Balder Olden
Das Herz mit einem Traum genährt
Balder Olden

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Dreizehntes Kapitel

Felicitas nahm sich abermals, klug und energisch, ihrer umdüsterten kleinen Kusine an, die lange Zeit kein anderes Kleid getragen als Bauerngewänder, die noch immer dicke Zöpfe um den Kopf wand, seit Monaten in keinem Laden mehr durch Putz und Seiden gekramt hatte.

»Acht Tage Urlaub und einen Scheck, Ernst! Dann bekommst du eine Gutsherrin mit blanken Augen zurück.«

Es konnte für Ayalas selbst nichts besseres geben als ein Bad in frischer Innsbrucker Stadtluft, Geld in der Tasche, fern der Dauerfolter ihrer Schulden. Felicitas war heruntergearbeitet, – anders als Praxmarer. Der baute! Wo seine Hände zugriffen, wuchs etwas, an dessen Gedeihen er glaubte. Sie aber, sie schaufelte unentwegt in dies Faß ohne Boden ihrer jammervollen Existenz. Seit Praxmarer kein Bilderkäufer mehr war, sein eigener Kredit gelitten hatte und ihrem Haus kein 187 Fundament mehr gab, war dieser Bau wieder ganz ins Wanken geraten. Camillo würde nie eine Stütze sein, er nahm wenig Teil, ging seine kleinen Wege, schweigsam und hoffnungslos, als hätte die Energie seiner Frau gänzlich verzehrt, was er je an Eigenem besessen.

So fuhren sie ab, in krampfhafter Zuversicht, drei Beklommene, die ein Festchen feiern wollten. In Innsbruck aber war Clemens mit seiner guten Wärme, der von aller Betrübnis am Toblacher See nichts wußte, war ein Hotel, in dem niemand von peinlichen Debets wußte, waren Zehntausende von Menschen, die einen nicht bis auf den Boden des Portemonnaies kannten. Hier war ein bißchen goldiger Straßenlärm und der Glanz hellerleuchteter Spiegelscheiben, hinter denen gebreitet der wahre Reichtum dieser Welt lag.

Theater! Wie tat das gut, wieder einmal im dunklen Parkett zu sitzen, jedesmal ein Wunder nahe zu fühlen, wenn der Vorhang aufrollte, geheimnisvoll. »Das hab ich damals spielen wollen«, flüsterte Cilli. Und danach: »Ich hätt's aber anders gemacht, das könnt ihr mir glauben!«

Sie machte einen Besuch in ihren alten Garderoben, begegnete dem Direktor, der ihr die Hand küßte und bedauerte, daß sie ihm einstmals untreu geworden. »Ein Talent wie Sie!« beteuerte er; er wagte ja nichts damit. 188

»Jetzt bin ich eine bescheidene Gutswirtin, Herr Direktor . . .«

Von den kleinen Kolleginnen waren ein paar noch im Haus, schon ein bißchen müde, Winkelchen um die Augen, auf manche Art von ihrer Laufbahn enttäuscht. Cilli war so herzlich, als hätte sie nie aus ihrer Mitte heraus den Weg zum Martyrium gesucht, nie aus Klosterfirnen auf sie herab geblickt. »Ach, Cilli, wenn du ahntest, wie gut du's hast!«

»Unbeschrien, unbeschrien«, rief Cilli und klopfte Holz. »Ihr müßt mich auf meinem Hof besuchen, alle, ihr müßt mein Kind sehen. Wißt ihr, wie's heißt: Aennchen von Tharau!«

Die Mädchen stürmten herein und heraus, rissen sich grobe Kleider vom Leib, die auf der Bühne geschimmert hatten, standen in winzigen Höschen vor'm Spiegel und schminkten nach, schlüpften in andere Fetzen, die draußen schimmern sollten.

»Ein Kind hast du, ein Gut, einen Mann!«

»Wenn ihr im Sommer kommt, laß ich einen Eimer Schlagobers machen, vorher pflücken wir Erdbeeren im eigenen Wald. Und Blaubeeren! Und wir essen Kuchen aus selbst gemahlenem Mehl, einen ganzen Berg laß ich backen!«

Sie war eine große, prachtvolle Frau unter dünnbeinigen Theaterhäschen, denen die Liebe kein Glück gab, ein Kind nur Verzweiflung bedeuten konnte.

Was sie selbst an Depressionen trug, war in der 189 Sekunde gefallen, in der ein Friseur ihre Zöpfe, ein schweres Bündel, in Seidenpapier geschlagen und ihr überreicht hatte. Rasch war's danach ins Hotel gegangen – dort lag hauchzarte Wäsche, bei der Onkel Clemens beraten hatte, in der sie sich leider nur selbst bewundern konnte. Nie wieder diese Leinwandrüstung, die sie für den Gutshof gekauft, ein Jahr lang geschleppt hatte!

Wie elegant war Innsbruck geworden, alles gab es! Ueber das Nichts von Kombination kam ein Nichts von Kleidchen, ach, wie die Luft einen durch und durch blasen würde, wenn man zwölf Monate lang schwere Röcke und ein schweres Mieder getragen. Schuhchen statt der Haflinger mit doppelten Sohlen, in denen man durch verregnete Wiesen und schlammige Ackerfurchen über den Feldberg stapft.

Auch Camillo wurde hier ein anderer, mit anders glänzenden Augen. Er entdeckte ein Pferd, eine schneeweiße Stute, nicht mehr ganz jung, die im Milchwagen ging, verhungert und verprügelt aussah! An diese Stute glaubte er, wie er an den Bäcker-Carl geglaubt, – die mußte er haben, um jeden Preis.

Er schlich in den Stall des Milchhändlers und sprach die Stute an, schloß erst ganz heimlich mit ihr Freundschaft. Er prüfte ihre Fesseln, die waren unverdorben! Er untersuchte jeden Zahn, das Herz, 190 die Lungen, die Bauchwand, die Augen – jeden Tag zog es ihn hin, die Taschen voll Zucker, immer tiefer erregt. Dann begann er, vorsichtig Fragen zu stellen. Ob diese alte Stute nicht vom Toblacher See käme? Ob sie nicht Anna hieß?

»Mirzel« hieß sie, kein Mensch wußte, woher ihr Blut war. Nach dem Krieg, als das Heer sich im Chaos auflöste, hatten bei Innsbruck ein paar Hundert klapperdürre, elende Rösser sich aufgesammelt, von denen jeder für ein paar Heller nehmen konnte, was ihm gefiel. In diesem Hungerlager war Mirzel geworfen worden, die Mutter hatte es nicht mehr lange gemacht, das Fohlen hatte der Milchmann aufgezogen. Leider, leider! Von ihrer Schnelligkeit hatte man nichts, im Schritt ermüdete sie leicht und bockte dann, sie schnappte gern, es war ein Kreuz mit ihr. Eingeritten war sie zwar, aber kein Vergnügen, sie zu reiten; zitterte vor Erregung, wenn man aufsaß, war dann nicht zu halten, stieg, wenn etwas sie erschreckte. Und alles erschreckte sie, kopfscheu war sie auch, der Bursch, der sie eingeritten, hatte ihr gern über die Schnauze geschlagen; und immer bekam sie Satteldruck. »Gar kein richtig's Fell hat das Luder!« Wie gesagt, man hatte sein Kreuz mit ihr.

Felicitas und Cilli fuhren allein nachhause, die Taschen leer, sogar mit etlichen Schulden, auf Praxmarers Konto geladen; aber so vergnügt, wie 191 sie lang nicht gewesen. Ayala ritt auf seiner Mirzel nach Hause!

»Wir müssen uns viel öfter sehen, Felicitas! Wir brauchen's alle, Camillo braucht es auch. Ganz kleine Feste wollen wir feiern, ein paar nette Leute nur, wir wollen tanzen, und jeder muß zuletzt einen Schwips haben. Wie ist Camillo, wenn er einen Schwips hat? Weißt du, ich kann ihn mir vorstellen – so, wie er war, als er nachhaus kam und die Mirzel gekauft hatte! Gott, war er da reizend, verliebt in das Tier wie ein ganz junger Bursch in sein erstes Mädel.«

»Wenn er doch einmal Glück hätte mit seinen Pferden!«

»Aber das ist doch schon an sich Glück, daß er sie liebt, Felicitas! Und wie er reitet! Wie angegossen sitzt er im Sattel, und seine weisen, langen Beine, die das Pferd so verstehen! Ich will auch reiten lernen, Felicitas, gelt, du erlaubst, daß er mich unterrichtet? Ach, war das schön, diese Reise!«

So war Cilli ihrem Ernst lang nicht um den Hals gefallen wie diesmal auf dem Bahnhof in Echtach. So hatte sie nicht oft ihr Aennchen mit Küssen bedeckt, es jubelnd im Arm geschwungen. Wie lieb, wie entzückend, daß Ernst das Kind mit auf den Bahnhof gebracht! Das Kindermädchen sogar bekam einen Kuß, die Füchse bekamen Küsse zwischen die weichen, warmen Nüstern, auf die samtenen 192 Nasenrücken, bekamen Zucker und frische, noch knusprige Kaisersemmeln. »Das hab ich im Hotel für euch gehamstert! Vom Mund mir abgespart für euch!« Es war ein Wiedersehen wie nach langer, schmerzlicher Trennung, immer wieder Ernst, Aennchen von Tharau, die Füchse, Küsse, Küsse.

Ganz neu war Cilli, verbauert stand Ernst neben ihr. Die Pagenfrisur machte, daß sie den entlasteten Kopf anders trug, froher, daß die Augen leuchteten, ihre Küsse wieder vom Herzen kamen.

Ans dem D-Zug lehnten Menschen aus Bukarest und Warschau, Menschen aus Bordeaux, Madrid, Lissabon – es war der große, feurige Expreß, der von Osten nach Westen quer durch Europa tobt, an stillen Seen wie dem Toblacher hin, und dessen Rhythmus jeden Tag vom Schienenstrang hinauf zum Feldberg-Schlößchen dröhnte. Diese reisenden Menschen sahen über den Bahnsteig und die Absperrung hinüber Praxmarers Wiedersehen und hörten den Jubel.

»Die sind daheim, die wissen, wo sie daheim sind«, dachten sie, selbst ruhelos durch Europa gejagt.

»Der hat's gut, der Praxmarer«, dachten Bauern und Fuhrknechte, die den Bahnhof schweigsam verließen. »Was fehlt dem noch, ein Hof mit zwanzig Stück Allgäuer Schwarzvieh, die Füchs', das junge Weib, ein Kind, und verliebt san's auch ineinander!« Noch einmal dachten sie's, als die Füchse, Funken 193 schlagend, an ihnen vorbeiwetterten, Cilli kunstgerecht die straffen Zügel hielt, die Peitsche quer über den rechten Handrücken wippend wie ein Herrenfahrer. Ganz jung und stolz, mit seinem unbedeckten weißen Kopf, saß Praxmarer neben ihr, Aennchen jubelte von hinten: »Hüh, Mama, hüh!«

Sie preschten durchs Dorf, daß die Fenster bebten, jeder kannte den klirrenden Trab der Feldberg-Füchse; sie grüßten im Vorbeisausen den schläfrig in Nebel sich bettenden See, trabten ihre Landstraße hinunter, an lauter vertrauten Häusern und Bäumen hin, bogen rechts den Feldweg ein, dann ging's im Schritt bergauf. Für Cilli war überall Wiedersehen, jedes Schulkind, jede Magd, die heimwärts trieb, die Häuslerhütte am Weg.

»So wenig hast du mir geschrieben, gar nichts am Telephon erzählt, Ernst!«

Da war die Feldmark, jetzt ging's wieder ein Stück Trab unter alten Kastanien hin, auf eigenem Boden! »Glaubst du denn, ich will nicht alles wissen? Hat die schwarze Sau endlich geferkelt? Ja, ja! Neun Ferkel, das ist ungeheuer. Und der Cilli ihr zweites Kalb ist wieder ein Kuhkaibi? Wieviel Milch hat sie diesmal? Nein – zwölf, sag's noch einmal, zwölf Liter! Beim zweiten Kalb zwölf Liter, siehst du, ich hab's gesagt, ich hab's ja gewußt! Gelt, ich hab doch alles gewußt, mit den Milchzeichen und den Gemütsproben, dann hast du ja bald 194 zweihundertvierzig Liter Milch den Tag, – mit dem Fettgehalt, den unsere Milch hat! Ich hab auch viel Geld gebraucht, aber dann macht's ja nichts, und die alte Loisl hat sich so besoffen, daß sie drei Tage nicht gearbeitet hat? Geh, bittschön, noch einmal Gnade für Recht, mir zu lieb, als Geschenk zum Nachhauskommen, Ernsterl! Du, der Camillo war so reizend, wie ein Bub, sag ich dir! Er hat eine Wunderstute entdeckt, milchweiß, schneeweiß, ein richtiger Zelter! So verliebt ist er in seine Mirzel, heut reitet er die ganze Nacht auf seinem weißen Roß über die dunklen Straßen. Schad, daß du nicht mit warst, es war so lustig, der Onkel Clemens und alles – so lustig. Gib mir rasch einen ganz heimlichen Kuß, jetzt bin ich wieder daheim.«

Zur Begrüßung brannten alle Lampen im Schlößchen, das Radio war instandgesetzt, wieder strahlte und tönte Praxmarers Haus ins weite Land.

 

Nagelneu alles: Breeches, Ledergamaschen, Windjacke, das Pagenhaar in einer Jockeimütze, so lernte Cilli den Bäcker-Carl reiten. Die ungebärdige Mirzel war kein Pferd für sie, schon auf dem Hengst wurde ihr schwindlig, er war so hoch und griff aus, daß einem der Atem verging. Wenn sie fürchtete, aus dem Sattel zu fliegen, in die Mähne griff, sich am Hals festklammern wollte, schalt Camillo in 195 seinem exotischen Deutsch, mit »Caramba« und »Vamos« untermischt, er trabte immer nebenher, griff in ihre Zügel und hatte beide Pferde in der Gewalt.

Rings um die Waldkuppe des Feldberg ging die Reitbahn, gut zwei Kilometer lang, über Ackerboden, in den man weich fiel, bei jeder Runde wechselten die Bilder wie im Panoptikum. Da war der hohe Woergel mit der ungeheuren Pracht seines Gletscherfeldes, jetzt kam das Immental, grün bewaldetes Hügelland, in das der Feldbergrücken sich verlor; dann, nach Norden, über ein paar Bauernhöfe hin, lag breit und gelb die Landstraße, die nach Innsbruck führte, über die vor kurzem auf seinem Zelter Camillo einsam und nachts getrabt war. Sie lief am Schneebach hin, gischtend hastigem Wasser in einem viel zu breiten Bett; eine Brücke spannte sich darüber, das Ganze war mit gelber Postkutsche, Bauernfuhrwerk und Mühle wie ein Bild aus Cillis erstem Bilderbuch. Gleich danach blitzte der Schienenstrang auf, blaute der See, und jetzt sah man Schlößchen und Wirtschaftsgebäude des Feldberg, Obstbaumplantagen, das rotgedeckte Gärtnerhäuschen, das Glashaus davor, darunter gebreitet die weiten Gemüsefelder, auf denen erste und letzte Sonne des Tages lag. Kein Laut kam hier herauf als manchmal das Brüllen einer Kuh, der man ihr Kind geraubt, oder, zweimal des Tages, das Pfeifen, 196 Schrillen, Heulen der Schweine, Dankjubel, wenn der Trog sich füllte.

Je sicherer im Sattel Cilli wurde, je mehr sie das Schweben empfand, das ihr der edle Trab des Hengstes gab, um so tiefer genoß sie aus dieser Ferne, wie schön der Feldberg war. Zum erstenmal vielleicht genoß sie ihn! Kam ein Galopp, dann war, als jubelten die Pferdehufe, sie hatte keine Angst mehr, saugte sich mit den Schenkeln am Pferdeleib fest wie Camillo und war den Wolken überirdisch nah.

Schwerer als Reiten war das Fahren, im winzigen Sulky, wenn Männerkraft nötig war, die Zügel zu beherrschen. Das Pferd zwischen den Beinen, da hatte man's leicht in der Gewalt, aber vom Wagen aus gab's nur Zurufe, leichtes Kitzeln mit der Peitsche, war außer der Freundschaft zwischen Tier und Fahrer alle Herrschaft ein Wahn.

Solang Camillo neben ihr saß, jede Bewegung und jeden Ruf kontrollierte, war Cilli geborgen. Aber dann mußte sie allein das Wagnis bestehen, er folgte oder führte im Sattel, und die Landstraße war eine gefährliche Bahn! Der Eisenbahn, dem schnellsten Auto wollte Bäcker-Carl es mindestens gleichtun. Er, der auf der Rennbahn vor allzugroßer Leidenschaft versagt hatte, nahm auf der Straße jedes Rennen an, mochte Cilli bereit sein oder nicht. Was die Füchse am Sonntag und ausgeruht hergaben, war daneben ein sanfter Trott, jetzt flogen 197 die Kilometersteine vorbei, jagte es über Brücken, Bahnübergänge, gab's keine Hemmung, kein Bremsen, Hupen, keinen Scheinwerfer, nur kaltes Blut, eine warme, herzliche Stimme, die der Hengst kannte, und Glück; einmal versagen, war die Katastrophe. Schon das Anfahren war eine Prüfung, schon da hatte Cilli jedesmal weiße Lippen; sie preßte die Füße mit Wucht an, saugte sich mit Schultern und Gesäß an der Bank fest wie beim Reiten mit den Schenkeln an die Flanken des Pferdes. Um jeden Arm einen Zügel gewickelt, die Hände krampfhaft in wattierte Schlaufen gekrallt – ein Zungenschlag, und schon waren die Riemen gespannt wie die Sehne eines Bogens. In Johannes am Stein kam sie mit glühenden Wangen und zitternden Armen an. Aber das war Glück, war endlich wirkliches Glück . . .

Cilli ließ den Stallknecht nicht mehr an ihr Pferd, spannte selber aus, rieb die Flanken trocken, schüttete guten Feldberghafer prasselnd in den Futtersack, streute ein, handhabte Heugabel und Mistgabel. Der Bäcker-Carl haßte es, wenn sein schönes, luftiges Zimmer beschmutzt war, in dem er frei umherging, und, übers Gitter den Hals gereckt, seine menschlichen Freunde mit hellem Ruf begrüßte. Jedes bißchen Losung, verlangte er, mußte sofort verschwinden. Er hatte Menschenaugen, Camillo ähnliche Augen, trug hoch das Haupt, sprach mit 198 Hufen und Rufen täglich herzlicher seine Freundschaft für Cilli aus.

»Er ist dir mehr attachiert als mir,« gestand Camillo eifersüchtig. »Er ist ein Hengst und weiß, daß du eine Frau bist.«

Nach Rennen und Stalldienst gab's den guten Tee bei Felicitas, die viel Migräne litt, deren Augen von Arbeit und Geldqual verschleiert waren. Sie hatte oft kein Brot im Haus, keine Milch, den Hafer für die Pferde ging man betteln, wenn Cilli nicht zwischen den Knien im winzigen Sulky ein Säckchen voll mitbrachte, das sie den Füchsen gestohlen hatte.

Natürlich zahlte Praxmarer für Reit- und Fahrunterricht, so verhaßt ihm dies freche Spiel mit dem Leben war, zahlte sogar gut. Aber alles, was man verdiente, war Tropfen auf den heißen Stein; es war ja Wahnsinn, dies Leben auf gut Glück mit Kindern, Dienstboten, Pferden, Hunden – einmal, plötzlich, mußte es zusammenbrechen.

»Wir verkaufen, du bekommst alles zurück«, versprach Felicitas, wenn Cilli ihr Beutelchen ausgeleert hatte. »Der Bäcker-Carl ist entbehrlich, seit Camillo die Mirzel hat. Angebote kommen täglich. Der arme Camillo . . . Einen Freund verkaufen, das ist Kannibalismus. Aber wir sind zu arm, dreitausend Schilling fressendes Kapital im Stall zu halten.« 199

»Er ist nicht nur euer Freund, er ist auch mein Freund! Ich geb's nicht zu, daß er verkauft wird. Höchstens an mich!«

Felicitas lächelte zerstört und klug, während Camillo das Gesicht abwandte.

»Arme Cilli, ich weiß, daß Ernst auch seine Sorgen hat.«

»Nicht mehr, seit die Kühe am zweiten Kalb stehn! Wißt ihr, was dieses Jahr der Garten trägt! Wie die italienischen Legehühner einschlagen! Ich laß ihm keine Ruh, eine einzige Freude muß ich auch haben.«

So ging die Katastrophe wieder an Felicitas' Haus vorüber. Camillos Entdeckung, ein Rennpferd, das nicht rennen durfte, weil es in früher Jugend seelisch zerstört worden, brachte für diesmal Rettung vor dem Untergang. Viele Lieferanten wurden bezahlt, Wechsel verkleinert und verlängert, neue Seidenhüllen für die Schmetterlingskinder vermessen. Jetzt war der Sommer nah, die Saison begann, man sah wieder Land.

Gott wußte allein, wie oft Felicitas sich besiegt hatte, um diesen Sieg zu erleben! Wie sie sich aufs Bett warf und in Jammer wand, wenn die beiden ihre Reitertaten verrichteten, die sie erlauben mußte um elendes Geld. Wie sie, einen Dolch in der Hand, an der Tür gestanden, wenn draußen die Glocke ging, Camillo und Cilli heiß von der Landstraße 200 kamen, und jedesmal fest entschlossen war: heute tu ich's!

Draußen wurden Schuhe geputzt, ihr treues, ergebenes Mädchen, dem sie sechs Monate Lohn schuldig war, kniete mit dem Wischlappen zu dieser Cilli Füßen . . . Ihre Kinder wurden begrüßt, geküßt, ihre erlisteten und mit höchster Lebensgefahr spät geborenen Kinder, von dieser Cilli, der ihr eigenes Kind nichts war, ihr, die nicht in Qualen geboren, sondern in Narkose gefohlt hatte.

Erst wenn die Tür aufging, Licht vom Korridor ins verdunkelte Atelier fiel, Cilli, Camillo, die kleinen Mädchen, ein Menschenrudel, hereindrangen, fiel der Dolch aus ihrer gekrampften Hand.

Einmal tat sie's ja doch, wenn all das kein Ende nahm. Zu sehr litt sie seit den dreimal verfluchten Innsbrucker Tagen, seit Camillo ein anderer Mensch schien, dem ihr Haus nur noch ein Wirtshaus und sie die Wirtin war. Einmal tat sie's. Dann büßte er zwischen einer Frau, die ins Zuchthaus ging, und einer, die kalt auf dem Teppich lag.

 

Als Bäcker-Carl im Stall auf Gut Feldberg sein schönes, neues Zimmer bewohnte, gottlob kein Unterricht mehr Camillo erlaubte, dort oben viele Stunden zu verbringen, trat Entspannung ein; die letzte Qual: daß sie, Felicitas, den Hengst noch porträtieren mußte, Cillis Hengst mit den flammenden 201 Augen voll Klugheit. Aber das geschah im Rosengarten vor dem Schlößchen, Camillo saß dabei, Praxmarer war der hocherfreute Hausherr. Abends tanzte man ein bißchen, tafelte, andere Nachbarn kamen zu Gast. Die beiden führten Pferdegespräche und waren nie allein.

Oft blieben Ayalas über Nacht, wenn Wein und Tanz sie müde gemacht; es gab nur ein Fremdenzimmer im Schlößchen, ein schmales Bett darin. Aber gerade das machte Felicitas glücklich, hier im Hause der Feindin, ganz eng, untrennbar eng, ihre langen, harten Glieder an Camillo zu pressen. Auf diesem schmalen Lager schlief sich's besser als daheim im viel zu breiten, kalten Doppelbett.

Oft blieben nicht nur Ayalas über Nacht zu Gast; auf dem Mammutdiwan im Biedermeierzimmer rollten sich junge Mädchen, in Cillis Pyjamas gehüllt, in Cillis Pelze gewickelt, aneinander, naschten und schwatzten, bis der Morgen graute. Wie herrlich solch ein gastliches Haus war, wie taufrisch die Wirtin, wie prächtig der Hausherr, der für jeden Gast an der Tür stand und sprach: »Tretet ein, auf daß mein Haus voll werde!« Während ein paar junge Herren sich, mit Woilachs und Sofakissen versorgt, ins Heu zogen, nachdem die Gnädige selbst ihnen, wie obdachlosen Handwerksburschen, Tabak und Feuerzeug abgenommen, die Taschen kontrolliert hatte. Denen steckte Cilli noch heimlich ein 202 Fläschchen zu, auch sie erzählten sich, bevor sie schliefen: »Die zwei hab'n uns gefehlt im Land, ganz eine charmante Aquisition, diese Praxmarers!«

Am Morgen ging's hinunter zum See, auf Pferden, Fahrrädern; Seife und Handtuch in der Tasche wie einst im Manöver. Der Toblacher See war schon im April badewarm, ein leichter Katzenjammer flog weg beim ersten Tauchen; man übte Sprünge, schwamm und ruderte Preise aus; man verglich die Farbe von Armen und Beinen, schloß Wetten ab, wer in diesem Sommer zuerst schwarz glänzen würde wie ein Kongoneger. Dann trottete sich's schön den Feldberg wieder hinauf, keiner versäumte viel, wenn noch ein Tag so mit Schlafen, Tanzen und Tafeln hinging.

Seit Praxmarer erlebt hatte, wie diese tückisch im Blut der Braunsburgs lauernde Depression Cilli plötzlich überfallen, wußte er endlich, daß sie Menschen brauchte; dies einsame letzte Jahr, das ihn ganz in Bauerntum versponnen hatte, durfte er sich nie verzeihen. Wie kurz dauert die Jugend einer Frau, grausam kurz – und er hatte aus Cillis Jugend ein ganzes Jahr geraubt! Seine Gäste freuten ihn, auch wenn er an all der Lustigkeit nicht teilhaben konnte, weil er nicht tanzte, weil er Arbeit hatte; aber sie brachten die Musik ins Haus, ohne die sich der Traum nicht erfüllte, an dem Praxmarers Herz hing. War der Trubel solcher Gasterei 203 vorbei, dann erst gab die Ruhe dieses Sitzes ein tiefes Glück, wie er es seinen Kindern wünschte.

Seinen beiden Kindern? . . . War es nicht Zeit, Aennchen von Tharau einen Bruder zu geben, war der Feldberg nicht immer noch zu arm an Genießern? Wenn er Cilli von diesem Wunsch sprach, beugte sie nur das Haupt und widersprach nicht.

 

Am Waldrand, wo es aus den Gräsern summte, als die Sonne schon von Westen her den großen Woergel anglühte, die reifenden Saaten drunten gelbe Fahnen im Abendschwarz der Wiesen schienen, führten Cilli und Camillo am Halfter ihre Pferde zusammen; sie ihren achtjährigen Hengst, er seine sechsjährige Stute, die beide das andere Geschlecht noch nie erkannt. Auf verschiedenen Wegen zogen sie langsam die Bergwand hinauf; ungesattelt und ungezäumt waren die langen Pferdeleiber, nackt. Gras raufend, träumerisch, kamen die Tiere einander nah, dann flog der schöne Kopf des Hengstes ahnend empor, seine Nüstern bebten, schwarzes Feuer brach aus seinen Augen. Die Stute aber, plötzlich schweißüberglänzt, sog die Luft mit Röcheln ein, ihr milchweißer Leib streckte sich. Näher trat ihr der dunkle Mann, jetzt ging auch ihm der Atem wie ein Rauschen, er stieß die Nase in ihr weißes, feuchtes Vlies, hob wieder das Haupt zum Himmel und schrie, bis in seine Tiefen erschüttert, 204 trompeten hell den Lustschrei des Gebieters. Er fiel mit Zähnen über die Stute her, die seine Bisse in immer wilderem Zittern litt, ein gespannter Bogen ihr ganzer Leib, und beide Pferdeherzen trommelten dumpf; bis abermals der Befehl gewiehert wurde, demütig, immer demütiger die Haltung der gleißenden Frau war, und endlich, wie eine dunkle Wolke über Schnee, der schwarze Leib sich auf den weißen deckte.

Cilli und Camillo standen schweigend, in gleiches Abendrot getaucht wie die schäumenden Tiere. 205

 


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