Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

siehe Bildunterschrift

Kap Nord von Osten gesehen.

1. Kapitel.
Wie kommt man nach Island?

So wie der Student Karl-Rudolf Kuhr aus Kiel darf man es bestimmt nicht machen. Der wackere Kuhr war hernach Sekretär des deutschen Generalkonsulates in Reykjavik und wird in diesem Buche noch erwähnt werden; es sei das Abenteuer seiner ersten Islandfahrt daher hier getreulich berichtet, genau so, wie er es selber erzählt hat.

Die Universität Kiel hatte ein Stipendium zu vergeben für einen jungen Volkswirtschaftler, um gewisse Fragen über isländische Erzeugung und Handelsart an Ort und Stelle zu prüfen und darüber zu berichten. Und dieses Stipendium kam an Karl-Rudolf Kuhr. Groß war es nicht; du lieber Gott, Deutschland war arm geworden. So schmal war es sogar, daß unser junger Freund voraussah, es würde im besten Falle grade für Hin- und Rückfahrt reichen. Also mußte er versuchen, billiger nach Island zu kommen. Der freundliche Leser glaubt nicht, wie viele hilfsbereite Seelen und billige Wege sich in solchem Falle bieten. Im Falle Kuhr war die Seele eine Fischereigesellschaft in Geestemünde, und der Weg war ein Dampfer, der eben ausfahren sollte, in den fischreichen isländischen Gewässern auf Fang auszugehen. Diesem Fischdampfer wurde Kuhr als Ehrengast zugeteilt. Zu bezahlen hatte er nichts; »nicht einmal« die Verpflegung. Das klingt sehr großartig. Nun, die Verpflegung auf solchem Fischdampfer ist eine überraschend billige Angelegenheit: was in die Pfanne kommen soll, wird unterwegs aus dem Wasser geangelt. Und dann – fahren Sie mal auf so einem Ozeanriesen von Fischdampfer über die unartige Nordsee und den ständig von Stürmen aufgewühlten Ozean zwischen Schottland und Island und entwickeln Sie dann Appetit! Also, unser guter Kuhr hat die seelenvolle Fischereigesellschaft wirklich nicht viel gekostet. Dies durfte er übrigens auch gar nicht, die Gesellschaft hatte ausdrücklich die Bedingung gestellt, daß Fahrgast und dessen Landung auf Island unter keinen Umständen Zeitverlust für ihren Fischdampfer verursachen dürften. Zeit ist Geld, vor allem für ein Schiff, auf dem anderthalb Dutzend Männer arbeiten und für jede Stunde zu bezahlen sind.

Karl-Rudolf ging also eines schönen Sommertages quietschfidel an Bord, um Deutschlands Papiergeldboden mit dem edelvalutarischen Island zu vertauschen. An offenen Armen fehlte es nicht, die ihn aufnahmen. Er erhielt sogar eine eigene »Kabine«. Ihre Lage war ausgesucht – niederträchtig, nämlich am Heck, unmittelbar über der Schiffsschraube und nach Format und Größe einem Sarge verzweifelt ähnlich. Acht Tage mußte er sie bewohnen, bis Islands Küsten in Sicht kamen. Es mag nicht oft einer Land freudiger begrüßt haben als der geräderte, fast scheintote Karl-Rudolf die ungeheuren Gletscher des Vatna-Jökull, die ihm vom Horizont her verheißend herüberleuchteten. Wenn er nur hinübergekonnt hätte! Aber sein Dampfer durfte ja keine Zeit verlieren, mußte fischen, und dies durfte er nur außerhalb der Dreimeilengrenze. Von »an Land gehen« also keine Rede. Drei Tage spähte der Ärmste sehnsüchtig zum gelobten Land hinüber, das ihm so nah und doch so unerreichbar fern lag. Ob denn nicht ein isländischer Kutter, ein Boot hier hinaus kam, das ihn hätte mitnehmen können! Da, endlich, am vierten Tage kam es vom Lande her. Ein Motorfischerboot. Signale wurden gesetzt. Es mußte verstanden haben, denn es schoß heran, in Rufweite. Und nun begann das Zwiegespräch mit Hilfe des Sprachrohres. – Kann ein Europäer mit einem Chinesen, ein Türke mit einem Papua verhandeln? Sie mögen sich Auge in Auge gegenüberstehen, es wird nichts dabei herauskommen, denn einer versteht den andern nicht. Genau so verlief die Unterhaltung mit den Isländern. Diese biederen Leutchen sind zwar keine Chinesen oder Papuas, nicht einmal Eskimos oder halbwilde Walfischjäger, sondern ein durchaus zivilisiertes Völkchen; aber eine Sprache reden sie – –! Also eine Verständigung war nicht zu erzielen. So rührenden Tonfall Karl-Rudolf Kuhr auch in die Worte legte, die er ihnen hinüberbrüllte, sie ließen sich nicht rühren, fuhren wieder ab. Ob sie nicht begriffen hatten, ob sie nicht gewollt hatten – es wird sich nie feststellen lassen. Vermutlich würden sie nicht gewollt haben, selbst wenn sie verstanden gehabt hätten, denn ein strenges Gesetz verbietet den isländischen Fischern, Fremde von solchen Schiffen, die nicht anlegen, an Land zu bringen.

Der gastfreie Fischdampfer machte reiche Beute. Kuhr hatte dafür keine Aufmerksamkeit, ihn störte nicht einmal der pestilenzialische Gestank, den diese Beute mit sich bringt. Ihn beschäftigte nur der eine Gedanke: wie komme ich an Land? Läßt sich wirklich kein Schiff mit dem Kurse Reykjavik blicken, auf das ich übergehen könnte? – Am nächsten Tage kam eines: ein englischer Kohlendampfer. Man rief ihn an. Er antwortete garnicht. Was kümmerte ihn dieser verdammte German!

Wieder ein Tag verging. Da stieg es riesengroß über den Horizont herauf! Ein mächtiges Schiff, ein leibhaftiger Ozeanriese! Als er näherkam, entpuppte er sich als Passagierschiff für nordamerikanische Vergnügungsreisende. Er war offenbar an der Bäreninsel gewesen und wollte nun nach Reykjavik. Die Erfahrung mit dem Engländer hatte zu denken gegeben. Der Amerikaner sollte etwas energischer um guten Willen angegangen werden. Der Kapitän ließ sich durch Kuhr erweichen, richtige Notsignale auszuziehen. »Schiff in Not! Hilfe dringend nötig!« Tatsächlich, der Amerikaner fiel aus dem Kurs, kam heran. Dann scholl es herüber: Halloh, was habt ihr denn?

– Könnt Ihr einen Passagier nach Reykjavik mitnehmen?

Was soll ich?!

– Ob Ihr einen Passagier nach Reykjavik mitnehmen könnt!

Sekundenlanges Schweigen auf dem Amerikaner. Und dann die Antwort: Go to hell with your passenger! Und er dampfte weiter!

Was ist da noch groß zu erzählen! Karl-Rudolf sah »sein« Island, dem er schon so nahe gewesen, wieder entschwinden. Der gastfreie Fischdampfer mußte heimkehren. Noch acht Tage hatte Kuhr den Genuß seiner Sargkoje, wurde halb taub und fast ganz verrückt durch den Lärm der unter ihm arbeitenden Schiffsschraube, starb beinahe an Seekrankheit und war vier Wochen nach Antritt seiner Islandfahrt wieder in Geestemünde, gebrochen an Leib, Seele – und Magen. Weitere vier Wochen brauchte er, seine Gesundheit wiederherzustellen, und entschloß sich dann blutenden Herzens und blutenden Geldbeutels, nach Island so zu reisen wie andere Leute auch, nämlich mit dem Postdampfer von Kopenhagen.

Die Kuhrsche Polarfahrt mit dem negativen Vorzeichen ist hier aus guten Gründen erzählt worden: sie soll warnen. Island übt grade auf den Deutschen eine in ihren Ursachen unergründliche Anziehungskraft aus; die Sehnsucht, dieses nordische Reich mit eigenen Augen schauen zu dürfen, erfüllt Unzählige, und der Gedanke: »mit einem Fischdampfer kommst du kostenlos hinauf« spukt in vielen deutschen Gehirnen. Vom Gedanken zur Tat ist häufig nur ein Schritt, nur ein kleiner. Sitze ich jetzt auch hier oben am Polarkreis: ich weiß dennoch, wie es in deutschen Köpfen aussieht. Briefe, Sehnsuchtsschreie, inständiges Flehen, dem Schreiber nach Island zu verhelfen, bringt mir jedes Postschiff in Stößen, seit die deutsche Leserwelt weiß, daß so ein »Federvieh« hier sitzt, – und die Quintessenz aller dieser bald sentimentalen, bald stürmischen Zuschriften ist: »bis hin komme ich schon mit einem Fischdampfer, Sie brauchen erst zu helfen, wenn ich dort bin«. – Nein, teurer Freund, Sie kommen nicht hierher, wenigstens nicht auf diesem Wege und nicht an Land. Nicht einer von uns dreißig Deutschen hier ist auf solche oder ähnliche Weise hierhergeraten. Niemand kommt hier an Land, außer auf gradem Wege, und den bilden die Dampfschiffe mit festem Fahrplan. Ein Beispiel noch, welch weite Kreise von dem Gedanken behext sind, auf Fischdampfern kostenlos hierher reisen zu können: ein deutscher Gelehrter mit einem Namen, den die Fachkreise der ganzen Welt kennen, schrieb mir, er hätte »Verbindungen«, um gratis mit einem Trawler nach Island zu kommen. Sein sehnlichster Wunsch sei, dieses Land noch einmal zu sehen, um eine vor zwanzig Jahren hier begonnene wissenschaftliche Arbeit fortsetzen, vielleicht vollenden zu können. Bezahlen könne er die Reise nicht, sei aber seinen sechsundsechzig Jahren zum Trotze bereit, die Strapazen einer Seefahrt auf solcher Nußschale auf sich zu nehmen, wenn er nur überhaupt ans Ziel seiner Sehnsucht gelange. Ob ich ihm hier weiterhelfen könne und so weiter. – Das ist der deutsche Gelehrte, dem die Sache alles, seine Person nichts gilt; der darauf verzichtet, als Reklameberühmtheit durch alle Universitäten der Erde geschleppt zu werden, und sich mit einem Plätzchen auf einem stinkigen Fischtrawler begnügt, wenn er nur den Ort seiner Arbeit erreicht. Das ist deutscher Hochgeist, heldenhaft und rührend zugleich. Niederschmetternd aber ist die Erkenntnis, wie arm wir geworden sind – nein, wie arm wir uns gemacht haben! Die Leuchten unserer Wissenschaft müssen reisen wie ein galizischer Auswanderer! – Die Antwort an den verdienten Gelehrten konnte keinen tröstlicheren Inhalt haben als alles vorstehend Gesagte. Ob er sich wird abschrecken lassen? Beim Schreiben dieser Zeilen steht dies noch dahin, vermutlich nicht – und er wird leider, leider um eine bittere Erfahrung reicher werden. Reisen nach Island geraten überhaupt unter einen ungünstigeren Stern, da hier eine politische Richtung mehr und mehr die Oberhand gewinnt, die unter anderem auch das Ziel hat, das Land gegen alles Fremde abzuschließen – und damit auch gegen die Fremden.

So eine Fischtrawlerfahrt braucht überhaupt nur ein armer deutscher Teufel zu erwägen. Wer die paar Kronen in der Tasche hat, um die Schiffsreise regelrecht zu bezahlen, hat genug Gelegenheit, auf eine ganz behagliche Weise nach Island zu gelangen, von Deutschland her gibt es freilich keine unmittelbare Verbindung. Regelmäßige Schiffslinien bestehen nur mit England, Norwegen und Dänemark. Darunter hat Island selber vier Dampfer laufen, je einen nach Leith oder Hull und zwei nach Kopenhagen. Die Dänen haben eine Linie nach Reykjavik, auf der zwei Dampfer verkehren, und von Bergen her fahren ebenfalls zwei Dampfer mit festem Fahrplan. An Verbindungen ist also kein Mangel, und es vergeht keine Woche, daß nicht wenigstens ein Schiff aus »Europa« in Reykjavik einträfe oder von hier abginge. Die Schiffe dienen selbstverständlich in erster Reihe dem Lastenverkehr, doch sind sie auch für Reisende durchaus erträglich eingerichtet; ja, geht man nach dem bloßen Augenschein, nach dem Äußeren, so sind sie fast elegant zu nennen, wenigstens was die Erste Kajüte anlangt. Die Isländer reisen viel, und da sie keine so armen »Luder« sind wie jetzt wir, stellen sie ihre Ansprüche an »Komfort« und Küche – und diese Ansprüche sind erfüllt. Mancher wird die Preise der Fahrt wissen wollen: der Erste Schiffsplatz kostet von Kopenhagen bis Island l65 isländische Kronen; hierzu täglich 10 Kronen für Verpflegung. Die Reise währt je nach dem Reisewege sieben bis elf Tage. Die Gesamtkosten stellen sich daher auf 235 bis 275 isländische Kronen, das sind 200 bis 220 dänische Kronen (diese Zahlen gelten für das Frühjahr 1924). wir haben dem Buche eine Tafel wissenswerter Adressen beigegeben; dort findet der Leser, der Lust zur Nordlandfahrt verspürt, auch die Namen der Schiffahrtsfirmen und mag bei diesen nähere Auskunft einholen.

siehe Bildunterschrift

Zwischen den Westmänner-Inseln. Im Vordergrunde der Hauptort, Heimey, ein bedeutender Platz für Fischhandel und Fischindustrie. Die Fischerei wird von hier aus mit etwa achtzig Motorkuttern betrieben.

Eine Beschreibung der Seereise gehört in dieses Buch wohl hinein, wenigstens die in Kopenhagen beginnende. Island fängt mit und auf dem Dampfer an, der mit dem Ziele Reykjavik in den Belt hineinsteuert.

Schildern muß der Verfasser wohl seine eigene Fahrt. Der Titel des Buches erheischt es; nicht, daß er sich mit seiner bescheidenen Person hier etwa vordrängen wollte. Und zu beginnen ist dann wohl mit den Erlebnissen in der letzten deutschen Stadt, die ihn beherbergte. Dies war das schöne »Leibzj«. Es herrschte noch die gute alte Zeit, da man Geld noch in Hülle und Fülle hatte und ein Mittagessen von Tag zu Tag um fünfzigtausend Mark im Preise stieg. Damals erfuhr ich zum ersten Male, was für ein Zauberwort Island ist; erfuhr's auf dem Finanzamte, wo man meinen Antrag auf einen Paß und mich selber auf Herz und Nieren prüfte, ob ich nicht etwa Kapitalverschieber sei (Schriftsteller und Kapital! Welche Zusammenstellung!). Nie werde ich das halb verblüffte, halb bekümmerte Gesicht vergessen, mit dem der Beamte mich anblickte, als er sich über den Inhalt meines Begehrens klar geworden. »Sähnsemahdah! Nach Ihsland! Hehrnse, das is Sie awwer sehre weid!« Und dann: »was wolln Snn da?« Schlicht und wahr erklärte ich ihm, ich hätte »Beziehungen« dort oben und daher günstige Aussichten. Da stieg seine Hochachtung zusehends. – Wer je auf der Jagd nach einem Auslandspasse war, wird wissen, wieviel Gänge zur Behörde zu machen sind, bis man ihn hat. Auch ich stieg noch manches Mal die Treppen im Leipziger Finanzamt auf und nieder. Schon beim dritten Male konnte ich feststellen, daß ich eine volkstümliche Erscheinung zu werden begann. Man beguckte mich mit Neugier, als wäre ich eine Kuriosität aus dem Völkermuseum gewesen, und in einem Amtszimmer hieß es sogar halblaut: der Isländer ist wieder da! Der »Isländer«! Ich kam mir ordentlich avanziert vor. Nun, bei der Abreise mußte ich mir selber darüber klar werden, daß ich jetzt wohl zu den Isländern zu zählen hatte. Mein Gepäck mußte Anhänger erhalten mit Aufschrift des Eigentümers und des Reisezieles. »Leibzj« war mein Wohnsitz nun nicht mehr; also mußte ich schreiben »A.M., Reykjavik«. Als dies so schön und selbstverständlich dastand, kam ich mir selber wie ein Fremder vor. Die Gepäckträger lasen die Aufschrift gleichfalls. Es ging wie ein Ruck durch sie. Mit Aufmerksamkeit wurde ich gemustert. Und ich konnte mir zum ersten Male in meinem Leben eine Vorstellung davon machen, wie wohl einem »Valutaschwein« zumute sein mag.

In Dänemark war der Nimbus zu Ende. Dort ist Island kein Zauberwort. Man kennt es, da bis 1918 dänische Provinz, und kennt es nur von schlechter Seite – oder glaubt wenigstens, es zu kennen. Bemitleidet wird dort, wer nach Island geht, nicht angestaunt.

In Kopenhagen war es mein Erstes, mich nach meinem Schiffe umzusehen. Weit in die Vorstadt mußte ich hinaus. Dort lag es am Kai. Nun, Gottlob, es hatte ein ganz anständiges Äußeres, und gar zu klein erschien es auch nicht. Es war, um im Jargon des Kriegsleutnants zu reden, ein »sehr ordentliches« Schiff. Diese Feststellung befriedigte mich. Aber ich erschrak, als ich hören mußte, daß an Abfahrt noch nicht zu denken sei. Streik der Hafenarbeiter. Den Deibel auch, das konnte ja heiter werden! Ganze fünfunddreißig dänische Kronen nannte ich mein eigen! Mein Schiffsplatz war vorausbezahlt, von Island aus: an Bord hatte ich für nichts mehr zu sorgen. Aber wie sollte ich mit fünfunddreißig Kronen in Kopenhagener Gasthäusern tagelang leben! In Deutschland hätte ich mit dieser Summe die Schulden eines kleinen Bundesstaates bezahlen können: in Kopenhagen war sie nichts.

Sie reichte dennoch für die vier Tage, die der Streik noch währte. Freilich war ich dann restlos kahl, so daß ich beim Verlassen des Gasthauses die Trinkgelder in deutscher Währung zahlen mußte. Pförtner, Kellner, Mädchen, Page, jeder erhielt einen 5000-Mark-Schein in die Hand gedrückt, und ich gab sie so, daß man die »5000« auch recht gut sah. Na, die Verbeugungen! Und es rührte mich fast die Erkenntnis, daß es auf dieser großen Welt doch noch harmlose Gemüter gab, die den Schwindel des deutschen Papiergeldes noch nicht ganz durchschaut hatten. – Von meinen Eindrücken in diesen vier Kopenhagens Tagen mag folgendes erwähnt sein. Zwanzig Jahre hatte ich die Stadt nicht gesehen, und ich war erstaunt, daß ein so lebhafter, großer Handelspunkt und Landes-Mittelpunkt sich in fast einem Vierteljahrhundert so wenig verändern konnte. Man nehme irgendeine bessere deutsche Provinzstadt, z. B. das nüchterne Magdeburg, und vergleiche im Geiste, wie es damals aussah mit dem Stande von heute. In Kopenhagen keine Änderung! Es ist, als habe es diese zwanzig Jahre überhaupt nicht erlebt. Und riechen tat es noch genau so gut und fett aus allen Häusern wie damals. Der Däne ist sehr für gutes Essen (und möglichst süß und fade). Bei meinem ersten Besuche war mir von diesem Geruch übel geworden. Jetzt, beim zweiten, da ich aus dem verhungerten Deutschland kam, hatte er gradezu etwas Herausforderndes, Empörendes, Aufreizendes. Im Vaterlands für den Mittelstand eine warme Mahlzeit nicht mehr zu bezahlen – und hier ein Sybariten-Dasein! Waren diese Menschen so viel besser, so viel tüchtiger als wir?

Ich war froh, als ich diesem Geruche und dem Anblicke der süßen und fetten Esser entrinnen und an Bord gehen konnte. Das war abends gegen acht Uhr. Um zehn Uhr setzte sich unser »Gullfoß« in Bewegung. Kurs Island! Ich hatte bis dahin Zeit gehabt, meine Sachen und mich in der Kabine zu verstauen. Zu vier Personen mußten wir uns in sie teilen. Fürs Auge sah sie sehr manierlich aus, hatte aber weder Tageslicht noch irgendeine Vorrichtung, frische Luft zu schaffen. Die einzige Luftklappe war die Tür; doch sie führte nur auf einen Gang, der unter den gleichen Mängeln litt. Schöne Aussichten für eine Seereise von acht Tagen! Und dazu ein abscheuliches Wetter, heftiger Sturm, widerliche Regenschauer: sie machten die Aussichten nicht glanzvoller, versöhnlich stimmte der Anblick eines ganz annehmbaren Speisesaales und eines Rauchsalons am oberen Deck. Das Promenadendeck kam bei diesem sündhaften Wetter nicht weiter in Betracht.

Im Kattegat machte der »Gullfoß« ganz angenehme Fahrt. Dann ging's hinein in den Limfjord, da in Aalborg Lasten einzunehmen waren, durch ihn hindurch und nun schräg über die Nordsee gradenwegs, an den Shetlands vorüber, auf Island zu. In den acht Tagen an Bord hatte ich Gelegenheit genug, isländische Art und isländisches Wesen kennen zu lernen, wenigstens zunächst einmal von der Außenseite. Der Erste Schiffsplatz war überfüllt, wie immer auf den Fahrten, die ohne Zwischenlandung von Dänemark bis unmittelbar nach Island gehen. Man spart auf ihnen vier Tage Zeit und somit auch vierzig Kronen für Verpflegung. Damen und Herren jeden Alters wie Kinder und Personal waren fast ausnahmslos Isländer. In ihrer Kleidung unterschieden sie sich in nichts von uns Deutschen, wie die isländische Kultur äußerlich überhaupt ganz nach Kontinent aussieht; was man an kulturellen Fortschritten für Geld kaufen kann, findet sich auch in Island. Mit dem, was man gute Manieren bei Tische nennt, sah es nicht so glänzend aus. Aber diese kleinen äußeren Mängel wurden wettgemacht durch eine ganz offensichtliche und bei allen, auch kleinsten Gelegenheiten zu Tage tretende Treuherzigkeit. Der Isländer hat wirklich ein ungewöhnlich gutes Gemüt, ist hilfsbereit und stets ehrlich bemüht, sich dem Fremden angenehm zu machen und sich von bester Seite zu zeigen, so gut er es versteht. Die Wirkung ist nicht immer die von ihm erhoffte, denn er hat manche häßliche Gewohnheit, die uns auf die Nerven gehen kann, aber der gute Wille ist immer da, und der versöhnt schließlich mit allem.

In Badeorten wie auf Seereisen werden Menschen schnell miteinander bekannt; die Gesellschaft, die da zusammenkommt, um auf kurze Zeit Kameradschaft zu halten, ist »gemischt«, und es sitzt da manches beieinander, was sich an anderem Orte nicht kennen würde. Gemischt war auch die isländische Gesellschaft auf dem »Gullfoß«. Gleichwohl war selbst für den Fremden herauszufühlen, daß sich alles gekannt haben mußte, auch ehe man sich an Bord zusammenfand. Es waren eben alles Menschen aus der Kleinstadt, und nicht nur aus einer kleinen Stadt, sondern auch aus einem kleinen Staate, und einem weltentlegenen obendrein. Dies zeigte sich nicht nur in den Speise- und Gesellschaftsräumen, nein, auch in den Kabinen. An Unterschieden der Bildung und des Besitzes fehlte es unter ihnen nicht, und es wurde auch von Jüngeren den Älteren und Vornehmeren gegenüber »Abstand« gewahrt; dennoch hatte dieses Zusammenleben einen Einschlag familiärer Vertrautheit, gegenseitiger Ungeniertheit (ich finde kein deutsches Wort für dieses Verhalten). Um auffälligsten für den Fremden war eine regelrechte Rücksichtslosigkeit im äußeren Gebaren. Es schien dabei jedoch niemand etwas zu finden, sie überhaupt garnicht als solche zu empfinden. Da wurden mitten in der Nacht mit erhobener Stimme und unter Gelächter laute Gespräche in den Schlafräumen geführt, bei offenen Türen. In den nicht zu lüftenden Kabinen wurde geraucht, nein, gequalmt; kurz, jeder bewegte sich, als wäre er allein auf der Welt, und die anderen fühlten sich dadurch nicht behelligt. Mit der Zeit habe ich herausgefunden, daß der Isländer gegen Geräusche überhaupt gänzlich unempfindlich ist. Man kann ihm zu solchen Nerven nur Glück wünschen. Es erklärt sich daraus auch, daß er – in einem feineren Sinne – gänzlich unmusikalisch ist. Musik liebt er zwar, aber sie muß mit dem nötigen Geräusch verbunden sein. So ist er auch ein Verehrer des Grammophons. Auf dem »Gullfoß« ließ man es sozusagen Tag und Nacht spielen. Da nach seinen Klängen getanzt wurde, glaubte ich, es sei für die biederen Isländer nur Mittel zum Zwecke. In Reykjavik habe ich mich jedoch überzeugt, daß man es tatsächlich hoch schätzt und daß die »besten« Kreise ihr Musikbedürfnis mit ihm – nun, sagen wir dreist: befriedigen.

Auch den Klang der isländischen Sprache lernte ich kennen. Die Worte verstand ich natürlich nicht. Wie wir später noch sehen werden, verdient diese Sprache, mit Ehrfurcht behandelt und gehört zu werden; ist sie doch jenes Altgermanisch, das auch unsere Vorväter sprachen; ist fast unverändert noch dieselbe Sprache. Wie man aber im frühen Mittelalter dem Kirchengesange der Deutschen nachsagte, er klinge, als poltere ein schwerer Wagen über einen Knüppeldamm, so muß auch vom Isländischen zugestanden werden, daß es eine rauhe Sprache ist. Melodisch und weich kann man sie gar nicht sprechen, nur hart – und schnell. Ich habe auf dieser Fahrt mit Staunen gehört, welchen Zungenschlag die Isländer besitzen. Sie sprechen schneller als die Italiener – und nicht weniger ausdauernd. Schön klingt es nicht, gewiß nicht. Die Sprache besitzt viele au und ei und e-i (wie man das ei in Ostpreußen spricht). Da alle Worte, auch die vielen sehr langen, auf der ersten Silbe betont werden, bekommt der Rhythmus etwas palaverhaftes, plärrendes. Sehr eigenartig berührt das häufig zu hörende »Jau« (das ist unser deutsches Ja), und man kann sich zunächst des Gefühls nicht erwehren, daß diese Sprache wohl ein Mittelding zwischen Bellen und Miauen sein müsse. Dies Gefühl hat, wie mir alle hiesigen Deutschen bestätigten, in der ersten Stunde ein jeder. Aber es verliert sich bald, und man gewöhnt sich an die fremden Laute und Klänge. Und versteht man die Sprache erst, so findet man auch heraus, daß sie durchaus ihre Schönheiten hat. Hiervon später.

Mit einigen wenig ästhetischen Eigenarten des Isländers wurde ich in diesen ersten Tagen bekannt – und vertraut. Die Herrenwelt schnupft gern und viel. Das war früher einmal ein aristokratisches Laster, noch unter dem Alten Fritz. Aber in unserer Zeit denken wir doch ein wenig anders darüber, und das Gefühl, das den Fremden bei der allgemeinen Ausübung dieses »Genusses« beschleicht, ist anfänglich kein angenehmes. Eine zweite Eigenart besteht darin, daß der Isländer – übrigens auch so manche Vertreterin des schönen Geschlechtes – häufig und laut seine Kehle durch Räuspern reinigt und dann – ausspuckt, Spucknäpfe sind in Island in jeder Zimmerecke zu finden, und sie stehen dort nicht für umsonst! Das, was man in Island etwa die gute Gesellschaft zu nennen hat, Akademiker, überhaupt alle, die längere Zeit in Dänemark oder Deutschland waren, sie haben diese Gewohnheit abgelegt. Die übrigen jedoch besorgen dieses Räuspern mit einem Geräusch –! Ich kann nur sagen: das erste Mal war ich regelrecht erschrocken. An Häßlichkeit und Stärke steht dieser Ton dem bekannten Eselsschrei nicht nach, bei dem Damen mit zarten Nerven schon in Ohnmacht gefallen sind. Die Isländer sind liebe, herzensgute Menschen, und unser Buch wird noch viel Gutes und Schönes an ihnen zu rühmen haben – aber diese Untugend sollten sie sich abgewöhnen! Es glaube niemand, daß hier unnötig übertrieben wird: dieses Räuspern steht einzig in der Welt da, und es gehört zum Bilde des heutigen Island unbedingt mit dazu. In der ersten Zeit war ich überzeugt, diese Menschen seien zu bedauern, es mache sich hier ein Zustand krankhafter Reizung der Rachenschleimhäute Luft, vielleicht verursacht durch Beschaffenheit der Luft oder durch das Klima. Heute kann ich versichern: es ist nur eine unschöne Angewohnheit. Übrigens ist dieses Räuspern noch ein Beweis für die oben ausgesprochene Ansicht: die Isländer seien unempfindlich gegen Geräusche. Für sie gibt es keine häßlichen Geräusche – und daher wohl auch, in einem verfeinerten Sinne, keine schönen, keine Musik.

siehe Bildunterschrift

Akureyri im Nordlande, Islands Sommerfrische. Im Vordergrunde die schönen Gärten mit stattlichen Ebereschen, auf die ganz Island stolz ist.

Eine dritte Eigentümlichkeit liegt in der verblüffenden Kürze, mit der ein Isländer einem mit ihm Sprechenden bedeutet, daß er ihn nicht verstanden hat. Der Deutsche sagt da etwa: Wie, bitte? Oder: Wie meinen Sie? Ein einfaches Wie? gilt bei uns schon für reichlich unhöflich. Kinder, die »Was?« fragen, werden gescholten. Und kürzt gar ein Kind dieses »Was?« noch zu »Wa?« ab, wie man es wohl hört, dann kann es sich auf eine Backpfeife gefaßt machen. – Der Isländer, zu dem man vielleicht Minuten gesprochen hat, der aber nicht verstanden hat, sagt einfach »Hah!« Nun ist dieses Hah aber nicht etwa dasselbe, das man auf dem Lande vielleicht vom Dorftrottel zu hören bekommt und das eben nur dumm, idiotisch klingt. Das isländische »Hah« wird mit erhobener Stimme, scharf, fast drohend ausgesprochen. Es beginnt mit einem H, das so stark gehaucht wird, wie der Deutsche es nicht kennt und auch kaum hervorbringen kann. Man verbraucht ein gut Teil Atem, wenn man es richtig bringen will. Der Isländer hat dieses scharfe H in vielen Wörtern, die mit hr anfangen, und es ähnelt dann einem ch (wie in »Kuchen«). Das Hah! also wird mit diesem scharfen H gesprochen, und der Selbstlaut A kommt als metalliger Ton aus rauher Kehle. Diese für Island ganz harmlose Frage Hah! klingt einem Fremden wie ein Anschnauzer. Es ist unfreundlich, feindselig, fast brutal. Ich habe mit manchem Isländer darüber gesprochen, ob sie nicht empfänden, wie »ruppig« es klingt. Man beruhigte mich, es werde ja nur unter guten Bekannten gebraucht; sonst drücke man sich viel höflicher aus. Nun ist wahr, daß der Isländer gegen ihm Unbekannte mit ausgesuchter Höflichkeit verfährt; da die guten Leutchen unter sich aber eben alle »gute Bekannte« sind, so hört man dieses Hah! doch überall, in jeder Unterhaltung. Zumal am Telefon wird es geschmettert, daß ein Schauspieler daran lernen könnte, wie das Hah! zu klingen hat, mit dem er auf die Bühne stürzt, um den Bösewicht auf frischer Tat zu überraschen.

Erachte niemand die Erwähnung dieser Eigenarten als kindisch; glaube auch niemand, die Isländer sollten im Urteile des Lesers herabgesetzt werden. Aber diese Eigenarten bestehen, sind scharf ausgeprägt, und sie sind das Erste, was dem Fremden auffällt, der ins Land kommt, jedem Fremden. Sie zu übergehen, würde das Bild, das wir von Island geben wollen, unvollständig machen. Daß sie in Island nicht nur möglich, sondern die Regel sind, beweist noch nicht, daß der Isländer etwa weniger fein empfindet als wir; beweist höchstens, daß er anders empfindet. In anderen Dingen ist er peinlicher als wir. Die isländische Sprache kennt keinen Sch-Laut. Im Sprachunterricht, den ich hier erteilte, habe ich mich pflichtgemäß bemüht, meinen Herren und Damen dieses Sch beizubringen; den Spanisch und Italienisch Lernenden noch mehr als den deutschen Schülern, denn in diesen romanischen Sprachen ist der Zischlaut noch schärfer als bei uns. Aber überall stieß ich auf Widerstand: die Isländer wollen das Sch nicht sprechen. Zwei Herren gaben mir schließlich den Grund an: sie seien diesen Laut nicht gewöhnt, und zwängen sie sich, dann könnten sie ihn nur hervorbringen unter Hinausstoßen kleinster Speichelpartikel, und dies sei ihnen zu unästhetisch. Auf Deutsch gesagt also: wer sch oder tsch spricht, spuckt, und dies zu tun verbot ihnen ihr geschmackliches Empfinden! Feingefühl fehlt dem Isländer also nicht, doch äußert es sich anders als das unsrige. Darüber zu streiten oder zwischen beiden Auffassungen und Gewohnheiten gar abzuwägen, zu richten, dies wäre müßig. –

Auch kleine Äußerlichkeiten stempelten den »Gullfoß« zu isländischem Boden. Alle Inschriften waren isländisch, und ich sah Buchstaben, die mir gänzlich unbekannt waren; infolgedessen konnte ich den Sinn nicht einmal erraten, obwohl ich in Sprachen sonst nicht zu den Unerfahrensten gehöre. Auch die Farben des jungen Königreiches (Island ist es seit dem 1. Dezember 1918, in Personalunion mit Dänemark) leuchteten allerorten: blauer Grund, in vier Felder geteilt durch einen senkrechten und einen wagerechten weiß-rot-weißen Balken. Und schließlich sah ich noch überall das Hakenkreuz! Dies hat in Island aber nicht entfernt die Bedeutung wie in Deutschland; es ist einfach geschichtlich überkommenes Wahrzeichen. Antisemitismus ist in Island unbekannt; freilich gibt es in ganz Reykjavik auch nur eine einzige jüdische Familie.

Die Seefahrt selber war infolge stürmischen Wetters ein sehr mäßiger Genuß. Mit Ausnahme der Shetlandsinseln nichts zu sehen als trüber Himmel und haushohe Wellen. Das ging so, bis der Gullfoß den ersten isländischen Hafen erreichte: die Westmänner-Inseln. Sie liegen im Süden des eigentlichen Island und sind ein bedeutender Platz für Fischerei und Handel. Den Hafen bildet eine große Bucht, rings von hohen, steilen Felsen eingeschlossen; nur nach Westen zu hat er Ein- und Ausfahrt. Steht der Wind von dort her, so scheut sich jeder Dampfer, einzulaufen; die ungeheure Brandung hat zu solchen Zeiten schon manches Schiff in der Einfahrt zerschellen lassen!

Von hier bis Reykjavik sind noch zwölf Stunden; die Fahrt geht an der Südküste entlang, herum um die langvorgestreckte schmale Halbinsel Reykjanes (Rauchnase), dann nordwärts und nordöstlich in die große Faxa-Bucht hinein, in deren östlichem Innern Reykjavik mit seinem neuzeitlichen, sturmsicheren Hafen liegt. In diesen letzten zwölf Stunden lernte ich die Wucht des Seeganges an Islands Küsten kennen. Der Gullfoß fuhr quer zur Richtung der Brandungswellen, schwankte daher unaufhörlich von Backbord nach Steuerbord und umgekehrt, und diese Pendelausschläge holten so weit aus, daß ich samt einem Klubsessel, in dem ich eingenickt war, umgeworfen wurde. An Islands Küste tobt der Sturm anders als an deutscher!

Ein Teil der planmäßigen Reisen geht nicht unmittelbar nach Reykjavik, sondern »ums Land«, wie der Isländer sagt. Es wird erst die Ostküste, dann die Nordküste angelaufen, und Reykjavik kommt zuletzt an die Reihe. Diese Fahrt ist etwas kostspieliger, da der Reisende bis acht Tage länger unterwegs sein kann und daher entsprechend mehr für die Verpflegung bezahlen muß. Bedenkt man aber, daß man dieselben Kosten auf dem Lande hat, und erwägt man, wieviel von Island man auf dieser Fahrt ums Land zu sehen erhält, so sollte man sie doch nicht scheuen. Es werden eine Menge Fjorde und kleinere Häfen angelaufen, sodaß der Reisende auch gleich ein richtiges Bild von der wirtschaftlichen Lage Islands erhält. Er sieht, daß die Insel eigentlich nur an ihrer Küste bewohnt ist. Er spürt, daß das Schiff die hauptsächlichste Verbindung auch zwischen den einzelnen Ortschaften ist, da es im allgemeinen keine Wege durchs Land gibt, und wo sie vorhanden sind, lassen sie sich nur einen Bruchteil des Jahres über benutzen. Es ist also eigentlich jede Ortschaft dieser Insel für sich selber noch einmal eine Insel. Auf der Fahrt ums Land wird auch offenbar, daß Islands Handel und Gewerbe bar jeder Zentralisation sind, da die Natur einer solchen im Wege steht. Da gibt es »Exporteure« in diesen Küstennestern, die Verbindungen in mehrere Auslande haben, und deren Umsatz im Jahre vielleicht zehn Tonnen Lebertran und einige Zentner Wolle beträgt. Macht nichts, sie sind Exporteure und nennen sich – nach landesüblicher Unsitte – auch »Großkaufmann«. In Island bedeutet dieses Wort nämlich nur, daß jemand Grossist ist, also nur an Wiederverkäufer, nicht an die Verbraucher selber verkauft, und in diesem Sinne kann Grossist natürlich auch der kleinste Pintscher sein, heißen tut er jedoch: Großkaufmann! –

siehe Bildunterschrift

Das malerisch gelegene Isafjord.

In der Überschrift des vorliegenden Abschnittes ist eine Frage aufgeworfen. Wir haben sie bisher nur in einem ganz bestimmten Sinne beantwortet. Man könnte diese Frage auch so verstehen: wie stelle ich es an, um nach Island zu kommen? Es ist vielleicht nicht überflüssig, der so gemeinten Frage gleichfalls eine Antwort entgegenzuhalten.

Das Beispiel aller hiesigen Deutschen wie längerer Aufenthalt im Lande lehren das eine: auf gut Glück sollte niemand hierherkommen! Die Möglichkeiten, das tägliche Brot zu verdienen, sind zu gering. Die Verhältnisse sind klein, sehr klein. Gebraucht wird hier eigentlich überhaupt kein Ausländer. Für sein Können, für seine Intelligenz liegt kein Bedarf vor. Anderen Ländern, bevorzugten Zielen der Auswanderer, sagt man nach, daß dort wenigstens der Bauer oder der Handwerker vorankommen könne. Auch für diese rein arbeitsamen Berufe bietet Island keine günstigen Aussichten. Es gibt einige deutsche Handwerker hier; sie stehen sich ärmlich genug, obwohl sie die Sprache kennen. Sie haben zum Teil bessere Zeiten hier gesehen, denn Island und zumal Reykjavik haben in den letzten zwanzig Jahren einen gewaltigen Aufschwung genommen. Doch nach diesem Aufschwunge ist jetzt ein Stillstand eingetreten, und er wird voraussichtlich längere Zeit anhalten. Island hat sich modernisiert, aber dabei auch seine Geldquellen sehr stark sprudeln lassen und muß nun naturgemäß erst etliche Jahre verschnaufen. Einige deutsche Kaufleute haben gute und gutbezahlte Stellen inne; mehrere von ihnen sind hierhergeholt, und sie hatten natürlich nichts auszustehen; etliche andere sind durch Zufall hierhergeraten, und sie haben sehr, sehr schwere Zeiten durchkämpfen müssen, bis sie sich durchsetzten. Verhältnismäßig zahlreich sind die Musiker. Sie hatten sämtlich einen festen Vertrag in der Tasche, ehe sie an Bord gingen. Aus Gründen, die der geduldige Leser später erzählt findet, verlassen sie Island nach und nach wieder, und Ersatz für sie wird man kaum holen. Ein deutscher Konditor, eine deutsche Friseuse, ein deutscher Seifenchemiker sind Einzelfälle, die niemanden ermutigen mögen, etwa eine ähnliche Existenz hier zu erhoffen. Die wenigen deutschen Studenten können in diesem Zusammenhange außer Betracht bleiben, denn sie sind nicht ausschließlich auf Einnahmen aus Arbeit hier am Platze angewiesen.

Die Frage: wie stelle ich es an, nach Island zu kommen? vermag dieses Buch nicht befriedigend zu beantworten. Es kann nur warnen, als Abenteurer hierher zu gehen. Nicht einmal dem Kapitalisten läßt sich Island empfehlen; wenigstens für eine Reihe von Jahren nicht, da hier Hochschutzzollpolitik getrieben wird und man den Ausländer nicht gern hochkommen sieht. Man fürchtet sich vor ihm – und dies mit Recht.

Vermag Island aus guten (und aus eingebildeten) Gründen Einwanderer auch nicht aufzunehmen – es ist gleichwohl samt seinem Volke ein liebes, ein anziehendes Land. Wer es sich leisten kann, mag sich davon selber überzeugen (und, bitte: im Winter, nicht nur im Sommer!). Den vielen, die dies nicht können, will es unser Buch wenigstens glaubhaft machen.


 << zurück weiter >>