aufdeckt, wie wenig Recht wir haben, die Tiere immer zum Gleichnis heranzuziehen, so kommt doch in manch' anderer Tiergeschichte auf amüsante Art zum Vorschein, wie auch die Tiere in der Groteske des Lebens ihre Rolle spielen – und nicht daran denken, ihr Wesen aufzugeben, um besser zu scheinen als sie sind.
*
Katzenjammer.
Von J. Viktor von Scheffel.
O die Menschen tun uns unrecht,
Und den Dank such' ich vergebens,
Sie verkennen ganz die feinern
Saiten unsres Katzenlebens.
Und wenn einer schwer und schwankend
Niederfällt in seiner Kammer,
Und ihn morgens Kopfweh quälet,
Nennt er's einen Katzenjammer.
Katzenjammer, o Injurie!
Wir miauen zart im stillen,
Nur die Menschen hör' ich oftmals
Graunhaft durch die Straßen brüllen.
Ja, sie tun uns bitter unrecht
Und was weiß ihr rohes Herze
von dem wahren, tiefen, schweren,
Ungeheuren Katzenschmerze?
*
Lups.
Von Manfred Kyber. Aus »Unter Tieren«, Verlag Grethleins Co., Leipzig.
Herr Lups war ein Spatz. Seine Frau hieß Frau Lups. Denn dem Namen nach richten sich die Frauen nach ihren Männern.
Es war Frühling und Frau Lups saß auf ihren Eiern. Herr Lups hatte Futter herangeschleppt. Jetzt saß er auf dem Nestrand und blinzelte in die Sonne.
»Die Menschen sagen immer, daß Spatzen frech und zänkisch sind,« dachte Frau Lups, »womit sie natürlich nur die Männchen meinen. Ich kann es von meinem Mann eigentlich nicht finden. Ein fertiger Ehespatz ist er zwar noch nicht, aber er macht sich.«
Herrn Lups wurde es langweilig.
»Ich möchte mich auch mal auf die Eier setzen.«
»Nein«, sagte Frau Lups – nicht aus Eigensinn, rein aus pädagogischem Empfinden.
»Piep!« sagte Herr Lups empört, »es sind auch meine Eier.«
»Nein«, sagte Frau Lups – wieder nur aus pädagogischem Empfinden.
Herr Lups schlug erregt mit den Flügeln.
»Ich habe das Recht auf den Eiern zu sitzen, ich bin der Vater!« schrie er.
»Schlage nicht so mit den Flügeln,« sagte Frau Lups, »es ist unschicklich, wenigstens hier im Nest. Außerdem macht es mich nervös. Ihr Männer müßt immer gleich mit den Flügeln schlagen. Nimm dir ein Beispiel an mir. Ich bin stets ruhig. Gewiß sind es deine Eier. Aber es sind mehr meine Eier als deine Eier. Das habe ich gleich gesagt. Denke dran, daß du verheiratet bist.«
»Daran denke ich unaufhörlich«, sagte Herr Lups. »Aber du hast es vorhin anders gesagt. Das ist unlogisch.«
»Stör' mich nicht mit deiner Logik,« sagte Frau Lups, »wir sind verheiratet und nicht logisch.«
»So«, machte Herr Lups und klappte arrogant mit dem Schnabel.
»Findest du das etwa nicht???«
Herr Lups hörte auf zu klappen.
»Ja, ja, meine Liebe«, sagte er.
»Er macht sich«, dachte Frau Lups.
»Ich werde jetzt in den Klub gehen«, sagte Herr Lups und putzte sich die Flügel.
»Du könntest dich auch mal auf die Eier setzen,« sagte Frau Lups vorwurfsvoll, »ich sitze schon den ganzen Vormittag darauf. Glaubst du, daß es ein Vergnügen ist? Dabei sind es deine Eier.«
Herr Lups dachte, die Sonne müsse aufhören zu scheinen. Aber sie schien weiter.
»Mir steht der Schnabel still!« schrie er. »Eben wollte ich auf den Eiern sitzen, da waren es deine Eier. Jetzt will ich in den Klub gehen, da sind es meine Eier, wessen Eier sind es nun endlich?!«
»Schrei nicht so,« sagte Frau Lups, »natürlich sind es deine Eier. Ich habe es dir doch schon vorhin gesagt.«
Herrn Lups wurde schwindlig.
»Du irrst dich«, sagte er matt.
»Frauen irren sich nie«, sagte Frau Lups.
»Ja, ja, meine Liebe«, sagte Herr Lups und setzte sich auf die Eier, die nicht seine Eier und doch seine Eier waren.
»Männer sind so wenig rücksichtsvoll,« sagte Frau Lups mit sanftem Tadel, »du hast eben auch die weibliche Hand in deinem Leben zu wenig gefühlt.«
»O doch«, sagte Herr Lups und blickte auf die Krällchen seiner Gemahlin.
Frau Lups horchte aufmerksam an den Eiern.
»Eins piepst sogar schon im Ei«, sagte sie glücklich.
»Dann wird es ein Weibchen«, sagte Herr Lups.
Frau Lups sah ihren Gatten scharf an.
»Gewiß,« sagte sie, »es wird ein Weibchen. Die Intelligenz regt sich am frühesten.«
Herr Lups ärgerte sich sehr und brütete.
»Aber das erste, das herauskommt, wird ein Männchen!« sagte er patzig.
Frau Lups blieb ganz ruhig.
»Das was zuerst piepst, kommt auch zuerst heraus,« sagte sie, »es wird also ein Weibchen. Im übrigen laß mich jetzt auf die Eier. Es wird kritisch. Das verstehen Frauen besser. Außerdem sind es meine Eier.«
»Ja, ja, meine Liebe«, sagte Herr Lups.
Nach kurzer Zeit kam das erste aus dem Ei.
Es war ein Männchen.
Herr Lups plusterte sich und zwitscherte schadenfroh.
»Siehst du,« sagte Frau Lups, »ich habe es dir gleich gesagt. Es wird ein Männchen. Aber ihr müßt eben alles besser wissen.«
Herr Lups sperrte den Schnabel auf wie noch nie. Eine Steigerung war anatomisch undenkbar.
Aber er kriegte keinen Ton heraus.
Da klappte er den Schnabel zu.
Endgültig.
»Jetzt ist er ganz entwickelt, es wird eine glückliche Ehe«, dachte Frau Lups und half den anderen Kleinen behutsam aus der Schale. »Nun mußt du in den Klub gehen, liebes Männchen,« flötete sie, »du mußt dich etwas zerstreuen. Ich bat dich schon so lange darum. Auf dem Rückweg bringst du Futter mit.«
»Ja, ja, meine Liebe«, sagte Herr Lups.
Herr Lups hielt eine Rede im Klub. »Wir sind Männer! Taten müssen wir sehen, Taten!!« schrie er und gestikulierte mit den Flügeln.
Frau Lups wärmte ihre Kleinen im Nest.
»Seinen Namen werdet ihr tragen, alle werdet ihr Lups heißen«, piepste sie zärtlich.
Denn dem Namen nach richten sich die Frauen nach ihren Männern.
*
Gebrüder Grün.
von Gustav Wied.
Ein Andersensches Märchen.
Es waren einmal zwei Frösche, die waren Zwillingsbrüder und Junggesellen und hießen Quabbe und Krabbe.
Ganz unten auf dem Grunde eines tiefen Loches neben der großen Mergelgrube auf dem Brachfelde hatten sie ihr Haus. Und da unten saßen sie den ganzen Tag, jeder in seiner Ecke, und sagten nicht einen Ton. Aber wenn der Abend kam und die Sonne untergegangen war, krabbelten sie aus ihrem Loch heraus und verbargen sich unter ein paar großen Huflattichblättern, die oben am Rande der Mergelgrube wuchsen; und da lagen sie dann auf ihren fetten Bäuchen und lauerten darauf, ob sich etwas Eßbares zeigen wollte; denn das, was sie in dieser Welt am höchsten schätzten, war Essen, und das ist auch eine gute Sache, wenn man's mit Maß genießt. Aber sie hatten nun soviel Jahre lang, die Gott der Herr hatte werden lassen, sich in einem Grade angefüllt, daß ihnen die Bäuche völlig bis auf die Knie hinabhingen und die Augen über einen halben Zoll aus dem Kopf herausstanden. Ja, es war wirklich ein Paar schmucker Kavaliere. Und dabei waren sie so wichtig und von sich eingenommen, daß sie mehrmals dicht daran gewesen, vor Wut zu platzen, als jemand ihnen widersprach. Doch eines mußte man ihnen lassen: sie hielten zusammen; und war der eine beleidigt, war es der andere auch.
»Sie sollten sich beide eine kleine Frau nehmen, meine Herren!« sagte der Igel eines Abends, als er ans Wasser hinunter kam zum Trinken. »Eine Frau erfreut das Herz und versüßt das Leben! Und dann die Kinder!« sagte er, und die Stacheln auf seinem Rücken sträubten sich vor Freude, »und dann die Kinder!«
Der Igel war nämlich Ehemann und Vater, und er war darüber nur froh.
»Kümmern Sie sich um sich selbst!« sagte Quabbe, der mit einem Regenwurm aus dem einen Mundwinkel hängend dasaß, »es hat Sie niemand um Ihre Meinung gebeten!«
Und Krabbe ließ seine Augen noch weiter aus dem Kopf herausquellen, sah den Igel schief an und sagte:
»Das ist übrigens unser Wasser!«
»Um Gottes willen, entschuldigen Sie!« sagte der Igel, der ein höflicher und gutmütiger Bursche war, »das wußte ich nicht! Aber Sie gestatten doch wohl, daß, ich ein, Mundvoll nehme? Ich bin so durstig!«
Keiner der Brüder antwortete; sie mochten nicht; sie hatten alle beide den Rücken gewandt und saßen da und glotzten begehrlich nach einer schönen grünen Fliege hoch, die oben unter einem der Huflattichblätter einherspazierte; der eine war bange davor, daß der andere sie bekäme. Aber gerade als Krabbe sie seinem Bruder vor der Nase wegschnappen wollte, flog sie davon.
»Habt Ihr mich?« sagte die Fliege, und weg war sie.
»Man hat nicht immer Glück!« bemerkte der Igel teilnehmend; er hatte seinen Durst jetzt gelöscht und glaubte zum Entgelt etwas sagen zu müssen, daß man ihm zu trinken erlaubt hatte.
»Gehen Sie doch gefälligst Ihrer Wege!« sagte Quabbe.
»Es hat Sie niemand holen lassen!« sagte Krabbe.
»Na, gute Nacht denn! Und guten Fang!« nickte der Igel höflich, und damit kroch er fort.
»Nadelkissen!« murmelte Quabbe und wandte seine Stielaugen ihm nach.
»Spitzschnautze!« sagte Krabbe.
Aber im Grunde waren sie gar nicht so froh darüber, daß der Igel ging, denn eigentlich mochten sie gern jemand haben, an dem sie ihre Galle auslassen konnten.
Sie saßen eine Zeitlang schweigend, und nichts kam zur Nahrung vorbei, und sie wurden immer erboster. Der Unterkiefer hing ihnen ganz bis auf die Brust, und sie schwitzten grün vor Bosheit.
»Ich glaube, der Igel sprach davon, daß wir uns verheiraten sollten?« brummte Quabbe.
»Hö, ja,« lächelte Krabbe säuerlich, »wenn Leute ins Unglück gekommen sind, dann wollen sie andere gern nachziehen. Er selbst sitzt da und hat das ganze Nest voller Jungen!«
»Kann man sie essen?«
»Ja, die Krähen machen sich viel daraus.«
»Hoffentlich werden die Krähen sie sich holen!« sagte Quabbe. »Es ist ekelhaft, all die Jungen, die in die Welt gesetzt werden! Essen wollen sie alle miteinander haben. Da bleibt ja bald für uns andere nicht mehr, als ein Vogel auf dem Schwanze fortträgt.«
»Das ist wahr und gewiß, Bruder«, sagte Krabbe.
»Und das ist bloß von wegen der vielen Liebe.«
»Und der großen Heiratswut.«
»Es gibt nicht viele, die so klug sind wie wir!«
»Nein, das ist ein wahres Wort!«
»Wir kümmern uns um uns selbst!«
»Das tun wir!«
»Und wir kommen niemand zu nahe!«
»Nee, wenn die andern uns nur in Frieden lassen wollten!«
»Ja, kannst du 'ne Fliege sehn?«
»Nee, in der letzten halben Stunde habe ich keine gesehen.«
»Ich auch nicht, wo sind sie nur alle miteinander geblieben?«
»Die andern nehmen sie uns weg!«
»Und für uns bleibt nichts übrig!«
»Wir müssen hungrig zu Bett gehn!«
»Das müssen wir ja immer!«
»Wenn ich nur so groß wäre, daß ich alles Essen vertilgen könnte, das es auf der Welt gibt!« sagte Quabbe.
»Ja, und ich würde dir dann helfen!« sagte Krabbe.
So saßen sie da und redeten und murmelten und brummten, die beiden lieben Brüder, bis in die Nacht hinein; und bald erschnappten sie eine Fliege und bald einen Nachtschwärmer und bald eine Mücke und schmatzten sie in sich hinein mit ihren breiten Kinnladen, daß es klang, als schlüge man ein paar neue Handschuhe gegeneinander; aber satt wurden sie nicht, sagten sie, und erst gegen die Morgenstunde hin, als es hell zu werden begann, krochen sie hin zu ihrem Loch und ließen sich da auf den Boden plumpsen. Und da saßen sie dann, seit die Sonne aufgegangen war, bis die Sonne unterging, und schliefen und verdauten und glotzten und stocherten sich die Zähne. Und dunkel war es da unten und feucht und trist; aber das gefiel ihnen gerade.
Doch darüber, oben in dem hellen Sonnenschein war Leben und Licht und Freude und Fröhlichkeit! Draußen über dem Wasser schwärmten Schmetterlinge und Libellen und setzten sich bald auf die eine Blume und bald auf die andere; kleine zierliche Fische schwammen oben im Wasser umher und schlugen mit den Schwänzen und spielten Greifen. Weiterhin auf den Feldern sprangen die Hasen durch das frische Gras und nahmen sich ein Mundvoll hier und ein Mundvoll da; und hoch in der Luft kreisten Schwalben und Stare und genossen die Aussicht und sahen hinunter auf das Ganze und auf den Storch, der da ging und in seinen langschaftigen roten Stiefeln hin in eine Ecke der Mergelgrube watete; er hob die Füße so hoch und vorsichtig und setzte sie ganz still wieder nieder, um kein Geräusch zu machen.
Mit einemmal fiel sein Auge auf ein rundes Loch, das im Schlamm oben an der Wasseroberfläche war.
Gott weiß, wer da wohnen mag? dachte er und ging dorthin. Und als er neben dem Loche stand, legte er den Kopf auf die Seite und guckte hinunter.
»Nehmen Sie sich in acht, nehmen Sie sich in acht!« rief ein Schmetterling, der gerade vorbeigeflogen kam. Aber ehe der Storch gefragt haben konnte: wovor? war er fort.
»Sind Sie verrückt, sind Sie verrückt?« schrie eine Libelle, die dasaß und sich oben auf der Spitze eines Schilfrohrs sonnte, »sind Sie verrückt, sind Sie verrückt?«
Und eine kleine blaugrüne Fliege, die auf einem Wasserlilienblatt vorübergeschwommen kam, schrie auch: »Sind Sie verrückt?« und wäre beinahe kopfüber ins Wasser gegangen vor Schreck.
»Aber Gott bewahre!« sagte der Storch und ihm wurde ganz bedenklich zu Mute, »wer wohnt da unten in dem Loch?«
»Die Gebrüder Grün!« sagte die Libelle und schlug mit den Flügeln ein Kreuz bei dem bloßen Nennen des Namens.
»Die Gebrüder Grün!« riefen die Fliegen unter den Huflattichblättern. »Die zwei schlimmsten Ungeheuer in der ganzen Welt!«
»Die Gebrüder Grün!« pfiff der Regenwurm. »Gestern abend fraßen sie meine Frau.«
»Darf ich fragen, zu welcher Tierklasse sie gehören?« fragte der Storch.
»Frösche, Frösche, Frösche!« ertönte es von allen Seiten.
»Na!« sagte der Storch, »weiter nichts! Dann kann man sie sich ja holen!«
Und er jagte ganz ungeniert den ganzen Schnabel hinunter in das Loch bis an die Augen.
Tief, tief unten auf dem Boden saßen da die Zwillinge und schliefen, jeder in seiner Ecke. Krabbe zur Linken und Quabbe zur Rechten, denn er war der älteste. Und er sah gerade und träumte, daß er eben nach einem schönen, fetten, glänzenden Pferdeigel schnappen wollte:
»Laß sein, Krabbe!« sagte er wütend, da ihn jemand hart berührte. »Der Igel ist mein! Ich sah ihn zuerst! Den nächsten kannst du bekommen!«
Hallo! dachte der Storch, da haben wir ja das Ungeheuer! Und er griff Quabbe um das eine Hinterbein und zog ihn herauf. »Was bist du für eine Größe?«
»Ich bin Quabbe!« sagte der Zwilling. »Laß, mich in Frieden! Mir liegt nichts daran, 'rauf ans Licht zu kommen!« Und damit wandte er dem Storch den Rücken und wollte wieder in sein Loch krabbeln.
»Nein, halt,« sagte der Storch, »so haben wir nicht gewettet, guter Freund!« Und er packte den Frosch mit einem Griff beim Rücken und hielt ihn zurück.
»Unverschämter Kerl!« zischte der Frosch und das Fett schwoll ihm auf, »hört Er nicht, daß ich zu meinem Bruder hinunter will!«
»Ja, das ist wahr! Du hast ja einen Bruder!« sagte der Storch. »Ich werde ihn holen!«
»Laß mich los!« schimpfte Quabbe und zappelte. »Ich will 'runter! Die Sonne scheint mir in die Augen!«
»Ja, du sollst schon hinunterkommen!« sagte der Storch. »warte einen Augenblick!« Und damit sperrte er den Schnabel soweit auf, als er konnte, und verschluckte Quabbe.
»So was Tolles habe ich nie gesehen!« sagte die Libelle, die noch immer auf ihrem Schilfrohr sah, »solch ein Mundvoll!«
Aber der Storch antwortete nicht, er steckte den Schnabel wieder in das Loch bis an die Augen und suchte umher.
»Was ist denn los?« fragte Krabbe, der bei der Störung erwachte, »sollen wir hinauf?«
»Ja, wir sollen!« sagte der Storch und zog ihn am Hinterbein heraus, gerade so, wie er es mit seinem Bruder gemacht hatte. »Guten Morgen, Euer Wohlgeboren!«
»Was bist du für ein Fisch?« fragte Krabbe verbissen und setzte die Augen auf Stiele, um imponierend auszusehen.
»Ich bin kein Fisch, ich bin ein Vogel!« sagte der Storch.
»Du ödest mich an!« zischte Krabbe und schwitzte grün.
»Danke, gleichfalls!« sagte der Storch. »Aber nun wollen wir es mit bekomplimentieren genug sein lassen und an die Geschäfte gehn!«
»Ich habe keine Geschäfte mit dir!«
»Na, das könnte vielleicht doch sein...«
»Ich will hinab zu meinem Bruder, und zwar gleich!«
»Dahin wirst du früh genug kommen!«
»Wo ist er denn hin?«
»Nicht allzuweit. Hättest du Lust, ihn zu sehen?«
»Ja, gewiß!« sagte Krabbe.
»Ja, dann warte ein wenig!« nickte der Storch und begann seinen Hals zu krümmen. »Nun kommt er gleich!... Hier hast du ihn!« sagte er und brachte Quabbe auf die Erde vor sich.
»Du!« sagte Quabbe und nieste, »das war aber eine eklige Tour!«
»Das nennen wir: durch den Suezkanal gehn«, erklärte der Storch.
»Die Reise will ich ganz gewiß nicht zum zweitenmal machen!« sagte Quabbe.
»Nein, das nächstemal darfst du auch dableiben!« sagte der Storch.
»Unverschämter Geselle!« schrie Krabbe rasend und ging dem Storch zu Leibe, »ist das eine Art, einen älteren Herrn zu behandeln? wie sieht denn mein Bruder aus?«
»Tut mir leid!« beklagte der Storch. »Aber das ist nun meine Methode. Jeder hat die seine.«
Quabbe sah unleugbar etwas wunderlich aus nach seiner Reise, so merkwürdig dünn und langgestreckt war er geworden, und die Beine schlapp und die Augen stumpf; und der Mund war ihm ganz aufgerissen an der einer Seite. Und dann hatte er die ganze Zeit einen Schluckauf, als ob er sich übergeben wollte. Krabbe krabbelte rund um ihn herum und besah ihn sich von allen Seiten und stieß ihn mit dem Maul an; aber der Bruder rührte sich nicht, saß da und glotzte stier vor sich hin und murmelte nur einmal dabei:
»Laß mich, ich bin seekrank!«
»Na?« fragte der Storch, der die Zeit benutzt hatte, um auf einem Bein zu stehen und nachzudenken, »seid ihr nun fertig?«
»Du hast ihn gut zugerichtet!« sagte Krabbe und zeigte auf den Bruder. »Aus dem wird niemals wieder ein Mensch!«
»Seid ihr fertig?« fragte der Storch wieder, »Wer von euch ist der älteste!?«
»Keiner!« sagte Krabbe naseweis; »denn wir sind Zwillinge.«
»Jetzt schlucke ich euch!« sagte der Storch plötzlich. »Ich kann meine Eßlust nicht länger bezähmen!«
»Schlucken?« fragte Krabbe, und die Warzen auf seinem Körper begannen vor Schreck anzuschwellen; »willst du uns essen?«
»Ja, das ist meine Absicht! Wer ist der älteste?«
»Es gibt ja so viele andere Frösche! Jung und hübsch und lecker!«
»Zuerst euch und dann das Dessert!« nickte der Storch, und das Auge, das er den Brüdern zuwandte, begann unheimlich zu leuchten.
»Wir sind so alt, so alt,« schrie Krabbe in seiner Angst, »und so zäh und so mager!«
»Ach, ihr werdet schon rutschen! Ihr seht nicht so aus, als ob ihr Not gelitten habt.«
»Das ist Wassersucht!« schrie Krabbe. »Ich versichere Eure Hochbeinigkeit, das ist die reine und schiere Wassersucht! ... Sage doch etwas, Quabbe!«
»Ich bin seekrank!« sagte Quabbe, und es war nicht möglich, etwas anderes aus ihm herauszubekommen.
»Lieber kleiner Storch,« winselte Krabbe, und all seine frühere Großheit war fort, »lieber, guter, kleiner Storch, wir wollen Ihnen zehn Pferdeigel fangen, wenn Sie uns laufen lassen!«
»Zwei Frösche im Magen sind besser als zehn Pferdeigel im Wasser!« sagte der Storch.
»Ja, iß sie nur!« lachte die Libelle oben auf ihrem Schilfrohr. »Iß sie nur! Das ist ihnen recht! Sie haben nie Mitleid mit uns gehabt.«
Aber gerade als sie gesprochen hatte, kam ein Sperling vorbeigeflogen und schnappte sie sich weg.
»Gesegnete Mahlzeit!« sagte der Storch. »Nun will ich auch daran! Wer von euch ist der älteste, den will ich zuerst nehmen?« fragte er und sah herab auf Krabbe, der platt auf dem Boden lag und zitterte.
»Das ist er!« sagte Krabbe flink und deutete auf den Bruder.
»Gut!« nickte der Storch. »Eins, zwei ...«
Aber gerade als er drei sagen wollte und mit dem Schnabel auf Quabbe einhauen, sprang Quabbe auf, setzte sich auf sein Hinterteil, streckte den Finger in die Luft und sagte:
»Wir wissen ein Igelnest!«
»Ein Igelnest?« fragte der Storch und hob den Kopf.
»Ja, ja«, nickte Krabbe eifrig.
»Wieviel sind darin?«
,,Sechs Junge!«
»Sind sie fett?«
»Wie Bäckerkinder!«
»Haben sie Stacheln?«
»Ein paar ganz kleine, die nicht genieren werden!«
»Ist es weit von hier?«
»Zwei Schritt übers Feld hin!«
»Aber die Alten?«
»Die Alten sind aus; das sind sie immer um diese Zeit!«
»Woher weißt du das?«
»Ja, es sind ja unsere besten Freunde!«
»Gut!« sagte der Storch entschieden. »Zeig' mir das Haus! Und behagt mir der Schmaus, sollt ihr entschlüpfen! Wir wollen schnell machen! Igeljunge sind mein Leibgericht!«
»Erst ein kleines Papier!« schmeichelte Krabbe, der jetzt einen Teil seiner Fassung wiedergewonnen hatte. »Erst ein kleines Papier, Eure Hochbeinigkeit.«
»Das braucht es nicht zwischen uns!« sagte der Storch. »Ihr habt ja mein Wort!«
»Bewahre!« sagte Krabbe höflich. »Und das ist natürlich ausreichend. Aber ein kleines Papier um Lebens oder Sterbens willen, wie es heißt!«
Und der Storch mußte sich eine Feder aus dem Schwanz reißen und auf ein Huflattichblatt schreiben, daß er sich verpflichte, Abstand davon zu nehmen, die Gebrüder Q. und K. Grün zu verspeisen, wofern sie ihm das versprochene Igelnest zeigten und wofern die Jungen nicht zu mager wären.
»Nein, das sind sie nicht!« sagte Krabbe eifrig, »hier ist kaum mehr Nahrung aufzutreiben gewesen, so haben die Alten für sie zusammengescharrt! Das ist ekelhaft, wenn sich einer so mit allem vollfüllt, was er sieht.«
»War das auf mich gemünzt?« fragte der Storch.
»Aber keineswegs!« sagte Krabbe und beugte sich ganz tief zur Erde. »Absolut nicht! In keiner Weise! Das würde mir niemals einfallen!«
Und damit nahm er Quabbe unter den Arm, und alle drei gingen hin zu dem Igelnest.
»Hier ist es!« sagte Krabbe und bog das Gras zur Seite.
Und da lagen ganz richtig die sechs leckersten, kleinen Jungen und schliefen, die Schnauzen einander in die Seiten gebohrt.
Dem Storch traten Tränen in die Augen, als er sie sah:
»Das ist beinah Sünde,« sagte er, »an den Eltern!«
Aber in demselben Augenblick saß ihm schon ein Junges tief im Halse:
»Sehr gut, sehr gut!« sagte er. »Ich habe schon schlechtere Sachen geschmeckt!« Und er nahm ein Mundvoll dazu und ließ es ganz langsam hinabgleiten.
»Gott, was muß Ihnen die Nahrung für ein Vergnügen bereiten!« sagte Krabbe neidisch. »Bei Ihrem Hals!«
»Kann nicht klagen!« sagte der Storch; er war mitten in Nummer drei.
»Und diese Speise ist nach Wunsch?«
»Ausgezeichnet!«
»Die Stachel kratzen nicht?«
»Kann sie gar nicht spüren!«
»Ja, dann wünschen wir Ihnen gesegnete Mahlzeit zum Rest!« sagte Krabbe und nahm seinen Bruder wieder unter den Arm.
»Nein, wartet ein bißchen!« sagte der Storch und vertrat ihnen den Weg. »Sie müssen erst meine Frau begrüßen!«
»Ihre Frau?«
»Ja, das wird sie freuen!«
»Denke an das Papier!« sagte Krabbe und schwitzte aufs neue grün.
»Ja, ich werde Sie wahrhaftig nicht anrühren!« beteuerte der Storch und legte seinen langen, biegsamen Hals über den Rücken zurück und klapperte mit dem Schnabel, so daß es weithin Echo gab.
»Das war ein widerlicher Laut!« murmelte Quabbe; er hatte in der letzten halben Stunde nicht den Mund aufgetan.
»Ja,« sagte der Storch, »aber er ist nützlich! Und da haben wir die Madam!«
In dem Augenblick rauschte es in der Luft; es war die Storchmutter, die geflogen kam. Sie umkreiste ein paarmal die Stelle, streckte die Beine von sich und schlenkerte! mit ihnen, um festen Fuß zu fassen; und nun stand sie, da. Aber ehe sie soweit gelangt war, hatte der Storchvater den Rest Igeljunge verschluckt; er beeilte sich in einer Weise, daß er das letzte beinahe verkehrt in den Hals bekommen hätte.
»Issest du?« sagte Mutter und sah ihn scharf an.
»Oh, eine Kleinigkeit!« sagte Vater. »Aber darf ich nicht vorstellen: Meine Frau... Gebrüder Grün!«
»Ah, welch brave Herren!« lächelte die Frau.
»Ja, ich glaubte, es würde dich freuen, ihre Bekanntschaft zu machen, meine Liebe!« nickte der Storch.
Aber die Zwillinge sagten nichts. Quabbe saß unverändert stumpf und teilnahmslos da und glotzte starr vor sich hin mit stieren Augen und hängenden Kiefern; die Fahrt durch den Suezkanal hatte ihn ganz der Fähigkeit beraubt, wahrzunehmen, was um ihn vorging. Und Krabbe, das Wrack, konnte mit dem besten Willen nicht ein Wort hervorbringen. Er war ganz nahe neben seinen Bruder gekrochen und rückte sich in seiner Angst dicht an ihn heran; und den »Kontrakt« hielt er hoch in die Luft wie ein Schild.
Aber kurz danach waren die Brüder verschwunden: die Storchmutter hatte sie gefressen!
»Ein Mann kann nicht für die Handlungen seiner Frau verantwortlich sein!« sagte der Storchvater; er stand auf einem Bein und blinzelte mit den Augen und sah philosophisch aus.
Und in demselben Augenblick erfaßte der Wind den »Kontrakt«, wehte davon mit ihm und warf ihn weg in die Mergelgrube.