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IX.

Die Bäume färbten sich schon. In den Straßen, den viel belebten, viel beleuchteten, hatten sie bald keine Blätter mehr. Der Tiergarten war bunt und schön und voll blauer Nebel.

Berlins stille Zeit war vorbei. Jetzt glitt der Menschenstrom wieder Kopf an Kopf durch die Straßen. Die Warenhäuser füllten sich mit Kaufenden, mit Müßigen. Die neuen Hüte der Saison wurden stolz von eleganten Trägerinnen gezeigt, Hüte, die man kurz zuvor noch nicht für möglich hielt, die man belacht hatte. Überall war Leben und Hasten. Es war, als seien all diese Menschen von einem Taumel ergriffen, der sie zwecklos herumstieß, der sie ins größte Gedränge hineinzerrte, der immer noch neue und neue Scharen hypnotisch anzog.

Es gab einen sonnigen Herbst. Da war es schön am Morgen, wenn noch die Sonne rot war, im Tiergarten zu reiten. Ein gewisser vornehmer Hauch lag über diesem großen Park, über dem Tun dieser Menschen. Man sah blitzende Uniformen, man sah schöne und gut gekleidete Reiterinnen. Hier eine bekannte Bühnengröße, die Pracht ihres lichtblonden Haars unter dem Hut fast versteckt, fest, herb, mit männlichen Bewegungen zu Pferde sitzend. Und dort die Frauen des reichen Berlin W, nicht immer mit der Sicherheit im Sattel, die das Pferd verlangte, und dennoch schick in Haltung und Kleidung. Oftmals auch wirklich schön, blaß, ein bißchen müde.

Die Stimmung war frisch und heiter, eine Stimmung wie sie Berlin vor ein paar Jahren noch nicht kannte, so voll von Luxus, von Kultur, werdender Kultur. Man sah gute Pferde, auch Reiter mit tadellosen Breeches und tadelloser Figur, die selbstbewußt, mit nonchalanter Liebenswürdigkeit zu ihren Damen redeten. Nonchalance war Trumpf, Nonchalance war Schick. Über die chevalereske Liebenswürdigkeit der alten Schule waren die Jungen hinaus.

Lori war mitten unter all dem Trubel. Die Reise hatte sie erfrischt und angeregt. Sie fühlte sich wieder unwiderstehlich und ihrer selbst sicher. Sie dachte an ihre Erfolge in Zermatt und am Lido, an ihre neuen Kostüme, von denen eins schöner war als das andere. Ein sehr pikantes, frisches Parfüm vervollständigte in ihren Augen ihre Macht. Und dann dachte sie: ich muß an mich selbst glauben, das ist die stärkste Waffe. Was im Grunde geht mich dieser kleine Musiker an. Ich bin über die Liebe hinweggekommen, aber nun will ich ihm zeigen, daß man über die Liebe zu mir nicht hinwegkommen kann, wenn man sie erst einmal fühlt.

Und dann begannen wieder die Nachmittagsstunden am Dienstag und Freitag.

Togena kam, er schob sich linkisch in die Tür. Er fragte nach ihrem Ergehen und versuchte liebenswürdig zu sein. Aber seine Augen waren zerstreut, die blassen Hände nervös.

Lori sagte: »Sie sind gewiß den ganzen Sommer über in Berlin gewesen, darum sehen Sie jetzt so blaß aus.« Sie dachte: sollte es wirklich wahr sein, ist er um Josephines willen in Berlin geblieben? –

Togena antwortete: »Ich war ein paar Wochen in Tirol. O nein, ich bin durchaus nicht nervöser als sonst.«

Dann spielte er ihr vor, und sie tranken Tee zusammen und saßen in den tiefen, behaglichen Stühlen. Ihr Plaudern regte ihn an, es beruhigte ihn, hier in Frieden zu sitzen und sich auf andere Gedanken bringen zu lassen. Er dachte: ich tat Frau Granier unrecht, sie ist reizend, sie ist große Dame und hat Stil. Sie kann sich alles erlauben, weil sie Eigenart hat.

Und dann taute er langsam auf, ward zutraulich und sprach sogar in kurzen Sätzen von sich selbst, von den Menschen, die er in Tirol getroffen hatte, auch Damen waren dabei, jawohl. Ein Backfisch hatte ihn um eine Locke gebeten. Er lachte und strich über sein glattes, dunkles Haar. Wie jung das Lachen war!

Lori Granier fühlte wieder den starken Zauber, den dieser Mann auf sie ausübte. Weil sie jetzt nicht eifersüchtig war, weil sie empfand, daß er ihr nicht widerstrebte, so fühlte sie seinen Zauber mit Lust.

Langsam, verstohlen fast, brachte sie die Rede auf Birons.

»Was machen eigentlich Birons; ich sah sie noch gar nicht? Wenn jemand kein Telephon hat, ist er gleich so unerreichbar.«

Togena antwortete: »Es geht ihnen gut, so viel ich weiß.«

»Sie sind oft dort, nicht wahr, Sie sind befreundet?«

»Ich interessiere mich für Inge. Das Kind hat viel Talent, ich unterrichte sie.«

»Inge, wirklich? Das hätte ich nie gedacht. Dieses unbändige Mädchen, das niemals stillsitzen kann! O nein, das hätte ich nie gedacht. Und Sie geben ihr Unterricht? Das finde ich wirklich rührend.« Sie dachte: ist er so klug, daß er sich unter diesem Vorwand in Josephines Nähe hält? Oder bildete ich mir diese ganze Liebe nur ein? Wie töricht von mir. Ich werde ihn nach ihr fragen. Ich werde sehen, was er für eine Miene macht, wenn er von ihr spricht. Und sie fragte.

»Frau Biron ist wohl, so viel ich weiß,« antwortete Togena. Sein Gesicht blieb kühl, die Augen schlossen sich, öffneten sich; aber das war kein Zeichen von Nervosität. Sie wußte, daß seine Hände am ersten die Erregung zum Ausdruck brachten. Sie machten dann hastige, zuckende Bewegungen, und jetzt lagen sie still.

Sie war befriedigt und plauderte nun wieder in ihrer reizenden Art, die ihn zerstreute, die angenehm in seine Gedanken drang. Ihr Duft umgab ihn, ihre schöne Erscheinung war ihm eine ästhetische Freude. Er brach später als sonst, und als er eigentlich beabsichtigt hatte, auf.

Als er ging, sagte sich Lori: jetzt gehört er mir.

Das war am Dienstag.

Am Freitag kam er wieder. Er war blasser noch als sonst, er war gedrückt. Als sie fragte, was ihm fehlte, und ängstlich in ihn drang, es ihr doch zu sagen, fand er Ausreden. Im Herbst fühle er sich oft elend, der Winter sei seine schlechte Zeit; so ginge es Jahr für Jahr. In seinen Augen lag etwas wie scheue Dankbarkeit, daß sie sich seiner so herzlich annahm. Und sie dachte wieder: ach du Dummer, wüßtest du, wie lieb ich dich habe, wie reizvoll du bist, wenn du dich anvertraust. Aber ich muß vorsichtig sein. Er ist ein Mann, der schwer erringen will. So werde ich mich also schwer erringen lassen.

An diesem Freitag ging er zeitiger. Sein Abschied war gehetzt, nervös. Als sie seine kalte Hand ein wenig länger als sonst in der ihren behielt, schien sein Mund gequält zu zucken. Es war, als wollte er sprechen. Ihr Herz klopfte, sie zitterte – aber er schwieg.

Und dann kam er am Sonntag gegen Abend. Er war verlegen und linkisch, fragte, ob er auch nicht störe. Lori hatte gerade eine Auseinandersetzung mit Granier gehabt. Sie war schlechter Laune und aufgeregt, aber sein Kommen brachte sie gleich in eine andere Stimmung.

»Sie stören nie,« sagte sie in der ihr eigenen, reizenden Art. »Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir. Wir wollen die ärgerliche Außenwelt vergessen.«

»Die ärgerliche Außenwelt?« fragte er erstaunt. »Wie ist es möglich, daß Sie so etwas sagen. Ich sollte meinen, daß Sie überhaupt nicht wüßten, was Ärger ist.«

Lori lachte spöttisch, ihr Gesicht verzog sich dabei zu einer Grimasse, die sie fast häßlich erscheinen ließ. »Glauben Sie das wirklich?« fragte sie hart.

Togena rief: »Aber wer sollte Sie ärgern! Sie können doch tun, wozu Sie nur irgend Lust verspüren!«

»Mein lieber Togena,« sagte sie, »sind Sie wirklich der Meinung, daß es Menschen gibt, die tun und lassen können, was sie wollen? Ich glaube es nicht. Und jedenfalls gehöre ich nicht dazu. Aber wir wollen von mir nicht weitersprechen. Erzählen Sie von sich, erzählen Sie, wie es Ihnen geht. Ich betrachte Sie immer mit Sorge, weil Sie so sehr blaß sind.«

Togena lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Wie gut Sie sind,« sagte er leise. »Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie so weich und teilnehmend sein können. Man steht so allein, man braucht die Sorge, man braucht doch jemanden, der teilnimmt.«

In Loris Augen glänzte es hell auf, aber sie hielt an sich und senkte den Blick. Zurückhalten, ja zurückhalten, ihn kommen lassen. Er kommt schon, keine Sorge.

In diesem Augenblick erschien der Diener mit dem kleinen, weißen Teetisch, den er vor Lori hinrollte. Es war alles sehr sauber und ästhetisch schön hergerichtet. Das schwere Silber blinkte, die flachen Schalen glänzten matt und sanft spiegelnd. Alles lag bequem zur Hand, und jedes Stück war in sich von vollendetem Geschmack.

Lori zündete mit den lässigen Bewegungen, die ihr so schön standen, das kleine Feuer unter dem Samovar an. Sie rückte noch hier und da etwas zurecht, schob dann das Tischchen nach vorn, damit es auch für Togena bequem stände, und machte sich daran, den Tee zu bereiten. Die Ärmel fielen zurück, man sah die wunderschönen, schlanken Arme, man sah die Zierlichkeit des Ellenbogens. Das merkwürdig herbe und doch süße, verwirrende Parfüm flog vorbei, stärker duftend, schwächer duftend. Die ganze wundervolle Weiblichkeit und die Anmut ihrer Erscheinung kam voll zur Geltung bei dieser Tätigkeit. Es war nicht jene herbe Anmut, die Josephine besaß, der man es anmerkte, daß sie gleich mit jedem Griff das Rechte tat. Es war in gewisser Art eine Anmut leisen Ungeschicks. Man sah, daß diese Hände Arbeit nicht gewohnt waren, sie konnten fast hilflos hin und her greifen, ehe sie das Rechte taten. Wenn Togena nicht so voll und ganz von seinen eigenen Empfindungen eingenommen gewesen wäre, so hätte er Loris Art und Tun mit Freude beobachten müssen. Aber er sah es kaum, er empfand nur die Nähe einer Frau, die für ihn sorgte, ganz gleich, was für eine Frau das war. Nur die Stimmung war es, die er empfand. Der Diener legte noch ein paar neue Scheite auf das Feuer im Kamin, das leise zu schwelen begonnen hatte, dann ging er hinaus.

Draußen prasselte der Regen. Er fiel auf das Fenstersims, auf die Blätter der herbstlichen Bäume, auf den Kies. Unzählige Tonarten wechselten ab in seinem Rauschen.

Manchmal fuhr der Wind durch das Laub und schüttelte es wild. Manchmal war wieder alles still; dann rauschte auch der Regen leiser, eintöniger.

»Eine Tasse Tee,« sagte Lori und lehnte sich behaglich zurück, »bringt mich jedesmal in eine Stimmung, die ich liebe. Ich werde mitteilsam und beinahe menschenfreundlich.«

Togena fragte: »Glauben Sie, daß heut' noch andere Gäste kommen?«

»Nein, das glaube ich bestimmt nicht. Anfang Oktober ist alles noch still. Der Trubel setzt erst in drei, vier Wochen ein. Pachoix's sind noch nicht einmal hier, und Hasso scheint an einer Art Influenza zu leiden. Freya klagte wenigstens gestern am Telephon darüber.«

»Und Birons?« fragte Togena. Er konnte nicht anders, er mußte es fragen. Seine Hände, die bis dahin ruhig gelegen hatten, griffen plötzlich nervös nach der Tasse, so daß sie klirrte.

Lori zuckte die Achseln. »Ich sehe wenig von Birons. Josephine und ich haben so wenig Gemeinsames. Sie ist immer die Musterfrau, die mir schon als Kind zum Vorbild hingestellt wurde. Ich neige leider gar nicht zu solch musterhafter Art.«

Togena schwieg. Er dachte, sie kennt sie nicht gut genug, um ihren wahren Wert zu erfassen. Sie weiß nicht, wie sanft, wie zart, wie wundervoll sie ist. Wenn man nur weiter von ihr sprechen könnte. Nur von ihr sprechen, damit man nicht erstickt an dieser verzweifelten Liebe.

Da sagte Lori: »Erzählen Sie mir doch einmal von Ihrer Freundschaft mit Birons. Es ist immer interessant, Menschen von dem Urteil eines anderen aus zu betrachten.« Sie dachte: ich will sehen, wie er von ihr spricht. Ich muß, ja, ich muß ergründen, wie es um ihn steht.

Sie schaute ihn an, sie versuchte, seine Augen zu treffen, aber er sah zu Boden, er schwieg. Als er endlich sprach, klang seine Stimme heiser.

»Es scheint, daß Herr Biron nicht recht wohl ist. Er macht den Eindruck – er –« Es war ihm plötzlich unmöglich, von Josephine zu sprechen. Es würgte ihn.

Und Lori dachte: er spricht von Biron. Warum spricht er nur von ihm? Ich muß ihm weiter auf den Zahn fühlen.

In ihrer eigenen Erregtheit entging es ihr, wie erregt er war. Ihr Beobachtungsvermögen trübte sich, und dann wollte sie auch nicht bemerken, was ihr unbequem war. Instinktiv wehrte sich ihre Eitelkeit gegen den Glauben an seine Liebe zu der anderen Frau.

Sie nahm einen teilnehmenden Ton auf und fragte: »Ist es wieder schlimmer geworden mit seinen Augen? Das wäre sehr traurig. Aber bei der vorzüglichen Pflege, die Josephine ihm angedeihen läßt, ist dies Unglück noch zu ertragen.«

Togena legte die Hand über die Stirn. Er mußte diese Bewegung machen, um das Zucken zu verdecken, das über seine Züge lief.

»Es scheint,« sagte er, »daß Biron fürchtet –.« Weiter kam er nicht, seine Stimme versagte.

»Sie wollen sagen, er fürchtet sein völliges Erblinden; aber das war wohl vorauszusehen.«

Togena raffte sich auf. Es tat doch wohl, sich dieser klugen und teilnehmenden Frau gegenüber auszusprechen, nicht alles allein tragen zu müssen. Und wenn er sie um Schweigen bat, so würde sie schweigen. Das wußte er. Mit Anstrengung begann er: »Ich würde Ihnen gern etwas erzählen, gnädige Frau; wollen Sie mir zuhören?«

Einen Augenblick stockte Loris Herzschlag. Sie brachte kein Wort hervor, aber sie neigte den Kopf wie in Zustimmung.

Er erzählte.

Im Sommer war er täglich bei Birons. Es war ihm gewesen, als müßte das immer so bleiben. Er war wie Kind im Haus, er fühlte sich eigentlich nur glücklich, wenn er dort sein durfte.

Eines Tages war er allein mit Josephine. Er sagte Josephine und nicht Frau Biron, wie sonst immer. Ihr Mann war mit den Kindern spazieren gegangen. Sie saßen auf dem Balkon, und es war sehr schwül. Zwischen ihnen wollte keine Unterhaltung aufkommen, aber als das Gespräch endlich in Gang kam, nahm es eine Wendung, die sie beide nicht beabsichtigten. Sie sagten sich nicht ins Gesicht, daß sie sich liebten, aber sie wußten nun beide, wie es um sie stand.

Da nahm sie ihm das Versprechen ab, fortzureisen, und er ging nach Tirol.

Aber er konnte sie nicht vergessen. Er nahm ihr Bild mit sich, es war ihm wie eingebrannt. Er kam zurück, und die Liebe war dieselbe.

Ohne daß sie irgend etwas verabredeten, mieden sie sich. Er wagte nur selten zu kommen, und sie ging fort, wenn sich irgendein Vorwand finden ließ. An den fest bestimmten Klavierstunden der kleinen Inge war sie niemals im Hause anwesend, oder sie zeigte sich nicht.

Da schrieb Biron ihm und bat ihn um eine Unterredung. Das war am Freitag.

»Und da?« sagte Lori; sie war weiß wie Schnee. Sie zitterte wie im Frost. Ihre Hände wollten die Teetasse greifen und halten, sie griffen vorbei. »Und da –«

Togena verbarg sein Gesicht in beiden Händen. »Ich sagte ihm alles,« murmelte er.

»Sie sagten ihm, daß Sie seine Frau liebten?«

»Ich mußte es!«

»Um Gottes willen, Togena!«

Er wiederholte: »Ich mußte es.«

»Und er, und er,« flüsterte Lori halb irre. Sie dachte: vielleicht kommt jetzt ein Ausweg. Vielleicht wies ihm Biron die Tür. Vielleicht kommt er nun zu mir. Aber nein, so will ich ihn nicht haben. Ich will nicht, will nicht. O, Togena!

Togena sagte, immer noch die Hände vor das Gesicht geschlagen: »Er hatte alles geahnt. Er war weder erstaunt noch verletzt, nur gut, gut. Wie ein Vater, wie jemand, der jenseits steht. Er tröstete. Er war sanft und tröstete. Wir sollten uns nicht mehr sehen, sagte er, es sei besser für uns, leichter. Er könnte alles verstehen; er wüßte, daß wir nicht schuldig wären.

»Ich war wie zerschlagen, verzweifelt. Ich fühlte meine ganze Schuld an diesem Manne. Ich fühlte –«

Lori hielt das Geständnis nicht länger aus. Sie schrie ihn plötzlich an: »Warum erzählen Sie mir das alles?!«

Er nahm die Hände vom Gesicht. Sein Blick traf sie verständnislos, erschrocken. Leise, fast stotternd, sagte er: »Ich war unglücklich, Sie fragten mich, Sie –«

Lori nickte nur. Sie schwiegen. Das Feuer prasselte im Kamin, der Regen schlug gegen die Scheiben. Sie saßen sich gegenüber und fanden sich nicht mehr ineinander zurecht.

Er wütete gegen sich: warum sagte ich ihr das, warum nur? Wie ein altes Weib mußte ich plaudern. O, ich dachte, die Aussprache würde mich beruhigen, retten, retten. Nun ist alles noch verzweifelter in mir, elender, beschmutzt.

Und sie stöhnte: kein Ausweg mehr, kein Ausweg. Er liebt sie, er liebt diese Frau. Ich habe ihn verloren, er liebt sie. Er liebt sie, ich bin betrogen. Er liebt diese Frau. Sie empfand es fast wie körperlichen Schmerz. Sie atmete schwer.

Und er merkte nichts von ihrer Erregung. Er saß immer noch zusammengesunken, hilflos in seinem Stuhl. Nichts empfand er als die eigenen Gedanken. Da hatte zum Schluß der Unterredung Biron eine Andeutung gemacht. Er war freundlich, zutraulich gewesen wie ein Bruder. Er hatte etwas von einem Vermächtnis gesagt; wenn sein Leiden ihn bald abrufen sollte –. Verschwommen und unwirklich waren die Worte, sie wurden nicht deutlicher, wenn er darüber nachdachte.

Unterdessen hatte Lori wieder die Gewalt über sich erlangt. Sie sagte mit herber Stimme, laut, so daß er nervös zusammenfuhr: »Ich verstand Sie anfangs nicht. Sie waren schwer zu begreifen, aber Künstler sind andere Menschen wie wir. Man verzeiht den Künstlern viel –.«

Sie stockte. Ein verzweifelter Schmerz zuckte wieder in ihr auf. Ihr Herz schlug im Halse. Und dann kam der Haß. Aber der Haß half ihr; der half ihr, hart zu bleiben und nichts zu verraten. Ihre Augen wurden hart, um den Mund zog sich eine spöttische Falte.

Als er Abschied nahm, hatte sie es über sich gewonnen, ihm Mut zuzusprechen. Sie hatte ihn getröstet und den Alp des Nichtverstandenseins von ihm genommen. Ganz gleichmäßig und ruhig, ein wenig spöttisch war sie gewesen.

Und als er fort war, stand sie mit geballten Händen mitten im Zimmer. Sie stand, ohne zu merken, wie die Füße beinahe unter ihr zusammenbrachen.

Sie dachte fanatisch, heiß und mit wildem Blut an den Haß. Sie dachte: wie halte ich diese Schmach aus? Ich muß ihn dennoch gewinnen. Dann soll er mir zu Füßen liegen, grausam werde ich sein. Ich werde ihn martern. Nur erst gewinnen, gewinnen.

Jetzt liebt er sie noch, es wird nicht mehr lange sein. Jede Liebe stirbt an Mangel an Nahrung. Und er ist jung, er ist sinnlich. Wenn er mein ist, ich werde ihn quälen. O, ihn zu quälen.

Eine Welle von Lust und Grausamkeit überflutete sie. Sie schloß die Augen. Dann richtete sie sich plötzlich stark und gerade auf.

»Ich glaube nicht,« sagte sie laut, »daß es einer Frau wie mir unmöglich ist, dieses sentimentale Kind zu gewinnen. Es muß möglich sein, wenn ich will.«


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