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Knudsen hatte wirklich auf tausend Kilometer gegen den Wind gerochen, in welchem Zustand dies Landgut war. Als das Herrenhaus innen zur Vollendung gekommen, blies ein Gewittersturm halb verfaulte Holzziegel vom Giebel, und es zeigte sich, daß dies »eigene Dach« nicht bis zum Jahresende halten würde. Die Schafherde mußte verkauft werden, weil sie in einem dunklen Loch hauste, in dem kein Hammel Fett ansetzen konnte; ein neuer Stall aber hätte mehr gekostet, als sie in Jahren trug. Ein neuer Schweinestall mußte ja gebaut, der Pferdestall erneuert werden – dann stellte sich heraus, daß der Verwalter von jedem Unternehmer und jedem Verkäufer Prozente nahm, der Gärtner sein Gemüse schwarz verkaufte, die Knechte beiden in die Karten sahen, faulenzten und keinen Befehl annahmen. Es gab Kündigungen und Prozesse, ein kleines Panamachen tat sich auf; Praxmarer hatte viele Feinde, als endlich saubere Luft seinen Hof 179 durchwehte, – viele Feinde und mehr Schulden, als er ahnte. Die Liquidation in Berlin würde alles sanieren . . . Einstweilen schrieb er quer, Wechsel um Wechsel, die nicht geringere Zinsen kosteten als die Wucherhypothek Casparis.
»Ah da schau her! Ein Paradies ham's hier geschaffen« rief der Gerichtsvollzieher beim ersten Besuch. »Den Hof kennt man nicht wieder, Herr von Praxmarer! Also das ist jetzt eine einzige Pracht, und was früher da heroben für ein Vieh war! Das ist kein Vergleich, eine großartige Arbeit ham's geleistet. Also wo fangen mir an, das Auto, den Flügel von der gnä' Frau, oder, bittschön, wann's wünschen, im Kuhstall? Gleich is es g'schehn, ein Protokoll, so, und dann ham's immer noch vier Wochen Zeit bis zur Exekution.«
Andere Ueberweisungen als telegraphische durfte Knudsen überhaupt nicht mehr machen, so schnell wurden die Wechsel fällig, Steuern eingetrieben, Rechnungen eingeklagt. Er hetzte in Berlin von Bank zu Bank, wie einst als »Vertreter« von Kundschaft zu Kundschaft, verpfändete die Vermögenswerte der Kommandit-Gesellschaft und war glücklich, wenn ein Barverkauf zustande kam, der nur dreißig Prozent unter dem Wert seiner Papiere blieb.
»Ich sterbe einfach zehn Jahre früher als kontraktlich vereinbart«, schrieb er seinem Teilhaber, 180 »dann brauch ich die hunderttausend Mark nicht, und das heilige Land Tirol ist auch um diesen Betrag sanierter. Sie werden das Ländchen schon wieder hoch bringen, Praxmarer. Seipel macht die Sanierung der Seelen, Sie die der Finanzen. Alle Hochachtung, lieber Praxmarer!«
Von seinem Auto hatte Ernst sich leicht getrennt, zwei Dutzend Winterbeete in der Gärtnerei und eine Berieselungsanlage waren ihm tausendmal wichtiger. Er lebte überhaupt, trotz Wechseln und Schulden, in einem einzigen Investitionsfieber, ließ Knudsen für den Gerichtsvollzieher sorgen und zierte sein Land mit Arbeit. Als das Auto verkauft war, verpfändete er heiter lachend seine Rente, für die er zwanzig Jahre lang Eisenbahnen gebaut hatte; er lebte nur hier, auf diesem Hof von hundert Hektar, und konnte Harald Knudsen mit gutem Gewissen schreiben, daß er die Situation gründlich verkenne. Spekulationspapiere auf der Berliner Börse und Guthaben in irgendeinem Banksafe, – das war Plunder, unsicherer, toter Besitz, an dem Schweiß fremder Arbeiter hing. Das hier, Feldberg, war lebendig und hatte Ewigkeitswert.
»Mit dem Schweiß fremder Arbeiter haben Sie recht!« kam die Antwort, »falls Sie nämlich den meinen im Auge haben sollten. Bald aber wird Ihnen der Schweißkorb höher hängen.«
Schön war das alles doch, von früh bis spät auf 181 dem Hof, auf den Aeckern, im Stall, im Garten, wo alles glückte und gedieh.
Natürlich wäre es richtiger gewesen, erst in Berlin zu liquidieren, mit einer festen, absoluten Summe an die Arbeit zu gehen, einen Notgroschen immer im Hintergrund. Aber dann wäre der Feldberghof zwei Jahre später gestartet worden, wären diese beiden wichtigen Jahre im Nichtstun und ruhelosen Wandern hingeflossen, und wenn Praxmarer einmal die Augen schloß, hätten für Cilli und Aennchen am Werk seines Lebens zwei Jahre Arbeit gefehlt. Daß sie gut angelegt waren, bewies jeder neue Tag.
Denn herrlich kamen die Saaten aus üppig gedüngtem Acker; die ersten Schweine eigener Zucht und Mast rollten wie weiße Ballons aus dem Stall und erzielten Aufsehen erregende Preise. »Ein Dorftrottel von Geschäftsmann, aber ein Landwirt!« hieß es in den Wirtshäusern am See, und noch immer rissen die Uniformierten ihre Knochen zusammen, wenn Ernst und Cilli vorüberfuhren, nicht mehr im Auto freilich, sondern auf dem Jagdwagen, von jungen, halbschweren Füchsen gezogen, unter deren Hufen es sprühte und die Dorfstraße bebte.
Cilli fand Kutschieren noch schöner als Autofahren. Sie führte die Zügel, bestach die Füchse mit Zucker und Brot, daß sie freudig wieherten, wenn die junge 182 Gutsherrin in den Stall kam. Sie schirrte selbst an; trat einer über die Stränge, dann war es Cilli, die unter die Pferdebäuche kroch und den Schaden in Ordnung brachte.«
»Mich kennen sie, Ernst. Für dich wäre es zu gefährlich.«
Sie saß gern in der Gesindestube, die an das verrauchte und stickige Loch nicht mehr erinnerte, in dem Herrn Casparis verdrießliche, faule und immer betrunkene Mannschaft gehaust hatte. Dort sang man abends zur Klampfen, die Cilli spielte, das klang schöner als Radio- und Flügelmusik.
Traurig, in allem Glück die einzige Enttäuschung, daß Cillis Leidenschaft für Hof und Hauswirtschaft schneller verlöschte, als sie aufgeflammt war. Die schönste Stube im Haus, den Kuhstall, betrat sie selten, zur schimmernden Milchkammer führte sie nicht die Schlüssel, sie lernte kaum, wie man den Separator und all die blanken Wundermaschinen bedient. Der Traum: Cilli in der großen Kattunschürze, treppauf, treppab und über den Hof, klirrend den Schlüsselbund am Gurt, ging überhaupt nicht in Erfüllung; das alles lehnte sie am Start schon ab. Kam die Köchin abends, um Speisezettel zu machen, dann bekam sie einen Witz oder einen Ausbruch echter Verzweiflung: »Schon wieder mein Quälgeist!«
Wieder ein paar Wochen später ließ sie sich auch 183 in der Gesindestube nicht mehr sehen, wurde auf dem eigenen Hof eine Fremde.
»Ihre« Depression, so lang ferngehalten und fast vergessen, zur überstandenen Kinderkrankheit erklärt, war wieder, diesmal schrecklich, ausgebrochen. Es geschah an dem Tag, an dem Praxmarer seine erste Jahresbilanz zog und glückselig feststellte, daß sein Gutstraum vor kalten Zahlen bestand. Gewinne trug der Hof noch nicht, die würden langsam kommen, wenn alles zwei oder drei Jahre älter war, Kühe, Hühner, Gartenanlagen, die Pfirsich- und Edelobstplantagen, wenn der Verkauf seine feste Organisation hatte; wenn kein plötzlich aus dem Hinterhalt zuckender Wechsel zwang, halb gemästete Schweine zu verkaufen und Kartoffeln auf den Markt zu schicken, die zur eigenen Mast nötig waren.
Aber stabil war die Wirtschaft schon heute, da die Investitionen kaum angefangen hatten, sich zu bewähren. Man wohnte im eigenen Haus, der Tisch war mit allem Guten bestellt, abwechslungsreich und in Ueberfluß, Löhne und Steuern konnten aus dem Ertrag bestritten werden. Das Kunststück dieser Bilanz hätte Praxmarer sich nicht selbst zugetraut, ein Bücherrevisor hatte zwei Tage lang darüber gebrütet, jeden Beleg geprüft, ein vereidigter Bücherrevisor! Jetzt war das Schwere getan, das Leben im Schoß der Natur gesichert! Viel zu viel 184 Kapital hatte der Feldberg freilich gekostet, Zehntausende waren ihm abgewuchert worden, viele Tausende in schmutzige und diebische Hände geronnen. Aber auf die kam's nicht an, Jugend kann langsam traben. Ein alter Knabe wie Praxmarer hatte keine Zeit zu verlieren!
Als Praxmarer beglückt und stolz ins Biedermeierzimmer kam, um Cilli das große Ergebnis zu verkünden, lag sie auf dem Diwan, einem Zwillingsbruder von Onkel Clemens' Mammutruhestätte, hatte ein seidenes Tuch über ihr Gesicht gebreitet, die Finger in Kissen verkrallt. Die schweren Vorhänge aus altem Brokat waren geschlossen, sie wollte von der Sonne nichts im Haus!
Ihr Hund winselte vor der Tür, ihre Kuh Cilli stand unbeachtet kurz vor dem zweiten Kalb, ihre Füchse, die der Hafer stach, weil sie einen Tag nicht gearbeitet hatten, preschten draußen wie Steppenpferde über den Hof; ihre Milchkammer glänzte und verwandelte in Minuten flockige, warme Milch zu schönen, festen Butterpaketen mit dem Aufdruck »Feldbergbutter«, in Oelpapier gewickelt, jedes ein Kilo schwer, um die man sich unten riß.
Ihr Kind, Aennchen von Tharau, mochte am Waldrand durch die Sonne tappen, mit dem Gärtnerkind dalbern oder mit jungen Katzen spielen? Wie lang hatte sie sich nicht mehr um das Aennchen von Tharau gekümmert! 185
Cilli hatte keine Schmerzen, sie wollte und brauchte keinen Arzt. Cilli wollte keine Musik, das Radio war längst verstummt, weil die Batterien nicht frisch geladen wurden; den Schlüssel zum Flügel hatte sie verloren und suchte ihn nicht mehr.
Was hatte sie von ihrem jungen Leben? Das war alles: was hatte sie denn? Einen Mann, der mit Morgengrauen aus dem Bett kroch, abends müde war und nur von Kühen sprach, – ein Kind, das noch nicht einmal sprechen konnte, einen leeren, toten Tag nach dem andern und lange, tote Nächte; nichts war zu hoffen von einer Stunde, die da käme! Jetzt biß sie sich die weißen Lippen wund und sperrte die Sonne aus, jetzt war's genug, und sie hatte ihre Verzweiflung zum Lebensinhalt gemacht.
Das war der Tag von Praxmarers Jahresbilanz. 186