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»Mit dem Fünfzehnten dieses Monats wird das Königliche Hoflager auf die Schloßinsel verlegt.« So stand in den Zeitungen, und der ›Illzenauer Anzeiger‹ begrüßte die Wiederaufnahme der alten Gepflogenheit, wodurch auch dem Illzkreise, dem großen Seegebiet, der Munde, kurz dem Herzen Tillens der junge König genähert würde.
Nun wäre es verfehlt zu glauben, Ernst der Dritte hätte jetzt das beschauliche Leben eines Schloßherrn geführt, wie etwa Frau Grünkramhändler Struma Dütchen es sich vorgestellt haben mag, wenn sie sagte:
»Das jloob' ich, auf der Wasserinsel sich aalen, während unsereenem in der heißen Stadt 's Fett abtroppen tut!«
Oder Herr Heinrich Wabe, erster Tillener Honigverschleiß, der behauptete:
»Dort liecht der Kenich ejal im Wasser. So hat er sich ja ooch malen lassen!«
Kurz, viele brave Tillen stellten sich vor in jener Ahnungslosigkeit höfischer Wirklichkeit, Ernst der Dritte wandle dort durch goldene Säle, säße, die Interimskrone auf dem Haupt, in heimlicher Rosenlaube (und das wohl kaum allein), gondele bei Mondenschein mit Lautengezirp und Schmalzliedern, äße Hummer mit Schlagsahne und Austern mit Himbeersaft, während arme Leute in der glühenden Sommerstadt ihr tägliches Brot erschuften müßten.
In Wirklichkeit wurde genau so gearbeitet wie in Tillenau. Jeden Tag kam der König ins Residenzschloß, um Meldungen entgegenzunehmen, Vorträge zu hören, da er meinte, einer solle den Weg machen, statt daß Hunderte ihre Zeit verlören. Während der Fahrt suchte der Kabinettssekretär, wie Ernst der Dritte es einmal selbst genannt, alle Widrigkeiten des Königlichen Dienstes mit Öl fortzuschmieren. Man setzte von der Schloßinsel zum nahen Ostufer über, wobei der Rex, um sich Bewegung zu machen, meist selbst ruderte. Freilich fand das Mirabellchen das höchst unköniglich, der Leibarzt jedoch sehr gesund. Am festen Land pflegte dann Leibschofför Panne mit dem Kraftwagen zu warten, und der Weg bis Tillenau konnte in fünfundsiebzig Minuten zurückgelegt werden. Bisweilen wurde auch der fahrplanmäßige Schnellzug der Linie München-Tillenau benutzt.
Anstoß zur Verlegung des Hoflagers auf die Schloßinsel hatte eine steigende Sehnsucht gegeben nach See und Bergen, aber auch wohl Raffael III. Es stellte sich nämlich heraus, daß die Unsterblichkeitsbilder im Schlosse unmöglich waren. Ihre wilden Farbenfanfaren schlugen alles tot in den einfachen Räumen Seiner Majestät mit den Tischlerverbrechen der sechziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts, ihren spießigen Bezügen, den fürchterlich beklebten Wänden. Oder hätten sie sich etwa in die edle Renaissance des großen Heinrichsaales gefügt? Würden sie in die lange Galerie mit Sigismunds des Kenners falschen Bildern gepaßt haben? Oder zwischen die Pfeifenharnische des Waffensaales? Am Ende gar auf die berühmten flandrischen Wandteppiche der Fremdenappartements? Wer möchte solches im Ernst behaupten?
Da nun aber die mit erheblichen Kosten (in Tillen wurde der König von den Händlern grundsätzlich hoch genommen), wenn auch mit einiger Einbuße an Königlichem Ansehen, erworbenen Kunstwerke irgendwo geborgen werden mußten, so kam der Rex auf den Gedanken, seine Privatsammlung auf die Schloßinsel zu überführen.
Der Oberhofmarschall meinte, Ernst der Dritte sollte die bescheidenen Räume Ernsts des Zweiten beziehen, doch das Opfer solcher Sparsamkeit erklärte, er würde sich dort bedrückt fühlen, denn er sah seinen großen Vorgänger immer noch mit den Augen des Schülers, der, an der Schloßinsel vorüberrudernd, gesagt, als rede er von einer strengen Gottheit: »Der König!« Vielleicht war es auch nur der menschliche Wunsch, sein Heim sich selbst einzurichten? Hatte nicht der neue Leiter des Königlichen Stalles, Rittmeister von dem Grimme, bereits damit begonnen, andere Stallhalftern zu beschaffen? Verlangte nicht der neue Landessteueroberinspektorsbeiratsunterverweser Schmachtriemen für seine Dienstwohnung farbige statt weiße Öfen, während sein Vorgänger, Herr Jeremias Treter, einst nicht hatte einziehen wollen, ehe nicht die altdeutschen grünen Kachelöfen aus der Butzenscheibenzeit den damals feineren weißen gewichen wären?
Wir ahnen also: Des Hofbaurats Einsturz große Zeit schien gekommen. In der Tat war die Schloßinsel von Seiner Majestät mit einem ganzen Stabe besichtigt worden. Am liebsten hätten es freilich die Oberhofchargen ohne den Rex untereinander abgemacht, wie denn der alte Flimmer, bisweilen nicht ohne Witz, sich geäußert: »Wenn die Herrschaften mitreden, weiß man ebensowenig, was alles noch herauskommt, wie wenn die Hausfrau bei der Köchin mitkochen will!« Aber Ernst der Dritte hatte doch mitgesprochen, wobei er in den, man hätte hoffen müssen, nun bald überwundenen Dragonerton zurückverfallen war. Er hatte nämlich, als er darauf bestand, die Zimmer selbst zu besichtigen, geruht zu sagen: »Sonst werde ich doch noch be...«
Rechtzeitig einlenkend, fuhr Seine Majestät fort:
»...lämmert!«
Schon wollte der alte Flimmer einschnappen, als der König ihn freundlich-ehrerbietig unter den Arm faßte und ihn bat, mit ihm hinauszufahren.
Eines jeden Berechtigung zur Anwesenheit soll nun versucht werden zu erweisen: Frau Schloßverwalter Kläffer öffnete die Türen. Der Oberhofmarschall schien selbstverständlich. Der Generaladjutant hatte Dienst. Sturz konnte den Hausminister geltend machen, auch daß es zweifelhaft sei, ob nicht der Staat die Kosten statt der Privatschatulle übernähme, für welche übrigens Exzellenz von Böswetter anwesend war. Da dem Hausmarschall die Verwaltung der Königlichen Schlösser oblag, dürfen wir uns nicht wundern, den Grafen Schellenlaut lächeln zu sehen. Natürlich fehlte nicht das vermittelnde Glied, der Kabinettssekretär Doktor Kleber. Rittmeister von dem Grimme aber hatte sich eingefunden wegen Unterbringung der Pferde, denn die Schloßinsel war groß genug zu mehr als einem langen Galopp. Doktor Neuordner, auf Befehl des Königs anwesend, fühlte sich als Hauptperson wegen der Galleria Kreisiana. Schwerer mag es sein, den Leibarzt zu rechtfertigen, es sei denn, weil es der Wunsch des Königs war, ihn überallhin mitzunehmen.
Dieses war die Hauptmacht. Die Nachhut bestand gerade aus den vermeintlich Wichtigsten: dem Hofbaurat Einsturz und dem Schloßverwalter Kläffer, der mit alter Unteroffiziersstrammheit, den Blick auf Seine Majestät gerichtet, hinter Höchstihm die Türen schloß.
Durchaus zweifelhaft erschien Piephacke. Er trug einen Riesenballen auf dem Rücken, nämlich die Privatgemäldesammlung seines hohen Herrn. Was nun gar der Hofgärtner Laubfall eigentlich dabei zu suchen hatte – das weiß der liebe Himmel.
Man sieht: ein gewaltiges Aufgebot, das auch sofort begann, für das Unterkommen Seiner Majestät besorgt zu sein. Jeder hatte einen Vorschlag, und jeder Vorschlag wurde von allen übrigen einmütig bekämpft. Der Hofbaurat schien bereit, das ganze Schloß, wie in der Bibel den Tempel, in dreien Tagen abzubrechen und an anderer Stelle der Insel wieder aufzubauen. Böswetter verweigerte aber jede Beihilfe, und Sturz mochte im Landtage solche Summen nicht vertreten. Doktor Neuordner redete vom Anbau einer Galerie mit Oberlicht, doch der alte Flimmer, unwillig über den jungen homo novus, schnitt ihm das Wort ab.
Wie die Herren nun umherliefen, maßen, abschritten, quasselten, zuerst nur halblaut, bald aber der üblichen Judenschule verzweifelt genähert, und der König ein wenig verlegen nach seiner Art beiseite stand, während sie sozusagen des Lebenden Gewand verteilten, erhob er plötzlich seine Stimme:
»Meine Herren, ich wohne im zweiten Stock, Blick auf See und Munde. Fertig!«
Der Hausmarschall Graf Schellenlaut warf überlegen lächelnd ein:
»Halten zu Gnaden, Euer Majestät, im zweiten Stock wohnt die Hofdienerschaft.«
Ernst der Dritte, der ewigen Bevormundung müde, hat trocken geantwortet:
»Dann kommt die Hofdienerschaft in den ersten Stock. Die können ooch mal in der sogenannten Beletage wohnen!«
Wie denn der Hofklatsch der ärgste zu sein pflegt, so hat Graf Schellenlaut später, auf der Rückfahrt, zu den anderen Herren geäußert: »Ich glaube manchmal, beim Rex ist eine Schraube locker!«
Der in seinen Erwartungen enttäuschte Hofbaurat aber hinzugefügt:
»Zwei!«
Hätten das die Herren Schreyer, Wühlheimer, Gold, Umsturz und Genossen gesagt, der Majestätsbeleidigungsparagraph wäre, obwohl Ernst der Dritte nichts von ihm wissen wollte, doch selbsttätig eingesprungen. Ob nun eine Schraube oder zwei, der Befehl des Königs wurde jedenfalls ausgeführt, und merkwürdig, für die Hofdienerschaft war plötzlich Platz genug. Allerdings beanspruchte Ernst der Dritte nur vier Räume: ein Arbeitszimmer, ein Schlafzimmer mit Bad, ein Eßzimmer und ein Empfangszimmer, in dem er auch abends mit seinen Herren sitzen konnte, zumal wenn etwa jemand zum Vortrag gekommen war.
Schon nach erstaunlich kurzer Zeit erblicken wir Ernst den Dritten in seinen Gemächern lustwandeln, bereits jener Berufskrankheit der Regierenden verfallen, nicht mit der erforderlichen Entstehungsdauer der Dinge zu rechnen. Daß die Wände erst trocknen müßten, vor allem die Anlage einer Badeeinrichtung,sah er nicht ein. Nur schnell einziehen wollte er. Und hierin lag jenes Unglück beschlossen, das die Bewohner der Schloßinsel eines Abends bis auf die Knochen zum einen Teil durchnäßte, zum anderen erschütterte. Die frisch eingelassenen Wasserrohre schwitzten durch, so daß bald ein lustiges Geäder die Wände belebte. Doch davon sei um so weniger ein Aufhebens gemacht, als der Rex es offenbar nicht sehen wollte. Aber als einmal der König, zu einer Gutsbesichtigung frühzeitig über Land gefahren, sein tägliches Seebad hatte versäumen müssen und nun abends ein warmes Wannenbad verlangte, da, ja da ist es geschehen. Während Ernst der Dritte in seinem Schlafzimmer sich entkleidete, gab es einen furchtbaren Knall. Die Tür flog auf wie im Lenzakt der Walküre, Piephacke erschien triefend, dampfend und brüllte:
»Seiner Machestät, der Badeofen ist geplatzt!«
Da man im Schloß an eine Bombe glaubte, stürzten der Rauhreiter, Major von Auffrecht, der Leibarzt, der Schloßverwalter herbei und erblickten Seine Majestät, zwar nicht wie auf dem berühmten Badeakt, der jetzt in Ernsts des Dritten Arbeitszimmer hing, aber doch etwa so wie den schönen Theodor, als er durch den Türspalt des Adjutantenzimmers sein Unterhosenbein gesteckt.
Der König lachte herzlich über die erschrockenen Gesichter. Da nun Piephacke ebenso wild wie unmöglich aussah, so kam es zu allgemeiner Heiterkeit, die bald, als Ernst der Dritte, sich die Seiten haltend, aufs Bett sank, zu solchem Jubel anschwoll, daß es bedauerlich schien, wie kein Gegner der Monarchie zur Stelle war. Er hätte an diesem vorwiegend nachdenklich gestimmten Herrscher sehen können, daß auch ein König, also ein blutiger Tyrann, statt den Anstifter solchen Unheils streng zur Rechenschaft zu ziehen, sich schieflachen kann.
Lasset uns nun, dem Beispiele Ernsts des Dritten folgend, nicht untersuchen, was den Badeofen eigentlich dazu veranlaßt haben mag, seinen Dienst bei Seiner Majestät durch Gewaltakt einzustellen (ob Piephacke ihn überheizt, ob etwa Lore-Lene eine Klappe geschlossen, die hätte offen bleiben müssen?), gleichhin, es sei nur mitgeteilt, daß angesichts der nun notwendig werdenden Arbeiten Ernst der Dritte die Zeit benutzte zu einer Besichtigungsfahrt in die Salz-Munde.
Aber wie es des Königs Art nun einmal war: sein Besuch in Sudhausen, der Hauptstadt des Salzländchens, wurde nicht vorher angesagt, sondern in dem verschlafenen Örtchen, wo alles Salz war, fuhr unversehens das Königliche Auto beim Kreisdirektor Salzer vor. Leider müssen wir auf seine Bekanntschaft verzichten, denn er befand sich gerade auf Urlaub. Dafür lernen wir die größte Leuchte im Salz kennen: Berghauptmann Haloander. Seine Familie, die älteste in Sudhausen, einst Salzmann geheißen, hatte in der Reformationszeit sich griechisch umgetauft, nicht anders als Melanchthon (Schwarzerd). Der kleine Mann mit fast grünlicher Gesichtsfarbe etwa wie Steinsalz, ein Beamter, bei dem alles wohlvorbereitet sein mußte, schien ebensowenig erbaut über den Allerhöchsten Überfall, als ob er die Meldung von einem Einbruch von Tagwässern in eine Strecke bekommen hätte. Nachdem aber der König den sichtlich Übelgelaunten mit einem fröhlichen »Salzheil« empfangen, ward er plötzlich flüssig gleich Salz im Sinkwerk. Und nun kam Leben in den ein wenig verschlafenen Betrieb: Klingeln gellten, Fernsprecher schnarrten, Berghauptmann Haloander verschwand wortlos.
Als es dauerte und dauerte und er immer noch nicht wiedererschien, entspann sich folgendes bezeugte Gespräch zwischen König und Generaladjutant:
Ernst der Dritte: »Ich glaube, wir ziehen auf eigene Faust los. Ich fürchte, der Salzonkel ist in irgendeinen Schacht gefallen!«
Rauhreiter: »Euer Majestät haben befohlen, ich soll immer offen die Wahrheit sagen: Nun, das kommt eben davon, wenn die Leute nicht vorher vom Besuch Euer Majestät verständigt werden!«
Ernst der Dritte: »Aber dann gibt's Ehrenjungfrauen, Ehrentrunk, Festschießen, Festkleider, und Tusch brüllt hurra! Gräßlich! Gräßlich!« Rauhreiter: »Das Volk liebt nun mal Klimbim und Aufmachung. Es will sich amüsieren, wenn der König kommt!«
Ernst der Dritte: »Ja, bin ich denn nur dazu da, um die Leute zu amüsieren?«
In dem Augenblick öffnet sich die Tür, und Berghauptmann Haloander erscheint in schwarzer Puffjacke mit Samtkragen und Samtaufschlägen, auf dem Kopf jenen seltsamen Schachthut, als habe eine neckisch veranlagte Stütze ihren abgebrochenen Staubwedel an einen umgestülpten Kochtopf gebunden. Zugleich wimmelt es von Bergmeistern, Bergräten, Geheimen Bergräten, Oberbergräten, Geheimen Oberbergräten, vielleicht sogar bei der Titelsucht der Tillen von Ganz Geheimen Oberbergräten, die alle Seiner Majestät vorgestellt werden wollen. Mit der Dienstkenntnis, die der junge König schon erworben, fragt er nun den Bergrat Bitter, wie lange er schon im Dienste, den Ganz Geheimen Oberbergrat Glauber, wie lange er in Sudhausen sei. Beim Oberbergrat Schürf, der nur mit den Gradierwerken zu tun hat, erkundigt er sich nach dem Abbauverfahren, während er den Bergmeister Streckenfeind, bloß unter Tag im Dienst, um die Soleleitung bemüht. Trotzdem bewundern alle die märchenhaften Fachkenntnisse Seiner Majestät. Ja der Geheime Bergrat Schachtricht windet sich in ziemlich widriger Weise:
»Machestät! Als ob Eier Machestät e richticher Berchmann sein täten. Woher denne nur?«
Der König, allem Schmeichelwesen in tiefster Seele abhold, zögert einen Augenblick, dann zuckt es um seinen Mund, und er antwortet ernst wie ein einstürzendes Deckgebirge:
»Ich habe es gestern abend im Konversationslexikon nachgelesen!« Vielleicht ist es gut für den jungen König, daß solche Preisgabe der Geschäftsgeheimnisse in dem Gewirr des Aufbruches niemand gehört hat, denn schon rüstet man zum Besuch der Sigismundgrube, der ältesten und jener, die Besuchern meist gezeigt wird. Vorher aber bekommt Ernst der Dritte, der wie der Generaladjutant und der Leibarzt Zivil trägt, gleichfalls jenen merkwürdigen Kochtopf aufgestülpt, etwas noch viel Erstaunlicheres aber umgebunden. Ein Salzknappe schnallt Seiner Majestät ein Leder um. Der König kennt es von früherer Einfahrt als Schüler, aber ist es ihm zu verargen, wenn er, wahrscheinlich nur um Unterhaltung zu machen, fragt, was das sei?
Wie die Sole aus dem Sinkwerk schießt, wenn das Wehr geöffnet wird, so ruft der Salzknappe in soldatischem Ton:
»Das Arschleder, Euer Majestät!«
Ernst der Dritte, der einst seinen Rekruten oft genug eingeschärft, beim Galopp nicht mit jenem Körperteil zu klappen, lacht laut, und Bergmeister, Bergräte, Geheime Bergräte, Oberbergräte, Geheime Oberbergräte, vielleicht sogar Ganz Geheime Oberbergräte lachen mit. Der König sagt zum Salzknappen in jenem Wahn der Regierenden, in Zivil unkenntlich zu sein, etwa wie der Tintenfisch, wenn er sich in seine Wolke hüllt:
»Woher wissen Sie denn, wer ich bin?«
»Grenadier Sole. Eier Machestät, von die Ehrenkumpanie bei's Begräbnis von Eier Machestät!«
»Meins kommt erst!« lacht der König. Alles lächelt pflichtschuldigst mit. Durch die erstorbenen Gassen geht es nun nach dem Salzbergwerke, Ernst der Dritte an der Spitze mit Grubenlicht vorn und Leder hinten. Und schon stehen sie am Stolleneingang.
Wir aber gehen nicht mit, nein, wir bleiben lieber am hellen Licht der Sonne, während Seine Majestät in den kalten und finsteren Tiefen der Salzmunde verschwindet.
Gar mancher wollte die Anwesenheit Ernsts des Dritten nicht recht glauben. Immerhin: Man trat an die Fenster, die Straßen füllten sich. In der Gleichförmigkeit Sudhausener Salztage war das Zuckerbrot. Und es mußte an dem Gerücht doch etwas sein, denn schon hatte Landgendarmeriewachtmeister Augenblitz den Helm auf, genau wie der Bezirksoffizier Oberstleutnant z.D. Abhalfter, weniger lahm als sonst bei seinem Hexenschuß, denn heute riß er sich zusammen. In der Tür zur Apotheke am Markt stand der Bezirksarzt Doktor Purgierer mit dem kleinen Provisor Zäpfchen, farblos wie Kakaobutter. Frau Oberamtsrichter Mückenstich lag im Fenster samt ihrem Hausbesuch aus Illzenau, der liebreizenden blonden Inne Unschuld, die Ellenbogen auf untergelegten Fensterkissen. Kam da nicht der alte Bürgermeister Salzhunger, die Angströhre, wie immer, wider den Strich gebürstet, mit hohem Flor von den vielen Begräbnissen, denen der Stadtvater beiwohnen mußte, so daß seine Wirtschafterin Frau Sälzchen den Trauerlappen gar nicht erst abnahm? Mit dem Superintendenten Segner, rotnasiger Alkoholfeind, ging er über den Markt. Die Kinder in der Volksschule hatten sie gesehen, und der Lehrer Hieronymus Trichter konnte keine Aufmerksamkeit mehr erzwingen: immer hoben sie sich von den Bänken, um hinauszublicken, wo plötzlich – warum nur? – Fahne um Fahne erschien. Erst an der Kreisdirektion, dann an der Berghauptmannschaft, am Rathaus, beim Kaufmann Salzpfänner, beim Salineninspektor Sudhaus, der die reiche Salzfaß aus der Tafelstraße, Ecke Markt, geheiratet hatte.
Mit einemmal marschierte die Knappschaftsmusik daher mit klingendem Spiel, stellte vor der Berghauptmannschaft die Notenpulte auf, und sofort war der ganze Markt voll Menschen. Und siehe da, ER kam. Kinder starrten, Weiber stießen sich an, Männer nahmen stumm ihren Schachthut ab, langsame, brave Hirne, die nicht gleich faßten, was der Vorgang bedeutete.
Sie verrenkten sich die Hälse. »Glück auf!« rief ein Erzknappe aus Untergrubenstadt. »Salzheil!« brüllten sie dagegen, denn in der Salzmunde hieß es nicht »Glück auf!«. Und der junge Herr legte immer wieder lächelnd die Hand an den Schachthut. Er sah hinauf zum Fenster, erblickte hinter der Frau Oberamtsrichter Mückenstich, früher in Illzenau, eine holdselige Gestalt und sagte zu Doktor Medicus nichts als: »Inne Unschuld!« Aber damit klang die schönste Zeit an seines Lebens. Schon war er nicht mehr in Sudhausen, war nicht König, nein Rittmeister in Illzenau, der auf der Stiege schwatzt zwischen Tür und Angel.
Da stand die Schule aufgereiht. Ernst der Dritte sagte zum Lehrer Hieronymus Trichter:
»Ich war in Außensee nur glücklich, wenn keine Schule war!«
Dann zu den salzhaarigen kleinen Mädchen und Buben:
»Kinder, wollt ihr frei haben?«
Und sie jubelten:
»Cha! Ei cha! Salzheil, Machestät!«
Sofort waren sie in alle Winde, und aus Hieronymus Trichter rann die Schulweisheit ins Leere.
Inzwischen hatte der Herr Berghauptmann sich erlaubt, Seine Majestät einzuladen zu einem »janz eenfachen kleenen Imbiß«, welcher janz eenfache kleene Imbiß aber nichts war als eine »endlose Fresserei« (eigene Worte Ernsts des Dritten), denn die Tillen jener weit entschwundenen Zeit, aus bescheidenen völkischen Verhältnissen zu ungeahntem Wohlstand emporgestiegen, waren noch zu neu in ihrem Reichtum, als daß sie das Protzen hätten lassen können. Ein Aufhauen sogar über ihre Mittel, denn die Beamten mußten vom Gehalt leben und konnten nicht wie Bankherren oder Unternehmer ein Vermögen verdienen. Ohne Sekt ging es aber nicht in Tillen.
Sobald nun der Wein ihr Blut erhitzt, begannen sie, als ob nicht ihr oberster Bergherr unter ihnen säße, von Beförderung, Bevorzugung, vom Gehalt. Schon meinte der König, dem Tusch glücklich entronnen zu sein, als der Berghauptmann sich erhob. Es muß zugegeben werden, daß, was er sprach, überaus gediegen genannt werden durfte, doch ein grauenhaftes Schicksal hinderte die Anwesenden, seine Weisheit bis zum Ende zu genießen, denn plötzlich blieb die Leuchte im Salz ebenso peinlich wie endgültig stecken.
Nun besaß er aber ein ohne Widerrede tapferes Weib. Als die Lage völlig hoffnungslos schien, erhob sich nämlich die treffliche Haloanderin, durch den ungewohnten Sekt (denn sie lebten sonst recht einfach) noch viel tapferer, und ließ sich also vernehmen:
»Machestät! Die Frau muß alles machen, was der Mann nicht fertig bringt: Kochen, Strümpfestopfen, Wäsche und Kinder! Warum also nicht auch reden? Ich habe immer Angst gehabt vor so 'n hohen Herrn, aber nu ich Sie, Machestät, gesehn habe, ist mir's, als ob wir uns immer schon gekannt hätten. Kommen Sie nur recht bald wieder ins Salz! Wir werden uns herzlich freun auf unsern Salzgrafen. So heißt das uralte Wort. Darum bleibt mir gar nischt andres übrig, als eenfach zu rufen: Unser Salzgraf, unser guter Kenich, soll leben hoch! Salzheil!«
»Salzheil!« brüllten sie. Ein Jubel schallte, wie ihn Sudhausen noch nicht vernommen. Darüber hatte man aber ganz vergessen, unten auf dem Platze die Musik zu benachrichtigen, daß sie die Volkshymne spiele. Nun riß der berühmte, durch solch hohe Weibestreue gerettete Haloander, dem der Salzangstschweiß schon von der Stirn getropft, das Fenster auf und wedelte mit dem Mundtuche wütend hinaus. Statt der Hymne schallte jedoch ein immer unbändigeres Gelächter herauf, denn dem Volke machte der närrisch wedelnde Kerl da oben einen Mordsspaß.
Und nun ist etwas höchst Bedauerliches zu melden: Der Knappschaftsmusik gegenüber hatte sich nämlich die Bataillonsmusik des Sechsten Tillener Infanterieregiments Nummer fünfhundertneunundsiebzig, dessen zweites Bataillon in Sudhausen lag, aufgestellt. Diese, vom Kasino her derartiges mehr gewohnt als die Salzer, setzte gleich ein. Die Knappen wollten sich jedoch nicht lumpen lassen, sondern folgten, wenn auch einen Takt später; keiner gewillt, dem anderen zu weichen. Das Militär hielt sich für die Ersten im Lande, die Knappen aber für die Wichtigsten im Salz. Oder bedurfte der Mensch zu seinem Aufbau nicht etwa jährlich 7,75 Kilo Salz, wie doch jedes Kind in Sudhausen in der Schule lernte?
Solcher Wettbewerb war nun freilich derart grauenvoll, daß alles erschrocken sich anblickte, ja die tapfere Frau Haloander, die ein wenig Hausmusik machte, so schmerzlich die Unterlippe verzog, wie einst Oberhofprediger Dr. theol. Salbader bei der Beisetzung Ernsts des Zweiten, als Santonins des Neunten Schärpe schallend zu Boden schlug.
Nun konnte Seine Majestät der König unmöglich den ganzen Nachmittag mit den ehrlichen Salzmenschen bei Tische sitzen. Er erklärte also, noch Sudhäuser und Gradierwerke besichtigen zu wollen. Inzwischen erschien plötzlich Sturz. Zu einem dringenden Vortrage unerwartet auf die Schloßinsel gekommen, hatte er, da der Rauhreiter vorsichtshalber hinterlassen, wohin die Fahrt ging, sofort den nächsten Zug nach Sudhausen genommen. Zwar zeigte sich der junge König zuerst enttäuscht, seine Heimlichkeit entlarvt zu sehen, doch als der Minister, sobald er nur die Unterschrift in der Tasche trug, frohgelaunt erklärte, er wolle Seine Majestät durchaus nicht in seinem Vergnügen stören, sei im Gegenteil selbst »zu jeder Schandtat bereit«, war auch Ernst der Dritte versöhnt.
Auf Anordnung des Ministerpräsidenten wurde zu Ehren der Anwesenheit Seiner Majestät des Königs den Salzknappen der Nachmittag freigegeben. Einem Einwand des Berghauptmanns begegnete Sturz damit, daß was dem Staate in den wenigen Stunden an Arbeitsleistung entginge, er dafür sozial gewönne. Dieses um so mehr, als die Knappschaft zum größten Teil aus ruhigen Leuten bestand, von denen die älteren meist Häuschen und Gärtchen besaßen und daher nicht gegen einen Staat wühlten, in dem es ihnen gut ging.
Nun hatten sich die Salzknappen auf dem Salinenkeller zusammengefunden und saßen dort in ihren Grubenkitteln, schon weil sie sich darin sehr schön fanden. Als Ernst der Dritte im Kraftwagen vorüberfuhr, erhoben sie sich und brachen in ein so unbestelltes »Salzheil« aus, daß Seine Majestät halten ließ und unter sie trat. Der Rauhreiter, der seinen hohen Herrn nun genugsam kannte, fühlte, wie jetzt unfehlbar irgendeine besonders Königliche Handlung steigen würde. In der Tat, freudig bewegt vom schönen Tage, den er sich selbst ohne Vormerkkalender geschaffen, und in einer Anwandlung fürstlicher Freigebigkeit, freute es doch den einst armen Offizier, nun etwas für andere ausgeben zu können, fragte er Sturz, ob er wohl den Leuten (wie einst seiner Schwadron) »Bier schmeißen« dürfe?
Dieser gestand es zu mit den Worten:
»Das wäre doch noch schöner, wenn der König sich das nicht mal leisten könnte, wo soviel Geld verhauen wird, von dem er nichts hat!«
So sagte denn der Rauhreiter dem Wirt, Seine Majestät gäbe Freibier.
Solche Hochherzigkeit sprach sich schnell herum, und nun erschienen nicht allein die Knappen mit Kind und Kegel, nein sozusagen ganz Sudhausen, denn die Tillen waren für Freibier sehr eingenommen. Bald entwickelte sich ein förmliches Volksfest in dem weiten, von Roßkastanien beschatteten Garten des Salinenkellers. Würfel- und Lebkuchenbuden taten sich wie gezaubert auf, Schaukeln pendelten. Der »Hundertjährige Bergmann«, mit gedunsenem Gesicht und blaß wie ausgelaugt erschien pünktlich mit seiner Drehorgel, darauf in einer Grotte von farbigen Steinsalzen zwei Häuer ruckweise, wenn auch ohne jeglichen Erfolg, mit der Haue auf das Salz dreinschlugen. Eine höchst eintönige Geschichte, obwohl alle Kinder davor zur Salzsäule erstarrten.
Das Schönste aber stand im Hintergrunde, nämlich ein gewaltiges kreisrundes Ungetüm, noch mit Segelplanen verhängt, Gegenstand brennender Neugier bei Buben und Mädchen, Anlaß zu höchstem Stolz bei der Knappenschaft, die es nach langen Beratungen, das Vereinsvermögen nutzbringend anzulegen, und zu dauernder Belustigung angeschafft. Die Einweihung hatte zwar erst am kommenden Sonntage stattfinden sollen, doch der Vorstand beschloß, die glückliche und ehrende Anwesenheit Seiner Majestät des Königs zu benutzen und schon heute, ja sofort die Eröffnung vorzunehmen. Das Gedränge war so arg, daß für den Herrscher kaum Platz geschafft werden konnte. Von jenen Sudhausener Kindern, denen er freigegeben, zutraulich umringt, von Knappen und Frauen andächtig begafft, stand er mit Berghauptmann Haloander samt dessen tapferem Weibe, dazu Bergrat Bitter, den Oberbergräten Glauber und Schürf, Bergmeister Streckenfeind, Geheimen Bergrat Schachtricht und wie sie alle hießen, vor dem noch verhüllten Ungetüm. Neben dem Könige erblickte man den Bürgermeister Salzhunger, recht aufgeräumt bei seinem Dauerflor an der Angströhre, im Hintergrund seine Wirtschafterin Frau Sälzchen, und auf daß Seine Majestät nicht völlig versalze, den rotnasigen Alkoholfeind Superintendent Segner, sowie Bezirksoffizier Oberstleutnant zur Disposition Abhalfter, der mit dem Rauhreiter, dem einzigen anwesenden Offizier, Fühlung suchte. Denn das Zweite Bataillon des Sechsten Tillener Infanterieregiments Nummer fünfhundertneunundsiebzig befand sich ausgerechnet heute auf einem langen Übungsmarsche in der Hohen Tafel.
Es war nun ein erhebender Augenblick, als der alte Obersteiger Vorort mit den seltsam zitternden Augäpfeln mancher Bergleute, der vor allem die Erwerbung des Ungetüms durch die Knappschaftskasse betrieben, Seine Majestät bat, allergnädigst das Zeichen zum Fallen der Hülle zu geben. Was bedeutete nun jenes Geheimnisvolle noch unter rätselhaften Planen verborgen? Wir werden es gleich sehen. Aller Augen waren auf den jungen König gerichtet, immer noch in Puffjacke und Schachthut, wie er, der nicht einmal wußte, was er eigentlich eröffnen sollte, fröhlich nickte und rief: »Also los!«
Im gleichen Augenblick zuckten Lichter auf hinter den Segeltüchern, denn schon begann der Abend einzubrechen, eilige Salzknappenhände rissen sie zur Seite, und man sah eine Doppelreihe von Holzpferdchen, gleichsam auf dem Zirkel, unter einem großen Zeltdache in wildem Galopp, um so anerkennenswerter, als sie an dazwischengereihten kleinen Förderwagen eigentlich genug zu ziehen hatten. Blaue, grüne, rote, gelbe Lichter wurden von Spiegeln an einem Säulenstamm in der Mitte, aufregend und verwirrend, zurückgeworfen. Das Ungetüm entpuppte sich als Karussell. Die Kinder schwiegen vor seligem Staunen, die Salzknappen aber riefen stürmisch »Salzheil!«
Gerade in diesem Augenblick begann ein Orchestrion in der Blendung des Pfeilers zu dröhnen, von Beckenklirren und Paukenschlägen schreckhaft begleitet. Es war eine Weise, die Ernst der Dritte (wir wissen, daß er nicht eben sehr musikalisch war) offensichtlich für die Volkshymne: »Ernst dem König, Heil und Segen« hielt, wenigstens schloß er, augenscheinlich gewitzigt durch jenes peinliche Vorkommnis, das ihn einst im Paradiese als einzigen hatte sitzen bleiben lassen, stramm die Absätze und legte die Hand an den Schachthut. Was aber das Orchestrion spielte, war nichts anderes als der weitbekannte Salzmarsch:
Der Knappe ist der Mädchen Glück!
Tschingbumm! Tschingbumm! Tschingbumm!
Wer Salz geleckt, kann nicht zurück!
Tschingbumm! Tschingbumm! Tschingbumm!
Gewiß war der strenge und militärische Gruß Seiner Majestät der Würde des Gegenstandes nicht völlig angemessen, doch dieses steht fest: der junge König hatte damit alle Salzherzen gewonnen. So ging denn der alte Obersteiger Vorort noch einen Schritt weiter und bat, was er zuerst doch nicht recht gewagt, Seine Majestät, die Gnade haben zu wollen, persönlich zur Eröffnung zu schreiten. Was mochte das bedeuten? Sollte der Landesvater dem auf Karussellfahren, wie es schien, arg versessenen Salzvolke mit einem Winke seiner Königlichen Hand gleichsam Höchstseinen Segen zur Fahrt erteilen ... und zusehen? Nur kalt zusehen? Nein, hier hat Ernst der Dritte einen Schritt unternommen, der ihm in Sudhausen eine Volkstümlichkeit eintrug, wie sie gewiß noch niemals ein Osterburger besessen.
Erstaunliches gewahren wir: Als alles gespannt zu warten scheint, was nun wohl geschehen wird, tritt Seine Majestät der König zu den Damen Haloander und Mückenstich und fordert sie auf, einen der kleinen Förderwägelchen am Karussell zu besteigen. Sie zieren sich. In ihrer Stellung und bei gesetztem Alter Karussell fahren? Endlich jedoch sagt die tapfere Berghauptmännin:
»Aber Machestät müssen ooch fahren!«
Als hätte er es bereits versprochen, steigt sie ein mit der Frau Oberamtsrichter. Ist es da möglich, daß Inne Unschuld zurückbliebe? Nein, sie folgt ihnen, so holdselig lächelnd, als wollte sie sagen: Majestät, der Arbo wäre gefahren! Da steigt Ernst der Dritte, männlich entschlossen, die Stufen zum Karussell empor. Alles hält den Atem an. Es ist getan: auf einen Schimmel (von links – er war doch Rittmeister) hat er sich geschwungen.
Ehrlicher ist keinem Könige je zugejubelt worden. Wie besessen ist das Volk: »Salzheil! Salzheil! Salzheil, Machestät!« Ganz Sudhausen drängt hinzu, »unsern lieben chungen Kenick« auf einem Holzpferdchen zu sehen.
Sturz zögert: Ministerpräsident? Aber hat er nicht seinem Könige gelobt, er sei zu jeder Schandtat bereit? So muß er also mit seinem hohen Herrn reiten, und sei es in Tod und Verderben. Und der dicke Sturz besteigt rot, rund und zufrieden den Fuchs neben dem Schimmel Seiner Majestät. Nur der Rauhreiter bleibt zurück. Den Ritt ins Salz billigt er nicht ganz. Doch immerhin, Seine Majestät ist ja in Zivil!
Nun aber stürzt sich das tillsche Volk auf Pferde und Wagen. Im Augenblick ist alles besetzt. Da beginnt das Karussell auch schon leise zu drehen. Schneller geht es, immer schneller. Ernst der Dritte galoppiert auf seinem Schimmel stolz voran, seinen Ministerpräsidenten treu zur Seite, und beider Pferde ziehen den Wagen, in dem strahlend und holdselig Inne Unschuld sitzt.
Der König in der einfachen Natürlichkeit seiner Seele des Zweifelhaften seiner Handlung sich nicht bewußt, lächelt seinen beglückten Untertanen zu, an denen er rasend, immer rasender vorübersaust. Steigt da nicht der Gedanke auf an Prinz Peter seligen Angedenkens, wenn er im Wurschtelprater auf einem Holzpferdchen saß? Dämmert nicht stirnrunzelnd Ernsts des Zweiten gewaltiger und finsterer Schatten?
Aber das Orchestrion dudelt und gellt mit Paukenschlag und Beckenklang:
Der Knappe ist der Mädchen Glück!
Tschingbumm! Tschingbumm! Tschingbumm!
Wer Salz geleckt, kann nicht zurück!
Tschingbumm! Tschingbumm! Tschingbumm!