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Achtes Kapitel.

Mit sinnreicher Sorgfalt und Anmuth hatte Gabriele, den ganzen Morgen Treppen auf- und absteigend, Laubkränze an Thüren und um die alten Ahnenbilder befestigt und die letzten Blumen des scheidenden Sommers aus dem künstlich gehegten Garten geholt, um sie zu malerischen Bouquets in die kostbaren Sèvresvasen zu ordnen. Ueberall hörte man den elastischen Tritt ihrer hohen Stöckelschuhe. Ueber dem aufgebauschten Kleid trug sie leicht übergeworfen ein weißes Peignoir mit Spitzen um den Hals und den Aermeln, die lose den runden weißen Arm abwechselnd bedeckten oder verhüllten. Die vollen, etwas röthlichen Haare waren noch ungepudert und hingen nur leicht gehalten herab. Prüfend, das feine Kinn in die Hand gestützt, stand sie im Salon vor einer großen Vase, die auf einem Gueridon mit drei vergoldeten Löwenpratzen als Untergestell vor dem kleinen Ecksopha stand. – »Wo nur Karl wieder den ganzen Morgen steckt?« begann das Selbstgespräch ihrer Gedanken. Ihr Vetter Karl, Graf Nostiz, hatte seit einem Jahr seine diplomatische Carrière in Paris begonnen, und seit wenigen Tagen von da zurückgekehrt, war er jetzt ihr erklärter Verlobter. Sie liebte ihn mit der Macht der Gewohnheit herzlich, jedoch ohne Leidenschaft; stürmisch drang er nun auf die Bestimmung des Hochzeitstages, von dem ihre ruhige Kinderseele jedoch noch nichts wissen wollte. Sie war noch so glücklich bei Mama; erst seit kurzem wieder daheim, wollte sie die Heimath noch recht genießen. Karl war ja jetzt bei ihr, sie war ja so schön, die frohe Zeit des Brautstandes. Vielleicht erinnerte sie aber nun das zärtliche Schäferbild aus Aquarell, das von der Wand aus kunstvoll geschnitztem Goldrahmen auf sie herabsah, daß sie schon den ganzen Morgen allein war, und erweckte jene Frage. Als hätten die Lüfte sie weiter getragen, öffnete sich die Thüre und ein zierlicher junger Cavalier trat ein. Die Haare leicht gepudert, mit Spitzen, Jabots und Manschetten an dem eleganten Hauskleid, bot er das Bild eines schönen vornehmen Cavaliers jener Zeit. Ein kleines Bouquet in der Hand schritt er auf Gabriele zu, die ihm freudig entgegen kam.

» Bon Jour, ma chérie,« sagte er, ihre Fingerspitzen an die Lippen führend, »schon so früh thätig? Haben unruhige Träume meine angebetete Cousine gestört?«

»Lieber Vetter,« entgegnete Gabriele lachend, »ich bitte dich, wenn wir gut Freund bleiben wollen – sei nicht so gespreizt! nichts bon jour und ma chérie – wir sind in Oestreich und nicht in Paris und ich bin nicht Madame de Pompadour, sondern dein Mühmchen und deine verlobte Braut.« Damit stellte sie sich auf die Zehen und bot ihm den rosigen Mund zur Entschädigung für die strenge Strafpredigt, die ihm soeben entflossen, zum Kusse hin.

»Gut gesprochen,« sagte in natürlichem Tone der junge Mann, von der gegebenen Erlaubniß reichlichen Gebrauch machend.

»Mein Gott,« rief in komischem Erstaunen Gabriele, sich seinen Umarmungen entwindend, »wie schön du schon bist, da muß ich schnell fort und meine Staatsrobe anziehen und meine Haare pudern und aufthürmen lassen.«

»Nein, nein, Herzensbräutchen,« bat der junge Mann, sie sanft auf das kleine Ecksopha niederziehend, »du bist reizend in diesem Negligé, mit den ungepuderten Locken, laß uns noch ein wenig plaudern in dem Schatten dieses riesigen Bouquets.« Und sein hübsches Antlitz zu ihr herabbeugend, die sich willig seiner Bitte gefügt hatte, frug er leise flüsternd: »Sind diese festlichen Vorbereitungen zu unserm Hochzeitstag bestimmt?« Erröthend schlug sie ihm mit dem kleinen Bouquet leicht auf die Hand, die mit der ihrigen spielte. »Macht erst Frieden, Ihr Herren Diplomaten,« sagte sie, »hernach denkt an Hochzeiten.« »Was kann ich dafür, wenn die Kaiserin durchaus ihre Provinzen wieder haben und der Preuße sie nicht wieder hergeben will,« entgegnete mit komischem Pathos der junge Diplomat. »Um den Krieg abzukürzen, haben wir ja die Bündnisse angeknüpft mit der halben Welt, haben selbst an die Pompadour geschrieben.«

»Wozu Ihr unsere herrliche Kaiserin nie hättet verleiten sollen,« eiferte Gabriele, »überhaupt kommt es mir oft vor, als wären die Reiche ein verwirrter Strang Seide, den die brave Armee mit dem Schwert zu entwirren sucht, während Ihr Diplomaten die Knoten immer fester zuzieht; unsere Bündnisse haben uns nicht viel genützt und nur die Sache noch mehr verwickelt. – Aber du willst wissen,« unterbrach sich die kleine Politikerin, der ihr Verlobter mit lächelndem Entzücken ins glühende Gesicht schaute, »für wen diese Vorbereitungen sind? Du weißt ja, daß meine arme Schwester kommt mit ihren Kindern; die Aermste soll doch nach dem vielen Leid, das sie erduldet, in der Heimath einen festlichen Empfang finden!« »Ja so,« unterbrach Karl sie, ein leises Gähnen unterdrückend, »und Baronesse Sidonie Hohndorf, ihre Schwägerin – das ist eine Zugabe, die ich gerne geschenkt hätte, ich kenne sie von früher, eine langweilige Coquette, ich werde dich nun sobald nicht mehr ungestört haben. – Apropos, Kind, du hast mich noch nicht auf dein Atelier geführt, ich möchte doch sehen, was du bei dem Wiener Maestro gelernt hast. Jetzt haben wir noch zu guterletzt ein ruhiges Stündchen dazu.«

Auf ihre stumme Zusage bot er ihr den Arm und sie wandelten zusammen in das Zimmer, das sie sich des günstigen Lichtes wegen zum Atelier erwählt. – Verschiedene Studienköpfe und größere und kleinere Bilder hingen oder standen an der Wand, unter dem Fenster, dessen untere Parthie, um Oberlicht zu gewähren, verhüllt war, standen einige kleine Fauteuils – ein Tisch war bedeckt mit Malgeräthschaften, Früchten und Blumen, wie sie eben gedient. »Wie künstlerisch es hier aussieht,« sagte Karl, sich umsehend, »fast etwas zu künstlerisch, überall fürchtet man sich zu beschmieren und da einen Pinsel, dort einen öligten Lappen herunterzustreifen, und der Duft nach Oel und all den Utensilien« – er hielt sich das spitzenbesetzte Battisttuch vor die Nase.

»O des zierlichen jungen Cavaliers,« lachte ihn seine Braut wieder aus, während er mit Aufmerksamkeit die Bilder musterte. »Wer,« begann er, allmälig wieder in seinen natürlichen Ton verfallend und sich neben Gabriele auf einem der Fauteuils niederlassend, »wenn ich fragen darf, ist denn dieser schwermüthige Jüngling in Uniform, dessen Augen wirklich mit einer Kunst gemalt sind, die mich noch mehr freuen würde, wenn der Gegenstand statt eines schönen jungen Mannes ein junges Mädchen wäre.«

»Das ist jener kühne junge Mensch,« entgegnete Gabriele, »der uns damals in Baden das Leben gerettet.« –

»Das ist ganz schön von ihm,« erwiederte Karl etwas gereizt, »und es scheint, daß Gräfin Gabriele zum Dank dafür ein ungewöhnliches Interesse für ihn an den Tag legt. Was er that, hätte jeder gethan, und sein Glück gepriesen, das ihm eine so günstige Gelegenheit, zwei schönen Damen zu dienen, in den Weg führte.«

»Es hätte dies aber wohl nicht jeder mit dem gleichen Geschick und der gleichen Entschlossenheit gethan,« eiferte Gabriele.

»Es scheint mir dem ungeachtet ziemlich unnöthig, daß du ihn malst,« wandte Karl ein, etwas heftig an den Spitzen seiner Manschetten zupfend. »Wo hast du ihn denn überhaupt länger gesehen?«

»Hier im Schlosse,« erwiederte lachend Gabriele, »nur nicht aus der Fassung kommen, mein schöner Vetter, das darf ein Diplomat nie. Er ist Maxens bester Freund, ein junger kroatischer Graf Simonitch, der, von Max eingeführt, letzten Winter einige Mal hier war. Ich bat ihn, mir einige Stunden zu sitzen, da ich ihn zum Andenken an jene Scene malen wollte, ja schon damit angefangen hatte, da der eigenthümliche Ausdruck seines schönen Gesichtes mich interessirte.«

»Das nenne ich aufrichtig,« meinte Karl schmollend, »fast zu aufrichtig, um meine Eifersucht zu erwecken.«

»Da ist auch kein Grund vorhanden,« sagte Gabriele, treuherzig in die Augen ihres Bräutigams sehend, »er ist Maxens Freund und mein Lebensretter, zwei Ursachen, um ihm freundlich entgegen zu kommen, und außerdem erweckt ein inniges Mitleid mit ihm mein Interesse.«

»Warum denn Mitleid,« fragte Karl, noch immer nicht ganz zufrieden, »aus Mitleid kann sehr leicht Liebe entstehen, ich liebe solche mitleidige Gefühle nicht an meiner Braut.«

»Sie brauchen dich aber nicht zu beunruhigen, mein theuerer Karl,« sagte Gabriele etwas ernsthafter, »würde ich so offen davon sprechen, wenn ich meiner Gefühle nicht ganz klar wäre? und daß ich sein ausdrucksvolles Gesicht zu malen wünschte, das mußt du der Künstlerin zu Gute halten.«

»Und dem etwas romantischen jungen Mädchen das Mitleid?« unterbrach sie in versöhnterem Tone ihr Bräutigam; »das merkte der junge Fant, und sah noch melancholischer aus.«

»Nein, nein,« eiferte das junge Mädchen, »er ist gar nicht so, daß er nur den Versuch machte, mit mir zu coquettiren, er hielt sich so fern von mir, als dürfe er gar nicht wagen, sich mir zu nähern, und nur meine Freundlichkeit machte ihn zutraulicher, obwohl er mir nie seinen Kummer vertraute. Allein es scheint uns, denn ich sprach häufig mit Max darüber, der, obwohl sein Freund, auch nicht viel mehr weiß, daß der Hauptgrund in dem Verhältniß zu seinem Vater liegt, dessen er nie erwähnt.«

»Wie könnt Ihr denn so etwas vermuthen?« erwiederte trocken Karl, »Schulden wird das Herrchen haben, und Ihr mit Eurer Romantik habt gleich etwas anders daran hingebaut.«

»Das ist es aber nicht,« entgegnete Gabriele, »denn er habe immer, was er braucht und habe überhaupt bei seinem einsamen träumerischen Wesen nicht viel kostspielige Bedürfnisse. Nein, nein, es muß etwas anders sein – nämlich, denke, gerade während er hier war, kamen zwei kroatische Regimenter hier durch – die bestgeführten waren es, das muß ich zugeben – aber wie strenge sah auch ihr oberster Führer, General Simonitch, aus! ich versichere dich, mir schaudert noch, wenn ich ihn vor mir sehe,« und als durchzöge ein kaltes Frösteln ihren Körper, hüllte sie sich in ihren Peignoir.

» Par exemple ihn maltest du nicht,« bemerkte Karl lakonisch.

»Gewiß nicht,« entgegnete die junge Dame naiv, »ich hätte mich vor meinem Bilde selbst gefürchtet, und doch, der Ausdruck, mit dem er auf seinen Sohn blickte, als dieser sich bei ihm meldete, – ich sah es zufällig – wäre für einen Künstler ein interessanter Stoff gewesen, eine Mischung von Liebe lag darin und von Stolz, als er auf die dekorirte Brust des Jünglings sah, und doch auch wieder Zorn und – Verachtung sogar – was kann es nur sein!« Träumerisch blickte sie auf das Bild und sagte dann wie zu sich selbst: Armer Wilmos! wir sprachen einmal von so mancherlei Unglück, dessen es gegenwärtig so vieles gibt, und welches wohl am schwersten zu tragen sei, da sagte er: › Es gibt nur ein Unglück, das ist die Reue, die tief im Herzen nagt.‹ Er kann doch nichts Böses gethan haben, mit diesen sanften Augen!«

»Du romantische kleine Närrin,« scherzte Karl, indem er sich erhob und sich mit den verschiedenen Gegenständen auf dem Tisch und den Consoles zu schaffen machte, »aber was hast du denn da für horrible Gesichter?« und mit den Fingerspitzen sie behutsam berührend, nahm er aus einer Schachtel Figuren aus Thon gebildet, Rothmäntel darstellend, hervor, lachend jede einzelne der wilden Gestalten mit einer besondern Bemerkung vor sich aufstellend, »hübscher Bursche du im rothen Mantel, ich fasse dich auch lieber an, als daß du mich angefaßt – und da kommt Einer in einem grünen Rock – der sieht etwas civilisirter aus – woher hast du denn diese schönen Modelle? warum hast du denn die nicht gemalt? sind die etwa auch in Verbindung mit jenem Bild?«

»Richtig gerathen,« erwiederte schelmisch lachend Gabriele, »nun sieh einmal, jetzt hast du den hübschen Mann in dem zerfetzten Mantel hingeworfen, fast wäre er zerbrochen.«

»Aber hat denn ein boshafter Kobold die Hand im Spiele, daß alles sich auf jenes vermaledeite Bild bezieht,« fuhr etwas unwirscher, als sonst in seiner Art lag, der junge Diplomat auf.

»Sachte, sachte, mein Herr Gesandter,« scherzte Gabriele, ihn wieder auf den Stuhl niederdrückend, »und ich will dir alles haarklein erzählen: Da war eine arme Töpferfamilie in das nächste Dorf gezogen, kurz ehe eine wilde Bande, zu der diese Schaar hier auch gehörte, hier vorüber kam, ihren Weg mit Feuer und Grausamkeiten bezeichnend; Max, der mit seinem Regiment in Winterquartier in der Gegend lag, wohnte bei uns, sein Freund Wilmos dagegen war in jenem Dorfe einquartiert und sprach mir gelegentlich eines Besuches von jenen armen Leuten, die durch den Krieg um fast alles gekommen waren; daß er selbst bei verschiedenen Gelegenheiten rettend eingeschritten, das sagte er mir nicht, sondern Max und die Leute selbst,« – »die ein gewisser kleiner blonder Engel dann genährt und gekleidet hat« – warf Karl dazwischen, ihre Hand küssend.

»Unterbreche mich nicht und mache dich auf noch mehr gefaßt,« sagte sie mit komischem Ernst, ein verschlossenes Kästchen öffnend und ein Papier herausziehend.

»Die Truppen und jene Banden waren längst fort, als eines Tages jener Töpfer bei mir gemeldet wurde, ich ließ ihn vor mich kommen, er trug diese Schachtel unter dem Arm und packte sie sofort aus, wahrend er mich bat, ihm zu erlauben, seinen Wohlthätern, hier meinte er mich und Wilmos, damit ein Geschenk machen zu dürfen; aus Thon habe er diese wilden Gestalten, vor deren Brutalität ihn der Herr Graf gerettet habe, indem er zwischen sie gefahren sei wie der Erzengel Gabriel, gebildet, jede sei ein Porträt, und sieh nur her, der Mann hat ungewöhnliches Talent, man sieht, wie tief sich diese schrecklichen Gesichter seiner Phantasie eingegraben.«

»Bei dir bedurfte es keines schrecklichen Gesichtes,« neckte Karl, sie von der Seite betrachtend, »so besitzt Ihr also gemeinschaftlich diese interessante Bande? du und jener melancholische Wilmos?«

»Ja,« entgegnete Gabriele, »und er will mir nicht einmal seine Hälfte abtreten, sieh, was er mir durch Max sagen läßt: ›Etwas gemeinschaftlich zu besitzen mit einem so reinen sonnigen Wesen wirft einen kleinen Strahl auch auf mein umdüstertes Dasein und erinnert mich an frohe Stunden, in denen es mir vergönnt war, mit ihr Glück und Segen zu spenden.‹ Ist das nicht lieb gesagt?«

»Ich glaube gar, der Knabe ist in deine reizende Visage verliebt,« versetzte Karl, »jedenfalls wirst du ihm deinen Antheil überlassen, denn wie würden diese furchtbaren Dinge in unsern eleganten Salon mit den zierlichen Gueridons und Dresdener und Sèvres Porzellanfiguren passen, meine neuen Watteaux würden sich fürchten davor.« Und etwas verächtlich schob er die Kunstwerke von sich, nahm Gabriele an den Arm und geleitete sie bis an ihr Zimmer, wo die Zofe ihrer harrte. »Ich werde indessen das schöne Duo auf der Flöte einüben, das ich von Paris mitgebracht habe, damit wir den Abend vor Mama uns produziren können.«

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