Balduin Möllhausen
Der Piratenlieutenant - Teil 1
Balduin Möllhausen

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Siebzehntes Capitel.

Der neue Vormund.

Vierundzwanzig Stunden waren seit Anna's Uebersiedlung nach Frau von Birks Wohnung verstrichen, und noch immer schwebte man im Hause des Kärrners in Ungewißheit über das Geschick des allgemeinen Lieblings. Die Besorgniß aber, welche man empfand, wurde dadurch erhöht, daß der Professor Frau Kathrin nicht nur keine Auskunft über Anna's Verbleib ertheilt hatte, sondern sich auch hoch und theuer vermaß, weder Anna selbst, noch einen Geheimerath, noch eine Geheimeräthin oder endlich Alvens gesehen und noch weniger gesprochen zu haben. Er flocht sogar einige bittere Bemerkungen ein, wie unvorsichtig man handle, wildfremde Menschen zu sich in's Haus zu nehmen und auf deren Dankbarkeit zu rechnen. Dann schalt er auf die Brauns und auf sich selber, daß sie sich wieder einmal zu einer grenzenlosen Dummheit hätten verleiten lassen; daß dieses aber auch das letzte Mal gewesen und nichts in der Welt ihn jemals dazu bewegen würde, sich um irgend einen Menschen auf der Erde zu kümmern, und wenn er direct vom Himmel herunterkomme.

»Sie wird wohl ihren Vortheil davon gehabt haben, Ihre einfache Häuslichkeit aufzugeben,« schnaubte er Frau Kathrin zu, als diese rathlos vor ihm stand und ihn aufforderte, ihr bei der Wiedererlangung des Mädchens behülflich zu sein.

Frau Kathrin aber entgegnete ihm mit schneidender Schärfe, daß er von jungen Mädchen weit weniger verstehe, als sie selbst von seinen abscheulichen Todtenköpfen und Gerippen, worauf sie noch boshafter hinzufügte, daß ihr an der Heimkehr ihrer jungen Hausgenossin außerordentlich viel gelegen sei, um den Leuten keine Ursache zu fadem Geschwätz und spöttischen Nachreden zu geben, was sie, trotz ihrer großen Mühe, sie zurückzudrängen, sehr feindselig durch einige verrätherische Thränen bekräftigt. Doch auch dem Professor kündigte sie an, daß man ihn verlachen werde, weil er sich sechs Wochen hindurch habe etwas vorspielen lassen, um es endlich wieder zum allgemeinen Gespött aufzugeben.

»Was kümmern mich die Leute und ihr Gespött?« brauste der Professor auf, »ich weiß, was ich in deren Augen bin, und mein schönes Orang-Utang-Skelett wette ich gegen den Brustknochen Ihres abscheulichen Haushahns, daß Ihre Anna sich in diesem Augenblick, wer weiß wo, über Sie sammt Ihren Herrn Gemahl weidlich belustigt, und daß ich selbst nicht minder nur der bucklige Professor für sie bin!«

»Wenn Sie das meinen, Herr Professor!« erwiderte Frau Kathrin ebenso heftig und zornbebend, »dann muß ich Ihnen leider erklären, daß Sie es auch für mich sind!«

Wüthend sprang der Professor empor. Frau Kathrin aber hatte bereits die Bibliothek verlassen, um schnell heimzukehren, wo während ihrer Abwesenheit Anna vielleicht eingetroffen war. – –

Nachdem der Professor einige Male auf- und abgeschritten war, blieb er endlich vor dem Orang-Outang stehen, dem er, wie um sein aufgeregtes Blut dadurch zu beruhigen, lange sehr ernst in die leeren Augenhöhlen schaute.

»O, diese Kathrin,« sprach er laut und vernehmlich, als hätte das Skelett die Fähigkeit besessen, seine Worte zu hören und zu verstehen, »zwar etwas excentrisch, dabei aber eine ganz vortreffliche Frau. Und das arme liebe Kind! Hm, hm, wer wird dem alten buckligen Professor hinfort die Grillen aus dem Kopfe spielen und ihn dafür in freundliche Träumereien wiegen? Hm, es muß Alles zu ihrer Rettung aufgeboten werden, denn die Gefahren, welche solch' anmuthigem Kinde in dem Moraste der Residenz drohen, sind zu groß, zu entsetzlich.« –

»Ein ganz ausgezeichneter Mann, dieser bucklige Professor,« sprach auch Frau Kathrin in Gedanken, als sie beflügelten Schrittes nach Hause eilte, »zwar etwas wunderlich, allein wenn ein Mensch ein gutes Herz besitzt und uns in unserer Noth beisteht, dann ist er's – wenn nur die Pferde erst zu Hause wären!«

Doch die Pferde kamen nicht, und Braun kam nicht, und beinah ein ganzer Tag verstrich, ohne daß es dem Professor gelungen wäre, eine Spur von dem entschwundenen Mädchen zu entdecken; die Hülfe der Polizei aber wollte er nicht in Anspruch nehmen, aus freundlicher Rücksicht für die Entschwundene selbst. –

Genau vierundzwanzig Stunden waren dahin gegangen, seitdem der Miethswagen vor des Kärrners Behausung vorfuhr, als der Herr Rechtsanwalt Alvens behaglich in seinem angenehm durchwärmten Cabinet saß und nach Abfertigung seiner Clienten und Schreiber sich wiederum mit der Durchsicht einiger alten amerikanischen Briefe beschäftigte. Er war recht heiter gestimmt, denn man hatte ihm die verbürgte Kunde übermittelt, daß seine Schutzbefohlene sich an ihre Umgebung zu gewöhnen beginne, zugleich aber war ihm gerathen worden, sich noch einige Tage fern zu halten, um den ersten Eindruck, hervorgerufen durch den gezwungenen Wohnungswechsel, mehr verwischen zu lassen. Außerdem hatte er erfahren, daß der Kärrner Braun zwar im Laufe des Tages heimgekehrt sei, auch seinen Wagen und seinen Hechsel mitgebracht habe, ersterer dagegen von drei Pferden gezogen worden sei, die mit den drei Holsteinern gerade so viel Aehnlichkeit hatten, wie der doppelnasige Hechsel mit einem Windspiel, oder der breitschulterige Kärrner selbst mit einem Actenständer.

Was aus den Holsteinern geworden, wußte er freilich nicht; dies zu erforschen war es indessen früh genug, wenn er sich zu den Brauns begab, um ihnen anzuzeigen, daß er nunmehr in aller Form des Rechts die Vormundschaft über Anna übernommen habe und es für deren weitere Ausbildung mehr, als wünschenswerth sei, den Verkehr mit ihr auf längere Zeit abzubrechen.

»Ha, diese Gesichter, wenn sie erfahren, daß ich schließlich dennoch meinen Willen durchgesetzt,« schmunzelte er vor sich hin, und nachdem er seine weißen Hände ein Weilchen wohlgefällig betrachtet hatte, gelangte er zu dem höchst wichtigen Schluß, daß den langen Nägeln eine kleine Nachhülfe mit dem Rücken des Federmessers durchaus nicht schade. »Ja, diese Gesichter, namentlich das der grimmigen alten Xantippe,« wiederholte er, und zierlich spitzten sich seine Lippen vor lauter Eifer, welchen er seinem geliebten Fingerschmuck zuwendete.

Es hatte draußen geklingelt, und gleich darauf wurde der Kärrner Braun angemeldet.

»Soll eintreten,« befahl Alvens, indem er das Messer zur Seite legte und aus einem offenen Schubfach die beiden auf den Namen Braun lautenden Schuldverschreibungen hervorzog. Kaum aber hatte der Diener das Cabinet verlassen, da flog eine helle Schadenfreude über sein glattes Gesicht.

»Das macht sich ja schneller, als ich dachte,« verlieh er unbewußt seinen Gedanken Ausdruck, »spart mir wirklich den weiten Weg – hat Unglück gehabt mit den Pferden, bedarf mindestens sechshundert Thaler, um neue anzuschaffen, und ich soll helfen: O, o, 's paßt nicht gut zu einander, Klaviere, Klavierlehrerin und Schulden – ei, ei, ei, man wird vornehm – kann unmöglich in Amerika gut geheißen werden.«

Es klopfte bescheiden; gleich darauf stand der Kärrner vor ihm, vor heftiger innerer Erregung seinen lackirten Tresorkasten zwischen den klobigen Fäusten drehend und wendend, als hätte er ihn zu einem leichten Postillonshütchen umgestalten wollen.

»Ah, mein lieber Braun, was bringen Sie Gutes?« rief Alvens mit freundschaftlicher Herablassung aus, indem er sich mit dem beweglichen Stuhlsitz halb herumschwang, »ich beabsichtigte, Ihnen morgen einen Besuch abzustatten, und freue mich daher doppelt, Sie schon heute hier zu sehen. Hoffentlich ist Alles wohl und munter bei Ihnen? Aber was fehlt Ihnen? Was bedeutet Ihr verändertes Aussehen? Nehmen Sie nur den Stuhl dort und geniren Sie sich nicht.«

»Was ich mit Ihnen abzumachen habe, Herr Rechtsanwalt,« entgegnete Braun, sobald ihn jener zu Worten komme ließ, und zugleich riß er in herausfordernder Weise seinen rothen Borstenkragen um mindestens anderthalb Zoll weiter aus dem geblümten Halstuche hervor, »was ich mit Ihnen abzumachen habe, ja, das kann ich successive auch im Stehen besorgen, und bitte ich daher den Herrn Rechtsanwalt, sich lieber meinetwegen nicht zu geniren.«

Alvens gedachte der drei Holsteiner und empfand ein heimliches Grausen; denn des Kärrners Stimme klang so merkwürdig drohend, als hätte er ihm eine furchtbare Anklage zuschleudern wollen. Doch gewandt in allen nur denkbaren gerichtlichen Täuschungen, kostete es ihn auch hier nur einige Sekunden, um seine volle Fassung zurückzugewinnen.

»Aber mein Gott, was ist Ihnen, alter Freund?« versetzte er mit meisterhaft erheuchelter Besorgniß, »kann ich Ihnen rathen und helfen, so sprechen Sie es unumwunden aus. Sie wissen, schon allein unserer gemeinschaftlichen amerikanischen Beziehungen wegen bin ich bei Ihnen mehr, als bei jedem Andern bereit, meine Zeit zu opfern.«

»Und Sie fragen noch, Herr Rechtsanwalt?« erwiderte der Kärrner, und niederwärts flogen die eine Braue und der eine Mundwinkel; »um die amerikanischen Beziehungen scheere ich mich den Teufel; aber die Anna will ich zurück haben, die Anna, die ebenso wenig Lust verspürt, nach Ihrer Pfeife zu tanzen, wie ich mich willig finden lasse, sie successive an Sie abzutreten!«

»Mann, wer sagt Ihnen, daß ich Lust habe, ein mir fern stehendes junges Mädchen nach meiner Pfeife tanzen zu machen?« fragte Alvens erleichterten Herzens zurück.

»Lauter Advokatenkniffe!« polterte der Kärrner, und sein rothes Gesicht lief kirschbraun an, »gesagt hat's mir freilich Niemand, aber weil der Herr Rechtsanwalt schon früher einmal davon sprachen, die Sorge für die Anna zu übernehmen, da denke ich –«

»Nun ja, mein lieber Freund,« fiel Alvens zustimmend ein, und je hitziger der Kärrner wurde, um so ruhiger kreiste sein eigenes Blut, »ich gebe zu, daß ich weiß, wo Fräulein Werth sich zur Zeit befindet; ich gebe ferner zu, daß sie auf mein Anstiften von Ihnen fortgeholt wurde, und was hätten Sie dagegen einzuwenden?«

»Ich?« rief Braun entrüstet aus, und sein Mund beobachtete auf kurze Zeit die ihm von der Natur ursprünglich angewiesene Richtung, während die beiden hellblauen Augen wild funkelten; »was ich einzuwenden hätte? Nun ja, ich habe zuerst einzuwenden, daß Sie das Kind überhaupt fortgeholt haben; ferner, daß die Anna mit List fortgelockt wurde, und drittens, daß Sie überhaupt kein Recht besitzen, sich in meinen Hausstand einzudrängen, und das Geringste, was Sie jetzt thun können, ist, daß Sie noch heute die Anna zurückschicken und das ist meine Meinung, und ich denke, Sie werden mich verstanden haben!«

»Sie gebrauchen harte Worte gegen mich, mein lieber Braun,« erwiderte Alvens gelassen, sobald der Kärrner schwieg, »ja, sehr harte Worte; allein es ist Ihnen nicht zu verargen, im Gegentheil, die Besorgniß um das junge Mädchen gereicht Ihrem Herzen zur Ehre. Leider werden Sie sich aber in das Unabänderliche fügen müssen, indem die Vormundschaft ernstlich darauf besteht, daß Fräulein Werth sich in solchen Kreisen bewege, in welchen sie sich auch fortzubilden vermag. Daß Ihre einfache Häuslichkeit zu solchen Zwecken nicht ausreicht, brauche ich wohl kaum zu erwähnen, dagegen werden Sie durch mich aufgefordert, gelegentlich Fräulein Werths Sachen herauszugeben und mir zugleich Ihre Auslagen in Rechnung zu stellen.«

Eine Weile schaute der Kärrner sinnend vor sich nieder; er ordnete offenbar in Gedanken das Gehörte, und dann antwortet er zwar fest, jedoch nicht frei von unbestimmten Besorgnissen:

»Ich sollte in Rechnung stelle, was wir dem Kinde successive und aus reiner Liebe gegeben haben? Ich sollte mir bezahlen lassen den Segen, welchen die Anna mir und meiner Frau in's Haus brachte? Nein, Herr Rechtsanwalt, da kennen Sie den Braun schlecht. Ich stelle ebenso wenig eine Rechnung aus, wie ich auch nur ein Halstuch von ihr herausgebe, sie möchte denn selbst kommen und mir's abverlangen.

»Bedenken Sie wohl, mein lieber Freund,« ermahnte Alvens, »das junge Mädchen kann in Verhältnissen geboren sein, welche ihm nicht gestatten, von irgend Jemand Geschenke anzunehmen; und dann vergessen Sie nicht, Sie haben in jüngster Zeit Ausgaben gemacht, welche sich drüben kaum rechtfertigen lassen – ich beziehe mich beispielsweise auf das Klavier – und auf Ihrem Gehöft ruhen zwei schwere Hypotheken, die Ihnen gekündigt werden können, und Sie wissen: Unglück schläft nicht; ich will nur einmal annehmen, eins Ihrer werthvollen Pferde fiele, wie sollte es dann wohl werden?«

»Ob eins oder alle Pferde zum Henker gehen, Herr Rechtsanwalt,« fuhr der Kärrner wieder zornig auf, »Sie sind der Letzte, der Schaden davon hätte, und wenn die Anna bei mir bleiben will, so hat das mit ihren Verhältnissen gar nichts zu schaffen, und wäre sie successive auf einem Throne geboren. Ich will das Mädchen heraus haben, trotz aller Advokatenkniffe, und belästige ich Sie daher um weiter nichts, als um den Namen ihres neuen Vormundes, das Andere wird sich dann schon mit der Zeit finden.«

Alvens drehte sich mit einem bedauernden Seufzer sammt seinem Sitz nach dem Schreibtische um, legte sehr bedächtig die beiden Schuldverschreibungen neben einander vor sich hin, und zog noch ein drittes Schreiben aus dem offenen Schubfach, welches er langsam entfaltete und den beiden ersten beifügte.

»Um die Sache schnell in's Klare zu bringen,« hob er im Geschäftstone an, »muß ich Sie bitten, mir einige Fragen zu beantworten, wonach ich Ihnen eine kurze und bündige Erklärung ertheilen werde.«

Dann las er scheinbar in den Documenten, worauf er kalt und theilnahmlos fragte:

»Sie sind mit anderen und schlechteren Pferden heimgekehrt, als diejenigen waren, mit welchen Sie die Reise antraten?«

»Das soll wohl sein, Herr Rechtsanwalt.«

»Haben Sie Ihre guten Pferde verkauft oder vertauscht?«

»Was ich mit meinen Pferden beginne, kümmert weder Sie, noch irgend einen anderen Menschen; ich räume Niemand das Recht ein, sich in meine Familienangelegenheiten zu mischen.«

Alvens zuckte ungeduldig die Achseln und fuhr fort:

»Ihre Meinung bestreite ich nicht, guter Freund; ich erlaube mir nur, mich in Ihre Familien- und Pferdeangelegenheiten zu mischen, weil Vorkommnisse, wie die angedeuteten, zuweilen dazu dienen, den Credit des gewissenhaftesten Mannes zu erschüttern.«

»Meinen Credit?« lachte der Kärrner bitter, und der Borstenkragen erlitt eine Behandlung, als seien alle Widerwärtigkeiten von ihm allein ausgegangen; »ich möchte denjenigen sehen, der es wagte, meinen Credit zu bezweifeln. Ich schulde Niemand einen Pfennig; die Zinsen für die auf meinem Grundstück haftenden Lasten bezahle ich stets drei Tage vor dem Termin; 'n paar hundert Thaler liegen beständig lose im Kasten, und wer trotzdem noch an meinem Credit rütteln möchte, dem will ich zeigen, was der Credit eines ehrlichen Mannes successive bedeutet.«

»Und dennoch ist es geschehen, mein lieber Braun; man hat Ihr etwas großartigeres Auftreten böswillig ausgebeutet und mich beauftragt, Ihnen diese beiden Hypotheken zu kündigen.«

Der Kärrner fuhr bei dieser Mittheilung erschrocken zurück, und als hätte er das Gehörte für unmöglich gehalten, blickte er starr auf die beiden Documente hin.

»Dahinter steckt der verdammteste Schurkenstreich, der jemals erdacht wurde!« rief er endlich empört aus, »oder man hätte sich successive an mich selber gewendet, anstatt einen kostspieligen Advokaten zu Rathe zu ziehen!«

»Sie irren sich, guter Freund,« wendete Alvens ruhig ein, »es sollen weder Ihnen, noch sonst Jemand Kosten daraus erwachsen. Die Wahrheit ist, der bisherige Besitzer der Documente befand sich in Verlegenheit, und da ihn von dem ihm so dringend nothwendigen Gelde die Kündigungsfrist trennte, so ließ ich mich herbei, ihm die Summe auszuzahlen. Nach dieser Erklärung wird es Ihnen wohl einleuchten, daß die wirkliche Kündigung nicht umgangen werden kann, und die Documente mit Verlust verkaufen –«

»'s ist gut, Herr Rechtsanwalt,« fiel der Kärrner mit erzwungener Ruhe ein, obwohl seine eisenharten Gesichtsmuskeln unter den ihn bestürmenden Empfindungen zu erschlaffen schienen, »Sie haben gekündigt, und ich werde Ihnen bis auf den letzten Pfennig gerecht werden. Wunderbar bleibt's indessen immer, daß gerade Sie, der Sie mir so manches schöne gute Wort gegeben haben, mich successive in Verlegenheit stürzen möchten. Doch gleichviel; Ihr Geld erhalten Sie zur gesetzlichen Stunde, und müßte ich deshalb Haus und Hof verkaufen. Nun haben aber auch Sie die Güte, mir zu erklären, was die Hypotheken mit unserer Anna zu schaffen haben, und dann nennen Sie mir den Namen des Vormundes, der Ihnen wohl successive klar machen wird, was es bedeutet, ein junges Mädchen wider seinen Willen wer weiß wohin zu bringen.

»Treten Sie einmal hierher,« versetzte Alvens mit unerschütterlicher Gelassenheit, und zugleich schob er das zuletzt hervorgesuchte Schreiben vor den Kärrner hin, »lesen Sie gefälligst, was hier geschrieben steht.«

Braun näherte sich dem Tische, seine Fäuste auf die gekrümmten Kniee stemmend, neigte er sich über denselben hin, und langsam und bedächtig entzifferte er Wort für Wort das vor ihm liegende Schreiben.

Er hatte noch nicht die Hälfte der ersten Seite gelesen, als er sich plötzlich mit einer heftigen Bewegung emporrichtete und Alvens ein vor Zorn und Schreck erbleichendes Gesicht zukehrte.

»Sie – Sie wären also selber der –?« fragte er verstört.

»Der gerichtlich eingesetzte Vormund,« ergänzte Alvens mit versteckter Schadenfreude.

»'s ist unglaublich,« brachte der Kärrner mühsam hervor, und mit der rechten, weit geöffneten Hand über sein breites Gesicht hinstreichend, fuhr er mit gedämpfter, heiserer Stimme, wie im Selbstgespräch fort: »freilich, da kann ich wohl nichts gegen Sie ausrichten, aber niederträchtig bleibt's, erstens mit den Hypotheken und dann mit dem Mädchen. Hm, 's ist aber successive noch nicht aller Tage Abend, und die Anna wird selber auch wohl noch ein Wörtchen mitreden dürfen. Wo haben Sie das arme Kind untergebracht?« fragte er darauf mit einem grimmigen Seitenblick auf den Rechtsanwalt.

»Da ich als Vormund den Verkehr zwischen Ihnen und dem Mädchen abgebrochen wissen möchte,« antwortete dieser entschieden, »so können Sie wohl kaum erwarten, mit Fräulein Werths Wohnung bekannt gemacht zu werden.«

Braun zuckte nun seinerseits geringschätzig die Achseln und ergriff den steifen Lederhut, der so lange auf seinem Stuhl gestanden hatte.

»Sie fürchten, ich würde mich da eindrängen, wo Sie ein größeres Recht haben, als ich?« bemerkte er halb traurig, halb trotzig, »o, da kennen Sie den Braun schlecht. Sie haben mich einschüchtern wollen, und das ist Ihnen successive nicht ganz gelungen; so fest aber vermögen Sie das Kind nicht einzuschließen, daß es seinen Weg nicht zu uns zurückfände. Aufgeben thu' ich's wenigstens nicht, und müßte ich mich deshalb an meinen Bruder wenden, der Ihnen gewiß manchen Thaler zu verdienen giebt.«

So sprechend kehrte er sich der Thür zu, und ohne ein Wort des Abschieds, das Haupt betrübt gesenkt und über den Verlust seines »Schätzchens« grübelnd, begab er sich auf den Heimweg. –

Sobald Alvens sich allein sah, athmete er tief auf, wie Jemand, der sich nach einer schweren Arbeit recht erschöpft fühlt. Dann verwahrte er sehr sorgfältig die drei Documente, die sich in seiner Verhandlung mit dem Kärrner so gut bewährt hatten.

»Dieser Starrkopf will sich an seinen Bruder wenden,« sprach er in Gedanken, »an seinen Bruder, mit dem er es längst verdarb; und nimmt die Geldangelegenheit und den Fall seiner Pferde so leicht, als ob er über Hunderttausende zu verfügen hätte! Wird sich indessen wundern.«

Er erhob sich und die zu seinem Geheimsecretair führende Thür öffnend, warf er einen Blick in das Zimmer.

Beltram saß tief geneigt über seine Arbeit. Das wirre Haar war ihm über die Stirne gesunken und beschattete die blutunterlaufenen Augen, die mit der Regelmäßigkeit einer Maschine der über das Papier eilenden Feder nachfolgten. Nichts deutete darauf hin, daß er das ganze Zwiegespräch zwischen Alvens und dem Kärrner erlauscht hatte; denn die seltsame Röthe der Augen und das leidenschaftliche Zucken der sinnlich aufgeworfenen Lippen konnten ebenso gut von der anhaltenden eifrigen Arbeit herrühren, wie von der gebückten Stellung vor dem Schlüsselloch und den durch das Vernommene wild aufgeregten Leidenschaften.

»Beltram!« rief Alvens, nachdem er sich einige Sekunden an dem unermüdlichen Fleiße seines Sklaven geweidet.

Beltram sprang erschreckt empor.

»Ich bitte um Verzeihung –« stotterte er verwirrt.

»Schon gut, schon gut,« fiel Alvens mit billigendem Kopfnicken ein, »sind noch nothwendig zu erledigende Sachen eingelaufen?«

»Seit Ihrer letzten Anfrage nicht.«

»Um so besser; Sie haben doch nicht mißverstanden, Frau von Birk meinte daß heute und morgen mein Besuch in ihrem Hause nicht unumgänglich nothwendig sei?«

»Sie rieth sogar davon ab.«

»Sahen Sie das junge Mädchen?«

»Fräulein Werth befanden sich wohl und schienen nicht unzufrieden mit ihrer Lage.«

»So? Nun morgen in der Frühe, nachdem Sie hier geöffnet haben, begeben Sie sich wieder zu Frau von Birk, um sich in meinem Namen nach dem Befinden der gnädigen Frau und meines Mündels zu erkundigen. Bemerken Sie dabei: die Blumen, welche im Laufe des Tages eintreffen würden, seien diesmal ausschließlich für Letztere bestimmt.«

»Sehr wohl, Herr Rechtsanwalt.«

»Heute Abend dagegen, die Stunde bleibt Ihnen überlassen, mögen Sie den Kärrner besuchen. Derselbe scheint sich über die Trennung von der jungen Dame nicht trösten zu können. Theilen Sie ihm daher mit, Fräulein Werth fühle sich glücklich und zufrieden, doch wohlverstanden: die Wohnung der Frau von Birk bezeichnen Sie ihm nicht, er würde sonst ohne Zweifel die Dame sehr belästigen. Sie brauchen überhaupt nicht zu thun, als hätte ich Sie geschickt. Nebenbei erkundigen Sie sich doch, weshalb Braun mit fremden Pferden heimkehrte; der gute Mann wird hoffentlich keinen Unfall mit seinen eigenen erlitten haben.«

»Ich werde Alles pünktlich ausrichten.«

»Ich baue fest auf Ihre Zuverlässigkeit; Sie wissen ja, wie sehr ich mich Ihrer opferwilligen Treue versichert halten darf.«

Eine sengende Gluth schoß bei dieser Andeutung in das knochige, sommersprossige Gesicht, während ein leises Beben die engbrüstige Gestalt durchlief. Das Entsetzen, welches Beltram früher empfand, wenn Alvens ihn an seine Leibeigenschaft erinnerte, wurde übertroffen durch die Besorgniß: das Fehlen des furchtbaren Schriftstückes durch Zufall vor der Zeit entdeckt zu sehen.

Alvens, befriedigt durch die äußeren Beweise der unerschütterlichen Treue seines Geheimsecretairs, empfahl diesem noch einmal, beim Verschließen der Thüren recht vorsichtig zu Werke zu gehen, worauf er sich nach kurzem Aufenthalt in dem Cabinet, nach seiner Wohnung begab.

Eine halbe Stunde später verließ er das Haus, um nach seiner alten Gewohnheit erst gegen Morgen wieder heimzukehren. Bald nach seiner Entfernung polterten die Schreiber die Treppe des Hinterhauses hinunter, wogegen Beltram in bescheidenster, fast ängstlicher Haltung die breiten Stufen des Vorderhauses hinabschlich. –

 


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