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Allerdings hieß er nicht Aeneas, sondern Dr. Erich Heinsius; ein junger Gelehrter aus Leipzig, der als Urlauber in unserem Kreise weilte und uns schon eine Stunde lang von seinen Abenteuern im Felde unterhielt. Jetzt war er bei einem Erlebnis auf Vorposten in der Champagne. Und er schilderte uns die Stimmung in der sternenklaren Winternacht, das tiefe Eintauchen in die Einsamkeit der vorgeschobenen Stellung, während es von Feindeshorizont her zuckte und grollte:
Ob mit Recht oder mit Unrecht – ich hatte ein Gefühl von Kugelsicherheit. Abergläubisch im landläufigen Sinne bin ich ja nicht, das könnt ihr euch wohl denken; aber die Nerven gehen ihren eigenen Weg der Logik und sind manchem Zauber zugänglich, den der Verstand ablehnt. Und in meinem Fall ging der Zauber von einem Amulett aus, das ich einmal einem alten Hausierer auf der Landstraße abkaufte. Wer Lust hat, mich auszulachen, der lege sich keinen Zwang auf; kurzum, ich trug das Amulett an einem Faden um den Hals, und wenn ich auch an seine Wirksamkeit nicht eigentlich glaubte, so dachte ich doch manchmal: schaden kann's ganz gewiß nicht.
Aber ich fühlte mich in dieser Nacht nicht recht wohl. Es beschlich mich etwas wie heraufziehendes Fieber; eine unnennbare Unruhe in Brust und Hals. Und plötzlich wußte ich, was mir fehlte: meine Krankheit war ein ganz gemeiner Rauchhunger. Der überrumpelte mich mit jener Gewalt, von der der Dichter singt: nur wer ein Raucher ist, weiß, was ich leide!
Auf Vorposten Rauchen ist nun nicht ganz instruktionsgemäß. Aber darüber wäre ich hinweggekommen. Wenn ich nur etwas gehabt hätte, um gegen die Instruktion zu sündigen. Der Fall lag schwierig: in all meinen Taschen fand sich auch nicht ein Körnchen Tabak.
Es gibt einen kategorischen Rauchimperativ, gegen den man wehrlos ist. Man kann in der Wüste verdursten, und überall verrauchhungern. Hätte ich trockenes Seegras oder Kartoffelkraut gehabt, ich hätte es in der hohlen Hand angezündet. Aber nichts war vorhanden, kein Stoff, kein Surrogat, und Sankt Nikotinus durch kein Flehen erreichbar.
Ich suchte im Nachdenken Ablenkung und Betäubung, Die ganze Raucherei – so erwog ich in meiner Feldeinsamkeit – währt ja erst vierhundert Jahre. Bis dahin haben die größten Genußkünstler durch Jahrtausende das Rauchen entbehrt, ohne daß es ihnen fehlte. Durch das ganze Altertum geht kein Schrei nach dem Rauche. Dem römischen Kaiser Varus kostete ein einziges Abendessen für zwölf Personen dreiviertel Millionen Mark, und nach so einem Diner gab es keine Importe! Numidische Hähne wurden in Zyperwein erstickt, und zur notwendigen Krönung solcher Werke fand sich nicht einmal eine Sechserzigarre! Wie haben die Leute das nur ausgehalten? Warum folgten sie nicht dem Beispiel ihrer eigenen Götter, die von ihren Dienern immer wieder Räucherwerk verlangten? Aber diese Überlegungen halfen mir nicht viel. Im Gegenteil, mir wurde immer übler. Ach, wenn sich jetzt ein Wunder begäbe! Der Himmel hat doch schon Manna regnen lassen, vielleicht regnet es mir zuliebe diese Nacht mit Glimmstengeln!
Dieser Niederschlag blieb aus. Aber aus dem klaren Nachthimmel löste sich plötzlich eine hellglimmende Sternschnuppe und sauste vom Sternbild des Wagens in den dunklen Horizont. Natürlich wünschte ich mir dabei etwas, ganz dasselbe, was ich mir schon vor der Sternschnuppe gewünscht hatte: Hilfe aus der Rauchnot.
Dabei fiel mir das Amulett ein. Ich nestelte es los und umspannte es fest in der hohlen Faust: »So zeige mal heute besonders, was du kannst!« – und im Druck der Hand spürte ich, wie sich da etwas regte.
Also tatsächlich, das Amulett ging auf! Es hatte die Form eines flachen Medaillons von Fingerlänge, und nie zuvor war mir eingefallen, daß es auch einen Inhalt haben könnte. Jetzt entschleierte sich dieser Inhalt: – drei richtige Zigaretten!
Das war das Geheimnis des Hausierers gewesen, dem ich das Dings abgekauft hatte. Nicht mit Sprüchen und Beschwörungsformeln hatte er seinen Scarabäus ausgestattet, sondern mit einer praktischen Gegenständlichkeit, die in höchster Bedrängnis aushelfen konnte! –
Hier wurde der Feldgraue von einem seiner Zuhörer unterbrochen: »Das ist ja höchst merkwürdig, Doktor! Aber jetzt müssen Sie uns auch ganz genau erzählen, was Sie empfunden haben, als Sie die drei Zigaretten rauchten!«
»Hochgenuß natürlich, Götterfreude,« meinte ein anderer; »übrigens hoffe ich, daß Sie sich den Vorrat in drei Rationen eingeteilt und nicht im ersten Anhieb alle drei Zigaretten aufgeraucht haben. Ein weiser Krieger hält doch Maß.« »Gewiß habe ich Maß gehalten,« entgegnete Erich Heinsius. »Und mehr, als Sie denken: nicht eine einzige habe ich geraucht, so lange ich da draußen stand.«
»Menschenkind! Mit Ihrem quälenden Rauchhunger? Ja, weshalb denn nicht?«
»Weil ich dazu noch eine zweite Zauberkapsel hätte haben müssen. Die aber war nicht vorhanden. Ich besah nur das Amulett mit den Zigaretten. Dagegen fehlte mir: ein Amulett mit Streichhölzern!«