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Vierzehntes Kapitel

Während im entgegengesetzten Flügel des Schlosses Therese und Gabriele mit den übrigen Dienstleuten die herbeigetragenen Verwundeten in der Halle empfingen, ward Paula still und verborgen durch Janos die kleine Treppe in das Thurmzimmer gebracht. Sanft und schonend untersuchte Vater Johannes die tiefe Wunde, die sich vom Kopfe bis über die Stirne herzog, und die zweite am Arm. Unmerkliches leises Stöhnen verrieth ein schwaches Leben, schluchzend fiel der treue Janos in die Knie, während der Mönch in stumpfer Verzweiflung in einem Winkel saß und sich das Gesicht mit den Händen bedeckte.

»Der Hieb ließ, so viel ich merke, die Hirnschale unverletzt,« sagte leise der Kaplan, »möglich, daß sie von der Ohnmacht in einen lang andauernden Schlaf fällt; es hängt nun alles davon ab, daß keine Aufregung sie beim Erwachen erschrecke – eine solche wäre aber unbedingt die Bemerkung, sich entdeckt zu sehen, Janos soll daher allein bei ihr bleiben.« –

Dem Rath wurde Folge geleistet, willig folgte auch, noch einen letzten Blick auf die Schwester werfend, Wilmos – aber kaum draußen, machte er von Neuem Zeichen zu schreiben. Vater Johannes nahm ihn liebevoll am Arm und führte den Schwankenden in das geräumige Gemach, das an den Gang anstieß, hier kniete Wilmos lange inbrünstig betend, dann erhob er sich, setzte sich an den Tisch, wo alles bereit war und fing, jede dargebotene Stärkung abweisend, zu schreiben an. Der Morgen dämmerte bereits, als er fertig war, der Kaplan hatte sich auf ein leeres Lager geworfen, wo der Schlaf nach der durchwachten Nacht seinen Tribut forderte. Leise schlich sich Wilmos fort, die sonst so bleichen Wangen waren fieberhaft geröthet, die dunkeln eingefallenen Augen leuchteten unheimlich, er öffnete behutsam die Thüre, die ihm ein erster Strahl der ausgehenden Sonne zeigte – da lag seine Schwester – war sie todt? lebte sie noch? Immer fiebriger glühten seine Wangen, da regte Paula eine Hand und wie im Traume öffnete sie die Lippen. »Sie lebt,« schrie Wilmos, an ihrem Lager niederstürzend, »Paula, Schwester! o Gott!« und noch einmal mit den Armen in die Luft fahrend, fiel er leblos zu Boden! Erwacht von dem herzzerreißenden Ruf und dem Schlag, kamen die Gräfin und der Kaplan herbei und fanden Janos bemüht, den jungen Priester in's Leben zurückzurufen.

»Wer rief Paula, Mutter, warst du es?« tönte eine schwache Stimme vom Lager her, »o weh, weh, wie die Lüge auf der Stirne brennt! Vater, nimm ihn fort, den Fluch.« Sie suchte die Binde von der Stirne zu reißen und sah mit matten, halbgeöffneten Augen verwirrt um sich. Auf einen Wink nahte sich nur Janos, während die Andern sich zurückzogen. »Du bist es, Janos,« sagte Paula, »gieb mir zu trinken und laß mich schlafen, halte gut Wache, daß niemand mich störe, niemand! geh'.«

So leise als möglich wurde Wilmos hinausgeschafft; alle Belebungsversuche waren vergebens, ein zweiter Schlaganfall, der ihm für den Augenblick die Sprache verliehen, hatte ihn getödtet.

Auf dem Tische lag die Schrift, die er hinterlassen. Die Gräfin nahm sie auf, las die ersten Worte und gab sie dem Kaplan, sich wieder zurückziehend, denn sie bedurfte der Ruhe.

Der fromme Priester nahm sie, und beim Schein der Morgensonne las er:

 

Meine letzte Beichte.

Der Sprache beraubt, am Rande des Todes, stehe ich, Wilmos Graf von Simonitch, an dem Sterbebett derjenigen, die ich nach meiner armen Mutter am meisten geliebt, und an deren verfehltem Leben und frühem Tod ich, wenn nicht unmittelbar, doch mittelbar Schuld bin. Gott gebe mir noch die Kraft, dieses Bekenntniß abzulegen, und das Geheimniß, welches ich theilweise verrathen, für diejenigen zu enthüllen, die einen Stein auf die Schuldlose werfen könnten, welche sich selbst den Verhältnissen zum Opfer gab.

»Meine arme Mutter, deren größter Fehler die zu abgöttische Liebe zu dem einzigen Sohne war, und der Lehrer und Führer meiner Kindheit, sie mögen mir vergeben, wenn ich sie anklage!

»Von zwei Kindern, die Gott meinen Eltern schenkte, war meine Schwester Paula ihrem schnell Heranwachsenden kräftigen Aeußern, ihrem entschlossenen kühnen ja wilden Wesen nach tatsächlich ein Knabe, der Liebling unseres strengen Vaters, dessen steter Begleiter auf seinen Ritten, während ich, ein schwacher, kränklicher Knabe, von Kindheit auf mit dem Tode ringend, stets zu Hause verzärtelt und verwöhnt, der Abgott der kränklichen Mutter wurde. Um mich vor dem sichern Tode und drohenden Siechthum zu befreien, brachte die Mutter hinter dem Rücken des Vaters der hl. Jungfrau ein Gelübde dar, das mich dem Kloster weihte. Meine ganze Erziehung wurde darnach geleitet, mein Sinn dazu geweckt!

»So kam die Zeit, wo mein Vater mit eisernem Willen gebot, mich dem Militärdienst zu übergeben. Keine Thränen, kein Sträuben der armen Mutter half, ich sollte, wenn nicht freiwillig, mit Gewalt in die Kriegsschule, vor der, sowie vor dem Kriegsdienst ich den ausgesprochensten Abscheu hegte, gebracht werden, indessen meine Schwester in ein Kloster sollte. Wie ich gegen den Kriegsdienst, so erfüllte der Gedanke an die Fesseln eines Klosters ihr in Freiheit erzogenes Wesen mit Abscheu. – Wir waren in der letzten Zeit nur wenig beisammen, Studien und Gebete füllten meine Zeit, der Vater war fort, und Paula ruhiger geworden. Durch die Liebe, die meine Mutter, die größere Aufmerksamkeit, die Pater Anselmo ihr zuwandte, beeinflußt, schien sie nachdenklicher, ernster als sonst. Eines Morgens war sie mit Janos, einem älteren Diener, fort, auf meine Fragen antwortete man mir, die hl. Jungfrau habe sie endlich erweicht, sie sei in das Kloster, dort erzogen zu werden, wie es einer christlichen Jungfrau gehöre. Meines Vaters harter Sinn hatte sich indessen erweicht und mir die Einwilligung gegeben, meinen heißen Wunsch auszuführen, so sagten sie. – Gott vergebe ihnen die Lüge! sie wußten, so schwach ich war, ich hätte nie das Opfer angenommen, eher hätte ich als Märtyrer meiner Ueberzeugung den Tod von meines Vaters Hand erlitten.

»Seit wenigen Tagen erst weiß ich, daß meiner Seele Heil durch eine Lüge erkauft war, daß meine arme Mutter, bethört durch ihre Liebe zu mir, entschlossen, um jeden Preis das Gelübde zu halten, meiner Schwester Naturanlagen, ihre Erziehung, ihren Widerwillen gegen das Kloster benützt hatte. Paula ging für mich – ich blieb der Mutter, dem Dienst der Kirche gerettet! Von dem Vater, ob ihrer Lüge verflucht und doch gezwungen, sie fortzuführen bis an den Tod, barg Paula ihr Geheimniß, in das ein unüberlegter Schritt sie verwickelt! Seit ich sie wieder gesehen, seit ich alles weiß, steigen finstere Gedanken der Hölle in meinem Herzen auf und stellen sich zwischen den Himmel und mich: Zweifel gegen die hl. Mutterliebe, Zweifel selbst gegen die Religion, die in blindem Feuereifer ein Kind zu Trug und Lüge verleitet, um das Andere zu retten, steigen Gespenstern gleich in meiner Seele auf, wenn ich meine Hände zum Gebete falte. – Ich kann nicht mehr, die Hand zittert, fast hörbar klopft mein Herz – o Gott, sei mir gnädig! hl. Jungfrau, erbarme dich mein! Amen!«

Tief ergriffen legte der Kaplan die erschütternde Schrift aus den Händen; als die Gräfin zu ihm kam, betete er still an der Leiche des unglücklichen Jünglings, auf dessen Züge eine friedliche Ruhe eingetreten war.

* * *

Weihnachten war vorüber und das neue Jahr angetreten. Die Menschen draußen fuhren fort, sich zu bekriegen, die kurze Rast, die der Winter gewährte, nur benützend, um neue Kriegspläne zu entwerfen. Auf Schloß Falkenburg war mit kurzen Unterbrechungen, die der Durchzug von Truppen veranlaßte, große Ruhe und Stille eingekehrt. Max war weit fort in Schlesien und vor Jahren war seine Heimkehr nicht zu erwarten. Gabriele hatte dem Drängen Karls nicht länger widerstanden und auch die Gräfin willigte ein, in diesen schlimmen Zeiten sie dem natürlichen Schutz zu übergeben, den sie sich selbst gewählt. Eine ganz stille Hochzeit war in der alten Ahnenhalle gefeiert worden, mit dem Segen der Mutter, begleitet von den frommen Wünschen des väterlichen Freundes war sie von der Heimath geschieden und Therese hatte, den Wünschen ihrer Schwiegermutter nachgebend, mit Sidonie sich angeschlossen, um vorerst in Prag, wo die Mutter ihres Mannes lebte, ihre bleibende Heimath aufzuschlagen. Weinend hatte Klara unter dem Schnee und wo sie welche fand, grüne Blättchen zusammengesucht, um das Grab zu schmücken, wo schon längst ihrer Meinung nach ihr Liebling zur Erde bestattet worden und das ein einfaches Kreuz mit dem Namen versehen, bezeichnete.

Daß Sidonie fort, war der Gräfin eine Erleichterung, hatte sie das Mädchen doch ein paar Mal auf einem fatalen Umherspioniren ertappt und unwillkürlich lächeln müssen, wie Janos ihre Fragen respektvoll, aber mit dem ihm eignen Phlegma abwies.

Ganz allmälig und schonend, mit der wiederkehrenden Gesundheit, hatten die Gräfin und der Kaplan, nun ganz allein mit ihrem Pflegling, derselben alles Geschehene mitgetheilt. Trotzdem war die Erschütterung gefahrdrohend gewesen! Ihre erste Bitte war, das Geheimniß nicht weiter hinausdringen zu lassen, »um meiner Mutter, um der Ehre des Namens willen,« flehte sie.

»Aber Max?« frug die Gräfin.

»Lassen Sie ihn den Freund beweinen, so nur bleibt eine schöne Erinnerung von mir in seinem Leben.«

Sie war nun wieder so weit hergestellt, daß sie, in ein weites Morgenkleid gehüllt, das Bett verlassen konnte. Das Haupt in die linke Hand gestützt, den rechten Arm in der Schlinge, blickte sie hinaus in die winterliche Landschaft, hinüber nach der schneebedeckten Ebene.

»Armer Wilmos,« sagte sie, mehr mit sich selbst redend als mit der Gräfin, die bei dem Kaplan mit einer leichten Arbeit beschäftigt am Ofen saß, »könntest du statt meiner leben, in der Stille deines Klosters glücklich in frommen Andachtsübungen! – Wie so Mancher liegt auf jener Ebene da draußen, der daheim eine Mutter, eine weinende Braut zurückließ – und ich mußte zurückbleiben! ich hatte gehofft, mein Geheimniß mit mir in die Gruft nehmen zu dürfen. Daß ich weiter leben muß, das gerade ist der Fluch der Lüge, deren Kennzeichen ich fortan auf der Stirne trage! o Vater! Vater!« Sie wandte sich schnell zu den beiden Alten, und einen Blick des Einverständnisses auffangend, sagte sie schnell:

»Er hat geantwortet – O ich ahne es, verhehlen Sie mir nichts, theure Gräfin! ich bin auf Schlimmes gefaßt.«

 

»Nimm, mein Kind, und lies selbst,« erwiederte Gräfin Gisela, ernst und traurig ihr einen Brief reichend, Paula nahm ihn und las: – »Paula, Gräfin Simonitch, ist längst gestorben, ihre Gedenktafel hängt in meiner Schloßkapelle. Ist der Bericht wahr, so blieb jener Wilmos Simonitch, der sich meinen Sohn nannte, den 21. Nov. auf dem Schlachtfeld, sein Tod ward der Kaiserin gemeldet, seine Stelle besetzt, an seine Hülle oder sonstiges Vermächtniß mache ich keine Ansprüche – die Hülle der Erde – das Erbe, nehme wer es braucht.

General,
Graf Simonitch.«

 

Lange blickte sie auf die wenigen Zeilen: »Ich wußte es,« flüsterte sie endlich, »er liebte mich zu sehr, um mir zu vergeben!«

»Was nun,« begann sie nach einer Pause, »zweimal gestorben, muß ich ihn von Neuem aufnehmen, den Kampf mit der Lüge, ein bitteres Lächeln überflog ihre Züge – »mein Austritt aus dem Dienst ist wenigstens keine Fahnenflucht, sie hätten nur einen Invaliden weiter! aber wohin nun mit einem dritten Namen? in ein Kloster?«

Vater Johannes schüttelte den Kopf.

»Ich kann nicht,« fuhr sie mit gepreßter Stimme und einem leichten Schauer fort, »ich kann nicht! zu sehr bin ich an die freie Natur gewöhnt! Gott vergebe mir, wenn es Sünde ist! lieber zwischen den Thieren des Waldes sterben, als innerhalb enger Klostermauern leben! wie würden sie mich anstarren, die armen Klosterfrauen, über der großen Narbe, über dem steifen Arme, und wieder müßte ich lügen, und dazu zur bestimmten Stunde fromme Gebete murmeln, während ich mich hinaussehne in Wind und Wetter, den Sturm meines Innern auszugleichen. Vater Johannes – theuerste Gräfin, Ihr verdammt mich nicht?«

Sich erhebend, kniete sie vor der Gräfin nieder und legte das müde Haupt in deren Schooß.

»Armes Kind,« sagte mitleidig Gräfin Gisela, die das seltsame Wesen während der langwierigen Pflege liebgewonnen hatte. »Nein, nein, du wilder Vogel, du darfst nicht in einen zu engen Käfig gesperrt werden, laß mich ein Nest für dich suchen, wo du Ruhe findest und dich daheim fühlen kannst.«

» Wie oft,« begann Paula, wieder die seelenvollen dunkeln Augen zu der Gräfin emporhebend, »sehnte ich mich, so vor Ihnen niederknien zu dürfen, Ihnen alles zu bekennen, aber ich durfte ja nicht, zu tief schon war ich verwickelt in das Netz der Lüge! wie oft beneidete ich Therese und Gabriele um die Mutter, die sie erzog zu edler Weiblichkeit! und doch zieht es mich jetzt schon wieder hinaus in das dichte Schlachtgewühl, dort allein konnte ich alles vergessen, des Vaters Fluch – die eigne Schuld! So ist ein Kampf der widerstreitendsten Empfindungen in meiner Brust!« Sie erhob sich und schritt aufgeregt in dem Zimmer auf und ab, sinnend blieb sie vor dem Säbel stehen, der in der Ecke stand. »Man schlägt nicht ungestraft der Natur ins Gesicht,« sagte sie ernst, »hätte man mir als Kind, statt der Jagdflinte den Spinnrocken in die Hand gegeben, statt des Pferdes eine Puppe, so hätte ich den Säbel wohl nie ergriffen! Nun bin ich zum Weibe verdorben und doch kein Mann!«

»Und doch waren es die weiblichen Regungen deines Herzens, die dich mir verriethen,« sagte die Gräfin, »du wirst ruhiger werden – aber nicht in den engen Mauern eines Klosters, mein armes wildes Mädchen.«

»Wohin, aber, wohin? denn fort von hier, wo mich alles kennt, muß ich.«

»Lassen Sie erst die Wunden ganz heilen, Paula und die Kräfte wiederkehren,« sagte der Kaplan, »und im übrigen aber uns sorgen! Gott hat Sie dem Leben erhalten, um Ihnen Zeit zu geben, die zwei Naturen in Ihrer Seele in Eine zu vereinigen und so seinen Willen auf Erden zu erfüllen; was Menschen in ihrer Kurzsichtigkeit gegen Sie verfehlten, das kann er wieder gut machen und herrlich hinausführen.«

Paula küßte ehrerbietig des alten Priesters Hand. – Welch' mildes erwärmendes Feuer war hier die Religion gegen die verzehrende Flamme, die den armen Wilmos zerstört, gegen das fanatische Feuer, mit dem Pater Anselmo der Kirche zu dienen suchte!

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