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Das sind Einzelheiten aus dem Sprachleben, die ihre Bedeutung erst in der Vervielfältigung erhalten. Dann fügen sie sich zu Figuren, die erfreulich genannt zu werden verdienen, nämlich für die, denen eine Vermehrung der Einsicht Vergnügen bereitet. Zu solcher Vervielfältigung, die aus losen Objekten reizvolle kaleidoskopische Figuren formt, gehören spiegelnde Flächen, und eben darauf will unser Vergleich hinaus. Jede der größeren Erörterungen in diesem Buche kann als Spiegel dienen, und jede der folgenden Einzelheiten erwartet aus ihnen ihre Reflexe. In der geistigen Netzhaut des Lesers mögen sie sich dann zu einem Linien- und Farbenspiel vereinigen, wofür die Steinchen an sich in ihrer ursprünglichen Anlage nur die erste Andeutung mitbringen.
Fatal, daß ich für meinen Vergleich schon wieder ein Fremdwort brauche, und noch dazu eines, das sich aus drei griechischen Bestandteilen zusammensetzt. »Kaleidoskop« läßt sich doch ganz gut übersetzen, es heißt auf Deutsch ziemlich genau: »Schönbildschauer«. Nach Duden kann man auch sagen: »Sehspielzeug«. Wie so oft trifft auch hier Sarrazin in seinem vorzüglichen Wörterbuch das Richtige, indem er Kaleidoskop gar nicht übersetzt, nicht einmal erwähnt. Er scheint damit andeuten zu wollen, daß der Verdeutscher die Finger lassen soll von Dingen, die jedem Kinde in der Urform geläufig sind. Das gewährt mir für das Gleichnis dieses Kapitels wenigstens einige Deckung. Ich hätte ja freilich für die nachfolgenden bunten Splitter die Entwicklung zu »sehspielzeuglichen« Figuren erhoffen können, oder zu »schönbildschauerlichen«, und wäre dann der Rüge entgangen, der ich nunmehr wegen verstockter Fremdwörterei verfallen muß. Aber mir kommt es doch zunächst darauf an, verstanden zu werden, gleichviel ob eine von mir gebrauchte Wendung jeder Prüfung standhält oder nicht. Spreche ich von einem Kaleidoskop, so weiß jeder, was ich meine, rede ich aber von einem Schönbildschauer oder Sehspielzeug, so wird unter zehn Lesern kaum einer erraten, was mir als Vergleichswerkzeug vorschwebt.
Und nun zu den Objekten –, ich wollte sagen zu den Einzelgegenständen, für deren unmittelbare Zusammengehörigkeit ich ja nach der zuvor geäußerten Erwartung nicht zu sorgen habe.
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Da im Goethe wie in der Bibel alles steht, so konnte es nicht fehlen, daß im Fremdwortkampf beide Parteien eifrig ihren Goethe befragten, um ihn als höchste Autorität gegen einander auszuspielen. Noch wichtiger als seine eigenen Aussprüche zum Kampfthema an sich – er hat genug Erbauliches darüber geredet – erschienen seine Dichtwerke als unmittelbare Beweise für und gegen. Und da brauchte einer nur zum Beispiel den »Faust« aufzuschlagen, wo er wollte, er fand, was er suchte, in Überfülle, ein ganzes Museum der Fremdworte, eingelagert in die Unendlichkeit des Dichtwerkes, das ja im In- wie im Auslande als das gewaltigste, vielen sogar als das deutscheste aller Werke gilt.
Schon das Vorspiel begibt sich nicht auf der Schaubühne, sondern auf dem Theater, der erste Mann ist kein Bühnenleiter, sondern ein Direktor, der von gedrechselten Komplimenten, von einem Ragout redet, nicht Prospekte und Maschinen schonen will. Das heut so verpönte »Element« ist dem Dichter ein Deutschwort, jedenfalls ein freigestelltes Weltwort, die Lustige Person lädt zum Griff ins volle Menschenleben mit dem Schlagwort »interessant«, während der Dichter von der unharmonischen Menge, von Rhythmen, Akkorden, Maximen zu reden weiß. Daß Faust selbst und Mephisto wie Berliner Leitartikler bis an die Grenze der Möglichkeit »welschen«, braucht noch gar nicht übermäßig betont zu werden; sie, wie der Schüler und der Famulus gehören ja in eine lateinische Welt und müssen sich in der Sprache ihrer Zeit ausdrücken. Aber hatte es Goethe nötig, er, der Faustgoethe, wenn er für das deutsche Stück Figuren schuf, gar so römisch-griechisch-klassisch – so pennälerhaft, wie die heutigen Völkischen spotten – zu Werke zu gehen? Ist das überhaupt noch ein deutsches Stück, in dem als Personen nicht nur Autor, Orthodox, Minister, Parvenü, sondern Musaget, Xenien, Proktophantasmist, Supranaturatist, Homunkulus, Psyllen, Marsen, Magna peccatrix, Una poenitentium und der Ci-devant Genius der Zeit auftreten?
Da haben sich nun die neueren Sprachvögte einen famosen Griff zurechtgelegt, um ein für allemal jeden, der sich für's Fremdwort auf Goethe berufen will, unterzukriegen. Sie stützen sich nämlich mit der einen Hand auf Goethes offensichtlich sprachreine Lyrik und schlagen mit der andern Hand eine Volte. Der Sinn dieser Volte aber ergibt sich aus folgendem Gegenruf:
Frechlinge ihr, die ihr uns immer wieder den Goethe unter die Nase reibt, – dichtet ihr erst einmal ein Werk wie der Faust, dann sollt ihr auch fremdwörteln dürfen wie Goethe!
Daß man das zu hören bekommt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche, und es klingt ja auch so zwingend, so niederschmetternd, daß dem Angeschnarchten gar nichts übrig bleibt, als in die Knie zu sinken. Natürlich kann ich kein Weltwerk schreiben wie der Faust, und damit habe ich auch das Recht verwirkt, mich der Weltworte zu bedienen, die den Fausttext bevölkern.
Anders ausgedrückt: Quod licet Jovi, non licet bovi, was dem Jupiter von Weimar erlaubt war, paßt sich noch lange nicht für ein am Fuß des Olymps weidendes Rindvieh; erst muß einer den Befähigungsnachweis für die Höhe des Olympiers erbringen, ehe er sich herausnehmen darf, gleich einem Goethe Ausdrücke anzuwenden, wie: interessant, reüssieren, Phantasie, Meteor, Mikrokosmos, spekulieren, präparieren, Paragraph, System, Qualität und Dutzende von der Sorte.
Wenn aber durchaus der Abstand vom Jupiter zum bos maßgebend und als Erkenntnisgrund durchschlagend sein soll, dann dürften wir doch den Spieß umkehren und sprechen: Wir boves können freilich keinen Faust schreiben, aber könnt ihr boves denn Goethesche Lyrik dichten? und wenn wir boves uns für unsere Sprachansicht nicht auf den Faust berufen dürfen, wie kommt ihr boves dazu, euch für eure Sprachansicht auf Goethes Lieder zu stützen? Hier liegt doch wohl Grund und Gegengrund hüben und drüben mathematisch genau verteilt!
Es fällt uns also gar nicht ein, in die Knie zu sinken; im Gegenteil: wenn diese Kampfmethode überhaupt einen Schimmer von Berechtigung hätte, dann könnten und müßten wir ergänzen: Sagt doch, ihr Sprachvögte, könnt ihr Prosa schreiben wie Schiller, wie Kant, wie Schopenhauer, wie Heine, wie Mommsen, wie Ranke, wie Lotze, wie Mauthner? Und wenn ihr das nicht könnt, woher nehmt ihr die Befugnis, Gegenwärtige und Künftige zu maßregeln, von denen etliche jenen Mustern näherkommen dürften als ihr?
Aber nach eurem unerbittlichen Regelmaß sind das ja gar keine Muster, vielmehr Fremdwörtler, von deren verwelschendem Einfluß wir uns ringend erlösen müssen. Danach wird sich die Literatur auf ihren weiteren Wegen einzurichten haben. Viel Glück auf die Reise!
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Wenn schon durchaus übersetzt werden soll, dann auch möglichst allgemein und durchgreifend. Was Eigenname war, kann mit leichter Biegung Art- und Gattungsname werden, Zeit- oder Eigenschaftswort, und wenn es dann fremdländisch wirkt –, wozu erst warten, bis dieser Zustand erreicht ist? Fangen wir lieber beim Eigennamen an, beim nomen proprium, in der Hoffnung, daß sich einige Exemplare unserem Begehren willfährig erweisen werden.
Durchweg geht das freilich nicht. Der Begriff »Robinsonade« ließe sich vielleicht noch ganz deutsch umschreiben, aber der Robinson selbst wird den englischen Anklang nicht los; für Galvanismus und faradisieren ließen sich vielleicht Näherungsworte finden, aber Galvani und Faraday machen Schwierigkeiten. Minder störrisch würde sich der gelehrte Pasteur benehmen: man könnte ihn ganz wörtlich als »Schafhirt« ins Deutsche hinüberpflanzen und besäße dann ein Mittel, um das störende Fremdwort »pasteurisieren« zu beseitigen. Wer da verdeutschen wollte: »krankhafte Gärungsstoffe durch Erhitzung abtöten«, der machte sich durch schulmeisterliche Langatmigkeit lächerlich. Sagen wir einfach für pasteurisieren: »schafhirteln«, dann ist die Aufgabe gelöst, und wir können in der Schule der Allesübersetzer eine gute Klassenzensur bekommen.
Die Humoristik hat sich dieser Angelegenheit längst bemächtigt, aber auch im hohen Schrifttum finden wir Anläufe nach derselben Richtung. Sprach doch Goethe von »Julius dem Römer«, wenn er den Maler Giulio Romano meinte. Wir möchten indes hinzufügen, daß in dem gewaltsam übersetzenden Humor ein recht ernster Kern steckt, nämlich wirkliche Sprachkritik.
Ursprünglich mögen derlei drollig klingende Namensverdeutschungen aus einem reinen Ulkbedürfnis hervorgegangen sein. Man nannte Johanna d'Arc: das Bogenhannchen; Signorelli: Herrchen; Leoncavallo: Löwenpferd; Don Juan: Herr Hänschen; Racine: Wurzel; den Philosophen Bacon: Speck; Gambetta: Beinchen; Shakespeare: Schüttelspeer oder noch moderner: Schütte-Lanz; und bei Torquato Tasso genügte ein Blick ins lateinische und italienische Lexikon, um die ziemlich wörtliche Ungeheuerlichkeit: »Verdrehter Dackel« zustande zu bringen.
Es ist ein Gebiet der unbegrenzten Möglichkeiten. Wer den Fabeldichter Jean de Lafontaine Johannes Born oder Hans Springbrunn nennt, kann sich noch immer auf Goethes »Julius der Römer« stützen. Ohne sträfliche Willkür dürfte einer den Cartesius Herrn von Karten benamsen, denn der Philosoph unterschrieb sich Des-Cartes. Baruch Spinoza zeichnete als Benedictus d'Espinosa, und von da bis zu Gesegneter Stachlicht ist für einen wagemutigen Umdeutscher nur ein kurzer Sprung. Napoleone wird zu einem Waldgebirgslöwen, das Florentiner Geschlecht der Medici zu einer Familie von Ärzten, und Marcus Tullius' »Cicero« zu einem »Kicherling.«
Ist's wirklich der reine Ulk? oder steckt hinter dem Scherz und der Ironie eine tiefere Bedeutung? am Ende gar die sprachkritische Empfindung für den inneren Zusammenhang von Eigennamen und Gattungsnamen?
Darauf nämlich kommt es an. Man könnte ja leichtherzig behaupten, der Eigenname sei seinem Träger angewachsen wie die Haut am Leibe, und es wäre unerlaubte Vivisektion, sträfliche Schinderei, einer Person den Namen aus irgend einem Grunde abzuziehen. Kein Zweck heilige hier das Mittel. Zugestanden. Aber dann soll man sich auch darüber klar werden, daß es sehr viel Dinge, Gegenstände, Begriffe, Unpersönlichkeiten gibt, denen der Name genau so fest, genau so persönlich angewachsen ist. So betrachtet, wird jede komische Namensverdeutschung zu einer spottenden Kritik der Allesumdeutscher überhaupt.
Tatsächlich führt ein unmerklicher, stetiger Übergang vom strengpersönlichen nomen proprium zum Artnamen, Begriffsnamen, zum Eigenschaftswort in Substantivform. Wenn wir sagen: ein Aeskulap, ein Herkules, ein Demosthenes, ein Adonis, ein Thersites, so ist der Übergang schon vollzogen. Der Mäzen ist nicht mehr der bestimmte Maecenas, der den Horaz begönnerte, sondern jeder beliebige werktätige Kunstfreund, der Mentor nicht mehr der auf Ithaka wohnende Freund des Odysseus, sondern jeder beliebige Erzieher und Berater. Auch die umgekehrte Stetigkeit ist in zahllosen Formen nachweisbar. Augustus, der Ehrwürdige, Erhabene wird der Beiname, der Vollname des römischen Kaisers, und setzt sich über ihn, über den Vornamen August, in einer burlesken Umbildung bis zum komischen Aujust fort, der wiederum Adjektivfärbung annimmt, wenn auch eine der ursprünglichen schnurstracks entgegengesetzte. Apostata, der Abtrünnige, gesellt sich begrifflich zu Claudius Julianus und verschmilzt mit diesen Personalworten zur Namenseinheit.
Man braucht aber gar nicht das mythologische und geschichtliche Altertum zu bemühen, das uns in Namen und Beziehungen wie Cäsar, Venus, Juno, Phryne, Vulkan (ein Gott und eine Schiffswerft), Augias, Phaeton, Pyrrhus, Ganymed, Hebe, Herostrat, Tantalus, Sisyphus usw. eine nie auszuschöpfende Menge von Begriffs-Dehnungen und Dehnbarkeiten liefert. Denn auch die Neuzeit ist voll davon, und keiner von uns kann an den Namen vorbei, die im Anwendungs-Wandel über ihre persönliche Ursprungsbedeutung hinausgewachsen sind.
Um nur einige zu nennen: Havelock, Sir Henry, ein britischer General, verwandelt sich in einen Herrenmantel und findet dabei Gesellschaft im Ulster, der je nachdem eine Provinz in Irland und einen Überzieher bedeutet. Kremser, gut Berliner Eigenname, geht auf das Fuhrwerk über, das ein Herr Major Kremser zuerst in Verkehr stellte. Der Landauer bedeutet zwar kein Gefährt aus Landau, hängt aber geschichtlich mit dem Namen dieser Stadt zusammen. Der Machthaber John Lynch in Nordkarolina wird Wahrzeichen für die Volksjustiz gleichen Namens. Die Guillotine ist nicht die Frau des französischen Arztes Guillotin, sondern das nach ihm benannte Köpfwerkzeug. Bei Chester hat man die Wahl, ob man an den Bischofssitz nahe bei Liverpool oder an den von dort stammenden Käse denken will. Pompadour läßt die Wahl zwischen der üppigen Marquise und einem Strickbeutel, Boycott zwischen einem gewissen Gutsverwalter in der Grafschaft Mayo und einem sozialpolitischen Kampfmittel von sehr verwickelter Eigenart. Wenn ich englische Kammerdebatten verfolge, kann ich auf einen Lord Derby stoßen, der über alle erdenklichen Dinge redet, nur nicht über das, was uns vorschwebt, wenn ich nach Hamburg zum Derby fahre. Usw. ohne Aufhören.
Es würde nicht stimmen, wenn man in dieser Betrachtung alle Namen als gleichwertig ansetzen wollte. Tatsächlich zeigen sich bei den auf Eigennamen zurückgehenden Bezeichnungen sehr verschiedene Grade der Anhänglichkeit an Gegenstand und Begriff. Das Derby zum Beispiel, gleich Derby-Pferderennen, bewahrt den Eigennamen so stark, daß kein Mensch auf den Gedanken der Verdeutschung verfällt. Es ist da ein gewisser Grad der Vermenschung eingetreten, und das Rennen führt seinen Namen wie eine Person. Beim Richter Lynch steht die Sache schon anders, und der Purist ist sofort mit der »Volksrache« oder etwas ähnlichem zur Hand. Aber es stimmt nicht ganz, es bleibt ein unübersetzter Rest, die Erinnerung an die Besonderheit der Lynchjustiz in Amerika, und in diesem Rest steckt Lynch nicht nur als ein Ausdruck, sondern als ein Eigenname. Wiederum anders liegt die Sache beim Pompadour. Beutel oder Strickbeutel reicht nicht aus, man müßte zum mindesten sagen: »der Tragbeutel der eleganten Dame«. Er brauchte nicht Pompadour zu heißen, könnte auch irgendwie anders genannt werden, wenn nur dies andere eine Beziehung zum Eleganten aufwiese. Ein weiblicher Eigenname von Weltklang löst diese Aufgabe in der einfachsten Weise. Mit Hebe kann ich schmeichlerisch oder ironisch eine Kellnerin, mit Ganymed einen Mundschenk, Kellner meinen. Nie kann ein Fall eintreten, der mich zwingt, diese Bezeichnungen zu gebrauchen; wohl aber behalte ich hierfür das Recht in Rede und Schrift; und wenn ich es ausübe, so macht der olympische Eigenname den gleichbedeutenden Artnamen unübersetzbar.
Nur noch einen Schritt weiter, und wir sind am Ziel. Das Thema spitzt sich auf die Frage zu, ob nicht am Ende sehr viele ganz allgemeine Bezeichnungen als Eigennamen zu betrachten sind und auch wirklich von uns so empfunden werden.
Nehmen wir z. B. den »Kaffee«, so empfinden wir zwischen ihm und anderen Artnamen, wie etwa Pferd, Fuchs, Apfel, einen Unterschied in dem Sinne, daß uns »Kaffee« unverrückbarer betont erscheint. Es ist uns nicht im mindesten auffällig, daß Pferd, Fuchs, Apfel in verschiedenen Ländern verschieden heißen, aber wir würden sehr erstaunt sein, wenn wir erführen, daß der Kaffee irgendwo wesentlich anders hieße als Kaffee. Wir fühlen, daß das Ausdruckskleid auf dem Gegenstand unabtrennbar sitzt, wie die Haut auf dem Leib, also ungefähr so, wie der Eigenname auf der Person, die ihn trägt. Im allgemeinen, ohne durchgreifende Regel, kann man sagen: je unterschiedsloser die Einzelkörper bei großer Masse auftreten, je gleichmäßiger sie auf den Menschen wirken, desto enger haftet der Name auf ihrem Wesen. Das törichte Bauernwort »auf deutsch heißt es nicht nur Brot, es ist auch Brot« wird ganz richtig in der Übertragung: es heißt nicht nur Kaffee, es ist Kaffee, denn das Sein und Heißen deckt sich für ihn fast restlos in der ganzen Welt. Und der Begriff des Wort-Übersetzens kann als unnütz und unmöglich gar nicht aufkommen.
Wie nun, wenn wir eine ähnliche Empfindung durchmachten bei Worten, die sich allenfalls übersetzen lassen, bei denen wir aber doch spüren, daß sie vom Übersetzer gewaltsam operiert werden? Der Telegraph als Gebrauchsgegenstand wird philologisch richtig ein »Fernschreiber«, aber der Telegraph als Gegenstand der Erfindung trägt seine Bezeichnung als Eigennamen. Gauß und Weber haben keinen Fernschreiber erfunden, sondern den in aller Welt gültigen Telegraphen.
Elektrizität heißt Bernsteinkraft, sofern der geriebene Bernstein als Grund der Erscheinung auftritt. Wo der Bernstein fortfällt, also nahezu überall, heißt und ist diese Kraft Elektrizität, das Wort ist zum unübertragbaren Eigennamen geworden.
Zu vielen hunderten ließen sie sich aufzählen, die Worte, die wie Logik, Philosophie, induktiv, Subjekt, Hypothese, auf rein begrifflichem Gebiet, wie Akustik, Resonanz, Motiv, Symphonie auf musikalischem etc., zu vollständigen Eigennamen geworden sind für das, was sie bezeichnen. Und hierauf beruht im letzten Grunde das Mißbehagen, das den Feinfühligen befällt, wenn man ihm Übersetzungen aufreden will; mögen diese auch sachlich und wörtlich genau und zweckdienlich sein. Es ist das nämliche Mißbehagen, das sich einstellt, wenn vor unseren Augen einem Lebewesen die Haut abgezogen wird.
Das Angewachsene, ob Haut oder Namen, abzuschinden, ist und bleibt eine Barbarei; bleibt es noch, selbst wenn es sich gar nicht um Naturkräfte, Erfindungen und erhabene Begriffe, sondern um ganz gewöhnliche Dinge des Tagesbedarfs handelt. Wenige Beispiele statt vieler: »Das Portemonnaie«. Man kann natürlich auch Geldtasche, Geldbeutel sagen. Aber warum bleibt alle Welt beim Portemonnaie? Nicht aus Laune, nicht aus sprachlicher Dickfelligkeit, sondern aus der Empfindung der Unabtrennbarkeit dieses Wortes, das dem Gegenstand als Rufname angewachsen ist. Wie auch »das Billardqueue« als Namen an dem schlanken Werkzeug haftet, mit dem man »Karambolage« spielt. Man übersetze: der »Spielstab«, der »Zusammenprall«. Aber der Billardspieler würde sich eher umbringen, ehe er sich hierzu verstände. Ihm würde der Unsinn genau so ungeheuerlich vorkommen, wie uns der spielerische Versuch grotesk und lächerlich erscheint, den Dichter Racine »Wurzel« und »Torquato Tasso« einen »verdrehten Dackl« zu nennen.
Nicht immer waren das Spielereien in drolliger Absicht. Ich brauche nur an die Latinisierung und Graecisierung zu erinnern, die hervorragende Männer an sich selbst ausführten zum Zwecke innigeren Anschlusses an die Gelehrtenwelt. Mancher Herr Müller trat als Mylius, mancher Schneider als Sartorius auf, aus Schultze wurde Scultetus, Reuchlin nannte sich Kapnion, der Reformator Heußgen (Hausschein): Ökolampadius, und Melanchthon ist ja bekanntlich die genaue Übersetzung von Schwarze Erde, Schwarzert, wie Luthers Freund ursprünglich hieß. Es soll sich auch der umgekehrte Vorgang mit fehlerhafter Rückübersetzung ereignet haben, so daß aus einem Bürger Klein, der sich zu Parvus umtaufte, in weiterer Geschlechtsfolge eine Familie Barfuß entstammte. So sind vielfache Möglichkeiten gegeben, in Ernst und Scherz, absichtlicher oder zufälliger Verdrehung, aber aus allen zusammen ergibt sich für unseren Zweck das eine: daß zwischen der Übersetzung des Eigennamens und dem des sonstigen Ausdrucks nur ein Unterschied des Grades besteht. Wer mir im Ernst erklärte: Alles ist verdeutschbar, der nähert sich in meinen Augen schon merklich dem Gebiet, auf dem die sprachlichen Scherzblüten gedeihen. Und ich traue es ihm zu, daß er auf einer zukünftigen Riviera-Reise – er sagt Ufer-Reise – nicht wie andere Menschen von Ventimiglia über Menton nach Cannes, sondern von »Zwanzigmeil« über »Kinn« nach »Spazierstöcke« fahren wird, vorausgesetzt natürlich, daß ihm auf seiner Tour von irgendwelchem Herrn Poincaré – Vierschrotfaust – oder von Painlevé – Hebebrot – keine Hindernisse bereitet werden.
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Was ist »völkisch«?
Dem Sinne nach soll es wohl mit national übereinstimmen, in einer verbesserten, streng heimatlich betonten Ausgabe des Wortes. Die Übereinstimmung könnte aber nur dann gewährleistet werden, wenn Volk und Nation Begriffe von gleichem Umfang und gleichem Inhalt wären. Daß dies nicht zutrifft, wird mehrfach in diesem Buche erörtert. Hier möchte ich nur darauf hinweisen, daß Luther, den wir in diesen Dingen als vorbildlich anzuerkennen haben, den Unterschied deutlich wahrnimmt. Er spricht vom Volk und zum Volk als zu einer Gemeinde; wo er aber die Besonderheit dieses Volkes hervorheben will, wird es bei ihm zur Nation. Wo er von dem Urteil der Fremdvölker über unsre Volksgenossen spricht, werden ihm die Deutschen zur Nation; und er wendet sich an den christlichen Adel deutscher Nation, nicht des deutschen Volkes.
Definiere man aber, wie man wolle, eins ist sicher: das Wort Nation hat das Adjektiv national unmittelbar und willig hergegeben, während sich »Volk« für diesen Zweck spröder verhielt. Die älteren Wörterbücher verzeichnen: volklich, volkhaft, völkerschaftlich, volksmäßig, und es läßt sich nicht leugnen, daß diese Ausdrücke dem national nur recht mangelhaft entsprechen; abgesehen von dem papierenen Beigeschmack, der einigen von ihnen anhaftet.
Das Wort »völkisch« ist noch nicht hoch bei Jahren. Es kam auf im Zusammenhange mit gewissen Bewegungen von alldeutscher, nationalistischer Eigenart, und die Begier, mit der es aufgenommen wurde, zeigt jedenfalls, daß es einem starken Bedürfnis der betreffenden Kreise entgegenkam. Kein Zweifel, daß es sich dort vollkommen durchgesetzt hat und ein unentbehrliches Sprachwerkzeug geworden ist.
Rein sprachbildnerisch genommen gehörte es nicht zu den glücklichsten Formungen der Neuzeit. Als es eben geboren war, klang es manchem so ähnlich, als hätte man versucht, das Wort Wolke für den adjektivischen Dienst einzurichten. Man könnte ja auch z. B. den Regen und das Gewitter als »wölkische« Erscheinungen bezeichnen. Der Unterschied liegt im Erfolg; »wölkisch« hätte keine Aussicht auf Annahme, völkisch hat sich behauptet und besitzt Geltung.
Da dieses Buch sich lediglich mit der Sprache und durchaus nicht mit der Politik beschäftigt, so ginge uns die politische Bedeutung des Wortes eigentlich gar nichts an. Wenn es nur möglich wäre, die beiden Bedeutungen so zu trennen, daß wir für unseren Zweck das rein-sprachliche reinlich abzusondern vermöchten. Das ist aber, wie leicht zu sehen, undenkbar. Denn das Wort hat in jedem Betracht, auch im Sinne der durchaus nur Sprachbeflissenen, eine politische und zwar eine ganz ausgesprochene antisemitische Färbung gewonnen.
Die Stellung für oder gegen ist hier ganz gleichgültig. Nur darf man dem Worte gegenüber keine Vogelstraußmethode betreiben. Man soll sich dessen bewußt sein, daß das Wort »völkisch«, auch im reinen Sprachkampf angewendet, antisemitisch gemeint ist und antisemitisch verstanden wird.
Er hat diese Meinung und Wirkung nicht aus dem Hauptwort entnommen, verhält sich also zu Volk durchaus nicht so wie national zu Nation; vielmehr bezog es seine Besonderheit aus der Feder und dem Munde derjenigen, die es erfanden und in Umlauf setzten. Und wenn diese dem Wort völkisch den Vorzug geben, so geschieht es nicht deshalb, weil national ein Fremdwort ist, sondern weil völkisch schon im Augenblick seiner Entstehung in jener besonderen Beleuchtung erschien. Völkisch umfaßt also nicht das ganze Volk; es schließt eine Minderheit aus und will in dieser Absicht nicht mißverstanden werden.
Es wird auch in der Regel nicht mißverstanden. In neun von zehn Fällen läßt schon der Zusammenhang in Rede und Aufsatz gar keine Nebenbedeutung zu, das Wort gibt sich treuherzig als das zu erkennen, was es nach dem Willen seiner Anhänger sein soll. Um so erstaunlicher berührt die Wahrnehmung, daß sich gerade unter den besten unserer neuesten Sprachreformer einige befinden, die es fleißig und nachdrücklich anwenden, obschon sie kein Wort so sorgsam zu vermeiden hätten als gerade dieses. Das Unbegreifliche, hier wird es Ereignis. Schriftsteller von Rang und Bedeutung, die etwas zu verteidigen haben, leihen sich die Jagdhörner der Gegner, um darauf zu blasen, malen ihre Fahnen mit den gegnerischen Farben und glauben ihrer Sache zu dienen, während sie mit dem Schlagwort völkisch im wesentlichen die Geschäfte der Widersacher vertreten.
So lange in der Welt Symbole und Programmworte gelten, muß man seine eigenen haben und sich nicht so stellen, als könne man auch mit den gegenteiligen etwas ersprießliches ausrichten. Wer Welf ist, soll nicht Hie Waiblingen rufen, und ein Freigeist soll seine Freigeisterei nicht bei allen Heiligen beschwören. Wer im Widerspruch zu seiner Wesensart sich das Wort völkisch geläufig macht, bloß weil ein Kampfruf darin steckt, der gleicht einem Manne, der auszieht, um den Aberglauben zu bekämpfen und bei jeder Gelegenheit »unberufen« sagt. –
Ich hege den Verdacht, daß diejenigen, die es angeht, sich des Widerspruchs gar nicht recht bewußt sind, der contradictio in adjecto, die hier wörtlich zu einer contradictio in adjectivo wird. Sie glauben, wenn sie mit völkisch hantieren, wie es ihnen gerade paßt, so werden die andern es genau so verstehen, und beileibe nicht so, wie der völkische Leitartikler und Abgeordnete es auffaßt. In meinem Verdacht steckt zugleich die Annahme, daß die sprachliche Feinfühligkeit jener Herren nur innerhalb enggezogener Grenzen rege wird. Denn wenn sie sprachlich nicht einmal abzutasten vermögen, was in ihren eigensten Interessenkreis fällt, wie sollen sie es dann können in Bereichen, wo sich das Persönliche ganz verflüchtigt? Und meine Annahme wird mir zur Gewißheit, wenn ich beobachte, wie sie es anstellen, um sich in den entlegenen Bereichen zurechtzufinden; nämlich immer mit demselben Werkzeug für Weg und Richtung; wie der Wanderer, der in den Gebirgstälern des Helikon umherstreift und sich zur Orientirung eine Wegkarte vom Teutoburger Wald mitgenommen hat.
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Neue Gestaltungen. Wenn ein Deutscher wie der Held in Bellamys Rückblick vor Jahrzehnten in Starrschlaf verfallen wäre und heute plötzlich erwachte, so würde er sich in unserer Sprachwelt nicht ohne weiteres zurechtfinden. Rede und Buch würden ihm noch zur Not verständlich erscheinen, wiewohl er auch in ihnen recht viel zu erraten, zu ergänzen hätte. Ob er aber die Schwierigkeit in den Zeitungen über und namentlich unter dem Strich mit Verständnis überwinden könnte?
Wir sind da, wie ich glaube, auf eine einseitige Perspektive eingestellt. Weil uns die Sprache vom Jahre 1800 der heutigen so ähnlich vorkommt, daß wir sie lesen wie die unsrige, machen wir leicht den Schluß, das müßte sich wohl bei angenommener Umkehrung ebenso verhalten. Der Schluß wäre aber sehr gewagt, vielleicht ganz verfehlt. Denn die Technik der Sprache hat sich verändert, wie die Technik überhaupt. In uns allen lebt noch die Technik von ehedem, die der Spinnstube, der Postkutsche, des auf Zeitüberfluß eingerichteten Verkehrs, und wir empfinden sie als unmittelbar begreiflich. Aber der in unsere Zeit hineingestellte Mensch von 1800 muß erst zu lernen anfangen, um über die Rätselhaftigkeit eines Bahnhofs, einer Telephonzentrale, eines Dynamowerkes hinwegzukommen, und vielleicht wird er den Bahnhof schneller begreifen als den Inhalt einer heutigen Zeitung.
Oben im Leitartikel liest er von Männern, welche »die Klinke der Gesetzgebung« ergreifen, um eine neue »Wahlkreis-Geometrie« in Verbindung mit dem »Proporz« zu schaffen. Sie bereiten eine »Plattform«, um den »Schleichhandel mit Wahlstimmen« zu unterbinden und um zu verhüten, daß »reaktionärer Speck hintenherum in die Kammer geschleppt wird«. Was geht da vor? Was hat Klinke, Plattform und Speck mit Geometrie zu schaffen? Aber der Leser von Anno dazumal nimmt sich zusammen, er liest sich hinein und entdeckt schließlich einige Zusammenhänge. Bis zur genauen Erfassung des »Proporz« wird er zwar nicht vordringen, aber er ahnt doch, daß da von einer gewissen Neuordnung einer gewissen gesetzgebenden Körperschaft die Rede ist.
Eine Frage wird »angeschnitten«; zu seiner Zeit wurden Würste angeschnitten, Fragen aber erörtert. Ein Gesetz wird »verabschiedet«, das heißt also, denkt er, weil es nichts taugte, bekam es als untauglich den Abschied. Weit gefehlt: es wurde angenommen, fiel nicht »unter den Tisch«, erhielt Gültigkeit. Verabschiedet bedeutet mithin: nicht verabschiedet. Ihm vorauf ging ein »Mantelgesetz«, und die Gültigkeit ergab sich durch einen »Hammelsprung«. Schwieriger Fall; um 1800 hatten die Gesetze keine Mäntel und standen in keiner Beziehung zu springenden Hammeln.
Der Leitartikel spricht von Abgeordneten, welche »umfallen« und von anderen als den Nachfolgern der »Kanalrebellen«, welche »die Treppe hinauffielen«. Wie macht man das, und in welchem Kanal stehen für Rebellen solche der Schwerkraft entgegenwirkende Treppen? nicht zu ergründen.
Der Leser blättert die Zeitung um und findet auf der Folgeseite wieder eine Unmenge von Ausdrücken, die in seinem alten Vokabular entweder gänzlich fehlten oder darin eine für die Neulesung unverwendbare Bedeutung hatten. Was Krieg ist, glaubt er zu wissen, die Ausdrücke »U-Boot-Krieg«, »Gasangriff«, »Trichtergelände« und Dutzende dazu blicken ihn als Fremdlinge an. Auf »Seegeltung« vermag er sich allenfalls einen Vers zu machen, die »Gulaschkanone« bleibt ein ungelöstes Rätsel. Er stößt auf »Hapag«, »Wumba« und »Flak«. Hundert Jahre angestrengten Nachdenkens würden ihn nicht auf die Spur bringen. Er fängt an sich zu erkundigen. »Flak«, so sagt man ihm, ist eine Abkürzung nach Anfangsbuchstaben und bedeutet: »Flugzeug-Abwehr-Kanone«. Da hat er die wörtliche Erklärung; aber bei Flugzeug denkt er an die alten friedlichen Maschinen von Montgolfier und Charles, und die Feindschaft zwischen Ballon und Kanone müßte ihm besonders erläutert werden.
Mit halbem, viertel oder gar keinem Verständnis liest er: funken, Funker, Blindgänger, Autotempo, Autobus, Kintopp, Aufmachung, Überbrettl, Tintenkuli, Einpeitscher, Pendelverkehr, schlechte Kinderstube (vom erwachsenen Menschen), Kaffee Größenwahn, Kohlenhamster, Zwangsläufig, Kriegsgewinnler, Ufa, Malzschieberei, Kochkiste, Einwecken, Abbauen (Abbau von Zensur oder von Warenpreisen), Sinnfeiner, Streikposten, markenfrei, sich anstellen, Zigarrenpolonäse, Kurzschluß, Steuerflucht, Trust, Drahtung, Papierkontingent, Mehlstreckung, Überfremdung, Überalterung, Rechts- und Linksputschist, Iststärke, freibleibend und greifbar (von Waren), Flächigkeit (bei Gemälden), Hausbrand (im Sinne von Heizung), Zionist, Verreichlichung (wie Verstaatlichung), Treuhänder, Scharfmacher, und dazwischen wird er sogar von allgemein verständlichen Worten beunruhigt, wie: Errungenschaft, Findung, Fühlung, großzügig, abwegig, Schneid, ertüchtigt, Woller, Wollungen, Sehnsüchte, Auswirkungen, denn die schrankenlose Pluralbildung war zu seiner Zeit noch nicht im Schwange, und »Auswirkung« z. B. bedeutete damals etwas ganz anderes, nämlich das Erzielen einer Wirkung, während wir es heut mit dem inneren Ausreifen einer Fähigkeit gleichsetzen.
Gerät er an Feuilletons mit Wissenschafts- und Kunstbehauch, so wird ihm oft genug zumute werden, als läse er Abhandlungen in ganz fremder Sprache. Die derberen Ausdrücke wie »Kitsch«, »Schinken«, »Schwimmen« (beim gedächtnisschwachen Schauspieler), »verschlimmbessern«, »Aufkläricht«, »Kraftstofflich«, »Schusterfleck« (in der Musik Spottname für gewisse Motiv-Wiederholungen), »Klavierwalküre«, »Krawattentenor«, »Zotologie«, »Parnassauer«, vermöchte er vielleicht zu entsiegeln; aber aus den verfilzten Begriffssynthesen, aus den undurchdringlichen -ismen, die ihn umwuchern, kann er sich mit aller Anstrengung nicht herauswickeln. Heute darf man schreiben: »Der Rhythmus, der dieses Portrait beherrscht«, »Der melodiöse Ernst dieser Malerei . . .«, »in jenem Drama steckt Atmosphäre . . .«, »Kommt man von Salome zu Pelleas, so ist einem zumute, als wendete man einem furiosen Goya, der im Blute schwimmt, den Rücken und träte vor einen verdämmernden Turner«, ». . . Eine Harmonik von zwingender immanenter Logik und in ihrer impressionistischen Gelöstheit kaum anders als im blinzelnden Ohre zu empfangen«, »Der Dichter dieses Schauspiels harft auf Charakteren, die sich in grünlichen Ellipsen bewegen . . .«; man darf das schreiben und findet immer Leser, die es verständnisinnig aufnehmen. Zu diesen wird der Mann von 1800 nicht gehören. Eine Welt trennt ihn von den Ausdrucksformen dieser Sprache, die ihn mit Unbegreiflichkeiten überfällt.
Wiederholen wir das Gedankenexperiment an uns selbst, versetzen wir uns in die Lesung eines Blattes vom Jahre 2000. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß auch wir einer im Ausdruck fernen Sprache entgegentreten würden, zu deren Erfassung uns wichtige Vorbedingungen fehlen. Wir können sie ebensowenig voraussehen, wie ein Zeitgenosse des Mozart die Melodik des Parsifal oder des Rosenkavaliers hätte vorausahnen können. Rückwärts gemessen, bedeutet ein Jahrhundert im Leben einer Sprache sehr wenig, vorwärts gemessen, eine Ewigkeit. Ich zweifle nicht daran, daß diese Sprache von 2000 manche Bestandteile aufzeigen wird, die ihren Ursprung in der heutigen Sprachbewegung finden. Trotzdem ist mit aller Sicherheit vorauszusagen, daß diese Bestandteile nach Menge und Einfluß vollkommen verschwinden werden gegenüber anderen Wandlungen, die sich aller Vorausberechnung entziehen. Und die Ausdrucksvögte von heute würden gewaltig erstaunen, wenn sie wahrnehmen könnten, wie wenig dann von ihrem Werk übriggeblieben ist. Auch im folgenden Jahrhundert wird es an Sprachvögten nicht fehlen; aber die werden sich und ihrer Mitwelt in ganz anderer Weise das Dasein versauern.
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Das Tor nach Halb- und Ganzasien ist aufgesprengt, und so steht zu erwarten, daß auch vom Osten her eine Reihe von Ausdrücken in unser Deutsch einziehen wird. Bisher hielt sich dieser Import in recht engen Maßen. Wir haben von früher den »Ukas«, den »Tschin«, den »Samowar«, die »Sakuska«, die »Potemkiniade«, neuerdings ergänzt durch die Duma, den Pristaw, den Pogrom, den Sowjet, den Bolschewismus, die in leisen Anspielungen herüberklingen. Noch sind sie kaum gebrauchsfertige Fremdwörter geworden. Sollte sich ihre Anzahl und ihr Einfluß vergrößern, dann wird die Verslawung der »Verwelschung« an die Seite treten, und das alte Schlagwort kann sich erneuern: Nur der Deutsche bringt das fertig! keinem Russen fällt es ein, mit deutschen Fremdbrocken seine Rede zu vermanschen! und das wird natürlich auch geglaubt werden, genau wie in dem Falle von Deutsch-Französisch, den wir an anderer Stelle dieses Buches mit dem ausführlichen Beweise des Gegenteils erörtern.
Mir selbst ist das Russische ganz fremd, und ich beabsichtige auch nicht es zu studieren. Aber für den vorliegenden Zweck genügt mir ein sicherer Gewährsmann. Ich entnehme die folgenden Angaben den Mitteilungen von R. Rotheit, der bei seinem Aufenthalt in Kiew manche Urwüchsigkeiten des Russischen festgestellt hat:
»Eine gewisse, zusammengesetzte Speise, die als Vorgericht genossen wird, ist bei den Russen als ›Vorschmack‹ bekannt, und belegte Brödchen, einerlei womit, nennt man ›Butterbrode‹, auch wenn keine Butter darauf ist. . . . Ein Gemälde heißt ›Landschaft‹, Schmuckgegenstände heißen ›Kleinode‹, und wer sich setzen will, der setzt sich auf einen ›Stul‹. Die Hofdame ist ein ›Frejlen‹, Mehrzahl ›Frejlini‹, der Hofmeister wurde zum ›Gofmeyster‹, dann gibt es ›Stalmejster‹, ›Gefrejte‹, ›Wachtmejster‹, ›Rottmejster‹, einen ›Berajter‹, eine ›Patrontasch‹ . . . Für den Mann, der einem den Bart rasiert und die Haare schneidet und für den im Deutschen noch immer der richtige Name gesucht wird, haben die Russen überall die echt russische Bezeichnung: ›Parikmacher‹ (Perückenmacher). Das Schmuckstück der männlichen Kleidung, über dessen deutsche Benennung wir uns in Deutschland ebenfalls noch die Köpfe zerbrechen, heißt bei den Russen einfach ›Galstuck‹ (Halsstück), Mehrzahl ›Galstuki‹. Tritt ein fremder Künstler in einem Theater auf, so gibt er ›Gastroli‹ usw.«
Was ja alles schließlich nicht sehr absonderlich erscheint in Betracht des deutschen Einflusses, der sich ja auch in Dutzenden deutscher, auf russischem Boden gedruckter Zeitungen zu erkennen gibt. Die kleine Auslese soll nur zeigen, daß aus allen Weltecken her die Nörgler zu widerlegen sind, wenn sie uns immer wieder einen unvölkischen Frevel um die Ohren schlagen, dessen nur wir, wir allein unter allen Erdenvölkern, fähig sein sollen.
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Es gibt Anekdoten mit treffender Scherzmoral, die das Wesen gewisser Übersetzungskünste genauer kennzeichnen als jede Fachkritik. Der Feldwebel korrigierte einen Einjährigen, der im Dienst von einem abrupten Befehl gesprochen hat: »Et heißt nich abrupt, et heißt: abjeruppt!« Die Verdeutschung des Feldwebels ist nämlich, so komisch sie auch klingt, wertvoller als die aller Wörterbücher, da sie allein sachliche und etymologische Richtigkeit vereinigt: Die Kommandoworte sind aus einem ausführlicher gedachten Befehl herausgerupft, wie die Federn aus einem Vogelhals, und tatsächlich ist dieser Zusammenhang in abrumpo, abruptus kenntlich, wofür in den römischen Klassikern Belege zu finden. –
Aus einer Synagoge ist ein »Schofar« gestohlen worden, jenes eigentümliche Blasinstrument, das an hohen Feiertagen rituellen Zwecken dient. Der Synagogenvorstand wird vom Richter nachdrücklich bedrängt, den Gegenstand zu erklären. Immer wieder behauptet der Zeuge, ein »Schofar« sei eben ein »Schofar«; schließlich bequemt er sich zu der Übersetzung: – »e Trompeten.« »Nun, sehen Sie, wie Sie es mit einem Mal erklären können –, warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« – »Herr Richter, nu, is es denn e Trompeten?«
Diesem Blasinstrument lassen sich hundert fremdsprachige, sogar fast eingedeutschte Dinge und Begriffe zur Seite stellen. Sie lassen sich, wenn es durchaus verlangt wird, zur Not in Übersetzungen auflösen, ergeben aber dabei trübe Rückstände und Niederschläge. Für »Revolver« z. B. kann man sagen »Drehschießeisen«, für »Radium« Strahlstoff, und für den Augenblick mag's hingehen. Schließlich aber kommt doch einmal die Frage: ist es denn ein Drehschießeisen? ist es denn ein Strahlstoff?
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Die Sprache soll sterilisiert, entkeimt, von schädlichen Bakterien befreit werden. Wäre es möglich, was wäre der Erfolg? Das Wort selbst gibt die Antwort; denn sterilisieren bedeutet auch steril, unfruchtbar machen. Und die Physiologie ergänzt, daß mit der Abtötung aller Bazillen auch der Organismus selbst zum Tode verurteilt würde. Ein kreisender Saft kann durch Sporen und Kokken erkranken; er muß verderben, wenn aus ihm sämtliche Mikroben herausgetrieben werden.
Ein anderer Bildvergleich führt auf die Symbiose von Blume und Insekt. Wie häßlich, dieser kleine brummende Unhold, der die Blume belästigt und ihren besten Nährsaft fortträgt! Gewiß, man wird der Blume (der Heimatsprache) den größten Dienst erweisen, wenn man die wimmelnde Horde der Insekten (der Fremdworte) totschlägt. Nur daß man durch eben dieses Verfahren der lieben Pflanze eine unerläßliche Lebensbedingung entzieht. Sie stirbt aus, wenn kein Insekt vorhanden, das ihre Samenzellen abnimmt und zu anderen Geschlechtsorganen weiterträgt. So ist auch die Sprache, die deutsche, auf die schwirrenden Gewimmel der Fremdworte symbiotisch angewiesen. Sie sind die Liebesvermittler zwischen getrennten Werten und ermöglichen die Fortzeugung neuer Ausdrucksgebilde. Daraufhin prüfe man eine Menge von Neuprägungen in zusammengesetzten Ausdrücken; sie wären nie zustandegekommen, wenn nicht zuvor das Fremdwort zwischen den einzelnen Wortteilen gesummt hätte, Beiwort und Hauptwort hätten sich nicht umschlungen ohne den Kuppeldienst der vielverlästerten Fremdlinge.
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Wenn einer die sprachverseuchten oberen Zehntausend meidet, um sich beim niedern Volk anzusiedeln, so kann er zu seltsamen Erfahrungen gelangen. Gewiß, er wird in der Tiefschicht nichts zu hören bekommen von Synthesen, Prophylaxen, Peripetien, Symbolismen, Paralogismen und solchem Zeug. Aber das Paradies der Reinheit wird sich auch bei den Unverbildeten nicht erschließen.
Der gemeine Mann leugnet noch heute die Plattform und das Abteil, er stellt sich auf den Perron, setzt sich ins Kupee, verlangt auf der Station ein Billett, fährt retour, geht in die Kantine, bestellt sich kein Ripplein, sondern Kotelette, Bulljon, Fisch in Aspik, Frikassee, plaudert mit dem Portier vom Toto, spielt mit dem Polier eine Karambole; für ihn heißt es unentwegt Montör, Schofför, Adresse, Kuvert, Alibi, Motor (Motohr), Trottoir, Rendezvous, Paraplü, pleite, meschugge, und seinem Feind, dem Filuh, der Karnaillje, haut er mit Forsche eins in die Fassade. Wobei festzuhalten, daß der gesamte Wortvorrat des gemeinen Mannes sehr gering ist, verglichen mit dem des Hochgebildeten. Eine Vergleichsberechnung läßt sich natürlich nicht aufstellen, allein alles spricht dafür, daß der Mann von der Gasse prozentual ebensoviel Welsch verbraucht, als der Mann der Gelehrtenstube.
Sollte die Reinheit in den kleinsten Orten, weit entfernt von den Mittelpunkten der Überbildung anzutreffen sein? denkbar wär's, wahrscheinlich ist es nicht. Ich schlage ganz aufs Geratewohl die »Urgeschicht von Mecklenborg« auf und finde da beim ersten Blick die Worte: Chronik, Avkaten (Advokaten), infam, Produkte, Manieren, Parteien, Cuntrebutschon (Kontribution), Collegen, Diplomatiker, das grundwüchsige Ackern wird noch verwelscht und heißt auf urmeckelnborgsch: ackerieren. Einem forschenden Fremdling könnte es in der kleinsten Kleinstadt begegnen, daß er vergebens nach dem »Bader« fragt; errät der Eingeborene den Wunsch, so erteilt er vielleicht die Auskunft: Zum »Barbier«? »direkt visavis«!
Unser herrlicher V-Vischer, von Haus aus ein Starkwelscher, hat sich in seinen Pfahldorfgeschichten alle erdenkliche Mühe gegeben, ein durchgesiebtes reines Urdeutsch hinzustellen; in den Reden, die er den Vorzeitlichen selbst in den Mund legte, also Menschen, die vor Jahrtausenden, in der Steinzeit, lebten, und von Humanisterei und Französelei ganz gewiß noch nicht angesteckt sein konnten. Er bemerkt zudem ausdrücklich, daß seine Pfahlmänner jedes fremdländische Wort verabscheuten. Aber auch sie verfielen ins lehnwörteln und fremdwörteln, in ihren pfahlbäuerischen Reden gibt es »Religion«, »phantastisch«, »trivial«, »Produkt«, »dogmatisch«, »Ära«, »Poesie«, »Exekution«, usw.
In den deutschen Hochalpen strecken sich unberührte Seitentäler, zu denen keine Stimme der Außenwelt dringt. Seitlich vom Pflerschtal leben Älpler, deren ganzer Sprechvorrat aus wenig Dutzenden Worten besteht, die nur in engster Umgebung verstanden werden. Vielleicht sind diese Weltabgeschiedenen die Inhaber der ersehnten Reinheit. An der Grenze der Stummheit kann die Sprache wohl nicht merklich verludert, vermanscht und verschmuddelt werden.
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Es gibt Leute, die der Sprachkrankheit von unten herauf beikommen wollen, anfangend bei der unzerlegbaren Sprachzelle, beim Buchstaben. So ein Wille führt die Gleichgestimmten zu einander, erzeugt einen Verband mit Programm und Satzungen, führt im engeren Umkreis zu einer Bewegung. Ob der Verein der »Lauttreuen« heute noch wirbt und wirkt, ist mir nicht bekannt. Sollte er verstorben sein, so wird er zu gelegener Zeit wieder aufleben, denn jede Quacksalberei ist an den Segnungen der ewigen Wiederkunft beteiligt. Seine ersten für uns wahrnehmbaren Zeichen entfaltete er 1876, und durch ein Menschenalter konnte man seinen Spuren begegnen. Auf den Angriff einer Berliner Tageszeitung erfolgte im Jahre 1910 nachstehende Entgegnung eines Heilmeisters, der im Auftrag der »lauttroien« einer gesunden »fonetik und lautlere« das Wort redete:
. . . das es zehr vohl möhklic ist, di ausschpraxe gants genau vidertzugeben, bevaist das fohrhandenzain des internatsionalen lautschriftferains . . . ven es dem hern ferfasser belihpt, zic über uns lustig tsu maxen, zo tseikt dihs eben nuhr fon Unkenntnis der zaxe. ven man aber etvas nixt kent, zol man eben hüpsch den munt halten. vihr erschtreben mit unzerer schraibug nuhr das beste. bedegen zi bitte, vifihl unnütse tsait mit dem erlernen der oft föllic züstehmlozen, schtellenvaise zogahr blöhtzinnigen zogenannten »rect«schraibug fergoidet virt! vi fihl besser könte zi führ andre, unendlic victigere lerfäxer fervendet vehrden!
Man kann es bedauern, daß die Lauttroien bisher im Geistesleben der Nation nicht stärkere Furchen gezogen haben, braucht aber an der Zukunft dieser »rect schraibug« noch nicht zu verzagen; um so weniger, als ja gewisse Spuren im sprachlichen Flugsande noch immer das Walten dieser Bestrebungen verraten. Erst unlängst gab es Anwälte einer »einheizortografi«, die »orzname« und »rechzgefül des deutschen folx« empfahlen. Wenn wir heute statt Bureau schreiben dürfen Büro, statt Cake Keks, statt Check Scheck, statt Chauffeur Schofföhr, statt Queu Kö – Heil diesem Fortschritt! –, so müssen wir uns vergegenwärtigen, daß solche prächtige Errungenschaften durchaus auf der Linie lagen, die uns die Lauttroien vorgezeichnet haben.
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Angesichts der immer bedrohlicher auftretenden Wort-Ungeheuer möchte ich eine verkannte Größe zu Gnaden empfehlen. Eigentlich ist es gar keine Größe, sondern eine winzige Kleinheit. Aber sie kann für Auge und Verstand Bedeutung gewinnen, Schädlichkeiten verhüten und besonders auch den Auslandsdeutschen, die unserer Schrift mit wachsender Ratlosigkeit gegenüberstehen, eine Hilfe gewähren. Unsere rezepttiftelnden Schulmeister erwarten solche Hilfe von zweckentsprechender Abteilung der Silben am Schlusse der Zeilen. Wichtiger wäre die Abteilung der Worte mitten in der Zeile, mitten in ihnen selbst. Jene kleine, verkannte, hier so notwendige Größe ist: der Bindestrich. Ihm fällt die Aufgabe zu, im Wortgefüge zu gliedern und die Übersicht zu erleichtern. Er wirkt vorbeugend und antiseptisch gegen Mißverständnisse, Sprachgreuel und klangliche Unbilden. Leider wird dieses so wichtige Kleinwesen im Leben der Sprache von Schreibern und Druckern mehr und mehr ausgerottet.
Statt See-Geltung schreiben wir Seegeltung. Die Übung verlangt es so, obschon das Auge immer wieder Einspruch erhebt. Es kommt nicht davon los, den Akzent auf der ersten Silbe zu suchen und das Wort sinnwidrig in Segel-tung zu zerlegen. Auch bei anderen See-Anfängen meldet sich ein inneres Organ mit falscher Orientierung: das Seeende bringt als störendes Nebenbild das Sehende, der Seeigel ruft nach dem Bindestrich, um in der Mitte sein ei loszuwerden. Was bedeutet »Bilderfolge«, eine Folge von Bildern oder Bild-Erfolge? Was ist ein Eiersatz? ein Satz Eier oder ein Ersatz für Ei? Auslandsdeutscher, verlaß dich aufs Raten! und was ist deutlicher »Arm-Ersatz« oder Armersatz mit seinem sinnwidrigen Auftakt »Armer«?
Mitten im Wort entstehen Sonderwesen ohne Aufenthaltsberechtigung. In »Erbübel« tummelt sich ein Bübel, während wiederum im wohligen »Braustübel« eine schreckhaft an Brust-Übel erinnernde Buchstaben-Verbindung auftritt. Unmotivierte Tiergebilde spuken in bindestrichlosen Worten: in »Alibigelegenheit« kriecht ein Igel umher, in »Totalausverkauf« eine Laus; im »Hammelsterben« hüpft eine Elster, im »Schwanenteich« schwimmt eine Ente. Niemals wird das lesende Auge begreifen, warum »Spargelder« mit Spargel anfangen müssen, was im »Telegrammempfang« die Amme, was in »Kunstrichter« der Trichter zu suchen hat. Störend sind Rienzi in »Ferienziel«, Tauben in »Taubenetzt«, Tante in »Drahtantenne«, Mama in »Dumamanifest«, Talent in »Talentwässerung«, Trara in »Ultraradikale«. Unschön wirken die stammelnden »Stammeltern«, das Zeitwort »nachtrollen«, kaum zu unterscheiden von Nacht-Rollen, »Nachteilzüge«, also Eilzüge, die einen Nachteil bringen, im Gegensatz zum »Vorzug«, dessen Vorzüglichkeit darin besteht, daß er im Fahrplan nicht besonders vermerkt wird. Eine besondere Tücke des Objekts zeigt »Mittwochsgesellschaft« mit seiner ruchlos eingekapselten Menagerie Ochs-Esel-Schaf; dagegen kann sogar der Bindestrich nichts ausrichten; wohl aber kann er den blöden Schmerzensruf Au! Au! in »Bauausführung«, wenn auch nicht verhüten, so doch sinnig abdämpfen. Unerläßlich erscheint er bei Themseufer, Hansaufer und Oderufer zur Beseitigung der sinnwidrigen seufer, saufer und rufer. Doppeldeutung kann er beseitigen bei Zugreifen (Zug-Reifen – zugreifen), Gründung (Grün-Dung). In vielen Fällen erspart er dem Blick das Stolpern über Fremdkörper; stockt nicht das Auge beim Striegel in Industriegelände? oder beim »Stockengländer«, wo sich das Stocken selbst mit einem zusammengeschobenen Geländer ankündigt? Es kann noch schlimmer kommen; z. B. in dem unzählige Mal gedruckten Wort »Urinstinkt«, dem man die Erinnerung an übelduftenden Urin durch sinngemäße Trennung in Ur-Instinkt so leicht abgewöhnen könnte.
Läßt sich die Konsonantenstülpung in länglich zusammengesetzten Worten nicht verhüten, so mildere man wenigstens ihre phonetische Mißwirkung. Schreibt man Großkampf-Schiff, so erteilt der Bindestrich den Sprachwerkzeugen einen leisen Wink, sich neu einzustellen. Bei »Großkampfschiff« wird das unmöglich, zwischen dem Blaselaut pf und dem Zischlaut sch liegt im Munde ein mechanisches Hindernis, das sinnfällig hervortritt, wenn man bei deutlichem Aussprechen die volle Aufmerksamkeit auf die Stellung der Organe richtet. Wo die Zischlaute aufeinanderplatzen, wird die Schwierigkeit des unvermittelten Übergangs noch stärker; man beobachte die tonerzeugenden Werkzeuge in Worten wie Waschschüssel, Klatschschwester, Schwatzstube, Fischschuppe, Fortbildungsschulzwang.
Da sind ferner die Konsonanten in dritter Potenz. Stutzt nicht noch heute jeder Schreiber wenigstens für die Dauer einer Sekunde, wenn ihm Worte wie Schifffahrt, Helllicht in die Feder kommen? Mit klaren Ursprungs-Zeugnissen treten diese Gebilde auf, und man sollte darin nicht herumkorrigieren, um die Dreizahl der Buchstaben in eine Zweizahl zu verfälschen. Sie verlangen ihre wohlgezählte Menge, die Stillleben, Schnellläufer, Klapppult, Kristalllinse, Kammmacher, Schallleitung, Brennnessel, Schlammmolch, Rollladen, Stofffülle, Sperrriegel, und der Dreizahl beinahe gleichzuachten ist die Doppelerscheinung der räuspernden ch in Sprechchor oder in Bachchromatik. Nur die Trennung kann hier helfen, nicht aber eine von Amtswegen erlassene Regel, die mir einfach aufgibt: »Wenn bei Zusammensetzungen drei gleiche Mitlaute zwischen Selbstlauten zu stehen kommen, so ist einer davon zu streichen.« Also in Galopppferd oder in Falstafffluch bleibt es beim Dreifachen, aber der Brennnessel, der Schifffahrt wird ein wohlerworbener Buchstabe abgesägt. Kein Sprachamt rührt sich, um die unförmlichsten Wortklötze zu zerschneiden, aber hier wird das Amputationsmesser zur Eisenbartkur angesetzt. Für mich sind Schiff und Fahrt geschlossene Organismen, und eine Schiffahrt kommt mir vor wie eine schiefe Fahrt mit amputiertem e; verkürzt man die Stalllaterne um ein l, so ergibt sich für mich eine Stahl-Laterne mit fortgeschnittenem h. Und das Stilleben ohne drittes l gilt mir als das Leben eines Stils oder einer Stilgattung. Bindestrich, steige aus der Versenkung und erbarme dich des Problems!
Die erwähnte amtliche Verordnung geht, wie mir wohl bekannt, am Bindestrich nicht grundsätzlich vorbei. Sie verordnet ihn sogar als Schutz gegen Irrungen in Worten wie Schill-Erinnerung, Drucker-Zeugnis und dem vorgenannten Grün-Dung. Aber damit schöpft sie doch nur Tropfen aus einem Ozean von Möglichkeiten, die aus dem Reichtum unserer Sprache fließen und sich in beständig wachsenden Ausdrucks-Verkettungen äußern. Einstweilen harrt der Bindestrich seiner Berufung in Geduld. Noch ist seine Zeit nicht gekommen; aber wenn wir erst bei Wort-Mammuten von dreißig Silben und darüber anlangen, dann könnte sich doch die Sehnsucht nach dem Zeichen erheben, das so geringen Platz beansprucht und so bedeutende Ordnungs-Hilfe leistet. Dann mag es wirken, bis es selbst wiederum – wie an anderer Stelle dieses Buches zu lesen – durch die noch stärkere Leistung des abkürzenden Weltwortes überflüssig wird.
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Liebliches und Betrübliches. Ich blättre in älteren Kammerberichten und stoße auf ein Kuriosum, das ich in aller Wörtlichkeit hierhersetze.
Deutscher Reichstag vom 30. März 1911.
Abg. Gräf-Weimar (Wirtsch. Vg.): Wir hatten unseren Antrag von allen Fremdwörtern gesäubert, die hier noch gebräuchlich sind, wie Etat, Kommission usw. Es wurde uns aber erklärt, daß ein solcher Antrag nicht gedruckt werden könnte. (Heiterkeit.) Den Seniorenkonvent könnte man Ältestenrat nennen. Auch für das Bureau, wo der Direktor sein Domizil – (Große Heiterkeit), – seinen Wohnsitz hat, wird sich ein anderes Wort finden. Sachliche Differenzen – (Erneute Heiterkeit) – existieren – bestehen in dieser Frage wohl nicht.
Präsident Graf Schwerin-Löwitz: Ihr Antrag soll zurückgewiesen worden sein, weil er Fremdwörter enthielt?
Abg. Gräf: In Konsequenz (Große Heiterkeit) unseres Antrages hatten wir alle Fremdwörter ausgemerzt.
Präsident Graf Schwerin-Löwitz: Der Antrag war als Adresse an den Präsidenten gerichtet. Meine Vorgänger haben aber stets den Standpunkt vertreten, daß Adressen an den Präsidenten nicht der Geschäftsordnung entsprechen.
Abg. Pütz (Ztr.) fordert, daß die Uhr, die sich jetzt an der Hinterwand des Sitzungssaales befindet, an der Vorderwand angebracht wird, damit sich die Abgeordneten nicht umzudrehen brauchen. (Große Heiterkeit.)
Abg. Speck (Zentr.): Die Budgetkommission, oder um mich möglichst deutsch auszudrücken: Die Kommission für den Reichshaushaltsetat (Schallende Heiterkeit), – so ist der offizielle Titel (Erneute Heiterkeit), hat sich auch mit dem Grundstück gegenüber dem Reichstag beschäftigt, das jetzt zu Spekulationszwecken verkauft werden soll, usf.
Wird diese Verhandlung einem der ganz Unentwegten vorgelegt, so wird dieser ganz gewiß nicht in die schallende Heiterkeit einstimmen, vielmehr den Vorgang mit großem Bedauern auf die allgemeine »Sprachkrankheit« des deutschen Volkes zurückführen; um so mehr, als die Herren vom Reichstag ja als der sprechende Ausdruck des Volkes betrachtet werden sollen. Liegt aber eine Sprachseuche vor, so darf man sich auch der Volksweisheit nicht verschließen, daß Lachen gesund macht. Das Lachen, sagt Dante, ist nichts anderes, als ein wetterleuchtendes Aufblitzen der Seelenfreude, ein Aufzucken des Lichtes nach draußen, so wie es innen strahlt. Und diese Bedeutung hatte auch das dröhnende Gelächter in jener Reichstagssitzung. Es war der Ausdruck unbändiger Freude darüber, daß die Herren, die etwas Sprachliches beweisen wollten, im nämlichen Atem den überzeugenden Gegenbeweis durch den Saal schmetterten.
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Es ist an sich schon fehlerhaft und kindisch, dem Heer der sogenannten Fremdworte mit Übersetzungen beikommen zu wollen; aber ein offenkundiger Schaden wird angerichtet in den zahllosen Fällen, wo sich Wort und Begriff über die platte, greifbare Gegenständlichkeit erhebt, um irgendwelche Berührung mit dem Geistigen zu gewinnen. Da wird Verrat am Wort geübt, und der gesunde Menschenverstand, wie er sich in kurzer Spruchweisheit kundgibt, hat dies auch niemals bezweifelt. »Traduttore – traditore« heißt es im Italienischen, »Qui traduit – trahit« im Französischen mit jener wortspielerischen Kürze, die so oft als das Kennzeichen echter Volkserkenntnis auftritt. Niemals ergibt sich eine vollständige Gleichheit zwischen zwei Texten, die mit einander korrespondieren sollen. Das Wort sie sollen lassen stan, und wer sich dagegen vergeht, der verrät es, il trahit, er wird traditore. Im Deutschen fehlt bislang ein ähnliches Kernwort; vielleicht wird es geboren werden, wenn eine gesteigerte Sprachkultur uns die Sünden der Gewaltverdeutscher recht fühlbar gemacht hat. Vielleicht wird man dann sagen: Übersetzer–Überschwätzer! und dadurch ausdrücken, daß Schwatz, Überschwatz aufgeboten werden muß, um die Leute zu überreden, Wortersatz für Urwort hinzunehmen.
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Der Meister kann die Form zerbrechen, so besonders auch die Form, die er durch Schule, Grammatik und Überlieferung dargeboten vorfindet. Es fragt sich bloß, ob das Gebilde, das aus der zerbrochenen Form zu Tage tritt, auch wirklich klingt.
Wir begegneten solch einem Meister vor längerer Zeit, etwa anderthalb Jahre vor Kriegsbeginn. Damals hatten etliche Abgeordnete (Dr. Werner, v. Liebert und Kuckhoff) die Errichtung eines Reichsamtes für deutsche Sprache gefordert, als eine Machtstelle gegen die Sprachverderber. Wenn daraus im ersten Anlauf nichts geworden ist, so mag das daran gelegen haben, daß die geeigneten Kräfte nicht zu beschaffen waren, obschon bei uns an willenskräftigen Personen mit sprachamtlicher Begabung kein Mangel herrscht.
Einer dieser Willenbesitzer, seines sonstigen Zeichens hervorragender Politiker und Leitartikler, hatte sich auch des Antrages mit der ganzen Wucht seiner Schriftleitung angenommen und hatte sofort zur Probe auf das Exempel in der nämlichen Nummer seiner Zeitung folgendes geschrieben, selbstverständlich in ganz anderem Zusammenhange, aber doch als Musterbeispiel im Sinne des Befähigungsnachweises:
Allgemein scheint uns in beinahe allen Zeitungsäußerungen der letzten Wochen über liberianische Angelegenheiten eine Unklarheit darüber zu herrschen, daß der Präsident von Liberia, ob er nun Neger ist, oder was sein Beruf früher war, ehe er Präsident wurde, wie endlich sein Bildungsgrad sein mag, er dessenungeachtet als Präsident im Sinne der internationalen Etikette behandelt werden muß, ebenso wie der Präsident der Vereinigten Staaten, oder um ein anderes Extrem zu nennen, wie der Präsident von Haiti.
Auf der ersten Seite desselben Blattes las man's anders. Da wurde das Reichssprachamt herbeigesehnt als Erwecker der alten, kräftigen, frischen Mundarten, da wurde gegen das leidige »hölzerne Papierdeutsch« fröhliche Attacke geritten. Wie nun, wenn das Reichssprachamt nächsten Tages erschaffen worden wäre? Welche Maßregeln hätte es gegen den krausen, papierdeutschen Liberia-Satz mit seinem Berufs-Neger zur Anwendung gebracht?
Das können wir natürlich nicht wissen. Desto sicherer sind wir in der Behauptung, daß das »dritte Ohr«, so wie Nietzsche es versteht, gerade bei denen am seltensten vorkommt, die am stärksten auf den Besitz dieses Organs angewiesen wären. Selten genug ist es ja überhaupt. Und wenn es einer sein eigen nennt, dann hat er aus den Geheimnissen der Sprache zum mindesten das herausgehört, daß eine Berufung an sprachamtliche Gewalten sinnlos ist.
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Die Hilfstruppe der Sekundaner. Unserm Friedrich Nietzsche haben die Sprachreiniger weder das (vielleicht entbehrliche) »Ressentiment«, noch das gewaltige »Pathos der Distanz« verziehen. Wie ihnen denn der Zarathustra-Mann überhaupt sehr viel Pein verursacht, da er im Gebiet der Gegner eine gar zu starke Festung darstellt. Aber bei der Berennung dieser Festung ergeben sich üble Abenteuer, von denen ich ein besonders verhängnisvolles hier herausgreife. Unsere Hauptautorität (E. E.) schreibt nämlich:
. . . . . . . »Endlich ein paar Sätzchen von einem so berühmten Schreiber, daß ich ihn vorerst nicht zu nennen wage: ›Man übersetze sich solchen physiologischen Habitus in seine letzte Logik.‹ – ›Ich nenne dies eine sublime Weiterentwicklung des Hedonismus auf durchaus morbider Grundlage.‹ – ›Die Philologie ist die Ephexis in der Interpretation.‹ Dieser unerhört berühmte Welscher heißt Nietzsche; er stellt insofern eine ganz vereinzelte Ausnahme dar, als er zwei durchaus verschiedene Stile schrieb: einen unausstehlichen Welscherstil, der sich nicht von dem Gewelsch der Dutzendschreiber unterscheidet, und einen bezaubernden deutschen Kunststil, dessen Reiz grade in seiner kristallnen Sprachreinheit besteht. Nebenbei: Nietzsche war ›klassischer Philologe‹, schrieb aber in einem seiner Anfälle toller Welscherei, da doch durchaus gewelscht werden sollte, die vollkommene Sinnlosigkeit von der ›Ephexis‹ nieder. Dieses griechisch sein sollende Wort steht in keinem griechischen Wörterbuch, kann in keinem stehen, denn es ist nicht griechisch und kann nicht griechisch sein, wie jeder bessere Sekundaner begreift. Es steht auch in keinem Fremdwörterbuch; was alles natürlich nicht hindert, daß die Nietzsche-Bewunderer auch die Ephexis bewundern, die sie nicht verstehen, und weil sie sie nicht verstehen.«
Also im Buche »Sprich deutsch«, das hier den Weisen von Sils-Maria auf das Zeugnis des besseren Sekundaners hin als einen Fälscher festnagelt, der den Leuten mit gemogelten Worten auf griechisch imponieren will. Also die Ephexis steht in keinem griechischen Wörterbuch, bedauerlicherweise in keinem, worüber unsere Autorität verfügt. Wie aber, wenn Ephexis doch ein gut griechisch Wort wäre und z. B. im großen Wörterbuch von Jacobitz und Seiler stünde?? Wie ferner, wenn dort mit genauer Angabe auf Aristophanes als Standort hingewiesen würde?? Es heißt da wirklich ἡ ἔφεξις der Vorwand, kommt her von ἐπέχω (ep-echo, Futurform ephexo, seine Gedanken worauf richten, im Sinne haben), einem in der ganzen Griechenliteratur gebräuchlichen Zeitwort; keinesfalls würde ich dem besseren Sekundaner raten, dies zu bestreiten, da er sonst bei seinem Oberlehrer in Unannehmlichkeiten geraten würde. Und jener herausgerissene Nietzsche-Satz birgt den ganz verständlichen Sinn: Die Philologie bietet den Vorwand in der Interpretation, will sagen, das Interpretieren, das Erklären ist (in einem bestimmten von Nietzsche vorausgesetzten Zusammenhange) für den Erklärer nicht Selbstzweck und Hauptsache, sondern dient dem Ausbreiten philologischer Künste als Vorwand. Es wäre natürlich ebenso kleinlich wie töricht, einen vereinzelten Satz bei Nietzsche auf landläufige »Richtigkeit« zu prüfen. Wohl aber muß man ihn schützen, wenn beim Angriff auf ihn unterstellt wird, er habe sich falscher Worte wie falscher Spielkarten bedient, um den Leser zu übertölpeln. Im vorliegenden Fall ist der Angriff glänzend mißlungen, was zu beweisen war und, wie ich denke, bis ins letzte bewiesen worden ist!Das Werk »Sprich Deutsch« lag mir in erster Auflage vor. Ich habe Grund zu der Vermutung, daß die Ephexis-Stelle aus den folgenden Auflagen verschwindet. Vielleicht erleben wir noch bis zur hundertsten Auflage unser blaues Wunder an dem Nietzsche-Verkenner von heute.
Nehmen wir einen anderen Fall, der die Zuverlässigkeit des nämlichen Angreifers in merkwürdigem Lichte zeigt. Es heißt in dem vorgenannten Buche des großen Welschtöters: »Ein vermutlich großartiger Mann, ein Herr Bernouilli, möchte der Welt seine großartige »wissenschaftliche« Entdeckung mitteilen: Je mehr einer schon besitzt, desto geringer ist seine Freude an der Vermehrung des Besitzes. Dieser Satz könnte aus einer Kinderfibel stammen, also muß er in erhabene Wissenschaft umgewelscht werden. Dies geschieht so: »Der subjektive Befriedigungswert eines objektiven Quantums der Güter ist der Summe der von dem betreffenden Subjekte bereits besessenen Güter umgekehrt proportional. Erst in dieser Fassung wird der Fibelsatz zur analytischen Psychologie oder Psychoanalyse, und wenn ich einer solchen Leuchte der Wissenschaft die pappene Welschermaske abreiße, so wird sie sehr böse, schimpft mich subjektiv und einen Puristen.«
Ein gründlicher Haß gegen die Wissenschaft spricht aus diesen Zeilen, und wie mancher Leser vielleicht sofort vermuten wird, ein ansehnlicher Grad von Sachfremdheit. Aber der Wissenschaftsfeind hat hier besonderes Pech gehabt und wider Willen ein ganz erstaunliches Maß von Nichtkenntnis enthüllt.
Die Zielscheibe seines mißglückten Spottes, »ein Herr Bernouilli« (falsch geschrieben), ist nämlich kein anderer als der große Mathematiker Daniel Bernoulli, der den zitierten Satz zum Ausgangspunkt einer höchst schwierigen, in ihren Ergebnissen ebenso überraschenden Wahrscheinlichkeitsbetrachtung genommen hat, und zwar nicht heute und gestern, sondern im Jahre 1731, und nicht in einer welschenden Deutschschrift, sondern in einer lateinischen Abhandlung: Specimen Theoriae novae de Mensura Sortis, herausgegeben von der Petersburger Akademie der Wissenschaften. Das braucht unser Wissenschaftsfeind nicht zu wissen, und er weiß es auch wirklich nicht; er findet den Satz irgendwo, stößt sich an den Fremdworten, schreibt ihn einem lebenden Schmierer zu, reißt ihm die pappene Welschmaske ab und erwartet trotzig, daß die ironisch gemeinte Leuchte der Wissenschaft, der Urheber der »wissenschaftlichen« Entdeckung in höhnenden Gänsefüßchen, nämlich »ein Herr Bernouilli« morgen sehr böse werden und schimpfen wird.
Das wird ihm nicht einfallen, sintemalen ein Herr Bernouilli schon vor 138 Jahren das Zeitliche gesegnet hat, als zehnmal von der Pariser Akademie preisgekrönter Forscher. Wer seine Lehrsätze der »Kinderfibel« zuweist, der versteht weder sie, noch andere vom gleichen Rang, der hat keine Ahnung von derlei Dingen und besitzt nicht das mindeste Recht, den Wissenschaftlern dreinzureden, weder sachlich noch in der Ausdrucksweise, da die Sache vom Ausdruck gar nicht getrennt werden darf. Und wer aus reiner Unkenntnis der Dinge den Ausdruck »umgekehrt proportional« verhöhnt, der kann ja auch gleich das Newtonsche Gravitationsgesetz und die Hälfte der Physik dazu als kinderfiblig verspotten. Aber nein, verehrter Herr! so beweist man keine Verwelschung, sondern nur seine Ahnungslosigkeit und sein völliges Unvermögen, eine große Frage beurteilen zu können; die Frage nämlich, in welchen Ausdrucksformen sich die Wissenschaft und das wissenschaftlich befruchtete Schrifttum überhaupt zu bewegen hat. –
Ich blättere weiter in dem »Buch zur Entwelschung« und stoße auf folgenden Zornerguß:
»Ein ärztlicher Welscher gebraucht, d. h. erfindet sich ein großartiges Gelehrsamkeitswort Euphorie, das angeblich Wohlverhalten bedeutet, bezeichnet damit aus eigner Willkür den schmerzlosen Zustand mancher Kranken kurz vor dem Hinscheiden und fragt dann den dummen oder doch gutmütigen Puristen: He? wie willst du das übersetzen?, denn Sprache ist dem Welscher, dem ewigen Pennäler, das Übersetzen. Der Purist fällt darauf hinein, quält sich ab mit den selbstverständlich besseren deutschen Wörtern: Sterbefrieden, Sterbseligkeit, Erlösungsglück, Scheideglück, Sterbeglück, Schmerzlösung, anstatt dem Deutsch- und Griechischverderber zu entgegnen: Zeige mir in einem griechischen Wörterbuch deine Euphorie, wär's nur im elendesten Byzantinergriechisch, so will ich dir's übersetzen; hast du aber nur einen Klingklang aus eigener Vollmacht verübt, so mach' ich's wie du, nenne das Ding Virama, sage, es sei Sanskrit, und erwarte den Gegenbeweis. Da Sanskrit noch vornehmischer als Griechisch ist, so hast du nicht zu mucken.«
Mucken wir ein wenig, im Namen des ärztlichen Welschers, der es sich erlaubt hat, die Lehre von der Euphorie zu verkünden, und der es sich dafür gefallen lassen soll, hier als der »ewige Pennäler« behandelt zu werden, dem man das Lexikon um die Ohren schlägt. Mucken wir, indem wir das Lexikon vom Boden aufheben, nachschlagen und ausrufen: Aber, du gestrenger Magister, du quengelnder Besserwisser, kannst du nicht lesen?! Hier in meinem Wörterbuch steht doch εὐφορία, euphoria, das leichte Tragen, Geduld, klar abgeleitet von euphoros, dem zugehörigen Eigenschaftswort, das bei Plutarch, bei Xenophon, bei soviel anderen guten Schriftstellern vorkommt! Und der aufmuckende Pennäler könnte ergänzen, daß das echtklassische Euphoria schon bei den altgriechischen Ärzten als eine Erscheinung im Lebensablauf auftritt, wenngleich die Lehre von der Euphorie ihren fachgründlichen, auf reiche Erfahrung gestützten Ausbau erst in unseren Tagen (zumal durch Wilhelm Fließ) erfahren hat. Ehe er also poltert, der Magister, schaffe er sich ein anständiges Lexikon an und erkundige er sich bei Fachleuten, ob die Euphorie wirklich ein so einfach Ding ist, daß es sich mit einem kurzen Wort übersetzen ließe. Man wird ihm das Gegenteil beweisen. Und wenn der Erklärer sehr viel freie Zeit zur Verfügung hat, wird er ihm sogar ein Licht darüber aufstecken, daß der sinnvolle Anklang an Goethes Euphorion hier für das sprachlich vortreffliche Fremdwort noch einen besonderen Schönheitswert darstellt. –
Durchweg läßt sich feststellen, daß solch ein Magister zu seinem aufgedonnerten Hochmut nur über die Vorstufe des mangelnden Fachwissens gelangt. Mit winzigem Gepäck springt es sich ja am leichtesten zu jener Höhe, von der herab man die wirklich Wissenden als Pennäler betrachten kann. Die Wissenschaft liefert uns in Unzahl Worte, die mit ausgezeichnetem Klange ganze Entwicklungsreihen einschließen, höchst umständliche Bedeutsamkeiten, die sprachlich unverwertbar bleiben müßten, wenn man nicht das zusammenfassende, abkürzende Wort dafür erfunden hätte. Um aus den Tausenden nur einige wenige zu nennen: Abscisse, Potenz, Integral, Asymptote, algebraisch, Interferenz, Polarisation, Koeffizient, – Entropie, Spektralanalyse, Katalysator, Induktion, Determinismus, Finalität, virtuell, geozentrisch, Heliotropismus, – wo anfangen, wo aufhören? Der Magister zupft aus dem Begriff, je nach Glück und Zufall, ein Begriffelchen, gibt diesem eine Teilübersetzung, die sich zum Original verhält wie der Katzenschwanz zum Löwen, und hat dann die Sprache gerettet. Setzt sich dann der Wissende zur Wehr, so wird er in die Klasse der Pennäler gesteckt, und weist ihm der Wissende im Einzelfall einen offenkundigen Unsinn nach, dann macht sich der Magister mit einem Scherzwort zum Herrn der Lage; er gibt den Unsinn mit der Wendung preis: »Man müsse von Zeit zu Zeit dem Walfisch eine Tonne zum Spielen hinwerfen.«
Der Walfisch, – das sind wir, die wir das Abenteuer durchschauen, die wir uns der Verkümmerung des Sprachgutes widersetzen, die wir Weltworte richtig deuten und eine leere Tonne für das nehmen, was sie hier ist: für eine inhaltsleere Behauptung. Nur weiter fort in dieser anmutigen Beschäftigung! Du glaubst zu werfen, und du wirst geworfen. Ist's ein Spiel, Herr Magister, dann werden Sie es verlieren!
Besser schon, er läßt es fallen und bleibt in vollem Ernst auf dem Kampfgelände, das er übersieht. Daß er dort eine Größe darstellt, habe ich zuvor willig anerkannt. Und ich werde nie aufhören, ihm bei aller Sachgegnerschaft zu huldigen, wenn er mir mit dem funkelnden Rüstzeug seines eigenen, durchaus literarischen Wissens zur Bewunderung Anlaß gibt.
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Bedeutungswandel. Über dieses Thema sind schon dicke Stöße geschrieben worden, und wollte man all das erörtern, was an wichtigem noch übrig bleibt, so kämen erst recht dicke Bücher heraus. Hier soll nur eine auffällige Einzelheit herausgegriffen und dem Leser zu weiterem Nachdenken überliefert werden.
Man kann getrost behaupten, daß fast jedes Wort, sofern es nicht etwas unverrückbar Gegenständliches bezeichnet, aller erdenklichen Bedeutungen bis zur vollen Gegensätzlichkeit fähig ist. Das geht so weit, daß selbst die anscheinende Verneinungs-Vorsilbe »Un« als Bejahung, als Verstärkung aufzutreten vermag. Unmenge verneint nicht die Menge. Ungewitter hebt die Bedeutung von Gewitter nicht auf, verstärkt sie vielmehr. Untiefe bezeichnet nicht nur eine seichte Stelle, sondern auch eine unermeßliche Tiefe. Geziefer und Ungeziefer sind, zoologisch genommen, dasselbe. Man kann, wenn auch sprachlich nicht schön, so doch verständlich, eine Erscheinung, ein Verhalten als ungemein gemein, als ungewöhnlich gewöhnlich bezeichnen. Kontrastworte wie subjektiv und objektiv haben im Lauf der Denkentwicklung mehrfach ihre Bedeutung bis zum Rollentausch verändert.
Für die Stellung der Kämpfer auf dem Felde der Sprachfragen kommen nun Attributworte zur Geltung, die nach landläufiger Meinung ganz fest umschrieben sind, so namentlich: deutsch, patriotisch. Aber auch diese unterliegen einem Bedeutungswandel, der unter Umständen so stark an ihnen herumarbeitet, bis sie sich – was man zunächst für undenkbar und widersinnig halten müßte, – geradewegs in ihr Gegenteil verkehren.
Wir besitzen keine nachdrücklichere Vorsatzsilbe als »All«; wenn wir statt »umfassend« sagen allumfassend, statt Macht: Allmacht, statt Mutter: Allmutter, so verstärken wir, und es erscheint zunächst ganz ausgeschlossen, daß das auch einmal anders kommen oder am Ende gar umschlagen könnte.
Aber das scheinbar Widersinnige begibt sich, und zwar durch eine Zauberei, für die wir in diesem Falle die Hexe Politik als zuständig erklären müssen.
Nach reiner Sprachlogik müßte doch »alldeutsch« das Deutscheste vom Deutschen sein; und auf die Gleichung deutsch = patriotisch übertragen, der Superlativ vom Patriotischen.
Gerade das wird aber vom Parteistandpunkt aus heftig bestritten, und es machen sich Gesichtswinkel der Betrachtung geltend, unter denen sich jenes vorgesetzte »all« vollkommen verschiebt.
Aus tausend Belegen hierfür zitiere ich hier nur einige Zeilen aus den Schriften eines unserer hervorragendsten politischen Schriftsteller; ich nenne sie ohne die geringste politische Eigen-Absicht, nur um zeigen, daß diese Betrachtungen vorkommen und eine Rolle spielen. Sie lauten:
»Man vergesse doch ja nicht, daß unter Herrn v. X. zwar in der letzten Zeit seiner Kabinettspolitik ›alldeutsch‹ ungefähr ebensoviel bedeutete wie früher ›sozialdemokratisch‹, daß aber schließlich sich das Blättchen wieder einmal wenden könnte.« – »Seitdem . . . von den Reichskanzleibeamten, die Herrn v. Y. nahestanden, die Bezeichnung ›Alldeutsche‹ als Schimpfwort für alle diejenigen geprägt wurde, die nicht bis ins einzelne mit den Zielen und Methoden der damals vom Auswärtigen Amt und der Reichskanzlei vertretenen Politik einverstanden waren, ist in einigen Köpfen die Scheidung zwischen alldeutsch und patriotisch zum Angelpunkt jeder politischen Betrachtung geworden.«
Der angesagte Beweis ist damit zwingend und restlos geführt. Denn wenn selbst das scheinbar unerschütterliche »all« . . . irgend wann und irgend wo vollkommen umschlagen kann, so verschwindet damit der letzte Rest des Absoluten aus den Begriffen, und jeder kann sich zu seinem genauen Gegenteil umwerten . . .
Worauf stützen sich aber die Kräftlinge unter unsern Sprachheiligen? vor allem auf das Absolute der Begriffe, unter deren Zeichen sie marschieren. Aber diese Zeichen sind nur höchst veränderliche Symbole, und was sie als deutsch, alldeutsch, patriotisch betrachten, kann sich bei verschobenem Gesichtswinkel einmal als etwas ganz anderes darstellen. Die Kräfte, die hier ins Spiel kommen, Parteiströmungen, Neuorientierungen in Staat, Gesellschaft und Weltanschauung, sind mächtiger als sie ahnen, und so könnte es sich ereignen, daß der patriotische Sprachvogt von 1910 zwanzig Jahre später als durchaus nicht mehr so patriotisch begriffen wird. Nicht sein Charakterbild wird in der Geschichte schwanken, aber sein Werk; falls sich nämlich, wie wir vermuten, herausstellen sollte, daß sein Werk den wahren Interessen des Volkes mehr Hemmung als Förderung eingetragen hat. Dämmert diese Erkenntnis erst auf, so öffnen sich damit auch neue Förderungswege; wohl denen, die diesen Bedeutungswandel erleben werden!
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Aus Goethes Gesprächen bewahren wir ein Wort, das man allen Meinungskämpfen über Sprachmöglichkeiten als Motto voranstellen sollte. Goethe hat gesagt:
»Ich verfluche allen negativen Purismus, daß man ein Wort nicht brauchen soll, in welchem eine andere Sprache vielmehr oder Zarteres gefaßt hat.«
Mit Goethes Fluch ist wohl nicht zu spaßen. Sein Ingrimm gegen die puristische Vergewaltigung, – die sich zu der von heute verhielt, wie ein Gesellschaftsspiel zu einem Schlachtgemetzel, – muß wohl ein ungeheurer gewesen sein, wenn sie ihm den schärfsten aller möglichen Proteste erpreßte. Und man weiß ja auch, welche Folgen sich an eines Sängers Fluch knüpfen können: »Versunken und vergessen!« Kein Wunder auch, daß den Vertretern der anderen Meinung jener Ruf gewaltig in die Zähne gefahren ist und daß sie noch heute daran herumwürgen.
Es wird selbst dem denkschärfsten und redetüchtigsten dieser Vertreter, also unserem Engel, nicht leicht geworden sein, die Gegenoffensive aufzunehmen. Aber er wagt es, muß es wagen, denn es geht ums Ganze. Also sagt er: »Träfe Goethes spielend hingeworfenes, folgenloses Gesprächswort so allgemein zu, daß man jedes Wort gebrauchen dürfe, in dem ›eine andere Sprache vielmehr oder Zarteres gefaßt hat‹, so reichten nicht zehn-, nicht hunderttausend Fremdwörter aus, sondern wir müßten uns folgerecht jedes Fremdwort zu eigen machen.« Halb richtig und halb falsch. Zehn- oder hunderttausend reichen tatsächlich nicht aus, um unserer Sprache alle Färbungen zu gewähren, nach denen der an keine Grenzen gebundene Gedanke verlangt, – dagegen ist die Folgerung »jedes Fremdwort« durchaus nicht folgerecht, sondern gradezu folgewidrig und verkehrt. Denn es handelt sich in Goethes Fluch, wie ganz selbstverständlich und klar bezeichnet, nicht um die gleichgültigen Tautologien, die im Umkreise aller Sprachen in die Millionen gehen, sondern um die Worte erheblich größeren Wertes. Das erscheint doch gut unterscheidbar, und auf Grund dieser Unterscheidbarkeit wird wohl auch Goethes Zornwort nicht als »folgenlos« beiseite geschoben werden dürfen. Richtiger wäre es, von heute noch ganz unübersehbaren Folgen zu sprechen. Und nun gar: »spielend hingeworfen«? Ei warum nicht gar! wenn der Olympier wettert, so dröhnt der Donner, der uns nicht nachträglich in einen Scherzfluch oder säuselndes Zorngetändel umgedeutet werden soll.
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Man spricht vom zweiten Satze der letzten Symphonie Beethovens. Eine Offenbarung. Wir hören in der Erinnerung urweltliches Gedröhn mit Wiederhall von Cyklopenmauern und fühlen uns gleichzeitig von seraphischen Fittichen angeweht. Beethoven hat über den Satz Molto vivace geschrieben, wir sprechen, wie wohl allgemein üblich, vom »Scherzo« der Neunten Symphonie. Da kommt jemand auf den Einfall, »Scherzstück« zu sagen, also ein seiner Meinung nach völlig gleichbedeutendes, herkunftlich sogar bis auf die Buchstaben übereinstimmendes Wort. Wir wehren uns dagegen und wollen davon nichts wissen. Ein Scherzo kann wohl ein Scherzstück sein, allein das Scherzo der Neunten scherzt nicht, und wenn uns einer die Übersetzung aufhalsen möchte, so geht uns das über den Spaß; uns wird dabei zu Mute, wie bei dem Versuche, uns Dantes »Divina Commedia« in ein Lustspiel oder einen Schwank umzudeutschen.
Aber im Fall der Neunten könnte sich jener vielleicht auf Beethoven selbst berufen. Und wenn er die Spur nicht findet, so will ich sie ihm verraten. Nämlich ganz ohne Scherz: Beethoven selbst hat gelegentlich den Puristenweg beschritten und sich hierzu mit seinem Neffen Karl und seinem Freunde Karl Holz angeseilt. Nach einer Mitteilung von Paul Tausig enthielt Beethovens Liste folgende Ausdrücke:
Arie = Lustgesang, Einsang;
Baß = Grundsang;
Kanon = Kreisfluchtstück;
Chor = Vollsang;
Klavier = Tastenspiel,
Hammerklangwerk;
Komponist = Tonsatzwerker;
Konzert = Tonstreitwerkunternehmen;
Konzertmeister = Tonstreitwerkmeister, Tonkampfmeister;
Dilettant = Kunstzeitvertreibliebender;
Fantasie = Launenspiel;
Fuge = Tonfluchtwerk, Fluchtstück;
Instrument = Klangmacherwerkzeug, Klangwerkzeug;
Kapellmeister = Tonkünstlermeister, Tonmeister, Obertonmeister;
Musik = Tonwerkerei;
musikalisch = tonkünstig;
Musikdirektor = Tonwerkordner, Tonvorsteher;
Oper = Singwerk;
Orchester = Tongerüst, Tonkünstlerbühne;
Symphonie = Zusammenklangwerk;
Sonate = Klangstück ;
Trompete = Schmettermessing, Schmetterrohr;
Trompeter = Schmettermessingwerker.
Da hätten wir ja einen recht ansehnlichen Kronzeugen im Prozeß Deutsch gegen Fremd, und nun soll uns einer noch einmal mit anderen Autoritäten kommen! Selbst gegen den Puristenverflucher Goethe ließe sich Beethoven noch als kaum zu überstechender Trumpf ausspielen, – wenn nicht der nämliche zuverlässige Gewährsmann, dem wir die Liste verdanken, eine dämpfende Erklärung beigefügt hätte. Nämlich Beethoven hat die große Mehrzahl seiner Verdeutschungen nur lachend gewürdigt, also wienerisch ausgedrückt: einen Jux wollt er sich machen. Und das ist der Humor davon: Beethovens Liste ist nichts anderes als ein Scherzo im lustigsten Sinne über das Thema: Verdeutschung um jeden Preis!