Georges Ohnet
Der Steinbruch
Georges Ohnet

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Drittes Kapitel.

Als Fräulein von Clairefont auf der Hochebene, welche das Thal von Neuville beherrscht, Pascal verließ, hatte sie ihr Pferd zu rascherem Gange angetrieben. Sie wünschte sehnlichst, sich möglichst rasch aus der Nähe dieses Mannes zu entfernen, dessen Erscheinung auf den ersten Anblick ein sympathisches Gefühl in ihr erregt und in welchem sie zu ihrem großen Verdruß einen Carvayan entdeckt hatte. Sie hätte jeden Gedanken an ihn verscheuchen mögen, so wie sie ihn selbst von sich gewiesen hatte, aber gegen ihren Willen erschien ihr das Antlitz ihres Weggenossen mit seiner hohen Stirn, den klaren Augen und dem ernsten Munde immer und immer wieder. Sie sagte sich: »Er hatte doch das Aussehen eines ehrlichen, aufrichtigen Menschen, und nun entpuppt er sich als den Sohn eines Schurken!« Dann machte sie das sonderbare Zugeständnis: »Vielleicht ist er trotzdem gut und ehrlich . . .« Aber augenblicklich empörte sie sich gegen diese ihr unerklärliche Nachsicht. »Nein, das ist nicht wahrscheinlich. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme. Uebrigens wurde seine Miene verlegen, als er erfuhr, wer ich bin . . . und er hat den Kopf gesenkt . . . Woher mag denn der kommen, um uns neues Leid zu bereiten? . . .«

Ein Carvayan konnte für Antoinette keinen anderen Lebenszweck haben, als den Clairefonts Uebles zuzufügen. Ach! Uebles, blieb denn noch etwas zu thun übrig? War das Werk des Verderbens nicht schon vollendet? Welch neuer Schlag sollte die Familie treffen, die in stetig fortschreitendem Verfalle zu einer Armut gelangt war, die hart an Elend grenzte? Mit schmerzlicher Wehmut versetzte sich das junge Mädchen, welches kaum dreiundzwanzig Jahre zählte, in die Vergangenheit zurück und verweilte bei den einzelnen Entwickelungsstufen des langsam aber sicher sich nahenden Ruins.

Sie sah das Schloß in der verschwenderischen Pracht und dem glänzenden Leben wieder, wie es gewesen, als sie noch ein Kind war. Wie sie sodann in dem Maße, als sie heranwuchs und die Vorgänge um sich her zu verstehen begann, bemerkt hatte, daß der reiche Haushalt immer mehr eingeschränkt wurde, daß die Dienerschaft sich verringerte, der Pferde im Stalle weniger wurden und die abgenutzten Möbel in den Gemächern stehen blieben, ohne durch neue ersetzt zu werden. Das ganze Heim war weniger behaglich, weniger warm und zierlich geworden, aber mit der Sorglosigkeit der Jugend hatte sie wenig Gewicht darauf gelegt bis zu dem Tage, wo ihr Verstand zu klarerer Erkenntnis gereift war. Da hatte sie begriffen, daß Not und Elend, an den Thoren von Clairefont angelangt, unabweisbar den Eintritt begehrten, und daß deren treuester Verbündeter der Marquis selber war. Nun konnte man ihren scharfsichtigen Augen nichts mehr verheimlichen und gar oft fand sie auf dem großen Tische im Vorzimmer gestempelte Papiere, die am selben Morgen gebracht worden waren und die man zu verbergen sich nicht mehr die Mühe gab. Sie las die traurigen, kalten Gerichtsformeln, welche den »besagten Herrn von Clairefont« zur Zahlung dieser oder jener Summe anhielten, widrigenfalls Pfändung und Versteigerung. Und immer hatte man noch bezahlt. Die äußersten Anstrengungen wurden gemacht, alle Taschen umgewendet, alle Schubfächer durchsucht, und wie eine ausgepreßte Traube gekeltert wird, bis man ihr den letzten Tropfen abgezapft, so lieferten auch die alten Ueberbleibsel des ehemaligen Reichtums, bis auf den letzten Grund ausgesogen, die erforderlichen Geldmittel. Es war zugleich rührend und herzzerreißend.

Das materielle Leben hatte indessen unter der fortwährenden Verringerung des väterlichen Vermögens nicht gelitten. Der Wirtschaftshof lieferte Geflügel, der Küchengarten Gemüse, die Meierhöfe Mehl, Hammel und Rinder. Man heizte mit den Bäumen des Parkes und fütterte die Pferde mit dem Heu der Wiesen; nur bares Geld war sehr selten. Fräulein von Clairefont verfertigte ihre Kleider selbst. Der Marquis Honoré, welcher ununterbrochen mit der Lösung seiner Probleme beschäftigt war, schien den Mangel im Hause nicht zu ahnen. In Wahrheit hatte er auch nicht darunter zu leiden. Von dem Tage an, als Antoinette die mißliche Lage erkannte, in welche ihr Vater seine Familie gebracht hatte, wurde von ihr das denkbar Mögliche ersonnen, um all die Qualen der häufigen Geldverlegenheiten dem Urheber derselben zu verbergen. Sie hatte einen Wall von Liebe und Zärtlichkeit um ihn her errichtet und alle Sorgen und alle Trübsal für sich behalten. Wie eine liebevolle Mutter ging sie mit dem Alten um, der wie ein Kind seinen Träumen zulächelte und stets voll neuer Hoffnung und unermüdlich danach strebte, eine Erfindung zu machen, welche den Seinen das Zehnfache dessen wiedererstatten sollte, was er ihnen genommen hatte.

Nur in einem einzigen Punkte war es unmöglich, ihn völlig zu täuschen. Seit zwei Jahren war Antoinette mit Herrn von Croix-Mesnil verlobt und die Heirat wurde von einer Saison zur anderen verschoben. Der junge Baron war ein schmucker Offizier von schöner Haltung und liebenswürdigem Charakter, dessen Vater, ein hervorragender Jurist, auf die höchsten Plätze in der gerichtlichen Laufbahn hoffen durfte. Diese Verbindung, die zu einer Zeit beschlossen wurde, als der Marquis noch in scheinbarem Besitze seiner Güter stand, war der Vollziehung nahe gewesen. Fräulein von Clairefont selbst hatte die Bewerbung günstig aufgenommen, und der Baron zeigte sich um seine Verlobte eifrigst bemüht. Die Besprechungen der Notare beider Familien ergaben das befriedigende Resultat, daß der künftige Gatte 40 000 Franken Revenüen von seiten seiner Mutter und die künftige Gattin 300 000 Franken gleichfalls als mütterliches Erbe besitze, da ihr Bruder ihr seinen Anteil überlassen hatte. Alles war geordnet, als Fräulein von Clairefont plötzlich ihren Entschluß änderte und, den Tod einer entfernten Verwandten als Vorwand benutzend, die Hochzeit verschoben wissen wollte.

Tante Isabella, welche beauftragt wurde, dem Verlobten diese veränderte Willensmeinung ihrer Nichte bekannt zu geben, entledigte sich dieser Botschaft mit ihrer gewohnten Derbheit, die jedoch diesmal einen Beigeschmack von ungewöhnlicher Rührung verriet. Als Trost hatte sie zu Herrn von Croix-Mesnil gesagt: »Sehen Sie, lieber Freund, meine Nichte hat es sich in den Kopf gesetzt, in diesem Quartal nicht zu heiraten . . . Als tapferer Soldat müssen Sie sich in die Lage schicken . . . Schließlich, was ›verschoben‹ ist, ist noch nicht aufgehoben . . .«

Und als der Baron mit sanften Vorstellungen sich über die Verzögerung seines Glückes beklagte, rief sie mit einer Rührung, die den Barbarismen so günstig war: »Bedauern Sie nichts . . . Dies Kind ist die Vollkommenheit selbst! . . . Wenn Sie wüßten . . . Aber Sie dürfen es nicht wissen . . . Kurz, glauben Sie mir, sie ist ein Engel . . . ja, ein ›immatrikulierter‹ Engel!«

Der Baron zeigte so viel Betrübnis, als dies einem Manne von Welt ziemt, und bat um die Erlaubnis, dem Fräulein nach wie vor sich nähern zu dürfen. Dies wurde ihm auch gewährt. Der Marquis war aufrichtig bekümmert über diesen teilweisen Bruch und verlangte durchaus eine Aufklärung des seltsamen Vorgehens seiner Tochter. Doch ruhig lächelnd antwortete ihm diese auf alle seine Fragen: »Ich fühle mich höchst glücklich an deiner Seite, ich habe es nicht so eilig, dich zu verlassen . . . Ich will noch warten . . .«

»Aber, liebes Kind,« bat der alte Herr weiter, »ich wäre viel ruhiger, wenn ich dich versorgt wüßte . . . Deine Verheiratung ist für mich eine schwere Sorge . . . Was würde aus dir werden, wenn ich dir genommen würde? . . .«

Antoinette und Isabella tauschten unwillkürlich einen schnellen Blick aus, ein feines Lächeln glitt über die Lippen des jungen Mädchens, das den weißen Kopf des alten Kindes in beide Hände nahm und in sanftem Schmeicheltone sagte: »Sei unbesorgt, Papa, diese Heirat wird früher oder später stattfinden . . . Nur dränge mich niemals dazu!« Dann änderte sie den Ton und fuhr mit schelmischer Heiterkeit fort: »Und dann weißt du ja auch, daß ich etwas von dem eigensinnigen Willen der Saint-Maurices besitze, und daß man mich nimmer zwingen kann, etwas zu thun, was ich nicht thun mag.«

Der Marquis dachte: »Sie verheimlicht mir irgend etwas und Tante Isabella weiß davon . . . Ich werde schon dahinter kommen.«

Wenn der Erfinder, statt mit unklaren Gedanken dem Fluge seiner Chimären zu folgen, seine Bücher geführt hätte, würde er leicht den Grund der plötzlichen Willensänderung seiner Tochter in der Zahlung einer fällig gewordenen Summe von 200 000 Franken, welche die Schächte des Steinbruches verschlungen hatten, gefunden und begriffen haben, weshalb seine Tochter nichts mehr vom Heiraten hören wollte. Aber nur der Exekutor Carvayans und Tante Isabella wußten um das großmütige Opfer, welches Antoinette gebracht hatte, indem sie mit ihrem als Heiratsgut bestimmten mütterlichen Erbe die Schuld bezahlt hatte, um die Versteigerung eines Teiles der Besitzung zu verhindern. Die alte Saint-Maurice, welche über alles ihre eigenen Ansichten hatte, zog aus der Herrn von Croix-Mesnil auferlegten Verzögerung einen tröstlichen Schluß für ihre Nichte.

»Siehst du, Teuerste,« erklärte sie, »schließlich thust du vielleicht sehr gut daran, den jungen Dragoner nicht aufs Geratewohl zu heiraten. Er scheint dich nicht so zu lieben, als du es verdienst. Er benahm sich viel zu gemessen und viel zu ruhig, als er erfuhr, daß man ihn ins Blaue hinein warten lasse . . . Ich meine, er hätte ein ›fanatisches‹ Geschrei erheben sollen . . . Und hast du ihn gesehen? Sanft . . . zuckersüß . . . nicht aus der Ruhe zu bringen! . . . Ich weiß nicht, aus was für Holz die Liebhaber und Soldaten von heutzutage geschnitzt sind.«

Der Marquis, dessen Gedanken nicht lange bei demselben Gegenstande verweilen konnten, war wieder ganz bei seinen Erfindungen. Ein leiser Verdacht war trotzdem wie eine schmerzhafte Stelle auf dem Grunde seines Herzens zurückgeblieben, und von Zeit zu Zeit pflegte er zu fragen: »Nun, mein Kind, was ist mit Croix-Mesnil? Wann wirst du dich entschließen, ihn zu heiraten?«

»Ich werde schon rechtzeitig daran denken, Papa,« erwiderte Antoinette mit ruhigem Lächeln.

Der Baron kam alle zwei bis drei Monate zu mehrtägigem Aufenthalte auf das Schloß, ging mit Robert auf die Jagd, ritt mit seiner Verlobten spazieren und reiste wieder ab, ohne daß eine Entscheidung getroffen worden wäre. In der Umgegend mußte dies Verhältnis sich verschiedene Auslegungen gefallen lassen und von dem jungen Offizier hieß es ironisch, er sei »ein Bräutigam bis auf Nimmerles Tag«.

Einige zischelten: »Wenn er sie nicht heiratet, so beweist das, daß er auch so nicht zu kurz kommt . . . Das ist so Brauch in der Familie, Fräulein Isabella hat ehemals gerade solche Possen getrieben . . .«

Himmel, Element! Wenn Tante Isabella von diesen Reden Wind bekommen hätte, mit welch kräftigen Zurechtweisungen in Gestalt von Ohrfeigen hätte sie nicht geantwortet. Aber die Clairefonts lebten streng zurückgezogen, und die Verleumdung erstarb auf der Schwelle des düsteren, schweigsamen Schlosses.

Ihren Erinnerungen völlig hingegeben, hielt Antoinette schon eine geraume Zeit vor den kalkigen Abhängen des Steinbruches still. Nachlässig hingen die Zügel über dem Halse des Pferdes, das junge Mädchen hatte alles vergessen, die seltsame Begegnung von vorhin, wie die vorgerückte Stunde. Zu ihren Füßen, vor dem Schachteingange lag das unbenutzte, vermodernde Gebälk, die großen Schuppen waren leer, die Wagen standen unbeweglich auf den Schienen, welche zu den erloschenen Kalköfen führten. Der ganze Betrieb, von ihrem, Vater viele Jahre hindurch mit fieberhafter Anstrengung geführt, war eingestellt. Viele der in Angriff genommenen Arbeiten waren nicht vollendet. Und dieses unfruchtbare Kalkgebirge stellte das ganze Vermögen des altadligen Hauses vor, das Glück des jungen Mädchens, die Stütze der alten Tage des Marquis. Die ganze Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft waren hier schonungslos aufs Spiel gesetzt worden. Und doch, wie oft hatte Antoinette ihren Vater mit ungebeugter Sicherheit, auf den Hügel deutend, ausrufen hören: »Dort ist das Glück der Familie!«

Der Marquis hatte mannigfache Versuche anstellen lassen, und alle hatten höchst befriedigende Ergebnisse geliefert. Der Kalk von Clairefont war vorzüglich und konnte jeder Konkurrenz standhalten. Während mehrerer Jahre war auch der Absatz ein höchst bedeutender gewesen. Um aber die Betriebswerkzeuge zu verbessern, hatte es sich der Marquis in den Kopf gesetzt, bessere Maschinen zu erfinden und ein neues Verfahren beim Kalkbrennen zu ersinnen. Und in diesen Versuchen hatte er den ganzen Nutzen des Unternehmens verschleudert. Nirgends ein folgerichtiges Denken, überall dieselbe Thorheit, dem Besseren nachzujagen, wenn das Gute leicht und sicher zu haben war, stets von seinem diabolischen Erfinder-Genie zu neuen Fortschritten, zu neuen Versuchen gedrängt.

Daher statt des reinen, einfachen Gewinnes auf der geraden, gewöhnlichen Bahn der Mißerfolg auf gewundenen, kühnen Wegen und der Ruin statt des Glückes. Indessen, trotz des steten Mißlingens und der darob empfundenen bitteren Enttäuschungen hegte das junge Mädchen im Grunde ihres Herzens doch noch eine letzte Hoffnung. Ihr Vertrauen zu den Talenten ihres Vaters war unerschütterlich, und ihre Betrachtungen endeten stets mit dem Gedanken: Schließlich wird er doch finden, was er sucht, und an jenem Tage wird sich wie in den Feenmärchen dieses Kalkgebirge in pures Gold verwandeln.

Die Schloßglocke, welche in der Ferne läutete, um zur Mahlzeit zu rufen, weckte Fräulein von Clairefont aus ihren Träumen. Sie gab ihrem Pferde einen leichten Schlag, sprengte im Galopp dahin und erreichte nach einigen Minuten das Gitterthor. Die Sorgen von sich abschüttelnd und eine fröhliche, heitere Miene annehmend, ritt sie über den weiten Hof, wo zwischen dem Pflaster hohes Gras sproßte. Dann sprang sie, ohne eine Hilfe in Anspruch zu nehmen, aus dem Sattel, öffnete die Stallthüre, und nachdem sie dem Pferde den Zaum abgenommen hatte, sah sie zu, wie dasselbe seinem mit frischem Stroh belegten Platze zuging. Hierauf schlug sie die Schleppe des langen Reitkleides über den Arm und schritt, von dem Hunde gefolgt, nach dem Speisesaal.

In dem weiten Gemache mit dem marmorbelegten Boden, der in Felder geteilten Decke, in deren jedem das Wappen der Familie prangte, den geschnitzten Kredenzen, auf welchen massives, altes Silbergerät blinkte, letzte Reste des verschwundenen Reichtums, saßen um einen sehr großen Tisch vier Personen beim Frühstück, während ein alter Diener die Speisen herumreichte. Zur Linken des Marquis war ein Platz unbesetzt, der seiner Tochter; zu seiner Rechten saß Fräulein von Saint-Maurice mit ihrer Grenadiergestalt und ihrem roten, häßlichen Teint, ihm gegenüber der junge Graf Robert und ein langer, bleicher Mann mit bartlosem Gesichte, einem Kahlkopfe und einer goldenen Brille, hinter welcher sich der unsichere Blick seiner Augen verbarg.

»Ah! da kommt ja meine Tochter,« sagte erfreut der Marquis, als er Antoinette eintreten sah . . . »Weißt du wohl, meine Liebe, daß ich schon unruhig zu werden begann . . . Ich ließ die Glocke dreimal läuten, um dich zu benachrichtigen . . . Du scheinst weit fort gewesen zu sein? . . .«

»Ich bin bis nach Soucelles geritten, Papa,« erwiderte Fräulein von Clairefont, und umarmte den Greis . . . »Die Kinder des Pächters sind krank, und ich wollte selbst nach ihrem Befinden sehen . . . Guten Tag, liebe Tante . . .«

»Guten Tag! Du bringst uns Tau und Blumenduft mit . . . Komm her zu mir, damit ich auch etwas davon genießen kann . . . Wie frisch und rosig du heute aussiehst!«

»Das muß man heute von Ihnen sagen, beste Tante, denn Sie haben diesen Morgen ein wahrlich strahlendes Aussehen.«

»Schon gut, schon gut! Schmeichlerin,« entgegnete mit starker Stimme Fräulein von Saint-Maurice . . . »Ich bin strahlend wie ein Sonnenuntergang.«

Und das flammend rote Antlitz Tante Isabellas erglänzte in fröhlichem Lachen.

Antoinette machte die Runde um den Tisch, gab im Vorbeigehen ihrem Bruder einen kleinen, freundschaftlichen Schlag auf die Wangen, und dem fremden Herrn, welcher sich ceremoniös erhoben hatte, die Hand reichend, sagte sie: »Erfreut, Sie zu sehen, Herr Malézeau . . . Ich bitte, mich zu entschuldigen, ich wußte nicht, daß ich das Vergnügen haben würde, Sie hier zu finden . . . Die Kanzlei steht noch auf demselben Fleck? Wie ist das Befinden der Frau Malézeau?«

»Sachen und Personen, mein Fräulein, alles zu Ihren Diensten, mein Fräulein, glauben Sie mir . . .« antwortete der Notar, welcher infolge einer eingewurzelten Gewohnheit jeden Satz mit einem »mein Fräulein«, »mein Herr« oder »Madame« zu begleiten pflegte, was von wahrhaft komischer Wirkung war.

»Sonach steht alles aufs beste,« schloß das junge Mädchen. Und indem sie an der Seite ihres Vaters Platz nahm, sagte sie zu dem alten Diener: »Holen Sie nichts Frisches für mich, Germain, ich werde das Frühstück bei dem Gange fortsetzen, der gerade aufgetragen . . . Ich sterbe vor Hunger . . .«

Nun war es eine Freude zu sehen, mit welch reizender Lebhaftigkeit und jugendlichem, kräftigem Appetit sie zu essen begann. Ihr Bruder beobachtete sie einen Augenblick, dann sagte er mit scheinbar wichtiger Miene: »Mein Fräulein Schwester, gestatten Sie mir zwei Worte . . . Du sagst, daß du von Soucelles kommst; das ist richtig. Ich sah dich in der That auf der Hochebene vorüberreiten . . . Aber was du uns nicht sagst, das ist, daß du nicht allein warst . . .«

Bei diesen Worten wurde Antoinette sehr rot und erhob rasch den Kopf.

»Aber Robert, was hat denn dieser Spaß wieder zu bedeuten?« rief Tante Isabella. »Willst du uns etwa glauben machen, daß deine Schwester in Gesellschaft von Personen spazieren reitet, welche du nicht kennst? . . .«

»Meiner Treu, er spricht trotzdem die Wahrheit, beste Tante,« unterbrach sie Antoinette. »Ich hatte wirklich heute während einer halben Stunde einen Unbekannten als Begleiter . . .«

»Gewiß irgend ein Bettler, der dir bis zum Schlosse folgte?«

»O nein! Gerade das Gegenteil von einem Bettler . . .«

»Du machst mich neugierig . . . Ist er vielleicht ein Millionär?« fragte der Marquis lächelnd.

»Wenn ich glauben will, was man von ihm erzählt, so dürfte er es eines Tages werden . . .«

»Nun, ihr werdet gleich sehen, daß es irgend ein Räuber war, der von Antoinette ›die Börse oder das Leben‹ forderte . . .«

»Beste Tante, Sie sind dem Erraten sehr nahe . . . nur daß er weder das eine noch das andere von mir verlangte . . . Es war der leibhaftige Sohn des Herrn Carvayan . . .«

Ein Stillschweigen folgte. Seit zwanzig Jahren war unter diesem Dache der Name Carvayan noch niemals ausgesprochen worden, ohne daß es der Vorbote eines Unglückes gewesen.

Der Marquis senkte die plötzlich umdüsterte Stirn und sagte leise: »Ich hatte vergessen, daß Carvayan einen Sohn hat . . .« Dabei richtete er einen besorgten Blick auf Robert und Antoinette, als ob er gefürchtet hätte, daß der Haß des Vaters, wie ein Erbteil auf dessen Nachkommen übertragen, ebenso schwer auf seinen Kindern lasten könnte, wie auf seinem eigenen Leben. Und mit kaum verhehlter Unruhe fragte er weiter: »Aber wie kam diese Begegnung? Hat der junge Mann dich angesprochen?«

»Ja, Papa, um mich nach dem Wege zu fragen, und in sehr höflicher Weise.«

»Was ich ihm auch geraten haben möchte,« murmelte Robert, aus dessen Augen ein drohender Blitz zuckte . . . »Wenn er sich anders benommen hätte . . .«

»Ich wußte nicht, wer er sei, und dachte auch nicht daran, ihn danach zu fragen . . . Ein Fußgänger hatte mich gebeten, ihm den Weg nach Neuville zu zeigen, und da ich in derselben Richtung ritt, so lud ich ihn ein, mir zu folgen . . . So zogen wir beide schweigend dahin bis zum Augenblicke der Trennung, und als er dankend sich von mir verabschiedete, nannte er seinen Namen . . .«

»Wie sieht er denn aus?« fragte Tante Isabella . . . »Ist er ein anständiger Mensch oder ein Halunke? . . . Hat er Wolfskinnladen wie sein Vater?«

»Er hat das Benehmen eines gebildeten Mannes, und was sein Aussehen betrifft, so ist dasselbe nicht unangenehm . . . Aber, liebe Tante,« fügte Antoinette ironisch hinzu, »wenn Sie begierig sind, Näheres über den Erben des Hauses Carvayan zu erfahren, so könnte Herr Malézeau gewiß die beste Auskunft geben . . .«

»Ich? mein Fräulein,« stammelte der Notar, indem er beide Hände mit einer Gebärde des Protestes auf seine magere Brust legte, als wolle er sich gegen diese Zumutung feierlich verwahren . . .

»Ist denn der Maire von Neuville nicht Ihr Klient wie ich?« fragte Herr von Clairefont.

»Oh! Das ist etwas ganz anderes, Herr Marquis,« rief Malézeau, dessen Augen hinter der goldenen Brille unstät umherschweiften: »mit Herrn Carvayan stehe ich bloß in geschäftlichem Verkehr, aber mit Ihnen, Herr Marquis, und mit Ihrer geehrten Familie, Herr Marquis, oh, das sind Bande der achtungsvollsten Ergebenheit . . .«

»Sie pflegen doch bei dem Maire zu dinieren?« unterbrach ihn Robert mit gutgemeintem Spott.

»Selten, Herr Graf, so selten als nur irgend möglich!« entgegnete der Notar, der auf Kohlen zu sitzen schien . . . »Sie kennen ja das Leben in den Provinzstädten, Herr Graf . . . Ein öffentlicher Beamter muß gar mancherlei Rücksichten nehmen, Herr Graf, sonst vermöchte er seinen Beruf nicht auszuüben, Herr Graf . . . Die Zeiten sind hart . . . Herr Carvayan hat viele Rechtshändel, Herr Graf . . . Das ist eine große Hilfsquelle für eine Kanzlei wie die meinige . . . Aber es gibt keine Vertraulichkeit zwischen ihm und mir, ich versichere Sie!«

»Aber spielen Sie doch nicht den Jesuiten, Malézeau,« warf Tante Isabella dazwischen, deren schnurrbärtige Lippe sich verächtlich kräuselte . . . »Hat man Ihnen etwa je Ihren Verkehr mit jener Person zum Vorwurfe gemacht? Sind wir etwa die Leute, die, wen es auch sei, gegen ihn aufhetzen möchten? Haben wir auf seine bösen Anschläge je anders als mit stiller Verachtung geantwortet?«

»Eben das, mein Fräulein, war vielleicht nicht gerade das beste, mein Fräulein,« murmelte der Notar, indem er einen unruhigen Blick umherwarf . . . »Ein wenig mehr Widerstand hätte ihn vielleicht stutzig gemacht, mein Fräulein . . . Sie haben ihm die Aufgabe gar zu leicht gemacht . . . Man soll niemals seinen Feind geringschätzen . . .«

»Sollte man etwa einem solchen Kerl die Ehre anthun, mit ihm zu rechten?« entgegnete Fräulein von Saint-Maurice in heftigem Zorne . . . »Nur unter einer solch lächerlichen, unmöglichen Regierung, wie wir sie ertragen müssen, können derartige Individuen überhaupt zählen . . . Da, dieser Carvayan, der heute Maire ist . . . Ehemals hätte man ihn nicht zum Feldhüter haben mögen . . . Was seinen Sohn betrifft . . .«

»Oh! Sein Sohn, mein Fräulein,« fiel der Notar ein . . . »Sein Sohn fand auch nicht viel an ihm zu loben . . . Und wenn er seine Heimat verlassen hat, mein Fräulein, so geschah es nur, weil er nicht alles mit denselben Augen ansah, wie sein Vater . . .«

»Nun, darüber mache ich ihm mein Kompliment,« unterbrach ihn Robert.

»Er ist viel gereist, Herr Graf, er hatte das Glück oder die Gewandtheit, wie Sie wollen, sich die Gunst eines sehr mächtigen Finanzmannes zu erwerben, dessen Vertreter er heute ist, Herr Graf. Er wurde mit der Abwickelung sehr bedeutender Geschäfte in Amerika betraut, und er hat seine Mission mit Ehren durchgeführt . . . Es heißt, Herr Graf, er sei mit hervorragendem Rednertalent begabt. Spät noch hat er Englisch und Spanisch gelernt, und in Australien und Peru vor den englischen und peruanischen Gerichtshöfen mit vielem Erfolge plaidiert. Er hat viel gesehen, viel erfahren, und trotz des fortwährenden Umherziehens hat er, ganz im Gegensatze zu dem Sprichwort, welches sagt, daß ein rollender Stein kein Moos ansetze, sich ein sehr bedeutendes Vermögen erworben . . . Kurz, Herr Graf, er ist heute völlig unabhängig und wenn Sie meine Meinung hören wollen, so glaube ich, Herr Graf, daß er nicht gar lange in Neuville bleiben wird . . . Er wird heute ebensowenig Herrn Carvayan beistimmen können als ehemals . . .«

»Es wird ihm dann so gehen, wie allen übrigen . . . Denn dieser Teufelsmensch hat nie jemand geschont . . .« murmelte der Marquis.

Nachdenklich schwieg er eine Weile, dann fuhr er mit tiefer Betrübnis fort: »Es ist doch höchst seltsam, daß dieser Carvayan, der das ganze Land ausgesogen hat, geachtet sein soll, und ich, der ich jedem stets nur Gefälligkeiten erwiesen habe . . . verhöhnt werde . . .«

»Man achtet Herrn Carvayan nicht,« versetzte Malézeau, »man fürchtet ihn, Herr Marquis, das ist ein großer Unterschied. Er hat die Hand in allen Kassen, und diejenigen, Herr Marquis, welche es trotzdem versuchen könnten, ihm Widerstand zu leisten, Herr Marquis, wissen, daß ihnen dies sehr teuer zu stehen kommen würde . . .«

Herr von Clairefont antwortete nicht, er war in tiefes Nachdenken versunken. In seiner Erinnerung war das finstere Gesicht Carvayans aufgetaucht, wie er an der Thür von Vater Gateliers Laden lehnte. Er konnte die Eifersucht, den Haß noch in seinen Blicken lesen . . .

Und all die unheilvollen Folgen dieser Gegnerschaft, die an jenem Tage begonnen hatte, erschienen eine um die andere vor ihm . . . Welch langsames aber ununterbrochenes Fortschreiten! Seine Umgebung wendete sich von ihm ab, die Bauern waren ihm geradezu feindlich gesinnt, die Beamten zeigten ihm gleichfalls nur bösen Willen, und die ganze Welt mied ihn, wie einen Pestkranken. Er, der ehemalige Herr der ganzen Gegend, war durch diesen Emporkömmling völlig in den Bann gethan.

Und heute war das vor so langen Jahren begonnene Werk der Rache fast vollendet. Von seinem Vermögen, seinem Ansehen waren kaum dürftige Ueberbleibsel vorhanden, während der Urheber dieses Mißgeschickes triumphierend und cynisch lachend auf den Trümmern des von ihm zerstörten Gebäudes stand. Jawohl, es kam denen gar teuer zu stehen, die es wagten, ihm Widerstand zu leisten. Niemand wußte dies besser als er, Honoré. Und mit Schrecken fragte sich der geängstigte Greis, was sein unversöhnlicher Feind noch weiter gegen ihn unternehmen könnte.

Würde er ihn auch noch in seiner Ehre angreifen? Diese wenigstens hielt er für unantastbar. Man konnte durch heimliche Ränke seinen Ruin beschleunigen, aber daß jemand es unternehmen sollte, seinen Namen zu verunglimpfen, das schien ihm unmöglich. Was lag also daran? Würde er sich eines Tages nicht wieder erheben? Eine einzige Entdeckung, die ein praktisches Resultat ergab, würde dazu genügen, und gerade hatte er einen Ofen erfunden, welcher, im Hüttenbetriebe verwendet, große Ersparnisse zu erzielen ermöglichte . . . Und das könnte für ihn zu einer Quelle unberechenbarer Einnahmen werden . . . Die ganze Welt müßte sich ihm verpflichtet fühlen, und nachdem er sein ganzes Leben lang gesäet hätte, würde ihm endlich eine reiche Ernte zufallen. Erstaunt würden sie genug sein, alle die, welche ihn für einen Verrückten hielten. Zuerst seine Schwägerin, die Saint-Maurice, welche zu seinen Schöpfungen kein Vertrauen hatte, dann Carvayan, der mit seiner bäuerischen Schlauheit es gewagt, gegen ihn in den Kampf zu treten. Was würde gar bald aus dessen erbärmlichen Hilfsmitteln und seinen listigen Fallstricken werden? Seine Netze würden sich nicht stark genug erweisen, um die heißbegehrte Beute festzuhalten. In einem Augenblick würde er vernichtet, zerschmettert, hinweggefegt für immer sein. Dann würde man den Unterschied erkennen zwischen einem Wucherer mit seinem engen, gemeinen Gedankenkreise und dem Gelehrten mit der gewaltigen, fruchtbaren Geistesarbeit. Bei dem Gedanken an einen Erfolg, wie er ihn schon so lange erträumte, wurde der Marquis allmählich wieder heiter, er begann zu lächeln, seine Stirn erhellte sich, lebhaft rieb er sich die Hände und brach in den fröhlichen Ruf aus: »Wir werden ja sehen, meine Freunde! . . . Noch ist der kleine Marquis nicht tot und begraben!«

Da er merkte, daß seine Umgebung ihn überrascht anblickte, verstummte er, und nahm Glied für Glied die Kette der Gedanken wieder auf, welche ihn von einem verzweifelten Ausgangspunkte zu einem solch siegreichen Schlusse geführt. Er begriff, daß er dem Erfolge vorausgeeilt war und daß er für den Augenblick viel zu fürchten, aber wenig zu hoffen habe. Er stand auf, und sich auf den Arm seiner Tochter stützend, sagte er: »Gehen wir hinaus, um auf der Terrasse den Kaffee zu trinken.«

Sie stiegen die Freitreppe hinab und traten nahe an dem Steingeländer unter eine grüne Laube. Der Himmel strahlte in zartem Blau, ein leichter Sommerwind bewegte die Blätter und erfrischte die Luft. Ein köstliches Gefühl von Wohlbehagen machte die Herzen schwellen und schläferte das Denken ein. Ein leichter Dunst, der den Horizont verschleierte, ließ die Ferne nur in unklaren, verwischten Umrissen erscheinen. Verworrenes Geräusch, aus dem Thale emporsteigend, belebte die Einsamkeit des Hochwaldes, welcher wie ein dunkles Meer zum Fuße der Terrasse wogte. Verloren in dem weiten Raume blieben die fünf einige Minuten regungslos, ohne jede Empfindung ihres Seins gegenüber der Unermeßlichkeit, die vor ihnen sich aufthat.

Das Herankommen des alten Germain entzog die Gesellschaft ihrer Betäubung. Er brachte ein Präsentierbrett mit Tassen aus altsächsischem Porzellan und einer silbernen Kaffeekanne mit dem Wappen des französischen Königshauses, ein fürstliches Geschenk, das der Vater des Marquis einst erhalten hatte. Antoinette erhob sich langsam und begann das Porzellan- und Silbergeschirr zu ordnen mit leichten Fingern und jener lächelnden, koketten Anmut der Frauen, welche den von ihnen gereichten Leckerbissen einen erhöhten Wohlgeschmack verleiht.

»Eine Tasse Kaffee, Herr Malézeau?«

Und ein Stück Zucker, geschickt mit der Zange emporgehalten, fiel mit leichtem Klange in die Tasse, aus welcher bald heißer, wohlduftender Dampf emporstieg. Tante Isabella verwaltete die Liqueure, und mit soldatischem Anstand bot sie die Krystallflaschen dar.

»Ein Gläschen Kümmel, Herr Malézeau?«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, mein Fräulein, aber wenn Sie es gestatten, mein Fräulein, so werde ich von dem Cognak nehmen. Eine alte Gewohnheit, mein Fräulein, die man in meinem Alter nicht mehr ändert . . . Aber alle die heutigen Erzeugnisse sind eben nicht nach meinem Geschmacke . . .«

»Ganz nach Ihrem Belieben! Man ladet die Leute nicht zum Frühstücke ein, um ihnen Gewalt anzuthun . . . Dir, Robert, biete ich nichts an . . . Du mußt dich mäßigen . . .«

Damit richtete sie einen bezeichnenden Blick auf ihren Neffen. Doch der junge Mann nahm die Flasche mit rascher Gewandtheit aus den Händen des Fräuleins von Saint-Maurice, und sich einige Schritte entfernend, sagte er: »Wie, beste Tante, Sie wollen mich entwöhnen. Ueber das Alter bin ich hinaus.«

»So nimm wenigstens nur ein Glas, böser Mensch!«

»Ein ganz kleines!«

Und der junge Graf füllte seine Tasse bis zum Rande.

Bei seinem bequemen Leben als Landedelmann hatte sich Robert im Essen und Trinken Gewohnheiten angeeignet, denen er nicht leicht mehr zu widerstehen vermochte. Seiner athletischen Natur konnten selbst jene häufigen Gelage nichts anhaben, wie sie nach Jagden üblich, wenn man, ermüdet vom Umherstreifen durch Wald und Flur, die Nacht zum Tage macht, unter guten Kumpanen, rauchend und die Ellbogen auf den Tisch gestützt.

Er war als einer der ausdauerndsten Trinker bekannt, was seiner Eitelkeit ungemein schmeichelte. Ein blöder Stolz erfüllte ihn, wenn man ihm sagte: »Ein so ausgezeichneter Trinker wie Sie, Clairefont . . .« und er rühmte sich, den größten Trunkenbolden der Umgebung die Spitze bieten zu können . . .

Er hatte aus Prahlerei zu trinken begonnen, und nach und nach war es ihm ein Vergnügen, eine Gewohnheit geworden.

Sonntags verschmähte er es nicht, zu Pourtois hinabzusteigen und dort mit den jungen Leuten der Stadt Kegel zu schieben. Ihm kam man nicht mit jener achtungsvollen Scheu entgegen, wie einst seinem Vater in dessen Jugendjahren, Aber welch ein Unterschied herrschte auch zwischen diesem gigantischen Clairefont mit der strotzenden Gesichtsfarbe, der nachlässigen Haltung und dem lauten Benehmen, welcher mit jedem vertraulich that, und dem eleganten, kleinen Clairefont mit dem stets tadellosen Aeußeren, der kalt aber mit auserlesener Höflichkeit die Leute von sich fern zu halten verstand! Es war wie Tag und Nacht. Und erstaunt fragte man sich, durch welches Naturwunder dieser Vater einen solchen Sohn habe. Anfangs hatte Roberts Unmäßigkeit im Trinken den Marquis beunruhigt. Er war aus den Wolken seiner wissenschaftlichen Traumwelt hinabgestiegen und hatte diese prosaische Frage sehr ernstlich behandelt, war aber dabei auf die entgegengesetzten Ansichten der Tante Isabella gestoßen, welche zu Roberts Beistand heraneilte. Die alte Amazone wußte gar wuchtige Gründe ins Treffen zu führen, um die Ausschreitungen ihres Neffen zu beschönigen. Wie, so viel Lärm um einige Becher Wein! Da konnten die Ahnen doch ganz andere Leistungen aufweisen. Und sie gedachte jenes Clairefont unter Ludwig XIII. der, um den Marschall Bassompierre im Trinken zu überbieten, seine beiden Stulpenstiefel voll Sizilianerwein auf einen Sitz leerte. Oder hätten etwa die Roués der Regentschaft bei den Festen im Palais Royal sich des Bechers enthalten?

Und eine ganze Reihe historischer Lebemänner, mit Humpen, Bechern oder Gläsern in der Hand, zog an den Augen des Marquis vorüber, mit lebhaftem Protest gegen dessen Zimperlichkeit und die aristokratische Souveränität im Wohlleben preisend. Zudem war Robert noch so jung? Wenn er sich ein wenig mit seinen Freunden belustigte, was war daran Uebles? Jugend muß austoben . . .

»Er soll austoben,« entgegnete der Marquis, »aber er braucht sich nicht umzubringen!«

»Ei, mein Bester, Ihr Sohn ist kein zartes, zierliches Wesen wie Sie,« schrie Tante Isabella, »er ist ein Goliather!«

Robert versprach, in Zukunft mäßiger zu sein, aber die Gewohnheit war stärker als sein Wille. Kaum saß er mit einigen Jagdgenossen hinter der Flasche, als er erregt zu werden begann, viel sprach, mit aller Welt zu zanken anfing, und – um alle weisen Entschlüsse war es geschehen.

Doch das Schlimmste an der Sache war, daß er, der im gewöhnlichen Leben sanft war wie ein Lamm, bei dem leisesten Anfluge von Trunkenheit bösartig und wild wie ein Wolf wurde. Er ließ sich leicht zu Tätlichkeiten hinreißen, und es war klug sich außer dem Bereiche seiner Arme zu halten.

Im vergangenen Jahre hatte er sich eine böse Geschichte zugezogen. Nach einem Jagdbankette, wobei die Heldenthaten der Schützen gebührend gefeiert wurden, hatte er einen Stalljungen halb erwürgt, weil, dieser ein fremdes Pferd vor seinen Wagen gespannt hatte. Der Bursche war sechs Wochen bettlägerig. Nüchtern geworden, war Robert in Verzweiflung und gab sich selbst das feierliche Versprechen, von derlei gefährlichen Gesellschaften fernzubleiben. Seit einem Jahre schon hielt er sich Wort, und Tante Isabella, die auf sein vernünftiges Benehmen ebenso stolz war, als sie nachsichtig gegen seine Thorheiten gewesen, bestärkte ihn in seinen guten Vorsätzen.

Das alte Mädchen, welches den einzigen männlichen Sprossen des altadligen Hauses vergötterte, hätte aus Liebe zu ihrem Neffen die Welt umstürzen mögen. Während sie ihm mit stolzem Blicke zusah, wie er mit dem Löffelchen die Zuckerstücke in seiner Tasse zerdrückte, die in dem Cognak nur schwer zergehen wollten, bewunderte sie seine kräftige Gestalt. Er hatte breite Schultern, doch schlanke Hüften, kleine Hände und Arme wie von Stahl, ein energisches, von der freien Luft gebräuntes Antlitz und blaue Augen. Haare und Brauen waren kastanienbraun, sein Schnurrbart aber lichtblond, was seinen Gesichtszügen eine eigentümliche Weiche verlieh,

Antoinette war das gerade Gegenteil. An ihr war alles anmutig und zart. Die beiden Geschlechter, denen sie entstammten, waren in ausgesprochenster Weise in ihnen verkörpert. Der eine war ein Saint-Maurice mit athletischen, Körperbau und heftigen sinnlichen Begierden; die andere war eine Clairefont, sanft, träumerisch, etwas phantastisch. Darum auch liebte sie ihren Vater so sehr.

Seit einigen Augenblicken trippelte der Notar in sichtlicher Ungeduld auf und nieder. Der Sand knirschte unter seinen Schritten, wie er sich bald dem Geländer der Terrasse zuwendete, bald zur Laube zurückkehrte. Eine gewaltige Erregung schien ihn erfaßt zu haben, als sei er gesonnen, einer schwierigen Situation gegenüber zu treten, habe aber noch nicht den Mut dazu.

Der Marquis, die Augen ins Leere gerichtet, schien einem angenehmen Gedanken zu folgen. Er lächelte, und seine Finger trommelten zerstreut auf der Steinplatte, auf die er sich stützte. Welch glückliche Erinnerungen, welch schimmernde Hoffnungen umgaukelten den Sinn des Greises? In welch erhabene Sphären, in welch blaues Reich der Träume hatte seine Phantasie ihn entführt?

Plötzlich machte er eine heftige Gebärde, schlug mit der flachen Hand auf sein Knie, und mit lebhaft geröteten Wangen rief er triumphierend aus: »Mein Ofen mit kreisförmigem Zug wird mindestens achtzig Prozent Ersparnis an der Heizung erzielen. Alle Ueberbleibsel und alle bis heute ohne Verwendung gebliebenen Stoffe können zu dessen Feuerung dienen. Ah, ah! Malézeau! Sie sollen sehen, daß ich recht behalte Ich habe die wahre Goldmine gefunden!«

Das Antlitz des Fräuleins von Saint-Maurice verdüsterte sich, sie kreuzte die Arme, und mit soldatischer Haltung sich dem Marquis gegenüber aufpflanzend, rief sie: »Dies ist seit kurzem das zehnte Mal, lieber Schwager, daß Sie einen Schatz entdecken!«

»Oh, diesmal ist es der rechte,« entgegnete lebhaft der Erfinder. »Diese neueste Erfindung entspricht einem längst empfundenen Bedürfnis. Sämtliche Hüttenwerke leiden unter dem stets zunehmenden Preise des Heizungsmaterials. Bei meinem Feuerungssysteme jedoch wird die Kohle, wenn auch nicht überflüssig, so doch leicht zu ersetzen sein. Man wird nasses Stroh, Abfälle von Gemüse und Rüben und dergleichen verbrennen können . . . Ihr seht die Wichtigkeit dieses Verfahrens . . . Die Weltindustrie hat von den Striken der Arbeiter in den Kohlendistrikten nichts mehr zu befürchten und sobald ich meine Patente genommen habe, werde ich Verträge mit den größten Hüttenwerken der Welt abschließen . . . Das wird einen riesigen Gewinn geben, sage ich euch, und völlig sicher . . . Ich bin des Erfolges so gewiß, daß ich für diese Unternehmung, wenn es sein müßte, mit meinem Namen haften würde . . .«

»Bester Schwager, ein Edelmann hat nicht das Recht, über seinen Namen zu verfügen,« unterbrach ihn Tante Isabella in schroffer Weise.

»Das ist wahr,« erwiderte ernst der Marquis. »Dieser Name gehört allen denen, welche ihn vor mir getragen haben, und ich muß ihn unangetastet denen überliefern, die meine Nachfolger werden . . . Aber, seien Sie versichert, Tante, daß ihm nichts von seinem Glanze genommen würde, wenn ich ihm noch die Ehre einer so schönen Eroberung auf industriellem Gebiete hinzufügte . . .«

»Sie wissen seit lange, was ich von Ihren Forschungen halte; ein Mann wie Sie hat bei solchem Handwerkstreiben nichts zu gewinnen, hingegen alles zu verlieren . . .«

»Aber, Tante,« unterbrach sie der Marquis lächelnd, »selbst König Ludwig XVI. hat die Schlosserei betrieben . . .«

»Das ist ihm aber auch schön ausgeschlagen, man hat's gesehen,« rief triumphierend Tante Isabella.

»Sie denken doch wenigstens nicht, daß ich auch auf dem Schafott sterben werde?«

»Nein! Aber auf Stroh!«

Antoinette hatte sich ihr genähert; schmeichelnd strich sie die hochgerötete Wange des alten Fräuleins, indem sie ihr ins Ohr flüsterte: »Lassen Sie doch, beste Tante, seien Sie gut und schonen Sie meinen Vater . . .«

»Pah, pah! Du kommst mir recht, du Schmeichlerin, du bist zur Hälfte an den Thorheiten deines Vaters schuld! Statt ihm seine Handlungsweise vorzuwerfen, ermutigst du ihn noch . . . Und ich stehe dafür, was ich sage: Wir werden ihn noch im bittersten Elende sehen, wie ›Jakob‹. Uebrigens, mein Bester, thun Sie, was Ihnen beliebt . . . Hier ist Herr Malézeau, der ohne Zweifel in Geschäften mit Ihnen zu sprechen hat . . . Hören Sie ihn an und trachten Sie, aus seinen Ratschlägen Nutzen zu ziehen . . .«

Kaum vernahm Robert, daß von Geschäften die Rede war, so verlor er sich schleunigst in der Richtung nach der Treppe. Der Marquis warf dem Notar einen Blick voll lächelnder Ruhe zu, und sich leicht auf den Arm seiner Tochter stützend, sagte er: »Jetzt, mein lieber Herr Malézeau, stehe ich Ihnen ganz zu Diensten . . . Wünschen Sie, daß wir hineingehen?«

»Ich würde dies vorziehen, Herr Marquis, ich habe Ihnen gewisse Rechnungsauszüge vorzulegen, Herr Marquis, welche, wie ich glaube, die ernsteste Aufmerksamkeit . . .«

»Nun, so gehen wir in mein Kabinett,« versetzte der Marquis, »ich will Ihnen gleichzeitig das Modell meines neuen Ofens zeigen, Malézeau . . . Sie sollen sehen, wie einfach die Ausführung ist . . . Aber die Idee, die mußte erst gefunden werden . . . Eine Idee, das ist eben nichts und alles, meine liebe Tante Isabella . . .«

»Schön, schön! An Ideen mangelt es Ihnen nicht . . .« brummte das alte Mädchen. »Nur sind sie meist greulich verzwickt.«

Dann trat sie an den Notar heran, welcher dem Marquis und seiner Tochter folgte.

»Ist es etwas Ernstes, Malézeau?« fragte sie mit lebhafter innerer Erregung, die ihre Stimme zittern machte. »Es ist schon lange, daß man Sie nicht bei uns gesehen hat, und wenn Sie kommen, ohne gerufen zu werden, so muß es sehr wichtig sein . . .«

Der Notar senkte den Kopf als Zeichen der Bejahung, und seine unstäten Augen rollten verzweifelt schnell hinter den Brillengläsern.

Fräulein von Saint-Maurice zitterte. Seit langen Jahren war sie an die Vorstellungen und Warnungen gewöhnt, die der geschäftskundige Mann an seine vornehmen Klienten richtete. Und jedesmal, wenn Malézeau im Schlosse erschienen war, hatte sich das Vermögen um einige Grundstücke oder einige Joch Wald verringert. Heute war alles mit Hypotheken belastet, die Besitzung brach fast unter der Schuldenlast zusammen, deren Verfalltag vor der Thüre stand. Wollte man ihr nur ein wenig mehr auferlegen, so war totaler Ruin unvermeidlich.

»Ums Himmels willen, strecken Sie ihm nichts weiter vor,« sagte Tante Isabella, »er ist in seine neue Idee vernarrt und wird wieder Geld von Ihnen verlangen . . . Widerstehen Sie seinen Bitten, Herr Malézeau, bedenken Sie, es ist eine Gewissenssache . . . Sehen Sie, Honoré ist ein altes Kind . . . Ach, wenn Sie ihn dazu brächten, seinen Ideen zu entsagen, welchen Schmaus wollten wir Ihnen zu Ehren feiern!«

»Sie dürfen auf mich zählen, mein Fräulein, ich bin entschlossen, unerbittlich zu sein, mein Fräulein, ich werde es Ihnen beweisen.«

Der Marquis hielt einen Augenblick an der Freitreppe still. Vom hellen Mittagslichte übergossen, breitete sich das Thal friedlich und heiter vor seinen Blicken aus. Durch die grünen Fluren zog das Flüßchen, von niedrigen, verkrüppelten Weiden umsäumt, glänzend dahin. Zwischen dem dunklen Laub dichter Baumgruppen glitzerten im Sonnenschein die Schiefer- und Schindeldächer der Häuser. Die Luft war so klar, daß der vergoldete Wetterhahn auf der Kirchturmspitze sich deutlich erkennen ließ. Die grellen Töne einer Fabriksglocke, welche die Arbeiter an ihr Tagewerk riefen, und das lärmende Treiben der Schüler, welche die Schulstunde erwarteten, klangen bis zum Hügel empor. An das Eisengeländer gestützt, stand der Greis da und konnte die Blicke von dem lieblichen Bilde nicht abwenden. Thränen stiegen ihm in die Augen, und mit leiser Stimme murmelte er: »Die Ruhe und Sorglosigkeit in dieser schönen Natur . . . Die stillen Lebensfreuden im Kreise der Meinen . . . Das wäre vielleicht Klugheit und wahres Glück gewesen! Doch jeder hat sein Schicksal und kann sich demselben nicht entziehen.«

Er schüttelte den Kopf und als er sah, daß Malézeau noch mit Tante Isabella plauderte, sagte er: »Malézeau, mein Freund, ist es Ihnen gefällig?« . . .

Damit trat er in den Salon ein. Robert ging mit hastigen Schritten dem linken Schloßflügel zu, wo eine Treppe, die in einem Eckturme angebracht war, zu seinen Zimmern führte. Fröhlich eine Jagdmelodie pfeifend, schritt er einen langen Gang hindurch, der mit den Wirtschaftsgebäuden in Verbindung stand. Dort lag auch die riesig große Küche mit einem Herde, auf dem ein Spieß ruhte, an welchem man ein ganzes Kalb hätte braten können. Nur eine Magd war in dem weiten Raume beschäftigt, der für die Festlichkeiten und schwelgerischen Tafeln eines Riesengeschlechtes angelegt schien und in welchem nun die bescheidenen Mahlzeiten der vier Schloßbewohner bereitet wurden. Im Vorübergehen warf der junge Mann der Magd einen vertraulichen Gruß zu, und sich nach rechts wendend, wollte er die Steinstufen hinansteigen, als heiteres Lachen seine Aufmerksamkeit erregte. Er that noch einige Schritte nach vorwärts, und, vor der halbgeöffneten Thür eines Zimmers stehen bleibend, bemerkte er die schöne Rose Chassevent, welche dort Wäsche plättete, und im Fenster hockend den rothaarigen Schäferburschen. Rüstig fuhr Rose mit dem Bügeleisen über den von unzähligen Brandflecken geröteten Wollenüberzug der Platte, und arbeitete eifrig darauf los, ohne deswegen das Gespräch mit ihrem halbwilden Kameraden zu unterbrechen. Mit nackten Armen, das Busentuch halb offen, das Gesicht lebhaft gefärbt, stand sie da, die bildhübsche Tochter des Wilddiebes. Der Rotkopf saß zusammengekauert, mit den heraufgezogenen Knieen das Kinn stützend, die Augen voll Bewunderung auf Rose geheftet. Von Zeit zu Zeit stieß er heisere Rufe aus, denn er entschloß sich nur dann, Worte auszusprechen, wenn es unbedingt nötig war, als ob sein Stummsein mehr Trägheit sei, als von einem Gebrechen herrühre. Rose hatte zu lachen aufgehört und redete jetzt zu ihm mit einem leichten normannischen Accent, der ihrer Sprache einen pikanten Reiz verlieh.

»Nein . . . denn sieh, du achtest zu wenig auf deine Person . . . Schau dich nur 'mal an, du trägst eine zerfetzte Hose und ein Hemd, das vom Staub ganz grau ist. Dazu schleppst du noch den Geruch deiner Schafe mit dir herum, und das kann doch einem jungen Mädchen nicht gefallen.«

Der Hirtenjunge stieß ein Grunzen aus, seine kleinen Elsteraugen funkelten, und nach anscheinend großer Anstrengung stammelte er: »Schön für das Fest!«

»Ah, ah! Du Geheimniskrämer, du hast eine Ueberraschung vor,« rief die schöne Dirne, indem sie fröhlich den glühenden Plättstahl handhabte. »Nun, wenn du nur ein bißchen anständig aussiehst, so werde ich mit dir tanzen, ich verspreche es dir, gerade so wie mit den anderen.«

Der Rotkopf blieb still, nur seine Lippen preßten sich bösartig übereinander. Sein Gesicht nahm einen Augenblick einen Ausdruck entsetzenerregender Roheit an, dann rang sich ein Lachen stoßweise aus seiner Brust.

»Nun bist du zufrieden, mein Junge, nicht wahr?« sagte Rose. »Aber das ist kein Grund, den ganzen Tag hier droben auf dem Fenster zu sitzen. Du thätest besser, nach deinem Vieh zu schauen, denn wenn man dich hier überrascht . . .«

Sie konnte den Satz nicht vollenden, denn schon stand Robert vor ihr; der Schafhirte ließ einen pfeifenden Ton laut werden, sprang mit affenartiger Behendigkeit von dem Fenster in den Hof hinab und lief eilends in der Richtung nach den Ställen davon.

»Ah, schöne Rose, da erwische ich dich mit deinem Liebhaber,« sagte der junge Graf und nahm neben dem Plattgerät Platz . . . »Nun, du hast wirklich keine Ursache spröde zu thun, wenn du gegen den häßlichsten Burschen auf dem ganzen Pachthofe so liebenswürdig bist . . .«

»Oho, Herr Robert,« sagte das Mädchen kokett, »kommen Sie in die Wäschekammer, um mit mir zu zanken?«

»Nein, wahrhaftig . . . Ich wollte gerade hinaufgehen, als ich dich mit dem Schlingel plaudern hörte . . . Aber umsonst will ich dich nicht gestört haben . . .«

Damit faßte er die Schöne um die Hüfte und drückte einen raschen Kuß auf ihren weißen Hals.

»Das habe ich nicht von Ihnen verlangt,« versetzte Rose, indem sie ihr Busentuch zurechtschob. »Wenn man die Tochter küßt, darf man nicht so hart gegen den Vater sein . . . Was haben Sie dem guten Chassevent, meinem Alten, schon wieder angethan?«

Der junge Mann zog die Stirn in Falten.

»Du weißt, wenn wir gute Freunde bleiben sollen, so darfst du mit mir nicht von der alten Canaille sprechen . . .«

»Und ich, ich will nicht, daß Sie mit mir sprechen, wenn Sie ihn so behandeln!« schrie Rose mit purpurroten Wangen.

»So geh doch, sei nicht so böse,« entgegnete der junge Mann, sich der niedlichen Plätterin nähernd und ihren Arm sanft streichelnd. Sie fuhr fort zu schmollen und hielt die Augen gesenkt, doch um ihre Mundwinkel begann ein Lächeln zu spielen. Ihr blondes, lockiges Haar war am Hinterkopfe hoch hinaufgebunden, den kräftigen Nacken frei lassend, und der ausgeschnittene Kragen ließ den Beginn ihrer samtweichen Schultern erblicken.

»Und doch, wenn Sie nur ein bißchen guten Willen hätten, wie schön könnte sich das alles machen lassen!« fing Rose wieder an, die Augen aufschlagend und sie mit mildem Blicke auf Robert richtend. »Der Vater hat den Wald und das Wild leidenschaftlich gern . . . Nehmen Sie ihn als Waldhüter . . . Er wird Ihnen dann die Hasen nicht mehr fangen, und Kaninchen gibt's genug, daß er essen kann, soviel er mag, ohne Ihnen damit zu schaden . . . Das kleine Häuschen bei Soucelles hat keinen Mieter . . . Dort könnte ich mit ihm wohnen und hätte näher aufs Schloß . . . Es würde mir gar so viel Freude machen!« . . .

Der Graf näherte seine Lippen den Wangen der schönen Rose, die sich nicht mehr dagegen sträubte.

»Du bist gar nicht dumm,« schmunzelte er . . . »Und das ließe sich auch wirklich ganz leicht machen, wenn der alte Teufelskerl von Chassevent nicht der größte Schurke auf zehn Meilen in der Runde wäre. Meine Jagd hätte keinen üblen Hüter an ihm, dem Helfershelfer aller Wilddiebe des ganzen Reviers . . . Nein, mein schönes Kind, wenn ich deinen Vater irgendwo einquartiere, so ist's im Gefängnis . . . Und das wäre noch ein Gewinn für dich, denn unterdessen wird er dir dein Geld nicht abnehmen und dir keine Ohrfeigen geben . . .«

»Ah! Steht's so!« rief Rose wütend, indem sie sich ungestüm den Armen des jungen Mannes entwand . . . »Von nun an verbiete ich Ihnen, mir nahe zu kommen . . . Und wenn Sie nur eine Falte meines Kleides berühren, so sage ich es augenblicklich dem Fräulein Antoinette . . . Ja, gewiß!«

»Bravo! Die Tugend macht dich noch schöner, Herzchen . . . Dabei mußt du bleiben,« lachte Robert . . . »Da sieh 'mal dort unten deinen rothaarigen Liebhaber, wie er dich beobachtet . . .«

Von brennender, eifersüchtiger Neugier getrieben, schlich der Rotkopf im Hofe umher, mit scharfen Blicken das Fenster der Wäschekammer bewachend. Er hatte auf einmal ein sehr aufgewecktes Aussehen, und seine schlaue Miene hätte den Leuten viel zu denken gegeben, welche ihn für völlig ungefährlich hielten. Als er sich beobachtet sah, drehte er sich um, nahm wieder sein blödes Aussehen an und ließ die Peitsche knallen, wie er es zu seiner Zerstreuung zu thun pflegte.

»Der Rotkopf,« erwiderte Rose mit Bitterkeit, »ist ein armer Junge, der keiner Fliege etwas zuleide thäte und den ich sehr bemitleide! Es ist schlecht von Ihnen, Herr Robert, sich über ihn lustig zu machen . . . Er wurde im Hause Ihres Vaters aufgenommen, nachdem man ihn am Rande eines Straßengrabens gefunden . . . Ich habe ihn aufwachsen sehen, er ist mein Spielkamerad gewesen . . . Der würde nichts Böses über meinen Vater sagen . . . das dürfen Sie mir glauben!«

»Schließen wir Frieden!« sagte Robert, das schöne Mädchen sanft am Ohre zupfend . . . »Wir werden versuchen, etwas nach deinem Wunsche zu thun, ohne uns dadurch Schaden zuzufügen . . .«

Das Antlitz der Arbeiterin erhellte sich, ihre Lippen rundeten sich zu einem Lächeln, und mit schmeichelnder Koketterie dem jungen Manne ihre Wange reichend, sagte sie: »O, wenn Sie wollen, können Sie so lieb sein! . . .«

Er umschlang sie und küßte sie lebhaft. Mit einem Schrei riß sie sich los: »Sie haben mir weh gethan . . . Sie sind so stark . . . Sie könnten mich tot drücken, ehe Sie sich's versehen . . .«

Im selben Augenblicke fiel eine kräftige Stimme ein: »Und das wäre wahrhaftig jammerschade! . . .«

Als Robert sich unwillig umwendete, erschien das rote, lachende Gesicht Tondeurs am Fenster.

»Ihr Diener, Herr Robert und die werte Gesellschaft,« rief der lustige Bruder. »Donnerwetter, Sie haben keinen schlechten Geschmack!« Und mit den Augen zwinkernd, brach er in ein derbes Lachen aus, das ihn völlig blau werden ließ.

»Was führt Sie her?« fragte der junge Mann in barscher Weise.

»Bei Gott, Herr Robert, etwas, das Sie näher angeht als mich. Soeben entdeckte ich droben im Holzschlag ein Nest mit Sperbern . . . und ich eilte spornstreichs hierher, um Sie davon zu benachrichtigen . . .«

»Und ich danke Ihnen bestens dafür . . .« erwiderte Robert freundlich . . . »Lassen Sie mir nur so viel Zeit, um meine Flinte zu holen, ich stehe sofort zu Diensten . . .«

»Vergessen Sie aber darüber nicht, was Sie mir versprochen haben!« rief Rose, indem sie unter großem Geräusche einen glühenden Bolzen aus dem Feuer nahm.

»Das werden wir schon sehen! Warten Sie auf mich, Tondeur,« und leichten Schrittes eilte der Graf die Treppe nach seinen Zimmern hinan.

»Was hat er dir denn versprochen, Rösle?« fragte der Holzhändler, mit seinen wuchtigen behaarten Fäusten auf die Fensterlehne gestützt. »Etwa dich zu heiraten?«

»Alter Narr!« erwiderte das schöne Mädchen. »Da, gehen Sie schnell zu Herrn Malézeau, der eben fortgeht. Fragen Sie ihn. Vielleicht hat er schon den Auftrag, den Ehekontrakt zu entwerfen.«

Von dem Marquis begleitet, durchschritt der Notar den weiten Hof. Herr von Clairefont redete mit großer Lebhaftigkeit auf ihn ein, während Malézeau mit gekrümmtem Rückgrat ihn anhörte, wie jemand, der darauf gefaßt ist, eine ganze Sündflut von Bitten und Vorstellungen über sich ergehen zu lassen, dabei aber entschlossen ist, von seinem Vorsatze nicht abzuweichen. Der Marquis ließ sich indes von der wenig entgegenkommenden Haltung seines Rechtsfreundes nicht entmutigen, und ganz Feuer und Flamme, mit lebhaften Gebärden fuhr er zu sprechen fort: »Ja, mit 50 000 Franken könnte ich mir alle erforderlichen Patente beschaffen, könnte meine Erfindung verbreiten und riesige Summen verdienen . . . Hören Sie mich, Herr Malézeau?«

»Ich höre und ich verstehe . . . Herr Marquis, das ist ja sehr klar, Herr Marquis . . . Aber woher wollen Sie die 50 000 Franken nehmen? Wenn Sie nächste Woche eine Zahlung von 163 000 Franken nicht leisten, so steht der gerichtliche Verkauf Ihres ganzen Besitztums bevor, Herr Marquis, und Sie können zum Verlassen dieses Schlosses genötigt werden, Herr Marquis . . .«

»Wo ich sie hernehme, Malézeau? . . . Doch wohl aus Ihrer Kasse, mein Freund . . . Sie werden mir doch um einer so geringen Summe wegen nicht einen solch großen Schaden zufügen wollen . . . Nur 50 000 Franken! Und damit könnte ich mir Reichtümer erwerben! . . . Lassen Sie Ihre Bedenken fahren und leihen Sie mir das Geld!«

»Ich habe selbst kein Vermögen, Herr Marquis, und was die Kapitalien meiner Klienten betrifft, so verbietet mir sowohl mein Gewissen, als auch das Gesetz, über dieselben zu verfügen. Folgen Sie mir, Herr Marquis, verzichten Sie vorderhand auf die Verwirklichung Ihrer Pläne und suchen Sie lieber alle Ihre Kräfte aufzubieten, um sich aus der bedenklichen Lage zu befreien, in der Sie sich augenblicklich befinden . . . Sie ist eine sehr ernste . . .«

»Ei, ich werde mich wohl aus dieser Lage befreien, dafür bürge ich Ihnen, aber keineswegs durch Ersparnisse . . . Meine Erfindung wird uns alle retten . . . Ich muß die 50 000 Franken haben, Malézeau. Auf eine zweite Hypothek, wie?«

»Sie werden sie nicht finden, Herr Marquis. Ihr Kredit ist erschöpft und wenn ich bis heute nicht für Sie unterhandelt hätte, so würden Sie schon seit langem keinen Sou mehr gefunden haben, Herr Marquis . . .«

»Gut, ich erwarte heute abend meinen zukünftigen Schwiegersohn . . . Von ihm werde ich das Geld verlangen . . . Er wird mich verstehen, er . . .«

Malézeau schien eine Sekunde zu zaudern, dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen: »Das heißt, er wird abreisen, ohne jemals wiederzukehren, Herr Marquis . . . Wollen Sie ihm selber einen Vorwand an die Hand geben, um die geplante Heirat, die sich nun schon so lange hinzieht, zu lösen?«

»Was reden Sie da, Malézeau? Halten Sie es etwa für denkbar, daß Herr von Croix-Mesnil nicht geneigt sein könnte, sein Versprechen zu halten? Wenn es so wäre, so würde ich es sicherlich nicht bedauern, daß meine Tochter so lange mit der Heirat gezögert . . . Uebrigens, wenn ich imstande sein werde, ihr eine fürstliche Mitgift zu geben, wird es ihr an Bewerbern nicht fehlen . . . Da ich Sie unzugänglich finde, so werde ich meine eigenen Taschen durchstöbern und sehen, mir selbst zu helfen . . . Ich ersuche Sie bloß, dahin zu wirken, daß der Zahlungstermin hinausgeschoben wird, damit ich die nötige Ruhe habe . . . Gehen Sie zu meinen Gläubigern . . .«

»Herr Marquis, es gibt heute nurmehr einen . . .«

»Ah!« rief Herr von Clairefont, dessen siegesfrohe Erregung sich plötzlich dämpfte. Mit schmerzlicher Angst fügte er hinzu: »Und dieser eine Gläubiger . . .«

Der Notar senkte mutlos das Haupt und flüsterte den gefürchteten Namen: »Carvayan! Er hat insgeheim alle auf Sie laufenden Wechsel an sich gebracht, Herr Marquis; er will, daß Sie mit ihm allein zu thun haben . . .«

Alle Illusionen des Erfinders zerflossen in einem Augenblicke in nichts. Seine eingebildete Sicherheit verschwand, er sah den Abgrund, dem er mit hastigem Schritte zueilte, offen vor sich liegen. Während er sich in seinen Träumen gefiel, hatte der Feind an dem Zerstörungswerke ununterbrochen gearbeitet.

Es wurde ihm eisig ums Herz, in den Ohren fühlte er ein Brausen und alles erschien ihm schwarz, als habe sich der Himmel plötzlich mit dunklem Gewölke bedeckt.

Die Stimme seines Sohnes brachte ihn wieder zu sich. Der junge Mann, die Flinte über der Schulter und begleitet von seiner Schwester, trat eben aus dem Schlosse. Beide waren fröhlich, heiter und sorglos. Antoinette schritt unter einem großen roten Sonnenschirme dahin, der ihr reizendes Gesicht beschattete.

»Papa,« rief sie schon von weitem, »kommst du mit uns? Herr Tondeur führt uns in den Holzschlag.«

»Nein, mein Kind, ich muß auf mein Zimmer, um zu arbeiten.«

Mit zärtlichen Blicken sah er den beiden nach; Robert, geschmeidig und kräftig, mit seiner athletischen Gestalt, sie von hohem, schlankem Wuchse und anmutigen Formen. Seine Kinder, sein kostbarstes Gut . . . die sollte er der Rache Carvayans überliefert sehen? Ihre Gegenwart, ihre Zukunft stand auf dem Spiele, und er sollte nicht imstande sein, sie den Händen seines Feindes zu entreißen?

Eine Flamme stieg ihm zum Gehirn und eine neue Kraft fühlte er in seinem Inneren aufleben. Nun hielt er sich für stark genug, Wunder zu vollbringen. Zu seinem Unglück suchte er jedoch sein Heil wieder in gefährlichen Spekulationen und wendete sich den alten Trugbildern zu. Obgleich ihm noch der Ausweg blieb, durch Ordnung, Fleiß und Geduld sich aus seinen finanziellen Verlegenheiten zu befreien, ging er daran, den Abgrund weiter zu öffnen, der sein Vermögen verschlingen mußte.

»Suchen Sie Carvayan zu bewegen, daß er mir Zeit läßt,« sagte er zu dem Notar, »und ich stehe für alles.«

Seine leuchtenden Blicke auf das Schloß gerichtet, fügte er in prophetischem Tone hinzu: »Sehen Sie diese Türme, diese Dächer? In kurzem werde ich so viel besitzen, um sie vergolden zu lassen, wenn mir die Laune dazu kommen sollte.«

Dann begann er zu lachen, schüttelte sein weißes Haupt und mit einem Abschiedsgruße an Malézeau, der sich angstvoll fragte, ob er nicht einen Wahnwitzigen vor sich habe, stieg er zu seinem Laboratorium hinauf.



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