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In einer der abgelegensten Vorstädte der Residenz, wo man sich in einem Landflecken oder gar in einem Dorfe wähnen konnte, lag das kleine Gehöft des weit und breit bekannten Kärrners Braun. Dasselbe erhob sich auf einer durchaus glücklichen und vorteilhaften Stelle, indem sein nächster Nachbar links ein Hufschmied war, rechts dagegen ein Stellmacher seine Werkstatt aufgeschlagen hatte, während gegenüber Bäcker, Fleischer und Kaffeekrämer sich der schönsten Aussicht auf das Gehöft des Kärrners erfreuten.
Es war dies freilich keine Aussicht, die sich mit einem Blicke auf das Rathaus und sonstige entsetzlich wichtige Baulichkeiten messen durfte, allein wer nur immer mit einem Kennerauge auf das kleine einstöckige Haus mit daran stoßender breiter Einfahrt, auf den geräumigen Hof, die Remise und den Pferdestall nebst Heuboden hinsah, der empfand stets eine gewisse innere Befriedigung über die musterhafte Ordnung, welche nach allen Richtungen hin auf dem ganzen Grundstück herrschte. Sauberkeit und Nettigkeit überall, von dem geweißten Schornstein bis herab in die gußeisernen Pferdekrippen, aus welchen Austern und Hummern zu essen, die verwöhntesten Exzellenzen und Geheime-Kommerzienräte sich nicht hätten zu scheuen brauchen.
Und dabei waren denjenigen, welche den Kärrner Braun zu sprechen wünschten, das Auffinden seines Hauses so unendlich leicht gemacht; doch nicht, als ob hier die vergoldete Nummer den Ausschlag gegeben hätte, nein, keineswegs, denn Nummern trugen alle Häuser und die richtige konnte man vergessen haben, aber ein Schild prangte über der Haustüre, ein Schild, so groß und bezeichnend, daß ein neu angekaufter Holsteiner mittelst desselben ohne weitere Hülfe seinen Weg nach dem ihm bestimmten Stalle gefunden hätte.
Auf dem Schilde sah man nämlich einen hellblauen, sehr künstlerisch gleichmäßig angestrichenen Himmel; vor dem Himmel schwebte in freier Luft ein schmaler Wiesenstreifen, der einen sehr großen, weiß verdeckten Frachtwagen trug. Gezogen wurde der Frachtwagen von nur zwei Pferden, indem die Fläche nicht ausgereicht hatte, auch noch das dritte auf derselben anzubringen; diese beiden waren aber dafür um so besser geschult, denn so gleichzeitig hoben sie die beiden rechten Vorderfüße empor, und so gleichzeitig stellten sie die beiden linken Hinterfüße nieder, dass der schwierigste Exerziermeister darüber hätte in Entzücken geraten können. Sogar der gemalte Kärrner mit dem blauen Hemde und der in wunderbaren Wellenlinien um sein Haupt fliegenden Riesenpeitsche hielt gleichen Tritt mit den Pferden, wobei nicht unerwähnt bleiben darf, dass in dem steifgliedrigen Gesellen nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem Kärrner Braun zu entdecken war, es sei denn, man hätte die Figur des Ersteren, dessen Hutrand mit der höchsten Spitze des Frachtwagens abschnitt, als eine schwache Anspielung auf den mächtigen Gliederbau des letzteren betrachtet.
Die Haustür unter dem Schilde berührte beim Öffnen mit einem eisernen Stift eine leicht federnde Klingel, so dass jeder Eintretende, gleichviel weß' Ranges und Standes, sich auf das Geräuschvollste anmeldete. Hinter der Haustür lag eine geräumige Flur, auf welche drei andere Türen mündeten. Die eine führte geradeaus durch eine saubere Küche auf den Hof; die zweite öffnete nach links in ein wohl eingerichtetes, jedoch unbewohntes Gemach, und die dritte führte rechts in das Wohnzimmer des Kärrnerehepaars, an welches sich nach hinten heraus noch eine umfangreiche Schlafstube mit Alkoven anschloß.
Einfach war das Wohnzimmer eingerichtet, einfach und dabei doch behaglich, wie es anspruchslosen, rechtschaffenen Bürgersleuten geziemt. Alles trug den Stempel der Gediegenheit und fast peinlicher Sauberkeit: der schwere, eichene Tisch wie die braunen Holzstühle, das altmodische Kleiderspinde wie die feste, birkene Kommode. Sogar der ledergepolsterte Lehnstuhl und das ähnlich gepolsterte Sofa schienen für die Ewigkeit berechnet zu sein, während die weiße Stubendecke und der weiß gescheuerte, mit weißem Sande bestreute Fußboden wieder freundlich für eine gewisse Neuerungssucht sprachen. Ein einfacher Goldrahmspiegel und mehrere wohlerhaltene, sonst aber ziemlich wertlose Lithographien schmückten die grau tapezierten Wände; blau und weiß gestreifte Gardinen hingen an den beiden Fenstern. Rechnet man hierzu noch einen zierlichen polierten Nähtisch, einen Thermometer, einen Wetter prophezeienden Laubfrosch in einem langen Bierglase, und endlich noch einen schwarzen Korbstuhl, so hat man die ganze Einrichtung des Gemaches, in welchem der Kärrner und seine Gattin nunmehr schon über fünfundzwanzig Jahre in nie gestörter Eintracht gehaust hatten.
Frau Kathrin war eben aus der Küche gekommen, wo unter der Aufsicht einer Magd das Mittagsmahl für Menschen und Tiere auf dem Feuerherde langsam brodelte; um die Zeit nicht unbenutzt verstreichen zu lassen, hatte sie zu ihrem Strickzeug gegriffen und an dem einen Fenster vor dem Nähtischchen Platz genommen. Sie saß da, wie sie schon hundert und tausend Mal auf derselben Stelle gesessen haben mochte, nur mit dem Unterschiede, daß in früheren Jahren vielleicht Heiterkeit und Frohsinn auf den mäßig hübschen Zügen thronten, über welche die Zeit verwitternd, oder vielmehr versteinernd hingezogen war.
Ja, versteinernd, denn das hagere, gerunzelte Antlitz mit den schmalen Lippen, den eingefallenen Wangen, der vorspringenden, scharfen Nase und der Einfassung von wohlgeordnetem, grauem Haar, schien in seinem ganzen Leben kein Lächeln kennen gelernt, kein freundliches Wort an andere Menschen gespendet zu haben. Es rief in seiner kalten Regungslosigkeit sogar den Eindruck hervor, als ob freundliche Worte von ihm hätten abprallen müssen, wie der Strahl einer klar sprudelnden Quelle von dem in ihr Bett hineingerollten Granitblock. Erst achtundvierzig Jahre waren über Frau Kathrins Haupt dahingegangen, allein die Spuren der entschwundenen Zeiten hätten nicht tiefer in ihrem Äußeren ausgeprägt sein können, wenn sie der Jahre noch fünfzehn bis zwanzig mehr gezählt hätte. War aber durch Kummer und Gram das Verblühen beschleunigt und dem Altern Vorschub geleistet worden, so deutete nicht die leiseste Miene auf derartige traurige Erfahrungen hin. Sie war stark genug gewesen, alles, was sie litt, in ihrer Brust zu verschließen, störrisch jeden zurückzuweisen, der sich ihr tröstend zu nahen, oder auch nur leicht die wunden Stellen ihres Herzens anzurühren wagte. Es gereichte ihr gewissermaßen zur Genugtuung, dass man sie ihrer Unzugänglichkeit wegen mied, fast fürchtete. Der spöttische Blick ihrer großen blauen Augen aber, welcher denjenigen traf, der gezwungen war, vorübergehend mit ihr zu verkehren, eignete sich am wenigsten, diese Scheu zu vermindern. Sogar in ihrer Haltung sprach sich die starre Sinnesart aus; eine Statue hätte nicht aufrechter dasitzen können, als diese hagere, von einem dunkeln Kleide umhüllte Gestalt. Den Kopf neigte sie leicht nach vorn, und leise knisternd, gleichsam mechanisch, rührten die kundigen Finger die Nadeln ihres blauen Strickzeugs.
Etwa eine Viertelstunde war verronnen und nur einmal, als eine laut schnatternde und kreischende Heerde Gänse vorbeigetrieben wurde, hatte Frau Kathrin einen feindseligen Blick durch's Fenster auf die Straße geworfen.
Da ertönte die Klingel auf der Hausflur; ein Zug von Unwillen glitt über das ernste Antlitz und die Stricknadeln arbeiteten, als hätten sie durch die fortgesetzte Reibung in Rotglut versetzt werden sollen.
Gleich darauf klopfte es an die Stubentür; ein kaltes »Herein« entwand sich den zusammengepreßten Lippen und unter den gesenkten Lidern hervor stahl sich ein flüchtiger Blick auf den Eintretenden.
»Besten guten Tag, meine liebe Madam Braun!« hieß es im verbindlichsten Tone, und ein älterer Herr, der sich sowohl durch seinen Anzug, wie durch sein Wesen als ein Mitglied der feinsten Gesellschaft auswies, schritt auf die Kärrnerfrau zu.
Diese neigte zum Gegengruß, ohne aufzuschauen, leicht das Haupt, dann strickte sie weiter, als ob sie, außer einigen Fliegen und dem auf seinem Leiterchen hoch oben gutes Wetter prophezeienden Laubfrosch, das einzige lebende Wesen in dem Gemach gewesen wäre.
Der Ankömmling, der in seinem glattrasierten Gesicht und in den scharfen, dunkelbraunen Augen denselben Ausdruck zeigte, welchen er in seinem Bureau beim Durchblättern der Akten zur Schau tragen mochte, schien mit dieser Art von Empfang vertraut zu sein; denn anstatt Mißvergnügen zu verraten, schob er einen Stuhl in die Nähe des Fensters, auf welchen er sich gelassen niedersetzte.
»Sie erlauben, meine liebe Madam Braun,« bemerkte er dabei ruhig, wie jemand, der sich vollkommen zu Hause fühlt.
»Mein Mann befindet sich auf der Reise,« versetzte die Angeredete kurz, und die Stricknadeln kämpften mit so blinder Wut, dass eine Masche fiel, welche indessen alsbald wieder mit großer Gewandtheit aufgenommen wurde.
»Es tut mir zwar leid, Ihren braven Mann nicht persönlich begrüßen zu können«, erwiderte der Herr, einen prüfenden Blick durch das Gemach sendend, »doch Sie wissen ja, meine liebe Madam Braun, die Geschäfte, welche mich hierherführen, sind der Art, daß die Gegenwart Ihres Mannes nicht gerade unumgänglich notwendig ist.«
»Weder die Gegenwart meines Mannes, noch die meinige«, bemerkte Frau Kathrin mit unerschütterlicher, beleidigender Ruhe; »tun Sie, als ob ich ebenfalls nicht zu Hause wäre – ich werde ein gleiches Verfahren mit Ihnen beobachten.«
»Recht gern würde ich Ihrem deutlich ausgesprochenen Willen gemäß handeln, meine liebe Madam Braun,« entgegnete der Herr mit einem verbindlichen Lächeln, von welchem es schwer zu unterscheiden, ob es mehr eine Folge des über das seltsame Benehmen der Kärrnerfrau empfundenen Ergötzens, oder einer heimlichen Schadenfreude, »ja, recht gern,« wiederholte er bedächtig, »allein ich muß Sie leider darauf aufmerksam machen, daß ich mich amtlich hierher verfügte und daher gezwungen bin, einige Fragen an Sie zu richten.«
»Amtlich,« spöttelte Frau Kathrin, indem sie ihre großen blauen Augen mit eisiger Kälte flüchtig auf ihren Besuch richtete, »ich möchte wissen, was die sich regelmäßig wiederholenden Belästigungen mit Ihrem Amte gemein haben.«
»Wenn meine Freunde mir Aufträge ertheilen und ich sie ausführe, befinde ich mich im Amte, und da ich mich im Auftrage des Herrn –«
»Sprechen Sie den Namen nicht aus, Herr Alvens,« fuhr Frau Kathrin hastig empor, und das Beben ihrer farblosen Lippen zeugte von ihrer inneren tiefen Bewegung, »tun Sie, was Sie glauben, das Ihres Amtes sei, aber lassen Sie mich den Namen nicht hören! Schauen Sie sich um, prüfen Sie alles, ich für meine Person dagegen will unbehelligt bleiben, und wenn ich Ihnen nicht die Tür weise, Ihnen verbiete, jemals die Schwelle dieses Hauses wieder zu betreten, so verdanken Sie das nur dem Umstande, dass es mir als das Aufgeben einer letzten Hoffnung erschiene.«
Dann neigte sie wieder das Haupt, und wie die Rapierklingen geübter Fechter, trafen die dicken Stricknadeln aufeinander.
»Und dennoch möchte ich seinen Besuchen ein Ziel setzen, denn alles Warten und Hoffen ist vergeblich«, lispelten die schmalen, blassen Lippen dem eigenen erregten Herzen zu, und eine längere Pause tiefen Schweigens folgte.
Alvens saß in ungezwungener, vornehmer Haltung da; auf seinem zwar nicht unschönen, jedoch nichts weniger als einnehmenden Gesicht spielte ein eigentümliches Lächeln der Überlegenheit; dagegen ruhte in seinen dunkeln, stechenden Augen, die unausgesetzt das scharfe Profil seiner Gegnerin beobachteten, ein lauernder Ausdruck, der sich indessen, so oft die Kärrnerfrau Miene machte, ihre Blicke zu ihm zu erheben, jedesmal gerade in das Gegenteil verwandelte.
»In Ihrer Lebensweise hat sich seit meinem letzten Hiersein nichts geändert?« fragte er endlich im Geschäftston, jedoch nicht unfreundlich.
Eine Masche des Riesenstrumpfes fiel, und erst nachdem diese sehr kaltblütig aufgenommen worden war, blickte Frau Kathrin mit erheuchelter Neugierde durchs Fenster auf die Straße hinaus, wobei sie ausdrucklos bemerkte:
»Wenn sich in den letzten drei Monaten nichts geändert hat, so werden Sie nach Ablauf der nächsten drei Monate alles um so veränderter finden. Geschieht das nicht, so trifft Sie oder Ihre Auftraggeber am allerwenigsten deshalb ein Vorwurf. Wir sind freie, unabhängige Leute; wir besitzen unser Geschäft und etwas Vermögen, und halten wir es für angemessen, auf dieser Stelle ein herrschaftliches Haus zu bauen und statt der Ackergäule schöne Kutschpferde anzuschaffen, so kümmert das weder Sie, noch irgendeine andere Menschenseele.«
Alvens zuckte geringschätzig die Achseln. Das spöttische, ungläubige Lächeln trat deutlicher auf seinen Zügen hervor.
»Bedenken Sie aber auch die Folgen, wenn Sie plötzlich Ihren Stand änderten und aus ihren einfachen Verhältnissen herausträten?« fragte er, jedes einzelne Wort besonders betonend.
Frau Kathrin wendete sich mit einer heftigen Bewegung halb auf ihrem Stuhle um.
»Herr Alvens!« rief sie aus, und ihre großen blauen Augen sprühten, »wenn ich Ihnen nicht jetzt gleich die Thüre weise, so verdanken Sie das allein den Rücksichten, welche ich meinem Manne schulde. Spioniren Sie so viel herum, wie Sie wollen, an mich aber richten Sie keine Ihrer beißenden Bemerkungen mehr, denn ich bin fest entschlossen, Ihre Fragen und Drohungen fortan unbeachtet zu lassen!«
Das bleiche Antlitz neigte sich wieder, die Stricknadeln erneuerten grimmiger und giftiger ihren Kampf; der Rechtsanwalt dagegen, das Vergebliche seiner ferneren Bemühungen, eine friedliche Unterhaltung herbeizuführen, einsehend, hatte sich erhoben und schickte sich an, Abschied zu nehmen.
»So will ich Sie nicht weiter belästigen,« begann er, indem er zuerst die wohlgepflegten Nägel an seinen Fingern andächtig prüfte und demnächst gleichgültig ein Staubfäserchen von seinem Rockärmel entfernte; »den Zweck meines Besuches betrachte ich als erfüllt: Alles ist noch beim Alten; den freundlichst angedeuteten Veränderungen aber kann ich nicht früher meine Aufmerksamkeit zuwenden, als bis Sie wirklich in's Leben getreten sind. Gehaben Sie sich daher wohl, meine liebe Madam Braun, grüßen Sie Ihren Gatten von mir, und auf Wiedersehen nach drei Monaten.«
»Glückliche Reise,« tönte es unter dem gesenkten Haupte so gehässig hervor, als hätten die wildesten Schmähungen nachfolgen sollen, und Frau Kathrin befand sich wieder allein.
Die Stricknadeln knisterten, der blaue Strumpf tanzte; lüstern schielte der grüne Wetterprophet auf seinem Leiterchen nach einer ihn tollkühn umschwärmenden Fliege; mitleidig schauten die lithographirten Gesichter aus ihren Rahmen zu der hageren, fast regungslosen Gestalt hinüber. Die bleiche Hausfrau aber, als sie an dem Schatten erkannte, daß der Rechtsanwalt auf der Straße dicht an ihrem Fenster vorüberschritt, seufzte tief auf, als sei mit ihm eine Unheil drohende Gewitterwolke an ihrem Gehöft vorbeigezogen.
»Die sollen seine Füße schon warm halten«, flüsterte sie nach einer längeren Pause, während die beweglichen Finger den angefangenen Strumpf ausreckten und die schwermüthigen Augen die Weite desselben maßen, »und alt genug ist er, und hart genug gearbeitet hat er auch in seinem Leben, um allmälig Rheumatismus kennen zu lernen – mögen seine letzten Tage ihm leicht werden, der guten, treuen Seele.«
Wiederum seufzte sie; es klang, wie der letzte Athem eines Sterbenden. Dann aber erhielt das bleiche Antlitz einen so menschenfeindlichen Ausdruck, daß man hätte meinen mögen, die kämpfenden Stricknadeln seien vergiftete Pfeile gewesen, welche sich bei jeder neuen Masche tief in ein wundes, ohnmächtig zuckendes Herz bohrten. –
Herr Alvens verfolgte unterdessen mit schnellen Schritten seinen Weg heimwärts.
»Oh, wenn sie nur Ernst machen wollten mit ihrem Bauen und den Kutschpferden,« murmelte er mißmuthig vor sich hin, »zu Credit wollten wir ihnen schon verhelfen, wenn auch auf Umwegen, aber sie sind zu verstockt. Auf eigenen Antrieb thun sie es nie, es müßten denn der Trotz und der Eigensinn der alten Person als Hebel benutzt werden.«
Sein Gesicht legte sich in strenge Falten; ernste Gedanken schienen seinen Geist zu beschäftigen. Es waren offenbar Verhältnisse der wichtigsten Art, welche seinen sich vierteljährlich immer wieder erneuernden Verkehr mit dem Kärrner bedingten. –
Mittag war längst vorüber und Frau Kathrin saß wieder an ihrem Fenster, ihre Aufmerksamkeit allein dem wachsenden Riesenstrumpf zugewendet, als plötzlich von der Straße her der dreimal wiederholte Doppelknall einer Peitsche zu ihr drang.
Alsbald schob sie das zu dem Strumpf gehörende Knäuel unter den linken Arm, und unausgesetzt strickend und ohne vorher einen Blick durch's Fenster geworfen zu haben, begab sie sich nach der Küche. Hier ertheilte sie der Magd einige Befehle, unter welchen vorzugsweise die Worte »Kaffeewasser« und »schnell« sehr vernehmlich hervortönten, und als die drei Holsteiner mit ihrer Last schnaubend und ihre Geschirre schüttelnd vor der Hofeinfahrt anhielten, saß sie bereits wieder auf ihrer gewohnten Stelle vor dem Nähtisch.
Trotzdem die aus allen Richtungen herbeieilenden Nachbarknaben dem gutmüthigen Kärrner beim Ausspannen der Pferde behülflich waren, und selbst im Stalle noch gefällige und nicht ganz unkundige Hände ihm zu Diensten standen, dauerte es doch eine Viertelstunde, bevor er seine breite Figur durch die leise geöffnete Thüre in das Wohnzimmer schob und geradewegs auf seine ämsig strickende Frau zuschritt.
»Da wären wir successive wieder eingetroffen,« sagte er heiter, indem er seine geöffnete Faust auf den Nähtisch hielt, in welche Frau Kathrin sogleich ihre Hand legte.
»Alles gut abgelaufen?« fragten die schmalen, bleichen Lippen, während die blauen Augen einige Sekunden prüfend auf dem rothen, wetterzerrissenen Gesicht ruhten.
»Alles gut und munter,« lautete die pünktlich ertheilte Antwort.
Die wieder leer gewordene Faust zog sich von dem Nähtisch zurück, und nach einer tiefen Verbeugung seines Eigenthümers stand der steife, glanzlederne Tresorkasten an deren Stelle.
»Alles gut abgewickelt,« fuhr der ehrliche Kärrner darauf fort, und vor lauter Selbstbewußtsein schloß er das rechte Auge, senkte er den linken Mundwinkel und zerrte er unbarmherzig an den beiden rothen Bürsten, »der Wagen bleibt übrigens hier stehen, bis ich weiß, wohin die Herren Empfänger ihre Kollers« – Collis wolle er sagen – »gebracht haben wollen. Sonst nichts Neues?«
»Alvens war hier.«
»Hol' ihn der Teufel!« fuhr der Kärrner zornig auf und zugleich warf er einen verstohlenen Seitenblick auf die Straße, wo seine junge Begleiterin, der Verabredung gemäß, hinter dem Frachtwagen stehen geblieben war, »also Alvens; hm, hm, habe ich doch unterwegs an ihn gedacht und sogar von ihm gesprochen; was führte ihn denn schon wieder hierher?«
»Die alte Geschichte, das Vierteljahr war abgelaufen,« versetzte Frau Kathrin, indem sie ihren Gatten forschend, fast mißtrauisch betrachtete.
»Also die alte Geschichte,« bemerkte er plötzlich stehen bleibend, »weißt Du wohl, daß mir dies Spioniren, mag es nun gut oder schlecht gemeint sein, successive recht lästig wird?«
»Ist mir schon lange lästig gewesen,« schienen die fünf Stricknadeln zu zischen, denn für eine menschliche Stimme klangen die scharf ausgestoßenen Worte beinahe zu feindselig.
»Ja, wenn's noch so wäre, wie früher,« stöhnte der Kärrner, und sein Gesicht lief, in Folge der Bemühung, seine innere Erregung niederzukämpfen, dunkelbraun an.
»Still, Christian, still,« tröstete die Kärrnerfrau schnell, »was nicht zu ändern ist, ist nicht zu ändern; betrachte einmal diese Wolle und sage, wie sie Dir gefällt.«
Dumpf und barsch klang die Stimme, allein in ihrem Tone mußte etwas verborgen sein, was einen eigenthümlichen Zauber auf den Kärrner ausübte, denn sein Gesicht nahm seine natürliche Farbe an und legte sich in begutachtende Falten, während er die Weite des Strumpfrandes sorgfältig prüfte.
»Gut, sehr gut, liebe Kathrin,« murmelte er dann wohlgefällig, und wiederum schielte er nach dem Wagen hinüber; »'s geht nichts über warme Füße – ja – hm – ich meine so successive –«
»Was ist Dir?« fragte Frau Kathrin befremdet, denn sie fühlte heraus, daß irgend ein Umstand mißlicher Art sein Gemüth beschwerte; »die Pferde sind doch gesund?«
»Vollkommen gesund; aber hast recht, 's ist mir was in die Quere gekommen, wodurch ich sehr zweifelhaft geworden bin.«
»Und das wäre?« hieß es weiter, und wenn die Stricknadeln, anstatt des kalten, theilnahmlosen Antlitzes, durch ihre Bewegung verriethen, was die Kärrnerfrau bei dieser gleichgültig klingenden Frage empfand, dann hätte man das wiederholte Fehlstechen nach den Maschen mit einem Ausdruck der Besorgniß vergleichen mögen.
»Nun Kathrin, das Ganze ist ein junges Mädchen, welches sich mir unterwegs zugesellte und mich bis hierher begleitete.«
»So?«
»Ja, liebe Kathrin, ein armes, aber sehr ordentliches Kind. Konnte ihm meinen Schutz nicht gut abschlagen, um so mehr, als es hier fremd ist – will ihm aber gleich den Weg in die Stadt beschreiben –« und sich umkehrend schritt er zögernd der Thüre zu.
»Wird wohl ein echter Strolch sein,« rief Frau Kathrin ihrem Gatten spöttisch nach, »aber gleichviel, nachdem Du ihn bis hierher mitgeschleppt hast, würde es merkwürdig aussehen, wolltest Du ihn weiterschicken, ohne ihm eine Stunde Rast gegönnt und etwas Erfrischung gereicht zu haben; nöthig haben wir es freilich nicht, und weggeworfen ist Deine Freundlichkeit unstreitig – aber auch den ersten Besten auf offener Landstraße aufzulesen!«
Die Stricknadeln hatten ihre Ruhe und Sicherheit zurückgewonnen, und so leise und vorsichtig arbeiteten die dürren Finger, als wären sie, nach einer ergreifenden Predigt über den barmherzigen Samariter, über die Tasten einer Kirchenorgel hingeglitten.
»Also Du meinst, ich soll die junge Fremde hereinnöthigen?« fragte Braun, den Thürdrücker in der Hand.
»Wie willst Du's anders machen? Sollen wir etwa den Leuten Gelegenheit geben, uns zu bereden?«
Die Thür schloß sich hinter dem schnell Davoneilenden; gleich darauf öffnete sich vor ihm die Hausthür, und auf die Straße hinaustretend blickte er nach der Richtung hinüber, in welcher er seine junge Reisebegleiterin ängstlich harrend zurückgelassen hatte.
Diese war auf das zu ihr dringende Geräusch schüchtern hinter dem Frachtwagen hervorgekommen; sobald sie aber einen vollen Abblick des rothen Gesichtes ihres Freundes gewann, der ihr mit wunderlich triumphirendem Ausdruck zunickte, fühlte sie sich merkwürdig erleichtert, und wenn auch klopfenden Herzens, folgte sie ihm doch mit wachsender Zuversicht nach, als er ihr in das Haus hinein voranschritt und sie demnächst seiner Frau vorstellte.
»Hier, Kathrin, ist die junge Wandrerin, mit der ich unterwegs Bekanntschaft geschlossen habe,« sagte er mit erzwungener Gleichgültigkeit, worauf er sich nach seinem Lehnstuhl hinbegab, um von diesem Hinterhalte aus den weiteren Verlauf der Sache zu beobachten.
Obwohl Anna auf die Zusammenkunft vorbereitet war, befiel sie ein leises Zittern, als sie sich der seltsamen Frau gegenüber befand, die, anstatt ein Wort des Willkommens an sie zu richten, ihre schwermüthigen Augen durchdringend auf sie heftete und sie mehrere Male vom Kopf bis zu den Füßen kalt und prüfend betrachtete.
Den ernsten, forschenden Blick hielt Anna mit genauer Noth aus; allein die Anrede, welche sie gemeinschaftlich mit dem Kärrner entworfen und auswendig gelernt hatte und die ganz darauf berechnet war, ihr Frau Kathrins Herz sogleich zu öffnen, war plötzlich vergessen. Es beschlich sie das Gefühl, daß sie im Begriff stehe, nach einem vorher verabredeten Plane zu handeln und sich dadurch gleichsam einer Täuschung schuldig zu machen. Dies Gefühl aber trieb ihr das heftig erregte Blut mit Gewalt in die zarten Wangen, und trotz des merkwürdigen Hustenanfalls, durch welchen der Kärrner ihr Gedächtniß aufzufrischen hoffte, standen ihr nur Thränen zu Gebote, die ihr unaufhaltsam in die flehentlich emporschauenden Augen drangen.
Frau Kathrins Gesicht dagegen schien sich bei dem Anblick des zagenden Mädchens noch mehr zu verhärten; wie sich weidend an der Verwirrung eines geängstigten Gemüthes, erweiterten sich ihre Augen, während ein spöttischer Zug um ihre zusammengepreßten Lippen zuckte.
»Man ist wohl sehr weich gestimmt,« lispelte sie endlich ausdruckslos, so daß der ehrliche Braun, welchem die Scene peinlich wurde, vor Verlegenheit mit seiner klobigen Faust bald die rechte, bald die linke rothe Haarbürste aus ihren Grundfesten zu reißen suchte.
»Verzeihen Sie,« stotterte Anna, fast überwältigt von ihrer Enttäuschung und Beschämung, »verzeihen Sie – es lag nicht in meiner Absicht, mich einzudrängen – ich will wieder gehen – gewiß finde ich Jemand, der gütig genug ist, mir den Weg zu zeigen –«
»Und wohin, wenn man das Fräulein fragen darf?« tönte es scharf zurück.
Der Kärrner hustete und räusperte sich, und es bedurfte in der That dieser versteckten Ermuthigung, um das Gefühl gänzlicher Vereinsamung zu mildern, welches das junge Mädchen einer schrecklichen Verzweiflung entgegen zu führen drohte.
»Zu Herrn Alvens bin ich gewiesen worden,« antwortete die Gefragte zögernd und schüchtern.
»Zu Herrn Alvens?« fragte Frau Kathrin heftig und mit höhnischem Lachen; dann aber warf sie einen vorwurfsvollen Blick auf ihren Gatten, als ob sie in ihm den Uebelthäter vermuthet hätte, welcher die junge Fremde an den ihr so verhaßten Rechtsanwalt gewiesen. »Zu Herrn Alvens?« wiederholte sie darauf noch feindseliger, zu Anna gewendet, »und was sucht man bei dem Herrn Alvens, wenn ich so frei sein darf, die Frage an das Fräulein zu richten?«
»Ich glaube, freundlichen Rath von ihm erwarten zu dürfen,« entgegnete Anna, unter den eisigen Blicken der Kärrnerfrau zusammenschauernd, »ich kenne ihn zwar noch nicht,« fügte sie entschuldigend hinzu »allein derjenige, der mir rieth, zu ihm zu gehen –«
»Wie hängt das zusammen?« wendete Frau Kathrin sich an ihren Gatten, denn sie war nunmehr fest überzeugt, daß die junge Fremde allein durch ihn Kenntniß von dem Namen des Rechtsanwalts erhalten haben könne.
»Sie hat einen Brief von ihrer verstorbenen Mutter,« erklärte Braun bereitwillig, und der linke Mundwinkel sank sehr überlegend um etwa einen halben Zoll tiefer herab, »und dieser Brief ist successive an den Herrn Alvens geschrieben worden.«
Frau Kathrin blickte sinnend auf den Riesenstrumpf nieder; die Stricknadeln rüsteten sich zum Kampfe, doch bevor derselbe zum Ausbruch gelangte, kehrte sie sich ihrem Ehegemahl wieder zu.
»Was ist Deine Ansicht in dieser Sache, ich meine mit Rücksicht auf den Rechtsanwalt?« fragte sie eintönig.
»Nun, Kathrin, da brauche ich mich nicht lange zu bedenken,« antwortete der Kärrner, während aus dem einen geöffneten guten, grauen Auge ein unverkennbarer Triumph hervorleuchtete, »ich glaube nämlich, daß wir successive ganz dasselbe können, was der Herr Alvens kann.«
»Gewiß können wir das,« bekräftigte Frau Kathrin, indem die Stricknadeln so sicher und entschieden durch die Maschen fuhren, als seien es lauter Tonnreifen gewesen, »setzen Sie sich!« herrschte sie dann dem gespannt lauschenden jungen Mädchen zu, was auf einen verstohlenen Wink des Kärrners sogleich befolgt wurde, »setzen Sie sich und entscheiden Sie, ob Sie vorläufig hier bleiben wollen, oder die Gesellschaft des hochgeehrten, vornehmen Herrn Alvens vorziehen?«
Anna blickte seitwärts auf den Kärrner, der mit Auge und Mundwinkel zustimmend nickte, und antwortete stotternd:
»Wenn ich wüßte, Frau Braun, daß ich nicht hinderte, im Gegentheil, Gelegenheit fände, mich nützlich zu machen, dann möchte ich wohl lieber – vielleicht einen oder zwei Tage – um –«
»Das »wie lange« wird sich finden,« schienen die gesenkten Augen aus den Maschen des Strumpfes herauszulesen, »und nützlich machen? O, ich gebrauche Niemand, der sich nützlich macht – was könnte eine so feine Dame gelernt haben?«
»Pianum, Kathrin, Pianum fortum,« antwortete der Kärrner an Anna's Stelle.
Frau Kathrin warf wieder einen fragenden Blick auf Anna, die, aufs neue gegen Thränen kämpfend, nur beipflichtend das Haupt zu neigen wagte.
In diesem Augenblick brachte die Magd den Kaffee herein und gleich nach diesem eine Auswahl kräftiger Speisen, die offenbar von der sorglichen Hausfrau für die Rückkehr ihres Gatten besonders angerichtet und aufbewahrt worden waren.
Frau Kathrin wollte noch eine halbe Nadel abstricken und dann mit dem Ordnen der Tassen und dem Vorlegen beginnen, als sie gewahrte, daß Anna sich bereits erhoben und mit der Gewandtheit und Geräuschlosigkeit einer Fee in die Obliegenheiten der Hausfrau eingegriffen hatte. Entsetzt über solche Kühnheit legte sie die Hände sammt Strickzeug in den Schooß; sie schien ihren Augen nicht zu trauen, und erst als Braun sie durch ein bezeichnendes Achselzucken belehrte, daß er weder mittelbar noch unmittelbar Veranlassung zu dem unerhörten Benehmen der Fremden gegeben, gewann sie ihre Fassung so weit zurück, daß sie Anna genauer zu beobachten vermochte. Ihr hageres Antlitz behielt allerdings seinen kalten, menschenfeindlichen Ausdruck; indem sie aber mit wachsendem Erstaunen entdeckte, daß die kleinen zierlichen Hände die irdenen Tassen und Teller unhörbar und ohne auch nur ein einziges Mal anzustoßen hierhin und dorthin stellten, belebten sich die blauen, unheimlich kalten Augen in einer Weise, als ob sie, von Wohlgefallen erfüllt, gar nicht zu dem übrigen Gesicht gehört hätten. Was aber aus ihren Blicken kaum bemerkbar hervorlugte, das stand strahlend geschrieben auf dem breiten, glühendrothen Antlitz des Kärrners, äußerte sich in dem lustigen Zwinkern seiner Augen, in dem krampfhaften Ziehen der Mundwinkel und in der fürchterlichen Grausamkeit, mit welcher die schwielige Faust die feuerfarbigen Bürsten marterte.
Geräthe und Speisen standen wohlgeordnet da, und ängstlich sah Anna auf die Kärrnerfrau, die plötzlich wieder ämsig strickte, als hätte ihr Geist seit der letzten halben Stunde in fernen, unbekannten Regionen geweilt.
»Kathrin, 's ist Alles bereit, und ich verspüre successive einigen Appetit,« bemerkte Braun gutmüthig, und zugleich rückte er mit seinem Lehnstuhl dicht an den Tisch heran.
Frau Kathrin legte das Stickzeug zur Seite und nahm ihrem Eheherrn gegenüber Platz, durch kurzes Nicken Anna einladend, sich ebenfalls zu setzen. Ihre Blicke flogen dabei prüfend über den Tisch, allein nirgend entdeckte sie etwas zu tadeln oder nachzuordnen, was nicht minder günstig, als alles Vorhergegangene, auf ihre Stimmung wirkte.
Einsilbig bewegte sich anfangs die Unterhaltung zwischen den beiden Ehegatten, bis der Kärrner endlich durch einzelne, mit rührender List gestellte Bemerkungen Frau Kathrin veranlaßte, sich genauer nach Anna's Vergangenheit und gegenwärtiger Lage zu erkundigen, in Folge dessen er Letztere bat, ihre Geschichte noch einmal zu erzählen.
Anna ging bereitwillig darauf ein, und bald vertiefte sie sich so sehr in die Schilderung ihrer Erlebnisse, daß sie ihre Scheu mehr und mehr schwinden fühlte und aus ihren Worten dieselbe innige Wärme hervorklang, welche am vorhergehenden Abend den Kärrner während der Fahrt durch den Wald in so hohem Grad entzückte.
Frau Kathrin hatte wieder das Strickzeug zur Hand genommen und schaute unveränderlich auf den wachsenden Riesenstrumpf nieder. Man hätte bezweifeln mögen, daß sie die mit lieblicher Einfachheit vorgetragene Erzählung ihres Gastes hörte, und dennoch entging ihr nicht das leiseste Wort.
Die Zeit verrann; des alten Brauns Pfeife war ausgebrannt. Er begab sich nach dem Pferdestall, um nach seinen Holsteinern zu sehen, und als er zurückkehrte, erzählte Anna noch immer mit derselben Lebhaftigkeit, und lauschte Frau Kathrin mit derselben, hinter einer theilnahmlosen Haltung versteckten Spannung. Erst lange nachher, als Anna unter dem Eindruck der wachgerufenen Erinnerungen mit dem wehmüthigen: »und so bin ich in dieses Haus und an Ihren Tisch gekommen,« schloß, schien die Kärrnerfrau von neuem Leben durchströmt zu werden.
Das Strickzeug hastig, wie um die verlorene Zeit einzubringen, fortlegend, war sie im Begriff, den Tisch abzuräumen, als Anna ihr wieder zuvorkam.
Sie stutzte; dann aber ihre Blicke fest auf das erschreckt zusammenfahrende Mädchen heftend, bemerkte sie unfreundlich:
»Ich bin nicht gewohnt, mich bedienen zu lassen,« und zugleich begann sie mit den nächsten Tellern eifrig zu klappern.
Anna ließ die Hände sinken; bis ins Herz hinein schmerzlich getroffen sah sie zu Frau Kathrin empor, unfähig die Thränen zurückzuhalten, welche ihr langsam über die Wangen rollten.
Braun räusperte sich verlegen; er glaubte ersticken zu müssen vor Weh über die Behandlung, welche sein Schützling erfuhr, vor Weh, daß seine alte Kathrin sich mit Gewalt bestrebte, so recht herzlos zu erscheinen. Gleich darauf aber blies er den Tabacksdampf wieder freier und freudiger von sich; denn er bemerkte, daß seine Frau, nach einem flüchtigen Blick auf das bestürzte Mädchen, sich niedersetzte und schnell nach dem Riesenstrumpf langte.
»Tragen Sie Alles hinaus, wenn es Ihnen nicht zu schwer wird,« sprach sie eintönig, und dann wurde es still in dem Zimmer, daß man hätte ein Blatt können fallen hören. Nur die Stricknadeln kämpften leise, leise wand sich auch der Tabacksdampf aus den behaglich gesenkten Mundwinkeln empor, und leise knisterte der Sand unter Anna's kleinen Füßen, indem sie mit den Tassen und den Tellern durch die Thür verschwand.
»Was meinst Du?« fragte Frau Kathrin, sobald sie sich mit ihrem Gatten allein sah.
»Hm, ich meine, daß wir successive dasselbe können, was Herr Alvens zu leisten im Stande ist.«
»Mehr als das können wir,« lispelten die bleichen Lippen, und über das hagere Antlitz flog ein röthlicher Schimmer; »der Alvens kann ihr wohl ein Unterkommen gewähren, aber keine Heimat. Wir dagegen vermögen ihr eine Heimat zu bieten, und das wollen wir thun, wenn auch nur der Leute wegen und dem verabscheuungswürdigen Advokaten zum Trotz.«
Frau Kathrin hatte kaum ausgesprochen, da reichte der Kärrner seine Riesenhand hinüber, in welche sie sogleich die ihrige legte.
»Wie Du's einrichtest, ist's immer am besten,« sprach die Hünengestalt mit dem Kinderherzen.
Frau Kathrin seufzte; die Hände schlossen sich zum innigen Druck in einander, und als Anna wieder eintrat, da kämpften die Stricknadeln wieder wüthend unter den feindselig gesenkten Blicken der Kärrnerfrau, während ihr Gatte mit dem vierten Finger der rechten Hand sehr bedächtig die Asche in seiner Pfeife niederdrückte.
»Nur der Leute wegen und dem Advokaten zum Trotz,« sagte Frau Kathrin, und Braun nickte beifällig, als ob ihm dieser Ausspruch eine recht große Freude bereitet habe; denn der linke Mundwinkel, von welchem die Pfeife mit dem braunen, silberbeschlagenen Maserkopf schwer niederhing, kam gar nicht mehr aus seiner schiefen Stellung heraus, die derben Finger pflügten behutsam in dem rothen Bürstenkragen, als hätte derselbe aus den feinsten chinesischen Seidenfäden bestanden, und dazu erzählte und plauderte er behaglich von seiner Fahrt, von den drei Holsteinern und dem getreuen Hechsel, der auch jetzt noch nicht von seinem Posten unterhalb des beladenen Frachtwagens wich, daß Anna ihm noch lange hätte zuhören können, ohne zu ermüden oder Langeweile zu empfinden.
»Nur der Leute wegen und dem Advokaten zum Trotz,« fügte Frau Kathrin abermals recht geschäftsmäßig hinzu, als sie bei Prüfung des Inhaltes von Anna's Reisetasche erklärte, daß ein junges Mädchen ganz anders eingerichtet sein müsse, wenn es länger unter ihrem Dache zu weilen gedenke, daß sie zeigen wolle, was der Anstand selbst bei den einfachsten Bürgersleuten bedinge, und daß es ihr, um das Ansehen ihres Hauses zu bewahren und den Leuten keine Gelegenheit zu üblen Stichreden zu geben, durchaus gar nicht auf ein Stück Leinwand und etliche Thaler ankomme.
»Nur der Leute wegen und dem spionirenden Advokaten zum Trotz,« betheuerte sie endlich wieder eintönig, als sie Anna in das gegenüberliegende Gemach führte und dort von den Kissen eines Bettes die groben Ueberzüge entfernte und sie durch ihr feinstes Linnen ersetzte. Es galt dies als Antwort auf die schüchterne Bemerkung Anna's, daß sie nicht verwöhnt sei und nie in ihrem Leben die unverdiente Güte würde vergelten können.
Und als Anna die bescheidene Bitte hinzufügte, ihr das grobe Bettzeug zu lassen, hui, wie da das hagere Antlitz sich kurz nach ihr umwendete, und wie die großen blauen Augen so böse und kalt auf sie hinstarrten.
»Ich möchte wissen, ob ich das Recht besitze, mit meiner Leinwand zu thun, was mir beliebt,« sprach sie scharf und unfreundlich, »und willst Du wie eine Dienstmagd behandelt werden, so mußt Du in dem Bodenkämmerchen bei der Dienstmagd schlafen. Ich aber danke dann für Deinen Besuch, denn ich gebrauche keine zwei Dienstboten in meiner kleinen Wirthschaft.«
Darauf kehrte sie sich wieder dem Bett zu, und vor ihren gewandten Griffen schienen die Pfühle förmlich in die feinen Ueberzüge hinein zu fliegen.
Anna bebte; kaum daß sie die Augen aufzuschlagen und, wo sich Gelegenheit bot, hülfreiche Hand zu leisten wagte. Und dennoch, sie wußte nicht warum, hätte sie Frau Kathrin nicht zürnen können. Vor der angelehnten Thür aber, auf der Hausflur, stand der alte, biedere Kärrner. Sein breites Gesicht war braunroth angelaufen, so viel Mühe kostete es ihn, ein lautes herzliches Lachen zu unterdrücken. Er war sogar gezwungen, seine Riesenhand quer über den krampfhaft zuckenden Mund zu legen, und als auch dieses Mittel sich als unzureichend erwies, da schlich er auf den Spitzen seiner eisenbeschlagenen Schuhe durch die Küche auf den Hof hinaus in den Pferdestall. Um einen Grund zu haben, hinter welchem er sein Lachen verstecken konnte – und das zu einer Lavine herangewachsene Lachen mußte ja herunter von seiner Seele –, legte er die Hand leise auf das Kreuz des schwarzen Holsteiners, in Folge dessen dieser mit dem Schweife um sich peitschte, die Ohren anlegte, mit den Füßen trippelte und die Zähne schallend auf einander schlug.
»Immer successive,« sprach der noch begütigend zu dem an dergleichen Neckereien gewöhnten Pferde, und dann erst lachte er so laut und seelenvergnügt, daß es den ganzen Stall erschütterte.
»Nur der Leute wegen und dem Advokaten zum Trotz,« murmelte er mit thränenden Augen in sich hinein, »'s ist capital, wirklich successive! Nennt das Mädchen plötzlich Du, als ob's ihr eigen Fleisch und Blut wäre; und das nur der Leute wegen und dem Advokaten zum Trotz! O, 's ist wahrhaftig zum Todtschießen!«