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Ich weiß nicht sicher, ob sich der meiner Beobachtung zugängliche Lebenskreis verengt hat, so daß nur eben mir gewisse Äußerungen einer tatsächlich vorhandenen Kultur verborgen bleiben, oder ob mit dem Kriege und dem, was danach kam, die Erfindungsgabe geistig bewegter Menschen zur Belebung ihrer geselligen Unterhaltungen sich allgemein vermindert hat. Mir scheint leider, daß zu den Verlusten eines scheußlichen Krieges und einer in Äußerlichkeiten steckengebliebenen Revolution noch mehr Geistiges gehört, als bisher in allen Lagern gemerkt oder vermißt wird. Die Untersuchung, worin diese Verarmung des gesellschaftlichen Geistes ihre tiefsten seelischen Ursachen hat, würde in das Gebiet der Soziologie gehören und überdies Bezirke berühren, um deren Grenzen ich mich in diesen unpolitischen Erinnerungen vorsichtig herumzuschleichen bemühe. Die Erscheinung selbst aber ist sinnfällig, daß der Geist, wo er auf Ulk gestimmt wird, sich heutzutage verkrümelt, auf sich selbst verzichtet oder doch mit Gerissenheit auf geistfremdes Bedürfnis niedergebogen wird. Ausgelassenheit gibt es sicherlich, aber ich habe die Pflegstätten unbefangenen Blödsinns noch nicht wiedergefunden, wo in den Blödsinn lebendiger Geist ausgelassen würde. Wo in künstlerischen Kabaretts Witz mit Beziehung auf Vorgänge und Zustände des öffentlichen Geschehens gepflegt wird, da huft der Musengaul auf Eisen umher, deren Klappern man beim ersten Anapäst die Parteischmiede anhört, die sie mit Parolen graviert hat. Und ewig wird der konkurrierende Nachbar hergenommen, angeödet, durchgebeutelt und madig gemacht; der Ulk ist entweder spielerische Nichtigkeit oder ausgeklügeltes Werbemittel gegen jemand anders, nirgendwo geistreiche Selbstkritik, robuste Ironisierung der eigenen Gebarung, übertreibende Herauskehrung des Lächerlichen in dem, was man liebt, Erprobung seiner Ideale im Reagenzglas der Groteske.
Es ist schlimm, wenn ein Mensch, der sich ernste Aufgaben gestellt hat und mit ernstem Eifer ernsten Zielen zustrebt, sein Bedürfnis, zu lachen und Lachen zu wecken und zu hören, unter anderen Menschen befriedigen muß als unter denen, die ihm im ideellen Wollen die Kameraden sind. Das läßt sich nicht immer vermeiden, wenngleich die Fähigkeit zu geistvollem Ulk wahrhaftig nicht innerhalb umgrenzter Gesellschaftskreise Wurzel schlägt. Wohl aber unterbinden sehr oft bedrückliche Lebensumstände die Entfaltungsmöglichkeit vergnügter Sinnesart. Doch gibt es Berufe und vor allem besonders geistige Interessen, zu denen vielfach die gleichen Charakteranlagen hinlenken und wo auch die Gabe, mit geistiger Anmut hemmungslos fidel zu sein, zu gedeihen pflegt. Was mich betrifft, so fände ich keinen andern Zugang zum Lustigsein in lustiger Gesellschaft als den einer geistigen Verbindung auch im Wirken des Alltags, und die Vorstellung, gemeinsames reichliches Zechen sollte zwischen mir und Leuten völlig entgegengesetzter Denkrichtung den Boden gemeinsamen Genusses bereiten können, kommt mir absurd vor.
Mit meinen Münchener Freunden verband mich zwar nicht die Einheit der Weltanschauung, wie sie sich aus gedanklicher Kritik entwickelt, wohl aber in weitem Maße ein mindestens engverwandtes Weltgefühl, das, wenn auch in verschiedener Deutung, von Freiheit und Verbundenheit, von Schönheit und seelischer Kraft weiß. Man konnte am Tage miteinander an kulturellen Gütern arbeiten, daher konnte man am Abend miteinander lustig sein. Wir waren lustig, indem wir uns lustig machten, wohl auch mit Hilfe von viel Getränk, aber vielmehr mit Hilfe unbändiger Freude am Loslassen der Strippen, an denen die gesetzte Logik die Gedanken bewegt, am Freilauf der Phantasie, und wir machten uns lustig über die Kunst, die wir alle mit Inbrunst liebten, über die Ehrpusseligkeit der Künstlergesellschaften, deren Wesensart wir doch selbst bestimmend beeinflußten, über die Persönlichkeiten, deren Wert wir am höchsten schätzten, und über ihr Werk, das wir nicht müde wurden begeistert zu preisen. Wir machten uns lustig über unser eigenes Dasein und unser eigenes Schaffen und Mühen und Ernstsein und Lustigsein. Was wir aber haßten, weil es uns haßte, weil es den Geist in seiner freien Heiterkeit in die Ödigkeit vertrockneter Moral bannen wollte, darüber schütteten wir unser Lachen aus, daß es selber nichts mehr zu lachen hatte. Wahrhaftig, wir waren gewaltig respektlos, und die Geschichte, die ich erzählen will, mag manchem ungemütliche Gefühle machen; uns war zu viel Lebendiges heilig, das wir dennoch von keinem Witz verschonten, als daß wir dem Tode unter allen Umständen ein Ausnahmerecht hätten gewähren sollen.
Ich verkehrte viel mit Münchener Bibliophilen, unter denen mein Freund Carl Georg von Maaßen, Besitzer einer der schönsten und bedeutendsten Privatbüchereien Deutschlands, viel Aktivität entfaltete. Meine Armut hat mich niemals dazu kommen lassen, meine Beziehung zur Bibliophilie aus einer sehr heißen unglücklichen Liebe zu einer glücklichen werden zu lassen. Ich mußte mich schon an den Schätzen anderer mitfreuen, und schon früher in Berlin war ich oft Gast in der Buchhandlung von Breslauer und Meyer und bekam Einblick in die eben eingetroffenen Inkunabeln und Rarissima oder Erotika. Der Verkehr mit Friedrich von Schennis führte mich auch sonst mit Bibliophilen zusammen, so mit Franz Blei, Felix Poppenberg und andern. In München traf ich dann Blei wieder an, und die Leute, die sich in der Gesellschaft Maaßens bewegten, ohne an den Schwabinger Künstlertischen zu Hause zu sein, führte das gemeinsame Interesse an den Büchern dort zusammen, das wohl immer verbunden ist mit einer heftigen inneren Abwehr aller Muckerei und Geschmacksbevormundung. Hier berührten sich gesinnungsmäßig meine revolutionären Ansichten mit denen der teilweise sehr reichen Herren, die mit meinen positiven Zielen gewiß wenig zu tun hatten. Der Haß aller künstlerisch vorwärtsdrängenden Kreise in München, besonders der Bibliophilen, richtete sich mit großer Heftigkeit gegen den Herausgeber der klerikalen Allgemeinen Rundschau, einen Dr. Armin Kausen. Dieser Kausen wurde nicht müde, Schriftsteller, Künstler, Sammler, Kunsthändler, kultivierte Menschen jeder Art der Verletzung der guten Sitten zu bezichtigen. Er alarmierte Polizei und Staatsanwaltschaft unausgesetzt, um wahre Razzien gegen Schriften und Bilder zu veranstalten, die das keusche Empfinden eines Mannes beleidigten, der im Kuß der Muse selbst schon eine unzüchtige Berührung vermutet hätte. Ihm ist solcher Kuß bestimmt zeitlebens versagt geblieben. Dafür besaß er aber, wie behauptet wurde, eine Sammlung von Obszönitäten, die er als abschreckende Beispiele um sich schichtete und die wahrscheinlich einer primitiv begehrlichen Herrengesellschaft den Kitzel verursacht hätte, den Armin Kausen von jedem herrlichsten Kunstwerk ohne Feigenblatt ausgehen spürte. Manchen Bibliophilen hat die Verfolgungswut des Mannes, den schon der Bajuware Dr. Sigl als den Inbegriff alles Zelotentums ingrimmig bekämpft hatte, viel Geld, den Besitz wertvoller Werke und maßlosen Ärger gekostet; und gerade hatte er den Schriftsteller Alfred Semerau ins Gefängnis gebracht und den Zeichner Marquis de Bayros gezwungen, um schlimmeren Folgen seiner graziösen Laszivitäten zu entgehen, landflüchtig zu werden. Dr. Kausen war daher unser aller Liebling. Wo unser Witz gallige Niedertracht auszuträufeln trachtete, da ging es ihm nicht gut.
Die »Gesellschaft der Bibliophilen« in München feierte Stiftungsfest. Ich war eingeladen und versprach, nachts zu erscheinen, wenn das mir zu kostspielige Festessen verzehrt wäre. Als ich zwischen zehn und elf Uhr abends auf dem Wege war, begegnete mir der Berliner Zeitungskorrespondent Dr. Joachim Friedenthal, der die letzten Tagesneuigkeiten zum Telegraphenamt trug. Er erzählte mir, daß vor kaum zwei Stunden Dr. Kausen plötzlich am Schlagfluß gestorben sei. Ich glaubte es erst, als mir der schon redigierte Telegrammtext gezeigt wurde. Im Sturmschritt lief ich zu den Bibliophilen und verkündete die Neuigkeit. Es dauerte sehr lange, bis ich alle Feinde des Mannes, die hier, schon einigermaßen angeheizt, vereint waren, davon überzeugen konnte, daß es sich wirklich um keine Mystifikation und um keinen Witz von mir handelte. Es wurde sofort beschlossen, das Stiftungsfest als Kausen-Gedächtnisfeier weiterzubegehen. Einem Mann, der mit seinem Kasperletheater bestellt war, um das vorbereitete Stiftungsfestspiel vorzuführen, wurde der Teufel und seine Großmutter, das Kasperl und der Konstabler aus dem Kasten gezogen, und dann improvisierten wir ein wüstes, in jeder Beziehung zensurwidriges Puppenspiel. Hier entlud sich aus dem Stegreif, befeuert von Alkohol und befriedigtem Haß, ein Katarakt witzigster Frivolität, und der hier und da zwischen allem Bierulk aufwachende Gedanke, daß diese Orgie des entfesselten Hohnes unter den Schatten des Todes tobte, vermochte die Stimmung: Heißa, rief Herr Sauerbrodt – nicht zu lahmen, sondern füllte nur den rüden Blödsinn mit tieferer Bedeutung.
Das Bedürfnis, seinen Witz in beziehungsreichem Bierulk zu entladen, brauchte nicht immer erst durch derartige, etwas gespenstische Anlässe geweckt zu werden. Der Hang zur Parodie saß in vielen von uns drin und wurde bei allen Gelegenheiten angeeifert, wo uns würdige Feierlichkeit an zu geringe Objekte verschwendet schien. Wenn in ferner Zukunft einmal ein literaturhistorisches Seminar die Luxusdrucke der Münchener Bibliophilen, deren ich etliche besitze, in philologische Bearbeitung nehmen wird, so wird sich ergeben, welche Fülle von tückischer Bosheit sich hinter dem kindischsten Ulk verbarg und daß die ehrlichste Bewunderung für die Genialität unserer berühmten Zeit- und Tischgenossen keinen Halbe und keinen Wedekind vor den respektlosesten Anzapfungen bewahren konnte. Nach der Begründung des Münchener Bühnenklubs stellte C. G. – mit diesen Initialen seiner beiden Vornamen wurde Maaßen von seinen Freunden gerufen, mit ihnen stellte er sich selber fremden Herren und Damen vor – fest, daß die Schaffung eines Konkurrenzunternehmens unabweisbare Notwendigkeit geworden sei. Wir beschlossen, eine Vereinigung zu gründen, in der die Übelstände des Bühnenklubs, seine Übervölkerung mit Süddeutschen und mit Schauspielern, vermieden würden, und nachdem die wichtigste statutarische Bestimmung feststand, daß Bühnenkünstler aber grundsätzlich auszuschließen seien, Süddeutsche nur in Ausnahmefällen zugelassen werden sollten, erhielt unser Klub seinen unzweideutigen Namen: »Verein süddeutscher Bühnenkünstler«.
Zu den Mitbegründern gehörten übrigens die echt bayerischen Maler Albert Weisgerber und Max Unold, auch sahen wir mitunter unsern guten August Weigert, den unentwegt von sensationellem Erleben durchprickelten Menschendarsteller, in unserer Mitte; auch Bernhard von Jacobi und noch manches Mitglied eines Münchener Theaters nahmen bisweilen an unsern sehr vergnügten und überaus lauten Kunstübungen teil. Wir beschäftigten uns mit der gründlichen Reform des ganzen Theaterwesens, führten aus heiler Haut Stücke mit zwei oder drei Mitwirkenden auf, die nur zwei Minuten Zeit erhielten, sich über Inhalt und Verlauf des Dramas zu verständigen, dessen Thema ihnen vorgeschrieben wurde, und die in fünf Minuten Spielzeit bis zum glücklichen oder katastrophalen Abschluß ihrer Aufführung gekommen sein mußten. Beispiel: »Entschuldigen Sie, ich habe Ihre Braut verführt.« Oder wir stellten uns die Aufgabe, einen Satz oder ein einziges Wort zu sprechen, und zwar in einer Betonung und mit einem Ausdruck, daß jeder Teilnehmer ein völlig andres Geschehen damit zur Erscheinung brächte. So mußte jeder mit dem Wort »Drillinge« auf der Bildfläche erscheinen, wobei wir mit dem Klange der Verzweiflung, des Hohnes, des überströmenden Jubels, der Resignation oder der beamtenstrengen Sachlichkeit dieses eine Wort zum Inhalt einer Fülle verschiedener Dramen machten. Einmal wurde ein Dramentitel zur Aufgabe gestellt; der beste sollte dadurch preisgekrönt werden, daß drei besonders bestimmte Mitglieder das Drama dazu schreiben sollten. Der Preis fiel auf den Titel »Im Nachthemd durchs Leben«. Das Werk ist in zwei alkoholdurchseelten Nächten geschrieben worden, es liegt in einer schönen bibliophilen Ausgabe auf echtem Van-Gelder-Bütten gedruckt vor, wurde bei einem Faschingsfest mit von ersten Künstlern (Weisgerber, Unold, Krautheimer) geschnitzten Figuren auf dem Kasperltheater des Bunten Vogels, der »Freien Holzbühne«, aufgeführt und brachte so viel ein, daß nicht nur der Druck bezahlt werden konnte, sondern noch eine gewaltige Pfirsichbowle für den »Verein süddeutscher Bühnenkünstler« übrigblieb. Wir tagten oder nächtigten in einem Kellerlokal unter einem Speicherhause, wo der größte Krach keine Nachbarn und keine Polizeistreifen aufmerksam werden ließ, und wahrhaftig, an Spektakel hat es nicht gefehlt. Wir rekonstruierten aus dem Gedächtnis Schillers Tell, wobei wir das Gebirge aus Mobiliar hochtürmten und sowohl den Apfel- wie den Geßlerschuß Tells, damit die Armbrust auch gehört werde, mit dem Schmeißen von Knallerbsen begleiteten. Wir sangen ad hoc gedichtete und vertonte Lieder, manchmal auch landesübliche Sauf- und Raufgesänge, und wenn ein oder das andre Mal Hans Pfitzner unser Gast war, mußte der große Musiker in eigener Person die ganze Nacht am Klavier sitzen und darauf Studentenlieder und Gassenhauer pauken. Es war der lustigste und dabei gescheiteste Kreis Menschen, den man hätte zusammenstellen können und den man, seit der Krieg alle fröhliche Kameradschaft zwischen Menschen unmöglich gemacht hat, die nach Meinung und geistiger Art weit auseinandergehen, auch nicht wieder wird zusammenbringen können. Da waren Gelehrte wie Maaßen, Hanns Floerke, Walter Foitzick, Graf Karl Klinckowström, die Maler Unold, Weisgerber, Hoerschelmann, Körting, die Schriftsteller und Dichter Ziersch, Bötticher (Ringelnatz), Arthur Hörhammer, der im Kriege fiel, und noch viele, die der Krieg wenn nicht erschlagen, so doch verschlagen hat.
In der allerletzten Zeit vor Ausbruch des Krieges gelang es dann noch einmal, in erfindungsreicher Ausgelassenheit mit Geist lustig zu sein. Fast derselbe Kreis, aus dem sich der »Verein süddeutscher Bühnenkünstler« zusammensetzte, fand sich in der »Hermetischen Gesellschaft« zusammen, wo, die Manen des Hermes Trismegistos beschwörend, die feierlichen Riten geheimer Adeptologen nicht ohne tiefere Bedeutung mit viel Witz parodiert wurden. Bierulk – ja. Aber wenn Menschen, denen das Leben ein verdammt ernstes Problem ist, die – jeder in seiner Weise – die Unzulänglichkeiten der irdischen Einrichtungen durch Schönheit, durch Weisheit, durch Kampf, durch Freiheit zu ändern suchen, wenn solche Menschen, im Geiste ungetrübt von Vorurteilen, Schulmeinungen und konventionellen Sitten, der ungezügelten kindischen Lust am Spaß das Hirn frei machen, dann bleibt in der Erinnerung kein Katzenjammer über nutzlos im Ulk vertane Zeit, sondern die Befriedigung, mit lachendem Spiel die Seele elastisch erhalten zu haben. Dies ist alles erst fünfzehn Jahre her, und die Menschen haben nicht bloß die Fähigkeit verloren, das Unbefangene mit Bedeutung zu tun; sie sind nicht einmal mehr imstande, der Vergangenheit den Mut zur Unbefangenheit zu verzeihen. Die Welt ist um vieles ärmer geworden.