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Sechszehntes Kapitel.

Monate waren seither verstrichen und in reichem Frühlingsschmucke prangten Bäume und Büsche in dem Park, der das freundliche Schloß, das die Fürstin Lobkowitz bewohnte, umgab. Es war kein großes, aber desto behaglicheres Schloß, in französischem Styl gebaut, mit hohem Dache, über das sieben spitzige Thürmchen, ihm ein pittoreskes Ansehen gebend, emporragten. Auf einer Hochebene gelegen, umgeben von den strohbedeckten Hütten des kleinen Ortes, bot es eine freie Aussicht und einen weiten, unbegrenzten Horizont. Hart an die Anlagen stieß der Wald, an seinen Grenzen trieb die Traun schäumend über Felsgerölle ihr klares Gewässer, bis sie in verschiedenen Abstufungen sich brausend hinabstürzte und sprudelnd und zischend ihren Lauf fortsetzte. Hier saß Paula am liebsten und blickte hinab in die glitzernden Tropfen. Die gute alte Fürstin liebte sie in der That mit der ganzen Lebhaftigkeit ihres Wesens und ihre mütterliche Liebe hatte bisher ungekannt etwas Wohlthuendes für sie und doch war sie hier nicht glücklich, sie fühlte ihr Geheimniß nicht so sicher in dieser offenen Gegend, umgeben von beobachtenden Dienern. Es war von neuem ein Schein-Dasein, und das Gefühl davon lastete mit einem innerlichen unbewußten Druck auf ihr. Janos war zurückgekommen; er hatte es nicht lange ohne sie ausgehalten, der treue alte Bursche, selbst in der Heimat nicht. Ach, was er erzählt, hatte von Neuem die Hoffnungsfunken ausgelöscht, die sie heimlich angefacht. Wie zufällig war Janos dem Herrn in den Weg gekommen, der an einem Stock mühsam sich stützend aus dem Hause kam. Lange hatte er ihn angesehen, dann ihn hart angelassen: »Bist du nicht Janos, der Diener meiner – der Diener des gefallenen Wilmos von Simonitch?« Zitternd hatte Janos es bejaht. »Was treibst du dich denn hier herum? konnte dein Herr nicht für dich sorgen?« – »Ich fiel zitternd auf meine Knie,« erzählte Janos weiter, »und konnte nichts hervorbringen als: »Ach, gnädiger Herr – Verzeihung!« Er aber schwang den Stock und rief nur: »Mach, daß du fortkommst, Halunke, ich will dich hier nicht mehr sehen.« Damit ging er weiter. Verlegen drehte Janos die Mütze in der Hand herum und blinzelte unter seinen buschigen grauen Brauen zu Paula herauf. Hätte ich noch mehr sagen sollen? Ach, Euer Gnaden, der Muth fehlte mir, ich zitterte, nicht vor seinen Schlägen, aber vor einer Sie betreffenden harten Rede.«

»Nein, nein,« sagte Paula, »doch noch eins, wer sorgt für ihn, wer pflegt ihn, wenn er krank ist?«

»Die Leute, die ich sprach,« entgegnete Janos, »wußten nicht viel, der Herr kommt wenig hinaus, spricht mit niemandem und läßt niemand zu sich, aber einmal war es mir, als sähe ich das Gesicht der alten Französin, die Euer Gnaden in frühen Zeiten immer abrufen wollte, wenn ...«

»Gut, gut,« unterbrach Paula den Diener mit gepreßter Stimme, »geh jetzt heim, Alter, in den Hochwald, der Förster wird dich brauchen, ich komme bald nach.« Ein tiefes Weh zog durch ihr Herz und schnürte es gewaltsam ein. Ihr Vater war krank und allein, und sie durfte nicht zu ihm! Selbst das Gefühl des nahenden Alters konnte die Sehnsucht nach dem einstigen Liebling nicht mehr wecken.

Heute wollte sie der Fürstin die Nothwendigkeit, sie zu verlassen, auseinander setzen, diesen Vormittag noch, sie mußte zurück in ihre Berge, zurück in den dunkeln Wald, mußte wieder allein sein oder in den Hütten der Armen und Kranken hoch oben auf schwindelnder Bergeshöh'! Ein nie gekanntes Gefühl von bleierner Schwere in den Gliedern bedrückte sie seit einiger Zeit und sprach sich in ihrem Aeußern aus, über das eine vollkommene Veränderung ergangen. Es lag nicht allein in den frisirten gepuderten Haaren und den kurzen dunkeln Locken, die ihre Stirne fast bedeckten, nicht nur in dem weiten bauschigen Gewand, das ihre hohe Gestalt umgab und mit Spitzen besetzt nur einen Theil der schlanken Büste und der Arme frei ließ, es lag in der müden, etwas vorgebeugten Haltung, dem durchsichtigern bleichen Teint, dem trüben Schein der Augen, und doch breitete dies alles gerade einen Hauch der Weiblichkeit über sie aus, die mehr im Ausdruck, als in den äußern Formen lag, welche, wenn auch nicht der Grazie, doch der Rundung entbehrten. Langsam schritt sie, vom Hause kommend, den Parkweg entlang auf die Fürstin zu, welche auf einer Bank unter einer Esche die Frühlingsluft genoß. Diese ging ihr einige Schritte entgegen und legte den Arm in den ihrigen; eben wollte Paula ihre Absicht, zurückzukehren, vorbringen, als Wenzel sich der Gebieterin nahte und ihr mit tiefer Verbeugung eine Karte überreichte. Schnell überlas die Fürstin die wenigen Worte und rief mit fast jugendlicher Lebhaftigkeit: »Er soll kommen, führe er ihn sogleich hierher – wie mich das freut.«

Eine Männergestalt in voller Uniform näherte sich; wie ein Nebel lagerte es sich über Paula's Augen, – war es ein Traum, war es Wirklichkeit – diese alle überragende Größe des Wuchses, dieses edle Gesicht mit dem vollen Schnurrbart ... Wohin konnte sie fliehen, wo sich verbergen?

»Kind, was ist dir,« sagte die Fürstin, »du zitterst?« Allein Paula war zu sehr Meister geworden in der Kunst, sich zu beherrschen, um sich zu verrathen.

»Nichts, nichts,« murmelte sie, »nur das Ungewohnte eines Besuches ...«

Sie konnte nicht vollenden: nach einer förmlichen Verbeugung sagte die Fürstin, auf den Ankommenden deutend: »Paula, ich habe die Ehre, dir den Herrn General Grafen von Falkenstein vorzustellen.«

Paula machte der Sitte der damaligen Zeit gemäß ebenfalls eine förmliche Verbeugung, während die alte Dame, den Besuch in den Empfangssalon des Schlosses leitend, sich mit der angeborenen Sicherheit einer vornehmen Weltdame an denselben wandte.

»Ich bekam Ihren Brief gestern, Herr Graf, und freute mich, daraus zu sehen, daß Ihre Eltern eine verschollene alte Jugendfreundin nicht vergessen haben. Wenn ich Sie sehe,« fuhr sie lächelnd fort, »so scheinen fünfzig Jahre meines Lebens weggewischt und ich fühle mich zurückversetzt in die Zeiten, wo Ihr Herr Vater, ein junger schöner Mann, meinem Herzen sehr theuer war.«

»Er, wie meine Mutter sprachen stets mit der größten Hochachtung von Ew. Durchlaucht, so daß ich, nun ich in Salzburg stationirt bin, es mir nicht hätte nehmen lassen, meine Aufwartung zu machen,« entgegnete der Graf; während seine Blicke wiederholt auf Paula ruhten, die schweigend Platz genommen; konnte er den Sturm in ihrem Innern sehen, indessen ihre Blicke wie mechanisch auf dem geliebten Antlitz ruhten?

»Ist es schon lange her, daß Sie nicht mehr daheim waren?« frug die Gräfin, »bitte, erzählen Sie mir viel von den Ihrigen! Ihr Vater ist todt, nicht wahr seit geraumer Zeit? Und Ihre Mutter? ...«

»Lebt fast ununterbrochen auf der Falkenburg, unserm Familiensitz,« entgegnete etwas zerstreut der Angeredete, »nichts, selbst der lange Krieg vermochte sie, die ziemlich abgelegene Burg zu verlassen, wo sie wie eine wohlthätige Fee herrscht.«

»Daran erkenne ich meine Gisela,« sagte lebhaft die Fürstin, »muthig und entschlossen und dabei voll edler Weiblichkeit, so wie du, meine Paula.« Dabei wandte sie sich an diese, um auch sie in das Gespräch zu ziehen, und erläuternd fuhr sie fort: »Meine junge Freundin hier gehört nämlich auch zu dieser Art Frauen, wie wir sie in den schweren Kriegszeiten so gut brauchen können, und ich habe alle Ursache, sie zu segnen, da ich ihrer Entschlossenheit mein Leben, ihrer sanften weiblichen Pflege aber meine Gesundheit verdanke.«

Wieder richteten sich die schönen blauen Augen voll Interesse auf Paula.

»Die Frau Fürstin,« versetzte sie leise mit etwas unsicherer Stimme, »macht viel zu viel Aufsehens von einer unbedeutenden Hülfe, die ich zu gelegener Stunde so glücklich war, ihr bringen zu können.«

»Du bist immer zu bescheiden,« sagte die Fürstin und sich wieder zum Grafen wendend: »Sie müssen schon einer Greisin, die so fern ab von jeder Verbindung mit der Welt lebt, einige Fragen zu Gute halten. Ist noch jemand bei Ihrer Mutter? eine Tochter – ein Sohn?«

»Meine beiden Schwestern sind vermählt – Therese ...«

»Ach ja,« unterbrach ihn die Dame, »das ist ja die Wittwe meines seligen Neffen, die ich leider nie kennen lernte; sie ist, wie ich höre, in Prag geblieben, indessen meine Schwester mit ihrer Tochter neuerdings ihren Wohnort in Linz aufgeschlagen hat.«

»So ist's,« bestätigte Max, »meine jüngste Schwester Gabriele ist die glückliche Gattin des Grafen Karl Nostiz, derzeit Gesandter in Rom. Leider sind sie eben zu weit entfernt, um meine gute Mutter besuchen zu können. Therese dagegen kommt häufig mit den Kindern und belebt die stillen Räume der alten Burg. Ich selbst war seit dem Frieden nur einmal dort.«

»Und während des unseligen Krieges wohl gar nicht?« frug die Fürstin.

»Damals traf es uns ein paar Mal, daß wir die Winterquartiere in der Gegend bezogen. Das war eine schöne Zeit! Kommt man dann nach langen Jahren wieder, so ist immer mit dem Wiedersehen bekannter Gegenden eine gewisse Wehmuth vermischt, Menschen, die damals lebten, sind todt, andere fort, es sind nur die Räume geblieben.«

Die Unterhaltung ging jetzt wieder auf alte Zeiten über, aber der Graf war auffallend zerstreut, und immer wieder ruhten seine Blicke auf der Gesellschafterin, und suchten sie in das Gespräch zu ziehen. Nach einer Stunde erhob er sich, und mit tiefer Verbeugung der alten Dame die Hand küssend, dankte er für die gnädige Aufnahme, die er gefunden. Sie entließ ihn nur unter der Bedingung, bald und oft wiederzukehren.

»Sie müssen uns schon ein bischen aus unserer Einsamkeit herausreißen, zu der besonders meine Freundin einen so großen Hang hat, daß es ihr, wie ich fürchte, sogar hier zu wenig einsam ist.«

»Sie leben nicht immer hier, gnädiges Fräulein?« richtete sich jetzt Max direkt an Paula.

»Nein,« entgegnete diese, »ziemlich entfernt von hier habe ich meine Heimath tief im Hochwald und gedenke mit Nächstem wieder dahin zurückzukehren.«

»Wenn ich es zugebe,« rief die Fürstin, »ich lasse dich nicht fort, mit tausend Banden werde ich dich an mich zu fesseln suchen.«

Max war fort und Paula auf ihr Zimmer geflüchtet. Er hatte sie nicht erkannt und sie hatte ihn wieder gesehen, sie hätte es hinausschreien mögen in ihres Herzens Wonne, ihres Herzens Weh! so nah bei ihm und doch so unermeßlich fern. Sollte sie jetzt fort? ach, nur jetzt noch nicht, noch einmal mußte sie ihn sehen, ihn sprechen hören! Sie vergrub das schmerzende Haupt in die Kissen und vergegenwärtigte sich jeden Blick, jedes Wort, das er gesprochen, vergebens warnte die Vernunft sie vor dem längern Bleiben, vor dem erneuten Kampfe mit der Lüge. Denn war es nicht wieder Lüge, fremd vor ihm zu sitzen, mit ihm zu reden, mit dem ein enges Freundschaftsband sie einst verknüpfte? Das Herz hörte nicht auf die warnende Stimme – wann hätte ein armes verblendetes Weiberherz dies gethan?

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