Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band I
Balduin Möllhausen

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6.

Am Rio Virgin

Wenn es auf der Erde Punkte gibt, von denen man, ihrer Lieblichkeit wegen, sagen möchte: »Hier hat Gott die Welt geschaffen«, so gibt es auch wieder andere, von welchen man zu behaupten geneigt ist, daß sie an den Schöpfungstagen so weit entfernt und versteckt lagen, daß keine einzige der in Fülle ausgestreuten Segnungen sie erreichte, und sie daher öde und starr, als Überreste des vorweltlichen Chaos, liegen blieben, um auf ewige Zeiten von Menschen und Tieren, ja sogar von dem geringsten organischen Leben ängstlich gemieden zu werden.

Ein solcher Punkt, oder vielmehr eine solch umfangreiche Fläche des vorweltlichen Chaos befindet sich da, wo der auf der Westseite der Rocky Mountains entspringende Colorado, auf seinem Wege nach dem Golf von Kalifornien, das gewaltige Hochland zwischen New Mexico und Kalifornien durchschneidet und diese beiden Staaten durch furchtbare, unübersteigliche und unzugängliche Schluchten voneinander trennt.

Wer sich am Rande der endlosen Grasfluren Missouris befindet, oder die schrecklichen afrikanischen Sandsteppen vor sich sieht und seine Gedanken nach einem fernen Ziel hinübersendet, der weiß, daß keine unübersteiglichen Hindernisse ihn von demselben trennen, wenn er sich verständig mit allem ausgerüstet hat, was der Bodengestaltung, dem Klima und den ganzen Verhältnissen des von ihm zu durchwandernden Landes entspricht.

Auf dem Hochlande von New Mexico ist es anders.

Mag der Mensch sich umgeben haben mit den größten Bequemlichkeiten des Lebens; mögen kühne Herzen und starke Hände im Überfluß ihn begleiten; mag er mit sich führen alle Hilfsmittel und Gerätschaften, welche es ermöglichen, die höchsten Gebirge, die reißendsten Ströme zu überschreiten, gelangt er auf das zerklüftete Hochland von New Mexico, wo meilentiefe Schluchten mit senkrechten Wänden sich vor ihm öffnen und ihm gleichsam ein gebieterisches Halt zurufen, dann wird er sich seiner Ohnmacht bewußt.

Er, der furchtlos nach den Gipfeln der über die Wolken hinausragenden Berge hinaufblickte und mit jugendlicher Vermessenheit das Leben an die Ersteigung derselben wagte, am Rande der Abgründe, in deren Tiefe alles vor dem überraschten Auge ineinander verschwimmt, wird er schwindelnd zurückbeben, und ratlos irrt sein Auge umher, nach einem Auswege aus diesem furchtbar erhabenen Labyrinth spähend!

Überall die scheinbar ununterbrochene Ebene mit den spärlich zerstreuten, verkrüppelten Zederbüschen; überall festes, massives Gestein, durchfurcht von Schluchten, die, erst aus geringer Entfernung bemerkbar, in den Mittelpunkt der Erde hinabzuführen scheinen; über dem dürren, wasserarmen Hochlande aber der lichtblaue, regenlose Himmel, und tief, tief unten, unerreichbar tief, der wilde Strom, der schäumend über niedergebrochenen Felsblöcke und grobes Geröll dahindonnert.

Wehe dem Menschen, der sich dorthin verirrt und bei seinem Suchen nach einem Labetrunk plötzlich den Weg hinter sich abgeschnitten findet! Das Auge, welches sich anfangs ergötzte an dem Farbenspiel der übereinandergeschichteten mächtigen Gesteinslagen tausendjähriger Epochen, entzündet sich durch den steten Anblick der im Sonnenschein flimmernden grellen Schattierungen; die Hitze des Tages dörrt seine Zunge und erschöpft seine Kräfte in den glühend heißen Steinkesseln; die eisige Nachtluft erstarrt seine Glieder auf derselben Stelle, auf welcher ihn wenige Stunden vorher die unerträgliche Glut zu ersticken drohte. Vergeblich forscht er nach Spuren des Wildes, um, denselben folgend, an das Ende seiner Qualen zu gelangen; denn scheu flieht das Wild jene Regionen, und wenn es wirklich dort hinabgelangte, der feste rote Sandstein, auf welchem der Wetterstrahl kaum eine Spur zurücklassen vermag, würde auch nicht den leisesten Abdruck des schärfsten Hufes annehmen. –

In den Lüften kreist der Adler und majestätisch senkt er sich in die grausigen Tiefen hinab; im Schaum des Colorade spielt furchtlos die Gebirgsforelle, der Mensch aber schaut verzweifelnd um sich, von allen Seiten starrt ihm der Untergang in der gräßlichsten Gestalt entgegen. –

Das eigentliche massive Hochland, welches sich bis zu neuntausend Fuß hoch über den Meeresspiegel erhebt, während der Colorado sein Bett schon bis auf fünfzehnhundert Fuß hinabgebrochen und gewühlt hat, beginnt von Süden aus erst oberhalb der Mündung des Rio Virgin. Bis dahin wechseln vegetationslose Kiesebenen mit nackten Gebirgszügen ab, und verhältnismäßig klein sind die kulturfähigen Talstreifen, welche den Lauf größerer Gewässer bezeichnen.

Es erfordert daher eine gewisse Entsagung, gepaart mit unerschütterlicher Kühnheit, sich inmitten dieser furchtbaren Wüsten niederzulassen und irgend einen kleinen, fruchtbaren Talwinkel zur Heimat zu wählen, um dort die Zeit, ähnlich einem lebendig Begrabenen, hinzubringen.

Wovor die meisten, welche die Zivilisation mit ihren Genüssen kennen lernten, zurückschrecken, damit macht der Mormone sich vertraut; seine Energie scheint mit den Hindernissen zu wachsen, welche sich ihm entgegenstellen, und beseelt von religiösem Fanatismus sucht er förmlich eine Ehre darin, den Kampf mit den Verhältnissen, den Elementen und der Bodengestaltung einzugehen und siegreich zu bestehen.

So ist denn auch hart am Rande des eben beschriebenen Hochlandes und in der Mitte einer nicht minder ungastlichen Wildnis, nämlich am Rio Virgin, vom großen Salzsee aus eine kleine Niederlassung gegründet worden.

Dieselbe wird indessen, des Mangels an hinreichendem fruchtbaren Boden wegen, weniger als ein dauernder Aufenthalt von Menschen betrachtet. Sie soll vielmehr eine Art von Station bilden, um den von der Küste der Südsee aus heraufkommenden Emigrantenzügen einen geeigneten Punkt zur längeren Rast zu bieten und ihnen die Weiterreise nach der heiligen Stadt zu erleichtern.

Zur Zeit, als der Mormonenkrieg auszubrechen drohte, hatte jener Punkt aus strategischen Rücksichten eine größere Wichtigkeit erlangt. Es ist damit nicht gesagt, daß derselbe in eine Befestigung mit einer stehenden Besatzung umgewandelt worden wäre. Im Gegenteil, die wenigen dort lebenden Familien hatten sich nach Fort Utah und dem Salzsee hinaufziehen müssen, weshalb die unbewohnten Hütten dem Verfall geweiht zu sein schienen. Dieselben wurden indessen als ein Versammlungsort umherstreifender Expeditionen betrachtet, und als eine Station, von welcher aus, vermöge der günstigen Lage, am besten kleinere Patrouillen gegen Süden, namentlich am Colorado hinunter entsendet werden konnten. –

Drei Wochen waren seit dem Besuch des Apostels auf Fort Utah verstrichen, da bot jene Ansiedelung am Rio Virgin das Bild eines überaus regen Verkehrs. In der Niederung, welche ein spärlicher Mantel frischen Frühlingsgrases deckte, weidete eine starke Herde von Maultieren und Pferden; um die Hütten herum standen Reihen großer, mit Leinwand gedeckter Wagen und mehrere leicht gebaute Reisekaleschen. Rauchsäulen entstiegen den Schornsteinen der Baulichkeiten und den Lagerfeuern, die in weiterem Umkreise um die Wagen angelegt worden waren, und zwischen Hütten und Wagen, bei den Herden und vor den Feuern bewegten sich Männer, Frauen und Kinder, denen man es wohl ansah, daß sie schon eine lange und beschwerliche Reise zurückgelegt hatten, und sich daher doppelt der ihnen gebotenen Tage der Rast erfreuten.

Es war ein schöner Frühlingsmorgen; lieblich strahlte die Sonne von dem bläuen Himmel nieder, und die dem schmalen Talstreifen entkeimenden Gräser und Kräuter trugen einen so heiteren Schiller, der Rio Virgin, der zur Zeit kaum den Boden seines Bettes bedeckte, sprudelte so lustig über buntfarbiges Gestein dahin und polterte so ausgelassen gegen die in seinem Wege liegenden Porphyrblöcke, daß man sich ganz wo anders hatte wähnen mögen, als im Herzen der gefürchteten Coloradowüste, wenn die starren Trachytmassen, die sich ringsum zu den phantastischen Gebilden von gewaltigem Umfange auftürmten, nicht beständig daran gemahnt hätten.

Ja, die Berge, deren schroffe und ausgezackten Abhänge jeder Spur von Vegetation entbehrten, verwischten schnell wieder den freundlichen Eindruck, welchen das zwischen ihnen liegende Bild menschlicher Regsamkeit hervorrief. Dieses aber verlor viel von seinem friedlichen Charakter, wenn man die mit langen Büchsen bewaffneten Schildwachen auf den nächsten Höhen beachtete, oder wenn man seine Aufmerksamkeit zwei abseits stehenden, schwarz angestrichenen Wagen zuwendete, auf deren Verdeck das Wort »Munition« mit großen Buchstaben geschrieben stand. Zwei leichte Berghaubitzen, die neben den Munitionswagen aufgefahren waren und an deren eine Lafette sich eine Schildwache lehnte, dienten ebenfalls nicht dazu, die dort lagernde Karavane als eine solche erscheinen zu lassen, die sich nur auf einen etwaigen Zusammenstoß mit den wilden Eingeborenen vorbereitet hatte.

Eine gewisse Sorglosigkeit war indessen überall vorherrschend; selbst die Schildwachen schienen nicht für die Sicherheit des Lagers zu fürchten, oder sie würden, anstatt ihre Blicke nachlässig nur in die Ferne zu senden, auch der näheren Umgebung ihre Wachsamkeit zugewendet und dort vielleicht Manches entdeckt haben, wodurch ihr Mißtrauen wachgerufen worden wäre.

Da das Tal ringsum von Felsen abgeschlossen war, der Ausgang wie der Eingang in dasselbe vom Lager aus übersehen werden konnte, so hatte man der Herde gestattet, sich nach Willkür zu zerstreuen und, je nach Bedürfnis und Neigung, bald nach verdorrten, aber süßen Grasbüscheln zwisehen dem Gestein, bald nach frischen Kräutern in der Niederung zu suchen, oder auch, um zu trinken, an den Fluß hinabzusteigen.

Wie der Fluß sich auf der Südseite des Tales zwischen hoch aufstrebenden Felswänden verlor, so entströmte er auf der Nordseite einem ähnlichen Engpaß, und gerade in der Nähe von diesem letztern war es, wo die Tiere sich vorzugsweise zum Wasser hinabbegaben, weil derselbe dort bei einer kurzen Biegung durch das Anschwemmen von Sand eine natürliche, leicht zugängliche Tränke gebildet hatte.

Die meisten der Leute hatten sich eben zum Frühmahl niedergelassen, und nur noch vereinzelte Gestalten bewegten sich zwischen den Feuern und Feldtischen hin und her, als abermals ein schönes, kräftiges Pferd sich der Tränke näherte und, die tiefste Stelle des Wassers aufsuchend, sich nach Herzenslust aus den klaren Fluten labte.

Während es noch trank, fielen seine Blicke auf einen Streifen grüner Binsenhalme, die in dem Paß, hart am Rande des Wassers, dem feuchten Erdreich entsprossen zu sein schienen, in der Tat aber nur mit hinterlistiger Absicht dorthin gesteckt und gelegt worden waren.

Das Pferd wieherte leise vor Freude, als es seine Lieblingsspeise erkannte, denn nur sehr kärglich war ihm dergleichen in den letzten Monaten zu Teil geworden, und ohne zu zögern schritt es in den Paß hinein, vorsichtig den mit Wasser bedeckten Boden unter sich prüfend.

Sehr bald befand es sich, außerhalb des Gesichtskreises der Schildwachen und Hüter, und nur noch wenig Schritte trennten es von dem erwünschten Futter.

Plötzlich schien sein Argwohn zu erwachen, denn es blieb stehen, und indem es den Kopf weit vorreckte und die jungen Binsen beschnupperte, stieß es schnaubend den Atem durch die gespreizten Nüstern. Es bestand gewissermaßen einen Kampf mit seiner Lüsternheit, denn indem es die deutlichen Zeichen von Furcht äußerte, reckte es seinen Hals immer weiter aus, bis es die ersten Binsen mit der Nase berührte.

Abermals schnaubte es laut, und gleichzeitig richtete es sich, wie um zu lauschen, empor.

Da schoben sich einige Fuß hoch über ihm aus einer Felsspalte zwei schwarz behaarte zottige Köpfe geräuschlos hervor, denen eben so leise vier braune, mit kurzen starken Bogen bewaffnete Hände nachfolgten. Die Bogen krümmten sich, ein singender, scharfer Ton wurde vernehmbar, und zwei lange Rohrpfeile hafteten gleich darauf in den Weichen und zwischen den Vorderrippen des armen Tieres.

Schmerzlich zuckte es zusammen, als die mit scharfen Steinspitzen versehenen Geschossen in seinen Körper eindrangen, allein die Todesangst, von der es augenblicklich befallen wurde, war so groß, und das Entsetzen lähmte seine Kräfte in so hohem Grade, daß es sich, trotzdem die Wunden von keiner schnell tötenden Wirkung begleitet waren, nicht von der Stelle zu rühren vermochte, und ruhig duldete, daß die beiden Wilden ihm von ihrem Versteck aus, jeder schnell hintereinander, noch drei Pfeile zusendeten.

Bei den letzten Schüssen erst wankte es, und einen flehenden Blick nach der Stelle hinaufsendend, von wo aus es den Tod empfangen hatte, sank es zuerst auf die Knie und dann auf die Seite nieder, in welcher die Geschosse hafteten, im Falle die schwanken Schäfte zerknickend.

Kaum sahen die Wilden, daß ihre List von dem erhofften Erfolge gekrönt war, so kletterten sie wie Affen von der Felswand nieder, und während der eine sich auf den Hals des Pferdes warf und mittelst eines kurzen, schartigen Messers dessen Luftröhre durchschnitt, eilte der andere mit unglaublicher Gewandheit bis an die Öffnung des Passes vor, von wo aus er unbemerkt einen spähenden Blick über das Mormonenlager sandte.

Eine teuflische Freude leuchtete in dem tierischen Gesicht des kleinen, hageren, ungestalteten Indianers auf, als er bemerkte, daß keine ungewöhnliche Bewegung sich unter den von ihm beobachteten Leuten kundgab, also sie und ihr hinterlistiges Verfahren unentdeckt geblieben waren. Der Ausdruck der Freude verwandelte sich aber in den der unersättlichen Gier einer hungrigen Bestie, sobald er sich umwendete und das Wasser, in welchem er watete, von Blut gerötet sah. Den Bogen hatte er zu dem zerrissenen Köcher auf den Rücken gehangen, ein breites langes Messer, welches er selbst aus einem Stück von dem Reifen eines Wagenrades angefertigt, blitzte in seiner Hand, doch ehe er sich gleich seinem Gefährten über das verendende Pferd hinwarf, ließ er einen kurzen zischenden Ton in den Paß hinein erschallen.

Auf dieses Signal begann es hinter der nächsten Biegung der Felsenstraße in dem Wasser zu plätschern, und wie ein Rudel scheußlicher Gnomen kamen noch gegen zwanzig häßliche kleine Gestalten jeden Alters und Geschlechts herbeigestürzt. Alle waren unbekleidet, nur ein Bündel dürren Grases vertrat die Stelle des indianischen Schurzes, während die langen struppigen Haare, wie Stacheln, von den Schädeln steif abstanden, und die mit einer dicken Lage von Fett und Schmutz überzogenen Gesichtszüge und Glieder kaum noch eine Ähnlichkeit mit menschlichen Geschöpfen trugen.

Eilfertig, wie losgelassene Wölfe, aber auch so geräuschlos sprangen sie herbei; in den Händen trugen sie Messer, geschärfte Metallstücke und Steine, und kaum hatten sie die Stelle erreicht, wo die beiden ersten Wilden schon mit dem Zerlegen des Fleisches beschäftigt waren, so verschwand auch der Körper des im seichten Wasser liegenden Pferdes in einem dichten Gewühl von braunen Gliedern, über welche dann gar seltsam hin und wieder die schwarzen zottigen Köpfe emportauchten.

Mehrere Minuten vergingen, ohne daß ein anderes Geräusch zu vernehmen gewesen wäre, als das Zerren und Reißen an dem Fleisch und den Knochen, und das leise unwillige Schnattern, mit welchem die elenden Geschöpfe sich gegenseitig ihre Beute streitig machten. Dann aber löste sich das widerwärtige Knäuel auseinander, und einzeln entflohen die mit Blut besudelten Gestalten, jede beladen mit einem Gliede oder einem Stück Fleisch des geschlachteten Pferdes, wie es gerade der Zufall in die Hände geführt oder den Kräften entsprechend gewesen war.

Die beiden Männer, welche das Pferd getötet hatten, waren die letzten, welche sich mit ihrer Beute beluden; doch nicht eher folgten sie ihren Stammesgenossen nach, als bis sie noch einmal in die Mündung des Passes geschlichen waren und von dort aus zu den beim Frühmahl beschäftigten Mormonen hinübergespäht hatten.

Als dann endlich auch diese zwischen dem aufstrebenden Gestein verschwanden, da befand sich auf der eben noch so unheimlich belebten Stelle nichts, als der Kopf des Pferdes und eine große Blutlache, die von dem eilig fließenden Wasser dem Lager zugetrieben wurde. –

Die Mormonen saßen noch immer bei ihrem Frühmahl. Sie gaben zwar keine äußeren Merkmale einer fröhlichen, hoffnungsvollen Stimmung von sich, doch dachten sie an nichts weniger, als daß sie zu der nämlichen Zeit an ihrem Eigentum geschädigt werden könnten.

Allmählich erhob man sich von den Feldtischen und vom grünen Rasen, auf welchem für die meisten gedeckt gewesen, und geschäftig begaben sich Frauen und Kinder an den Fluß, um die gebrauchten Gerätschaften zu reinigen. Kaum aber hatten die ersten den nur wenig Wasser führenden Bach erreicht, so schauten sie verwundert und mit einer Anwandlung von Schrecken auf die getrübten und von Blut geröteten Fluten.

Auf ihren Ruf eilten von allen Seiten Männer herbei, und nachdem diese sich überzeugt, daß die Farbe des Wassers wirklich von frisch vergossenem Blute herrühre, trennten sich ein Dutzend bewaffneter Jäger von der übrigen Gesellschaft und folgten langsamen Schrittes dem Flüßchen stromaufwärts, um die Ursache dieser verdächtigen Erscheinung zu erforschen.

Sie näherten sich schnell dem Engpaß, in welchem das Pferd von den Wilden getötet worden war, und wenn auch das Wasser sich dort wieder geklärt hatte, so entdeckten sie doch bei genauerer Untersuchung noch immer einen schmalen roten Streifen, der eben erst im Begriff war, sich mit den sprudelnden Fluten zu vermischen.

Mit größerer Vorsicht, als bisher, drangen sie in den Paß ein, und ein unbestimmter Schrecken bemächtigte sich aller, als sie plötzlich den blutigen Kopf eines ihrer besten Pferde gewahrten und den sichersten Beweis von der Nähe feindlicher Indianer erhielten.

Ihr erster Gedanke war, daß ihr Lager umzingelt sei und daß im nächsten Augenblick die unsichtbaren Feinde aus den Schluchten und Felsspalten hervorstürzen und mit einem Blutbade unter den wehrlosen Weibern und Kindern beginnen würden.

Vollen Laufs eilten sie daher nach dem Lager zurück, und indem sie die Schildwachen auf den Höhen ermahnten, auf ihrer Hut zu sein, riefen sie sogleich die ganze streitbare Mannschaft zusammen, um so schnell wie möglich die nötigen Maßregeln zur Verteidigung zu treffen.

Ein wirres, lebhaftes Treiben entstand jetzt unter den Mormonen. An einer gewissen Ordnung aber, und an der Stille, mit welcher die erteilten Befehle sogar von Weibern und Kindern ausgeführt wurden, erkannte man sehr wohl, daß Umsicht und Strenge in dem Lager walteten und man keineswegs auf dergleichen störende Zwischenfälle unvorbereitet war.

Hier flüchteten Frauen und Kinder nach den Blockhütten, dort verteilten sich die mit Büchsen bewaffneten Männer bei den Wagen, während eine größere Abteilung sich nach dem Rande des Tales hinüber begab, um die Pferde und Maultiere herbeizutreiben, und zwei andere, jede aus nur vier Mann bestehend, sich anschickten, in die Schluchten einzudringen, um sich eine genauere Kenntnis von ihrer vermeintlich gefahrvollen Lage zu verschaffen. Die Patrouillen waren aber noch nicht aus dem Gesichtskreise der Zurückbleibenden getreten, da lenkte plötzlich ein jauchzender Ruf und einige in ähnlicher Weise ausgestoßene, aber unverständliche Worte die Aufmerksamkeit aller nach dem südlichen Talende hinüber.

Auf dem äußersten Rande der schroffen Felswand, hinter welcher der Rio Virgin in den bis an den Colorado fortlaufenden Engpaß eintrat, standen zwei unbewaffnete und unbekleidete Indianer von riesenhaftem Körperbau, welche offenbar sich nicht nur bemerklich machen wollten, sondern auch eine Zusammenkunft mit den Mormonen herbeizuführen wünschten.

Wie sie dort hinaufgekommen waren und ob sie daselbst schon lange zugebracht hatten, wußte niemand; doch wurden sie von den Mormonen selbstverständlich als mit zu der Bande gehörig betrachtet, von welcher in dem gegenüberliegenden Paß die blutigen Zeichen zurückgelassen worden waren.

Es ging wenigstens daraus hervor, daß die Mündungen mehrerer Büchsen sich hoben, und durch Gebärden und Ruf die Aufforderung an sie gerichtet wurde, in das Tal hinabzusteigen und dort Rede zu stehen.

Die drohende Art, in welcher man von allen Seiten herbeieilte, und die ungestümen, feindliche Absichten verratenden Zeichen schienen den Fremdlingen indessen keine Besorgnis einzuflößen. Sie verharrten in ihrer ruhigen, bis zu einem gewissen Grade würdevollen Haltung und beratschlagten so ungestört miteinander, als wenn sie die Unverwundbarkeit eines Achilles besessen hätten.

Als die Mormonen aber, um die vermeintlichen Räuber nicht entfliehen zu lassen, sich in einen Halbkreis vor der Felswand aufstellten und ihre Aufforderung an die Indianer immer drohender und dringender wiederholten, schlug der größere der beiden Krieger, der sich vor seinem Kameraden durch einen um sein Haupt geschlungenen buntfarbigen Schal auszeichnete, die Arme über seine hohe Brust zusammen, und indem er noch dichter an den Rand des Felsens herantrat, rief er mehrere Male mit wohlklingender, auffallend sanfter Stimme das Wort »Achotka« (beste Absicht bedeutende Begrüßung der Colorado-Indianer) hinunter, wobei er in der zutraulichsten Weise lächelte und nickte.

Die Aufregung der Mormonen wurde dadurch nicht beschwichtigt; im Gegenteil, sie schrieben die sichere Haltung der Fremdlinge dem Bewußtsein zu, sich dort nicht ohne hinreichenden Schutz zu befinden, und von neuem brachen die Patrouillen auf, um die Schluchten nach verborgenen Feinden zu durchspähen.

Ein großer Teil blieb dagegen vor der Felswand zurück, entschlossen, die Indianer lieber herunterzuschießen, als sie entkommen zu lassen.

Dieser Vorsorge bedurfte es jedoch nicht; denn der mit dem Schal geschmückte Krieger wendete plötzlich den Kopf rückwärts und rief laut und deutlich den Namen »Nava- rupe« aus, worauf er, seinem breitschulterigen Gefährten voran, gewandt den Abhang hinunterzuklettern begann.

Sie hatten die Hälfte ihres gefährlichen Weges zurückgelegt, da stießen die sie bewachenden Mormonen einen Ruf besorgnisvoller Bewunderung aus, denn sie bemerkten, daß auf der Stelle, wo die beiden Krieger eben noch standen, jetzt ein junger, schlanker Bursche kauerte, der auf geheimnisvolle Weise hinter den nächsten Felsblöcken hervorgeglitten war. Derselbe zeigte ebenfalls, trotzdem er sein Gesicht, bis auf einen von der Stirn über die Nase und das Kinn laufenden feuerfarbigen Strich, schwarz bemalt hatte, ein durchaus friedfertiges Äußeres. Dagegen weigerte er sich standhaft, in das Tal hinabzusteigen, und alle an ihn ergehenden Rufe und Aufforderungen beantwortete er nur durch ein stoisches verneinendes Schütteln seines Kopfes.

Die Mormonen drangen endlich nicht weiter in ihn, denn sie begriffen, daß er als Schildwache dort aufgestellt sei, um über das Geschick seiner Gefährten zu wachen und, im Falle dasselbe eine böse Wendung nehmen sollte, seine übrigen Stammesgenossen, die vielleicht zu vielen Hunderten ringsum zwischen den Felsen verborgen waren, sogleich davon in Kenntnis zu setzen.

Die beiden Krieger waren unterdessen im Tal bei den Mormonen eingetroffen und von diesen sogleich umringt worden. Wenn aber ein Teil der über den Verlust des Pferdes erbitterten Männer die Absicht hegte, sie die hinterlistige Tat der Räuber entgelten zu lassen und sie demgemäß zu behandeln, so änderten sie ihren Vorsatz, als dieselben ihnen vertrauensvoll entgegentraten und ihnen mit offener, freundlicher Gebärde und vielfach wiederholtem »Achotka«, die Hände reichten.

Daß diese nicht bei der Räuberei beteiligt gewesen, war kaum zu bezweifeln, doch hielt man es für ratsam, sie strenge zu bewachen, um sie für die von ihren mutmaßlichen Genossen verübte Tat verantwortlich zu machen und durch ihren Einfluß sich gegen eine Wiederholung derartiger feindlicher Eingriffe zu schützen.

Die äußere Erscheinung dieser Urwilden mochte mit dazu beitragen, daß man sich rücksichtsvoller gegen sie benahm und sie mehr mit bewundernder Teilnahme, als mit besorgnisvoller Abneigung betrachtete. Denn außer dem, daß sie noch fast eine Kopfeslänge über die größten Mitglieder der Mormonen-Gesellschaft emporragten, waren ihre Körper, ohne auffallend muskulös zu sein, von so kräftigem, untadelhaftem Bau und so klassisch schönem Ebenmaß, daß man sie mit den Göttergestalten des antiken Olymp hätte vergleichen können, wie sie einst als Ideale der Phantasie der alten griechischen und römischen Künstler vorgeschwebt haben mögen.

Ein langer, flatternder Schurz von weißem Baumwollenzeug bildete ihre einzige Bekleidung, während Sandalen von dickem, ungegerbtem Leder ihre Füße gegen das scharfe Gestein schützten. Als Schmuck hatten sie nur mehrere Schnüre weißer Perlen um ihren Hals geschlungen, wozu derjenige, welcher den Turban auf seinem Kopfe trug, noch einen blauen Stein und eine weiße Perle mittelst eines dünnen Riemens an seinem durchstochenen Nasenknorpel befestigt hatte. Ihr Hauptschmuck bestand indessen in den pechschwarzen Haaren, welche in unglaublicher Länge und Stärke über ihre Nacken niederfielen. Dieselben waren mit Hilfe von klebriger Erde in sechzehn bis zwanzig dicke Strähnen zusammengedreht worden und reichten bis tief aufs Kreuz hinab, wo sie alle in gleicher Länge endigten.

Ihre Physiognomien trugen den echten indianischen Typus, zeigten aber nichts von dem wilden verschlagenen Ausdruck, welcher den größten Teil der nordamerikanischen Indianerstämme charakterisiert. Es ruhte sogar eine gewisse Offenheit und Redlichkeit auf denselben, was von vornherein zu der Vermutung verleitete, daß sie, anstatt von dem Fleische des Wildes zu leben, ihre Nahrungsstoffe einzig und allein einem üppig spendenden Boden verdankten, was im Laufe von Generationen nicht ohne Einfluß auf die Körperbeschaffenheit und Neigungen des Menschen bleiben kann.

Furchtlos und ohne ein Zeichen von Befremdung schritten sie im Kreise ihrer Eskorte dahin, als diese sie den Hütten zuführte. Der freundliche Ausdruck wich nicht von ihren dunkelbraunen Zügen, er verstärkte sich aber zu einem fröhlichen, harmlosen Lachen, wenn sie gewahrten, daß die Frauen und Kinder scheu vor ihnen zurückprallten und sie nur aus der Ferne mit unverhohlener Scheu betrachteten.

Während sie sich nun auf dem Ufer des Flüßchens dahin- bewegten, machte einer ihrer Begleiter sie auf die schwindenden Blutspuren im Wasser aufmerksam, und verdeutlichte ihnen zugleich durch Zeichen, daß weiter oberhalb ein Pferd geraubt und getötet worden sei.

Der Krieger mit dem Schal warf bei dieser Nachricht verächtlich die Lippen empor.

»Wallpais töten Amerikanerpferd!« sagte er in schwer verständlichen englischen Worten, der sicherste Beweis, daß er schon früher mit Weißen verkehrt hatte. »Mohaves achotka! Mohaves nicht töten Pferd! Wallpais schlecht; töten Amerikanerpferd, töten Amerikanermann schlafend!«

Die einfachen Versicherungen des Indianers trugen so sehr das Gepräge der Wahrheit, daß kaum noch einer aus seiner Begleitung die Aussage bezweifelte. Da man aber ebensowenig die Wallpais wie die Mohaves kannte, so glaubte man noch immer mit der größten Vorsicht handeln, vor allem aber die beiden Krieger nicht mehr aus den Händen lassen zu dürfen.

Auf dem Wege fragten sie mehrfach nach dem »Commandante« der Karawane, wobei sie andeuteten, daß sie ihm Mitteilungen zu machen hätten. Sie wiederholten ihre Frage noch einmal, als sie vor der geräumigsten der Hütten angekommen waren, und gleich darauf Jansen und Rynolds ihnen aus der Tür entgegentraten.

»Ich bin der Kommandat«, sagte Jansen, indem er auf seine Brust wies und zugleich mit einer Art von Bewunderung die prachtvollen Gestalten in Augenschein nahm.

»Achotka«, versetzten die Indianer mit Befriedigung; dann aber kniete der Wortführer nieder, und nachdem er den Schal von seinem Kopfe losgewunden und vor sich auseinandergebreitet hatte, nahm er mehrere Papiere aus demselben hervor, von welchen er eins seinem Gefährten, das andere aber Jansen darreichte.

Jansen faltete das Papier, welches sorgfältig in einer ledernen Umhüllung verborgen gewesen, auseinander.

»Kairuk, Häuptling des mittleren Mohave-Stammes«, las er laut.

»Ich, Mohave-Häuptling«, versetzte der Träger der Briefschaften, sich stolz in die Brust werfend.

Jansen schaute ihn ernst und prüfend an und las weiter. Es war eben eins jener Zeugnisse, wie sie von Reisenden, namentlich von den Offizieren der Vereinigten Staaten solchen Indianern erteilt werden, die sich durch besondere Dientsleistungen und Treue bei irgendeiner Gelegenheit ausgezeichnet haben. Die Eingeborenen legen im Allgemeinen großen Wert auf dergleichen »sprechende Papiere«, welchen sie geheime Zauberkräfte zuschreiben; so leuchteten auch Kairuk's Augen vor innerem Entzücken, als er abermals einen Beweis von den noch ungebrochenen Kräften seines Amuletts erhielt. Hatte Jansen ihn doch nach dem Anblick des Papiers beim Namen genannt, ohne daß ihm derselbe vorher verraten worden wäre.

Nachdem Jansen das Zeugnis Kairuk's zu Ende gelesen, reichte der andere Indianer mit einem eigentümlich schüchternen Lächeln, welches gar merkwürdig gegen seine Hünengestalt kontrastierte, ebenfalls sein sprechendes Papier hin.

»Jreteba, ein angesehender Krieger, der schon bei mehreren Gelegenheiten seine Friedfertigkeit und seine uneigennützige Vorliebe für die Weißen an den Tag gelegt hat«, las Jansen laut genug, um von seiner Umgebung verstanden zu werden.

Jreteba nickte freundlich zustimmend, und fast verlegen machte es ihn, als er die Blicke aller Umstehenden mit einer Mischung von Neugier und Teilnahme auf sich gerichtet sah.

»Kairuk und Jreteba«, begann Jansen, nachdem er Kenntnis von den Zeugnissen genommen, indem er seine Brauen finster zusammenzog, »was führt Euch hierher? Wollt Ihr vielleicht das Pferd bezahlen, welches Eure Mohaves getötet haben?«

»Mohaves töten nicht Pferd«, antwortete Kairuk, und seine Gestalt schien, indem er sich aufrichtete, noch zu wachsen, »Wallpais schlecht, Wallpais töten mehr Pferde, wenn Amerikaner schlafend. Wallpai nicht Bruder von Mohave, Kairuk getauft, Kairuk Mormone«, und indem er so sprach, zog er einen anderen mit Bleistift geschriebenen Zettel hervor, den er in Jansen's Hand legte.

Jansen sah zuerst nach der Unterschrift. Dieselbe mußte ihm nicht fremd sein, denn mit gesteigertem Interesse las er den an den zeitigen Kommandanten am Rio Virgin gerichteten Brief Zeile für Zeile zu Ende.

Angenehme Nachrichten enthielt derselbe offenbar nicht, denn indem er die oft undeutlichen Schriftzüge nicht ohne Mühe entzifferte, verfinsterte sich sein ehernes, undruchdringliches Antlitz immer mehr.

»Der Versuch ist mißglückt«, hieß es in dem Schreiben; »die Mohaves, die anfangs geneigt schienen, für uns gegen die Amerikaner Partei zu ergreifen, sind uns im letzten Augenblick untreu geworden. Sie folgten dem schlauen Rat der Gentiles und verhielten sich neutral. Infolgedessen schwimmt das Dampfboot, welches wir schon in den Händen zu halten glaubten, wohlbehalten den Colorado hinunter, während der größere Teil der bewußten Forschungsexpedition auf Maultieren den Weg gen Osten eingeschlagen hat.«

»Kairuk, ein einflußreicher Häuptling, und Jreteba, sein Busenfreund, sind diejenigen, welche durch ihr Auftreten unsere Pläne durchkreuzten. Beide sind schon bei einer früheren Gelegenheit getauft worden, zeigen sich aber seit ihrer letzten Zusammenkunft mit den Gentiles dem Mormonismus nur wenig hold. Der Colorado wird mit Gewalt der Waffen offen für uns gehalten werden müssen, und dürften Überbringer dieses Schreibens wohl als Geiseln zu behandeln sein, um später durch ihr Leben und, wenn möglich, durch ihren Einfluß einen freien Abzug auf dem Strome für uns und unsere Gemeinde zu erzwingen. Übersender dieses befinden sich noch im Gebirge, um die Colorado-Indianer zu überwachen.«

Jansen hatte den Brief schon längst zu Ende gelesen, und noch immer ruhten seine Blicke auf dem in seinen Händen befindlichen Blatte. Er ging mit sich zu Rate, welchen Weg er nunmehr einzuschlagen habe, und auf welche Weise er den Repräsentanten einer starken und mutigen Nation gegenübertreten solle. Er wünschte sie zugleich in seinem Lager festzuhalten und doch nicht dadurch Veranlassung zu einem feindlichen Zusammenstoß zu geben, oder das Leben des Schreibers des Briefes, den er samt seinen Begleitern in der Gewalt der Mohaves wußte, zu gefährden.

Kairuk und Jreteba ahnten nicht, was in der Seele des finsteren Mormonen vorging. Wie schon mehrfach bei früheren Gelegenheiten, so hofften sie auch hier auf freundliche Anerkennung der pünktlich ausgeführten Aufträge, und mit erwartungsvoller Spannung beobachteten sie Jansen, der noch immer wie mit Lesen beschäftigt dastand.

Endlich gelangte er zu einem Entschluß; er schaute zu den beiden Kriegern empor, und ihnen zum Zeichen des Dankes die Hand reichend, bedeutete er sie, in die Hütte einzutreten. Die Mohaves taten, wie ihnen geheißen wurde; ehe Jansen ihnen aber nachfolgte, wendete er sich zu den Leuten, welche die Fremdlinge so lange bewacht hatten.

»Laßt sie nicht aus den Augen«, sagte er leise genug, um von den Mohaves nicht gehört zu werden, obgleich diese seine Worte nicht verstanden hätten. »Sie müssen mit Güte oder Gewalt unsere Gefangenen bleiben.«

»Wäre es nicht am geratesten, sie zu fesseln?« fragte Rynolds, dessen Herz sich beim Anblick der riesenhaften Gestalten zusammenschnürte; denn so furchtlos er im gewöhnlichen Leben auch immer war, und so viel Kühnheit er entwickelte, wenn es galt, irgendjemand zu täuschen und zu übervorteilen, so mutlos wurde er, indem er sich die Möglichkeit vergegenwärtigte, inmitten der Wildnis von einigen hunderten solcher furchtbaren Feinde überfallen zu werden.

»Wir sollen sehen«, antwortete Jansen im Davonschreiten, »lieber lasse ich diesen Abtrünnigen die Glieder bis auf die Knochen zusammenschnüren, ehe ich ihnen die Freiheit wiedergebe.«

»Tue das nicht, lieber Onkel«, sagte plötzlich eine sanfte, mitleidige Stimme, und als er emporschaute, erblickte er Hertha, die von der scheibenlosen Fensteröffnung aus die ganze Unterhaltung überhört hatte.

»Nein, lieber Onkel, tue es nicht«, wiederholte sie dringender, »diese armen Menschen besitzen ja keinen klaren Begriff von unserer Religion und den Pflichten eines rechtgläubigen Christen. Haben sie sich aber vergangen, so kann es gewiß nicht in böser Absicht geschehen sein. Betrachte sie nur, wie freundlich und harmlos sie zu uns herüberschauen. Stets habe ich die Indianer für schreckliche, blutdürstige Menschen gehalten und mich in meinen Träumen vor ihnen entsetzt. Sind aber alle wie diese hier, so hege ich keine Furcht vor ihnen, »und indem das junge warmherzige Mädchen so sparch, näherte es sich festen Schrittes den beiden Wilden, ihnen mit dem lieblichsten Lächeln die Hand reichend.

Jansen war durch die Worte seiner Nichte unangenehm berührt worden; allein auch er befand sich unbewußt so sehr unter dem Einfluß des reinen, edeldenkenden Wesens, daß er im ersten Augenblick nichts zu entgegnen vermochte und, in das Haus eintretend, seine Aufmerksamkeit mechanisch den Mohaves zuwendete.

Dieselben waren bis in die Mitte des Gemachs vorgeschritten, als sie plötzlich die am Fenster lauschende junge Mormonin entdeckten und wie gebannt auf derselben Stelle stehen blieben. Auf ihren Zügen spiegelten sich zugleich Furcht und Bewunderung, denn wenn sie auch kurz vorher schon weißen Frauen begegnet waren, so hatten sie doch nie in ihrem Leben etwas kennengelernt, was Hertha's anmutiger Erscheinung gleichgekommen wäre. Sie hielten sie offenbar für ein überirdisches Wesen, und kaum wagten sie zu atmen, als das junge Mädchen sich ihnen zuwendete und dann, Jansen entgegentretend, mit gütigen Worten die Rolle der Vermittlerin übernahm.

Als sie aber, ohne die geringste Spur von Besorgnis, Kairuk und demnächst Jreteba die Hand drückte, da strahlten deren braune gutmütige Physiognomien vor Entzücken, und indem sie mit ihren schmalen schöngeformten Händen schmeichelnd über Hertha's Arm strichen, wiederholten sie einmal über das andere in tiefen milden Tönen das bezeichnende Wort »Achotka«.

Demoiselle Corbülon befand sich während der ganzen Zeit auf der entgegengesetzten Seite des Gemachs. Ihr Gesicht hatte sie halb abgewendet, und Entsetzen, Abscheu und Zorn wechselten komisch auf ihren scharfen Zügen, indem sie ihre stechenden Seitenblicke bald auf Hertha, bald auf die martialischen Gestalten der Mohaves heftete.

»Entfernt die schrecklichen Menschen von hier!« rief sie Jansen entgegen, eh' dieser auf die Anrede seiner Nichte zu antworten vermochte, »sie sehen aus wie Verräter, und sind nur gekommen, um zu morden und zu plündern. Entfernt sie, um Gotteswillen, wenn auch nur des Kindes wegen!«

Hertha lächelte ihrer Gouvernante schelmisch zu, als sie deren Angst gewahrte. Kairuk und Jreteba, die mit den Augen der Richtung von des jungen Mädchens Blicken gefolgt waren und in der bebenden Gestalt der Französin wohl den Grund von Hertha's Fröhlichkeit ahnen mochte, lächelten ebenfalls. Der Zorn der Gouvernante aber wurde dadurch in so hohem Grade rege, daß sie sich ein Herz faßte, und an den beiden Mohaves vorbei in's Freie hinausstürzte, um Schutz bei den nächsten Wagen zu suchen und von dort aus ihre verzweiflungsvollen Blicke über das Tal zu senden, in welchem sie überall Unruhe und Besorgnis erregende Geschäftigkeit gewahrte.

Jansen hatte unterdessen seine Nichte sanft zur Seite geschoben und betrachtete noch immer aufmerksam den jetzt vor ihm stehenden Häuptling.

»Kind«, hob er endlich an, sich halb nach Hertha umwendend, »Du glaubst überall nur gute Menschen zu sehen; selbst diesen Wilden, die uns den größten Schaden zugefügt haben, schreibst Du ehrenwerte Gesinnungen zu. Überlasse es Männern, in dieser Sache eine Entscheidung zu treffen. Ich wiederhole Dir daher, es ist von Wichtigkeit, ja, unser aller Leben hängt vielleicht davon ab, diese mehr als verdächtigen Krieger in unserer Gewalt zurückzubehalten. Es bleibt dabei, sie verlassen unser Lager nicht wieder, und müßte ich ihnen selbst die Glieder bis auf die Sehnen durchschnüren.«

»Sie kamen vertrauensvoll und unbewaffhet, sie kamen als Boten«, unterbrach Hertha ihren Onkel, nur mit Mühe die Tränen zurückdrängend, welche dessen zornig erhobene Stimme ihr in die Augen getrieben hatte.

»Sie kamen als Abtrünnige, die vergessen haben, daß sie die heilige Taufe empfingen», entgegnete Jansen etwas milder. »Du glaubst mir nicht, trotzdem Du weißt, daß durch diese Eingeborenen, durch ihre Genossen wenigstens, erst vor einer halben Stunde unser bestes Pferd getötet wurde.«

»Wallpais töten Mormon Pferd, Wallpais böse«, sagte Kairuk, der die letzten Worte Jansen's verstanden hatte.

»Du hörst es, diese Leute sind unschuldig, behandle sie daher nicht so streng«, versetzte Hertha, die in den Augen ihres Onkels eine verhaltene Drohung zu entdecken glaubte.

Jansen war im Begriff, etwas zu entgegnen, wurde aber unterbrochen durch lautes Rufen, welches von der Nordseite des kleinen Tales herüberschallte und sogleich von allen Seiten beantwortet wurde.

Kaum hatten dieselben sich aber einige Schritte vor der Tür entfernt, so sahen sie sich von mehreren bewaffneten Mormonen umringt, welche sie bedeuteten, sich wieder in das Innere der Hütte zurückzubegeben.

Erstaunt blickten die beiden Krieger sich gegenseitig an; sie, die in ihrem Leben noch keinen Zwang kennengelernt hatten, schienen ein derartiges Ansinnen gar nicht zu verstehen, und erst als sie halb mit Gewalt wieder in das Gemach hineingedrängt wurden, gelangten sie zu dem Bewußtsein, sich wirklich als Gefangene betrachten zu müssen.

Die Folge davon zeigte sich fast augenblicklich in ihren Zügen, doch keineswegs in einem Ausdruck von Zorn oder Schrecken. Im Gegenteil, sie waren viel ruhiger geworden, und wenn sich auch eine gewisse Ängstlichkeit in ihren Bewegungen ausdrückte und eine Art von Trauer über die Täuschung aus ihren Augen sprach, so glühte doch auch wieder die Wildheit eines Panthers aus ihren Augen, der sich plötzlich durch eine listig aufgestellte Falle in die Gewalt des Jägers gegeben sieht.

Leise schlichen sie nach dem Fenster und besorgt blickten sie nach dem Felsen hinüber, von welchem aus sie die im Lager Versammelten zuerst beobachtet hatten.

Die dort von ihnen aufgestellte Schildwache war verschwunden, dafür aber vernahmen sie aus derselben Richtung einen langen jauchzenden Ton, der, mit eigentümlichen Modulationen ausgestoßen, weithin zwischen den Bergen widerhallte.

Über Kairuk's braunes Gesicht glitt ein Lächeln der Befriedigung; denn noch spielte das Echo mit dem Signalruf der indianischen Schildwache, der es nicht entgangen war, daß man den Häuptling und seine Gefährten als Gefangene behandelte, da schlüpfte es auf den Abhängen hinter den Felsblöcken, aus den Schluchten und aus den Spalten im Gestein hervor, und eh' eine weitere Minute verstrich, war die südliche Hälfte der zackigen Taleinfassung übersät mit schwarzbehaarten Köpfen und braunen schlanken Gliedern, die nur auf ein Zeichen harrten, sich zu erheben und sich als einige Hundert mit Keulen, Bogen und Pfeilen bewaffneter Mohaves auszuweisen.

Unter den Mormonen war plötzlich eine Stille eingetreten; man vernahm nur noch die kurzen halblauten Rufe, mit welchen die Frauen und Kinder aufgefordert wurden, sich in den Schutz der Hütten zurückzuziehen, und das Getrappel der Herden, welche man der, durch die in einen Kreis zusammengefahrenen und mittelst Ketten aneinander- gefesselten Wagen hergestellten Einfriedigung zutrieb.

Alles befand sich in der größten Verwirrung, und während die Männer die nötigen Anstalten zur Verteidigung trafen, die Frauen und Kinder dagegen sich zagend hinter den festen Blockwänden verbargen, stahl sich mancher besorgte Blick nach den nahen Felsabhängen hinüber, auf welchen die Zahl der Mohaves noch immer zu wachsen schien.

Demoiselle Corbillon rang die Hände und wußte nicht, wohin sie sich in ihrer Verzweiflung wenden sollte. Das für sie und Hertha bestimmte Gemach war ja schon von Kairuk und Jreteba besetzt, welche ihrer angstvoll aufgeregten Phantasie nur noch riesenhafter und entsetzlicher vorschwebten. Rynolds, nicht weniger besorgt als die Französin, wich Jansen nicht von der Seite; selbst Hertha erbleichte, als sie das plötzliche Auftauchen einer ansehnlichen Streitmacht gewahrte und zugleich bemerkte, daß ihr Onkel, unentschlossen, zu welchem Mittel er seine Zuflucht nehmen solle, mit den Zähnen knirschte und ihr befahl, in der Nähe der Hütte zu bleiben. –

Das unverhoffte Erscheinen der zahlreichen eingeborenen Krieger, und die vollständige Ungewißheit über deren Absichten wirkten so lähmend auf alle Mitglieder der Karawane, daß man darüber ganz vergaß, weshalb kurz vorher das Lager alarmiert worden war. Jansen glaubte daher seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er plötzlich hinter den Hügeln hervor ein halbes Dutzend Reiter auf sich zutraben sah, die er sogleich für reisende Mormonen erkannte.

»Beruhige Dich, mein Kind«, sagte er zu Hertha, die mit ängstlicher Spannung dem weiteren Verlauf der Dinge entgegenharrte, »beruhige Dich, die Gefahr ist nur vorübergehend, denn siehe, dort erhalten wir Verstärkung. Geh' nicht in die Hütte«, fuhr er fort, als er bemerkte, daß Hertha sich nach der Tür zurückzog; »die Mohaves sind drinnen, man kann diesen Wilden nicht trauen.«

Hertha schien aber die Worte ihres Onkels zu überhören; denn ohne die Ankunft der Fremden, welche jetzt Jansen's ungeteilte Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, vorher abzuwarten, begab sie sich in das Gemach, und furchtlos trat sie zu Kairuk, der, gleich seinem Gefährten, mit ernster Teilnahme durch das Fenster nach den durch die Stammesgenossen so reich belebten Bergabhängen hinaufblickte.

Der Häuptling war so sehr in Betrachtungen versunken, daß er Hertha nicht eher bemerkte, als bis sie leise seinen Arm berührte und dann mit fragender Gebärde nach den besetzten Höhen hinaufwies.

»Mohaves, Mohaves, viel Mohaves«, sagte er mit freundlichem Kopfnicken, indem er einen Schritt von dem Fenster zurücktrat, um Hertha einen besseren Überblick zu gewähren. »Mohaves gut, achotka, nicht töten Pferd, nicht töten Amerikaner«, und um seine friedfertigen Gesinnungen zu verdeutlichen, strich er mit seiner braunen Hand schmeichelnd über die hellblonden Flechten des jungen Mädchens, während seine großen schwarzen Augen wieder bewundernd die liebliche Gestalt maßen.

»Die Mohaves sind gut«, entgegnete Hertha, um verstanden zu werden, des Häuptlings eigene Worte gebrauchend; »wenn sie aber gut sind, dann sagt ihnen, daß sie sich entfernen sollen; sie ängstigen unsere Leute; schaut nur dort hinüber, die Kinder, wie sie weinen, und die Mütter, wie sie für das Leben ihrer Kinder zittern.«

Kairuk zuckte lächelnd die Achseln; er hatte Hertha's Absicht nicht verstanden. Um der jungen Mormonin Herz aber legte es sich wie Eis, weil sie des Indianers Bewegung deutete, als wenn er unfähig oder nicht geneigt sei, dem drohenden Kampfe vorzubeugen.

Ihre Angst entging den beiden scharfsinnigen Kriegern nicht, und Verlegenheit malte sich auf ihren klugen Physiognomien, während sie leise miteinander sprachen und den Grund von Hertha's Besorgnis zu enträtseln strebten.

»Mohaves fort?« fragte Jreteba endlich, sein ehrliches Gesicht freudestrahlend Hertha zuwendend, denn es erfüllte ihn förmlich mit Entzücken, unter den wenigen englischen Worten, die er seinem Gedächtnis eingeprägt hatte, vielleicht das rechte aufgefunden zu haben,

»Ja, ja, Mohaves fort!« antwortete Hertha mit Eifer, und die Besorgnis, die sich auf ihrem schönen Antlitz spiegelte, verwandelte sich plötzlich in den sprechenden Ausdruck banger Hoffnung.

»Achotka, Mohaves fort, Mohaves fort!« wiederholte Kairuk triumphierend, und ohne eine weitere Äußerung abzuwarten, schritt er eilig zur Tür hinaus.

Offenbar wollte er seinen Kriegern gebieten, sich zurückzuziehen; in seinem Eifer aber, dem jungen Mädchen zu dienen, vergaß er, daß er Gefangener war, und nicht eher erinnerte er sich dieses Umstandes, als bis die draußen aufgestellten Schildwachen, die nicht anders glaubten, als daß er entfliehen wolle, ihm die Mündungen ihrer Büchsen entgegenhielten,

Kairuk erschrak, und aus jeder Linie seines Gesichts sprach der bittere Schmerz, den er über die Beschränkung seiner Freiheit empfand. Auf den Höhen aber richteten sich hundertweise die Hünengestalten der Mohaves empor, und ein Geheul, so drohend, laut und durchdringend erschallte ringsum, daß selbst die Herzen der kühnsten Mormonen bebten und alle besorgt nach den Hütten hinüberschauten, in welchen die Weiber und Kinder untergebracht worden waren.

Kairuk hob seine Arme hoch empor, und fast augenblicklich verstummte der schreckliche Lärm. Seine Krieger hatten das Zeichen wahrgenommen, und gehorsam fügten sie sich seinem Willen. Er selbst warf noch einen trüben Blick um sich, und gesenkten Hauptes schritt er dann wieder der Tür zu, doch was er dachte und was er fühlte, das lag in den Worten: »Mohaves gut; Mormons, Amerikaner, schlecht«, die er mit einem tiefen Seufzer vor sich hinmurmelte. Er war niedergeschlagen, doch lag eine natürliche, schwer zu beschreibende Würde in seiner ganzen Haltung, indem er darüber nachdachte, wie er fernerhin seine erbitterten Krieger beruhigen und dem drohenden Blutvergießen vorbeugen könne.

Er hatte indessen die Tür noch nicht erreicht, da stürmten Elliot, der auf der anderen Seite der Hütte vom Pferde gestiegen war, Jansen und Rynolds mit verstörten Gesichtern herbei.

Jansen hielt den Brief des Propheten in Händen, kraft dessen er den Befehl an den jüngeren, aber erfahrenem Elliot übertragen mußte. Er hatte ihn noch nicht geöffnet, doch instinktmäßig duldete er, daß jener sogleich das Kommando übernahm und, um den Frieden wieder herzustellen, einschritt.

»Wer vertritt dem Häuptling den Weg?« fragte Elliot fest und bestimmt, jedoch ohne Hitze oder Zorn, denn er, der schon seit Jahren im Verkehr mit den wildesten Eingeborenen des amerikanischen Kontinents gelebt, übersah auf den ersten Blick die ganze Sachlage. »Entfernt Euch, meine Brüder«, fuhr er fort, als niemand antwortete, »und wenn Euch Euer Leben und das Eurer Frauen und Kinder lieb ist, dann wage niemand seine Hand gegen die Indianer aufzuheben, es sei denn zur Verteidigung.«

Die Wachen entfernten sich, und Elliot trat nunmehr auf Kairuk zu, welcher, sobald er Erstern erblickte, auf der Schwelle der Tür stehengeblieben war.

»La Bataille!« rief der Kommandant aus, und im nächsten Augenblick stand der Schlangen-Indianer an seiner Seite, bereit, bei der bevorstehenden Verhandlung als Dolmetscher zu dienen.

Letzterer, obgleich schlank und schön gewachsen, verschwand fast dem riesenhaften Mohave gegenüber. Eine unnachahmliche Geringschätzung thronte aber auf seinem scharfen Adlergesicht, als er sich dem, ihn wenigstens um anderthalb Fuß überragenden unbekleideten Kairuk zuwendete, und zugleich die, nach seinen Begriffen einen höheren Grad von Zivilisation verratende Scharlachdecke in malerische Falten um seinen Körper zusammenzog, so daß nur der mit einem leichten zierlichen Tomahawk bewaffnete rechte Arm sichtbar blieb, der, wie der untere Teil seines Körpers, noch eine sauber gearbeitete Umhüllung von weich gegerbtem Antilopenleder zur Schau trug.

Kairuk hatte derartigen Reichtum allerdings nicht aufzuweisen, doch konnte er nicht umhin, dem fremden Indianer gegenüber mit dem zu prahlen, was ihm von der Natur verliehen worden war. Er verschränkte nämlich die Arme über die breite Brust, eine Lieblingsgewohnheit von ihm, und indem er sich noch gerader emporrichtete und ausstreckte, blickte er mit einem mitleidigen Lächeln auf seine Umgebung, selbst auf den hochgewachsenen Jansen und den fast ebensogroßen Elliot nieder.

»Die Mormonen sind Kinder der Wüste, wie die Mohaves und alle übrigen Indianerstämme«, begann La Bataille endlich im Auftrage Elliot's in der Mohave-Sprache, »und deshalb sind die Mormonen Brüder der Mohaves. Warum aber sehe ich so viele Mohaves ohne ihre Weiber, aber bewaffnet mit Keulen und Bogen?«

»Der Weg ist zu weit und zu steinig für die nackten Füße unserer Weiber und Kinder«, antwortete Kairuk, noch immer mitleidig lächelnd; »wenn ein Häuptling der Mohaves sich aus seinem Tale entfernt, dann folgen ihm seine Krieger nach; sie folgen ihm nach mit Keulen und Bogen, denn die Wallpais und Pai-Utes sind nicht Brüder der Mohaves. Die Mohaves essen Bohnen und Kürbisse, die Wallpais Ratten und Mäuse. – Aber die Mohaves sind Brüder aller weißen Menschen, der Mormonen und der Amerikaner; sie dienen beiden und wollen keinen Krieg; sie wollen aber auch nicht, daß die Amerikaner und Mormonen den Krieg in das Tal des Colorado tragen.«

Bei der Mitteilung, daß die Mohaves nicht gesonnen seien, in irgendeiner Weise, ebensowenig für die Mormonen, als gegen sie Partei zu ergreifen, erhielt Elliot's Physiognomie einen noch finsterem Ausdruck. Er bezwang indessen seinen Unmut, und Kairuk zum Zeichen der Freundschaft die Hand reichend, ließ er ihm durch La Bataille erklären, daß er vollkommen mit ihm einverstanden und nur ein Irrtum Ursache der Beraubung ihrer Freiheit gewesen sei.

Kairuk's Gesicht erheiterte sich bei dieser Nachricht, und er rief, wie um die Wahrheit der Aussage zu prüfen, Jreteba aus der Hütte, mit welchem er sodann dem nächsten Felsen zuschritt.

Elliot schaute ihnen mit einem Anflug von Argwohn nach; er beruhigte sich indessen wieder, als sie am Fuße der Felsen stehenblieben und einige Worte nach denselben hinaufriefen.

Was sie hinaufriefen, verstand selbst der Schlangen-Indianer nicht; die Wirkung ihrer Worte war aber eine gewichtige, denn es erhob sich augenblicklich auf allen Abhängen ein ohrenzerreißendes Jauchzen und Gellen, und statt der schwarz behaarten Köpfe und der nackten Glieder wurden die ganzen Gestalten sichtbar, wie sie in kleinere und größere Gruppen zusammentraten und jubelnd sich in der Richtung nach dem Colorado hin entfernten.

Wenn sie auch nicht weit gingen, so war doch anzunehmen, daß sie einen bequemeren Aufenthaltsort aufsuchten, als die Felsenabhänge, wo sie schon den größten Teil der Nacht zugebracht hatten, gewesen. Jedenfalls entfernten sie sich so geräuschvoll um ihre friedlichen Gesinnungen an den Tag zu legen.

Kairuk und Jreteba warteten mir so lange, bis sich ihnen drei andere Mohaves zugesellt hatten, worauf sie sich sogleich wieder nach den Hütten zurückbegaben. Sie waren jetzt bewaffnet mit langen Bogen und Rohrpfeilen, ebenso ihre Begleiter; offenbar wollten sie dadurch bekunden, daß sie auf beiden Seiten jeden ferneren Grund zum Mißtrauen als verschwunden betrachteten.

Zu der Wahl ihrer Begleiter mußte aber wieder eine kleine Eitelkeit maßgebend gewesen sein, denn alle drei, obgleich nicht ganz so groß und kräftig gebaut wie Kairuk und Jreteba, überragten dieselben noch, wozu sich gesellte, daß sie sich auf das Merkwürdigste bemalt und jeder seinen Kopf mit einem Busch von rotgefärbten Kranichfedern geschmückt hatte. So glich der eine vollständig einer lebendigen, aus Metall gegossenen Statue, indem er seinen ganzen Körper, bis auf einen roten Strich über Nase und Kinn, mit einer Mischung von pulverisiertem Bleierz und Fett eingerieben hatte, während die beiden anderen vom Kopf bis zu den Füßen in breiten Bändern von ziegelgelber und weißer Farbe prangten.

Mit dem Erscheinen Elliot's und der durch sein festes und verständiges Auftreten veranlaßten Entfernung der eingeborenen Kriegerhaufen kehrte auch die Ruhe in das Lager der Mormonen zurück, und von allen Seiten eilten die Mitglieder der Karawane herbei, um den Abgesandten des Propheten zu begrüßen und ihren Dank für die Rettung aus der drohenden Gefahr auszusprechen.

Elliot benahm sich wie ein kluger Feldherr, und wenn sein abgeschlossenes, ernstes Wesen ihn auch keinen Augenblick verließ, so wußte er doch jeden kleinen Umstand schlau zu benutzen, um seinen Einfluß zu heben und das Vertrauen in das Mormonentum, welches bei manchem infolge der beschwerlichen Reise vielleicht schon wankend geworden, zu befestigen. Namentlich waren es die Frauen, welche er durch einige leicht hingeworfene Worte aufmunterte und auf das friedliche Leben am Salzsee vorbereitete, und geschickt wußte er auszuweichen, wenn die eine oder die andere mit besorgnisvollem Tone des zu ihren Ohren gedrungenen Gerüchts der am Salzsee herrschenden Sitte der Vielweiberei erwähnte.

Jansen hatte unterdessen die ihm eigenhändigen Briefschaften durchgelesen und aus denselben ersehen, daß Elliot, ausgerüstet mit den weitreichendsten Vollmachten, nicht nur den Zeitpunkt des Aufbruchs zu bestimmen habe, sondern auch nach Gutdünken die Karawane teilen oder eine kleine Besatzung bei den Hütten zurücklassen könne. Auch die beabsichtigte Vereinigung Elliot's und Hertha's war in einem besonderen Schreiben des Propheten erörtert worden, eine Nachricht, die ihn zwar anfangs überraschte, nach kurzem Überlegen jedoch mit Befriedigung zu erfüllen schien; denn indem er Elliot, der ihn beständig von der Seite beobachtet hatte, die Hand drückte, sprach er seine vollste Übereinstimmung mit den Ansichten und Plänen des obersten Propheten aus, und fügte nur noch den Wunsch hinzu, daß keine unvorhergesehenen Umstände ihnen bei ihrem Vorhaben hindernd in den Weg treten möchten.

Die Mohaves waren wieder bei der Hütte eingetroffen und kauerten behaglich um ein kleines Feuer, wo ihnen auf Elliot's Anordnung Speisen verabreicht wurden. Die dort versammelten Männer, Frauen und Kinder zerstreuten sich, um ihren verschiedenen Lagerbeschäftigungen nachzugehen, und erst als Elliot sich überzeugt hatte, daß die nötigen Vorsichtsmaßregeln nicht vernachlässigt wurden und eine Abteilung Jäger zu einer voraussichtlich vergeblichen Verfolgung der Wallpai-Räuber aufgebrochen sei, schickte er sich an, in die Hütte einzutreten und sich den Damen vorzustellen.

Ende des zweiten Teiles


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