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Die Mittlere Sammlung, Majjhimanikāyo, der uns überlieferten Lehrdarstellungen Gotamo Buddhos besteht aus 152 Reden. Diese Reden halten zwischen den 34 längeren Darlegungen des Dīghanikāyo und den zahlreichen kürzeren Mittheilungen, oft nur einzelnen Aussprüchen des Khuddakanikāyo in Hinsicht auf die Dauer des Vortrags gleichsam die Mitte. Nur dieses äußere Merkmal hat die Namen bestimmt. Aṉguttaranikāyo und Saṃyuttakanikāyo, mehr oder weniger vom selben Gesichtspunkte aus geordnet, schließen sich als vierte und fünfte Sammlung an. Das Ganze dieser fünf großen Tage- und Lehrbücher wird unter dem Begriffe Suttapiṭakam, Kanon der Reden, zusammengefasst, als Gegenstück zum Kanon der Zucht, dem Vinayapiṭakam. Das sind die beiden Hauptstücke des Vermächtnisses. In der Folge hat man diesem Dvipiṭakam, dem Zweifachen Kanon, das Abhidhammapiṭakam angefügt, den Kanon der Scholastik, und also das Tipiṭakam geschaffen, den Dreifachen Kanon, die buddhistischen Biblia Sacra. Wahrscheinlich aber war bis zum Tode Gotamo Buddhos, um 480 v. Chr., nur eine Satzung bekannt, eben der Kanon der Reden, das Suttapiṭakam als Ekapiṭakam, woraus dann allmälig das Vinayapiṭakam, später das Abhidhammapiṭakam theils ausgeschieden, theils weitergebildet wurde.
Der Name Ekapiṭakam und Dvipiṭakam kommt nicht vor, Tipiṭakam erst in scholastischer Zeit. Wohl wird das Simplex piṭakam von alters her gelegentlich gebraucht, doch nur in seiner eigentlichen Bedeutung, als Korb: so z. B. in unserer 21. Rede, wo gesagt wird, den Weisen erschüttern wollen sei geradeso wie wenn man, »mit Spaten und Korb versehn«, daranginge den Erdball abzugraben. Zweifelhaft freilich scheint mir, im Gegensatz zu Trenckner, ob nicht in Äußerungen wie piṭakasampadānena ( AN vol. I. p. 189, vol. II. p. 191, vergl. Trenckner, Pāli Miscellany, London 1879, p. 67 ff.) schon eine deutliche Anspielung auf den übertragenen Begriff, auf schriftlich gepflegte brāhmanische Überlieferung vorliegt; wie vielleicht auch in der bitteren Klage des brāhmanischen Büßers Māgandiyo, MN vol. I. p. 502 f.: Bhūnahu samaṇo Gotamo ti me bhāsitaṃ: taṃ kissa hetu? Evam hi no sutte ocarati: »Ein Kernhauer ist der Asket Gotamo, sag' ich: und warum sag' ich das? Weil er als solcher gegen unsere Satzungen vorgeht.« Die erste Erwähnung von piṭakam als Gesammtbegriff der Lehre geschieht, meines Wissens, im 3. Jahrhundert nach Gotamo Buddho, ungefähr 200 Jahre nach Fixierung seiner Reden, auf einer asokischen Topenstele zu Barāhat (s. Bühler, Indian Studies No. III, Wien 1895, p. 17 und 87). Da finden wir nämlich auf einem der gestifteten steinernen Gitterbalken als Geber den Ehrwürdigen Jāto, der sich peṭaki nennt, »Kenner des Piṭakam«. Gleichzeitige Inschriften auf dem Sāñci-Hügel führen aber, wie Barāhat sutantiko, sutātiko, »Kenner der Reden« (cf. Vinayapiṭ. vol. I. p. 169 etc.), und, mit Barāhat, pacanekāyiko, »Kenner der fünf Sammlungen«, an. Pacanekāyiko, sutātiko ∼ sutantiko und peṭaki sind jedoch homologe Bezeichnungen desselben Begriffes, der in Sāñci noch einmal, alle drei zusammenfassend, als ächt kanonischer dhamakaṭhīko, »Sprecher der Lehre« ( MN I. 218, SN II. 18, 114, 156, AN I. 23, passim), auftritt. Was also damals, wenn wir diesen steinernen Zeugen trauen dürfen, noch immer eigentlich als Wort der Lehre gegolten hat, liegt vor Augen: es war der Kanon der Reden, das Suttapiṭakam, und da man ein anderes Piṭakam nicht kannte, reichte das Synonym peṭaki vollkommen aus für sutantiko, sutātiko und pacanekāyiko, während der Brāhmane sich nach wie vor des Titels traividyas, cāturvaidyakas bedienen musste, um den Kenner der drei, den Kenner der vier Veden zu bezeichnen, ja, dementsprechend, auch bei uns der pacanekāyiko keineswegs zu einem pentakryphen nekāyiko wurde. Litterarisch beglaubigt zeigt sich Piṭakattayam erst im Milindapañho, p. 348 (cf. p. 1 u. 18), welcher Stelle vor der quasi historischen Autorität des Dīpavaṃso, p. 103, und Mahāvaṃso, p. 19, 207, 251/2, 256, der Vorrang gebührt. Kaccāyanos, des Grammatikers, »Einführung in das Studium des Piṭakam« Peṭakopadesagantho (s. Minayeffs Ausgabe des Ganthavaṃso in den Recherches sur le Bouddhisme, Paris 1894, p. 239 u. 244) beschäftigt sich offenbar nur mit dem Suttapiṭakam, Wie aus der, durch die Güte und Beharrlichkeit Mr. Hugh Nevills, G. A. C. S. Ceylon, mir zugegangenen Abschrift (15 folios = 4 Kapiteln, das letzte unvollständig) hervorgeht, erwähnt das, nebenbei gesagt, äußerst seltene Werk Vinayapiṭakam und Abhidhammapiṭakam mit keinem Worte, sondern giebt eine kurzgefasste, natürlich scholastische, doch sehr gute Hermenie zu den Lehren des Buddhismus, d. i. des Suttapiṭakam, auf Grund zahlreicher Citate aus demselben. Die Belegstellen sind verständig und sorgfältig gewählt, etwa je ein dutzend wohlbekannter Stücke aus dem AN, SN und MN, auch etwas aus dem DN, insbesondere aber sind es Verse, gegen dreißig, davon solche des Dhammapadam. Bei der Darstellung der Vier heiligen Wahrheiten wird erklärt, wie bei genauer Prüfung »durchgängig im Pañcanikāyo« das Wort den Sinn und der Sinn das Wort erhelle. Das Werk war für Vorgeschrittenere bestimmt und setzt viel als bekannt voraus. Aus allem geht klar hervor, dass Kaccāyano, oder wer der Verfasser sonst gewesen sein mag, Peṭakopadeso im Sinne von Suttapiṭakopadeso gebraucht hat. siehe p. XXVIII, was selbstverständlich nicht ausschließt, dass der Verfasser alle drei Piṭakas genügend gekannt habe. So spricht z. B. Asoko auf einer jüngst entdeckten nepalischen Felseninschrift von seiner Verehrung des Buddho Koṇāgamano: aber schwerlich dürfte es jemandem einfallen den gangbaren volksthümlichen Buddhismus jener Zeit, der sich zumal in Barāhat schon völlig entwickelt darstellt, mit der aristokratisch gesicherten Lehre eines peṭaki desshalb gleich identifizieren zu wollen. Dass man das Suttapiṭakam wirklich bis spät in das vierte Jahrhundert n. Chr. als den Kanon schlechthin angesehn hat, sagt uns sogar der Mahāvaṃso, p. 247, deutlich genug. Unter der Regierung Buddhadāsos, heißt es da, habe ein hochgelehrter dhammakathī (vergl. oben Sāñci) die Texte in die Landessprache übertragen: was für Texte? Eben die Suttas.
Tass' eva rañño rajiamhi
Mahādhammakathīyati
Suttāni parivaṭṭesi
Sīhalāya niruttiyā.
Eine nachdrücklichere Bekräftigung des Tenors der Inschriften, wenn eine solche überhaupt vonnöthen wäre, könnte man sich kaum wünschen. Wie so oft in Indien zeigt sich auch hier eine vorerst bedenkliche Tradition durch unbezweifelbare Urkunden in ihrem ererbten Rechte bestätigt. Das Wort des Mönchs und der Meißel des Königs ergänzen einander.
Der innere Werth des Vinayapiṭakam wird durch unser Ergebniss nicht geschmälert, vielmehr lässt sich jetzt deutlich absehn, warum der Kanon der Zucht neben unverkennbar Ächtem allerhand sagenhaftes Beiwerk aufweist: das Ächte, zwar oft fragmentarisch und interpoliert wiedergegeben, ist aus dem Urkanon geschöpft, aus dem Suttapiṭakam, die hundert Geschichten und Legenden haben sich, nebst einer erdrückenden abgeschmackten Kasuistik, nach und nach mit eingestellt. Dies geschah, wie oben gesagt, verhältnissmäßig früh und mochte so lange geschehn, bis auch diese Sammlung, in nachasokischer Zeit, zum selbständigen Kanon erhoben wurde. Noch unter Asoko war das Ordensrecht nur eine Art Auszug cf. den Schluss des Vinayapiṭakam, vol. IV. p. 207 und 351: Ettakaṃ tassa bhagavato suttāgataṃ suttapariyāpannam anvaddhamāsam uddesam āgacchati – womit also dieser Kanon sich selbst schlank und schlicht als Auszug aus dem Suttapiṭakam vorstellt. aus dem einen anerkannten Piṭakam. Auf dem vielgenannten zweiten Bairāter Felsenedikt spricht der König den Wunsch aus, man möge vor allem die vinayasamukase der dhaṃmapaliyāyāni beobachten, »die Zuchtverordnungen der Lehrreden«, womit eben diejenigen Theile der Satzung gemeint sind, die auf die Disziplin Bezug haben. Hiermit stimmt es völlig überein, dass sich unter den hunderten von Inschriften bisher noch kein einziger »Kenner des Vinayapiṭakam«. gefunden hat, weil ein solcher im Begriffe eines »Kenners des Suttapiṭakam« implicite lag. Schon Oldenberg hat ( Vinayapiṭakam, vol. I., London 1879, p. XIV) im Bairāter Wunsche die Unterordnung des vinayo unter den dhammo scharfsinnig erkannt, eine Unterordnung, deren Allgemeinheit seit Bühlers umfassenden Forschungen mehr und mehr durchblickt.
Allerdings sind uns bisher erst wenige Urkunden indischer Geschichte zugänglich geworden und gar manches ruht noch unter der Erde. Für die Kenntniss des authentischen Buddhismus trifft es sich recht glücklich, dass wir auf Grund der Denkmäler Asokos und seiner Nachfolger schon heute die Entwickelung des Kanons mit annähernder Genauigkeit verfolgen können. Künftige Ausgrabungen lassen vielleicht vorasokische Bestätigungen unserer Urtheile und Schlüsse erwarten.
Die Stellung der Mittleren Sammlung im Kanon der Reden ist eingangs angegeben worden. Engere Beziehungen zu ihren vier Stammverwandten zeigen sich in bestimmter Weise. Zunächst sei hervorgehoben, dass die fünf Sammlungen im Allgemeinen wie im Besonderen durchaus harmonieren und Widersprüche ernster Natur schlechterdings unauffindbar scheinen. Inhalt und Form sind überall gleichgeartet, wenn auch nicht überall gleichwerthig. So tritt das Element des Wunderbaren in unserer Sammlung fast ganz zurück: aber in diesem oder in jenem Abschnitte des Khuddakanikāyo (auch in den anapokryphen) und Saṃyuttakanikāyo macht es sich, obzwar spärlich, bemerkbar. So wird in vielen Reden unserer Sammlung der Hauptgedanke ebenso unnachsichtlich entwickelt und zu Ende gedacht wie es häufig im Dīghanikāyo der Fall ist: aber bei den zahlreichen, unterschiedlichen Paragraphen, welche diese Sammlung einschaltet, kommen die scharfen logischen Umrisse der Darstellung nicht immer ebenso leicht zur Geltung. So begegnen wir derselben Anordnung des Stoffes, wie sie der Aṉguttaranikāyo liebt, aber keine auserlesene Reihenfolge, wechselnde Schilderung wird geboten.
Diese gröberen Züge mögen zur Kennzeichnung genügen. Aufmerksame, wiederholte Durchnahme des Textes diene als beste Ausführung.
Wie bei den Schriften der Alten ist bei denen der Inder das Verständniss der ursprünglichen, naiven Gedanken der Meister früh verloren gegangen, und die große Masse der Gelehrten hat das Bedürfniss gefühlt Erklärungen zu geben. Wenn wir der einheimischen Tradition in irgend einem Punkte Glauben schenken dürfen, so gewiss in diesem, dass die Interpretation des Suttapiṭakam, das ist die halb gelehrte, halb volksthümliche Zergliederung der Längeren, Mittleren, Kürzeren, Angereihten und Zusammengestellten Sammlung, bald nach dem Tode Gotamo Buddhos begonnen und seither stetig die Rezitation des Kanons begleitet hat. Diese Schulweisheit hat nun ohne Zweifel ihr Gutes, ja in einem Betracht ist sie nicht hoch genug zu preisen: ihr allein verdanken wir die reine Erhaltung der Texte. Mit unermüdlicher Akribie hat sie dritthalb Jahrtausende eifersüchtig darüber gewacht, dass womöglich auch nicht ein Jota, auch nicht ein akkharam der ächten Überlieferung verloren gehe, eingedenk des schönen Spruches:
Attho akkharasaññāto,
Durch Silben wird der Sinn erkannt.
Solche, in ihrer Art einzige Gewissenhaftigkeit, die eben nur in Indien möglich war und ist, verdient innige Anerkennung und Bewunderung. Ihr ist es ferner zu danken, dass die alten Lehren bis auf den heutigen Tag im Volke lebendig geblieben sind und, mutatis mutandis, ebenso wirken wie einst. Mit ihr im Bunde endlich ist es den standhaften buddhistischen Missionaren gelungen, die eine Hälfte der Erde, wie Sir William Hunter sagt, zu erobern und den Glauben der anderen zu modifizieren. Ihr wird man es vielleicht einmal nachzurühmen haben, wenn eine, so weit es eben möglich ist, menschenwürdige Religion auf dem Erdball allgemeine Verbreitung gewinnt. Viel, sehr viel Achtung verdient also die indische Schwester Schulweisheit.
Auf mächtigen Glanz folgt naturgemäß Nacht. Sobald die buddhistischen Patres ecclesiae und Doctores profundi darangehn dunkle, tiefe Stellen des Kanons aufhellen zu wollen, reden sie wie Blinde von der Farbe. Sie meinen's ja grundehrlich, die Wackeren, versteht sich; doch was hilft guter Wille in der Kunst? Kunst kommt von Können, auch im Indischen, ihr Können aber beschränkte sich auf schwaches philologisches und reiches volksthümliches Wissen. Damit konnten sie freilich zur Erklärung der Reden Gotamo Buddhos nicht auslangen.
Es sei hier gestattet ein paar Beispiele anzuführen. Ich entnehme dieselben den allgemein zugänglichen Kommentaren oder gebe sie genau nach den mündlichen Belehrungen, welche mir die höchst achtbaren, vortrefflichen Mönche Zeilons während eines dortigen Aufenthalts in reicher Fülle zutheil werden ließen. Unterschiede zwischen den Erklärungen der Mönche von Kolombo und Kalutara, vom Daladamaligawa- und Asgiriyavihāre, am Alufelsen und in Anurādhapura und an anderen Orten haben sich, bei wiederholter Besprechung derselben Punkte, nicht ergeben, da nur eine Autorität für alle gilt: die οσαι μυριαδες ἐπων Mahābuddhaghosos. – DN I., No. 11, Schlussverse des Kevaṭṭasuttantam: Zweierlei viññāṇam giebt's, das erste, viññāṇam anidassanam, ist gleich nibbānam, ja; das zweite, viññāṇassa nirodhena etth' etam uparujjhati, ist das gewöhnliche. MN I., No. 8 wird sallekho von likhati ∼ chindati abgeleitet. KhN, Dhp. v. 227 ist Atula statt atulam zu lesen, als Eigenname im Voc. – KhN, Itiv. 1 seqq.: Ayaṃ vo pāṭibhogo anāgāmitāya wird ersetzt durch Ahaṃ vo pāti°, ganz wie beim Herausgeber der editio princeps. KhN, Thīg. v. 267 (cf. MN I., 134, 21): nāgabhogasadisopamā ǁ ti hatthināgassa hatthena samasamā; hatthī hi idha bhuñjati etenā ti bhogo ti vutto – tā ti ūruyo. Es ist eine Reminiszenz an Stellen wie nāganāsasamūpamā. AN IV., No. 159 ist setughāto = hetughāto. Die dosinā ratti, passim, erklärt als dosāpagatā ratti. Sotāpanno, sotāpatti gehört zu √sru, savati, u.s.w. – Wenn nun auch derartige Originalerklärungen, die man zu hunderten häufen könnte, kaum mehr als einen Einblick in den scholastischen Volksbuddhismus gewähren, so dürfen wir uns anderseits der vielen sekundären Bemerkungen des Scholiasten gelegentlich herzlich freuen. Diese bringen uns das Verständniss zuweilen wirklich näher und erleichtern die Denkarbeit, dienen gewissermaaßen als Eselsbrücke. Einige hübsche Beispiele dafür sind: MN I., No. 36, p. 245 ajaddhukam ∼ abhojanam; ibid. No. 15, p. 96 apadānam ∼ pubbe apuññakatam; die zu DN, Mahāparin. p. 22 gelungene Erklärung der ācariyamuṭṭhi; zu den von Rhys Davids, SBE XI. 362, beigebrachten Stellen zur ācariyamuṭṭhi cf. die ausgezeichnete Bestätigung Burnells, Vaṃśabrāhmaṇam, Mangalore 1873, p. XIV. s. v. upadeśas. KhN, Thag. v. 986 adda = addakkhi; KhN, Thig. v. 122; vidhavā ti; dhavo vuccati sāmiko, tad abhāvā vidhavā, matapatikā ti attho; passim: anacchariyam ∼ thokam abbhutam, pag' eva ∼ paṭhamam eva, u.a.m. – Seien wir also billig und gestehn zu, dass Buddhaghoso, Dhammapālo, Ñāṇasāgaro und wie die Aggācariyos alle heißen, bis herab auf den ebenso gelehrten als edlen Subhūti Mahānāyaka von Kalutara, in ihrer Art Vorzügliches geleistet haben, dass wir aber diese Braven nicht nach modernem Wissen und Können schätzen und nützen dürfen. Uns ziemt es nun unser altes Erbe zurückzuerobern und den ursprünglichen Gehalt rein darzustellen. Die Geistesspuren jenes großen Mannes, der wohl überall gepriesen doch nicht genug gekannt ist, liegen in den auf uns gekommenen Reden treu erhalten vor: wir sind allmälig mündig geworden, die ächte Elephantenfährte, wie es in der 27. Rede heißt, von der falschen unterscheiden zu lernen.
Die Brüder in Zeilon sollen uns jedoch nicht undankbar schelten. Wir werden sie noch oft um ihren Rath angehn, wenn es wichtige Bestätigungen gilt. Wie erfreulich war mir z. B. Subhūtis Denkweise, als er auf meine Bitte, Māro zu erklären, mit dem schönen Citate aus dem SN antwortete: Rūpam māro, vedanā māro, saññā māro, saṉkhārā māro, viññāṇam māro, pañc' upādānakkhandhā māro ti, und mir so gleichsam die offizielle Berechtigung gab in jenem Begriffe die Natur, oder richtiger, im Einklang mit Schopenhauer, die Mortur wiederzuerkennen. Solche und manche ähnliche, recht unphantastische Offenbarung darf man heute gewiss nur mehr auf Zeilon oder allenfalls noch in Barma und Siam erwarten; in China und Tibet kann man mitunter etwas andere Dinge zu hören bekommen. Hat mir doch ein sehr intelligenter Lama, wenige Tagereisen von der Heimath des Buddhismus entfernt, im Kloster Bhutia Basti bei Dārjiling, am Schlusse einer langen gelehrten Unterredung die Versicherung gegeben, ein vollkommener Weiser mag sich ausgesucht nette und geprüfte Jungfrauen, varalakṣaṇopetās, ad libitum zulegen, zur Erfrischung seiner Lebensgeister. Ein derartiges Ideal hat nun freilich der südliche Buddhist niemals aufgestellt, und die lakṣaṇas, die ihm, auch als vollkommenem Weisen, einzig nahe gehn, sind immer die selben geblieben, nämlich aniccam, dukkham, anattam. Darum wollen wir die gute buddhistische Volksmetaphysik und ihre Meister hochhalten. Bei der Lehre Gotamo Buddhos, die erst in den letzten fünfzig Jahren durch Gogerlys, Spence Hardys und Childers' vertrauten Umgang mit den Mönchen Zeilons neu entdeckt wurde, ist das Wort des Richard Wagnerschen Hans Sachs wundersam am Platze:
Dass uns're Meister sie gepflegt,
Grad' recht nach ihrer Art,
Nach ihrem Sinne treu gehegt,
Das hat sie ächt bewahrt. –
Eine wenig bekannte Einzelheit mag hier noch, als Exkurs, behandelt werden. Man hat bis vor kurzem allgemein angenommen, das letzte Mahl Gotamo Buddhos, von einem jungen Schmidte Namens Cundo gespendet, sei Wildbraten gewesen, und zwar verdorbener, dessen Genuss Erkrankung und Tod des Buddho zur Folge hatte. Die betreffende Stelle findet sich in der 16. Rede DN, Mahāparinibbānasuttam p. 41–42. Dort wird erzählt, der junge Schmidt Cundo habe die Mönche in sein Haus geladen und feste und flüssige Speise und ein reichliches Gericht von sūkaramaddavam für sie bestellt; letzteres habe sich der Buddho vorsetzen lassen, den Schmidt aber ermahnt, die Jünger mit der anderen Speise zu bewirten und den Rest seines Gerichtes in die Gosse zu schütten, da es von keinem verdaut werden könne, den Vollendeten ausgenommen. Nach dem Genusse dieser Speise sei dann der Buddho krank geworden, schwer krank, und heftige Schmerzen hätten sich eingestellt.
Bhuttassa ca sūkaramaddavena
Vyādhippabāḷhā udapādi satthuno.
Was ist nun sūkaramaddavam? Ist es Wildbratensülze, wie es auf den ersten Blick scheint? Die einheimische Tradition hat es meist dafür gehalten, und die europäische Forschung hat es unbesehens übernommen. Zu vertrauensvoll: denn wir haben zu sūkaramaddavam Parallelen, die einen anderen Begriff vermuthen lassen. Unter den Arzeneipflanzen, die der Rājanighaṇṭus aufzählt, finden wir u. a. das fem. simpl. sūkarī, von sūkaras Eber, Schwein, als Batate, dann sūkarakandas Eberbirne (Erdbirne), sūkarapādikā Eberklaue = kolaśimbī Eberschote, dann aber, und dies ist wichtiger, den sūkareṣṭas, eine Erdmandel, welche die Wildschweine mit Leidenschaft auswühlen, wörtlich Ebergier; daher z. B. der Ort Sūkarakhatā Eberswühl, MN I., 497. Suśrutas giebt vārāhī, von varāhas Eber, für die Yamwurzel an, dann varāhakandas Ebertrüffel, varāhamūlam, Eberwurz, etc. Vergl. noch Bezeichnungen wie gostanī Weintraube, wörtlich Kuheuter, hastikarṇas Rizinus, w. Elephantenohr, uraṇākṣas eine Zimmtpflanze, w. Schaafauge, kukkuṭamastakas ein Pfeffer, w. Hahnenkamm, vānarapriyas ein gemeinsamer Name der indischen Feigenbäume, w. Affenlieb, ajamodā für Kümmel, Sellerie, Liguster, w. Ziegenlab, mṛgabhojanī Koloquinthenfrüchte, w. Wildspeise, nämlich der Rehe, Hirsche etc. u. v. m. Sūkaramaddavam, von √m ṛḷ gaudere (s. AN vol. I. p. 94, XV, 2 = utanipāto, vv. 250, 292, Jāt. vol. V. p. 378 v. 176, Dhammasaṉg. s. v. maddavatā, Asokos Delhi-Sivālik-Säulenedikt VII β, 1.7 madave), wird daher Eberlust bedeuten und der Name irgend einer essbaren Pilzart sein. Auch wir haben ja derlei Gewächse mit ähnlichen Namen bedacht, ex jure primi possidentis, und sagen Saubrod (eine Erdnuss), Hirschtrüffel, Hirschschwamm, Bärwurz, Bärenklee, Hasenampfer; vergl. auch Benennungen wie Eberesche, Kuhbaum, Wolfsmilch, Schlangenkraut, Schaafgarbe, Geißblatt. Cundo der Schmidt gehörte nun offenbar nicht der Jägerkaste an und war als wohlhabender indischer Handwerker gewiss nicht gewohnt Saubraten zu essen oder darzureichen. Am Markt gekaufte Wurzeln, Kräuter und Schwämme dürfte er zubereiten lassen und zum täglichen Reis mit angeboten haben. Unter die letzteren werden unglücklicherweise auch giftige gerathen sein und der Buddho hat es alsbald gemerkt. – Das Verdienst die Sache ans Licht gezogen zu haben gebührt dem Verfasser des trefflich ausgearbeiteten »Buddhistischen Katechismus«, Friedrich Zimmermann (Subhadra Bhikschu), s. 4. Aufl., Braunschweig 1894, p. 26 f. Dieser wieder verdankt, nach persönlicher Mittheilung, die erste Anregung einem Artikel im Journal of the Mahā-Bodhi-Society, vol. I., No. VIII. p. 2-3, Kalkutta 1892, wo der Hauspaṇḍit der Zeitschrift unsere Stelle nach dem Kommentare Dhammapālācariyos zu KhN, Udānam VIII., 5. (p. 81) erörtert und Äußerungen Rhys Davids', Bigandets, Rockhills und Colonel Olcotts, der nachdrücklich auf die richtige Bedeutung hinweist, wiedergiebt. Aus dem Kommentare geht hervor, dass der Irrthum schon in den Scholien der Mahā Aṭṭhakathā aufgetischt, aber von ›Anderen‹, d. h. besseren Beobachtern, erkannt worden ist. Die heutigen Mönche Zeilons lassen sich über diese Frage mit der ihnen bei solchen ἀδιαφοροις eigenen Indifferenz aus und stellen die einander widersprechenden Erklärungen der Kommentatoren als gleich möglich hin; doch neigen sie seit einigen Jahren, wie sie sagen, mehr zu der eben dargelegten Ansicht. Einer der berühmtesten Nāyakas, der ehrwürdige Terunnānse des Maligakandapariveṇa in Kolombo Hikkaḍuwe Sumaṉgala meinte mit verächtlichem Lächeln: Ob der Buddho vor seinem Ende Pilze oder Fleisch, eine Brühe oder was sonst zu sich genommen habe, sei dem Buddhisten sehr gleichgültig; er wisse alle Nahrung ist Elend. Na hi āhārena suddhī ti. Dass diese Worte keine hohle Phrase waren konnte ich täglich beobachten. Wie einst so schreitet auch heute noch der Mönch am Vormittag durch das Dorf hin, alter wie junger, niemals ein Wanst, fast immer eine schlanke, asketische Gestalt, gemessenen Ganges, barhäuptig, kahlgeschoren wie Scipio, gesenkten Blickes, unter der langen gelben Toga die Almosenschaale halb verborgen im Arme, und tritt von Hütte zu Hütte, eine kleine Weile unbeweglich wartend, ob ihm eine milde Hand einen Bissen Speise in die Schaale senken werde; und stumm zieht er weiter, ohne ein Wort des Grußes, ohne ein Wort des Dankes, ohne aufzublicken, ohne eine Miene zu verziehen. Ist seine Schaale, ein halbkugelförmiger glatter Napf von 20-25 cm Durchmesser, nach Gutdünken voll geworden, dann kehrt er in seine blühende Einsiedelei oder, an größeren Orten, in sein luftiges Kloster zurück und nimmt langsam und reinlich das Mahl ein, ohne auszuwählen, Flüssiges und Festes vermischt, wie's eben im Napfe sich vorfindet. Um 12½ muss er gespeist und sich Mund und Hände gewaschen haben und braucht nun bis zum nächsten Vormittag nicht mehr ans Essen zu denken. Und strenge wird Zucht gehalten, eine Observanz, die in günstigem Lichte erscheint, in entschieden günstigerem als Berichterstatter mit gemächlichen Ohren und eiligen Augen es gelegentlich schildern.
Wer Pāli kann braucht kein geborgtes Licht; wenn die Sonne scheint vermissen wir nicht den Mond. Um Pāli wirklich zu verstehn sind aber, meines Erachtens, vorerst zwei Dinge unerlässlich: 1) eine möglichst gründliche Kenntniss der besten Saṃskṛt-Texte und wiederholte Beschäftigung mit ihnen, und 2) jahrelang geübtes Studium der Pāli-Urkunden. Den Kampf mit dem spröden Stoffe ohne dieses nothwendigste Rüstzeug aufnehmen verspricht geringen Erfolg, wie viele, oft redlich beflissene Übersetzungen intra et extra muros deutlich darthun. Man ist nur allzu geneigt die verhältnissmäßig leichte Zugänglichkeit der Pāli-Texte sogleich auch für leichte Schmelzbarkeit zu halten. Man zerlegt ein dutzend Perioden, giebt den ungefähren Inhalt an und glaubt schon, dies wäre, im Großen und Ganzen, alles. Ein ehrenwerther Rechtsanwalt in Kandy, Siṇhalo-Holländer, der mich einmal mit einem Mönche reden gehört hatte, meinte nachher: ›Wenn ich nur die Zeit hätte! In drei Monaten würd' ich das ganze Pāli bemeistert haben.‹ Er ließ sich von gelegentlichen Anklängen ans Siṇhalesische bestechen. Wie mancher Biedermann bei uns gleicht mit seinem bischen Saṃskṛt diesem würdigen Holländer: nur mit dem Unterschied, dass er sich keine drei Monate Zeit nimmt, zur »Meisterung«. Er betreibt sie sein ganzes Leben lang, so nebenher.
Schön und gut sind nun wohl die zwei genannten unerlässlichen Eigenschaften, doch reichen sie zu einer Übersetzung keineswegs hin. Am Schlusse der Anmerkungen zum West-östlichen Divan stellt Goethe drei Arten von Übersetzungen auf, die prosaische, die parodistische und die identische. Die beiden ersten seien in ihrem Sinne recht brauchbar und verdienstlich, wahre Befriedigung könne nur die letzte gewähren. »Eine Übersetzung, die sich mit dem Original zu identifizieren strebt, nähert sich zuletzt der Interlinearversion und erleichtert höchlich das Verständniss des Originals; hiedurch werden wir an den Grundtext hinangeführt, ja getrieben, und so ist denn zuletzt der ganze Zirkel abgeschlossen, in welchem sich die Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten bewegt.« Sollte in den folgenden Blättern jene Identität auch nur hier und da zum kleinsten Theile sichtbar werden, dann wäre das Verständniss des Grundtextes allerdings wesentlich leichter, obgleich nicht mühelos geworden. Die Reden stammen zwar aus dem 6. Jahrhundert vor Christus: aber sie machen zuweilen den Eindruck als gehörten sie ins 6. Jahrhundert nach Schopenhauer.
Wien, im Herbst 1895.