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8. Oktober.
Nach dieser schrecklichen débacle fange ich an, die Nerven zu verlieren. Wenn ich wenigstens so viel vor hätte, daß ich zu keinem Nachdenken kommen könnte. Aber jetzt legt sich Bubi mit Scharlach. Dieses Kind hat ein wunderbares Talent, immer zur Unzeit krank zu werden. Dabei muß man Fritzens Angst sehen. Wenn der Junge ganz sinngemäßerweise hohes Fieber hat, ist mein Gatte krank vor Verzweiflung.
So bin ich notgedrungen abgeschlossen von aller Welt, und das Wohltätigkeitsfest von Frau Agna Sandels muß ohne mich stattfinden.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als schwarze Pläne auszuhecken, wie ich diesen spröden Musiker in meine Arme locken kann. Er merkt natürlich nichts von dem, was er anrichtete. Seit der Bann gebrochen ist, schüttet er mir Dienstags und Freitags klavierspielenderweise sein Herz aus. Wenn ein deutscher Jüngling unglücklich liebt, ist es furchtbar.
12. Oktober.
Jeder Mensch muß ein Minimum »gelebt haben«. Leben = gleich erleben. Darum ist Freya ungenießbar. Sie wird nun alt und jüdisch, die schöne Jugend ist vorbei, und sie sieht zurück und ärgert sich über gewesene Tugend. Der schlanke Maler Weser besaß einmal ihre Sympathie, er ahnte es nicht und blieb zurückhaltend. Jetzt erscheint ihr diese Zeit im Lichte eigener Tugendhaftigkeit. Sie sprach mit mir darüber, und die Runzeln um ihre Augen zuckten.
Freya kommt nämlich jetzt öfter, um mich zu trösten in meiner Einsamkeit. Sie hat keine Angst vor dem Scharlachfieber, weil sie weiß, daß ich doch nicht zu Bubi hinaufgehe. Dann sitzt sie und spricht von früheren Erfolgen, weidet sich daran und dichtet sich in eine Glorie von Unwiderstehlichkeit. Das ist noch eine gelinde Form von verpaßten Abenteuern. Die Schlimmere ist Hildegard; der brave Günther ist nicht zu beneiden.
Bis auf Hasso und den bis jetzt recht unausstehlichen Ernst ist überhaupt mit der Familie Beer kein Staat zu machen. Und Hasso hat einen viel zu geraden Rücken und ist auch ein viel zu ehrlicher Arbeiter, um im preußischen Staat auf irgendeinen wirklich grünen Zweig zu kommen. Früher dachte ich, er würde mindestens Reichskanzler. Aber er reibt sich in seinem subalternen Dienst auf und bringt es vielleicht – mit drei Fragezeichen – zum Wirklichen Geheimen Ober. Ich sagte ihm gestern: »Mein Lieber, du bist unklug. Wenn ich du wäre, so setzte ich mich mit meinem hübschen Geld auf einer Klitsche fest und würde demokratischer Agitator. Da gehörst du hin.« Er war empört, obgleich ich sah, daß er mir innerlich zuschmunzelte. Der künftige Herr von Granier natürlich ist stockkonservativ. Das heißt seit einem Vierteljahr.
20. Oktober.
Ich komme nicht vorwärts in meiner Taktik. C. T. ist weiter der unglücklich Verliebte, der seinem Gram Luft macht. O, Clemens Togena, wenn du mein sein wirst, ich werde mich rächen an dir. Dann sollst du an mir zuschanden gehen.
Meine Liebe zu ihm wandelt sich. Während ich früher nichts Wundervolleres kannte, als mich ihm hingeben zu dürfen, denke ich jetzt nur daran, wie ich ihn quälen und martern kann. Sinnlichkeit hier wie dort. Bin ich pervers?
Dies Wort hat keine Bedeutung für mich. Ich halte die Perversität für keine krankhafte Erscheinung, vielmehr vermute ich, daß sie nur eine durch die Verhältnisse gegebene abweichende Form der Sinnlichkeit ist. Übrigens ist Grausamkeit der Liebe so nahe verwandt, daß sie, so vermute ich, in jedes Leben hineinspielt. Ich habe furchtbare Nächte.
22. Oktober.
Mein Ring wirkt wie ein Talisman. Ich denke daran, daß ich im äußersten Falle immer bequem durch das Gift meinem Leben ein Ende machen kann.
Heute betrachtete ich ihn aufmerksam, er ist nicht schön, aber altertümlich; man sieht auch die Kapsel unter dem Skarabäus, in der das Gift enthalten sein soll, kaum.
Damals, als ich ihn kaufte in Nizza, war ich im Grunde mit meinem Leben recht zufrieden. Ich hatte einen reichen Mann und augenblicklich keine anderen Bedürfnisse. Bedürfnisse erwachsen ja doch immer erst, wenn wir hungrig sind. Und immer werden wir hungrig. Haben wir genügend Geld, so wollen wir andere Befriedigung, Ehre, Erfolg, die Liebe irgendeines uns besonders interessierenden Menschen. Oder unsere Gesellschaftsschicht gefällt uns nicht mehr, und wir streben zu einer anderen.
Irgendwie ahnte ich schon damals, als ich den Ring kaufte, daß mein Glück nicht dauern würde. Nur aus diesem Grunde setzte ich mich in seinen Besitz. Wie eine Sicherheit kam er mir vor, wie etwas, das gefeit macht.
Ich trage den Ring wieder. Er wirkt ein bißchen schwer gegen die anderen und paßt sich doch an.
Übrigens weiß niemand, was für eine Bewandtnis es mit ihm hat. Das ist gut. Niemals kann man wissen, in welche Lebenslagen man kommt.
25. Oktober.
Wieder war Freya hier; sie wird mir unsympathisch. Ich riet ihr zu einem Abenteuer, und sie entsetzte sich. Es wäre auch nutzlos, denn kein Abenteuer würde sie befriedigen; nur die ganz grobe, häßliche Wirklichkeit könnte sie heilen. Aber so etwas tritt an die ältliche Frau von Beer nicht mehr heran.
Ich selbst – ich verzweifle nicht mehr. Ich habe einen Fortschritt bemerkt. Er spricht weniger von Josephine. Seine Augen haben einen Ausdruck, den ich fast mit Lüsternheit übersetzen kann, wenn ich nur ein wenig übertreibe. Dazu bemerkte er heut' zum erstenmal die Schönheit meines Kostüms. Ich war auch schön.
Selbstvertrauen muß ich besitzen, es ist notwendiger als Schönheit.
Ich hypnotisiere ihn jetzt.
Eine verliebte Frau verwendet jedes Mittel. Wenn es mir hülfe, ich würde nicht vor Gift zurückschrecken.
Bubi ist besser. Wir sind bald aus der Quarantäne heraus. Es beliebt dem künftigen Herrn von Granier augenblicklich, mit mir nicht zu reden. Er nahm meine Herzlosigkeit dem Kinde gegenüber übel. Dieser Mann ist ein vollkommener Idiot.
Wenn er mir meine Schulden bezahlt, so will ich seine Schweigsamkeit gern ertragen.
2. November.
Außer Quarantäne.
Ich kokettiere herzlos, und ohne irgend etwas dabei zu empfinden, mit einem sehr eleganten Nichtstuer, der in Berlin eine gewisse Rolle spielt. Mein kleiner Neffe Hans ist schon eifersüchtig und redet von Moral. Togena redet neuerdings auch von Moral, ist aber nicht eifersüchtig.
Hans, dieser ganz infame, aber schlaue Bengel, erklärte mir, daß ich der Typ eines amoralischen Geschöpfes wäre. Ich wäre nicht unmoralisch, sondern stände einfach jenseits von allem, was Moral ist. Er nannte das interessant und beängstigend, denn so sei ich zu allem fähig, was schlecht oder gut ist, es käme auf die Leitung an.
Leider ist es sicher, daß Fritz' Leitung durchaus nicht günstig für mich ist. Ich müßte einen Mann haben, der mir zu imponieren versteht, einen, dessen Willen stärker ist wie der meine. Aber die Energie der Männer wird immer vollkommen durch ihre Tätigkeit absorbiert. Sie sind daheim müde und bequem und wollen ihre Ruhe haben. Darum sind wir Frauen alle mehr oder weniger schlecht geleitet. Wir leben unmoralisch unseren Instinkten nach und verlangen vom Leben Annehmlichkeiten und immer neue Annehmlichkeiten. Wir sind zumeist ganz ohne Grund unzufrieden, und wenn das Leben uns einmal andere Seiten zeigt, so versagen wir. Ich würde im gegebenen Moment bestimmt versagen.
Meinen Kummer – o, es ist abscheulich, daß ich diesen Kummer habe, es ist unwürdig –, diesen Kummer trage ich sehr wenig hoheitsvoll. Ich suche entweder zu vergessen oder ich verzweifle in wenig schönen Launen. Als drittes: ich lebe in einer sinnlich erhitzten Einbildung, die mir dieses Mannes Liebe vorspiegelt. Ich quäle und martere ihn in der Phantasie und schäme mich über mich obendrein, wenn ich nüchtern werde.
Sollte es wahr sein, was mir ein unbestimmtes Empfinden sagt, nämlich daß C. T. mich zugrunde richtet?
Es ist leider nur noch wenig Spannkraft in mir.
15. November.
Erster musikalischer Abend bei uns.
Alles in allem, was man mit der hübschen und geistreichen Redewendung »ein gelungener Abend« bezeichnet.
Hasso und Freya, Pachoix' mit Daisy, Hans Beer, Ernst Beer, Franz und Josephine Biron, last not least Lassenthin.
Ich werde erzählen:
Herr von Lassenthin sprach mit Togena, als Birons eintraten.
Togena lächelte, wich einen halben Schritt zurück, lächelte wieder. Josephine ward rot bis unter die Stirn, und ich muß leider gestehen, daß ihr das nicht übel stand. Sie gingen aufeinander zu wie Kinder, die verschüchtert sind. Ihr Händedruck war kurz. Biron stand neben Josephine und schaute gütig aus.
Das Bild dieses Mannes könnte mich verfolgen. Ein Leidender voll von Güte.
Lori Beer, Frau Lori Granier, sage, wo bleibt dein Kummer gegen dieses Leid!
Ich hatte sie bei Tisch weit auseinander gesetzt, sie konnten sich nicht einmal sehen. Beruhigt widmete ich mich daher meinem Tischherrn Lassenthin, diesem Manne, von dem ich einmal schrieb, daß er Augen hat wie ein Mensch, der ein übergroßes Leid bekämpfte und sich nun gegen alles gefeit fühlt.
Es ist immer interessant, sich mit Lassenthin zu unterhalten, wenn es auch nicht immer angenehm ist. Dieser Mensch sagt frei und strikt alles was er denkt, und so kommt es, daß man oft recht peinliche Wahrheiten zu hören bekommt. So sagte er mir: »Sie gefielen mir im knappen englischen Kleid mit dem kleinen Strohhut und der einfachen Frisur bedeutend besser, gnädige Frau. Ihr Stil ist herbe, das Fließende, das Sie jetzt in Ihren Gewändern lieben, würden Sie besser anderen überlassen.«
Ich sagte: »Gerade das Fließende in der Toilette ist das, was eine Frau fraulich macht.«
Er lächelte dazu mit einem Lächeln, das ich am besten infam nenne, und schwieg.
Auch ich schwieg.
Mein guter Gatte war aufgeregt über die seltene Ehre von Lassenthins Besuch und versuchte, über den Tisch weg mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Sie fingen von Politik und von Jurisprudenz zu reden an, so daß dem armen Ernst, den ich weit unten an den Tisch gesetzt hatte, die Bissen im Munde quollen, weil er sich nicht beteiligen, d. h. seine Ansicht, die ihm wichtig dünkte, dazwischen streuen konnte. Ich selbst war kaltgestellt, denn Biron, mein Nachbar zur Rechten, hatte Mabel neben sich, und gegen den Redestrom dieses weiblichen Wesens aufzukommen, ist mir unmöglich. Aber eine Frau will um alles in der Welt nicht kaltgestellt sein, sie will sich hören lassen, und so beging ich die Torheit, Paradoxen in Lassenthins Gespräch mit Fritz einzustreuen. Ich war nicht geistlos, aber Lassenthin merkte, das fühlte ich, immer die Quellen, aus denen ich schöpfte. Er sagte schließlich: »Es fiel mir früher niemals auf, gnädige Frau, daß Sie die Paradoxen anderer im Mäntelchen des eigenen Wissens wiedergaben.«
Das war grob. Ich ärgerte mich leider, anstatt über seine Originalität zu lachen, und im Ärger sagte ich: »Ich bin auch keineswegs mehr Lori Beer. Ich bin ein Tiergartenfrauchen geworden, genau wie alle anderen.«
»Da Sie das sagen, sind Sie es noch nicht.« Er betonte das noch.
Er hat recht. Ich schämte mich vor mir, und das war die beste Empfindung, die ich seit Jahren hatte.
Leider nur ist Erkenntnis nicht, wie man wohl häufig glaubt, mit Besserung verbunden. Die Besserung liegt hinter sieben Bergen, und man gelangt keineswegs zu ihr, wenn man lebt, wie ich lebe.
Übrigens sind alle Frauen so wie ich, vielleicht mit Ausnahme der Josephine. Die aber fällt mit ihrem Heiligenschein mir auf die Nerven.
Echte Frauen sind so:
Sie sind nur wirklich interessant, fesselnd, reizend, mitteilsam, wenn sie von sich sprechen können. Der Unterschied ist nur, daß es einige gibt, die auch dann langweilig sind, weil eben gar nichts in ihnen ist. Oder einige, die es zu deutlich machen und es geschmacklos gar nicht ein bißchen verbergen können.
Zum Beispiel sprich über ein Buch. Meinetwegen lobe es. Die Frau, mit der du sprichst, kennt es, lobt es auch, weiß ganz geschickt plötzlich nur noch davon zu sprechen, wie das Buch auf sie wirkt.
Ist sie ungeschickt, so merkt man es und denkt: Die Arme, sie kann von nichts reden, als von sich. Andernfalls erfreut jeden die Grazie der Unterhaltung und interessiert ihn.
Ich will's kurz machen. Ich wurde interessant. Lassenthin verfolgte das Gespräch mit Fritz nicht mehr recht, wandte sich zu mir und vergaß mein törichtes Benehmen. Er vergaß, daß ich unter schlauem Mäntelchen nur von mir sprach, und ward zum Schluß beinahe liebenswürdig.
Nach Tisch der musikalische Genuß. – Ich kann konstatieren, daß C. T. schöner, sanfter, klarer spielte denn je, nur gegen Schluß ward er wieder nervös. Josephine saß in einem der tiefen, roten Sessel und hatte den Kopf hintenüber gelehnt. Sie war blaß. Biron saß neben ihr. Ich fühlte, daß er ihr im Innern die Hände küßte.
Noch ein Wort über Hasso: Er schneidet mich neuerdings mit einer Schärfe, die ich als Beleidigung empfinden muß. Er hat mich aufgegeben, ich weiß es.
Gerade er ist der einzige Mensch, zu dem ich Zutrauen habe und an dessen Urteil mir liegt. Langsam entgleitet er mir. Mit der starren Einseitigkeit, deren nur ein Mann fähig ist, sieht er jetzt in mir nur noch Fehler. Er hat aufgehört, mich zu begreifen, und damit fiel alles zusammen.
Ich weine in Gedanken an diesen Verlust.
Und nun das Resümee des Abends: Wenn C. T. Josephine sieht, so ist meine Gewalt über ihn verloren. Ich muß es also vermeiden, daß er sie sieht. Intrigieren. Jeder Frau liegt die Intrige.
Abends.
C. T. sagte zu mir: »Wenn ich bei Ihnen bin, gnädige Frau, so bin ich vollkommen geheilt. Ich denke dann kaum mehr an Frau Biron.«
Ich sah ihn fest an und sagte: »Sie dürfen überhaupt nicht mehr an sie denken, gar nicht mehr, gar nicht. Es ist unrecht, es ist ein ganz unglaubliches Unrecht gegen den armen, blinden Mann.«
Ich sah, daß er blaß wurde. Er murmelte: »Ich habe ihm nichts genommen.«
»Außerdem,« antwortete ich, »sah ich am letzten Donnerstag klar genug, daß Josephine sich gar nichts mehr aus Ihnen macht.«
Er: »Wirklich? Glauben Sie?«
Ich: »Ich sah es deutlich.«
Er: »Ich kann also zu Birons hingehen, ohne befürchten zu müssen, daß ich sie beunruhige?«
Aber so hatten wir nicht gewettet. Ich schlug den Brustton der Überzeugung an und sagte: »Mein Lieber, das würde ich an Ihrer Stelle keineswegs tun. Sie können durchaus nicht wissen, wie Ihnen das ausgelegt wird. Sehen Sie her, wenn Sie jetzt hingehen, so sagt sich Josephine ganz mit Recht: will er denn wieder von vorn anfangen? Oder sie sagt sich: Er scheint über seine Liebe zu mir hinweggekommen zu sein. Das ist aber rasch genug gegangen.«
Er fiel ein: »Aber Sie sagten doch, daß sie selbst vollkommen –«
Ich unterbrach ihn: »Lernen Sie die Frauen kennen, Togena. Daß sie selbst rasch vergessen, nennen sie Willensstärke. Den Mann, der rasch vergißt, nennen sie untreu. Das liegt sehr nahe.«
C. T. wird also in der nächsten Zeit nicht zu Birons gehen.
3. Dezember.
Bei Birons gewesen.
Wirklich gibt C. T. Inge fortgesetzt weiter Klavierstunde, aber sonst scheint er nicht mehr viel dort zu sein.
Übrigens sieht Biron auffallend schlecht aus. Josephine ist blaß und reizlos, aber die Kinder haben einen eigenen Zauber, besonders Veronika mit ihren schwarzblauen Augen. Die kleine Inge betrachtete mich mit einem bösen Blick. Ahnt das Kind etwas? Ich bat sie, mir vorzuspielen; sie sagte fest und hart: »Ich spiele dir nichts vor.« Josephine wies sie zurecht, aber das Kind bestand mit einer beinahe bewunderungswerten Energie auf seinem Willen.
Die kleine Inge ist meine Feindin. Leider bin ich so nervös, daß ich über diese drollige Feindschaft nicht lachen kann.
Weihnachten.
Bei Graniers ist Weihnachten so:
Um sechs Uhr wird von Vater Granier, der um Bubis willen in zitternder Aufregung ist, der Baum angezündet. Mutter Granier, das ist Lori, die aber eben zu Weihnachten Mutter Granier heißen müßte, hat schlecht gelaunt und unliebenswürdig die Geschenke aufgebaut. Es kommt dabei zu Auseinandersetzungen zwischen Vater und Mutter über die Quantität der Geschenke für Bubi, deren immer zu viele und zu kostbare vorhanden sind.
Auf das Klingelzeichen tritt ein blasses, schüchternes Jüngelchen in den Saal, summt: »Ihr Kinderlein kommet« und zittert dabei vor Nervosität. Mutter Granier fühlt die dennoch niemals ganz unterdrückte Liebe zu dem Kinde, schämt sich aber der weichen Regung und bleibt stocksteif.
Dann führt Vater Granier das Kind zu seinem Tisch, bedeutet Mutter Granier und den Dienstboten den ihrigen und ist daraufhin nur mehr für den Jungen vorhanden, der sich schüchtern und verlegen wie ein beschertes fremdes Kind freut.
Mutter Granier sieht von weitem zu, fühlt sich gänzlich überflüssig und weiß daher nichts mit sich anzufangen.
Um acht Uhr zieht Vater Granier eigenhändig dem Jungen sein Mäntelchen an, und alle drei fahren zu Großmutter Beer. Dort sind seit sieben Uhr schon Günther Beer mit Frau und ungefähr fünf Kindern – einmal mehr, einmal weniger, je nachdem, ob eins stirbt oder eins dazu kommt. Hasso Beer mit Familie kommt auch.
Es wird sehr eng. Lori Granier bekommt Kinderschmutzfinger auf ihre Toilette und kann absolut den Lärm nicht vertragen.
Mutter Beer steht mit gefalteten Händen da und lächelt glückselig.
Günther Beer ist laut und räuspert sich viel und pumpt Fritz Granier an.
Hasso Beer ist vornehm und zurückhaltend und sagt: »Ein reizender Abend.«
Freya und Hildegard und Fräulein von Wernheimb beschäftigen sich fortgesetzt mit Dingen, die nicht notwendig sind. Außerdem schlichten sie den Streit, der in Intervallen von fünf Minuten regelmäßig bei den Güntherschen Kindern entsteht.
Dann Abendessen: Karpfen, Mohnklöße.
Schluß: Allgemeiner Aufbruch; das arme Graniersche Auto fährt die Günthersche Familie nach Hause und riecht noch vierzehn Tage nach erbrochenen Pfefferkuchen.
4. Januar.
Am 14. Januar wird C. T. ein Konzert geben. Ich befinde mich ungefähr in der Aufregung wie eine Mutter vor dem ersten Auftreten ihres vergötterten Kindes.
Togena ist von Grund aus ein Künstler, aber leider bewertet die heutige Zeit den Künstler nicht so stark wie eine gewisse Aktualität. Und ich weiß nicht, ob C. T. so aktuell ist, wie man es verlangt.
Er spielte mir sein wundervolles Programm vor. Chopin ist ohne jeden Zweifel vollendet. Brahms, sein besonderer Liebling, liegt mir zu wenig; ich kann also nicht maßgebend urteilen. Beethoven ist in C. T.s Auffassung die elementare Gewalt. Er interpretiert ihn erschütternd.
Wie seine eigenen Kompositionen aufgenommen werden, bleibt dahingestellt. Sie sind schön und zart, sie sind Träume.
Übrigens soll der Billettverkauf gut sein.
Es ist für mich beinahe eine angenehme Abwechslung, dies Bangen um seinen Erfolg. Jedenfalls ist es neu. Die ewigen Gesellschaften werden nach Weihnachten schon so entsetzlich schal, so wie Bier ohne Schaum oder zerflossene Schlagsahne. Man wird selbst der eigenen Erfolge müde. Man ärgert sich nicht mehr über die Schönheit anderer Frauen.
13. Januar.
Ein Erfolg: Inge hat keine Klavierstunde mehr bei C. T.
Er selbst kommt alle Tage.
Er ist weich und beängstigend nervös, aber er hat augenscheinlich stark das Bedürfnis, sich mitzuteilen.
Ich behandle ihn kühl und sanft.
Nichts verrät, wie leidenschaftlich ich ihn liebe.
Meine Nächte sind von neuem qualvoll.
Morgen ist das Konzert.