Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band I
Balduin Möllhausen

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Zweiter Teil

1.

Im Atelier

In vielen, ja in den meisten Fällen bietet das Atelier eines Malers das Bild einer gewissen genialen Unordnung, die indessen nicht unangenehm berührt, weil gewöhnlich die Aufmerksamkeit auf angefangene und fertige Gemälde hingelenkt wird, hier, um mit reger Phantasie die noch nicht ausgeführten Gedanken des Künstlers zu erraten, dort, um laut zu bewundern oder auch im Stillen zu tadeln.

Wo nun in größeren amerikanischen Städten Künstler ihre Werkstätten aufgeschlagen haben, da tritt diese Unordnung noch mehr in den Vordergrund, weil eben der Mangel an geeigneten Räumlichkeiten sie zwingt, jedes kleinste Fleckchen, mit sehr wenig Rücksicht auf Symmetrie, zu benutzen und die Gegenstände, die nicht nebeneinander Platz haben, übereinander aufzustapeln.

So war es auch in Falk's Häuslichkeit, die, obgleich er sich ganz nach dem äußersten Ende der Stadt zurückgezogen hatte, wo die Wohnungen noch verhältnismäßig billig vermietet wurden, ihm kaum gestattete, eine größere Gesellschaft bei sich aufzunehmen.

Seine Häuslichkeit bestand nämlich nur aus zwei Gemächern: einer Kammer, in welcher sein einfaches Bett stand, und einer großen Stube, die ihren Zweck zugleich als Wohnzimmer und Atelier erfüllte.

An dem Nachmittag, an welchem Falk den Lieutenant Weatherton und Raft erwartete, herrschte eine ungewöhnliche Ordnung in dem Atelier, indem auf dem Sofa und auf einem Stuhl, durch Zusammenschieben und Übereinander- stapeln der Sachen, so viel Platz gewonnen war, daß drei Personen, ohne sich gegenseitig viel zu hindern, bequem sitzen konnten.

Weatherton war wirklich eingetroffen und hatte, wie Falk vorhergesehen, den alten Bootsmann mitgebracht.

In dem Augenblick, in welchem wir einen Blick in das Atelier werfen, mußte der Besuch sich schon längere Zeit bei dem Künstler befunden haben; denn aus der nachdenklichen Stellung, in welcher die beiden jungen Leute, die sich schnell miteinander befreundet hatten, auf dem Sofa saßen, ging hervor, daß Falk mit seinem Bericht zu Ende gekommen war, das Erzählte ihren Geist aber noch ernst und rege beschäftigte.

Jim Raft, der erst auf des Künstlers ausdrücklichen Wunsch den einzigen leeren Stuhl für sich in Anspruch genommen hatte, saß vor ihnen an dem Tisch. Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit war er Falk's Mitteilungen gefolgt, hatte sich dabei aber doch nicht enthalten können, das Tau- und Segelwerk einer kleinen Modellfregatte, die nicht ohne Absicht vor ihn auf den Tisch gestellt worden war, etwas zu ordnen. Es entschlüpfte seinen Lippen wohl hin und wieder ein leises ungeduldiges »Goddam«, wenn die schwachen Fäden an den zierlich geschnitzten Masten sich als zu wenig haltbar für seine mächtigen Fäuste auswiesen, oder wenn Falk einzelne Punkte in seiner Erzählung besonders hervorhob; weiter ging indessen seine Beteiligung an der Unterhaltung nicht, und mochten auch, wer weiß was für Pläne und Gedanken in seinem Kopfe herumschwirren, seinem eisenharten Gesicht war nichts anzumerken, und nur das Blauwerden seiner furchtbaren Narbe deutete zuweilen auf eine vorübergehende innere Erregung. –

»Was Ihr durch einen so merkwürdigen Zufall erfuhret«, hob er an, »beweist nur, daß ich nicht irrte, indem ich mutmaßte, es sei nicht nur auf eine Täuschung des jungen hilflosen Mädchens abgesehen, sondern auch auf eine Übervorteilung oder Beraubung desselben.«

»Ihr sagtet doch wohl, es befände sich in ihrer Umgebung eine Dame; haltet Ihr diese ebenfalls für treulos?« fragte der Künstler.

»Ebenso treulos, ja noch treuloser, als alle Übrigen«, antwortete Weatherton schnell. »Dieselbe ist eine alte, eitle Person, die sich offenbar nur deshalb zum Mormonismus bekehrte, um ihre Tage nicht unverheiratet beschließen zu müssen. Habe ich sie richtig durchschaut, so rechnet sie darauf, die zweite oder dritte Gattin Desjenigen zu werden, dem das junge unschuldvolle Wesen geopfert werden soll. Sie will heiraten und zugleich Vorteil von dem nicht unbedeutenden Vermögen ihrer Schutzbefohlenen ziehen«.

»Es ist schändlich«, versetzte Falk mit einer Gebärde des Abscheus, »ich glaube indessen kaum, daß in diesem Falle, so ganz ohne alle Beweismittel, von den Gerichten Beistand zu erwarten wäre.«

»Auch ich bezweifle das«, pflichtete Weatherton bei, »darum aber habe ich mir eben die Aufgabe gestellt, alles aufzubieten, um dergleichen Beweismittel zu erlangen.«

»Aber sagt, wozu würdet ihr raten?« fragte Weatherton weiter, und zwar mit einer Ängstlichkeit, die mehr von seinen Gefühlen verriet, als er ahnte.

»Ich rate vor allen Dingen, die Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren. Ihr wißt ja, wo sie in New York wohnen wird.«

»Keine Ahnung habe ich davon«, erwiderte Weatherton erschrocken. »Sie verließ in Begleitung ihrer Gouvernante, ihres Onkels und des Vormundes den Leoparden schon heute Vormittag, nachdem alle den herzlichsten Abschied von fast jedem an Bord genommen hatten. Ich selbst erfreute mich bei dieser Gelegenheit der anerkennendsten Worte, und Rynolds sagte sogar sehr verbindlich: er hoffe, mich noch vor seiner Abreise bei sich zu sehen, und er wolle, sobald das vorläufige Absteigequartier mit einer angemesseneren Wohnung vertauscht sei, mich von diesem Wechsel in Kenntnis setzen. Ich sehe ein, ich werde vergeblich auf Nachricht von ihm harren, denn die übrigen an Bord befindlichen Mormonen haben sich nicht nur gleich nach ihrem Landen nach allen Richtungen hin zerstreut, sondern es sind auch, auffälliger Weise, offenbar um jeden Verkehr mit allen Mitreisenden abzubrechen, schon an Bord des Leoparden die Zeugenaussagen der Passagiere, betreffs des Unterganges der Brigg, von einem Notar aufgenommen worden. Das Einzige wäre, daß die junge Dame selbst mir über ihren Aufenthaltsort Auskunft gäbe; sie versprach wenigstens« –

Bis hierher hatte Falk ruhig zugehört. Als Weatherton aber ein Versprechens des jungen Mädchens erwähnte, erhellte wiederum das bezeichnende teilnahmvolle Lächeln sein kluges Gesicht, und indem er, wie spielend, mit ein paar flüchtigen Strichen das wohlgetroffene Portrait des aufmerksam und respektvoll lauschenden Raft beendigte, rief er aus:

»Ihr glaubt also, dieser Zerberus von Gouvernante würde einen Brief der jungen Mormonin, und wäre er nicht größer, als ein Kupfercent, an seine Bestimmung gelangen lassen? Ich für meine Person glaube es nicht; wüßte ich nicht zufällig, in welchem Hause sie ein Unterkommen gefunden haben« –

»Ihr wißt?« fuhr Weatherton auf, und für jemanden, der aus reiner Menschlichkeit seinem von unbekannten Gefahren bedrohten Nächsten zu dienen wünscht, wechselten Hoffnung und Besorgnis fast zu schnell und seltsam seinen gespannten Zügen.

»Ich kenne das Haus, und Mr. Raft kennt es auch«, versicherte Falk, den es höchlichst ergötzte, daß der Bootsmann bei Nennung seines Namens emporsprang und, wie bei der Musterung, mit lauter Stimme ausrief: »Hier!« »Ja wir kennen das Haus«, wiederholte er, nachdem Raft, sein Gesicht zu einem grimmigen Erstaunen verziehend, wieder Platz genommen hatte. »Entweder habt Ihr es überhört, oder ich bin in meinem Bericht nicht deutlich genug gewesen; doch sei dem, wie es wolle, es unterliegt kaum einem Zweifel, daß sie im Hause Abraham's, wie die beiden Mormonen ihren Gefährten nannten, eingekehrt sind. Ich weiß zwar nicht die Nummer des Hauses, allein da ich die Straße kenne, so getraue ich mir auch bei Tage das Gebäude wieder herauszufinden, vor welchem ich gestern Abend so lange mit unserem Freunde Raft gestanden habe«.

»Vielleicht entdecken wir an den Fenstern irgend etwas, das auf die Anwesenheit des jungen Mädchens deutet«, sagte Weatherton, indem er sich erhob und nach seiner Mütze griff.

»Möglich, aber nicht wahrscheinlich«, entgegnete Falk, dem Beispiele des Offiziers folgend. »Aber Halt!« rief er plötzlich aus, an der Tür stehenbleibend, »wir dürfen nicht vergessen, daß Eure alten Reisegefährten Euch und Mr. Raft kennen; ebenso liegt es außer allem Zweifel, daß sie mich gestern Abend in der Laube sehr genau betrachtet haben. Gesetzt den Fall, einer der Männer befände sich statt des jungen Mädchens am Fenster, und er sähe uns zusammen vorübergehen und unsere Aufmerksamkeit« –

»Wir dürfen unbedingt nicht zusammenbleiben«, unterbrach Weatherton den Maler hastig; »bemerkten sie uns, so würden sie Verdacht fassen und ihre Vorkehrungen treffen. Begeben wir uns daher bis in die Nähe der bezeichneten Straße; dort trennen wir uns. Raft wird mich dann begleiten und mir das Haus zeigen; Ihr selbst aber folgt, vielleicht eine Viertelstunde später, nach und wir treffen uns dann an einer verabredeten Stelle«.

»Gut«, antwortete Falk, »ich habe ohnehin die Absicht, einen Freund im Hotel Dietz zu besuchen, und wenn es Euch genehm ist –«

»Also Hotel Dietz«, sagte Weatherton zustimmend, und gleich darauf traten sie auf die Straße hinaus.

Vor der Tür wendeten sie sogleich links, und nachdem sie eine kurze Strecke fortgeschritten waren, gelangten sie an eine schmale Querstraße, die nach der Pferdeeisenbahn führte, und da sie letztere, der Entfernung wegen, zu benutzen gedachten, bogen sie ohne Zögern in die Verbindungsgasse ein. –

Kaum waren Weatherton's, Falk's und des Bootsmannes Gestalten in der Querstraße verschwunden, so traten aus dem Hofraum des neben der Wohnung des Künstlers gelegenen Hauses der Graf und der Baron, die am Abend vorher in der Konzerthalle eine so wenig ergötzliche Rolle gespielt hatten. Vorsichtig schauten sie sich um. Gleich darauf aber eilten sie den augenscheinlich von ihnen beobachteten drei Männern nach, jedoch nur bis an die Ecke der Quergasse, von wo aus sie ihnen schweigend nachschauten. Ihre Blicke reichten bis nach der Pferdeeisenbahn hin; sie konnten also deutlich gewahren, daß Falk und seine Gefährten gerade vor der Eisenbahn stehen blieben, um den nächsten in die Stadt fahrenden Wagen zu erwarten.

»Weiter brauchen wir ihnen nicht nachzusetzen, Kamerad«, sagte der Baron, als es keinem Zweifel mehr unterlag, daß sie die bezeichnete Fahrgelegenheit benutzen würden.

»Aber wir haben etwas anderes zu tun, mein Brüderchen«, antwortete der Graf, sich umkehrend und mit eiligen Schritten der Straße weiter abwärts folgend. »Schlaue Kerls, diese Mormonen; begriff gar nicht, warum sie uns auf dem Werft so lange schildern ließen und uns endlich auf die Fährte dieses abgeschmackten Schiffslieutenants setzten. Ha ha ha! Es ist unser erster Dienst im Solde der Mormonenregierung. Leichter Dienst, gute Bezahlung; auf Ehre, wollen ihnen dafür ihre Armee auf anständigen Fuß bringen, habe schon meine Pläne; statiöse Uniformen, gute Pferde, neues Dienstreglement statt ihrer barbarischen Gewohnheiten, und, mein Brüderchen, Orientalismus ist wert, die Seele zehnmal dem Teufel zu verschreiben, geschweige denn Mormone zu werden. Bin lieber Mormonengeneral, als Kapitän oder Lieutenant in irgend einem beliebigen kleinen Staat«.

»Geld ist die Hauptsache, seit es in diesem Lande Mode geworden, niemandem etwas auf sein ehrliches Gesicht zu borgen«, versetzte der Baron mit blasiertem Wesen. »Ob es wohl Karten am Salzsee gibt?« fragte er gleich darauf.

»Wenn sie noch nicht da sind, beim Jupiter! dann müssen wir sie einführen«, antwortete der Graf, der in Gedanken schon die Generalspauletten auf seinen Schultern fühlte. »Ich werde überhaupt meinen ganzen Einfluß aufbieten, die noblen Passionen etwas zu wecken und, wenigstens in meiner Umgebung, den notdürftigen Grad der verfeinerten Zivilisation verbreiten«.

»Das hindert uns indessen nicht, jetzt Spionsdienste zu verrichten«, bemerkte der Baron mit einem Anflug von Sarkasmus.

»Dienst ist Dienst«, tröstete der Graf, »wir befinden uns in Feindes Land, und zum Spionieren gehört oft mehr Mut, als vor die Mündung eines geladenen Geschützes zu treten. Sind übrigens verhenkert schlaue Kerls, diese Mormonen; hätte ihnen nicht so viel Scharfsinn zugetraut; wundere mich selbst über unsern Erfolg; müssen daher ihren Anordnungen, wenigstens vorläufig, pünktlich Folge leisten«.

»Und was zunächst?« fragte der Baron gelangweilt. »So schnell wie möglich zu Abraham«, antwortete der Graf. »Abraham, Abraham? Judenname; ist aber nie Jude gewesen, würde mich schämen, Israelitenpack Gefälligkeiten zu erweisen. Ja, zum Mr. Abraham; wer weiß, wozu er sich nach unseren wichtigen Mitteilungen entschließt! Merkwürdig! dieser perfide Farbenkleckser im Bündniß mit dem abgeschmackten Schiffslieutenant. Seltsames Zusammentreffen, auf Ehre!«

Unter solchen Gesprächen waren die beiden würdigen Kameraden an eine andere Querstraße gelangt, und als sie um die nächste Ecke herumtraten, befanden sie sich vor einem eleganten einspännigen Mietscabriolet, dessen Kutscher bei ihrem Anblick sogleich die Peitsche hob und die Zügel straff anzog.

»Augenblicklich nach dem Hause zurück, vor welchem wir aufgestiegen sind, und zugefahren!« kommandierte der Graf, ohne den Kutscher eines Blickes zu würdigen, in schnarrendem Tone, worauf er sich nachlässig auf den einen Eckplatz warf, und es dem Baron überließ, mit etwas mehr Unbeholfenheit den anderen Sitz für sich in Anspruch zu nehmen.

»Hier sind wir, meine Freunde, und nun augenblicklich aus meinem Wagen und schnell gemacht!« tönte des Kutschers Stimme plötzlich barsch in ihre verwöhnten Ohren, und gleichzeitig standen Pferd und Wagen mit einer kurzen heftigen Bewegung still.

Der Graf warf dem Kutscher schweigend einen durchbohrenden Blick zu. Dieser aber lachte ihm höhnisch in's Gesicht und wiederholte die Aufforderung, ohne Säumen seinen Wagen zu verlassen.

Um sich daher nicht weiter durch einen Wortwechsel mit einem so rohen Menschen zu erniedrigen, erhoben sich die beiden Herren und stiegen auf den entgegengesetzten Seiten aus. Kaum berührten aber ihre Füße festen Boden, so knallte auch schon wieder die Peitsche, das Pferd zog an, und nur mit genauer Not retteten sie sich durch einen kühnen Seitensprung aus der Gefahr, von den Rädern des dahinrollenden Wägelchens unsanft berührt zu werden; dagegen berührte das laute Hohnlachen des Kutschers um so empfindlicher ihre empörten Gemüter.

»Es ist himmelschreiend, mit welcher rohen Anmaßung der nordamerikanische Pöbel sich den gebildeten Ständen gegenüber benimmt«, sagte der Graf, bleich vor innerer Wut dem Fuhrwerk nachblickend; in solcher Weise zu sprechen! der Mensch verdiente mit der Hetzpeitsche durch die Straßen New Yorks gegeißelt zu werden. Wie sind die europäischen Zustände doch golden gegen die hiesigen!«

»Die schönen Tage von Aranguez sind vorüber! In Europa ist es auch nicht viel besser, denn was der Plebs dort nicht auszusprechen wagt, das denkt er«, versetzte der Baron, dem es viel zu unbequem war, sich noch zu ereifern, dabei aber nicht ahnte, wie nahe er mit seiner oberflächlichen und gar nicht durchdachten Bemerkung der Wahrheit gekommen.

«Beim Jupiter!« rief der Graf plötzlich aus, in die Vorhalle von Abraham's Haus springend und den Baron nach sich ziehend, »beim Jupiter und bei allen schönen Mormonengöttinen! Schau hin, mein Brüderchen, dort kommen sie! Gut manövriert! Wären auf Ehre mit ihnen gerade hier zusammengetroffen, hätte ich den schurkischen Kutscher nicht gezwungen, sich zu beeilen!«

Sie überzeugten sich noch, daß es wirklich kein Irrtum sei, als sie dem anderen Ende der Straße die Gestalten Weatherton's und Raft's zu erkennen glaubten, die sich langsamen Schrittes dem Hause Abraham's näherten, dann aber eilten sie, so schnell ihre Füße sie zu tragen vermochten, die Treppe hinauf, und mit der Miene von Überbringern wichtiger Nachrichten traten sie in das Geschäftszimmer Abraham's, den sie in tiefem Gespräch mit Jansen und Rynolds fanden.

Weatherton und sein getreuer Bootsmann verfolgten unterdessen ungestört ihren Weg. Schon lange vorher, ehe sie Abraham's Haus erreichten, hatte Raft dasselbe seinem Lieutenant bezeichnet, weshalb sie, ohne sich oder ihre Absichten durch forschende Bewegungen zu verraten, mit der gleichgültigen Miene vorübergingen. Nur einmal richtete Weatherton seine Augen, wie zufällig, auf das Haus, um die Nummer desselben seinem Gedächtnis einzuprägen, und zugleich flogen seine Blicke blitzschnell über alle Fenster. Dies geschah indessen mit einem solchen Ausdruck, daß selbst der mißtrauischste Mormone nicht, wenn er seine Absichten nicht lange vorher geahnt hätte, dadurch zum Argwohn veranlaßt worden wäre.

Er entdeckte nichts, was auf die Anwesenheit von Frauen gedeutet hätte, ebensowenig bemerkte er irgendeinen anderen Menschen. Es war alles so still und öde in dem Hause, als sei es unbewohnt gewesen, doch bewiesen die geöffneten Fensterladen der mit sauberen Gardinen verhangenen unteren Etagen, wie die der oberen, offenbar zu Speichern und Warenlagern benutzten Räume das Gegenteil.

Bis zu einem gewissen Grade enttäuscht, aber auch wieder zufrieden, daß es ihm gelungen war, Hertha's Aufenthaltsort auszukundschaften, ohne selbst bemerkt worden zu sein, entfernte er sich langsamen Schrittes und fortwährend plaudernd mit Raft, der ihn noch immer mit seinen enthusiastischen Lobpreisungen des Seestückes unterhielt. –

Weatherton hatte also keine lebende Seele in dem Hause wahrgenommen. Wären seine Blicke aber tiefer durch die blendenen Fensterscheiben in Abraham's Geschäftszimmer eingedrungen, so würde er sich gewundert haben über den Ausdruck, mit welchem man, von einem sichern Standpunkte aus, ihn und seinen Gefährten beobachtete und ihre Bewegungen aufs sorgfältigste bewachte; nicht zu gedenken der drohenden Äußerungen, die betreffs seiner gewechselt wurden.

»Es unterliegt keinem Zweifel«, sagte nämlich Abraham finster, sobald Weatherton ihm nicht mehr sichtbar war; »er hat auf irgendeine Art Euren Zufluchtsort ausfindig zu machen gewußt, und es steht zu erwarten, daß er uns nächstens persönlich einen Besuch abstattet«.

»Und welchen Erfolg würde es für ihn haben, wenn er nur Euch träfe? Denn das, was er eigentlich und am meisten sucht, ist doch wohl sicher genug aufgehoben«, versetzte Jansen, noch einen zornigen Blick dahin sendend, wo Weatherton eben verschwunden war.

»Aber er und diejenigen, die ihn vielleicht begleiten, könnten etwas finden, was sie nicht suchen!« entgegnete Abraham heftig. »Bedenkt die Vorräte, die oben aufgespeichert liegen und über deren Bestimmung, jetzt, nach voraufgegangener, wenn auch vorläufig noch bedingter Kriegserklärung, wohl kaum ein Schulknabe lange in Zweifel bleiben dürfte. Es würden uns dadurch nicht allein unersetzliche Verluste, sondern auch Gefahren für uns selbst erwachsen«.

Hier zupfte Rynolds ihn leise am Rock, indem er mit den Augen verstohlen auf die beiden neuangeordneten Offiziere deutete.

Abraham verstand den Wink und wendete sich sogleich zu diesen.

»Ihr habt Euer militärisches Talent bewährt, meine Herren«, redete er den Grafen und seinen Kameraden mit einer verbindlichen Verbeugung an, »es ist in der Tat ein großer Dienst, welchen Ihr uns leistet. Ihr werdet aber auch die Überzeugung gewonnen haben, daß unsere Macht wohl organisiert ist, und daß kein Wort unüberlegt gesprochen, keine Handlung ohne bestimmten Zweck angeordnet wird. Nur das genaueste Ineinandergreifen unserer Pläne und die größte Einigkeit und Übereinstimmung in der Verfolgung derselben machen uns, selbst hier im Herzen des uns feindlichen Landes, stark, und deshalb müssen wir auf die strengste Disziplin halten.

»Sagtet Ihr nicht, es sei noch ein Dritter in der Gesellschaft der beiden Seeleute gewesen?«

»Gewiß«, antwortete der Graf, der stets auf Anciennität hielt und daher gewöhnlich das Wort ergriff; »es war indessen nur eine höchst nichtssagende Persönlichkeit, ein Anstreicher, den wir schon seit längerer Zeit kennen, das heißt, von Ansehen kennen. Er liebt es, sich Künstler zu nennen; wie gesagt, eine höchst nichtssagende, unbedeutende Persönlichkeit.«

»Ich danke Euch«, versetzte der Mormonenagent, sich nach einer neuen höflichen Verbeugung dem Fenster zuzuwendend. Kaum hatte er aber einen Blick auf die Straße gworfen, so verfärbte er sich, und die beiden Edelleute, die sich schon an der Tür befanden, zurückrufend, deutete er auf Falk, der, ohne rechts oder links zu schauen, eben vorüberschritt.

»Es ist doch wohl nicht der dort?« fragte er, kaum fähig, seine Besorgnis zu unterdrücken; denn er sowohl wie Jansen und Rynolds erkannten denselben Deutschen wieder, der am vorhergehenden Abend in ihrer nächsten Nachbarschaft sich so sehr in seine Berechnungen und Betrachtungen vertieft hatte, und nur Gedanken für die in seinem Taschenbuch enthaltenen Notizen zu haben schien.

»Derselbe Anstreicher«, antwortete der Graf in wegwerfendem Tone, »eine Persönlichkeit, welche den unteren Schichten angehört. Sieht übrigens aus, wie eine verabredete Recognoszierung. Die beiden Seeleute bildeten die Spitze, der Anstreicher die Verbindung« –

»Allerdings ist es eine Recognoszierung«, unterbrach Abraham etwas ungeduldig den mit seinen militärischen Kenntnissen kokettierenden Grafen, »doch wollen wir uns dadurch nicht in unseren ferneren Arbeiten stören lassen.«

Die beiden Offiziere glaubten zu verstehen, daß ihre Anwesenheit in dem Geschäftszimmer überflüssig sei, und entfernten sich daher. Der laute Schall der Klingel aber, der gleich darauf mit einem gewissen gebieterischen Ausdruck herauftönte, verriet, daß sie Abraham's Mahnung, sich gänzlich wie zu Hause zu fühlen, nicht vergessen hatten.

Die drei Mormonen achteten nicht auf das Geräusch. Die Gestalt des Malers war wie ein unheimliches Gespenst vor ihnen aufgetaucht, und vergeblich suchten sie zu enträtseln, was gerade ihn in ihren Weg und demnächst mit Weatherton zusammengeführt habe.

»Es ist der Fremde, der gestern Abend neben uns in der Laube saß«, sagte Jansen endlich, und seine Zähne knirschten aufeinander.

»Derselbe«, pflichteten Abraham und Rynolds ihm gleichzeitig bei.

»Derselbe«, wiederholte Abraham sinnend, »ich würde ihn unter Hunderten an seinem ungarischen Hut, an seinem Bart und an seinem ernsten Blick wiedererkannt haben. Mir ahnte nichts Gutes, als ich ihn so in sich versunken dasitzen sah. Ja, er war zu tief mit sich und seinen Gedanken beschäftigt, als daß es natürlich hätte sein können«.

»Versteht er schwedisch«, so dürften manche Ungelegenheiten, ja Gefahren für uns daraus hervorgehen«, bemerkte Rynolds kleinlaut.

»Wenn wir keine Gegenminen anlegen«, fügte Abraham mit bestimmterem Wesen hinzu. »Zwei Fälle sind nur möglich«, fuhr er sodann fort, und die Falten auf seiner hohen kahlen Stirn legten sich noch dichter zusammen. »Entweder hat er unsere ganze Unterhaltung erlauscht und sich in Folge dessen an den Schiffslieutenant gewendet, oder er hat sie nicht verstanden und der Zufall führte Letzteren samt dem groben Matrosen zu ihm ins Haus. Wir sind gezwungen, so lange das Schlimmste anzunehmen, bis das Gegenteil erwiesen ist, und müssen noch heute demgemäß unsere Vorbereitungen treffen. Es steht zu viel auf dem Spiele; wir dürfen uns keine Unvorsichtigkeit zu Schulden kommen lassen; und ich rate Euch daher, noch heute dieses Haus mit einer anderen Wohnung zu vertauschen«.

Nachdem Jansen und Rynolds ihm beigestimmt und sich zum sofortigen Wohnungswechsel bereiterklärt hatten, fuhr Abraham fort:

»Soweit ich bis jetzt die ganze Sachlage zu beurteilen vermag, gilt das Spähen und Spüren des Offiziers vorläufig dem Mädchen. Ich bezweifle nicht, daß er seine Forschungen auch bis hierher forsetzen wird. Trifft er in diesem Hause auf keine Spuren von Euch, so mag alles abgetan sein; entgegengesetzten Falls dürften die Forschungen bis in unsere Lagerräume ausgedehnt werden, und das Auffinden von Waffen und Kriegsbedarf zu immer weiteren Entdeckungen und endlicher Versiegung einer der erheblichsten Zufuhrquellen unserer Brüder am Salzsee leiten. Ferner müssen wir zu erfahren suchen, ob der Lieutenant und der Maler wirklich in den Besitz unserer Geheimnisse gelangten. Bestätigt sich dies, so müssen wir alles aufbieten, sie unschädlich zu machen. Den Maler werden wohl die unten befindlichen Herren am besten beobachten« –

»Doch ist es wohl nicht ratsam, ihnen zu viel Vertrauen zu schenken«, unterbrach Rynolds den Mormonenagenten; »sie machen eben nicht den Eindruck von zuverlässigen Leuten«.

»Fürchtet nichts, meine Brüder«, entgegnete Abraham; »ich halte sie nur für das, was sie sind, nämlich für ein paar gewissenlose Abenteurer, die sich einbilden, mit uns spielen zu können, wenn wir sie nur richtig zu benutzen verstehen. Schmeichelt ihrer albernen, auf nichts begründeten Eitelkeit, so gehen sie für Euch durch's Feuer. Entsprechen sie unseren Erwartungen nicht, wohlan, so hindert uns Niemand, sie jederzeit fallen zu lassen«.


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