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Die Lebensführung
I
Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiṇḍikos. Dort nun wandte sich der Erhabene an die Mönche: »Ihr Mönche!« – »Erlauchter! « antworteten da jene Mönche dem Erhabenen aufmerksam. Der Erhabene sprach also:
»Vier Arten der Lebensführung giebt es, ihr Mönche: welche vier? Die Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl und künftiges Wehe bringt, die Lebensführung, die gegenwärtiges Wehe sowie künftiges Wehe bringt, die Lebensführung, die gegenwärtiges Wehe und künftiges Wohl bringt, und die Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl sowie künftiges Wohl bringt.
»Was ist das aber, ihr Mönche, für eine Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl und künftiges Wehe bringt? Manche Asketen und Brāhmanen, ihr Mönche, sagen und lehren: ›Wir finden kein Arg an der Lust.‹ Sie lassen der Lust freien Lauf, pflegen Umgang mit lockigen Nonnen und sagen : ›Warum haben doch jene lieben Asketen und Brāhmanen aus Vorsicht vor kommender Schreckniss Verleugnung der Lust gepredigt, Überwindung der Lust gelehrt? Süß ist die Umarmung mit dieser jungen, geschmeidigen, flaumigen Nonne!‹ So reden sie und lassen die Lust gewähren. Haben sie die Lust gewähren lassen, so gelangen sie bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, abwärts, auf schlechte Fährte, in Verderben und Unheil, und empfinden schmerzliche, brennende, stechende Gefühle. Dann sagen sie: ›Dieses Schreckliche da haben jene lieben Asketen und Brāhmanen vorausgesehn und Verleugnung der Lust gepredigt, Überwindung der Lust gelehrt: denn Lust ist der Grund, Lust ist die Ursache, dass wir jetzt schmerzliche, brennende, stechende Gefühle empfinden!‹
»Gleichwie etwa, ihr Mönche, wenn gegen Ende des Sommers ein kriechendes Schlinggewächs Frucht trüge, und es fiele ein Saamenkorn an die Wurzel eines Prachtbaumes. Da würde, ihr Mönche, die Gottheit die in dem Baume lebt, erschreckt und bestürzt, in Aufregung gerathen. Aber nun kämen, ihr Mönche, Freunde und Verwandte der Gottheit herbei, die Haingottheiten, die Waldgottheiten, die Baumgottheiten, alle die Götter die Kräuter, Gräser und Wipfel beleben versammelten sich und sprächen tröstend im Chore: ›Fürchte dich nicht, Lieber! Fürchte dich nicht, Lieber! Ganz sicher wird ja dieses Saamenkorn von einem Fasan verschlungen oder von einem Reh zerkaut oder bei einem Forstbrand vernichtet oder von Waldarbeitern aufgelesen oder von Termiten fortgeschleppt werden, oder es wird überhaupt nicht keimen.‹ Doch dieses Saamenkorn, ihr Mönche, würde weder von einem Fasan verschlungen noch von einem Reh zerkaut noch bei einem Forstbrand vernichtet noch von Waldarbeitern aufgelesen noch von Termiten fortgeschleppt werden, sondern würde keimen. Während der Regenzeit wände es sich empor, wüchse sich völlig aus, wäre Liane geworden, jung, geschmeidig, flaumig, Ranken treibend, und süchtig umklammerte diese den Prachtbaum. Da wäre nun, ihr Mönche, der Gottheit die in diesem Baume lebt also zu Muthe: ›Warum haben doch meine lieben Freunde und Verwandten, die Haingottheiten, die Waldgottheiten, die Baumgottheiten, die Götter der Kräuter, Gräser und Wipfel kommende Schreckniss vom Saamenkorne befürchtet und insgesammt also mir zugesprochen: »Fürchte dich nicht, Lieber! Fürchte dich nicht, Lieber! Ganz sicher wird ja dieses Saamenkorn von einem Fasan verschlungen oder von einem Reh zerkaut oder bei einem Forstbrand vernichtet oder von Waldarbeitern aufgelesen oder von Termiten fortgeschleppt werden, oder es wird überhaupt nicht keimen«: süß ist es ja, von dieser jungen, geschmeidigen, flaumigen Liane umrankt zu werden!‹ Und sie schlängelte sich um den Prachtbaum herum, um den Prachtbaum herumgeschlängelt verzweigte sie sich oben, oben verzweigt wirkte sie einen Rankenschleier herab, und mit diesem Rankenschleier erstickte sie dann die mächtigen, mächtigen Stämme des Prachtbaumes. Da wäre nun, ihr Mönche, der Gottheit die in diesem Baume lebt also zu Muthe: ›Das ist das Schreckliche, das meine lieben Freunde und Verwandten, die Haingottheiten, die Waldgottheiten, die Baumgottheiten, die Götter der Kräuter, Gräser und Wipfel vorausgesehn haben, und desshalb haben sie mich alle zusammen trösten wollen: denn jenes Saamenkorn ist die Ursache, dass ich schmerzliche, brennende, stechende Gefühle empfinde!‹ –: Ebenso nun auch, ihr Mönche, sagen und lehren da manche Asketen und Brāhmanen: ›Wir finden kein Arg an der Lust.‹ Sie lassen der Lust freien Lauf, pflegen Umgang mit lockigen Nonnen und sagen: ›Warum haben doch jene lieben Asketen und Brāhmanen aus Vorsicht vor kommender Schreckniss Verleugnung der Lust gepredigt, Überwindung der Lust gelehrt? Süß ist die Umarmung mit dieser jungen, geschmeidigen, flaumigen Nonne!‹ So reden sie und lassen die Lust gewähren. Haben sie die Lust gewähren lassen, so gelangen sie bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, abwärts, auf schlechte Fährte, in Verderben und Unheil, und empfinden schmerzliche, brennende, stechende Gefühle. Dann sagen sie: ›Dieses Schreckliche da haben jene lieben Asketen und Brahmanen vorausgesehn und Verleugnung der Lust gepredigt, Überwindung der Lust gelehrt: denn Lust ist der Grund, Lust ist die Ursache, dass wir jetzt schmerzliche, brennende, stechende Gefühle empfinden!‹ Das nennt man, ihr Mönche, eine Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl und künftiges Wehe bringt.
»Was ist das aber, ihr Mönche, für eine Lebensführung, die gegenwärtiges Wehe sowie künftiges Wehe bringt? Da ist einer, ihr Mönche, ein Unbekleideter, ein Ungebundener, ein Handverköster, Vergl. die 30. Anm. Zur Fastenübung: Manus XI., 216/18, VI, 19/20. Der addhamāsiko pariyāyabhattabhojanānuyogo ist ohne Zweifel eine Gattung des candrāyaṇam, der Mondesrunde: von Vollmond bis Neumond von 15 auf 0 Bissen täglicher Nahrung fallend und dann wieder bis 15 Bissen steigend; eine Hungerkasteiung von je ½ Monat, die bei den Brāhmanen in höchstem Ansehn steht. Kṛcchrātikṛcchrau cāndrāyaṇam iti sarvaprāyaścittaṃ sarvaprāyaścittaṃ, und etam āptvā vipāpo vipāpmā sarvam eno hanti sagt Gautamas XIX. 20, XXVII. 16. – Theile der folgenden dukkarakārikā lassen sich, parallel oder gar wörtlich, wiedererkennen Man. VI, 5, 6, 13, 21, 22, XI, 223, 224. Ebenso schon in den Sūtren Gautamas', Baudhāyanas', Āpastambas'. Recht ergiebig ist, als Nachprobe, eine Vergleichung der Fragmente des Megasthenes, siehe besonders p. 135-141 und 155-160 ed. Schwanbeck. So heißt es, wie auf unseren Text bezogen, p. 139, 22: Ἀσκειν δε και τουτους κᾀκεινους καρτεριαν, την δε ἐν πονοις και ἐν ταις ὑπομοναις, ὡστ' ἐφ' ἑνος σχηματος ἀκινητον διατελεσαι την ἡμεραν ὡλην. Mit letzterem Beispiele sind ganz gewiss die Stetigsteher gemeint (möglicherweise zugleich auch die Jainās, vergl. unseren Text p. 214), während die im selben Fragmente sub 19 genannten ἐσθητες ἀπο φλοιων δενδρειων Rinden- und Laubflechten sein sollen. Der Acelako, den der Begleiter Alexanders, Aristobulos, schildert als ὑπτιον πεσοντα ἁνεχεσθαι των ἡλιων και των ὀμβρων (bei Strabo, ed. Meineke p. 995, 6) hat sein Vorbild in dem sehr alten Spruche unserer 12. Rede, p. 183. Die zwar allgemein gehaltene Mittheilung Strabos, ὡς δ' εἰπειν, Ἰνδους ... ἀναπλεκομενους δε μιτρουσθαι τας κομας (l. c. 1002, 5), dürfen wir doch wohl insbesondere von den Jaṭilos gelten lassen. Die Hatthāpalekhanos sind uns als ταις χερσι ὑδωρ πινοντες überliefert von Clemens Alexandr. (nach Historiographen? nach Pantänus?) Strom. I., ed. Sylburg p. 305 B. kein Ankömmling, kein Abwärtling, gestattet keine Darreichung, keine Vergünstigung, keine Einladung, späht beim Empfangen des Almosens nicht nach dem Topfe, nicht nach der Schüssel, nicht über die Schwelle, nicht über das Gitter, nicht in den Kessel hinein, nimmt nicht von zu zweit Speisenden an, nicht von einer Schwangeren, nicht von einer Säugenden, nicht von einer, die vom Manne kommt, nicht von Beschmutzten, nicht wo ein Hund dabei steht, nicht wo Fliegen hin und her schwärmen, isst keinen Fisch, kein Fleisch, trinkt keinen Wein, kein gebranntes Wasser, keinen gegohrenen Haferschleim. Er geht zu einem Hause und begnügt sich mit einer handvoll Almosenspeise; geht zu zwei Häusern und begnügt sich mit zwei handvoll Almosenspeise; geht zu sieben Häusern und begnügt sich mit sieben handvoll Almosenspeise. Er fristet sein Leben durch die Mildthätigkeit von nur einer Spenderin, von nur zwei Spenderinen, von nur sieben Spenderinen. Er nimmt nur jeden ersten Tag Nahrung ein, nur jeden zweiten Tag, nur jeden siebenten Tag. Solcherart wechselnd beobachtet er streng diese bis auf einen halben Monat ausgedehnte Fastenübung. Oder er lebt von Kräutern und Pilzen, von wildem Reis und Korn, von Saamen und Kernen, von Pflanzenmilch und Baumharz, von Gräsern, von Kuhmist, fristet sich von Wurzeln und Früchten des Waldes, lebt von abgefallenen Früchten. Auch trägt er das hänfene Hemd, trägt das härene Hemd, trägt einen Rock, geflickt aus den im Leichenhof und auf der Straße gefundenen Fetzen, hüllt sich in Lumpen, in Felle, in Häute, gürtet sich mit Flechten aus Gras, mit Flechten aus Rinde, mit Flechten aus Laub, birgt die Blöße unter pelzigem Schurze, unter borstigem Schurze, unter einem Eulenflügel. Und er rauft sich Haupt- und Barthaar aus, die Regel der Haar- und Bartausraufer befolgend; ist ein Stetigsteher, verwirft Sitz und Lager; ist ein Fersensitzer, übt die Zucht der Fersensitzer; ist Dornenseitiger und legt sich zur Seite auf ein Dornenlager; steigt allabendlich zum dritten Mal herab ins Büßerbad. So übt er sich gar vielfach in des Körpers inbrünstiger Schmerzensaskese. Der gelangt bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, abwärts, auf schlechte Fährte, in Verderben und Unheil. Das nennt man, ihr Mönche, eine Lebensführung, die gegenwärtiges Wehe sowie künftiges Wehe bringt. »Was ist das aber, ihr Mönche, für eine Lebensführung, die gegenwärtiges Wehe und künftiges Wohl bringt? Da ist einer, ihr Mönche, von Natur aus heftigem Begehren geneigt, und das Begehren lässt ihn oft Schmerz und Quaal empfinden; ist von Natur aus heftigem Hasse geneigt, und der Hass lässt ihn oft Schmerz und Quaal empfinden; ist von Natur aus heftigem Wahne geneigt, und der Wahn lässt ihn oft Schmerz und Quaal empfinden. Und nur mit Schmerzen, nur mit Quaalen, nur unter bitteren Thränen kann er das lautere, reine Leben der Heiligkeit führen. Der gelangt bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf gute Fährte, in sälige Welt. Das nennt man, ihr Mönche, eine Lebensführung, die gegenwärtiges Wehe und künftiges Wohl bringt.
»Und was für eine Lebensführung ist es, ihr Mönche, die gegenwärtiges Wohl sowie künftiges Wohl bringt? Da ist einer, ihr Mönche, von Natur aus heftigem Begehren nicht geneigt, und das Begehren lässt ihn selten Schmerz und Quaal empfinden; ist von Natur aus heftigem Hasse nicht geneigt, und der Hass lässt ihn selten Schmerz und Quaal empfinden; ist von Natur aus heftigem Wahne nicht geneigt, und der Wahn lässt ihn selten Schmerz und Quaal empfinden. Gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen weilt er in sinnend gedenkender ruhegeborener säliger Heiterkeit, in der Weihe der ersten Schauung. Nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens erwirkt er die innere Meeresstille, die Einheit des Gemüthes, die von sinnen, von gedenken freie, in der Einigung geborene sälige Heiterkeit, die Weihe der zweiten Schauung. In heiterer Ruhe verweilt er gleichmüthig, einsichtig, klar bewusst, ein Glück empfindet er im Körper, von dem die Heiligen sagen: ›Der gleichmüthig Einsichtige lebt beglückt‹; so erwirkt er die Weihe der dritten Schauung. Nach Verwerfung der Freuden und Leiden, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und Trübsinns erwirkt er die Weihe der leidlosen, freudlosen, gleichmüthig einsichtigen vollkommenen Reine, die vierte Schauung. Der gelangt bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf gute Fährte, in sälige Welt. Das nennt man, ihr Mönche, eine Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl sowie künftiges Wohl bringt. Das sind, ihr Mönche, die vier Arten der Lebensführung.«
Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich jene Mönche über das Wort des Erhabenen.