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Island ist von mir einmal »das Königreich von 0,9« genannt worden. Null Komma neun, das ist die Bevölkerungsdichte auf ein Geviertkilometer. Deren zählt es einhundertundfünf Tausend, und Seelen noch unter hundert Tausend. Diese knapp hunderttausend Menschen halten sich einen König. Für einen König ist er gewiß nicht teuer, aber sechzigtausend Kronen kostet er sie doch im Jahre. Sie leisten sich drei Minister, einen Reichstag, der jährlich an hunderttausend Kronen verschlingt, haben eigene Universität (wenngleich nicht mit allen Fakultäten), eigene Gerichte, ein Gymnasium, manche Mittelschule, viele Volksschulen. Durch ihr für sie viel zu großes Land laufen zahlreiche Straßen, vielfach durch öde Gegenden, auf lange Strecken zwar in recht mäßigem Zustande, aber doch einmal gebaut, also totes Kapital, und erhalten müssen sie bis zu dem Grade der Benutzbarkeit werden, und dies kostet Geld. Fernsprechleitungen an Gesamtlänge kaum kürzer als die Straßen. Leuchttürme stehen rings an den Küsten; ihr Betrieb, ihre Wärter wollen bezahlt sein. Kurz: die Kosten eines selbständigen Staates gelegt auf die Schultern einer Menschenzahl, die in Deutschland eine bessere Provinzstadt füllt. Man erinnere sich, welche Mühe solche Provinzstädte haben, ihre Stadtrechnung in Ordnung zu halten, in der nicht einmal die Kosten für staatliche Aufgaben enthalten sind, und man wird fragen müssen: ist Island so reich, daß der Luxus staatlicher Selbständigkeit getragen werden kann? Wovon leben diese Isländer eigentlich?
Gewiß, Island hat seine Sorgen. Es hat große Anleihen aufnehmen müssen. Sie sind zu verzinsen und zu tilgen. Es hat seine Geldkräfte gewaltig angespannt, doch noch nicht über das Maß des Tragbaren hinaus. Denn es ist ein reiches Land – oder könnte es wenigstens sein, wenn verständiger und planmäßiger gearbeitet würde. Seine natürlichen Hilfsquellen sind einseitig, sehr einseitig sogar, doch sprudeln sie lebhaft. Haupterwerbszweig ist die Fischerei. So lange in der Welt Fisch gegessen wird, braucht sich der Isländer nicht zu sorgen. Seine Fischgründe sind die reichsten der Welt, und die Fische in ihm die fettesten, die gefangen werden. So groß ist dieser Reichtum, daß fremde Schiffe von weither kommen, um sich an der Ausbeute zu beteiligen. Im Winter hauptsächlich deutsche und norwegische, im Sommer französische und englische. Freilich müssen die Fremden die Dreimeilengrenze achten. Nur Hochseefischerei dürfen sie treiben. Die Küstengewässer (und sie sind die ergiebigsten) gehören nach Völkerrecht den Isländern ausschließlich. Das Völkerrecht, eine höchst zweifelhafte Sache, wie neuerdings niemand besser als der Deutsche weiß, kann nicht verhindern, daß die Fremden auf verbotenem Gebiete fischen. Deshalb hält ein Kanonenboot Küstenwacht. Kein isländisches; den Luxus einer Kriegsmarine kann sich das Land nicht auch noch gestatten. Laut Staatsvertrag besorgt ein dänisches Kanonenboot die Polizei. Fängt es einen Missetäter ab, so verfällt die gemachte Beute samt Fanggeräten der Beschlagnahme und Zwangsversteigerung. Außerdem wird das Schiff konfisziert und gleichfalls versteigert oder, in leichteren Fällen, mit einer Geldbuße von zehntausend isländischen »Goldkronen« (die es nicht gibt) belegt; das sind (im Frühjahr 1924) rund fünftausend deutsche Festmark.
Küsten- wie Hochseefischerei werden in den gewöhnlichen vier Arten betrieben; eine Beschreibung der Einzelheiten wird man uns in diesem Buche wohl ersparen. Ein harter Erwerb ist es, ein gefährlicher auch. Arbeitserfüllt, reich an Entbehrungen, stets umlauert von den Tücken einer wetterwendischen Witterung. Der Küstenfischer zieht noch auf dem Ruderboote hinaus, das bis zu zwölf Ruderbänken groß ist. Boote mit Motorantrieb finden jedoch mehr und mehr Verwendung. Für Hochseefischerei besitzt Island insgesamt rund dreißig Dampfer; sie entsprechen dem jüngsten Stande der Technik. Auch Fischerei ist ein blutiges Gewerbe. Der Binnenländer macht sich hiervon kaum die rechte Vorstellung. Kommt die Ausbeute an Bord, so wird dem Fisch der Hals von unten her zur Hälfte aufgeschnitten und man läßt ihn sich totbluten. Geschähe dies nicht, würde er verderben. Da färbt sich das Meer rings um solches Schiff, denn es sind Zehntausende, deren Lebenssaft dahinein fließt und tröpfelt. Hernach wird dem Fische die Leber genommen, denn aus ihr wird der bei Kindern unbeliebte, jedoch höchst wertvolle Lebertran gewonnen. Zur Winterszeit fahren die Fischdampfer meist nach England hinüber, um ihren Fang als Frischfisch zu verkaufen. Hull und Aberdeen sind die Haupthandelsplätze für ihn. Der Verkauf erfolgt in einer Art, die man umgekehrte Versteigerung nennen könnte. Der Fischer bietet zu einem Preise an, den er erzielbar hält. Findet sich kein Käufer, so geht er mit seiner Forderung so lange Stufe für Stufe hinab, bis einer der Händler zugreift. Man rechnet die Unkosten der Ausfahrt, des Fanges und der Heimfahrt für die in Island übliche Größe der Fischdampfer auf rund achthundert englische Pfund. Was mehr erzielt wird, ist reiner Verdienst. So schlecht ist der Fang nie, daß nicht wenigstens die Unkosten gedeckt würden. Der Erlös ist in günstiger Zeit bis sechzehnhundert englische Pfund und in einzelnen Fällen noch mehr. Das ist dann also ein recht gutes Geschäft, bedenkt man zumal noch den Gewinn der kostbaren Leber, die mit fünfundzwanzig bis fast fünfzig isländischen Kronen das Faß bezahlt wird; ein solches Faß wiegt gefüllt an hundert Kilogramm.
Ein großer Teil des Fisches wird nach Island gebracht, vor allem die Beute des Küstenfischers. Dort salzt man ihn ein oder bereitet Klippfisch aus ihm. Klippfisch? Hm – bei uns ist er, weiß Gott, nicht beliebt, wenngleich er das seine tat, uns über die ärgsten Hungerjahre hinwegzuhelfen. Zum Glück für diesen Klippfisch wie für die Isländer, die an ihm reich werden wollen, hat auch er seine Liebhaber. In Spanien, Italien und Griechenland wird er geschätzt, und neuerdings geht er, dank der Rührigkeit deutscher Ausfuhrkaufleute, bis nach Westafrika. So gut geht das Geschäft in Klippfisch, daß sogar in Deutschland große Anlagen zu seiner Bereitung errichtet worden sind. Die Isländer sind hierüber, begreiflich genug, nicht begeistert. Doch trösten sie sich einstweilen mit der Zuversicht, daß »echter« Klippfisch eben nur in Island herzustellen sei. Und hiermit mögen sie recht haben. Die Sache ist nicht so einfach, wie sie aussieht. Sie setzt bestimmte natürliche Verhältnisse voraus; es läßt sich bezweifeln, daß man sie künstlich mit ausreichendem Erfolge nachahmen kann. Klippfisch wird getrocknet, in Island an der reinen, dünnen Luft und bei dem sommerlichen endlosen Sonnenschein. Man breitet ihn auf den bereits erwähnten Fischtrocknungsplätzen aus, muß ihn aber abends (und selbstverständlich bei ungünstiger Witterung) wieder wegräumen und schichtet ihn dann in hohen Stapeln auf, die mit Segeltuch überdeckt werden. Fünf Tage, unter günstigen Umständen, muß dieses Verfahren wiederholt werden. Dann ist er fertig und stellt eine Konserve dar, die nicht weiter verpackt zu werden braucht, insonderheit nicht in Blechbüchsen eingelötet. Daher seine Billigkeit. Er ist zu einer richtigen Mumie geworden, und diese Mumie verdirbt in Hitze nicht. Dieser Vorzug sichert ihm seine Beliebtheit in heißen Ländern wie den oben genannten. Welche Massen von ihm hinausgehen, kann man während der entsprechenden Jahreszeit in Reykjavik beobachten. Da fahren die Lastautos tagelang, um ganze Schiffe mit ihm zu beladen. Er ist für Island ein gutes Geschäft! Freilich schlägt die Natur manchmal ein Schnippchen und entsendet etwa einen plötzlichen Stauborkan von der früher geschilderten Sorte. Da nimmt der schöne weiße Klippfisch natürlich die entsprechende Farbe an, und »erste Qualität« ist er dann nicht mehr, sondern muß zu billigeren Preisen hergegeben werden. Zur Ehre der Isländer ist übrigens noch zu sagen, daß sie ihren Klippfisch auch selber verzehren; sie überlassen diesen »Genuß« nicht etwa bloß den anderen voller Großmut.
Für den Verbrauch am eigenen Tisch stellt Island auf dem Wege des Trocknens an der Luft auch noch andere Fisch-Mumien her, die als Delikatesse gelten. Deutsche Namen für die so zugerichteten Fisch-Arten vermochte ich nicht zu ermitteln. Es mag hier die Feststellung genügen, daß eben fast jeder Haushalt seinen Fisch selber trocknet. Überall kann man die Fisch-Leichen in Höfen und Gärten an Leinen hängen sehen, in unmittelbarster Nachbarschaft von Strümpfen, Unterhosen und sonstiger Wäsche, die gleichfalls trocknen soll. Wie das alles da so friedlich an derselben Leine baumelt, das ist ein überaus beschauliches Bild und entlockt dem Fremden wohl ein Schmunzeln.
Die Lebertrankocherei findet in der Hauptsache im Lande statt; nur wenige Dampfer sind darauf eingerichtet, ihn an Bord zu kochen. Die Leber kommt aus den Fässern in große Kessel, die meist zu je zwei eine Feuerung haben. Etwa fünf Stunden muß gekocht werden. Das Ergebnis sind drei verschiedene Sorten: eine erste, der Medizinaltran; eine zweite: Industrietran; und die dritte, der Preßtran, der nichts ist als Dünger für die Landwirtschaft. Die dritte Sorte bleibt in Island; die beiden anderen gehen in großen Mengen in die Welt hinaus.
Erwähnen wir noch ein Nebenerzeugnis wie das Fischmehl, so ist die kurze Übersicht über das Fischereigewerbe abgeschlossen.
Der isländische Bauer wird von der Natur kärglicher bedacht; doch auch er steht nicht schlecht da. Bauer ist er eigentlich nicht; es gibt in Island nichts zu bauen, da Getreide, Klee und ähnliches nicht reif werden würde. Über den kümmerlichen, gartenmäßigen Anbau einer Rübenart und etlicher Gemüse- und Futterpflanzen geht diese »Landwirtschaft« nicht hinaus. Der Bauer ist Viehhalter, züchtet Schafe und Pferde. Die Schafzucht ist eine verhältnismäßig einfache Sache. Die Tiere werden im Winter zwar im Stall gehalten und verursachen da manche Arbeit. Im Sommer jedoch treibt man sie einfach ins Freie und läßt sie laufen. Sie mögen selber zusehen, wie sie sich durchfüttern. Zuvor wird jedes geschoren und erhält eine Eigentumsmarke aufs Fell gepinselt oder ins Ohr geschnitten. Im Herbst treibt man sie wieder zusammen, und aus der Riesenherde, die da zusammenkommt, sucht sich jeder Bauer dann seine Tiere heraus. Die inzwischen geborenen Lämmer haben natürlich keine Eigentumsmarken. Aber die wissen schon selber, wohin sie gehören, denn jedes hält sich naturgemäß zur Mutter. Nun beginnt das große Schlachten oder das Verfrachten des ins Ausland Verkauften. Das Fleisch der Schlachttiere wird gesalzen und findet zumal in Norwegen Abnehmer. Die Häute werden entwollt. Herbstwolle – wenngleich nicht so wertvoll wie die vorzügliche Frühjahrswolle – sowie die »Blößen«, das heißt die entwollten Häute, geben eine dankbare Handelsware ab.
Die Art, in der der Bauer seinen Beruf heute ausübt, ist offenbar uralt. Es ist daraus zu schließen, daß für bäuerliche Streitigkeiten noch jetzt Gesetze in Kraft sind, deren Alter an siebenhundert Jahre beträgt. Ihre Bestimmungen sind in jener alten Zeit für gerecht und praktisch befunden worden, und sie erfüllen ihren Zweck noch heutigentags, sind nicht veraltet. Es kann sich im Betriebe der isländischen Landwirtschaft in diesen rund siebenhundert Jahren nicht viel geändert haben.
Mit der Pferdezucht hat der Bauer mehr Arbeit. In erster Reihe heißt es, Futter, Gras für die Tiere zu besorgen. Es muß genügend Weide verfügbar sein, reich genug, um auch Heu für den langen Winter zu geben. Wie in einem früheren Abschnitte erwähnt, weist das isländische Flachland die eigentümliche Bildung der unzähligen Erdbuckel und -hügel auf, die wie riesengroße halbe Eier aussehen. Es ist klar, daß in den vielen Gräben zwischen diesen Buckeln kein Gras wachsen kann und daß das Gelände somit durchaus nicht das erbringt, was eine gleiche Fläche in Deutschland auch bei schlechtem Boden tragen würde. Wären die Weideflächen richtige glatte Wiesen, so würden sie bedeutend ergiebiger sein. Dies hat auch der Bauer eingesehen, und er müht sich daher ehrlich, die Buckel und Hügel einzuebnen. Der Boden ist aber wie verhext. Für einen Sommer hält das Ergebnis des Einebnens zwar an, aber im nächsten sind die Buckel wieder da! Der Himmel mag wissen, aus welchen Ursachen! – Die Pferde bilden im Lande selber keinen bedeutenden Handelsgegenstand, wenngleich alle Welt reitet und sie eben haben muß. Abnehmer im Großen ist nur das Ausland, in erster Reihe England. Dort werden die Pferde, weil sie als Ponyrasse klein sind, mit Vorliebe in den Bergwerken verwendet. Das Herz kann sich einem im Leibe herumdrehen bei dem Gedanken, daß diese niedlichen, zutraulichen Tiere dort für den Rest ihres Lebens die Sonne nicht mehr sehen.
Nur ein Nebenverdienst, wenngleich ein guter, sind für Island die Eiderdaunen. Die Eiderenten sind so freundlich, sie sich selber auszurupfen. Man hat nur nötig, sie aufzulesen. Gleichwohl ist das keine mühelose Arbeit; die Stellen, wo die Federn zu finden sind, liegen oft fast unzugänglich, jedenfalls abseits menschlicher Siedelungen. Ohne eine lange Bootsfahrt, beschwerlich und häufig genug gefährlich, geht es nicht ab. Gefährlich ist auch der Beruf derer, die Vogeleier sammeln. Die Vögel nisten ja mit Vorliebe an schroffen Küstenklippen. Ihre Nester sind nur zugänglich, indem sich einer von oben durch seine Genossen hinabseilen läßt. Da hängt er dann frei in der Luft zwischen Himmel und Erde! Stoff für nervenpeitschende Queckbilder!
Fast noch gefährlicher ist das Gewerbe derer, die die Vögel selber fangen. Auch sie lassen sich an senkrecht abfallenden Küstenfelsen hinabseilen, bleiben aber nicht in freier Luft hängen, sondern suchen sich einen Platz, auf dem sie festen Fuß fassen und stehen können. Ihr Gerät ist ein Netz an langer Stange, das man auch Schmetterlingsnetz nennen könnte, wenn es nicht eben viel größer als ein solches wäre. Mit diesem Netze fangen sie die an den senkrechten Felswänden vorbeisegelnden Vögel. Die fliegenden Vögel halten sich zwar mit Vorliebe dicht an den Felsen, dennoch ist es ein Kunststück, ihrer einen im Vorbeihuschen mit dem Netze zu erhaschen; jedenfalls gehört dazu eine viel größere Geschicklichkeit als etwa zum Einfangen eines Schmetterlings, hinter dem man ja herlaufen kann, bis man ihn erwischt hat. Der Vogelfänger jedoch kann sich von seinem Plätzchen dort an steilster Wand nicht rühren und ist ganz auf Geistesgegenwart, Geschwindigkeit und Treffsicherheit angewiesen. Obendrein muß er achtgeben, daß er nicht etwa das Gleichgewicht verliert, während er das Netz an der Stange blitzschnell vorschießen läßt, um den Vogel im Fluge zu erhaschen. Wundern muß man sich, daß diese Leute allen diesen Erschwerungen zum Trotze reiche Tagesbeute machen. Mancher bringt es auf zwanzig Stück! Dem gefangenen Vogel wird der Hals umgedreht, und er wird so getötet. Mit dem Kopfe wird das tote Tier unter einen Gürtel geschoben, den sich der Fänger fest um die Hüften geschnallt hat. Dort baumelt es nun, und Opfer reiht sich hier an Opfer, so daß der Fänger schließlich sozusagen von einem ganzen Unterrock aus Vogelleichen umgeben ist, wenn er sich von seinem gefährlichen Standorte wieder emporseilen läßt.
Auch Seehundsfelle kommen von Island, wenngleich nur in mäßigen Mengen. Mehr als etliche Tausend jährlich werden es nicht sein. Weiße sind hier selten, sie sind fast alle silbergrau. In anderen Seehundsgegenden liegt dieses Verhältnis grade umgekehrt. Endlich sind noch Fuchsbälge zu erwähnen, die aber gleichfalls keinen Menschen reich machen können, nur Nebenverdienst darstellen. Seehundsfelle wie Fuchsbälge werden in Island nicht gegerbt, sondern nur, gleich dem Klippfische, getrocknet, gedörrt.
Was nicht aus Island kommt, das ist: isländisches Moos! Das liefert in der Hauptsache Norwegen.
Bodenschätze sind rar. Es gibt Kohlenlager. Doch ist die Kohle nicht wertvoll genug, um sie nach dem Auslande verkaufen zu können. Sie selber zu verbrauchen, hat Island, nach etlichen Versuchen, wieder aufgegeben. Die Heizkraft soll zu gering, die Rußentwicklung dafür um so stärker sein. Offenbar sind's Braunkohlen, die zu Briketts verarbeitet werden müßten. Aber von solchen Dingen wird wohl in Island zu wenig verstanden, und Fremde sieht man neuerdings nicht mehr gern im Lande, zumal solche nicht, deren Gesichtskreis den isländischen übertrifft. Das ist reichlich töricht von den guten Leuten. Die sollten sich einmal einen Mann wie den zu früh verstorbenen Hugo Stinnes verschreiben. Staunen würden sie, was so ein Industriekapitän aus ihrem jetzt halb verschlafenen Lande machen würde! – Zu den Bodenschätzen gehören auch die zahlreichen Wasserfälle, deren größte an Mächtigkeit nur von wenigen in Amerika und Afrika übertroffen werden. Das sind ungeheure Schätze an weißer Kohle, die Island da ungenutzt verrinnen läßt. Angeblich sind die Fälle von bebauten Gegenden und von den Küsten zu weit entfernt. Diese Ausrede – eine solche ist die Begründung – trifft jedoch nicht für alle zu. Auch hatten sich schon Engländer gefunden, denen sie eben nicht zu abgelegen waren und die sie ausbeuten wollten. Dazu versagte Island die staatliche Genehmigung jedoch. Man hat hier – dies soll offen ausgesprochen werden – richtige Angst vor dem Ausländer, fürchtet seine Überlegenheit im Technischen wie im Kaufmännischen und hält ihn sich daher nach Kräften vom Leibe. Durch solche Engherzigkeit wird sich der Lauf der Dinge nicht aufhalten lassen. Mit fast mathematischer Sicherheit läßt sich voraussagen, daß, ja, wann die Menschheit im Stande sein wird, elektrischen Starkstrom ebenso drahtlos zu versenden wie augenblicklich nur Schwachstrom. Ist dieser Zeitpunkt gekommen, dann sind Islands Wasserfälle keine isländische Angelegenheit mehr, sondern eine europäische. Sie sind so mächtig, daß sie vielleicht den halben Kontinent versorgen könnten. England wird sich die Ausbeutung dann schon mit sanftem Drucke zu erzwingen wissen, sofern es nicht die ganze Herrlichkeit hier überhaupt einsteckt.
Alles in allem ist dieses Land nicht arm. Es ist in gewissem Sinne reich, aber doch nur ganz einseitig reich. Nach dem hier Gesagten wie aus früheren Abschnitten kann sich der Leser jetzt ein Bild machen, was in Island zum Lebensbedarfe alles fehlt. Kohle, Holz, Salz, Metalle jeder Art, Mehl, Kartoffeln, Zucker, Baumwolle, Leinen, Leder, Porzellan, Steingut – alles, alles muß vom Auslande gekauft und eingeführt werden. Da Industrie in Island nur in Ansätzen vertreten ist und auch kaum gefördert wird, das Handwerk nicht leistungsfähig genug, um alles das herzustellen, was anderwärts Handwerker leisten, so bedeutet dies: die fehlenden Stoffe kommen meist nicht als Rohstoffe, sondern als fertiges Erzeugnis ins Land. Island ist deshalb, trotz seiner geringen Menschenzahl, kein zu verachtender Kunde. Es kauft dem Auslande erstaunlich viel ab. Voraussetzung hierfür ist, daß sein eigener Verkauf flott vonstatten geht. Hat es keine Einnahmen, so kann es auch nichts ausgeben. Mehr als andere Völker muß es deshalb darüber wachen, daß seine Handelsbilanz nicht passiv wird, daß also nicht etwa mehr eingeführt als ausgeführt wird. Es erklärt sich aus dieser Zwangslage so manche Regierungsmaßnahme, die wie Härte erscheint, es freilich manchmal auch ist, denn richtig sind die hier angewandten volkswirtschaftlichen Grundsätze keineswegs immer. Wie falsch sie im Gegenteil häufig sind, darüber ließe sich ein ganzes anderes Buch schreiben. – Aus dem regen Güterumsatze zwischen Island und dem Auslande erklärt sich andererseits der große Anteil, den der Handelsberuf am ganzen hiesigen Berufsleben hat. Die Zahl der Kaufleute steht in einem ungesunden Verhältnisse zur Bevölkerungszahl. Die isländische Statistik gibt sie (einschl. der Angestellten) mit viertausend an. Doch diese Zahl ist unzweifelhaft noch zu niedrig. Der starke Wettbewerb im Handel bringt es mit sich, daß viele dieser Kaufleute sehr schwachen Boden unter den Füßen haben und bei jeder Verschlechterung der allgemeinen Geschäftslage in die bedrohlichsten Schwierigkeiten geraten. Die Gerechtigkeit erfordert festzustellen: es gibt auch eine Anzahl durchaus gesunder Handelshäuser, die jedes Vertrauen seitens ihrer ausländischen Geschäftsfreunde verdienen. Doch aufgebläht ist der Handelsberuf in Island, über das erträgliche Maß hinaus. Solche Anziehungskraft übt er wohl aus, weil er neben der von jedem Menschen erstrebten und zu erstrebenden Unabhängigkeit auch noch ein bequemes Leben ermöglicht – sofern die Dinge eben gut gehen. Die Gemütlichkeit, um nicht zu sagen: Lässigkeit dieses Kaufmannslebens haben wir ja schon früher kennen gelernt. Sie entspricht der weichlichen Natur des Städters in Island, hat aber auch sonst noch ihre sachlichen Gründe. Die Hetzpeitsche des täglichen Post-Aufarbeitens, unter der deutsche Kaufleute schuften, fehlt hier; Dampfer gehen ja nur alle acht bis zehn Tage, und was man denen an Briefen mitzugeben hat, das spart man auf bis auf die beiden letzten Stunden vor Abgang. Die sonstigen Verhältnisse sind zu klein, der Absatz in den einzelnen Waren zu gering, als daß einer dazu käme, sich auf einen Sonderzweig ausschließlich zu werfen. Spezialfirmen gibt es so gut wie nicht. Alle handeln mit allem und jedem, und es wird bald von diesem, bald von jenem verkauft, heute ein bißchen hiervon und morgen ein bißchen davon. Es ist begreiflich, daß solche Verhältnisse nicht geeignet sind, kaufmännischen Ehrgeiz zu wecken. Auch ist eben alles Bedarfsartikel. Handeln kann man, womit man will; einen Abnehmer findet man schließlich immer, obgleich der Wettbewerb wegen der großen Zahl der Handeltreibenden nicht gering ist. Aber dieser »Wettbewerb« ist eigentlich gar keiner. In Deutschland sucht jeder tüchtige Kaufmann den Mitbewerber in Billigkeit, Güte, Geschick des Angebotes, Schnelligkeit der Lieferung zu überflügeln. Der isländische verläßt sich mehr auf »Beziehungen«. Wie in allen Kleinstädten und Kleinstaaten blüht ein Cliquenwesen – trotz des Evangeliums von der einen großen Familie.
Da die Verhältnisse dem Aufbau und Gedeihen von Großbetrieben in der Tat nicht günstig sind, da wahre Arbeitslust vielfach fehlt, so ist bei vielen das Ideal, durch Spekulation zu etwas zu kommen. Wer Geld hat – mancher eigenes, mancher auch fremdes –, setzt auf eine Hoffnung, will mit einem großen Geschäfte reich werden. Geglückt ist dies bisher kaum einem; wohl aber ist manches Vermögen dabei verlorengegangen. Es fehlt nicht an Persönlichkeiten, die immer »große Pläne« im Kopfe haben und dafür stadtbekannt sind. Da wird von einem neuen Hafen für Reykjavik geredet, wenige Kilometer südlich des jetzigen. Begründung: er liegt England näher (tatsächlich so!). Da kommt einmal ein Goldfieber: die Vulkane haben doch so ungeheure Massen des Erdinnern über Island ausgeschüttet, da muß doch Gold dabei sein! In Island finden diese Herren Spekulanten, die man auch getrost Industrieritter nennen dürfte, so leicht keinen Gläubigen mehr (höchstens Gläubiger). So beglücken sie wohl das Ausland, und sie sollen dort auch schon manche vertrauensvolle Seele »gemacht« haben. Von dem einen dieser Herren erzählt man, er habe einem reichen Engländer für sündhaftes Geld ein altes Bauerngehöft aufgehängt, dessen Vorzug darin liegen sollte, daß man von ihm aus die Erdbeben so gut beobachten könnte; man sei dort mitten darin! Als von diesem Erfolge ein anderer der bekannten Projektemacher hörte, soll er ausgerufen haben: »Was, der hat das Erdbeben verkauft?! Da kann ich noch viel mehr!« Und soll nach England gereist sein und einem anderen dortigen Spleenbesitzer das Nordlicht verkauft haben.
Ein Scherz, oder eigentlich zwei, aus dem eigenen Munde der Isländer! Sie sind übertrieben, aber eben doch nur Übertreibungen, nicht ganz und gar erlogen! So groß Ehrlichkeit und Rechtlichkeit im Lande sind, grade unter den »kleinen« Leuten – Isländern, die im Auslande Anschluß suchen, Projektemachern, Leuten ohne festen Beruf – ihnen gegenüber ist Vorsicht am Platze, mögen sie nun angeblich ehemalige Regierungspräsidenten, Kulturträger oder sonst etwas sein. Man hat Beispiele von Exempeln! Ausdrücklich ausgenommen, von diesem Rate zur Vorsicht nicht betroffen sind diejenigen, die schlicht als Verkäufer isländischer Erzeugnisse oder als Einkäufer eigenen Bedarfs auftreten, und solche, die eine feste Stellung im Auslande, ein Engagement haben.