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Aus den vorhandenen Brevieren der Eleganz läßt sich klar ersehen, wie sich der Gent zu kleiden hat, wenn er spaziert, fährt, besucht, bummelt, sportet, flirtet, heiratet, also wenn er faullenzt, nicht aber, wenn er – was doch immerhin vorkommen mag – auf Seitensprünge gerät und irgendetwas tut. Ratlos steht der Gentleman, sobald er auf den Gedanken verfällt, eine Leistung zu verüben, er weiß dann einfach nicht, was und wie er sich anziehen soll, und alle Literatur läßt ihn im Stich. Diese Lücke soll hier ausgefüllt werden.
Schon beim einfachen Dichten können die gröbsten Verstöße begangen werden. In England gilt es als durchaus stilwidrig, im Smoking mit dem blanken Zylinder auf dem Kopf den Pegasus zu besteigen. Ein mehraktiges Drama kann nur dann gelingen, wenn der Autor sich in hellblauem Pyjama von reiner Seide an den Schreibtisch setzt und dabei einen weichen Filzhut von sattem Grün auf dem Poetenhaupt balanziert. Harmlose Sonetten und Balladen mit unblutigem Ausgang lassen sich auch im gestreiften Sakko dichten.
Außerordentlich wichtig ist die Wahl der Krawatte sowohl für den Dramatiker als namentlich für den Komponisten. Die Tatsache, daß Beethoven seinen »Fidelio« ganz ohne Schlips komponiert hat, steht allzu vereinzelt da, als daß sie zum Range einer Kunstregel erhoben werden könnte. Ein richtiger Schlips ist für einen gediegenen Kontrapunkt ebenso notwendig, als ein falscher selbst die vorzüglichsten Harmonien ruiniert. Wer es darauf anlegt, im Finale einer Sinfonie besonders weihevolle und hinreißende Momente zu finden, der sollte prinzipiell von dem Gebrauch zu heller Schlipse absehen. Dagegen verbürgen mausgraue oder tabakbraune Krawatten auf ganz fein in gleichen Farben untermusterten Hemden orchestrale Effekte von unerhörter Gewalt. Natürlich ist auch hier auf die Individualität der Schaffenden Rücksicht zu nehmen. Richard Wagner trug eine flaschengrüne Krawatte zu schwarzem Cutaway, als er den ersten Akt des Parsifal schrieb. Hieraus aber schließen zu wollen, daß die grüne Krawatte die allein mögliche Vorbedingung für ein Weihfestspiel bilde, wäre verfehlt. Die echte Gralstimmung in einer Partitur läßt sich zweifellos auch auf Grund einer olivengrünen oder milchblauen Krawatte erzielen, falls der Komponist nur nicht verabsäumt, sie in fächerartig auseinanderfallende Flügel zu schlingen.
Schwieriger wird das Problem beim Philosophen, Mathematiker und Naturforscher. Galilei trug zur Entdeckung seiner Fallgesetze ein Nachthemd mit weitem Kragen von Stehumlegeform. Leibniz wiederum bediente sich eines Morning-Hemdes mit angenähten Perlmutterknöpfen und Einsatz aus Pikee, als er die Differentialrechnung erfand. So sehr indes hier auch die Laune des Einzelnen mitspricht, so sicher wird man behaupten dürfen, daß epochale Errungenschaften in den exakten Wissenschaften unmöglich erzielt werden können, wenn der denkende Forscher sich nicht dabei ein Monokel vor die Pupille klemmt. Das sollte jeder Gentleman im Auge behalten, sofern er beabsichtigt, zwischen Dinner und Evening-Flirt die Welt als Gedankenathlet aus den Angeln zu heben.