Georg Freiherrn von Ompteda
Ernst III.
Georg Freiherrn von Ompteda

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Ernst der Dritte auf Brautschau

Über allerlei heimliche Brautfahrt, davon Ernst der Dritte zurückkehrte, sattsam enttäuscht oder seltsam erleichtert, immer aber nachdenklich, sei geschwiegen, stand doch davon nichts im ›Staatsanzeiger‹. Woher sollte er es auch wissen, da Seine Majestät immer still verduftet war? Dennoch konnte die Abwesenheit des Königs unmöglich verborgen bleiben, oder sollte es etwa nicht auffallen, daß ein Herrscher, der bislang kaum je sein Land verlassen, es sei denn einmal als Senor, nun plötzlich dem Reisefimmel anheimfiel?

Schon hatte denn auch der König seinem Ministerpräsidenten enttäuscht erklärt, jetzt habe er genug, und der stolze Plan schien rettungslos eingesargt, als Prinzessin Ingeborg unversehens im Schlosse erschien und eine geschlagene Stunde beim Rex verblieb. Da die Königliche Hofscheuerfrau Forscher-Trieb nicht um die Wege war, hat niemand etwas erlauscht. Sorgenvoll, so viel ist freilich bemerkt worden, war Prinzessin Ingeborg eingetreten, strahlend fuhr sie davon, vom König in seiner Artigkeit selbst bis zum Schloßtor hinabbegleitet, so daß die Wache trotz Abwinken Seiner Majestät ins Gewehr trat.

Kurz darauf hatte der Rex restlos sich verflüchtigt.

Nun erblicken wir zwei einfache Bürger, einen jüngeren gut gekleidet, einen älteren in ständigem Kampf mit seinem um Befreiung ringenden Schlips, der grundsätzlich hinten über den Kragen steigt, auch mit einem etwas verwegenen Hütlein durch die Straßen einer fremden Stadt schreiten.

Sie bummeln ziellos dahin, wie, sonst vielbeschäftigte, Leute auf Urlaub oder in gespannter Pause zwischen wichtigen Begebenheiten. An den Läden bleiben sie stehen. Des Jüngeren Aufmerksamkeit erregt vor allem die Hofbuchhandlung von Fest & Condition, wo hinter der großen Glasscheibe Lichtbilder an Schnüren baumeln. Da sieht man durchgeistigte Köpfe würdiger Professoren; weniger durchgeistigte langmähniger Musiker; kurzhaarige Generäle; Sänger im Pelz; eine Schauspielerin, die gewiß bedauerlicherweise ihr Vermögen verloren hat, da man sie doch erst als Modedame, nun aber als Bettlerin erblickt; einen Herrn, eine unförmliche städtische Amtskette um den Hals, die so schwer ist, daß man befürchten muß, er werde bei langen Angriffen im Stadtrat allein schon unter dem Metallgewichte zusammenbrechen; da gewahrt man endlich einen im Talar, die Bibel unter dem linken Arm, darauf bekenntnisstolz die Rechte mit dem Eheringe ruht. Mitten aber in all dem Theater hängt ein alter Herr, den das wenig anzugehen scheint, trägt er doch einen Jägerhut mit Spielhahnfeder und die Büchse lässig über der Achsel. Als Gegenstück lächelt ihn eine mittelalterliche, ausgeschnittene, hagere Dame an, fünf Perlenreihen um den Hals gewickelt, einen Diamantreif im Haar. Darunter schweben zwei junge Offiziere, einen großen Ordensstern auf der kleinen Brust. Schon Offizier? Sind sie nicht Knaben noch? Aber wie ist nur unter die hohen Herrschaften das bildhübsche schwarze Mädel geraten, einen Tennisschläger in der Hand? Dennoch besagt ein Zettel: »Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Ulna. Allerneuste Aufnahme.«

Da meint der jüngere Herr zum älteren:

»Sie sieht ganz anständig aus!«

Und der ältere zum jüngeren:

»Sehr, Euer Machestät!«

Ängstlich gibt der jüngere zurück:

»Um Gottes willen, nicht so laut!«

Fast als wollte er sagen: nennen Sie mich doch lieber Herr Haasenhaar.

Damit verlassen wir die beiden, sie wollen gewiß allein sein. –

Aus tiefem Forst, der die größten Jagdgründe des Landes barg, leuchtete die Dianaburg des Großherzogs Hubert-Nimrod des Achten von Walden. Verwitterte Hirschgeweihe schmückten die Schauseite. Auf den breiten Rampen bliesen steinerne Hifthornbläser, den Trompetermuskel gespannt, orgelten riesige Hirsche, nur vernahm man es nicht bei dem Rauschen des Wasserfalls, der vom Hochplatz in breiten Strahlen niederschoß. Kühne Jäger bedrohten mit ihren Saufedern wütende Keiler, während daneben unbekleidete Göttinnen harmlos herumstanden und erstaunlich gut genährte lose Knaben nach ihrem Herzen zielten. Fanfarenklänge: die grüne Gilde, Fackeln in den Händen, brach aus den geöffneten Toren, an ihrer Spitze in Hofjagduniform Seine Exzellenz Oberjägermeister Graf Bärenfeist, ein Riese, gut von Wildpret und mit gewaltigem Keilerkopf, daraus die Gewehre glänzten.

Schon hörte man den Jagdhornruf einer Huppe, als einer aus dem Unterholz austrat, gleichfalls in Hofjagduniform und den Stern des Hohen Hirschenordens oberhalb der linken Rippenknorpel. Wie kam der hierher? Er hing doch im Jägerhut mit Spielhahnfeder bei Fest & Condition hinter der Scheibe? Er sicherte wie ein geweihter Vierzehner, verhoffte, und erst als der Kraftwagen vorfuhr, konnte man hinter ihm zwei, sozusagen geringere Hirsche ausmachen, ebenso in Hofjagduniform und mit dem Großkreuz des Hohen Hirschenordens auf der kleinen Brust.

Ernst der Dritte schritt dem Edelhirsch ( Cervus Elaphus L.), genannt Seine Königliche Hoheit Großherzog Hubert-Nimrod der Achte, entgegen. Der umarmte pflichtmäßig den Rex, indem er dabei erst rechts, dann links in die Nacht äugte, und die geringeren Hirsche, Erbgroßherzog Karl-Nimrod und Prinz Hans-Nimrod, verbeugten sich tief. Dann stellte Hubert Nimrod der Achte seinen Oberjägermeister Grafen Bärenfeist, Exzellenz, vor und seinerseits König Ernst der Dritte seinen Generaladjutanten, Exzellenz Rauh, denn der Rauhreiter war inzwischen Generalleutnant geworden. Die große Halle tat sich auf voll monströser Geweihe, Gehörne, Jagdbeutestücke, die in derart verwirrender Fülle die Wände pflasterten, daß man sich in einem Wildfriedhofe wähnte.

Nun stiegen sie nicht ohne Feierlichkeit die große Freitreppe hinan, auf jeder Stufe begleitet von den ernsten Gesichtern der grünen Gilde, die eine Art Ehrenerweisung machte, indem die Jäger mit angezogenem Kinn die Stirn hoben, als hätte einer Tire-haut!« gerufen. Flügeltüren standen offen. Lichterglanz fiel ins Treppenhaus. Sie durchschritten Säle voll hochwichtiger Bilder, Jagdszenen schildernd allerdenkwürdigster Art: etwa die Stelle, wo Nimrod der Erste einen, übrigens eingelappten, Vierundzwanzigender zur Strecke gebracht, oder den unvergleichlichen Augenblick, als Hubert-Nimrod der Zweite fast von einem Keiler angenommen worden wäre – nur war es leider gar nicht dazu gekommen.

Plötzlich stand in einem Gemache, das statt Mord die beseligenden, aber auch verhängnisvollen Folgen der Musik dargestellt zeigte, eine mittelalterliche Dame in schwerausgeschnittenem Kleide, eine Büste zeigend, die keinen Maler reizen, aber eine fünffache Perlenschnur, die jeden Schmuckhändler erregen mußte. Leicht war die Dame als jene zu erkennen, die neben dem Jäger bei Fest & Condition an der Schnur gebaumelt.

Ernst der Dritte im Frack, von dem er sich einst vor der Hochzeit seines Flügeladjutanten mit dem Nüßchen durchaus nicht hatte trennen können, den Stern des Ofterburger Hausordens auf der Brust und im Knopfloch das Bändchen der goldenen Lebensrettungsmedaille mit der Inschrift: vita donorum suprema, also Ernst der Dritte im Frack küßte Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin Marie-Madrigal die blaugeäderte und schwerberingte Hand. Dabei traf Seine Majestät nicht die Finger, sondern irgendwelche Edelsteine, seiner einstigen Armut völlig unbekannt, hatte er doch nur über Halbedelsteine etwas nachgelesen, um demnächst beim Empfange des Kommerzienrates Achat unterrichtet zu sein. Die hohe Frau lächelte so überaus liebenswürdig, daß man das naturgetreue Zahnfleisch des Ersatzes sah, und sagte:

»Wie freue ich mich, lieber Vetter, dich kennenzulernen!«

Verschwiegen darf nun nicht werden, wie die Aufmerksamkeit des Rex ausschließlich einer jungen Dame galt, die auch ohne die Unterschrift bei Fest & Condition sofort als Prinzessin Ulna auszumachen war. Wohl trug sie keinen hölzernen Tennisschläger in der Hand, jedoch einen goldenen an der Brust, wobei nur rätselhaft schien, daß der Ball, der in Gestalt einer Perle darauf ruhte, niemals herunterfiel.

Abgesehen von solchem Gleichgewichts-Wunder stand die junge Prinzessin offenbar mit beiden flinken Beinen fest auf der Waldener Erde, denn Gesicht und Unterarme waren so dunkel wie bei einer Mulattin, während die schönen Oberarme schneeweiß in die zarten Schultern und die bläulich geäderte Bubenbrust übergingen, auf der ein durch die Sonne eingebranntes rotes Dreieck von der Schilddrüsengegend herabzog, als triebe dort eine Indianertätowierung ihr neckisches Spiel.

Prinzessin Ulna betrachtete neugierig den König, und der König betrachtete neugierig Prinzessin Ulna. Damit schienen fürs erste die Beziehungen der beiden abgetan, denn die Vorstellung des Gefolges nahm nun alle Aufmerksamkeit Ernsts des Dritten in Anspruch. Wenn auch die Unterhaltung lange genug währte, um die Hauptstützen des Waldener Hofes kennenzulernen, so kann es doch unmöglich die Absicht sein, sie ohne Ausnahme in das unerbittliche Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Immerhin gab es einige, die unvergeßlich sind. So die Oberhofmeisterin Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin Marie-Madrigal, die Gräfin von der Pose, eine achtunggebietende Dame, die, was ihrer hohen Herrin fehlte, nicht durch fünf Reihen Perlenschnüre zu verdecken brauchte, sondern im Gegenteil derart zur Schau trug, daß Schüchterne ihr verwirrtes Auge senken mußten angesichts des gewaltigen Vorbaus, über dem sich ein stolzer und schöner Kopf mit schneeweißem Haar erhob. Da sie den Eindruck, den sie hervorrief, ohne Zweifel bereits öfters erprobt hatte, so besaß sie eine eigene Gabe, in einer ihr gut liegenden Körperhaltung so lange unbeweglich zu verharren, bis eine neue Stellung Gelegenheit bot, ihre Vorzüge abermals ins rechte Licht zu rücken.

Neben solch eindrucksvoller Erscheinung hatten die Hofdamen einen schweren Stand. Der blauäugigen kleinen Gräfin Moll Inbrunst schien das wenig auszumachen, denn sie blickte mit verlorenem Lächeln immer anderswo hin, als man erwarten durfte, während die kurzgeschnittenen Nägel der linken Hand, gleichsam wie auf dem Griffbrett einer Geige, seltsame Fingerübungen machten. Der fast Anteilnahme erweckenden schwarzen Häßlichkeit des Fräuleins Elektrine von Racket, Hofdame der Prinzessin Ulna, wohnte dagegen eine erhebliche Unruhe inne. Ihre listigen, schlitzartigen Augen über den starken Jochbeinen betrachteten den Königlichen Gast mit abschätzender Neugier. Auch sie entbehrte wie ihre Herrin der Tätowierung nicht, nur war, was bei der Prinzessin an eine Mulattin erinnerte, bei ihr zum Negerweibe entartet.

Von den Herren trug keiner Offiziere-, sondern alle Hofjagduniform, so daß man einen Flügeladjutanten darunter nicht hätte ausmachen können. Neben dem wilden Keilerkopf des Oberjägermeisters Grafen Bärenfeist trat übrigens alles zurück. Auch dienstlich, denn an diesem Hofe, wo die Jagd Daseinszweck schien, war er zugleich Oberhof- und Hausmarschall. Es würde auch die Zeit gemangelt haben, die Herren zu sichten, denn plötzlich sprangen die Flügeltüren zum großen Bankettsaale auf, und man begab sich zur Äsung. Voran Ernst der Dritte, der die Frau Großherzogin Marie-Madrigal führte, dann der Großherzog mit Prinzessin Ulna, darauf die beiden geringeren Hirsche. Sie benahmen sich übrigens wie Hirschkälber, indem sie, während man feierlich zu zweit nebeneinander schritt, außer der Reihe laufend bald dem Tennisnegerweibe Fräulein Elektrine von Racket etwas zuflüsterten, bald sich bei dem Kammerherrn der Großherzogin Freiherrn Ludwig van Intervall einen Augenblick einhängten, oder sogar den alten Kammerlakai Ehrfurcht, der die Türflügel des Bankettsaales schloß, kitzelten, wobei er zwar wie ein guter Großvater lächelte, sie aber dennoch zu Holze trieb, denn schon fing man an, sich niederzutun.

Die Nimrode gingen denn auch in voller Fahrt ab und erreichten erst im letzten Augenblick ihre Plätze, etwa wie einst der schöne Theodor beim Empfange auf dem Hauptbahnhofe in Tillenau. Der Edelhirsch schien es nicht zu gewahren, wenigstens erzählte er seinem Gaste eine höchst verworrene Geschichte von einem Nashornüberfall auf einem afrikanischen Jagdzuge, den er einst als Erbgroßherzog unternommen. Glücklicherweise war die Sache aber genau so ausgegangen wie der Angriff des Keilers auf Hubert-Nimrod den Zweiten, der vielleicht hätte stattfinden können, jedoch nicht stattgefunden hatte.

Die Frau Großherzogin dagegen schien die Untaten der beiden Nimrode bemerkt zu haben, aber sie zuckte nur ohnmächtig die Achseln und begann, als ihr hoher Gemahl eben gesagt: »Es brach nach dem Anschuß verendet zusammen!« vom letzten Hofkonzert zu erzählen, bei dem der Hofpianist und Kammervirtuos Moritz Tastenhauer so außer jedem Vergleich herrlich Liszts Don-Juan-Fantasie zum Vortrage gebracht habe. Kaum war Herrn Tastenhauers Spiel zu Ende, als Prinzessin Ulna, auf der anderen Seite Seiner Majestät, Höchstihm die erschütternde Mitteilung machte, sie habe heute nachmittag das Match 6:3, 5:4, 6:3 gewonnen. Ernst der Dritte, der nie Tennis gespielt, hatte eben noch Zeit, ein freudig erstauntes »Ach nee!« von sich zu geben, als der Edelhirsch mit dem Weidlöffel sich das Geäß netzte, um flüssiger zu reden, und mitteilte:

»Es war ein ungrader Sechzehnender. Aus dem Vast. Mit gutem Wind bekam ich die Birsch. Er stand mir spitz auf achtzig Schritt gegenüber. Ich konnte einen Schuß placieren. Ich ließ also meine Kugel fahren. Der Hirsch zeichnete nicht. Hatte sie nicht auf ihm Platz genommen? Ich ließ den zweiten Lauf fahren. Warum brach der Kapitale nicht im Feuer zusammen? Habe ich nicht 1669 Hirsche auf die Decke gelegt? Und denke dir, denke dir, welch furchtbarer Augenblick, ja denke dir nur, er wurde flüchtig, und ich hörte ihn wegbrechen!«

Der König, kein Jäger, aber sichtlich erschüttert über solch grausamen Fehlschlag, fragte ergriffen:

»Aber um Gottes willen, was war denn passiert?«

Der Edelhirsch schreckte fast, während seine Seher sich weiteten:

»Denke dir, ich hatte gefehlt!« Nun würde Ernst der Dritte seinem tiefsten Bedauern gewiß gern Ausdruck verliehen haben, hätte ihm nicht in diesem Augenblick Prinzessin Ulna untröstlich gestanden, einer der Bälle heute beim Match habe 5,15 Gramm zu wenig gewogen, so daß eigentlich das ganze Match ... weiter kam sie nicht, denn die Frau Großherzogin Marie-Madrigal, die bisher die beiden Nimrode mit völligem Übersehen gestraft, ermahnte plötzlich ihre Söhne, nicht zuviel zu essen:

»Ihr wißt doch, daß es euch immer schlecht bekommt!«

Da fingen die beiden derart an zu lachen, daß es sie nur so beutelte. Angesichts des strafenden Ausdrucks ihrer Frau Mutter senkten sie jedoch die Köpfe. Der Edelhirsch aber erzählte, indem er statt eines Dragonertones seinen Jägerton gegen den Musikton der Frau Großherzogin anklingen ließ, die Nimrode hätten sich einmal derart »überäst«, daß sie ihre Äsung herausgewürgt, wie ein Raubvogel sein Gewölle.

Darauf geschah Außerordentliches: als ob Seine Königliche Hoheit kommandiert: »Legt an – Feuer!« platzte eine Lachsalve los. Dann war jähe Stille, nur die beiden Nimrode würgten über ihren Tellern, so daß ernstliche Gefahr bestand, sie möchten wirklich ihr Gewölle wiedergeben. Solches Lachen auf Feuerkommando schien üblich zu sein, denn bei jedem folgenden Scherz des Edelhirsches schmälte mit bellendem Laut die ganze Tafelrunde. Ausgenommen werden muß hiervon ausdrücklich die Frau Großherzogin und ihr Musikkreis, nämlich Kammerherr Freiherr Ludwig van Intervall und die Hofdame Gräfin Moll Inbrunst. Der Tenniskreis, Prinzessin Ulna und ihre Mitverbrannte Fräulein Elektrine von Racket, blieb neutral. Die Großherzogin, wie es schien, heute besonders gereizt, sagte zu Ernst dem Dritten, nicht ohne Seitenblick auf den Oberjägermeister Grafen Bärenfeist, dem auch die Hofküche unterstand:

»Ich bitte dich, lieber Vetter, erzähle nicht in Tillenau, wie abscheulich man bei uns ißt. Es gibt immer Wild. Höchstens mal Spiegeleier. Das ist die ganze Kunst. Aber was soll man von Jägern erwarten? Du bist ja natürlich ganz anderes Essen gewöhnt!«

Sie sagte das, als speise man hier sozusagen im Wirtshaus, während doch anderwärts die Hausfrau eigentlich selbst verantwortlich schien. Ein lehrreicher Blick in das Wesen der Fürsten, die, gleichsam auf derVeranda lebend, in allem, was dort nicht erledigt werden kann, von anderen abhängig sind. Aber Ernst der Dritte behauptete, obwohl der Hirschrücken einen Höllenbrodem von Wildpretüberreife ausströmte, es schmecke ihm ausgezeichnet, übrigens sei er zu Hause nur einfache Kost gewöhnt. Als ihn nun die Frau Großherzogin Marie-Madrigal fragte, was er am liebsten äße, antwortete Seine Majestät zu aller starrem Staunen:

»Pamms!«

Wesenlose Gesichter waren die Antwort, denn in Walden wußte niemand, was das bedeutete. Als man nach der Tafel davonzog zum Äsen auf anderen Plätzen, flüsterte der Rauhreiter dem Könige zu:

»Darf ich Euer Majestät alleruntertänigst raten, unter keinen Umständen von Bremen zu sprechen.«

Ernst der Dritte war zwar verblüfft, aber da er die Ergebenheit seines Generaladjutanten kannte, beschloß er also, die freie Stadt Bremen unter keinen Umständen in den Mund zu nehmen. Am Ende hatte es einmal zwischen Senat und Großherzogtum eine Auseinandersetzung gegeben! Wer sollte es wissen?

Der Rex blieb bei den Herren, und zwar in des Großherzogs Bücherei... So wurde gesagt, obwohl auch hier Gehörne alle Wände bedeckten, und es keine anderen Bücher gab, als sämtliche Jahrgänge der allgemein verbreiteten Wochenschrift: ›Das Weidloch‹. Man tat sich nieder, nicht ohne Gefahr, denn das Gestühl war aus Hirschgeweihen zusammengebaut, deren Enden die Keulen und Federn des Sitzenden bedrohten.

Der König versuchte, da er der Jagd fernstand, mit dem Großherzoge von ihrem gemeinsamen Dienste zu reden, von Staatsgeschäften, Verwaltung, Gesetzgebung, Stellung der Bundesstaaten, Volksvertretung, Ministern und Hofchargen, aber vergeblich, denn der Edelhirsch nahm die Fährte nicht auf. Die Hinterläufe unter dem Tisch aus Hirschgeweihen, die ständig die Hosen bedrohten, in den Vorderläufen mit den glänzenden Schalen eine schwere Zigarre, neben sich den riesigen Oberjägermeister Grafen Bärenfeist, der die Hinterbranten gleichfalls unter dem Tisch hatte und in den Vorderbranten sein Kraut fürchterlich schwelen ließ, jagte der Großherzog, während die Herren die Lauscher spitzten, unverdrossen weiter. Er fand Schnitthaar, birschte sich an mit seinem glänzenden Äugen und dem berühmten Vernehmungs- und Witterungsvermögen.

Unterdessen fegten und schälten die beiden geringeren Hirsche, durch die bläuliche Tabakswolke einigermaßen gesichert, am Bücherschrank, ohne daß der Edelhirsch davon Wind bekommen hätte. Da wechselte Ernst der Dritte hinüber in den Saal nebenan, wohin er doch eigentlich gehörte, falls er sich heute abend noch der Prinzessin Ulna nähern wollte.

Er trat ein, unmerklich vom Rauhreiter gefolgt, trat auf den Zehen ein, denn am Flügel saß ein Befrackter und säuselte etwas, so weit vorgebeugt, daß ihm die gewaltige Mähne über das Gesicht fiel. Neben ihm stand die junge Gräfin Moll Inbrunst mit der Geige, den Bogen langsam so weit ausziehend, wie ihr Arm reichte, übrigens eigentlich gänzlich zwecklos, denn nun mußte sie ihn ebenso langsam wieder zurückführen. Die Frau Großherzogin lag in einem Lehnstuhl derart vergraben, daß der Hohlraum, über den die fünf Perlenketten lose hingen, völlig im Schatten blieb. Ihre Exzellenz die Frau Oberhofmeisterin Gräfin von der Pose dagegen saß, den Vorbau herausfordernd betont, gleich einer Schlafkranken unbeweglich da. Prinzessin Ulna und Fräulein Elektrine von Racket, hinter den beiden, machten den Eindruck völliger Teilnahmlosigkeit und Willenslähmung.

Zum Glück für die offenbar Erkrankten endete das Stück. Der Herr am Flügel erhob sich. Zwar hatte niemand geklatscht, doch er verbeugte sich berufsmäßig. Nun bat Kammerherr Freiherr Ludwig van Intervall, übrigens mit gänzlich unhöfischer Haarfülle, Seine Majestät, Höchstihm den Herrn Hofpianisten und Kammervirtuosen Moritz Tastenhauer vorstellen zu dürfen, den »jungen und unvergleichlichen Meister«. So sagte er wörtlich. Da geschah es, daß die Terz auf Ernsts des Dritten Wange plötzlich rot anlief: er wußte nämlich nicht, was er diesem Manne von ihm völlig unverständlichem Berufe sagen sollte. In solcher Not erinnerte er sich des Meisters, dessen »Feldeinsamkeit« ihn, nicht schwerer Musik, wohl aber dem Volksliede oder dem Gefühlsmäßigen zugänglich, oft bewegt, und nur um etwas zu äußern, fragte er Herrn Moritz Tastenhauer:

»War das, was Sie da eben spielten, nicht von Brahms?«

Die Wirkung ist einfach vernichtend zu nennen. Herr Moritz Tastenhauer zuckte schmerzlich zusammen. Gräfin Moll Inbrunst starrte, tödlich getroffen, den König an, indem sie zum erstenmal nicht verloren blickte. Die Oberhofmeisterin Gräfin von der Pose erhob sich, scheinbar bereit, jeden, der es wagen würde, den Namen Brahms noch einmal auszusprechen, mit ihrem Gewichte zu erdrücken. Auch Prinzessin Ulna und Fräulein Elektrine von Racket schienen aus ihrer Willenslähmung zum Bewußtsein zurückgekehrt; aber im Gegensatz zu den anderen spielte eine nur teuflisch zu nennende Freude um ihre Züge.

Das kurze Wörtlein Brahms hatte wie ein Bombeneinschlag gewirkt, denn, obwohl es der König nur mäßig laut gesprochen, mußte es dennoch die Großherzogin gehört haben. So bedauerlich es ist, der Verdacht kann nicht von der Hand gewiesen werden, Ihre Königliche Hoheit habe zu schlafen geruht, es sei denn, daß die Musik in der Erschütterten Nachklangsbilder erzeugt hätte. Sie richtete sich auf und fragte empört:

»Wer spricht von diesem Mann?«

Ohne Sorge können wir die Antwort Ernst dem Dritten überlassen, während der Kammerherr Freiherr Ludwig van Intervall verzweifelt in seine halbe Künstlermähne griff, die grau den glattrasierten Kopf umzitterte, und dem harmlos lächelnden Rauhreiter vorwurfsvoll zuflüsterte:

»Aber, Exzellenz, ich hatte doch noch dringend gebeten, Seine Majestät möchte unter keinen Umständen von Brahms sprechen! Ihre Königliche Hoheit die Frau Großherzogin ist überzeugte Wagnerianerin, sie geht jedes Jahr nach Bayreuth. Dort ist der Name Brahms verpönt – einfach verpönt!«

Nun ist anzunehmen, daß der Rauhreiter des Verhängnisvollen seiner Verwechslung nicht inne wurde, er, dem der Name Brahms nicht geläufig war, und der daher Bremen verstanden hatte. Auch Ernst der Dritte, der offenbar Landfriedensbruch begangen, wie schon einmal früher Landesverrat, faßte es in seiner graden Soldatenseele nicht, daß persönliche Verstimmung die Anerkennung hoher Kunstleistung beeinflussen könne.

Prinzessin Ulna war es nun, die Seine Majestät rettete. Als der Rauhreiter, angesichts der schweren Lage, die er selbst geschaffen, den Musilkammerherrn stehen ließ und kurzerhand zu den Jägern hinüberwechselte, zeigte sie Seiner Majestät die anstoßenden Gemächer. Fräulein Elektrine von Racket folgte ihnen, und am Ende der Saalflucht schloß sie einfach die Türen hinter den beiden und stellte sich davor, als wollte sie niemanden hineinlassen.

Wer soll nun sagen, was König und Prinzessin, Rittmeister und Tennisspielerin miteinander geredet haben? Gewiß ist: sie blieben lange aus. Inzwischen trillerte Gräfin Moll Inbrunst Paganinis Teufelstriller, Herr Hofpianist und Kammervirtuose Moritz Tastenhauer, wildbebuscht, hämmerte mit dem Kammerherrn Freiherrn Ludwig van Intervall, graugemähnt, dessen Opus 708, die Sonate in Fis-Moll für zwei Klaviere. Ihre Königliche Hoheit die Frau Großherzogin Marie-Madrigal von Walden, geborene Prinzessin von Kanon, schlief mit geschlossenen, Ihre Exzellenz die Frau Oberhofmeisterin Gräfin von der Pose mit offenen Augen, und in der Bücherei rörte der Edelhirsch.

Als nun die negerartige Hofdame die Türflügel öffnete, an denen sie beschämenderweise gelauscht, traten zwei, wenn auch keineswegs etwa Beseligte, so doch immerhin Erleichterte heraus.

Darauf kehrte Seine Majestät reumütig zu den Jägern zurück und sagte leise zu seinem Generaladjutanten:

»Das Auto! Ich will sofort nach Tillenau zurück.«

Der Rauhreiter meldete betroffen, morgen sei Hoftafel vorgesehen im Jagdschlösse Nimrod des Ersten, genannt..., den Namen wagte er nicht auszusprechen angesichts eben gemachter Erfahrungen mit Bremen. Doch der König antwortete fast flehend:

»Sie müssen mir helfen... Erfinden Sie was... nur fort, fort...«

Wie nun der Himmel mit den Guten ist, so brachte in diesem Augenblick der alte abgekümmerte Kammerlakai Ehrfurcht auf silberner Platte zwei Drahtnachrichten. Die eine dem Rauhreiter, die andere dem Oberjägermeister. Exzellenz Graf Bärenfeist meldete dem Edelhirsch, auf dem Großherzoglichen Hofjagdalpenreviere »Gamsflucht« sei endlich jener Laubbock ausgemacht worden, der wegen seiner abenteuerlich starken Krickel längst alles wahre Jägerblut beunruhigte. Der Edelhirsch geriet darob in solche Erregung, daß er platzte und sofort abreisen wollte, aber der Oberjägermeister wies darauf hin, wie der hohe Besuch für morgen zur Tafel im Schlosse Wolfsgeheul Nimrods des Ersten geladen sei; so könne Seine Königliche Hoheit unmöglich flüchtig werden, ohne die guten Beziehungen zwischen Walden und Tillen zu gefährden.

Inzwischen hatte der Rauhreiter den heldenmütigen Entschluß gefaßt, koste es was es wolle, seinen Allerhöchsten Herrn zu retten. Zwar stand in der Drahtung Piephackes, der in Walden geblieben war, beauftragt, noch mehr Bilder der Prinzessin Ulna aufzutreiben: »Andere als wie mit Ballprügel nich zu haben. Piephacke.« Aber Seine Exzellenz fälschte das Telegramm und las es Seiner Majestät so laut, daß alle es hörten, dergestalt vor:

»Demission Ministerium bevorstehend. Sofortige Anwesenheit Seiner Majestät in Tillenau unumgänglich.

von Sturzacker, Staatsminister.«

Ernst der Dritte betonte, untröstlich, die Wichtigkeit von Staatsgeschäften. Der Edelhirsch stimmte ihm begeistert bei: ja die Pflicht vor allem. Nur die Frau Großherzogin begriff den schnellen Abschied nicht und sagte freundlich:

»Lieber Vetter, hoffentlich bist du auch satt geworden. Du weißt... bei Jägern... Aber du mußt wiederkommen!«

Der Prinzessin Ulna reichte der König verwandtschaftlich die Hand, wobei ihm, plötzlich krittlich geworden, jene unschöne Verdickung des Unterarmes eifriger Tennisspieler peinlich auffiel.

Als der Kraftwagen durch die Nacht der nahen Hauptstadt Walden entgegenraste, sagte der Rex zum Rauhreiter, der ihm seinen frommen Schwindel aufgedeckt:

»Dafür müßten Sie eigentlich eine Auszeichnung bekommen.«

»Habe ich schon bekommen, Euer Majestät, nämlich den Nimrod erster Klasse.«

Und wieder schloß Ernst der Dritte mit ein paar nachdenklichen Worten:

»Und ich einen Korb. Na, die Ungnädige blendet die Königskrone nicht. Sie spielt lieber Tennis. Wir hätten nicht zueinander gepaßt. Ein Haus, in dem man nur jagt, Musik macht und Tennis spielt, wo bleibt da der Dienst? Und dazu ist man heutzutage König, sonst hätten ja die Roten recht! Hat nicht übrigens auch jeder Mann seinen Typ? Sehen Sie die Mutter an. So wird Ulna auch einmal. Schwarz und konkav. In der Munde sind sie blond und konvex.«

Hier endet der Erzähler.

Hallali!

Die Jagd ist aus!


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