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Fünfzehntes Kapitel.

Auf einer Seitenstraße desjenigen Theiles der Tyroler Alpen, der den Salzburger Kreis von Illyrien und Tyrol trennt, bewegte sich mühsam einer jener großen Reisewagen, wie man sie jetzt höchstens noch auf einigen Gebirgspässen begegnet, die noch nicht von den Hauptadern des Verkehres berührt sind. Fluchend trieb der Kutscher die vier Pferde vorwärts, von denen bald das eine, bald das andere über die Unebenheiten des Weges, einen Stein, oder eine riesige Baumwurzel stolperte, die sich ihrem eigentlichen Wohnsitz, dem tiefen Wald, der sich rechts und links die Berge hinaufzog, entwachsen, ungefragt auf der Straße ausgebreitet; ächzend und knarrend in allen Fugen arbeitete sich der Kasten weiter. Die Jahreszeit war schon etwas vorgerückt, schon nahte sich die Sonne den höchsten Spitzen der Berge, die jäh ansteigend ihre gezackten Felswände gen Himmel emporstreckten und das enge Thal mit immer tiefern unheimlichen Schatten bedeckten.

Während die kleine alte Dame im Innern des Wagens ahnungslos in den Kissen zurücklehnte und schlief, wurde die sonst so geschwätzige Kammerfrau, die auf dem bequemen Bedientensitz hinter dem Wagen neben dem alten gepuderten Kammerdiener, diesen sonst nur selten mit ihren poetischen Ergüssen des Entzückens ruhig schlafen ließ, immer stiller und rückte ihm immer näher.

»Monsieur Wenzel,« sagte sie endlich, »es wird schon dunkel und noch ist der Ort, den der Kutscher als Nachtquartier bezeichnete, nicht zu sehen. – Ach daß doch die vornehmen Herrschaften nicht genug haben können mit einem Bad! jetzt waren wir erst in Gastein und sollen noch nach Meran; O mein Gott, war das wieder ein Stoß!«

»Das versteht Sie eben nicht, Jungfer Amalie,« belehrte der Kammerdiener seine Gefährtin, »Meran ist für ein Leiden und Gastein für das andere – aber in der That,« und auch er konnte einen Schmerzensschrei über einen zweiten krachenden Ruck nicht unterdrücken, »der Weg gefällt mir auch nicht, ich erinnere mich doch, in frühern Zeiten durch keinen so dichten Wald gekommen zu sein.«

»Und zu jetziger unsicherer Zeit, wo das Gesindel, durch den langen Krieg entmenscht, nun seit dem Frieden frei geworden, sich haufenweise zusammenrottet!«

»Du, Friedl,« rief der auf dem Sattelpferd sitzende Rosselenker dem auf dem Kntschbock zu, »mir ists, als wären wir nit auf dem rechten Weg.«

»Dös ist e sakrische G'schicht',« sagte der Andere und kratzte sich hinter dem Ohr, »ich hab doch den Weg schon e paar Mal g'macht, aber es scheint mir auch so – dort bei dem Frauenkloster sind wir zu früh eingebogen; sakra ist dös e Weg! Hü, vorwärts!« – Die braven Pferde thaten ihr Möglichstes, über die Hindernisse hinüber zu kommen, – sie zogen mit aller Kraft – da krachte es, der Wagen hing schon auf einer Seite – noch ein Ruck der Pferde und die schwerfällige Maschine lag am Boden; die vordersten Pferde waren gestürzt, glücklicherweise, denn so blieben die zwei an der Deichsel stehen. Die Kammerfrau war die Erste, die etwas von sich hören ließ, indem sie furchtbar schrie, sich ein Bein gebrochen zu haben, dabei aber auf beiden fest stand und nach ihrer Haubenschachtel suchte, bis Wenzel, dessen erster Gedanke seine alte Herrin war, die bewußtlos unter einer unbestimmten Anzahl von Schachteln hervorgezogen wurde, grob mit ihr wurde und sie ermahnte, ihre eigene Person außer Spiel zu lassen und an das von wichtigeren Leuten zu denken. Der Zustand der alten Dame war bedenklich: das Gesicht mit Blut bedeckt, ließ auf eine Kopfwunde schließen und ein Arm schien gebrochen, dabei weit und breit kein Haus sichtbar in der stillen tiefen Waldeinsamkeit, auf die sich immer mehr die Dunkelheit lagerte. Vergebens ließen Kutscher und Kammerdiener ihre Stimmen erschallen, nur das Echo der hohen Berge tönte es ihnen zurück.

* * *

Und doch war ein Haus in der Nähe, tief verborgen im Wald. Angelehnt an die grünen sammtigen Matten der Berge stand ein kleines Jagdschlößchen, das zu einem ausgedehnten Forst- und Jagdgebiet gehört hatte, von dem aber der größere Theil in andere Hände übergegangen war. Vergessen stand es seit einer Reihe von Jahren, denn die jetzige Besitzerin, Gräfin Gisela, hatte ihre Heimat fern davon gefunden und dachte nur selten mehr an das kleine Eigenthum. Früher war es zu Zeiten belebt gewesen, als ihr Vater noch lebte und alljährlich eine Gems- und Hochwildjagd veranstaltet und eine muntere Gesellschaft Herren dazu eingeladen hatte, seit er aber alt geworden und sein Sohn gestorben war, blieb die tiefe Einsamkeit des romantisch gelegenen Schlößchens ununterbrochen. Ungehindert schritt der stolze Hirsch durch den Forst und hoch oben in den Bergen sprang munter die Gemse von Felsen zu Felsen und lugte herab in die schwindelnde Tiefe des Abgrundes, denn der Förster, den der Fürst, der Vater der Gräfin Gisela, als jungen frischen Mann dorthin ernannt hatte, und der sonst wohl manchen Braten in die Küche seines Herrn geliefert hatte, war mit seiner Frau alt geworden und hing viel seltener mehr die Büchse über die Schulter. Sie bewohnten die untern Zimmer des kleinen Schlößchens, dessen obere Räume, die mit Hirschgeweihen und anderen Jagdbeute reichlich geschmückt waren, die Einrichtung noch behalten hatten, die seiner Zeit der junge Fürst angeschafft und die bequem genug war, eine Anzahl Gäste zu beherbergen, die, ihr Hauptvergnügen außer dem Hause suchend, sich mit weniger Luxus im Hause begnügten. Der alte Förster saß auch diesen Abend wie gewöhnlich am Tisch und rauchte seine Pfeife, während er beim Schein der Oellampe, die große Hornbrille auf der Nase, in einem Zeitungsblatt las, das er allwöchentlich aus der nächsten Stadt holte. Seine Frau, eine kugelige Alte, in einfachem bürgerlichen Kleid, eine große weiße Haube auf dem Kopfe, saß auf dem gewohnten Plätzchen hinter dem Ofen.

»Nun, Alter,« frug die Frau, »ist es denn wahr, daß unsere Kaiserin endlich Frieden gemacht hat mit dem Preußenkönig?«

»Schon seit einem Jahr,« brummte der Alte, »ist wenig dadurch gewonnen worden, Schlesien bleibt den Preußen, trotz all' dem Blut, das dabei geflossen ist.«

Die Alte seufzte. Bald darauf stand sie auf und schaute angelegentlich in die Dämmerung hinaus.

»Du hast doch das Fräulein noch nicht heimkehren hören, Mann?« frug sie.

»Nein,« sagte er, »auch der Janos ist noch nicht zurück. Halt!« – plötzlich hielt er die Hand hinter das Ohr und lauschte – »ich meinte, ich hörte rufen.«

»Heilige Mutter Gottes, wenn nur unserm lieben gnädigen Fräulein nichts geschehen ist!«

»Was soll ihr geschehen sein, Mutter Elsbeth?« sagte da eine tiefe Stimme, und eine hohe Frauengestalt legte den Arm um die erschreckte Alte, während ein großer gefleckter Jagdhund sie freundlich umschnuppernd begrüßte und der Förster hinausging, dem Diener das Wild abzunehmen, das dieser heimbrachte.

»Was soll mir denn geschehen, gute Mutter?« frug, sich niedersetzend, die Eingetretene.

»Es ist so spät und dunkel schon,« sagte die Försterin, »da bin ich allemal in Angst um Euch, und stelle mir alles mögliche Unglück vor, das Euch betreffen kann. Ihr seid doch immer nur ein Weib ...«

»Das bin ich freilich,« entgegnete Paula, denn daß sie es ist, die hier seit fünf Jahren eine Heimat gefunden, habt Ihr längst errathen, liebe Leser, »das bin ich, aber kein schwaches, und überdies habe ich ja meinen Janos bei mir.«

»Und der ließe sich vorher in Stücke hauen,« ergänzte sich selbst beruhigend die Alte, »ehe er Euch etwas geschehen ließe. Aber wo wart Ihr denn heute den ganzen Tag, bis in die sinkende Nacht? Eure Locken, Eure Kleider sind ganz feucht, da werden wohl die bösen Schmerzen in Kopf und Arm wiederkehren.«

»Schadet nichts,« sagte lächelnd Paula, die ungepuderten Locken, die die hohe Stirne halb bedeckten, aus derselben streichend, »sie vergehen auch wieder und Ihr wißt, daß mir am wohlsten draußen ist – in freier Luft, im Sonnenschein oder in Sturm und Regen. Heute war ich droben auf dem Spitz beim Sepp.«

Die Alte schlug die Hände zusammen. »Da oben,« rief sie, »den schwindelnden Felsenpfad hinauf!«

»Gerade weil sich nur Wenige hinaufbemühen,« entgegnete Paula. »Sepps Frau ist schwer krank, das sagte mir letzthin weinend sein ältester Bub, und Sepp muß Molken nach Gastein bringen und dort, wo jetzt Fremde die Heilquelle besuchen, etwas verdienen, will er den Winter sich mit der kranken Frau und den sechs Kindern durchbringen. Da nahm ich den Morgen alles Nöthige mit und klomm mit Janos hinauf, der sodann auf die Jagd ging, während ich für die Frau und die Kinder, die erbärmlich verlassen und elend dalagen, sorgte. Die Frau lebte förmlich auf und die Kinder krabbelten um mich herum, ja selbst der Nestling wurde ruhig und vernünftig, daß die Mutter schlafen konnte. Ich aber war so glücklich wie damals, als Ihr nach Eurer schweren Krankheit zum ersten Mal wieder mich oben besuchen konntet.«

»Was ich nur Eurer Pflege verdankte,« versetzte Frau Elsbeth, die Augen wiederholt abtrocknend, »die Ihr wie ein Engel unter dieses Dach gezogen seid, die letzten Lebensjahre ein paar alter kinderloser Leute, zu verschönern.«

»Ein Engel?« sagte schwermüthig lächelnd Paula, »sagt das nicht, Mutter! wie viel fehlt mir noch dazu!« Sie stützte das Haupt in die Hand und eine tiefe Wolke lagerte sich auf ihr Antlitz. Plötzlich fuhr sie auf. »Das war ein Hülferuf!« rief sie zum geöffneten Fenster hinaushorchend. Eben kam auch der Förster herein. »Es scheinen in der That Leute draußen zu sein, die sich verirrt haben, man hört immer deutlicher rufen,« sagte er und langte den Hirschfänger und Hut von der Wand.

»So laßt uns nicht säumen,« nahm rasch entschlossen Paula das Wort, von Neuem ihr Kleid aufschürzend, »Janos soll sich sogleich rüsten – ich werde mitgehen, so sind wir unserer drei zu helfen – Mutter Elsbeth, sorgt, daß meine Gretl Feuer oben macht und einen Braten zusetzt, sie soll auch so viel Betten richten als sie kann – für alle Fälle –« damit grüßte sie die jammernde Alte, die wohl wußte, daß jeder Versuch, sie zurückzuhalten, vergeblich war. –

Zu unsern Reisenden hatten sich inzwischen noch zwei weitere Gefährten gesellt, die, wie es anfangs schien, bei dem Aufrichten des Wagens und der gestürzten Pferde hülfreiche Hand zu leisten bereit waren. Es waren struppige unheimliche Kerle in verlumpter Uniform, die sich in ihren Aussagen über dis Richtigkeit des Weges fortwährend widersprachen, so daß die beiden Postillone wiederholt schon bezeichnende Blicke gewechselt hatten. Es dauerte auch nicht lange, so ertappte sie der Kammerdiener, der sich bemühte, seiner alten Herrin auf den Wagenkissen eine bequeme Lage zu bereiten, wie Einer das Innere des Wagens, der noch immer halb lag, ausstöberte; entrüstet fuhr er auf ihn zu, fiel aber von einem Stich getroffen zu Boden, während der Andere mit einem der Postillone Händel suchte – die Hülferufe wurden nun immer greller – die Gefahr immer drohender – da leuchtete etwas zwischen den Bäumen vom Wald her – der Schein nahte sich – es waren Menschen mit Laternen! Menschen, die Hülfe brachten!

»Schurke!« rief Paula, dem einen der beiden Spitzbuben ins Gesicht leuchtend, als er eben der schreienden Kammerfrau den Hals zuschnüren wollte. Mit einem Schrei des Schreckens fiel dieser in die Knie und starrte in das zürnende Antlitz, das wie er vom Schein der Laterne beleuchtet war.

»Heiliger Schutzpatron, hilf mir, das ist ein Geist!« schrie er und wollte davon streichen, aber Janos sah ihn in dem Augenblick.

»Alle Teufel,« rief nun dieser, »Hanko, mein alter Landsmann, bist du so lange mir und dem Galgen entgangen!«

»Janos,« gebot Paula, »ich verbiete dir jede Eigenmächtigkeit, binde den Strolch, die Gerichte werden für ihn sorgen.«

Wie gelähmt ließ der Kerl widerstandslos alles über sich ergehen, zum ersten Mal gehorchte Janos mit einem leisen Fluch der geliebten Herrin. – Der andere Spitzbube hatte das Weite gesucht – es galt nun, die Verletzung zu untersuchen. Die alte Dame war zwar zu sich gekommen, aber ihr Zustand schien immer noch bedenklich, ebenso der des Kammerdieners, den der Stich in die rechte Seite getroffen hatte. Auf rasch zusammengeflochtenen Bahren wurden die Verletzten in das Schlößchen gebracht und in die bereiten Betten, und während Paula sorgfältig die Wunden auswusch und mit Hülfe der Försterin verband, sandte sie Janos und einen Postillon mit dem festgebundenen Hanko auf den Pferden in die nächste Stadt, diesen abzuliefern und sofort einen Arzt zu holen. Ihre alte, überlegte Ruhe imponirte unwillkürlich und besänftigte die aufgeregten Gemüther. Unablässig ging sie von Einem zum Andern, keine Müdigkeit beachtend, als endlich gegen Morgen der Arzt kam. Die Wunde des Kammerdieners war nicht tief, ebenso die der alten Dame, dagegen war der Arm derselben gebrochen und ihr Weitertransport eine Unmöglichkeit. Ungeduldig mit der Art von vornehmen Leuten, die, ohne Widerspruch zu ertragen, alt geworden sind, sträubte sie sich dagegen.

»Unsinn,« rief sie, »was werde ich denn hier bleiben – andern Leuten zur Last fallen!«

»Sie fallen niemanden zur Last, gnädige Frau,« versicherte ernst Paula, die Ungeduldige sanft auf das Lager zurücklegend, »hier wohne nur ich, ein einsames Mädchen, die nichts zu thun hat, als Sie zu pflegen.«

»So, auch einsam, keinen Mann, keine Kinder?« stieß die kleine Greisin in abgebrochenen Sätzen hervor, die großen grauen Augen zu Paula erhebend, »gut, dann passen wir zusammen,« und die Augen schließend, erhob sie keine Widerrede mehr. Aus dem Wagen wurde alles herbeigeschafft, und die Kammerfrau, die außer dem Kutscher allein unverletzt davon gekommen war, Tages darauf mit dem zurückkehrenden Arzt abgeschickt, um auf die Besitzung ihrer Herrin zu reisen und von dort alles Nöthige zur größten Bequemlichkeit der Kranken mitzubringen. Dies geschah jedoch nicht, ohne daß sie und die Försterin gegenseitig ihre Neugierde über die betreffenden Persönlichkeiten aufgeklärt hatten. Die alte Dame, erfuhr Frau Elsbeth, sei eine reiche Fürstin Lobkowitz; unvermählt, bewohnte sie in tiefster Zurückgezogenheit nur mit ihrer Dienerschaft ein Schloß unweit der Traunfälle; nur ihre leidende Gesundheit hatte sie gezwungen, seit zwei Jahren dasselbe für kurze Zeit zu verlassen.

»Ich bin noch nicht lange da,« sagte die Zofe, »und weiß auch nicht, ob ich bleibe, es ist mir gar zu einsam dort und der Musjö Wenzel, ein alter Brummbär, ebenso der alte Kutscher – nie ein Besuch – nie eine Abwechslung – aber wer ist denn die große gebieterische Dame, ein resolutes Fräulein, deren Anblick allein den einen Spitzbuben in die Flucht schlug!«

»Das ist ein Engel,« hob die Försterin an, die weiße Schürze ausstreichend, »vor fünf Jahren zog sie bei uns ein, woher sie kommt, weiß ich nicht, es kam eben eines Tages von der Gräfin der Befehl, oben alles einzurichten, und dann kam sie; wie sie heißt, weiß ich nicht, auch nicht einmal, ob es mein Alter weiß, wir nennen sie Fräulein Paula, alle Kranken und Armen in den Bergen kennen sie und danken Gott, wenn sie ihre klangvolle Stimme hören und ihre königliche Gestalt sehen?«

Seit fünf Jahren, wie die Försterin gesagt, lebte Paula hier; hier, in der urwüchsigen Natur des Hochgebirges, abgeschieden von der Welt, hatte die Gräfin ihrem wilden Vogel ein Nest bereitet, in dem er einsam seine Schwingen ausbreiten konnte; er breitete sie aus über Kranke und Arme und fand die Ruhe, die er finden konnte. Es gab Augenblicke, wo Paula fast glücklich war; in der Liebe der alten Leute, in dem helfenden Mitleid zu den Nebenmenschen erwachte ihre weibliche Natur und fand Befriedigung, nicht länger brauchte sie ein Schein-Dasein zu führen unter den einfachen Menschen in der wilden Gegend. Aber es gab auch Zeiten, wo sie ein Gefühl des tiefsten Elendes erfaßte, wo die Stunde vor ihr stand, in der ihr beleidigter Vater mit dem Fluch auf den Lippen, Zorn und Verachtung im Herzen von ihr schied, wo sie den Moment noch einmal durchlebte, damals auf der Falkenburg, in welchen sie als Fremder vor ihm stand, kalt und ruhig von außen, innerlich zitternd vor seinem vernichtenden Blick, wo in dem Wunsch, seine Vergebung zu erlangen und dann zu sterben, all ihr Sehnen sich gipfelte.

Die einzige Verbindung mit der Welt waren die Briefe des Kaplans und der Gräfin, für die sie eine kindliche Verehrung hegte; waren sie sich schon in dem langen Winter ihres geheimen Beisammenseins nahe gekommen, so geschah es noch mehr durch diese Briefe, die alljährlich ein bis zwei Mal den Weg ins verborgene Forsthaus fanden. Ihr und dem alten Freunde schilderte sie ihre innersten Gedanken und malte ihnen die sonnigen und die finstern Tage ihres Seelenlebens aus. Nur eine Sehnsucht blieb geheim in ihrem Herzen, nur Er kannte sie, zu dem in tiefer Einsamkeit die Gebete emporstiegen, die heiße Segenswünsche herabflehten für den Freund, von dem sie auf immer geschieden! Daß er unverwundet aus allen Gefechten hervorgegangen, immer höher stieg in Ruhm und Ansehen, wußte sie aus der Zeitung, daß er den geschiedenen Freund noch immer betrauerte, das hatte ihr die Gräfin geschrieben, aber sie war fest darauf geblieben, ihr Geheimniß bewahrt zu wissen. – »Diese einzige Lüge nur, theuerste Gräfin,« so schrieb sie, »ich beschwöre Sie, um meiner Eltern – ach und um meiner willen! den Freund hat er geliebt, mich müßte er verachten.« Aber manchmal schlich selbst in ihr Gebet der sehnsüchtige Wunsch sich ein, ihn einmal nur noch wiederzusehen, unerkannt, ungesehen.

* * *

Der Sommer und Herbst war vorüber und die alte Fürstin endlich vollständig hergestellt. Schon früher war sie transportabel gewesen, allein sie hatte sich durch die Pflege so sehr an Paula angeschlossen, daß sie ihre Abreise immer weiter hinausschob. Bis jetzt hatte diese ihrem heftigen Drange widerstanden, sie zu begleiten, da sie zu sehr an die stille Einsamkeit der Berge gewöhnt sei. »Die tiefe Stille und Zurückgezogenheit findest du auch bei mir,« drängte die Dame, »sieh, ich habe wenig Menschen geliebt, wenige haben mich geliebt; ich war immer ein häßliches verwachsenes Geschöpf, unbemerkt blieb ich seitwärts stehen, wenn um meine schönen Schwestern sich die Freier schaarten; da fiel mir eine reiche Erbschaft zu; wie sie sich jetzt mir nahten, die Schönheit meiner Augen, den raschen Witz meines Geistes bewunderten, alle, die mich früher vernachlässigt hatten! ich haßte die Menschen alle, nur einen, einen liebte ich, liebte ihn von ferne. Mädchen, weißt du, was es heißt, ungeliebt zu lieben? Du bist schön, du weißt es nicht, er blieb mir auch ferne, als ich die reiche, gefeierte Erbin war, aber er war es auch, der sich des kleinen buckeligen Mädchens annahm und freundlich mit ihr sich abgab, wenn es verlassen auf der Seite saß. Seine Wahl fiel auf ein edles, seiner würdiges Mädchen, die Fürstin Gisela, das einzige Mädchen, mit dem mich eine jener Freundschaften verband, die dauernd im Herzen bleiben, wenn auch der äußere Verkehr aufhört. Seitdem hat niemand mehr in diesem Herzen gethront, ich sehe die Kinder meiner Schwester von Zeit zu Zeit, aber ich liebe sie nicht, das geht alles nur auf äußern Schein; die reiche Tante wird geliebt, wie einst das reiche verwachsene Mädchen, Falschheit und Lüge nach innen und außen! Dein Wesen beherrscht mich und zieht mich zugleich an. Mit der Weichheit eines Weibes pflegtest du mich und mit der Festigkeit eines Mannes widersprachst du mir und rügtest meine Launen.

»Wärest du ein Mann,« sagte sie ein anderes Mal, nachdem sie wieder einen Sturm auf Paula versucht, »ich hätte dich geliebt, wie ich einst Albrecht von Falkenstein liebte. Komm mit mir, Paula, ich frage nicht, wer du bist, woher du kommst, ich fühle nur, daß ich dich bei mir haben möchte – einsam wie ich, kannst du der alten Frau die Bitte nicht versagen.«

Paula konnte nicht mehr widerstehen; mit einem ihr ganz unerklärlichen Gefühl des Bangens sagte sie auf unbestimmte Zeit zu, den Hochwald zu verlassen und wieder hinauszutreten in die Welt; mit dem festen Versprechen, bald wieder heimzukehren, schied sie. Noch ein anderer Beweggrund veranlaßte sie zu dem Entschluß. Die Nachricht war schon früher gerüchtweise zu ihr gedrungen, daß ihr Vater in einem der letzten Gefechte verwundet worden. Zwar wieder hergestellt, habe er nun den Abschied genommen und sich auf sein Schloß zurückgezogen. Etwas von ihm zu hören, jemand zu sprechen, der ihn selbst gesehen, wurde bei ihr zum fieberhaften Verlangen. So gab sie Janos Urlaub in die alte Heimat und wieder einmal nach fünf Jahren wurden die obern Räume des Jagdschlößchens geschlossen und weinend blickten die alten Leute den Scheidenden nach.

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