Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Baden bei Wien! Du liebliche Perle unter den schönen Gegenden meines engern Vaterlandes! Zufluchtsort so manches abgeschafften, abgearbeiteten Städters, der Ruhe sucht in der stillen Einsamkeit deiner schattigen Alleen, so manches Kranken, der Heilung hofft und Linderung für seine Leiden von deiner Quelle! schönes Helenenthal mit deinen Bergabhängen und dichten, tief-grünen Wäldern mit den alten grauen Burgruinen, reizendes Mödling mit deinen freundlichen kleinen Landhäusern, zwischen grünen Bäumen versteckt da und dort hervorlugend wie frohe Kindergesichter, – ich sehe Euch wieder vor mir, sehe dich in deiner tiefen Waldeinsamkeit, Heiligenkreuz, mit deiner schönen Klosterkirche und dem Kreuzgang, den die reiche Phantasie meiner Jugend mit frommen Mönchen bevölkerte – du paradiesisch schönes Thal, du stehst vor mir zu einer Zeit, da noch keine Eisenbahnzüge Schwärme von Fremden brachten, da noch keine großen Hotels manchen stillen grünen Platz mit Lärm erfüllten und reiche Paläste die einfachen Landhäuser ersetzten und der Luxus und die mannigfaltigen Bedürfnisse der großen Stadt Ruhe und Einsamkeit und das einfach ländliche Stillleben vertrieben.

An jenem schönen Herbsttag des Jahres 1757, auf den mich meine gesammelten Schriften und Notizen zurückführen, mag die Stille und Ruhe des alten Badens und seiner schönen Umgebung nicht so groß wie sonst gewesen sein. Kaiserin Maria Theresia hatte sich nach Erholung gesehnt von schweren Regierungsgeschäften und dazu die Heilquelle Badens aufgesucht. Die Gegend hallte nun wider von lustigen Fanfaren und Festzügen, denn wer konnte, war der Monarchin nachgezogen, sie zu beobachten, ihr nahe zu sein, wenn sie für kurze Zeit nur Mutter und Gattin war, wenn sie selbst Lustparthien in die nahen Wälder angab, zu Fuß, zu Wagen oder zu Pferd, und sich mit ihren Kindern der herrlichen Natur erfreuend, all' die Drangsale und schweren Sorgen für kurze Zeit zu vergessen suchte. – Eine Jagdparthie ist heute angeordnet worden auf einem der mit Wald bedeckten Berge, doch ist es kein wildes, mörderisches Treiben, eine muntere Lustparthie nur, wo Menschen und Thiere sich freuen dürfen. Freudiger als bei jeder ernsthaften Jagd ertönt das Hussah der Jäger, denen das nur Zum Schein gehetzte Wild leicht und munter entflieht. Die stille Klause unten und die alten Bäume oben wundern sich ob des ungewohnten Lärms und neigen ihre Zweige vor all den vornehmen Gestalten. – Zwei junge Damen waren dem fröhlichen Zug in munterem Geplauder weit vorangeschritten, bergan immer weiter in den Wald hinauf. Zwei holde Waldgöttinnen schienen sie, in ihrem reichen Jagdgewand, die grünen Hütchen keck auf den gepuderten Locken. Plötzlich hielt die Kleinere von den Beiden im Steigen inne. »Kaiserliche Hoheit,« sagte sie etwas unruhig, »wir sind zu weit voraus, ich höre niemand mehr, es ist alles so still und ich weiß auch nicht recht, wo wir sind, ich glaube, wir hätten uns nicht von den Andern trennen sollen.«

»Furchtsames Närrchen,« erwiederte die Angeredete, die Andere mit sich ziehend, und nach einer Lichtung des Waldes weiterschreitend, »mir ist wohl hier in dieser Stille! wie gerne streife ich sie einmal ab, die lästigen Fesseln der Etikette, und genieße die Freiheit! es ist so schön hier, wie bald wird es anders werden! in den nächsten Tagen gehen wir wieder nach Wien, bald ziehe ich ganz fort in eine neue unbekannte Heimat, und du kehrst zurück ins Mutterhaus.«

»Ja, zurück zur lieben theuern Mutter,« entgegnete das liebliche junge Mädchen, und ein Ausdruck seliger Freude schimmerte feucht in den blauen Augen. Wieder stand sie still und hielt ihre Begleiterin am Arme zurück. »Da steht jemand,« flüsterte sie leise, »an jenem Baume, dort auf dem steilen Felsen, der so unheimlich schroff zum Thale abfällt.«

»Den Felsen nennt man den Jungfernsprung,« entgegnete die Fürstin, die Bemerkung ihrer Begleiterin überhörend und den Fremden nicht sogleich gewahrend, »da soll sich vor alten Zeiten eine Jungfrau hinabgestürzt haben – richtig, das ist der Platz –« ein kleiner Laut der Ueberraschung entfuhr ihr, denn auch sie gewahrte den einsamen Jüngling, der dort auf dem Felsvorsprung stand.

»O Gott,« rief ihre zartere Begleiterin, die den Fremden nicht aus den Augen verloren hatte, »wie weit er sich hinauswagt – jetzt schaut er gar hinab in die schwindelnde Tiefe! mir selbst schwindelt.«

»Er tritt schon wieder zurück,« beruhigte die Freundin, »ich weiß jetzt auch, wer es ist, er ist Fähndrich bei unserer Wache, ich sah ihn gestern aufziehen, da schon fiel mir sein schönes, ungewöhnlich ernstes Gesicht auf.«

»Ich möchte ihn malen so, wie er jetzt wieder am Baume lehnt,« flüsterte die junge Hofdame, wieder beruhigt, »möchte das Räthsel, das in diesen dunkeln Augen liegt, auf die Leinwand zaubern.«

»Du bist doch die echte Künstlerin, meine kleine Gabriele,« scherzte leise die Fürstin, »da du jedoch jetzt nicht malen kannst, wollen wir ihn fragen, wo wir wieder zum Hauptweg kommen.«

Sie traten Beide hinter dem Gebüsche, das sie verborgen hatte, vor, zu gleicher Zeit vernahm man entfernte Fanfarenklänge – eben wollte Gabriele den Jüngling, der überrascht grüßte, ansprechen, als es im Dickicht ihnen gegenüber raschelte, die Zweige brachen krachend zusammen, und ein von dem Lärm aufgescheuchter Eber mit spitzen Fangen stürzte hervor, die entsetzten Mädchen waren verloren, wenn nicht mit rascher Geistesgegenwart sich der Jüngling zwischen sie geworfen hätte; den gezogenen Degen dem wüthenden Thier entgegenhaltend, rannte dasselbe in blinder Wuth in die Waffe. Todtenbleich lehnte die Erzherzogin an einem Baumstamm, während Gabriele ohnmächtig ihr zu Füßen lag.

»Wie soll ich Ihnen danken,« stammelte die junge Fürstin noch ganz verwirrt vom Schrecken, »ohne Sie waren wir verloren.«

»Was ich that, war so natürlich, daß es keines Dankes bedarf,« entgegnete der Jüngling mit einer Stimme, deren eigentümlicher Klang unwillkürlich die Fürstin, die sich zu der ohnmächtigen Gabriele niedergebeugt hatte, aufschauen machte.

»Was mache ich nur mit meiner armen Freundin?« sagte sie besorgt, »sie scheint ganz leblos.« Vergebens versuchte sie, dieselbe in eine bequemere Lage zu bringen. Sanft hob der Jüngling die Daliegende auf, und während er behutsam ihr Haupt auf ein weiches Mooslager zu betten suchte, löste die Erzherzogin mit zärtlicher Sorgfalt den Hut und hielt ihr ein kostbares Riechfläschchen vor. Indessen kamen die Stimmen und Fanfarentöne immer näher, menschliche Tritte machten sich Bahn durch das Gebüsch und ein junger Offizier trat auf die Gruppe zu.

»Was ist hier vorgefallen?« rief er, erschreckt auf die todte Bestie und auf die Damen sehend. »Kaiserliche Hoheit, wir suchen Sie seit einer halben Stunde!« und zu Gabriele sich niederbeugend, rief er erschreckt: Gabriele, meine Schwester – was ist dir geschehen?«

»Nichts, nichts,« entgegnete diese, die Augen aufschlagend, »mein Gott, das schreckliche Thier, wo ist es?« entsetzt schloß sie noch einmal die Augen, öffnete sie jedoch sogleich wieder, erhob sich, und sich an die kräftige Gestalt des Bruders schmiegend, zeigte sie auf den Gegenstand ihrer Furcht und sagte mit einer Stimme, in welcher noch das Entsetzen zitterte:

»Wir waren verloren ohne die heldenmüthige Entschlossenheit jenes jungen Mannes.« Sie sprach noch, als die sämmtlichen Anwesenden sich tief verneigten und eine hohe majestätische Frau in den Kreis trat. Ein Jagdkleid von grünem Sammt mit reicher Stickerei umschloß bis an den Hals anschließend ihre üppigen Formen; auf den gepuderten, hochfrisirten Haaren saß ein kleines grünes Hütchen. Große blaue Augen leuchteten freundlich, doch auch gebieterisch über die Versammlung – sie hatten etwas von der Sonne, deren Strahlen erwärmen, aber blenden, wenn man wagt hineinzusehen.

»Kinder,« sagte sie in gütigem, aber etwas verweisendem Tone, sich an die Erzherzogin und Gabriele wendend, »Ihr seid in jugendlichem Uebermuth uns durchgegangen, wir waren in Sorgen, und wie ich sehe, nicht ohne Grund.«

Auf ihre Fragen berichtete ihr die junge Erzherzogin den Hergang der Sache, die Schuld des unvorsichtigen Vorauseilens auf sich nehmend und den Jüngling, der sichtlich überrascht von allem, was vorging, sich in den Hintergrund zurückgezogen hatte, bei der Hand vor die hohe Mutter führend.

»So verdanke ich denn deiner Entschlossenheit die Rettung meiner Tochter,« sagte sie huldvoll, während er ein Knie vor ihr beugte und eine hohe Röthe sein bleiches Gesicht überflog, »doch sehe ich recht, ist das nicht der Bravste meiner Neustädter Zöglinge, Wilmos von Simonitch, der Sohn meines alten Kroatengenerals? stehe auf, mein Sohn, ein so kühner Jüngling darf schon seiner Kaiserin in das Antlitz sehen. Wo hast du gelernt, wilde Eber in deinem Degen aufzufangen?«

»Von früher Jugend an, Kaiserliche Majestät, auf den Gütern meines Vaters,« war die, mit vor innerer Aufregung zitternder Stimme gegebene Antwort.

»Ja, ja,« sagte die Kaiserin, »in den Wäldern Kroatiens da mag es noch solche wilde Bestien genug geben, kein Wunder, daß die Menschen dort noch gar so wüst und wild sind, wollt', sie wären alle wie du, kühn und entschlossen, aber sanft und gut, ich würd' nit so viele Gräuel hören müssen, die mein Herz betrüben. Nun, hast du nichts zu bitten von der Kaiserin, eine Gnade, welche du willst?«

Was wohl in dem Innern des Jünglings vorging in der kurzen Pause, in welcher die Gesellschaft mit theils neugieriger, theils theilnehmender Aufmerksamkeit auf ihn blickte? Ein innerer Kampf schien in seinen zu Boden gesenkten Augen, seinen fest zusammengepreßten Lippen; endlich öffneten sie sich und die Augen zur Kaiserin aufschlagend, sprach er mit der tiefen, wohlklingenden Stimme, die schon früher die Erzherzogin betroffen gemacht hatte, und deren schwermüthiger Klang eigentümlich an die Herzen schlug – leise, aber vernehmlich:

»Wenn ich mir eine Gnade von Euerer Majestät erbitten darf, so sei es eine Stelle in einem Regiment, das vor dem Feinde steht.«

»Ist das alles?« entgegnete die Kaiserin, ernst und bewegt den jungen Menschen betrachtend, »bist noch ein Knabe nur und willst schon fort, wo so viele schon meiner armen jungen Knaben gefallen sind, ehe sie nur recht flügge waren? soll deine Mutter schon um den Liebling weinen, soll eine Schwester vielleicht schon den Beschützer entbehren, noch ehe er zum Manne gereift?«

Die Umstehenden waren ergriffen von dem Ausdruck tiefer Schwermuth in solcher Jugend, es war wie eine finstere Wolke, hinter der sich die Sonnenstrahlen für immer verborgen zu haben schienen.

»Um mich wird niemand weinen, Euer Majestät,« erwiederte er, »ich habe weder Mutter, noch Schwester und bitte unterthänigst, mir die Gnade zu gewähren, für meine hohe Kaiserin mein Lebensblut zu vergießen.«

Dabei beugte er nochmals ein Knie.

»So sei es,« erwiederte seufzend die Kaiserin, »Gott und unsere heilige Jungfrau mögen dich bewahren,« und sich an den Offizier wendend, der von Gabriele als Bruder angeredet worden, fuhr sie fort: »Graf Falkenstein – so viel ich höre, ist Ihr Regiment in den nächsten Tagen marschfertig – wir werden Sorge tragen, daß ein Leutnantspatent in demselben für Wilmos Graf von Simonitch ausgefertigt werde. In den theoretischen Kriegsdienst ist er eingeführt, führen Sie ihn in die blutige Praxis ein.« Huldvoll reichte sie dem Knieenden die Hand zum Kusse, worauf sie durch ein stummes Zeichen mit dem Haupte den Befehl zum Aufbruch gab. Der als Graf Falkenstein angeredete Offizier trat, noch einen Augenblick zurückbleibend, auf den ihm anempfohlenen Jüngling zu und ihm die Hand mit einem offenen Ausdruck sichtlichen Wohlgefallens reichend, sprach er lächelnd. »Mir däucht, es ist nicht das erste Mal, Graf Simonitch, daß ich Sie sehe, ich erinnere mich wohl des frischen, entschlossenen Knaben in Kroatien, der kein Junge mehr sein wollte; was er damals schon versprach, bewies er heute – ich hoffe, wir werden nicht nur Kameraden, sondern Freunde sein, nun ein Regiment uns aufnimmt.« Mit diesen Worten drückte er ihm herzlich die Hand und folgte rasch dem glänzenden Zug, der allmälig im Wald verschwand.

Zögernder als die Andern hatte sich Gabriele entfernt, wie im Traume stand er noch dort und starrte hinaus nach den scheidenden Strahlen der Sonne, die das herbstlich gefärbte Laub der Bäume mit glühenden Farben beleuchtete. Daß sie doch hätte tröstend bei ihm zurückbleiben dürfen! welcher unendliche Schmerz war es wohl, der in den tiefen dunkeln Augen lag, der die Freude von den jugendlichen Lippen auf immer verscheucht zu haben schien?

.


 << zurück weiter >>