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Die jedem Klatsch freudig geneigten Tillenauer hatten hohe Zeit. Herr Wilhelm Marder (vulgo Israel Teitelbaum) sah an jenem denkwürdigen Carmenabend seinen heißesten Wunsch in Erfüllung gegangen, einen Titel zu erhalten über den nichtigen eines Kapellmeisters hinaus. Als nun Herr Doktor Schweiger von den ›Allerallerneuesten Tillenauer Neuesten Nachrichten‹ ihn beruflich ausfragte, äußerte er sich nach dem Blatte folgendermaßen:
»Wissen S', Herr Doktor, mein vorletzter Ehrgeiz ist ja 's Theater grad net. Nachdem die Oper halt nur Kompromiß ist, wie Seine Majestät sehr richtig hat bemerkt. Und dann die Sänger! Uih jeh! Verschleppt mein Orchester die Tempi wie der Rosenmund? Tut's zu tief einsetzen, wie die Pastos, wann's mied ist? Wird's iebernachten auf an jeder Fermaten wie der Herkules-Bariton, wann er an Ton hat, der ihm g'fallt? Detoniert die Baßtuba, wann's regnet, wie die Westenvoll, dös windige Zeiserl? An simpler Kapellmeister kann da nix machen, Hab' aber i zu besetzen, ja da fressen s' aus der Hand! Da möchten S' sich denken, wie's mi g'freit hat, als Seine Majestät mir mitteilt, er hat mich zum Generalmusikdirektor ernannt. Das ist amal g'scheit! Die Leit ham g'sagt, der Marder will in Amerika an Göld machen. Hätt' i dann net kennen bleiben bei Gulasch und Teitelbaum, k. u. k. Hof- und Kammerjuweliere, Wien, Kärntnerstraßen, wo mein Vater ist Seniorchef, und ich bin durch zur Musik? Der König ist ein gerechter Mann, ein großer Mann, so jung er ist. Aber ich muß schon bitten, keinen Namen nennen, Herr von Schweiger! Ehrenwort?«
Herr Doktor Schweiger gab sein Wort, nichts verlauten zu lassen, darum stand alles im Blättchen. Zwar erschienen die vom neuen Generalmusikdirektor also bloßgestellten Rosenmundfermaten und pastosen vollen Westen auf der Probe, waren jedoch trotz gleichmäßig schönem Wetter ausnahmslos stockheiser. Als aber das Gerücht ging, nicht der Generalmusikdirektor, sondern einer der Hofkapellmeister, Herr Wilhelm Stab oder Herr Wilhelm Pause würden dirigieren, besserte sich der Zustand zusehends, um, sobald Herr Wilhelm Marder dennoch ans Pult trat, hoffnungslos sich zu verschlimmern. Der aber setzte nach einer Unterredung mit dem Generalintendanten Freiherrn von Malthus lächelnd die Wagneropern ab.
Unter Mitwirkung der Koloratursängerin Hulda Holpi, des süßen lyrischen Tenors Joseph Capaun, der in Tillenau überaus beliebten Opernsoubrette Lisi Keusch, der zweiten Altistin, der jungen Helene Himmelhoch, des anderen ersten Baritons Kammersänger Leberecht Ansatz, des nie versagenden profunden Baß Hans Abgrund, ward ein Mozart-Zyklus aus der Versenkung gestampft, bei dem die großen Wagnerluftröhren, wie eine etwas unzarte Erklärung im führenden Tillener Gesangsblatte der »Nasenresonanz« behauptete, doch fehl am Ort gewesen wären, weil ihnen der Ziergesang abhanden gekommen sei.
Als nun die Übergangenen vernehmlich äußerten, den ewigen Menuettschritt würden die Tillenauer bald satt bekommen, erschien eine geheimnisvolle Mitteilung, den Tillenauer Musikfreunden sollte etwas Ungewöhnliches geboten werden: Mademoiselle Enjambée von der Komischen Oper, im Besitz Bizetscher Überlieferung, der herrlichsten Altstimme, werde als Carmen auftreten. Übrigens, bei spanischer Mutter, echt bis auf die Strumpfbänder. Auch sei es dem neuen Generalmusikdirektor durch seine Wiener Beziehungen gelungen, den taktfesten glänzenden Wagnertenor des k.u.k. Hofopernhauses, Kammersänger Jaromir Schmetterer, für mehrere Abende zu gewinnen. Zugleich hatte der Generalintendant mit der glockenrein einsetzenden Dresdener Isolde, Kammersängerin Irene Athemlang, wie dem Baireuther Hans Sachs, Kammersänger Alois Brüller, über ein Gastspiel verhandelt.
Da geschah ein Wunder: Angesichts solch drohenden Wettbewerbs wurden plötzlich, obwohl inzwischen ein schneidender Ostwind blies, sämtliche Luftröhren gesund. Und das zweite Wunder der Zeit: Von den Gastspielen war keine Rede mehr, ohne daß die beiden Theatergeneräle eine Miene verzogen hätten, ja bald schienen die einstigen Auswanderer und ihr Reisegefährte Marder wieder die dicksten Freunde.
Ernst der Dritte, dem der Freiherr von Malthus solche Vorgänge mit der Wichtigkeit von Staatshandlungen meldete, sagte unglaublicherweise nur:
»Pack schlägt sich, Pack verträgt sich!«
Er folgte auch nicht den Lockungen des Generalintendanten, am gleichen Abend die Versöhnten in der Oper zu bewundern, ja äußerte sogar etwas, das den von der tollen Rampe gebissenen Theatermann tief schmerzte:
»Daß die Maske der Pastos echt ist, weiß ich ja nun; daß Herr Rosenmund nicht mehr wächst, tut mir aufrichtig leid; der Frau Westenvoll kann ich nur eine Entfettungskur anraten, obwohl mein Freund Medicus solche Versuche, in so reifen Jahren unternommen, für bedenklich hält; und daß Herr Marder am Pult außerordentlich diensteifrig ist, habe ich ja gesehen. Was soll ich da noch in Ihrer Oper, Herr von Malthus?«
In der Tat ging der König nicht ins Theater. Aber auch seine Fenster, die man sonst vom Marstall aus wie vom Hirschgarten abends immer erleuchtet sah, blieben dunkel. Und dieses hatte folgende Bewandtnis: Seine Majestät fragte Piephacke, wo er bei seinem letzten Ausgange am Sonntag vor acht Tagen gewesen. Der fand nicht Worte genug für einen Komiker, den er im »Paradiese«, der großen Varietébühne Tillenaus, gehört. Ernst der Dritte war als Leutnant einmal dort gewesen, statt auf einen Hofball zu gehen. (Was ihm übrigens einen stürmischen Auftritt mit Ernst dem Zweiten eingetragen.) Wie nun jene ferne glückliche Zeit emporstieg, muß wohl eine Sehnsucht über den König gekommen sein, jene Sehnsucht, die ihn auf die Schloßinsel wie zu Herrn Kahlschnitt getrieben, denn der Rex ließ sich den Rock des Bürgers reichen.
Als Ernst der Dritte fortgehen wollte, ward er sich inne, wieder kein Geld zu besitzen. Da nun grade Puppchen fragte, ob Seine Majestät noch Befehle für ihn habe, so entlieh er von ihm ein Zwanzigmarkstück. Das kam dem Major verdächtig vor, und er beschloß, in seines hohen Herrn Nähe zu bleiben. Er eilte also in sein Zimmer, zog gleichfalls eiligst Zivil an und legte sich auf die Lauer. Bald entschlüpfte denn auch ein junger, schlanker Herr, den Hut in die Stirn gedrückt, jenem Seitenportal des Sigismundflügels, das den Hochseligen Prinzen Peter nach seiner letzten Vergnügungsfahrt aufgenommen. Der Flügeladjutant folgte heimlich. Er sah den König die Stechbahn hinuntereilen, die Hände in den Taschen des weiten Mantels, den Kragen hochgeklappt, denn noch immer blies der scharfe Ostwind, und Seine Majestät schritt weit aus, so daß Puppchen Mühe hatte, bei seinen kurzen Beinchen mitzukommen.
Da geschah es, daß der Rex plötzlich verschwunden war und der Flügeladjutant, im Häuserschatten zurückgeblieben, die Fährte verlor. Seine Majestät hatte durch eine Seitengasse das Paradies betreten.
So merkwürdig es nun auch scheinen mag: Ernst der Dritte ist an jenem Abend nicht erkannt worden. Der Kassierer, Herr Jeremias Kleingeld, blickte kaum auf, als er mißmutig (die Vorstellung hatte bereits begonnen, und er war gerade beim Kassemachen) dem Spätling die Karte zum zweiten Platz links zuschob. Da nun der zweite Platz unter dem weit vorkragenden ersten Range lag, konnte der junge König vom Hause aus um so weniger gesehen werden, als es ihm gelang, an einem Tische Platz zu finden, wo eine der großen vergoldeten Säulen, die das Obergeschoß trugen, gegen Einsicht deckte. Überdies war aller Aufmerksamkeit der Bühne zugewendet, auf der eben eine Turnerfamilie in rücksichtslosester Weise sich ihrer Nachkommenschaft in die Luft entledigte.
Ernst der Dritte grüßte, als er sich niederließ. Zwei junge Mädchen in Zwirnhandschuhen, die gleichen Anhänger um den Hals, dankten kurz. Zwei junge Leute auf der anderen Tischseite nickten halb gnädig, halb feierlich im Schmucke unechter Uhrketten, Schlipsnadeln mit falschen Steinen und Ringen an den Arbeitshänden.
Als der junge König den Zunächstsitzenden bat, einen Blick in seinen Zettel werfen zu dürfen, gestattete er es mit einer fernen Art, im Tillener Wesen jener Tage beschlossen, vom Wirklichen Geheimen Rat bis zum Grubenräumer und verknüpft mit der deutschen Volkskrankheit des Sichbesserdünkens und Mehrscheinenwollens, als man ist. Der Arbeiter, stark und schön in seinem Werktagerock, für sein Volk unendlich wertvoller als irgendein fauler Erbe, mußte Sonntags durchaus als Schentelmann mit Vorhemd und Röllchen auftreten, wie denn jeder kleine Schalterbeamte den Regierungsrat mimte, jeder Heringsbändiger den Offizier in Zivil spielte, jeder Maschinenschlosser für den Betriebsleiter gehalten werden wollte, der Betriebsleiter aber unbedingt für den Generaldirektor.
Als nun Ernst der Dritte gerade auf dem Zettel fand, daß die »Parterreakrobaten Les éclairs« schon Nummer drei gewesen waren, kam ein Herr an den Tisch, der, den Schnurrbart gezückt wie die Gewehre eines Keilers, das Haar lächerlich emporgewellt, sich so aufdringlich dicht an die jungen Mädchen heransetzte, daß sie unwillkürlich Ernst dem Dritten näher rückten. Sofort begann er ein Gespräch, seine überlegene Vertrautheit mit dem Brettl zu beweisen. »Les éclairs« wären niemand anderes als die Familie Luftschmiß aus Köln, die bedenklich herumfliegenden Kinder aber keineswegs ihre eigenen, sondern: die kleine Wirfnich aus Bieberich und zwei Brüder Knochenfrei aus Stangenberg.
»Ach, Landeskinder!« sagte Ernst der Dritte und verbesserte sich: »Tillen!«
Sofort nahm der Schwätzer das ganze Programm durch. Die Trapeznummer am Schluß: »The 4 sunbeams« entlarvte er als Familie Bannig aus Hamburg und die Tänzergesellschaft Korolenko aus der Ukraine als: zwei Herren Schwingshackl aus Tegernsee, die blonde Berta Wadenkrampf aus Heym, die schwarze Recha Tillenauer aus Eula, das braune Iettchen Hops aus Eilenstedt, die wasserstoffgebleichte Meta Gaukeler aus Weyher und die rote Lyssa Schmählich aus Langenerla.
Währenddessen waren die beiden Mädchen noch näher an Ernst den Dritten herangerückt, und die Größere, Hübsche rief empört:
»Sie unverschämter Mensch, Sie!«
Der Artistenfreund hatte sie nämlich, ihr sein Wohlgefallen zu bezeigen, etwa wie ein Hahn die Henne hackt, in den Ärmel gebissen. Da nun das Mädchen in seiner Angst sich fast auf des Königs Schoß gerettet, bot Ernst der Dritte ihr an, mit ihm den Platz zu tauschen. Der Beißer aber, offensichtlich angetrunken, erklärte, er habe nicht geahnt, daß der Herr Rechte auf die Dame besitze. Dabei zückte er großbrodig seine Karte mit den Worten:
»Darf ich um Ihren Namen bitten!«
Konnte nun Seine Majestät sich zu erkennen geben? Oder sollte er sich etwa Herr Haasenhaar nennen, wozu er doch ein gewisses Recht besaß? Wir wissen nur, daß er gesagt hat:
»Rittmeister Arbogast!«
Was der Aufdringliche verstanden haben könnte, mag daraus hervorgehen, daß die Mädchen den vermeintlichen Rittmeister fortan mit Herrn (Arnold) Gast anredeten. Kann es da verwundern, wenn die beiden bald in harmloses Gespräch mit ihrem Retter sich verstrickt fanden? Als nun gar der Komiker auftrat, der Piephacke so erfreut, nahm ihr Lachen kein Ende, wußte doch Ernst Kohlschütter aus Küßchen am Tillensee mit seinem harmlosen Humor eine so wohlige Stimmung zu erzeugen, wie sie jene ruhigen Menschen beglückte damals im alten Reich. Behäbig stand er da, und man schmunzelte, wenn er nach Aufzählung von allerlei Niederträchtigkeiten den Mundehut abnahm und mit gefalteten Händen und Schafsgesicht den Kehrreim sang:
»In da Munda, in da Munda
Ist das Tillener Paradies!«
Jetzt kam er zu seinem letzten Liedsatz:
»Unsa König ist geheißen
Ganz genau wie ich: der Ernst!
Wär' ich König, Witze reißen
Braucht' ich nicht – ich bliebe – ernst!
Führe, pfui du, in die Munda,
Die ich leida einst verließ:
In da Munda, in da Munda
Ist das Tillener Paradies!«
Beifall klang, als, wie allabendlich bei diesem Verse, die Volkshymne ertönte. Alles stand auf, nur, beschämt sei es gestanden, Ernst der Dritte nicht. War er noch im Bann der gewiß recht alltäglichen Verse, die ihm aber doch sein Liebstes vor die Seele zauberten? Eine Hand legte sich ihm auf den Arm:
»Stehn Se lieber uff! Mir ist's ejal, aber Se gennten sonst die scheensten Dresche besehn!«
Einer der beiden Schentelmänner am Tisch hatte es gesagt. Der König erhob sich angesichts solcher Gefahr, sozusagen vor sich selbst, fing doch die Tillener Volkshymne an: »Ernst dem König Heil und Segen!«
Damit endete der Abend.
Schon wollte Ernst der Dritte von den jungen Mädchen sich verabschieden, als die Hübsche schüchtern bat, Herr Gast möchte sie doch ein Stückchen begleiten, denn sie hätten Angst vor dem Beißer. Dem Könige gefiel das Mädchen ungemein. Er fand (wie man aus späteren Äußerungen weiß), sie gliche Inne Unschuld. Vielleicht war es nur eine ähnliche Art, wie denn in jeder Tillener Landschaft ein bestimmter Schlag wiederkehrte. So erklärte er sich gern bereit, mit ihnen zu gehen, dienstfrei heute, denn keine unverständliche Verordnung wartete seiner. Auch war das eine Mädchen nicht allein schön, nein auch gut und lieb, das wußte der König, ohne sie zu kennen, denn das Schicksal hatte ihm die gefährlich-trügerische, aber doch beseligende Eigenschaft mitgegeben, in glücklicher Stimmung die Menschen nach seinem Ebenbilde sich zu schaffen, wie einst der Herrgott selbst.
Er begleitete also die Schwestern, den Hut ins Gesicht gedrückt, den Kragen hochgeschlagen. Man schritt am Tillkai hin, auf der einen Seite glänzende Auslagen, auf der anderen der träge ziehende Tillfluß. Wie nun gegenüber die Lichter von Weyher blinkten, das, noch ohne Kaimauer, Überschwemmungen ausgesetzt war, sagte Ernst der Dritte:
»Der Fluß muß reguliert werden, denn dort drüben leiden unter dem Hochwasser immer die kleinen Leute. Die großen wohnen nicht in Weyher.«
Die Mädchen haben wohl erstaunte Gesichter gemacht: Herr Arnold Gast war doch Rittmeister und nicht Wasserbauinspektor oder wie die Kerle hießen? Als aber der junge König gar fortfuhr, gehoben von lieber Nachbarschaft, Urlaub wie Menschsein:
»Eröffn' ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch tätig, frei zu wohnen«,
da machten sie bestimmt erstaunte Gesichter. Wie sollten sie auch wissen, daß ihr Begleiter seinem Freunde Medicus abends oft den Faust vorgelesen? Nun schritten sie durch die enge Lange Gasse. Da der Wirt des »Goldenen Ankers«, Herr Süffig, grade in der Tür stand, schwieg der König und senkte den Kopf. Auf dem weiteren Wege erfuhr Seine Majestät, daß der Vater seiner Schutzbefohlenen Betriebsinspektor war an der Staatsbahn. Martha, die ältere, führte dem Witwer die Wirtschaft, während die hübsche Maria Tippfräulein war bei Doktor Erfasser.
»Von der Effau!« sprach Ernst der Dritte. Fast hätte er gesagt, er kenne den Herrn. Endlich standen sie vor dem Hause, und die Mädel blickten scheu auf zu den dunkeln Fenstern im vierten Stock. Rittmeister Adolf Gast fragte, ob man sich wohl wiedersähe, und bat, schreiben zu dürfen. Aber der Name? Er besaß kein Taschenbuch mehr wie früher: der diensttuende Flügeladjutant war jetzt sein Gedächtnisstärker; so suchte er vergeblich nach einem Papier und reichte schließlich die Herausforderungskarte des Beißers hin.
Als Seine Majestät dem Sigismundflügel sich näherte, trat plötzlich einer, gleichsam drohend, aus dem Dunkel ihm entgegen. Im letzten Augenblick erst, nachdem er Herrn Adolf Gast als Ernst den Dritten erkannt, zog er sich ehrerbietig zurück. Der König fragte, wer er sei? Wachtmeister Sicher von der Geheimpolizei. Ob er denn hier Dienst habe? Jawohl, seit acht Uhr, wo er seinen Kameraden Wachtmeister Schutz abgelöst. Und mit Verwunderung erfuhr der junge Herrscher, daß ständig Geheimpolizei die Gegend um das Schloß abging.
Auf der Diensttreppe war es Ernst dem Dritten, als husche ein Schatten am Ende des langen Ganges. In einer Tür verschwand ein Bein. Er eilte hin und fand die Karte angeheftet: »Major Pupp, Flügeladjutant Seiner Majestät des Königs. Königliches Residenzschloß.«
Ernst der Dritte klopfte. Der Besuch ist nicht verborgen geblieben. Zieht man von der Wiedergabe des Steuereinnehmerssohnes (Mutter geborene Gänseklein aus der Ludergasse), heute ganz unter die Könige gefallen, jene Eitelkeit ab, die nun einmal das Schicksal zu sein scheint von Leuten, die, aus der Tiefe kommend, noch nicht eine Freiheit des Auftretens haben gewinnen können, wie sie der oben Geborene unwissentlich übt, so bleibt immerhin noch genug, ein Bild der Unterhaltung zu gewinnen. Puppchen hat sie etwa dergestalt wiedergegeben:
»Seine Majestät geruhte, in mein bescheidenes Zimmer zu treten und zu bemerken, es sei viel gemütlicher als bei ihm. Seine Majestät schien seltsam aufgekratzt, was irgendwie mit den Erlebnissen des Abends zusammenhängen mußte. In allergnädigster Weise betrachtete Seine Majestät meine Bilder, auch einige Photos von hübschen Damen, hehe, auf dem Schreibtisch. Aber Seine Majestät erkundigte sich in allerhöchst taktvoller Weise nicht, wen sie darstellen. Plötzlich geruhte Seine Majestät mich zu fragen, ob ich den Betriebsinspektor der Königlichen Staatsbahnen Schwelle kenne? Als ich verneinte, befahl Seine Majestät, völlig abspringend, den Herrn Polizeipräsidenten für den nächsten Morgen acht Uhr zum Vortrag. Seine Majestät geruhte Platz zu nehmen und fragte, ob ich von einem Ernst Kohlschütter gehört habe, was ich leider abermals verneinen mußte, und dann summte Seine Majestät:
›In der Munda, in der Munda
Ist das Tillener Paradies!‹
Sonst wurde von nichts Bemerkenswertem gesprochen. Ich begleitete Seine Majestät zu Höchstseinen Gemächern, wo ein erstaunliches Vorkommnis den Abend beschloß: Ich sah nämlich beim Öffnen der Tür, in einem Lehnsessel eingeschlafen, die Hofscheuerfrau Lore-Lene. Es steht mir nicht zu, darüber etwas zu bemerken.«