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Gegen neun Uhr abends erschien ein vornehm aussehender Herr im Hotel, der das beste und teuerste Zimmer verlangte. Man hatte außerdem beobachtet, daß er dem Schofför, der ihn von der Bahn brachte, zwei Mark Trinkgeld verabreichte. Grund genug, um ihn in den Mittelpunkt des Interesses für das gesamte Personal zu rücken. Auf dem Fremdenzettel vermerkte er in flüchtigen Zügen »Dr. Eulenspiegel«, und verfügte sich dann sofort ins Speisezimmer, um dort einen Imbiß einzunehmen.
Der Pikkolo stand ihm am nächsten, und den winkte er heran: »Gehen Sie in die Küche und bestellen Sie mir ein Kalbsrippenstück. Aber nicht mit Gemüsen, auch nicht mit Béarnaise, sondern mit Sufflineflasen.«
Der Pikkolo entfernte sich mit verblödetem Antlitz. Nach wenigen Minuten erschien ein erwachsener, aber nichtsdestoweniger äußerst schüchterner Kellner: »Verzeihung, was hatten der Herr zu dem Rippenstück befohlen?«
Der Gast machte mit den Fingern die erläuternde Bewegung des kulinarischen Streuens: »Ich wünsche Sufflineflasen. Aber fügen Sie in der Küche expreß an, daß die Sufflineflasen nicht länger als fünf Minuten dünsten.« Der Kellner verschwand in sichtlicher Verstörtheit. Er wurde alsbald durch einen imponierenden Oberkellner ersetzt, der seine Vorgänger entschuldigte. Das Personal sei teilweise noch neu, ungeschult und verstünde nichts. Der Herr wünsche wahrscheinlich eine Omelette soufflée?
»Ganz im Gegenteil; Sufflineflasen! Ihr Koch wird schon wissen. Und außerdem noch eins: sagen Sie doch dem Hausdiener, er soll mir sofort den Koffer puntillieren lassen!«
Der kurz zuvor noch so imponierende Oberkellner knickte zusammen. Er machte Augen wie eine Gans, der man mit einem Knüppel auf den Kopf geschlagen hat. Lautlos und verzweifelt entfernte er sich.
Im Hotel herrschte Aufregung. Das Personal raschelte durcheinander und versuchte zu enträtseln. Niemand getraute sich mehr an den Gast mit den schwierigen Aufträgen. Endlich entschloß sich der Chef des Hauses in eigener Person zu einem Vorstoß: »Bitte nochmals um Verzeihung, es wird in der Sekunde alles besorgt werden. Was Ihren Koffer betrifft, so hatten der Herr Doktor besondere Wünsche?«
»Jawohl, der Hausdiener soll ihn sofort puntillieren lassen. Das kann er ja machen, während ich hier das Rippenstück mit Sufflineflasen esse.«
Dem Chef erstarb die Gegenrede in der Gurgel. Es wurde ihm klar: Dieser Gast war nicht zu bedienen; und gerade der mit dem besten und teuersten Salon im ganzen Hause! Das Renommee des Hotels stand auf der Kippe. Da ergänzte der Gast beiläufig: »Übrigens habe ich es mir überlegt. Statt der Sufflineflasen möchte ich eigentlich lieber Bratkartoffeln haben. Und den Koffer kann ich mir ja auch alleine puntillieren.«
Mit einem Freudensatz sprang der Hotelier aus dem Saal ins Vestibül. Der Odem der Erlösung wehte durch das Hotel. Sechs Minuten später dampften die Bratkartoffeln vor dem schwierigen Herrn, und der Hausdiener vergoß eine Träne der Verzückung über dem rätselhaften Koffer. Tags darauf bei der Abreise, verteilte der Fremde fürstliche Trinkgelder, aber was er mit den Sufflineflasen und dem Puntillieren gemeint hat, das hat er nicht verraten. Wir werden es deshalb auch niemals erfahren.
Und das ist sehr schade. Denn Sufflineflasen müßten doch eigentlich, wenn sie bloß existierten, ganz vorzüglich schmecken, und ein puntillierter Koffer besitzt vor einem unpuntillierten zweifellos den Vorzug der Neuheit.