Georges Ohnet
Der Steinbruch
Georges Ohnet

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Viertes Kapitel.

Nicht ohne tiefe Rührung hatte Pascal sein Heimatsstädtchen wieder erblickt und das väterliche Haus betreten. Ein halbes Kind noch war er in die Ferne gezogen, als Mann kam er zurück. In vielen einsamen Stunden seines Lebens auf fremder Erde hatte. er die Ursachen, welche ihn zum Verlassen der Heimat bewogen hatten, einer gründlichen Erwägung unterzogen, und nicht ein einziges Mal war ein Gefühl von Reue in ihm erwacht. Er hatte gethan, was er hatte thun müssen. Durch die Verhältnisse gezwungen, seinen Vater zu verurteilen, hatte er sich selbst verbannt, wie um sich für seinen Mangel an kindlicher Achtung zu bestrafen, und sich mit Leib und Seele der Arbeit zugewendet.

Allmählich empfand er eine große Erleichterung in seinem Inneren. Die Entfernung hatte zwischen seinem Gedächtnisse und der schrecklichen Erscheinung Carvayans einen wohlthätigen Schleier gebreitet, und diese erschien ihm nun in milderem Scheine.

Während seiner jahrelangen Abwesenheit, allein auf dem dichtbevölkerten, doch für ihn öden Boden fremder Länder, hatte er sich im Geiste mit aller Kraft seines Empfindens an das ferne Vaterland, die zurückgelassene Familie geklammert. Er schrieb regelmäßig seinem Vater, um ihm von seinen Unternehmungen, seinen Arbeiten, seinen Erfolgen zu berichten.

Carvayan hatte ihm stets mit kaufmännischer Pünktlichkeit kurze, inhaltsreiche, kalte Antworten geschickt, wahre Geschäftsbriefe, die kaum mit einem etwas wärmeren Worte endeten. Immer waren es Ratschläge, kühn und praktisch, die mit einem bewunderungswürdigen Instinkt mit den fremden Verhältnissen rechneten, doch niemals ein Wort, das als Anspielung an die Vergangenheit oder als Anbahnung zu einer künftigen Versöhnung hätte gelten können.

Trotz des traurigen Lebens, welches der Alte in seiner Vereinsamung führte, vernahm sein Sohn niemals jenen Hilfeschrei des Alters, das nach einer Stütze begehrt, jenen Sehnsuchtsruf: »Komm zurück!« Der stolze, unbeugsame Starrsinn Carvayans zeigte sich voll und ganz in seinem Benehmen Pascal gegenüber. Der Sohn hatte sich aus freiem Antriebe entfernt und der väterlichen Gewalt entzogen, nun sollte und mußte er die selbstgewollte Freiheit ohne Schranken ausnutzen.

Eines Tages jedoch, nachdem der junge Mann, mit seinen Arbeiten zu Ende und des Umherziehens in der Welt müde geworden, sich entschloß, dem Vater seine Rückkehr anzuzeigen, hatte er von diesem einige Zeilen erhalten, in welchen eine unerwartete Befriedigung sich aussprach. Pascal war tief gerührt davon, denn er war keineswegs abgestumpft für diese Kundgebung väterlicher Liebe, die sich endlich frei äußerte, rückhaltslos und ohne falsche Scham. Der Greis war glücklich, seinen Sohn wiederzusehen, ein bleicher Strahl von Freude schien sein vertrocknetes, kaltes Herz zu erwärmen.

Pascal reiste ab in dem doppelt glücklichen Gefühle, die Heimat wiederzusehen und den Vater milder und zugänglicher zu finden. Ihm, der an ein langsames Reisen in unkultivierten Ländern, an das Durchwandern weiter Strecken gewöhnt war, ihm erschien die rasche Ueberfahrt von Amerika nach Frankreich tödlich lang und die Eisenbahnfahrt endlos. Eine Art von Ungeduldsfieber war über ihn gekommen. Kaum nahm er sich so viel Zeit, um seiner Gesellschaft in Paris Rechenschaft abzulegen, und noch an demselben Abende kam er in Neuville an.

In heftigen Schlägen pochte ihm das Herz, als er aus dem Waggon stieg und mit nicht zu bewältigender Unruhe die Bahnhofhalle entlang blickte. Seine Augen, von Thränen verdunkelt, die zurückzuhalten er sich nicht mehr bemühte, entdeckten endlich unter den Wartenden einen kleinen Mann, der allein, in aufrechter, strammer Haltung dastand. Ein zweifacher Ruf ertönte gleichzeitig.

»Vater!«

»Pascal!«

Und von unwiderstehlicher Gewalt gedrängt, fielen sie einander in die Arme. Der Maire von Neuville bekämpfte indes bald seine Erregung, gab den Trägern kurze, gemessene Aufträge, daß das Gepäck in die Rue du Marché zu befördern sei, und seinen Arm in den des Sohnes legend, führte er ihn durch das Städtchen, die Grüße der Bekannten nur flüchtig erwidernd, und raschen Schrittes, um die Zudringlichen ferne zu halten. Er wurde nicht müde, Pascal über die von ihm geleiteten Geschäfte zu befragen, nicht mit welchen Mitteln er gearbeitet hatte – das war Carvayan Nebensache – aber mit welchem Resultate.

Sie speisten miteinander und verbrachten den Abend allein. Mit freudiger Ueberraschung betrachtete er den jungen Mann, dessen ernste Sprache irgend ein unbekanntes Etwas in seiner Brust erbeben machte. Er bewunderte seine Tüchtigkeit und seine glänzenden Geistesgaben. Als Pascal ihm erzählte, daß der Anteil, den er aus der von ihm geleiteten Unternehmung bezogen hatte, 600 000 Franken betrage, stieß der Geldmensch einen Jubelschrei aus. Dann glitt ein dunkler Schatten über seine Stirn, die Worte fielen kalt von seinen Lippen, seine Gesten wurden zurückhaltender. In seinem Gehirn war der Gedanke plötzlich aufgetaucht: »Wenn mein Sohn reich ist, so braucht er mich nicht, und ich werde keine Macht über ihn haben.«

Der Grundzug von Carvayans Charakter war Herrschsucht. Sollte er sich für jemand interessieren, so mußte dieser von ihm abhängig sein und sich seiner Macht beugen. Indes verflog dieser bittere Gedanke gar bald. Pascal sprach weiter, und seine tiefe, klare Stimme übte von neuem ihre bezaubernde Wirkung auf ihn aus. Carvayan überlegte: »Woher kommt es, daß mein Sohn diese Gewalt über mich gewinnt? Haben seine Worte eine solch unwiderstehliche Kraft? Wenn man ihn anhört, so ist es schwer, sich von ihm nicht zu seiner Meinung bekehren zu lassen. Denn wenn ich selbst . . . Doch ich glaube, es ist bloß der erste Eindruck, und der wird vorübergehen!«

Pascal war müde, er zog sich zeitig zurück. Der Vater geleitete ihn selbst in den ersten Stock, durch die dunklen Gänge und die enge Treppe empor, bis er vor der Thür, welche zu dem Zimmer seiner Mutter führte, stillhielt.

Von seinen Erinnerungen bestürmt, blieb Pascal zögernd stehen. Carvayan öffnete, und ganz so, wie es einst gewesen, bot sich das Gemach den Blicken des jungen Mannes dar. Alles war in demselben Zustande geblieben, als ob während der letztverflossenen Jahre niemand den von dem Tode geheiligten Raum betreten hätte. Auf dem Tische lagen noch dieselben kleinen Nippsachen, die auf die ehemalige Bewohnerin zu warten schienen, und neben der Kaminecke vor dem Lieblingsfauteuil stand der Stickrahmen, mit einem grauen Tuche bedeckt. Die Erinnerung überkam Pascal bei diesem Anblicke so lebhaft, daß er sich fragte, ob er geträumt habe, ob die in der Fremde verlebte Zeit wirklich verflossen sei und ob sich nicht alsbald die Stimme der teuren Toten werde vernehmen lassen. Doch nur Carvayans Stimme erklang in dem Halbdunkel des weiten Gemaches in trockenem, gleichgültigen Tone: »Ich habe dich hier untergebracht . . . Ich dachte, du würdest hier besser aufgehoben sein, als in deinem Junggesellenzimmer.«

Besser aufgehoben! So war es demnach nur der Komfort, an den Carvayan gedacht, als er seinem Sohne das Zimmer der verstorbenen Mutter einräumte. Er hatte dessen Rührung nicht vorausgesehen, er ahnte nicht, daß einige von Herzen kommende Worte, in dieser Stunde gesprochen, ihm seinen Sohn für immer unterwürfig und vertrauensvoll wiedergegeben hätten. Diese Worte fand er nicht, er schüttelte seinem Sohne die Hand, wie einem Reisegefährten an der Schwelle eines Wirtshauszimmers und entfernte sich.

Am frühen Morgen war Pascal bereits auf den Beinen. Sein Vater war ihm indes zuvorgekommen und in Geschäften fortgefahren. Der junge Mann empfand darüber etwas wie eine geheime Erleichterung. Sich selbst überlassen, wünschte er das Haus, in welchem seine Kindheit verstrichen war, in allen Einzelheiten zu mustern.

Er öffnete das Fenster und sah die enge, dunkle Straße mit dem plätschernden Brunnen, dieselben Verkaufsläden mit denselben Inhabern; das Leben im Städtchen war dasselbe geblieben, wie es zur Zeit seiner Abreise gewesen. In der Ferne vernahm er die Flöte des Ziegenhirten, der jeden Morgen um acht Uhr durch dieses Viertel kam.

Als er noch Kind war, pflegte seine Mutter ihn ans Fenster zu rufen, damit er die Tiere vorüberziehen sehe, und als er einmal krank gewesen, hatte er lange Zeit von ihrer Milch zu trinken bekommen. Nun hörte er auch schon das Glockengeklingel des Bockes, welcher, ein Kästchen mit Tassen auf dem Rücken, der Herde voranschritt. An der Ecke der Straße kamen endlich die Tiere zum Vorschein. Es war noch immer derselbe Hirt, und auch die Melodie, welche er blies, war die alte. Das Pflaster ertönte unter den schlanken Füßen der Ziegen, welche, die bärtigen Köpfe schüttelnd, vorübertrabten, um an der Wendung des Platzes zu verschwinden, und Flötenklang und Glockengebimmel verloren sich allmählich in der Ferne. Als es schon lange still geworden, stand Pascal noch immer horchend da, die Augen ins Leere gerichtet, mit gepreßtem Herzen, als hätte er seine Jugend scheiden sehen.

Dann stieg er langsam hinab. Auf der Treppe begegnete er der Magd, deren Schönheit ihn überraschte. Es war ein Mädchen von zwanzig Jahren, brünett, mit weißem Teint und blauen Augen, welches ihn mit einem Lächeln begrüßte. Sorgfältig und zierlich gekleidet, trug sie einen großen kupfernen Krug mit Wasser in die Wohnung hinauf.

»Sie suchen vielleicht Ihren Vater, Herr Pascal?« sagte sie. »Schon beim ersten Morgengrauen ist er nach dem Meierhofe von Moncelle gefahren. Er wird erst um die Mittagsstunde zurückkehren . . . Wenn Sie einen kleinen Spaziergang machen wollen, so haben Sie Zeit genug, und kommen mit gutem Appetit nach Hause.«

»Danke, das nehme ich mir in der That vor . . .«

»Nun dann, Herr Pascal, auf Wiedersehen!«

Er ging ins Freie, die Luft war klar und frisch und droben im Aether tummelten sich die Schwalben mit lautem Gezwitscher. So bestieg er die Höhen von Couvrechamps, wendete sich dann dem Walde zu, trieb sich in den Feldern, auf denen das Getreide schon reifte, umher, sich mit stiller Freude wieder auf dem heimatlichen Boden fühlend, entzückt, berauscht von der Sonne, wie von dem würzigen Hauche der grünen Flur und von dem Geschicke mit unwiderstehlicher Macht jener Amazone entgegengeführt, die träumerisch sinnend in dem Hohlwege von Clairefont ritt.

Und er, der gestern noch frei und sorgenlos gewesen und keinen anderen Wunsch gehabt, als die Vergangenheit zu vergessen und sich in die Gegenwart zu schicken, ruhig zu leben und über gewisse Dinge die Augen zu schließen, fand sich vom ersten Tage an, in einem Augenblicke, inmitten von Stürmen, die viel heftiger waren als alle, denen er je getrotzt. Eine ihm unbekannte Gewalt bemächtigte sich seiner, unterjochte ihn und zwang ihm ihren Willen auf. Er sah sich zum zweitenmal, und viel schrecklicher als jemals, zum Widerstande gegen seinen Vater genötigt.

Es war, wie man es ihm gesagt; er war gerade mitten in den heftigsten Kampf hineingeraten. Carvayan oder Clairefont! Das vor dreißig Jahren begonnene Duell ging seinem Ende entgegen, einer der beiden Gegner mußte fallen.

Er kannte jetzt vollständig die Geschichte seines Vaters und des Marquis; auf dem Wege von der Schenke nach Neuville hatte Fleury ihm alles erzählt. Mit Hilfe seiner Erinnerungen konnte er manches Fehlende vervollständigen, und manch kleine Zwischenfälle, die seinem Kindersinne dunkel geblieben waren, erschienen ihm nun in klarem Lichte. Er sah Carvayan und Clairefont als neue Montecchi und Capuletti in unversöhnlichem Zwiste miteinander.

Die Waffen nur waren andere, so wie die Zeit, das Land und die Sitten andere waren. Man befand sich in Neuville und nicht in Verona, im Jahre 1880 und nicht 1300. Man kämpfte heute nicht mit Degen oder Dolch, sondern mit dem allgewaltigen Gelde. Man vergoß kein Blut mehr, das am hellen Tage seine Flecken hinterläßt, sondern Tinte, die im Dunklen besudelt. Es war keine freimütige, erklärte, laute Feindseligkeit, es war ein stummer, geduldiger, versteckter Kampf, aber gefährlicher und weit erbitterter.

Pascal maß die beiderseitigen Kräfte und fand sie höchst ungleich. Auf der einen Seite der Marquis, ein armer Mensch mit weichem Gemüte und verirrtem Verstande, ohne Berechnung und Voraussicht, ein Spielball seiner Hirngespinste, die Wirklichkeit einem Trugbilde opfernd; auf der anderen Carvayan mit dem steinharten Herzen und dem kalten, hellen Kopfe, ein Mann, der sich nur in sichere Unternehmungen einließ und, einmal entschlossen, vor nichts zurückbebte. Es war der Kampf eines Zwerges mit einem Riesen. Der Ausgang war von vornherein entschieden.

Und Pascal kannte die Mittel wohl, mit welchen die Verbündeten nach dem Siege rangen, denn er stand im Mittelpunkte der Angreifer, er, der insgeheim für die Gegenpartei die lebhafteste Teilnahme empfand. Er sah, wie sie zu Werke gingen, gleich einer Ameisenschar, die über ein gefallenes Tier herfällt und nichts läßt, als die blanken weißen Knochen.

Er wußte, was sie bereits in Händen hatten. Tondeur hatte die Sägemühle gekauft, jene berüchtigte Dampfsäge, welche schuld war, daß die Tagelöhne der Holzknechte niedriger geworden. Dumontier, der Schwager Carvayans, hatte 120 000 Franken auf den herrlichen Strich Weidelandes hypothekarisch geliehen, der vom Flüßchen durchschnitten wurde. Der ruchlose Fleury, der sich Carvayan mit Leib und Seele ergeben, hatte keine Gelder vorgestreckt, hoffte jedoch auch seinen Teil zu erhaschen, als Belohnung für die guten Dienste, die er als Schreiber und amtlicher Schatzmeister dem Banquier erwies bei Gelegenheit der Versteigerungen, welche das gewöhnliche Resultat der Geschäfte Carvayans waren.

Pourtois gelüstete es nach dem an seine Schenke grenzenden Grundstücke, und zudem wünschte er auch lebhaft, die Arbeiten im Steinbruch wieder aufgenommen zu sehen, denn mit dem Erlöschen der Kalköfen waren auch die Arbeiter entlassen und seine Einnahmen hatten sich dadurch bedeutend verringert.

Carvayan strebte nach dem Grundbesitz, nach dem Gelde, nach der Ehre und dem Glücke Honorés. Das fürchterlichste Mißgeschick, das diesen traf, erschien ihm noch nicht genügend. Er hätte den Mann, der ihn gedemütigt, vernichtet zu seinen Füßen sehen und über ihn hinwegschreiten mögen.

Mit dieser süßen, inneren Befriedigung noch den materiellen Gewinn einer vorteilhaften Spekulation zu verbinden, war ihm, der stets, selbst in der Rache, praktisch war, keineswegs unangenehm. Als Besitzer des Edelsitzes von Clairefont war er Herr des Bezirkes und Leiter der öffentlichen Meinung, konnte Deputierter werden, und wenn er den Steinbruch ausnutzte und ihm die Ausdehnung gab, wie er sie seinen Geschäften zu geben verstand, schuf er eine industrielle Macht, welche ihrem Gründer eine unberechenbar glänzende Zukunft sichern mußte.

Pascal wußte, wie hoch sich der Ehrgeiz seines Vaters verstieg; der ehemalige Ladengehilfe besaß einen unbändigen Stolz, der ihn nach den höchsten Stellungen streben ließ, weil er diese seiner hohen Geistesbegabung angemessen hielt. Hindernisse schreckten ihn nicht zurück; er umging oder beseitigte sie. Er war einer jener Männer, die aus nichts hervorgegangen, alles erreichen und um die Mittel niemals verlegen sind. Er wagte, und scheiterte er hin und wieder in seinen Unternehmungen, so fing er stets von neuem an, bis es ihm endlich glückte.

Seit Pascals Heimkehr zeigte sich der Maire von Neuville als ein freundlicher und zugänglicher Mann. Er änderte seine Gewohnheiten, blieb auf der Straße stehen, um mit den Leuten zu plaudern, und sprach jedem, der es hören wollte, von der Freude, welche er über die Rückkehr seines Sohnes empfand. Auch das Haus in der Rue du Marché gewann ein anderes Aussehen. Die früher meist geschlossenen Fenster wurden geöffnet, die ganze Behausung verlor ihren mysteriösen, unheimlichen Anblick. Noch mehr, Carvayan erließ Einladungen zu Gesellschaften.

»Ich will nicht, daß mein Sohn sich bei mir langweilt,« antwortete er seinen Bekannten, die ihr Erstaunen über diese Neuerung äußerten. »Er ist jung und bedarf der Zerstreuung: für einen alten Bären, wie ich es bin, war der frühere Haushalt angenehm genug, doch er soll sich unterhalten, soviel es ihm beliebt, ich will sogar Damen einladen . . . Ja, ja! Pascal ist dreißig Jahre alt, er muß ans Heiraten denken . . .«

Der Gedanke, seinen Sohn zu verheiraten, hatte sich plötzlich seiner bemächtigt. Er sprach gern, davon und begann an dessen Ausführung zu arbeiten.

Der reiche Müller Leglorieux aus Capendu wurde von ihm zu dem Feste geladen, welches er zu der Feier der Heimkehr seines Sohnes veranstaltete. Als Frau und Fräulein Leglorieux die Einladung des Maires von Neuville erhielten, wurden sie rot vor Vergnügen, fuhren mit dem nächsten Zuge nach Rouen und blieben mit Fräulein Siméon, der besten Schneiderin der Stadt, zwei volle Stunden in ernster Beratung eingeschlossen.

Fräulein Leglorieux war ein großes, schönes Mädchen von zwanzig Jahren, mit dem Typus der normannischen Rasse, der weißen Haut, dem prachtvollem Haar, den großen Füßen und starken Händen. Sie war ein einziges Kind, und Fleury, der ziemlich genau alle Vermögensverhältnisse in der Runde kannte, meinte von ihr: »Die wird einen hübschen Geldsack mitbekommen.«

Frau Leglorieux, bebend vor Hoffnung und Freude, schüttete sofort der Erbin ihr Herz aus.

»Mein teures Kind, das soll zu einer Heirat führen . . . Es ist das erste Mal, daß Herr Carvayan Damen zu sich ladet . . . bis jetzt hat er nur Herren empfangen . . . Oh! Félicie, denke nur! . . . Der Mann besitzt Millionen . . . Und der Sohn ist ein so netter Mann . . . Es heißt, er habe als Advokat ein riesiges Talent . . . mehr noch als der Staatsanwalt Bonnet . . . Wenn er in Rouen sich niederlassen wollte, wie weit könnte er es bringen! Du würdest eines Tages auf der Präfektur speisen . . .«

Fräulein Félicie antwortete nichts, aber ihre Augen wurden feucht und ihre Wangen röter.

Inzwischen benutzte Pascal jeden freien Augenblick, den ihm sein Vater ließ, um in der Nähe des Schlosses oder in jenem Hohlwege zu lustwandeln, wo er Antoinette begegnet war. Zwischen den Hecken und Gebüschen schlich er wartend umher, aber das reizende Mädchen ließ sich nicht blicken.

Da wagte er sich einmal bis zum Gitterthor heran. Der große, schottische Windhund, welcher hinter der dichten, grünen Umzäunung träge auf dem Boden lag, in welchen er, um es kühler zu haben, eine kleine Grube gegraben hatte, erhob sich, streckte die spitze Schnauze nach der Richtung aus, wo Pascal sich befand, und stieß ein kurzes, herausforderndes Gebell aus. Aus Furcht, bemerkt zu werden, trat der junge Mann in den Schatten der längs des Parkes sich hinziehenden Mauer zurück und vernahm die harmonische Stimme Antoinettes, welche dem Hunde Ruhe gebot: »Still, Fox, es wird irgend ein Bettler sein . . . Willst du jetzt gar armen Leuten die Zähne weisen?«

Die harte Stimme des Fräuleins von Saint-Maurice fügte hinzu: »Nächstens wird er sie dann uns selber zeigen müssen.«

Diese Worte fielen Pascal schwer aufs Herz. Mehr als die Entfernung, mehr als die Steinmauern trennten sie ihn von Fräulein von Clairefont. War es nicht Carvayan, der ihren Ruin herbeiführte?

Langsamen Schrittes entfernte er sich. Es war Abend geworden, leichte Nebel senkten sich auf das Gehölz herab, der Hochwald schimmerte im blutigroten Scheine der untergehenden Sonne. Pascal schritt längs der Heide hin, wo er Rose singend die Wäsche hatte spülen sehen, und bemerkte die Schafherde des Rotkopfes, welche unter der Aufsicht des schwarzen Hundes die magere Weide abgraste.

Neben dem offenstehenden Pferch, welcher die Schafe zur Nachtzeit aufnahm, lag der Hirt auf seinem grobwollenen Mantel ausgestreckt, einem Hollunderrohre melancholische Weisen entlockend. Klagende, durchdringende Töne entstiegen dieser primitiven Flöte, die wie das seufzende Zwitschern eines verwundeten Vogels in den Lüften verhauchten.

Als Pascal von dem Blödsinnigen entdeckt wurde, sprang dieser mit einem Satze in die Höhe, stieß ein heiseres Geschrei aus, welchem der Hund gehorchte, indem er sogleich die zerstreute Herde zusammentrieb. Die Peitsche zur Hand nehmend, begann der Rotkopf mit wütenden Gebärden auf der Heide umherzuspringen, als ob der Fremde mit seinem Vorübergehen eine arge Frevelthat begangen hätte. Und noch lange vernahm Pascal vom Hügel her das Knallen der Peitsche, abwechselnd mit dem Geschrei des Hirten.

Traurig bis in die Seele hinein, lenkte er seine Schritte dem Heimwege zu.

Erst acht Tage waren seit seiner Rückkehr nach Neuville verflossen. Carvayan bemerkte augenblicklich die Veränderung im Gemüte seines Sohnes. Er beobachtete ihn schweigend, dann sagte er: »Was hast du? Mißfällt dir irgend etwas oder irgend jemand? Es soll alles sofort nach deinem Wunsche geändert werden. Ich will, daß du zufrieden seist . . .«

Pascal sah seinen Vater an und fand, daß er es aufrichtig meinte. Er dachte: »Mit dem Alter ist er menschlicher geworden. Wer weiß, ob er nicht mir zuliebe wirklich viel thäte?«

Da fiel es ihm ein, die gute Stimmung, in welcher er seinen Vater sah, zu benutzen und ihm alles zu gestehen. Es war vielleicht noch Zeit, den letzten, vernichtenden Schlag von den Clairefonts abzuwenden. Wenn die Heimkehr des einzigen Sohnes, der so lange in der Fremde umhergeirrt, den Zwistigkeiten ein Ende machen würde? Oh! Mit wie viel Liebe und Zärtlichkeit wollte er es seinem Vater vergelten, wenn dieser aus Rücksicht für ihn dem besiegten Feinde mit Schonung begegnen würde! Er dachte sich Antoinette von ihren Sorgen befreit, von ihrem Kummer erlöst. Und ihm würde das junge Mädchen die freiere Existenz ihres Vaters und ihre eigene Herzensruhe zu danken haben. Pascal fühlte sich von tiefer Rührung überwältigt, und unverzüglich wollte er den Versuch wagen.

»Seitdem ich wieder zurück bin, Vater,« begann er, »staune ich, wie vieles in deinen Verhältnissen sich geändert hat . . . Ich sehe dich als Ersten in der Stadt. Du hast dir eine hervorragende Stellung errungen, und ich verstehe, daß du dabei nicht stehen bleiben wirst . . .«

Ein stummes Lächeln glitt über Carvayans gebräuntes Antlitz, als er den Kopf zustimmend neigte.

»Dennoch sehe ich einen dunklen Punkt, das ist die Feindseligkeit, in welcher du mit der Familie Clairefont lebst . . . Hältst du es für deiner würdig, einen Zwist fortzusetzen, welcher Aufregung und Mißhelligkeiten unter die Leute bringt? Denn wer nicht für dich ist, ergreift ihre Partei . . . das heißt wahrhaftig Unfrieden säen . . .«

Der Banquier duckte sich, wie er es zu thun pflegte, wenn er zu einer Auseinandersetzung nicht gewillt war, und erwiderte mit leiser Ironie: »Der Kampf wird nicht lange mehr dauern . . .«

Pascal ließ sich durch die zweideutige Antwort nicht beirren, er wußte, was sie verbarg. Er fuhr fort: »Ich höre in der That allgemein, daß der Marquis Honoré mit seinen Hilfsmitteln zu Ende ist, und dies eben ist es, was mich dazu bewegt, mit dir darüber zu sprechen, obgleich ich wohl weiß, daß dir das Thema nicht behagt . . . Da haben wir Leute, die durch Ungeschicklichkeit, Ueberspanntheit oder Thorheiten – über die Ursachen will ich nicht mit dir streiten – zum vollständigen Ruin gelangt sind . . . Nun, Vater, wenn sie dir auch sehr viel Böses angethan haben, was kannst du ihnen noch Aergeres wünschen?«

Carvayans Züge erhellten sich von einem Ausdruck grauser Freude. Er schüttelte das Haupt, und seine gelben Augen, in welchen der Haß funkelte, aufschlagend, sprach er mit geringschätzendem Mitleid: »Kind! Du weißt nicht, wovon du sprichst! . . .«

In diesen Worten lag so viel Bitterkeit, so viel Ironie, es war so ganz die Offenbarung einer unersättlichen Rachgier, daß Pascal betroffen innehielt. Er hatte gehofft, den Greis zur Einkehr in sich selbst zu bewegen, ihn günstigen Zugeständnissen geneigt zu machen, doch er fand ihn hart und kalt wie Marmor, seine Vorstellungen mit dem Wohlwollen eines Mannes erwidernd, der zu einem Kinde spricht. Indes hielt er sich noch nicht für geschlagen, er versuchte einen neuen Angriff.

»Der Marquis von Clairefont ist heute ein viel zu armseliger Gegner einem Kämpfer gegenüber, wie du es bist . . .«

»Ei, ei!« spottete Carvayan, »man soll niemals seinen Feind geringschätzen . . . Hätte sich der Marquis diese Worte seit dreißig Jahren jeden Abend vor dem Schlafengehen vorgebetet, er wäre nicht so übel dran, als er es heute ist . . .«

»Aber er ist alt . . .«

»Nein! Er steht in meinem Alter.«

»An seiner Seite weilen Frauen, die der Teilnahme würdig sind.«

Bei diesen Worten fuhr Carvayan in die Höhe; er warf seinem Sohne einen scharfen, durchdringenden Blick zu, und mit harter, metallener Stimme, seiner wahren Stimme, welche alle Nerven seines Sohnes erzittern machte, entgegnete er: »Frauen? Wer hat dir etwas von ihnen gesagt? Hast du sie etwa gesehen? Ah, ah! Da kommt man schön an, wenn sich diese Brut in unsere Geschäfte mengt! Frauen! Sind denn die beim Marquis nicht immer im Spiel? Ich hätte darauf gefaßt sein können, daß sich die Weiberröcke dreinmischen. Nun denn, mein Junge, ist es etwa das alte Fräulein von Saint-Maurice, für welche du dich interessierst, oder die schöne Antoinette?«

Der Name des jungen Mädchens mit dieser verletzenden Vertraulichkeit ausgesprochen, klang schmerzlich in Pascals Ohr. Es schien ihm, als ob der Ton, in welchem Carvayan ihn aussprach, die Trägerin desselben besudle. Er wollte alle weiteren Auseinandersetzungen kurz abschneiden, doch er hatte nicht mehr Zeit dazu.

»Wer hat dir von den Frauen erzählt?« fuhr der Alte mit stets wachsender Erregung fort. »Bist du ihnen etwa begegnet? Du läufst ja fortwährend im Freien umher, und die sind auch immer auf allen Straßen zu finden, wie Landstreicher . . . Ah! Sie haben dich vielleicht mit süßen Worten gefangen! Die sind gar nicht blöde und der Sohn Carvayans . . . Kein schlechtes Geschäft! . . .«

Der Banquier brach in wildes Lachen aus.

»Vater, ich beschwöre dich . . .«

»Gib dir keine Mühe! Kenne ich sie etwa nicht? Wie die Sachen heute stehen, sind sie um Geld zu allem fähig . . . Aber man muß auf seiner Hut sein; es sind leichtfertige Dinger; zumal die Junge mit ihrem treuherzigen Aussehen . . . Und ihr Kavallerieoffizier, der sie nicht heiratet! Ah! Ah! Laß dich nicht auslachen, mein Junge! Das ist eine saubere Gesellschaft . . . Kümmere dich nicht um sie . . . Du würdest schlecht ankommen . . . Um mit denen fertig zu werden, dazu gehört eine Faust, wie sie der alte Carvayan hat, und auch dem fällt es nicht leicht! Wenn du den Lärm fürchtest, den das Zusammenbrechen dieses alten, verkommenen, rissigen, wurmzerfressenen Nestes, das sich Haus Clairefont nennt, machen wird, so gehe ein wenig nach Paris . . . Du bist jung, du mußt dich amüsieren . . . Aber, glaube mir, versuche niemals, dich den Plänen deines Vaters in den Weg zu stellen, du würdest es bitter bereuen . . . Gewiß, du bist mir über alles teuer . . . Aber es könnte dir trotzdem sehr übel dabei ergehen!«

Pascal wollte noch Einwendungen machen, weiter reden, doch seine tiefe, wohlklingende Stimme besaß keine Gewalt mehr über seinen Vater. Sobald es sich um dessen Rachgier handelte, schien er, mit einem diamantharten Panzer bedeckt, an welchem auch die bestgeführten Hiebe abprallten.

»Zudem,« fuhr er mit angenommenem gutmütigem Lächeln fort, »ist diese ganze Empfindelei völlig überflüssig . . . Die Familie des Marquis besteht nicht bloß aus Frauen . . . Er hat auch einen großen Jungen von achtundzwanzig Jahren, stark wie ein Büffel, der bis heute seine Kraft nur in dummen Streichen bethätigte . . . Wenn er arbeiten will, so steht ihm dies ja frei . . . Du und ich, wir wissen beide, was arbeiten heißt . . . Ich begann damit, den Laden des Vaters Gatelier auszukehren . . . Und du, Trotzkopf, du hast gar die Reise um die Welt gemacht . . . Was hindert diesen jungen Herrn, das zertrümmerte Gebäude des väterlichen Vermögens wieder aufzurichten? Ei, ei, vielleicht beurteilen wir ihn falsch! Wer weiß, ob er nicht, wenn's not thut, auch noch einen anderen Beruf in sich fühlt, als zwischen zwei Gläschen Cognak Stallburschen zu erwürgen und Wilderer zu prügeln? . . . Ich wäre entzückt, wenn er irgendwelche verborgenen guten Eigenschaften besäße und eines Tages beweisen würde, daß er doch zu etwas taugt . . .«

Carvayan machte eine kurze Pause, sein Gesicht wurde hart und düster, dann sagte er in hartem, entschiedenem Tone: »Ist er aber wie all die Seinen, unfähig und böswillig zugleich . . . so soll er fallen und verschwinden. In der modernen Gesellschaft, so wie sie heutzutage organisiert ist, gibt es keinen Platz für Schufte und Müßiggänger.«

Um sich in den Augen seines Sohnes zu erheben, suchte der Maire von Neuville seinem Rachewerke eine sociale Tragweite zu geben. Es war nicht mehr Carvayan, der Clairefont zu Grunde richtete, es war die fleißige, arbeitende Demokratie, welche den müßiggehenden Adel besiegte und mit gewaltigen Sensenhieben das Land von den Schmarotzerpflanzen befreite, die alle neue Sprossen erstickten.

So kalt zurückgewiesen, beschloß Pascal, seinem Vater mit gleicher Münze zu zahlen und ihn ebenfalls auf eine falsche Spur zu leiten. Er heuchelte eine unbefangene Miene und meinte, daß er all dies nur gesagt, um seinen etwas übertriebenen Gewissensskrupeln Genüge zu thun; die Familie der Clairefonts sei ihm höchst gleichgültig, er kenne die Leute nicht und sei auch nicht im mindesten begierig, sie kennen zu lernen.

Carvayan ließ ihn reden und verlor kein Wort weiter, nahm sich jedoch im stillen vor, Pascal durch einen seiner gut dressierten Spione insgeheim beobachten zu lassen. Der junge Mann aber machte gleichzeitig denselben Gedankengang durch und beschloß, eine Zeitlang auf seine Spaziergänge in dem Hohlwege zu verzichten.

So lebten nun beide zusammen weiter, im geheimen wie Gegner einander aufpassend, entzweit durch Hintergedanken, einer an dem anderen zweifelnd. Carvayan war in Besorgnis, ein zweites Mal gegen das kämpfen zu müssen, was er die Zimperlichkeit seines Sohnes nannte; Pascal, der in einem Augenblicke alle seine Illusionen verloren hatte, verzehrte sich in bitterem Herzenskummer, daß er den Tyrannen wieder zum Vorschein kommen sah, der ihn schon einmal gezwungen, das väterliche Haus zu meiden.

Das Festmahl, welches der Maire von Neuville zu Ehren des heimgekehrten Sohnes gab, und zu dem er alle hervorragenden Persönlichkeiten von Neuville einlud, fand mit verschwenderischem Aufwande statt. Es geht nichts darüber, als wenn sich geizige Leute einmal in Ausgaben stürzen. Die Ueppigkeit des Menüs erregte hohes Erstaunen sogar in einem Lande, wie die Normandie, wo Festessen vier Stunden zu dauern pflegen und den sagenhaften, schlemmerischen Zechgelagen Camachos aus dem »Don Quichotte« an die Seite gestellt werden können.

Auch der Unterpräfekt war anwesend. Er hatte es nicht gewagt, die erhaltene Einladung auszuschlagen. Die Bedienung bei Tafel wurde von Kellnern aus dem ersten Gasthause des nahen Rouen besorgt, deren Haltung Herrn Dumontier, den Schwager Carvayans, dermaßen einschüchterte, daß er, trotz des zornigen Augenzwinkerns seiner Frau, sich nicht enthalten konnte, jedesmal, wenn diese die Teller wechselten, ihnen ein »Danke, mein Herr,« zu sagen.

In dem düsteren Speisesaale, aus welchem man die Möbel entfernt hatte, denn man saß zu zweiundzwanzig um den Tisch, war es zu Beginn der Tafel ziemlich frostig hergegangen, bei dem Braten jedoch, den eine Menge von Vorspeisen eingeleitet, lösten sich die Zungen, und als man Burgunder einschenkte, wurde die Unterhaltung eine sehr laute.

Fleury, der von dem Sohne des Hauses nur durch Fräulein Leglorieux getrennt war, bemühte sich, die Beredsamkeit des jungen Mannes leuchten zu lassen und ihn auf Amerika zu bringen, allein dieser blieb allen diesbezüglichen Versuchen unzugänglich.

Finster und in sich gekehrt, schien Pascal zu keinem Gespräche gelaunt. Die Gesellschaft, in der er sich befand, flößte ihm einen ausgesprochenen Widerwillen ein, und er fühlte sich höchst unbehaglich. Die Aussicht, künftig in der Mitte dieser Menschen zu leben, deren Benehmen, deren Sprache und Sinnesart ihn so tief verletzten, dünkte ihm etwas Furchtbares. Mit dieser Umgebung verglichen, hatte Carvayan mit seinem kalten, ernsten Aeußeren, seiner zurückhaltenden Sprache und Gebärde die stolze, gebieterische Haltung eines Fürsten. Diese ganze, gemeine, niedrige Lustigkeit, die wie eine schlammige Flut mit jeder Minute stieg, ekelte ihn an und versenkte ihn in tiefe Traurigkeit.

Fräulein Leglorieux, voll erblüht und rot wie eine Pfingstrose, wendete und drehte sich an seiner Seite hin und her, eifrig bemüht, recht vornehm zu thun. Sie trank, den kleinen Finger krampfhaft ausgestreckt, und wählte ihre Worte mit lächerlicher Gezwungenheit.

Tondeur, in einen schwarzen Gehrock gezwängt, der ihn Folterqualen erdulden ließ, hatte ein dunkelblau angelaufenes Gesicht und begleitete die Witze Fleurys mit einem halb erstickten, keuchenden Lachen. Frau Leglorieux flüsterte Carvayan sehr detaillierte Vertrauensmitteilungen über die vielseitigen Talente ihrer Tochter ins Ohr und über das Vermögen, das sie von zwei Großonkeln, reichen Pächtern, zu erwarten habe.

»Ja, Herr Maire, ich kann es wohl sagen, Félicie ist eine Partie ersten Ranges, und so wie man in der ganzen Gegend keine zweite findet . . . Gott sei gedankt, ihr Vater und ich, wir befinden uns beim besten Wohlsein . . . Aber sie wird deshalb doch, wenn sie heiratet, ihre 300 000 Franken haben . . . Jawohl! . . . Und Sie wissen doch, wie man sie in Neuville nennt? Das Fräulein mit den reichen Erbschaften . . . Und sie wird sie auch kriegen, sehen Sie, außer der unserigen; natürlich, wie es sich gebührt, so spät als möglich! . . .«

Darauf fing sie zu lachen an, und die schwarzen Locken, die zu beiden Seiten ihres Gesichtes herabhingen, baumelten lustig in der Luft umher. Carvayan sah und hörte sie mit ruhiger Miene an.

Pascal, der diese letzten Worte vernommen hatte, kam auf die Idee, die Mutter mit der Tochter zu vergleichen, und machte die verblüffende Entdeckung, daß die beiden, von dem Altersunterschiede abgesehen, den gleichen Wuchs, gleiche Hautfarbe und die gleichen Züge besaßen. Er sah in der Mutter neben sich die Tochter, wie sie mit vierzig Jahren aussehen würde, dick, mit rotem, aufgedunsenem Gesichte, verdummt durch das schwerfällige, üppige, träge Leben der Provinz. Und an eine solche Frau dachte sein Vater für ihn.

Was war aber bei ruhiger Ueberlegung daran Erstaunliches? Durfte er eine andere Verbindung erhoffen? Gehörte das junge Mädchen nicht seinen Kreisen an, und konnte man weit und breit etwas Besseres finden? Konnte er, der Sohn eines reich gewordenen Bauern etwa an eine vornehmere Heirat denken? Hatte er nicht vielmehr, durch seine Phantasie verführt, seine Blicke höher erhoben, als es ihm erlaubt war?

Und weiter sinnend vergaß er seine Umgebung, den sich steigernden Lärm der Gespräche und des Lachens, die lebhaftere Erregung der Gäste, er sah sich allein in einem Winkel des kühlen, schweigsamen Parkes. Das Schattenbild eines jungen Mädchens schwebte an seinen Augen vorüber, von einer leichten Wolke verhüllt, wie im Traume. Und sie war es, sie, die er liebte, sie allein. Er fühlte sich stark genug, alles zu versuchen, um sie sich zu erringen. Nichts würde seine Geduld ermüden, seinen Mut zu schwächen vermögen. Und er müßte es schließlich erreichen, jeden Widerstand zu besiegen, den Haß zu entwaffnen und glücklich zu sein.

Ein Beben durchfuhr ihn bei diesem Gedanken. Welche Wonne, die seine Hand dieses anbetungswürdigen Wesens auf seinem zitternden Arm ruhen zu fühlen! Welche Seligkeit, an ihrer Seite durch das Leben zu gehen! Nichts zu sehen als sie, an nichts zu denken als an sie, ganz in ihr aufzugehen, keinen anderen Wunsch, keine andere Hoffnung zu haben, als sie. Ihr Gatte zu sein, sie nur zu verlassen, um desto feuriger und zärtlicher zu ihren Füßen zurückzukehren, der Gebieter, sehnsüchtig begehrend, sich zum Sklaven zu machen. Sie zur Mutterschaft erblühen zu sehen, dieser angebeteten Frau Kinder zu verdanken, weiß, rosig, fröhlich, stolz, schmeichelnd, süß wie sie selbst, und sein Herz kaum weit genug zu fühlen, um all die Liebe zu fassen, welche solche göttliche kleine Wesen einzuflößen vermögen. Und damit diese Engel ohne Kummer und ohne Leid leben könnten, brauchte es ein Paradies, irgend einen gesegneten Ort voll milden Lichtes, voll Duft und Sonnenglanz . . . Die Bäume würden sich neigen, um mit ihren blühenden Zweigen die zarten Stirnen zu liebkosen; die Vögel würden ihre schönsten Lieder singen, um die kleinen, lauschenden Ohren zu entzücken, der Sand würde weicher werden, um die niedlichen, hüpfenden, trotzigen Kinderfüßchen nicht zu verletzen. Alles, was die Natur bietet, würde nicht schön, nicht fein und gut genug für Antoinette und die Engelchen sein, die ihr entstammten.

Laute Freudenrufe, die um ihn her ertönten, entrissen Pascal seinen entzückenden Träumereien. Die Gäste seines Vaters hatten sich erhoben, und beim Klange der Gläser tranken sie auf des Sohnes glückliche Heimkehr. Frau Leglorieux warf Carvayan einen triumphierenden Blick zu, der zu sagen schien: »Sie haben ihn zurückgebracht. Wir werden es verstehen, ihn hier zu halten! . . .«

Fleury hatte, nachdem er sich mit niedriger Unterwürfigkeit vor dem Unterpräfekten verbeugt, wie um die große Freiheit, welche er sich nahm, zu entschuldigen, einen Speech begonnen, den er lange zuvor einstudiert, jedoch stotternd herzusagen anfing, um demselben den Anstrich einer Rede aus dem Stegreif zu geben. Er machte schlecht verhehlte Anspielungen auf den Streit zwischen Clairefont und Carvayan, daß der Maire von Neuville schon seit vielen Jahren der Verteidiger der kommunalen Freiheiten sei gegen den letzten Vertreter der alten feudalen Bedrückung . . .

»Ein Tag wird kommen, und er ist nicht mehr fern,« sprach er zum Schlusse, »wo als herrlicher Preis für diesen siegreichen Widerstand sich Wohlfahrt über das ganze Land verbreiten wird . . . Und Herrn Carvayan, dem Maire von Neuville, werden wir dieses glückliche Ergebnis zu danken haben . . . Ich will nichts weiter sagen . . . Ich hoffe, daß Sie mich verstanden haben . . . Stoßen Sie also mit mir an und trinken wir auf das Wohl unseres ausgezeichneten Freundes . . .«

»Auf sein Wohl!«

Fleury hatte sich nicht geirrt. Sie verstanden ihn alle. Die flammenden Gesichter, die funkelnden Augen verrieten sehr deutlich die erweckte Habsucht. Alle waren bereit, über die Beute herzufallen. Und immer war es der Steinbruch, nach welchem all ihr Trachten ging. Aus jenem Hügel sollte die Quelle des Wohlstandes sprudeln und jeder der Teilnehmer reichlich daraus schöpfen dürfen.

Sodann wurde es still; Carvayan antwortete. In aufrechter, ernster Haltung stand er da, und kalt und gemessen fielen die Worte von seinen Lippen. Er lehnte bescheiden die Ehre ab, daß man seinem schwachen Eingreifen die wertvollen Vorteile verdanke, welche die Zukunft versprach. Er habe tüchtige Mitarbeiter gehabt . . . Uebrigens fühle er sich vollkommen damit befriedigt, daß ihm die allgemeine Billigung zu teil werde, denn das Ziel, welches er stets vor Augen gehabt, war einzig das Interesse derjenigen, die ihn heute umgaben . . .

Damit legte er die Hand auf das Herz, mit der Weihe eines Priesters, der bereit ist, sich für die Menschheit zu opfern. Mit stürmischer Begeisterung jubelten ihm seine Gäste lauten Beifall zu.

Betroffen hatte Pascal an diesem Auftritte teilgenommen. Er fragte sich, ob er träume oder ob ein falscher Schein ihn bis jetzt genarrt habe. Aber das Affengesicht Fleurys, von einem stillen Lächeln verzogen, fesselte seinen Blick, und er erinnerte sich der vertraulichen Mitteilungen, welche ihm der Kanzlist gemacht. Alles, was er gesehen, war demnach eine nichtswürdige Komödie, alles, was er vernommen, eine schamlose Lüge. Unaussprechliche Abscheu erfüllte sein Herz. Er gedachte des freien, ruhigen Lebens, das er einige Wochen zuvor geführt. Die weiten Prairien Amerikas thaten sich vor ihm auf, wie um ihn wieder in ihre grüne, friedliche Einsamkeit zu laden, ein Hauch gesunder, erfrischender Ruhe umhüllte ihn mit wohlthuender Süßigkeit, es schien ihm, als ob die wohlriechende Luft der Savannen über seine Stirn streiche und den Sturm seiner Gefühle besänftige. Warum war er zurückgekehrt? Was hatte er mit diesem Schmutze zu schaffen? Allmählich fand er in sich selbst die Kraft der alten Zeit wieder, jener Zeit, als ihn nichts in der Welt zu einer Teilnahme an einer Nichtswürdigkeit hatte bewegen können.

Eine plötzlich erwachte Begeisterung ließ seine Brust höher schlagen: er fühlte sich einig mit seinem Gewissen, hoch über seiner Umgebung stehend, sicher, der Erniedrigung zu entgehen, die zu teilen man ihm aufbürden wollte. Er gelobte es sich, das elterliche Haus und sein Heimatland wieder zu verlassen und seine Hoffnungen in fernen Ländern zu begraben, aus denen man nicht wiederkehrt. Die Zukunft erschien ihm wie ein finsterer Abgrund, und ohne Zögern, ohne Schwäche gedachte er sein Leben in demselben zu versenken.

Die Gäste erhoben sich von ihren Sitzen. Das Kabinett Carvayans, dieser Marterraum, dessen Wände schon so viel Seufzer und Klagen vernommen, war glänzend beleuchtet. Der Schreibtisch des Hausherrn war in eine Ecke gestellt und die ihn sonst bedeckenden Aktenstöße waren abgeräumt worden. Fauteuils und Stühle umgaben den Kamin. Den Raum zwischen beiden Fenstern nahm ein Piano ein. Die dunkle, finstere Behausung war von Festesgeräusch und Lichterglanz erfüllt. Auf der Straße standen Neugierige, erstaunt das ungewohnte Schauspiel in Carvayans Hause begaffend und den Klängen eines Walzers lauschend, den Fräulein Félicie auf dem Klavier klimperte. Die für den Abend Geladenen kamen und läuteten vorsichtig, als ob sie dächten, sich vor einer unrechten Thür zu finden. Aber sie waren dennoch am rechten Orte, jawohl, der Maire von Neuville hatte heute Empfangsabend, und alle Notabilitäten der Stadt erschienen eine nach der anderen, mit heißer Stirn und forschendem Blicke. Auf einem Stuhle in einer Ecke saß Pascal und hörte mit zerstreutem Ohr auf die Erzählungen seines Onkels Dumontier. Durch die offenen Fenster zogen Schwärme von Nachtfaltern herein, umgaukelten die brennenden Kerzen, um sich bald an der Flamme die Flügel zu versengen. Pascal sah ihrem Treiben zu und dachte, daß es dem armen Marquis ebenso ergangen und daß er nun die Kraft nicht mehr besäße, sich der Vernichtung zu entreißen. Der Name Clairefont, in seiner Nähe ausgesprochen, erregte die Aufmerksamkeit des jungen Mannes, und in der Fensternische, in der Nähe des Klaviers, bemerkte er seinen Vater im Gespräche mit Herrn Malézeau.

»Sie wissen, Herr Carvayan, ich bin der Mann nicht, um Ihnen einen leichtfertigen Rat zu geben,« sagte der Notar, »aber ich bin der Meinung, daß Sie gegen Herrn von Clairefont nicht mit Strenge vorgehen sollen. Gewähren Sie ihm einige Erleichterungen . . .«

»Was verstehen Sie darunter?« fragte der Banquier.

»Herr Carvayan, setzen Sie ihm nicht das Messer an den Hals, wie Sie es seit einem Jahre thun, lassen Sie ihn zu Atem kommen, mit einem Worte: Geben Sie ihm Zeit . . .«

»Kann ich dies? Nicht ich habe das Geld hergeliehen. Ich bin bloß der letzte Inhaber, und wenn ich gegen den Marquis großmütig vorgehe, so kann inzwischen mein Pfand entwertet werden und ich würde Verluste erleiden . . .«

»Sie denken nicht daran . . .«

»Man muß daran denken . . .«

»Wer weiß, ob der Marquis nicht mit Hilfe einer kurzen Frist dahin gelangen könnte, einen Teil seiner Schuld abzutragen?«

Bei diesen Worten begann Carvayan, der während dieses Gespräches kalt und barsch gewesen, zu lächeln und dem Notar schön zu thun. Er ergriff Herrn Malézeau am Arme, stützte sich vertraulich auf ihn, und mit freundlichen Blicken und Gebärden fragte er: »Was gibt es denn droben Neues? Erzählen Sie mir 'mal. Wird sich Herr Croix-Mesnil endlich zur Heirat entschließen? . . . Wird die Mühle wieder Wasser bekommen?«

Schon bereute der Notar, die Aufmerksamkeit Carvayans erweckt zu haben; er fühlte, daß er zu weit gegangen, und wollte schleunigst den Rückzug antreten. Aber der Banquier ließ seine Beute nicht so leicht los. Drohend und gebieterisch, bittend und befehlend zugleich fuhr er fort: »Vorwärts, Malézeau, jetzt heißt es aufrichtig sein. Der Marquis hat Ihnen von seinen neuen Erfindungen gesprochen? Hat er Ihnen vielleicht gar den wunderbaren Ofen gezeigt?«

»Wie, Sie wissen?«

»Ist es etwa nicht mein Amt, alles zu wissen?« rief Carvayan voll Ungeduld . . . »Seit sechs Wochen ermüdet man bereits meine Ohren mit dieser Geschichte. Man sagt, daß es etwas Erstaunliches sei, daß man bei dem neuen Feuerungssystem des Marquis selbst feuchte Abfälle verbrennen und eine erstaunliche Hitze damit erzielen könne . . . Ist das wahr?«

Der Notar schwieg. Carvayan schüttelte ihn lebhaft und mit blitzenden Augen und harter Stimme fuhr er fort: »Nun, so antworten Sie doch frei heraus! Mit Schweigen gesteht man ebensoviel wie mit Worten. Haben Sie die Erfindung gesehen? Ist die Sache sicher? Ein Ingenieur, den ich darüber zu Rate zog, behauptet, daß sie bei gewissen Industriezweigen mit erstaunlichem Nutzen Anwendung finden würde . . .«

Die Erregung Carvayans war eine außerordentliche; der Mann, der es sonst so ausgezeichnet verstand, sich zu beherrschen, äußerte mit so viel Freimut den brennenden Wunsch, Näheres über die Erfindung zu erfahren, daß Malézeau hieraus einen Vorteil zu Gunsten seines Klienten zu gewinnen hoffte. Vielleicht, wenn er zu verstehen gab, daß von der Erfindung des Marquis in der That ein bedeutendes Resultat zu erhoffen sei, konnte er es erreichen, den Banquier einzuschüchtern und ihn zu einer gütlichen Uebereinkunft zu bewegen. Hinter der goldenen Brille warfen seine schielenden Augen einen unsicheren Blick auf Carvayan, und mit berechneter Langsamkeit erklärte er: »Ich habe den Ofen, von dem die Rede ist, gesehen . . . er ist wirklich höchst erstaunlich . . . Der Marquis hatte die Güte, ihn in meiner Gegenwart funktionieren zu lassen . . .«

»Ist das Modell groß genug? Ist es ein Spielzeug oder kann man sich im Ernste auf die Probe verlassen, welche man mit ihm angestellt hat?«

»Es ist ein sehr stattliches Modell, welches er als Ofen in seinem Laboratorium verwendet . . . Er bedient sich desselben bei seinen chemischen Arbeiten . . . Ich halte mich überzeugt, daß er im großen ebenso brauchbar sein dürfte, wie im kleinen . . . Sehen Sie, mein lieber Carvayan, ich meine, Herr von Clairefont wird in kurzem wieder flott sein . . . Und wenn Sie meine Meinung über ihn hören wollen, so muß ich Ihnen sagen, daß er ein bedeutender Mensch ist, und daß es mehr Gewinn brächte, sich mit ihm ins Einvernehmen zu setzen, als gegen ihn aufzutreten . . .«

»Oh, oh!« rief Carvayan und ein pfeifender Atem erleichterte seine bedrückte Brust. »Wahrhaftig! Ein bedeutender Mensch . . . der wackere Marquis! . . . Nun, ich bin froh für ihn . . . Aber von allen seinen Erfindungen soll er mir nur eine aufweisen, die mir besser zusagen wird, als alle anderen: Das wäre das Geld, welches er mir schuldet und das ich endlich einmal sehen möchte. Sie, Malézeau, Sie sind auch ein komischer Heiliger, mir kaltblütig mit derlei Flausen zu kommen . . . Ein bedeutender Mensch! . . . Nun denn, ich bin es, der es Ihnen sagt, und Sie wissen, daß ich niemals vergeblich drohe, wenn dieser bedeutende Mensch nicht imstande ist, den Wechsel zu bezahlen, der am Ende dieses Monats, das ist drei Tage nach dem St. Firminustage, fällig wird, so werde ich ihn und seine noble Familie aus seinem noblen Schlosse gerichtlich hinauswerfen lassen . . . So wahr als ich Carvayan heiße . . .«

Im Sprechen hatte seine Erregung sich noch mehr gesteigert, sein braunes Gesicht war erdfahl geworden, seine Augen flammten in wildem Hasse und seine Hände zitterten heftig. Er machte eine Pause, blickte dem Notar fest ins Gesicht und sagte in spöttischem Tone: »Wenn der Ofen wirklich so ein Wunder ist, Malézeau, so werde ich ihn ausnutzen, mein Bester . . . Und seien Sie ganz ruhig, ich werde es verstehen, einen größeren Vorteil daraus zu ziehen, als Ihr alter Träumer von Marquis.«

Und als der Notar doch noch einen letzten Versuch zu Gunsten seines Klienten wagen wollte, unterbrach ihn Carvayan in schneidendem Tone: »Genug. Bis Ende dieses Monats, nicht mehr, nicht weniger! Sie können es ihm sagen . . . Und er möge sich erinnern . . . denn ich vergesse nichts! . . .«

Er hob den Zeigefinger zur Wange empor und wies mit bitterem Lächeln auf eine kleine, weiße Linie, die sich über sein dunkles Gesicht hinzog, die noch immer sichtbare Spur jenes Peitschenhiebes, der ihn vor mehr als dreißig Jahren in der St. Firminusnacht getroffen. Ohne ein Wort weiter durchschritt er die Gruppen der Geladenen und gesellte sich zu dem Unterpräfekten, der in lebhaftem Gespräche mit dem Wegeaufseher begriffen war.

Gedrückten Sinnes verglich hierauf Pascal die Handlungsweise des Marquis und die seines Vaters, und beide gegeneinander abwägend, fand er zu seinem Schrecken, daß die Schuld auf beiden Seiten eine gleich schwere war. Ja, der Marquis hatte sich ein unverzeihliches Vergehen zu schulden kommen lassen, und die Rache Carvayans war eine berechtigte. Ach! Die Kluft, die diese beiden Männer trennte, wurde immer tiefer und die Kraft und der Wille eines Menschen würde nie ausreichen, sie zu füllen. Die unschuldigen Opfer dieser unversöhnlichen Feindschaft, die Kinder, welche vielleicht in Liebe einander zuneigten, sahen sich gleichfalls zu Haß und Unglück verdammt. Der ganze Festestaumel, der ihn lärmend umgab, flößte ihm Entsetzen ein. Er konnte, ohne bemerkt zu werden, sich fortschleichen und auf die bereits leer gewordene Straße hinaustreten. Die Nacht war still und klar. Am wolkenlosen Himmel funkelten die Sterne. Pascal ließ sich auf eine Steinbank neben dem leise plätschernden Brunnen nieder, und in der Einsamkeit und Stille der schlummernden Stadt gedachte er, den Kopf in seinen Händen vergraben, der Vergangenheit, welche ihm nur Trübsal geboten hatte, und der Zukunft, von der er nur gleiche Trübsal erwartete, und dem Marquis fluchend und über seinen Vater errötend, beschloß er voll Verzweiflung, das Andenken Antoinettes für immer aus seinem Herzen zu verbannen.



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