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Als hätte Ernst der Dritte nie einen Korb bekommen, wie andere Tillen auch, ging er seinem Dienste nach. Desto eifriger arbeitete jedoch der Klatsch.
Am Stammtisch im Goldenen Anker raunte Hofmundbäcker Germ dem Wirte Herrn Süffig zu: der König sei heimlich verheiratet und schon dieserhalb müsse jeder geplante Ehebund in die Brüche gehen, was leider auch der doch sonst vernünftige Doktor Ungewiß, Schwiegersohn des Goldenen Ankers und Geschichtslehrer am Sigismund-Gymnasium, unter Hinweis auf den Grafen von Gleichen oder gar Heinrich den Achten von England für möglich erklärte.
Die Frau Oberlandvermesserswitwe Aloysia Kippregel, geborene Dämlich, erfuhr durch ihre Stütze, Fräulein Evi Staub, die es von der Köchin im ersten Stock, Fräulein Salmi Brösel, gehört, der es wiederum in der Südfruchthandlung Banan & Feige die Verkäuferin, Fräulein Dattula Fadenzieher, erzählt: Seine Majestät habe fast soviel Körbe bekommen wie Banan & Feige täglich aus Italien. In der roten Vorstadt Weyher redeten sie dagegen von dergleichen nicht. Ob der König mit der »jing« oder mit jener »jing«, schien ihnen gleich. »Jingen« sie nicht auch?
Waren dieses nun Menschen, meist durch geringen Bildungsstand dessen sich nicht bewußt, was sie damit anrichteten, so mußte es schärfer beurteilt werden, wenn bei Rest & Neige der Herr Oberregierungsrat Bockbein, Begleiter Seiner Majestät auf der Südlandsfahrt, von vergeblichen Werbungen des Señor bei dunkeln Schönen in Kap Salinas schwafelte; woran kein wahres Wort war. Liegt nicht hier der Verdacht auf der Hand, er habe sich rächen wollen für sein Zurücksinken aus höfischem Licht in bescheidenes Dunkel? Oder tat sich der Mann mit dem Sechsseitenrekord etwa nur wichtig?
Fest steht: sein Schicksal hat ihn ereilt. Am Stammtisch bediente nämlich der vielgewandte Kellner Stift, einst Liftboy, Kairo, Shephards Hotel, dann Dragoner, windiger Hund, aber glänzender Reiter in Arbos Schwadron. Wie einst ging er für seinen ehemaligen Rittmeister durchs Feuer. Dieser nun, inzwischen längst bieder und beweibt, teilte dem Ministerpräsidenten, als der einmal, da seine Familie noch in Sturzacker weilte, abends zum Essen gekommen war, des Bockbeins unverantwortliche Redereien mit.
Sturz wollte den Schwätzer kurzerhand absägen, aber der König, dem er die Wahrheit gesagt, entschied:
»Auch ich habe leider bei Bockbeins scharfen Äußerungen über andere gedankenlos mitgelacht. Hätte ich mir nicht sagen müssen, daß er ebensogut über mich herfallen würde? Da wird nun ein armer Teufel eingelocht, der in der Besoffenheit eine Majestälsbeleidigung begangen hat. Ein Jammer, denn dem fehlt die Erziehung, er ist wahrscheinlich auch verhetzt, und dann kennt er mich nicht, weiß also nicht, daß ich doch eigentlich ein ganz ordentlicher Mann bin. Aber das Bockbein kennt mich. Bei dem sind solche Lügen eine Schufterei. Das sind die Folgen geistreich sein wollender Eitelkeit. Kein Abschied. Versetzen Sie ihn. Was er wo anders quasselt, ist mir wurscht. Es ist nur nicht gerade angenehm, wenn in der Stadt, in der ich nun mal leben muß, die Leute sagen: aha, so ist das Luder also!«
Dieses nun der Anlaß, die Welt zum ersten Male wissen zu lassen, was zwischen Prinzessin Ulna von Walden und König Ernst dem Dritten von Tillen eigentlich vorgegangen ist. Der Rex teilte nämlich seinem Ministerpräsidenten das Gespräch mit, das die Hofdame, Fräulein Elektrine von Racket, erlauscht und somit gewiß auch in Walden weitergegeben hatte. Warum es also hier verschweigen? Zusammengefaßt mag es gelautet haben:
Ulna (listig): »Ich weiß, wozu du gekommen bist!« Rex: »Darf ich nicht mal außer Dienst sein?« Ulna: »Papa regiert doch auch? Der unterhaut nur. Den Dienst, wie du es nennst, tun die Minister. Wozu sind denn die Kerle da?« Rex (sehr ernst): »Meine Minister sind keine ›Kerle‹, sondern, wie ich, Diener des Staates, nur daß sie mehr wissen als ich.«
Ulna (lachend): »Ich glaube, du nimmst den ›Dienst‹ viel zu tragisch.«
Rex: »Man kann ihn nicht tragisch genug nehmen!« Ulna: »Ah bah, was hätte man sonst vom Leben!« Rex: »Fürsten sind nicht zur Unterhaltung auf diese Welt gekommen, sondern zum Ausgleich zwischen den Volksschichten und Meinungen. Je höher sie stehen, desto größer ist auch ihre Verantwortung.«
Ulna (mault): »Papa interessiert sich nur für Jagd. Mama und ich finden sie langweilig. Mama interessiert sich nur für Musik. Papa und ich sind unmusikalisch. Lesen kann ich nicht, denn die Bücher sollen alle unpassend sein, sagt Mama, und Zeitungen gibt mir Papa nicht. Was soll ich also den ganzen Tag anfangen?«
Rex: »Arme und Kranke besuchen und den Menschen durch Güte, Mitgefühl und Beispiel helfen.«
Ulna: »Das ist mir zu ledern.«
Rex: »Na ja, du spielst lieber Tennis!«
Ulna (gereizt): »Mit einem schlechten Spieler nicht!«
Rex (scharf): »Ich – wenn ich's könnte – auch mit einer guten Spielerin nicht, denn die Königin von Tillen hätte Wichtigeres zu tun!«
Ulna (wütend): »Na Gott sei Dank bin ich's ja nicht.«
Rex (ganz ruhig): »Ich entsinne mich, ungnädigste Cousine, daß ich nun mal der König dieses Landes bin. Da ist es wohl das beste, wir kehren zu Jagd und Musik zurück, obwohl wir beide nicht Jäger sind und du nicht Musik, ich aber Brahms liebe.«
Ulna (spöttisch förmlich): »Wie Euer Majestät befehlen.« Drei Tage darauf streckten sich die Bockbeine unter einen Saßhausener »ärarischen« Schreibtisch. Der Rex jedoch verfiel wieder einmal in Weltschmerz. Man schob es auf die vielen Körbe, die Seine Majestät zu tragen hatte, wie eben jeder arme Mensch sein Päckchen Leid. In der Tat schien das verlorene Tennismatch nicht vergessen. Dafür bürgen Äußerungen Seiner Majestät, wie diese:
»Ich glaube, wenn man Herrn Tastenhauer zu Kahlschnitt schickte, so sähe er auch nicht genialer aus als ich!«
Oder ein andermal die Frage, ob es nur möglich sei, daß der Großherzog 1669 Hirsche und der Freiherr van Intervall 708 Musikwerke, gestreckt, worauf der Rauhreiter geantwortet, es sei gewiß wie in manchen Hotels, wo die Zimmernummern mit lOO anfingen, bei Seiner Königlichen Hoheit allerdings gleich mit lOOO.
Als sollte das Waldener Jagdabenteuer nicht zur Ruhe kommen, suchte da eines Tages Oberjägermeister Graf Bärenfeist eine Audienz nach, beauftragt, Seiner Majestät das Großkreuz des Hohen Hirschenordens zu überbringen. Nun war es das erstemal, daß Ernst der Dritte sich um die Küche kümmerte, von der er, seiner einfachen Erziehung gemäß, nichts verstand. Der Oberhofmarschall schlug die Speisenfolge vor, aber der König sagte nur immerfort:
»Mehr! Mehr! Mehr! Und ja kein Wild! Und alles auf Silber! Und die besten Weine! Und die gesamte Hofdienerschaft... so... so... auf der Treppe aufgebaut!«
War das der Mann, der beim Osterbauer Pamms aß? Der Señor? Herr Haasenhaar? Da schüttelte denn der alte Flimmer verwundert den Kopf:
»Euer Machestät! Zuviel für einen Oberjägermeister. Graf Bärenfeist merkt auch so, ob ein Hof gut aufjezogen ist. Er sieht es an: Anrichten, Speisenfolche, Schnellichkeit des Tellerwechsels, Lautlosichkeit der Bedienung, Tischwäsche, Tafelschmuck, Güte der Gänge, Auswahl wie Pfleje der Weine. Er sieht es daran, wie Silber und Glas jehalten sind, daran, daß kein Lakai planlos herumirrt oder müßig herumsteht, sondern jeder seinen jenau einjeteilten Dienst hat. Der Oberjägermeister wird bemerken, wie bei uns kein unnötiger Aufwand jetrieben wird, der in unsere Zeit nicht paßt, aber ein Verbrauch, an dem Stadt und Land, Jeschäftsleute wie handarbeitende Klassen verdienen, und zwar nur Tillen, so daß das Geld im Lande bleibt. Er wird sehen, wie auch der Aufwand allein jeschieht zum Ansehen der Krone, an deren Wohlergehen aber auch allen Schichten zum eigenen Vorteil jelegen sein muß.«
Der alte Herr hatte vor Eifer ganz rote Bäckchen bekommen. Ernst der Dritte sprach in seiner nachdenklichen Art:
»Und man meint immer, das ist alles ganz selbstverständlich!«
Der Oberhofmarschall fuhr fort, gleichsam Selbstgespräch hoher Jahre, während ihn der König auf einen Stuhl niederdrückte, denn er sah es nicht gern, daß der alte Mann lange vor ihm stand:
»Seine Majestät der Hochseliche Könich sachte immer, ein Hof müsse den Eindruck erwecken, als liefe alles von selbst. Welche Arbeit das macht, wie da jeder, scheinbar Geringfügigste seine Pflicht tun muß, ahnen die wenigsten. Die meisten denken, so ein Oberhofmarschall ist nichts als ein Mann mit einem schönen Hofkleid und einer Anzahl Großkreuze. Eijentlich ein Tagedieb. Wer weiß etwas davon, daß er für das Wohl und Wehe nicht allein von Hunderten von Menschen, nein auch für ihre Witwen und Waisen zu sorgen hat. Daß er durch Unkenntnis, Sorglosigkeit, unjeschickte Einkäufe bei den unjezählten Dingen, die ein großer Haushalt erfordert, seinen Allerhöchsten Herrn um Zehntausende schädigen kann, oder ihm andererseits große Summen durch gute Wirtschaft ersparen?... Aber, Euer Machestät, ich verliere mich. Ich wollte nur sagen, ich bitte Euer Machestät, mir das Vertrauen zu schenken, daß ich die Hoftafel für den Oberjägermeister schon passend machen werde. Wenn jedoch zu Euer Machestät nicht janz jewöhnlichen Wünschen ein besonderer Anlaß vorläge, so müßte ich es wissen, um allen Absichten Euer Machestät jerecht werden zu können.«
Die Terz auf Ernsts des Dritten Wange begann langsam zu erglühen, und er sprach die immerhin deutsamen Worte:
»Ich möchte nur eines: man soll in Walden erfahren, daß es anständig bei mir ist... auch ohne Jagd, Musik... und ... Tennis... vor allem... Tennis!«
Merkwürdigerweise schien man im Nordischen Palais von dem beschämenden Ausgang des abgeschlagenen Raubzuges auf die Dianaburg keineswegs unbefriedigt. Sobald der Prinz das Gespräch darauf brachte, lächelte Prinzessin Ingeborg so verschmitzt, daß ihre Grübchen sichtbar wurden, heute freilich mehr Gruben, in die einst, übrigens nur bildlich gesprochen, der schöne Theodor offensichtlich gefallen war. So gewann die Vermutung mehr und mehr an Gewicht, der in Verlobungssachen ungemein bewanderte nordische Engel habe durch Vormusterung Untauglicher den Rex abschrecken wollen, um dann dem Enttäuschten die eigentlich Erwählte in desto glänzenderem Lichte vorführen zu können.
Als Ernst der Dritte, einsam jetzt trotz mancher Abende mit dem Freund und Medicus, einer Einladung in das Nordische Palais folgte, begleitet vom Flügeladjutanten, nun Oberstleutnant, Freiherrn von und zu Auffrecht, erblickte er eine nicht alltäglich reizvolle Erscheinung, groß, vollschlank und weizenährenblond: die jüngere der beiden nordischen Prinzessinnen, die er einst in seinen Königsanfängen hier getroffen. Damals mochte sie ihm nicht jenen Eindruck gemacht haben, den Prinzessin Ingeborg erwartet. Heute aber erschien sie ihm offenbar als Sendbote aus einer ersehnten Welt, wenigstens blieb er wie geblendet stehn...
Zeugen sind genug. Nicht freilich der schöne Theodor, denn er gab eben dem vielgewandten Haushofmeister Tafelblick eine letzte Anordnung; nicht auch die neue Hofdame, das Lämmchen, da sie schon ihren Bock gefunden zu haben schien, wie hier üblich, nämlich den neuen Adjutanten Rittmeister von Sattelfest, eine gedrungene Reitergestalt. Wohl aber Prinzessin Ingeborg. Sie betrachtete ihr Werk mit jenem mütterlichen Stolz, der auch das Überbein am Mittelfinger der rechten Hand überwand, das sie sich angeschrieben mit den ungezählten Briefen, die sie um den Rex vergeudet.
In der Tat, aus dem bleichsüchtigen, ein wenig eckigen Prinzeßchen von damals war im Lauf der Jahre ein Geschöpf gewachsen, der Bewunderung wohl wert. Bei jener späten Entwicklung blonder Nordländerinnen schien Prinzessin Ebba, die nun die Mitte der Zwanzig überschritten, erst jetzt voll erblüht. Daß ihr Haar ein wenig gedunkelt, verlieh ihr nur mehr Eigenwesen. Ihre Augen gemahnten an die tiefe Bläue des Tillensees. Ihre Hautfarbe, nicht mehr bleichsüchtig, zeigte, als sie dem Könige errötend entgegentrat, flaumige Pfirsichwangen. Ernst der Dritte bestaunte die schöne Fülle dieser dennoch schlanken Gestalt wie ein holdes Wunder, tat einen hastigen Schritt ihr entgegen und sprach:
»Wir kennen uns doch...!«
Als ob die alte Natürlichkeit, die nur beim wachsenden Ernst seines Dienstes nicht so häufig mehr Gelegenheit fand, sich zu äußern, plötzlich entbunden sei, verbeugte sich scherzend der Rex:
»Mein Name ist Haasenhaar!«
Damit war die Brücke zur Vergangenheit geschlagen, denn Prinzessin Ebba aus dem Nordischen Reich zeigte ihre blendenden Zähne, die sie einst als halbwüchsiges Ding nur aus Verlegenheit hatte glänzen lassen, und sagte in ihrem fließenden Deutsch, bei dem das G freilich nicht wie J oder ch klang:
»Aber ganz ohne Mehl, Majestät!«
»Wissen Sie das noch?« antwortete lächelnd der Rex.
Bei Tisch waren die Herrschaften allein. Das Gefolge aß für sich. So ist denn auch nichts davon in die Öffentlichkeit gedrungen, wie es bei den Fürstlichkeiten zuging, denn der vielgewandte Haushofmeister Tafelblick war der verschlossenste Mann in Tillen, und die beiden aufwartenden Lakaien, der Mestize Washington H. Sunday, wie der Argentinier Tucuman verstanden kein anderes Deutsch, als was sich auf ihren Dienst bezog.
Wer möchte aber leugnen, daß mehr als einmal die Marschallstafel schwieg, hinüberlauschend, weil nebenan das silberhelle Lachen der Prinzessin Ebba klang, der herzliche Baß des Rex, das selig langgezogene Glucksen der Prinzessin Ingeborg oder das seltsame Fuchsgebell des schönen Theodor?
Gesellschaftsspiele wurden nicht gespielt, so konnte auch der Rex nicht in so schweren Verdacht kommen wie damals, als Puppchen gemeint, eine der Damen müsse an Seiner Majestät Allerhöchstem Antlitze etwas von ihrer künstlichen Schönheit haben sitzen lassen, wie ein Schmetterling seinen Flügelstaub. Aber es bedurfte nicht besonderer Augen, um zu sehen, daß von Ernst dem Dritten jene leise Schwermut gewichen schien, die besonders in seinen blauen Augen sich offenbarte. Er redete der Reihe nach alle an, sogar den freien Schweizer Doktor Vögeli, mit dem er seltsamerweise noch nie gesprochen, vielleicht weil ihm sein Auf-den-Teller-Lachen unheimlich war, das den Verdacht großzog, er wälze in seinem Busen alles, was er hier sah.
Bei der Rückfahrt war der Rex aufgekratzt. Was er zum Flügeladjutanten Oberstleutnant Freiherrn von und zu Auffrecht sagte, handelte von der Prinzessin, wobei aber keineswegs die Gemahlin des schönen Theodor gemeint war, wenn auch ein nordischer Engel. Übrigens lag in Seiner Majestät Worten nichts von jener leichten Steifigkeit, mit der sonst jenem begegnete, der einst um seine Ablösung gebeten, denn heute schwärmte der König auf völlig rechtlichem Wege und nicht »zur ärgeren Hand«.
Ist es nun abzustreiten, daß eines Tages die vom Nordischen Palais im Residenzschlosse erschienen, um der Prinzessin Ebba die berühmten flandrischen Wandteppiche zu zeigen? Oder blieb es etwa verborgen, daß der Rex, sobald sein Dienst es nur irgend gestattete, bei den Verwandten speiste?
Nein, dieses konnte niemandem entgehen. Keinem aber scheint es aufgefallen zu sein, daß in Exzellenz von Böswetters bescheidenem Arbeitszimmer eine Zusammenkunft stattfand, die man einst vielleicht Verschwörung, heute aber Aufsichtsratssitzung hätte nennen können. Hierzu erschienen: Ministerpräsident von Sturzacker, der lahme Finanzminister Doktor Hund, Kabinettsrat Geheimrat Doktor Kleber, Oberhofmarschall von Flimmer und der schöne Theodor, der denn auch, wie immer, richtig zu spät kam. Die Vermögenslage des Rex und der schönen Ebba stand auf der Tagesordnung. Wir kommen nicht darum: es gilt zum Verständnis der Aufsichtsratssitzung, des nordischen Engels II häusliche Verhältnisse kennenzulernen. Tochter Königs Björn des Vierundvierzigsten und der Königin Fredrika von Öland, die, ohne Söhne zu hinterlassen, gestorben waren, lebte Prinzessin Ebba von einem Leibgedinge, das nach dem Gesetz ihres Landes, sobald sie einen Ausländer heiratete, verfiel. Vermögen konnte der in Gott ruhende König Björn der Vierundvierzigste nicht hinterlassen, da es nur ein Krongut gab. Prinzessin Ingrid, Ebbas ältere Schwester, hatte vor etlichen Jahren sich mit ihrem Vetter, dem Nachfolger ihres Vaters auf dem Throne, König Knut dem Vierten, vermählt.
Kehren wir nun aus Öland nach Tillen zurück. Bei der Aufsichtsratssitzung saß der schöne Theodor unbeweglich da, kniff das linke Auge zu und musterte mit dem rechten, dem er neuerdings eine Scherbe vorklemmte, den jedesmal Sprechenden.
Exzellenz von Böswetter begann. Da mit zunehmenden Jahren die Haut immer mehr ihre Spannung verloren, hatten die Nasenknorpel noch weiter sich getrennt, und er glich einer Bulldogge, die nur mehr droht. Gleichsam sinnbildlich hielt er die altersgeäderten Hände auf die Taschen, daß man den Siegelring mit dem blauen Stein auf dem Zeigefinger sah.
Nun ergriff der alte Flimmer das Wort. Er wollte von etwaiger Einschränkung der Hofhaltung, um, wie Sturz es genannt, »eine Königin mit durchzubringen«, nichts wissen, denn er fand, es ginge um das Ansehn der Krone.
Der Minister erwog eine Erhöhung der Zivilliste, die seit einem Menschenalter gleichgeblieben sei. Sie würde zwar im Landtage bewilligt werden, doch mußte man, wie er sich ausdrückte, einen Kampf mit dem Herrn Abgeordneten Schreyer gewärtigen, der bis auf den Bedarf an Strümpfen ging.
Darauf Bezug nehmend erörterte Finanzminister Doktor Hund den Staatshaushalt, so langatmig, daß der schöne Theodor in gefährlicher Weise zu husten begann, während man doch bei ihm von irgendwelcher Reizung der Luftwege nie etwas vernommen hatte. Als nun aber gar ein geschichtlicher Rückblick sich anschloß, begann der schöne Theodor grausam zu gähnen und streckte sich in seinem Stuhle derart unmanierlich, daß jedem klar wurde, solches Gebaren stammte noch aus jener Zeit, wo Seine Königliche Hoheit »um die Ecke jewesen« war. Wenn man dieses nun auch dem Alter des Prinzen zugute halten konnte, so doch nicht, daß er einschlief. Da legte der dicke Sturz den Finger auf den Mund, erhob sich jäh und warf einen leidlich abscheulichen Bronzebriefbeschwerer in Gestalt einer Fortuna scheinbar versehentlich vom Tisch. Nach dem furchtbaren Krach sagte schmunzelnd Seine Exzellenz:
»Darf ich – Euere Königliche Hoheit untertänigst um eine Äußerung bitten?«
Der Prinz geruhte zu erwachen. Die Augen jedoch immer noch geschlossen, als überschlüge er Zahlen, erklärte er, wirklich wie in einer Aufsichtsratssitzung:
»Meine Herren, Deckung ist reichlich vorhanden!«
Man erwartete eine Aufklärung, doch der schöne Theodor verabschiedete sich.
Der Ministerpräsident begleitete Seine Königliche Hoheit durch die Gänge des Wassertraktes zum Haupteingang. Unterwegs sagte der Prinz zu Sturz, den er wegen seiner frischen Natürlichkeit besonders schätzte:
»Lieber Herr von Sturzacker, ich habe Seine Machestät zum Erben einjesetzt. Nun ist die Prinzessin Ebba eine Verwandte meiner Frau, da wird ihm also nichts entgehen, wenn ich das fehlende ihr gebe. Ich will nicht, daß die Herren im ›Schwitzkasten‹ jene Strumpfdebatte von Stapel lassen, von der Sie gesprochen haben. Sie können daraus mitnehmen, mit welcher Aufmerksamkeit ich den Verhandlungen gefolgt bin bis zum Fall der Glücksgöttin, der überaus geschickt improvisiert war... (Sturz machte ein ganz verdammtes Gesicht)... Übrigens hoffe ich, daß die Dame das Genick gebrochen hat, denn es ist eine so geschmacklose Bronze, wie sie nur in Tillen denkbar ist. Was nun die Strümpfe anbetrifft, so bin ich empfindlich in diesem Punkte, seit mir... ich weiß nicht, ob ich's Ihnen schon mal erzählt habe... der Barkeeper in Greenpoint mein einziges Paar Strümpfe jeklaut hatte. Wissen Sie, dear Mister Sturz, so was vergißt man nicht. Also, Seine Machestät der Könich, den ich sehr verehre, soll nur heiraten. Deckung ist reichlich vorhanden.«
Damit stieg der Prinz in seinen Kraftwagen, neben sich den Adjutanten Rittmeister von Sattelfest, der übrigens beim Leutnant der Schloßwache gewesen war, ihm den Befehl Seiner Königlichen Hoheit zu überbringen, die Wache nicht heraustreten zu lassen, denn das konnte der schöne Theodor nun einmal für den Tod nicht vertragen.