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Dürer: Und hiermit, viellieber Freund Pirkheimer, lege ich mein fertig Werk in deine Hände, dir zugeeignet zu freundlich Dienst und Gedenken. Wird ein nützlich Buch sein, verhoffe ich.
Pirkheimer: Aber nit fast leicht zu lesen. Hab hie und da etwelche Schwierigkeit gehabt: »Zu Nutz allen Kunstliebhabenden mit zugehörigen Figuren« stehet darauf und dabei die Vermahnung, es gebe in Deutschland recht viele sonst geschickte Maler, welche doch mancherlei ganz falsch zeichneten, auch ihre Schüler es so machen lehrten, als wenn sie Wohlgefallen an ihrem Irrtum hätten; während doch die alleinige Ursache sey, daß sie die Kunst der Messung nicht gelernt hätten, ohne welche kein rechter Werkmann werden könne.
Dürer: Derohalben ist das Buch eine Unterweisung der Messung mit dem Zirckel und Richtscheydt geworden, in dem Gedanken, der perspektivischen Zeichnung eine mathematische Vorschrift zugrunde zu legen.
Sixtus Paumgartner: Mir zu gelahrt, Herr Dürer. Hab mich darin umgetan, als ich die Blätter in der Druckwerkstatt liegen sah. Freund Pirkheimer, unser gewaltig Ratsherr, mag ja etwelches davon begreifen und verstehen, der liest doch sogar den Plinius und den Vitruvius in der Lateinschrift. Für einen ehrsamen Kleinbürger ist das zu schwer, und für unsere Maler wird es auch zu hoch seyn. Saget, werter Dürer, warum brauchet ihr so viel fremdländische Worte und Ausdrücke, ihr, ein teutscher Künstler?
Pirkheimer: Und ich hinwiederum frage hingegen anders, lieber Albrecht; wessentwegen bekennst du dich nicht mit Entschiedenheit zu den strengen Worten der Wissenschaft? Zur Hälfte läßt du sie stehen, und zur Hälfte versuchst du eine Verdeutschung. Du bildest gleichsam deutsche Ausdrücke, so man nie zuvor vernommen; fremdartig muten sie an, weil sie nicht klingen wie eingewachsen in das Gefüge, sondern wie künstlich hergerichtet. Also frage ich dich, Meister Albrecht, gedenkest du der klassischen Ausdrucksweise Fehde anzusagen?
Dürer: Wenn ich eure zwo Fragen in eins zusammenhalte, so paaren sie sich und erzeugen die Antwort. Dir, Pirkheimer, bin ich nit klassisch genug, euch, Sixtus Paumgartner, nit deutsch genug, woraus zu schließen, daß ich das Richtige möge getroffen haben. Gewißlich ist eine Absicht in meinem Beginnen. Ich forme neue deutsche Worte und denke mir, es könnten noch mehre geformet werden. Statt Quadrat schreibe ich »eyn gefierte Ebne«, statt Cylinder erfinde ich »eyn bogen Ebne«, für sphärisch sage ich »kugelet«, für Punkt »eyn Tupf«, für Parallele »eyn barlini«, für Ellipse »Eierlini«, für Parabel »Brennlini«, für Hyperbel »Gabellini«. Ein jeglicher versteht's, und der Darstellung geschieht kein Schade. Wo ich aber Schaden befürchte in Belang der Deutlichkeit, bewahre ich säuberlich das Schulwort auf Latein oder Griechisch, wie es seit den weisen Alten die Wissenschaft gefestiget hat. Also ziehe ich meine eigene Straße.
Pirkheimer: Auream mediocritatem, wobei nur zu reflektieren, ob nicht am letzten Ende auch das Resultat mediocris ausfallen könnt. Nicht etwan in der Sache und in disciplina. Wenn du ein Buch schreibst, so wird es gewißlich so herrlich, als wenn du ein Gemälde schaffest. Aber in Belang auf die Folgen deines Ausdrucks. Wie die Welt die Bilderstürmer erlebt hat, so künnt sie die Wortstürmer sehen hervorbrechen. Und so wird sie rufen: Meister Dürer hat den Anfang gemacht! Ihm nach, dem berühmten Dürer, durch die Bresche, so er in das Latein geschlagen! So wird sie sprechen, die breite Menge, wo wir Erwählten mit Kunst und Mühsal eben ein klassisch Fundament für alle Bildung nachweisen und befestigen.
Paumgartner: Ich spreche schon heut also. Warum schreibet ihr, Dürer, Ausdrücke wie Perspektive und Proportion, nachdem ihr selber doch aufzeiget, daß sich Punkt und Quadrat auf gut deutsch bereitstellen lassen? Und sogar Parabel als Brennlinie, obzwar ich mir bei Parabel gar nichts vermag vorzustellen, und bei Brennlinie noch weniger.
Dürer: Warum? Weil ich mir nit die Hände will binden, wenn ich der Schrift obliege. Die Sprache ist ein lebendig Geschöpf, nit festgewachsen wie Kohle und Erz im Gebürg, sondern mit Veränderlichkeiten begabt, und sie spähet, wie sie sich rege und bewege. Sie spricht zu mir anders in jeder Stunde; und nit so wie ein Schüler, welchen ich abfrage, sondern wie ein Meister, welcher mich lehret. Und ihre Hauptlehre ist: Zwänge mich nit und schnüre mich nit, ansonsten mit der Starrheit der Sprache auch die Starre der Gedanken beschlossen war. Und so gewiß ein Gedanke den andern gebiert, der sich losreißt von seinem Erzeuger, so verlangt er auch einen Ausdruck, der nit festgeschmiedet an den ersten und aufgenagelt mit Grammatik und Wortregel. So horche ich auf den Sinn des neuen Satzes, der aufsteigt in mir, und lasse ihm seine eignen Worte; er gibt sie mir, nit ich ihm. Warum diesmal so und andermal anders – ich weiß es nit. Wenn ich es künnt erklären, war ich klüger denn mein eigener Gedanke. Darum bin ich ein Künstler und vertraue auf mein Gefühl, welches mich mit richtiger Farbe versorgt beim Malen und mit richtigem Ausdruck beim Schreiben.
Pirkheimer: Gefühl ist ein unzuverlässig Ding. Kann ein hilfreicher Gefährte sein für den Künstler und ein unweiser Ratgeber oder Irrwisch für den Autor in Wissenschaften. Unterscheide derohalben. Wo du in Wissenschaft arbeitest und die Fortsetzung schaffst über Aristoteles und Albertus Magnus, dürft dir kein Gefühl in die Quer kommen. Kommet dir aber, wo du volkstümlich sagen willst, was nur wissenschaftlich zu sagen möglich. Nehmen wir ein Exempel: Statt Ellipse sagest du fein Nürnbergisch: Eierlinie, und hast dabei die Empfindung, ein widerborstig Wort schmiegsam zu machen. Das Gefühl ist richtig, aber die Eierlinie ist falsch; denn einer Henne Geleg hat nur oberflächlich Ähnlichkeit mit einer Ellipse, ist nimmer elliptisch, und ein Regiomontanus müßte sagen: hier hat der Dürer meiner lieben Frau Mathematica einen Backenstreich versetzt. Item ein ander Exempel. In deinem Werk über Malerei sagest du: »Die Vergleichung Eins gegen dem Anderen das ist schön.« Verzeih, Albrecht, in solchen Worten ist Umstand und Ungeschick; denn du willst sagen: »Symmetrie« ist schön, und ich ließ mir eher die Zunge abreißen, als ich mich entschließ, ein so schön und edel Wort wie »Symmetrie« zu opfern.
Dürer: Und wer sagt dir, Pirkheimer, daß ich opfere? daß ich nit vielmehr anmesse und anpasse mein Wort an den Gedanken? genau anpasse, wenn der Gedanke selbst nit künnt bestehn ohne Genauigkeit; und leichtlich, wenn der Gedanke mehr Meinung ist denn Lehrsatz, mehr Wegweiser denn Ziel, mehr Keim denn Frucht. Und weiterhin: es muß klingen, eine Abgestimmtheit muß sein zwischen den Worten; das eine Mal klinget das Fremdwort besser, das andere Mal aber gibt eine Übersetzung oder Umschreibung den besseren Klang; denn das einzeln Wort schwinget ja nit für sich, sondern im mehrstimmigen Chor mit seinen Nachbarn. Also ob ich sage Beschaffenheit oder Complexion, – abgemalt oder conterfeit, – Geschöpf oder Creatur, – Verhältnis oder Proporz, – das messe ich nit bloß mit dem Verstand, sondern mit dem Ohr. Insonderheit wenn ich zu denen Künstlern spreche, so daß ich ihnen einerlei Regel nach zweierlei Form gebe, mit zweierlei Klang. Einmal sage ich so: »Ein guter Maler ist inwendig voller Figur, und ob's möglich wär, daß er ewiglich lebte, so hätt er aus den inneren Ideen, davon Plato schreibt, allweg etwas Neues durch die Werk auszugießen.« Und auf einem andern Blatt sage ich: »Der Künstler Gemüt ist voller Bildnuß, das ihn möglich zu machen war.« Aber wenn ich wortweis begründen soll, warum ich hie von Bildnuß rede, da von Figur, so antworte ich wie der heilige Augustinus, da er den Begriff von der Zeit definieren sollte: »Wenn keiner mich fraget, so weiß ich es, – wenn ich es erklären soll, so weiß ich es nit.« Alldieweil Worte spröde sind und kärglich, um jegliches Gefühl zu dolmetschen.
Paumgartner: Mein Gefühl, Meister Dürer, wär einfacher. Mich verlangte nur nach einer kurzen Verordnung wohlweisen Rates dieser Stadt: Fremdworte sind verboten! Sind ja soviel Vögte in Nürnberg, warum nit ein Sprachvogt, der euch die »Ideen«, davon Plato schreibt, auskehret? Da habt ihr mein Gefühl, Meister Dürer!
Dürer: Glaub nit, Herr Eiferer Sixtus, daß eures Vogtes Befehl hineinreichen künnt in die Gehirnkammer und in die Herzkammer. Und ob ich hinfüro nit mehr eine Zeile in Satz und Druck geben möcht, so war doch Fortpflanzung für meine Gedanken und Ideen. Und immer wieder wird einer kommen nach mir, welcher die Schönheit in der Sprache erfaßt wie die Schönheit in der Kunst. »Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie«; und so gewiß ihr die Natur nit verbieten künnt, so auch nit die Schönheit, die in ihr steckt, und die Sprachschönheit, darein sie sich spiegelt. Aber aufspüren kann sie nur der Künstler, welcher innen voll ist von Bildnuß und Sprachfigur, ohn Anfang, ohn End und ohn Begrenzung. Der reißt sie heraus aus der Natur, und der wird sie haben!