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Nein, Vater, mir ist nicht zum Scherzen!
Ich liebe sie mit heißen Schmerzen,
Sprach bleich und ernst Vincèn und sah zum Greis empor
Mit leidverstörtem, bangem Flehen.
Die Pappeln, die am Ufer stehen,
Beugte des Mistral Sturmeswehen:
Zu des Liebenden Wort ein gewaltiger Chor.
Am Rhonestrand, vor seinem Hause,
Der engen, nußschalgroßen Klause,
Auf einem Baumstumpf saß, im Windschutz einer Wand,
Meister Ambroi beim Weidenschälen
Und an der schmalen Türe Pfählen,
Vincèn, der, flink im Gertenwählen,
Ein buntes Körbchen flocht mit kunstgeübter Hand.
Die Rhone, die der Sturm erregte,
Schob ihre Flut, die wild bewegte,
Dem Meer in Wellen zu, gleich Stieren toll und wild.
Doch hier, an baumgeschützter Stelle,
Schlug klar des Stromes blaue Welle
Mit leisem Plätschern an die Schwelle
Des Hüttchens in der Bucht, ein friedlich holdes Bild.
Hier pflegten Biber mit Behagen
Die Weidenstümpfe zu benagen;
Und unten auf dem Grund da tummelten sich frisch,
Wohl sichtbar in den klaren Tiefen,
Die braunen Ottern. Hurtig liefen
Sie hin und wieder in den Riefen
Und jagten flink den Fisch, den schönen Silberfisch.
Am Ufer wiegte sich gelinde
Manch Hängemeisennest im Winde
In Erl und Weidenbusch an schwankem Zweige, fest
Und weich, wie ein Gewand, gewoben.
Beim Blühn der Silberpappeln stoben
Die Fläumchen durch die Last; dann hoben
Die Vöglein sie empor, zum Polster für ihr Nest.
Bräunlich wie eine Tortillade
Stand dort ein Mädchen am Gestade
Und hing ein nasses Netz, das viele Ellen maß,
An eines Feigenbaumes Äste.
Des Ufers kleine Sängergäste
Kannten die Schöne längst aufs beste
Und scheuten sie nicht mehr als Busch und Binsengras.
Meister Ambròsi Kind, die feine
Vincenèto. Ach, arme Kleine!
Ihr hatte niemand noch mit Schmuck das Ohr besetzt;
Ihr schlehenblaues Auge glühte
Und strahlte Munterkeit und Güte:
Sie glich der herben Kapernblüte
Am Ufer, die der Gischt der Rhone liebend netzt.
Meister Ambroi, der weiße Alte,
Des Bart bis auf die Hüften wallte,
Antwortete dem Sohn: Du mußt von Sinnen sein!
Du, auf den sonst so fest ich baue,
Sprichst, daß ich kaum den Ohren traue! –
Vater! Wenn gar zu schön die Aue
Zerreißt sein Halsterband das frömmste Eselein!
Ihr kennt sie ja! Wozu die Worte?
Käm' sie zur Arlatiner Pforte,
So bärgen in der Stadt die Mädchen weinend sich,
Denn nach ihr ward die Form zerschlagen. . . .
Ich darf um sie zu freien wagen:
Sie liebt mich! Was könnt jetzt ihr sagen? –
Reichtum und Armsein, Tor, die zwei belehren dich! –
Vater, von Valabrego eilet
Zum Zürgelhofe, unverweilet
Und teilt den Eltern dort nur alles treulich mit!
Sagt, daß man erst den Mann besehe,
Daß Tüchtigkeit vor Reichtum gehe,
Sagt ihnen, daß ich wohl verstehe
Im Weinberg und im Feld Tagwerk und Rebenschnitt,
Sagt, ihre sechs Paar Tiere sollen,
Wenn ich sie führe, tief die Schollen
Aufpflügen wie noch nie. Ich wolle treu und gut
Ihr Alter ehren. Sagt, uns trennen
Sei zweier Herzen Zug verkennen,
Die der Verzweiflung nicht entrännen. . . .
Ach, rief der Greis, aus dir spricht allzu junges Blut!
Das ist das Ei der weißen Henne!
Der Goldhänfling im Busche! Brenne
Auf seinen Fang, du Tor! Du magst mit aller List,
Mit allem Locken es versuchen,
Versprich ihm täglich Zuckerkuchen,
Du wirst ihn doch vergeblich suchen:
Er kommt nicht, weil du nur ein armer Schlucker bist! –
Heißt Armsein denn den Aussatz haben?
Verteilte so der Herr die Gaben?
Sagt, Vater? schrie Vincèn und schlug auf Haupt und Brust.
Ist es gerecht, wenn mir hienieden
Versagt sind Liebesglück und Frieden?
Warum ward Armut uns beschieden,
Warum für mich nur Qual und andern alle Lust,
Warum sind ihnen süße Reben
Und uns die Treber nur gegeben?
Doch mit erhobnem Arm versetzt der Alte schnell:
Du würdest klüger Reiser flechten!
Seit wann darf mit dem Schnitter rechten
Das Ährenbündel? . . . Solche schlechten
Gedanken schlage gleich dir aus dem Hirn, Gesell!
Darf auch der Wurm den Herrn der Welten,
Weil er ihn nicht als Stern schuf, schelten?
Und fragt der Stier warum er nicht zum Hirten ward?
Warum ihm Streu und dem Getreide? . . .
Gut oder schlimm, mein Sohn, bescheide
Dich deiner Bahn und keinen neide. . . .
Die Finger an der Hand sind auch nicht gleicher Art.
Schuf Gott als Eidechs dich,
verhalte Dich still in deiner Felsenspalte,
Trink einen Sonnenstrahl und sage fröhlich Dank! –
Nein! Mehr als meine Schwester liebe
Ich sie und mehr als Gott! Und bliebe
Mein Sehnen ungestillt, es triebe
Mich in den Tod . . . und fort, verzweifelt, seelenkrank,
Stürzt' er, und in der Rhone Dröhnen
Haucht' er sein Leid in Klagetönen.
Auch Vincenèto kam, in Tränen, nun daher
Und sprach zum Vater: Mitleid habe
Mit meinem Bruder, gib die Labe
Der Hoffnung ihm: Es war ein Knabe
Aus meiner Herrschaft Hof, ganz so verliebt wie er;
Für seines Brotherrn Tochter brannte
Sein Herz. Sie hieß Alis. Man nannte
Sivèstre ihn. Ein Bursch, flink, fleißig und gewandt.
Dem Wackern lieh die Liebe Schwingen
Das schwerste Tagwerk zu bezwingen . . .
Des jungen Mädchens Eltern gingen
Getrost zur Ruh, wenn er auf seinem Posten stand.
Doch einst, am frühen Morgen, hörte
Die Bäu'rin, was ihr Herz empörte:
Der Knecht sprach mit Alis, von Liebe sprach er ihr.
Und Mittags sagten unsre Leute:
Wie glühn des Bauern Augen heute!
Bald merkten wir, was das bedeute:
Verräter, rief er, hier dein Lohn, und fort mit dir!
Der arme Junge ging. Wir andern
Sah'n voll Bedauern ihn entwandern
Dem Hofe, ihn, der stets so tüchtig und gesetzt.
Drei Wochen sah man ihn, beim Reifen
Der Ernte, durch die Felder streifen,
Im Umkreis des Gehöftes schweifen,
Verstört und abgezehrt, die Kleider ganz zerfetzt;
Und dumpf, wie eines Bären Stöhnen,
Vom Wingert her, in Klagetönen,
Hallt' uns in stiller Nacht sein Ruf: Alis! . . . ins Ohr . . .
Doch eines Abends, Vater, flogen
Die Feuergarben hoch im Bogen
Vom Schober auf . . . und Männer zogen
Einen Ertrunkenen am Brunnenseil empor.
Da seufzt Ambroi aus tiefstem Herzen:
Mit kleinen Kindern, kleine Schmerzen,
Mit großen, sind sie groß. – Steht auf und geht ins Haus.
Die rote Mütze aus der Truhe,
Hohe Gamaschen, Nagelschuhe,
Langt er, und nach der Kieselfluhe
Der Crau zieht er betrübt, doch festen Schrittes aus.
Es war in jenen Sommertagen,
Da hoch die reifen Halme ragen;
Vorabend war es just von Sankt Johannis Tag.
Rings sah man schon auf allen Wegen
Die Schnitterscharen sich bewegen,
Die dann ins Tal zu kommen pflegen,
Bestaubt und sonnverbrannt, zum frohen Ernteschlag.
Die Sicheln mit den scharfen Schneiden
Tragen sie umgehängt in Scheiden
Von weißem Feigenholz. Sie pflegen Paar um Paar,
Je mit der Binderin, zu schreiten;
Auf Karren, die zu beiden Seiten
Flöten und Tamburin begleiten,
Ruhen, vom Marsch erschöpft, die Ältesten der Schar.
Und wie sie längs der Felder zogen,
Wo hin und her in großen Wogen
Der Wind die Ähren trieb: O seht das Korn, wie schön!
Wie voll und dicht, wie hübsch zur Schneide,
So riefen sie, steht das Getreide;
Wenn durch die Halmen eine Scheide
Der Nordwind zieht, wie schnell sie wied'rum sich erhöhn!
Ambroi begrüßt sie. . . . Sind die Saaten
Ringsum im Lande so geraten
Wie hier, mein alter Freund? fragt' ihn im Weitergehn
Der Jungen einer. – Sehr zurücke
Ist roter Weizen noch; die Tücke
Des Winters spürt er, doch zum Glücke
Bleibt gut der Wind. Man wird's an Sicheln fehlen sehn.
Habt ihr zur Weihnacht am Altare
Der Kerzen Glanz bemerkt? Dem Jahre,
Das solchem Zeichen folgt, wird immer segenschwer
Die Ernte wachsen. – Gott erhalte
Die Saat, und reichster Segen walte
Ob eurer Scheune, Freund! – Der Alte
Schritt nun im Männertrupp am Weidenhag einher.
Und so, im steten Weiterwandern,
Plauderten sie vom ein' und andern
Und kamen nach und nach dem Zürgelhofe nah.
Dort sah man schon im Felde stehen
Meister Ramoun; er wollte sehen,
Was zu des scharfen Mistral Wehen
Der schöne Weizen sprach und was im Feld geschah.
Er musterte nach allen Seiten
Die weizenreichen, goldnen Weiten. –
Nun, Meister, ist es Zeit! klang es ihm leis ins Ohr,
Wie Flüstern aus den reifen Ähren,
Sieh! wie der Wind uns zaust; die schweren
Fruchtkolben droht er zu entleeren. . . .
Nun greife jede Hand zum Fingerling aus Rohr!
Und andre mahnen ihn: Kaum neigen
Wir, knapp gereift, das Haupt, so steigen
Die Ämsen schon an uns voll Beutegier herauf. . . .
Was soll der Sicheln langes Säumen? –
Der Meister wendet nach den Bäumen
Sich um, die fern das Feld umsäumen,
Da taucht vor seinem Blick der Zug der Schnitter auf.
Sie rückten an, und plötzlich flogen
Die krummen Sicheln, blank gezogen,
Im Sonnenlicht empor und jeder Schnitter schwang
Die seine überm Haupt; und alle
Grüßten mit blitzendem Metalle
Und hellgestimmtem Jubelschalle.
Nun rief Ramoun sie an, daß weithin es erklang:
Seid mir willkommen, hochwillkommen!
Euch schickt der liebe Gott zum Frommen
Der Ernte her! Und bald umstanden ihn geschart
Die Binderinnen, im Bestreben
Treuherzig ihm die Hand zu geben:
Euch blühe Glück und langes Leben!
Seht wie es Garben bringt dies Jahr von bester Art! –
Man darf dem Aussehn nicht vertrauen,
Ihr guten Leute! Manchmal schauen
Die Ähren prächtig drein und sind im Ausdrusch leicht.
Man mußte Jahre schon erleben,
Wo zwanzig Scheffel schien zu geben
Der Morgen Landes, und dann eben
Nur dreie gab. Was tut's! Wenn's nur zum Leben reicht!
Und gütig schüttelte die Rechte
Ramoun dem letzten selbst der Knechte,
Freundschaftlich grüßt er auch Meister Ambroi; er sprach
Mit ihm und rief im Vorwärtsschreiten,
Als sie dem Hof genaht, in Zeiten:
Mirèio! Geh Salat bereiten
Und zapfe Wein vom Faß! Es kommen viele nach!
Wie weiß sie rasch die Hand zu regen,
Den Imbiß auf den Tisch zu legen,
An dem sich niederläßt des Hauses Herr, Ramoun;
Und alle tun wie er. Geschwinde
Zermalmt das fröhliche Gesinde
Mit scharfem Zahn des Brotes Rinde;
Endivie nimmt dazu sich reichlich jeder nun.
Auf spiegelblank gewaschnem Tische
Sah man, im Reiz der ersten Frische
Geschichtet ohne Wahl: Den duftend scharfen Lauch,
Die rostgebratnen braunen Stollen,
Rahmkäschen, Pilze, Zwiebelknollen
Und Schoten durcheinanderrollen;
So recht ein Abendschmaus nach Provenzalenbrauch.
Meister bei Tische wie beim Werke
Erhob Ramoun mit Armesstärke
Den vollen Krug und sprach: Ein Trunk tut wohl fürwahr;
Netzt man gehörig nur die Schneide,
So tun die Kiesel auf der Heide
Der braven Sichel nichts zuleide!
Und alle reichten ihm die leeren Gläser dar.
Ja, netzen wir die Schneide! riefen
Sie munter, und dem Krug entliefen
Die Wellen rot und klar und labten Herz und Sinn.
Dann sprach Ramoun zur Tafelrunde:
Gesellen, weil wir nun dem Munde
Genug getan, so kommt die Stunde,
Da wir nach altem Brauch, zum fröhlichen Beginn,
In den Gehölzen Reisig schlagen
Und her in großen Bündeln tragen.
Ihr findet Bürdenholz und Zweige hier nicht fern;
Die schichtet mir zum Meiler, Leute,
Und gebt den Flammen sie zur Beute,
Denn Sankt Johannis Nacht ist heute,
Des großen Schutzpatrons, des Freundes unsres Herrn!
So wußt' im Großen, wie im Kleinen
Der Meister Pflicht mit Lust zu einen
Und keiner hatte so die edle Kunst durchschaut,
Ein Gut mit Worten und mit Taten
Zu leiten, daß die goldnen Saaten
Gedeihen, die des Landmanns Spaten
Mit vielem sauren Schweiß der Scholle anvertraut.
Geduld und Maß in allen Dingen
Verbürgten seines Tuns Gelingen.
Zwar krümmte Alterslast ihm leicht des Rückens Bug;
Doch sah man in den Erntezeiten
Ihn stolz noch vor den Knechten schreiten,
Wenn rüstig er zu beiden Seiten
Auf jeder flachen Hand ein Sester Weizen trug.
Er wußte, was vom Mond zu halten
Und wann er, mit geheimem Walten,
Bald neues Keimen stört und bald dem Wachstum frommt;
Und sah von einem Hof umgeben
Den Mond er, oder Wolkenweben
Verfärbt an ihm vorüberschweben,
Stets war ihm wohlbekannt, wie dann das Wetter kommt.
Der Kuh verhexte, schwarze Tage
Der Vogelflug, die Schimmelplage,
Die Morgendämmerung am Sankta-Clara-Tag,
Die Sonnenspieglung in den Teichen,
Die Nebel, die dem Grund entweichen,
Sie waren ihm die sichern Zeichen
Für Nässe, Dürre, Frost, für Jahrgang und Ertrag.
Aus der Provence fruchtbar'n Auen
Im günst'gen Zeitpunkt zum Bebauen
Ziehn oft an einem Pflug, gekoppelt Paar um Paar,
Sechs Tiere, feist und schöngehalten,
Prachtvolle, derbe Kraftgestalten.
Der Boden, langsam aufgespalten,
Öffnet dem Sonnenschein sich vor des Pfluges Schar.
Und die sechs schönen, wohlgenährten
Maultiere bleiben in den Fährten;
Sie scheinen zu verstehn, warum das braune Land
Man pflügen muß und schnurgrad teilen:
Ohne zu zögern noch zu eilen,
Aufmerksam, ziehen sie die Zeilen,
Die Köpfe tief gesenkt, die Hälse straff gespannt.
Das Auge auf die Furche haltend
Und mit Gesang des Tagwerks waltend,
Geht ruhig hinterher, den Pflugsterz in der Hand,
Der kluge Landmann. Also pflegte
Meister Ramoun zu tun; er hegte
Mit Liebe den Beruf und legte
Des Freien Stolz hinein, ein Fürst auf eignem Land.
Doch nun, das weiße Haupt erhoben,
Sprach: Lasset uns den Geber loben!
Der Greise und schlug das Kreuz. Alsbald brach fröhlich auf
Das Schnittervolk, nach allen Seiten.
Das Freudenfeuer zu bereiten
Durchschwärmten draußen sie die Weiten
Und trugen trocknes Holz und dürres Laub zuhauf.
Die Väter aber blieben beide
Am Tisch zurück. In seinem Leide
Nimmt also nun das Wort Ambroi: Hört an, Ramoun!
Ich komme, euch um Rat zu fragen,
Denn seht, mich bringen Sorg und Plagen
Noch vor der Zeit ins Land der Klagen,
Wenn niemand mich belehrt, was hilft und was zu tun!
Ihr wißt, daß einen Sohn ich habe:
Durchaus verständig war der Knabe
Bis jetzt, es wär' nicht recht, wenn ich es anders sagt'!
Doch jeder Stein hat seinen Flecken
Und das sind oft die tiefsten Becken,
Die sich mit stillster Flut bedecken;
Ja, selbst das Lamm wird wild, wenn es der Drehkrampf plagt.
Und wißt ihr, was dem Fant geschehen?
Ein Mädchen, das er jüngst gesehen,
Ein reiches Pächterkind, glaubt er, sei ihm geneigt. . . .
Von ihr ist nun sein Sinn gefangen
Und so verzweifelt sein Verlangen,
Daß es in Angst mich jagt und Bangen!
Vergebens hab' ich ihm die Torheit klar gezeigt,
Vergebens war es, ihm zu sagen,
Daß reich und arm sich nicht vertragen. . . .
Geht, sprach er nur, und teilt den Eltern alles mit!
Sagt, daß man erst den Mann besehe,
Daß Tüchtigkeit vor Reichtum gehe,
Sagt ihnen, daß ich wohl verstehe
Im Weinberg und im Feld, Tagwerk und Rebenschnitt;
Sagt, ihre sechs Paar Tiere sollen,
Wenn ich sie führe, tief die Schollen
Aufpflügen wie noch nie. Ich wolle treu und gut
Ihr Alter ehren. Sagt, uns trennen,
Sei zweier Herzen Zug verkennen,
Die der Verzweiflung nicht entrännen. . . .
Nun ratet mir, Ramoun, was da ein Vater tut!
Soll ich, in meinen Lumpen, werben
Für meinen Sohn? Soll er mir sterben
An Herzeleid? – Pah, den Wind kenn' ich! weht nicht lang!
Versetzt Ramoun. Bei meinem Eide,
Mein Freund, ich stehe euch für beide;
Man stirbt nicht gleich an solchem Leide;
Ich bin's, der es euch sagt, Ambròsi, seid nicht bang
Und laßt euch nicht von diesen Dingen
Unnötig aus der Fassung bringen.
Ich sagte, wär' ich ihr, dem Bürschlein: Höre du,
Von alle dem bist du mir stille!
Kein Wort mehr! Also ist's mein Wille!
Sonst bring' ich deine tolle Grille,
Potz Bombenelement! mit meinem Stock zur Ruh.
So? rief Ambròsi: Wenn im Stalle
Ein Tier schreit, weil sein Futter alle,
Stopft mit dem Knüttel ihr ihm dann vielleicht den Mund?
Doch jener sprach: Es muß auf Erden
Des Vaters Wort geachtet werden;
Wenn statt der Hirten erst die Herden
Anführen, laufen sie den Wölfen in den Schlund.
Daß je den treuesten Berater
Ein Sohn verkannt in seinem Vater
Kam meiner Zeit nicht vor. Ja, damals war ein Haus
Gesund vom Enkel bis zum Ahne;
Stark, wie das Astwerk der Platane,
Standen sie, einig, dem Orkane!
Sie hatten unter sich wohl manchmal einen Strauß,
Doch wann des Weihnachtsabends Sterne
Die Kinderschar von nah und ferne
Im Vaterhaus vereint; wann, gläubig und gerecht,
Beim Mahl, das festlich sie bereitet,
Der Urahn, der die Feier leitet,
Die welken Hände ausgebreitet,
Umfing sein Segensspruch ein einiges Geschlecht.
Da tritt, den Schmerz nicht mehr bezwingend,
Mirèio, bleich und händeringend,
Vor ihren Vater hin: So wollt ihr meinen Tod?
Mich hat Vincèn, ich ihn erkoren!
Gott und der Jungfrau ist's geschworen!
Euch wär' ich, ohne ihn, verloren! . . .
Und Totenstille folgt dem Aufschrei ihrer Not.
Jano-Marìo, sich erhebend,
Begann zuerst, vor Jammer bebend:
O Kind, dein schweres Wort, dem Himmel sei's geklagt,
Hat in die Seelen uns getroffen;
Du sagst dich los von uns, und offen
Zerstörst du unsres Alters Hoffen:
Uns ist, als würd' ein Dorn uns quer durchs Herz gejagt!
Du hast Alàri ausgeschlagen,
Dem tausend Tiere Wolle tragen,
Der Rossehirt Veran ward nicht von dir erhört,
Ourrias, den rinderreichen Riesen,
Hast du verächtlich abgewiesen
Und nun verwirfst du dich an diesen
Armsel'gen Taugenichts, der deinen Sinn betört!
Nun wohl! Laß dich vor fremde Türen
Von deinem frechen Bettler führen!
Gehör' ihm, wenn du willst, und laß uns hier allein;
Zerreiße der Familie Bande,
Sei deiner armen Eltern Schande,
Zieh' als Zigeun'rin durch die Lande
Und koche dir dein Mahl im Feld auf einem Stein!
Meister Ramoun schien zuzuschauen;
Doch unter seinen weißen Brauen
Schoß Flammenblitze schon der finstern Augen Glut;
Und nun, in seinem Stolz betrogen,
Fühlt er vor seines Zornes Wogen
Die Schleusen plötzlich weggezogen
Und wütend in den Fluß stürmt die gestaute Flut:
Ja! Recht hat deine Mutter! Gehe,
Daß fernab sich der Sturm verwehe. . . .
Doch nein! Du bleibst mir da! Müßt' ich mit eigner Hand
Dich in die gleiche Fessel schnüren,
Die sonst nur böse Fohlen spüren,
Er soll dich nicht von hier entführen!
Und schlüge gleich der Blitz in dieses Hauses Wand,
Und müßt' ich dich vor Leid zergehen
Und deine Wangen schmelzen sehen
Wie in der Sonne Glut ein Frühlingsschnee zergeht:
So wahr die Rhone, wenn der Regen
Sie bis zur Wut geschwellt, den Segen
Zerstört, in Feldern und Gehegen,
So wahr auf diesem Tisch hier diese Lampe steht:
Mirèio! höre was ich sage:
Du siehst ihn deines Lebens Tage
Nicht mehr! Und auf den Tisch schlägt seine Faust mit Macht.
Da, endlich, gehn dem armen Kinde
Die Augen über, erst gelinde,
Perle für Perle, dann geschwinde
Gleich einem klaren Quell aus dunklem Felsenschacht.
Wer bürgt, begann der Alte wieder
Und Zorn durchbebte seine Glieder,
Daß ihr, Ambròsi, nicht im stillen mitgeschafft;
Wer bürgt, daß ihr nicht mitersonnen
Und niederträchtig fortgesponnen,
Was euer Schlingel frech begonnen. . . .
Da weckt Entrüstung dem die alte Manneskraft:
Bei Gottes Zorn! Nun laßt euch sagen,
Daß Kopf und Herz wir hoch noch tragen,
Rief er, wenn auch das Glück uns niedrig nur gestellt!
Wenn ich des Reichtums auch entbehre,
Mir schmälert Armsein nicht die Ehre
Nach vierzig Jahren Dienst im Heere
Bei der Kanonen Klang, da draußen in der Welt!
Kaum konnt' ich recht ein Ruder heben,
Begann auch schon mein Seemannsleben;
Als Schiffsmuz zog ich aus mit unsrer Wasserwehr.
Ich fuhr mit Sufrèns Schiffsgesinde,
Bei gutem und bei bösem Winde,
Nach Indien und zum Reich Melinde
Und Tage sah ich oft, weit bittrer als das Meer!
Soldat sodann der großen Kriege
Schritt ich im Sturm von Sieg zu Siege
Mit jenem Eisenmann, der auf im Mittag stand
Und dessen Faust von Spaniens Fluren
Bis zu Kosaken und Panduren
Die Welt geschüttelt, daß die Spuren
Man lang noch fühlen wird in aller Völker Land.
Und wo es galt, den Tod verachten,
In Seesturm, Enterkampf und Schlachten,
Hat sich ein Reicher nie an meinen Platz gestellt!
Doch wir, der armen Leute Knaben,
Die nicht ein Fleckchen Erde haben,
Um Pflug und Spaten einzugraben,
Wir zogen vierzig Jahr fürs Vaterland ins Feld
Und schliefen auf gefrornem Boden,
Von nichts genährt als Hundebroten,
Verlangend immer nur in Kampf und Tod zu ziehn,
Um Frankreichs Namen hoch zu halten. . . .
Wo sind sie, die es uns vergalten?
So schloß er und warf ungehalten
Den Mantel aus Kadis vor sich zu Boden hin.
Was sucht ihr auch am Mount-de-Vergue
Den Weg zum Sant-Pielouner Berge?
Gibt ihm Ramoun zurück, noch immer bleich vor Wut.
Wir hörten auch der Bomben Knallen
An Toulons Mauern widerhallen,
Wir sahn bei Arcole Tausend fallen
Und sahn Ägyptens Sand durchtränkt von rotem Blut!
Doch heimgekehrt aus jenen Kriegen
Ließ man nicht brach den Boden liegen:
Als Männer gingen wir daran mit Fuß und Hand,
Die wüsten Felder zu bebauen
Und rührten mächtig unsre Hauen
Vom ersten, frühsten Tagesgrauen,
Bis uns am Werk noch oft der späte Nachtmond fand.
Man sagt, die Erde spende Gaben!
Doch läßt sie den nur Früchte haben,
Dem Lambertsnußbaum gleich, der kräftig auf sie schlägt;
Und wollte man die Tropfen zählen,
Die ich vergoß in Mühn und Quälen,
Man müßte jede Scholle zählen
Im stattlichen Gebiet, das meinen Wohlstand trägt.
Heilige Anna von At! Schweigen
Und mich wohl gar zufrieden zeigen
Soll ich, der ohne Rast beim Feldgeschäft gekeucht
Gleich einem Neger, um in Ehren
Des Hauses Überfluß zu mehren!
Ich gäbe, ohne mich zu wehren,
Mein Kind dem Lumpen hin, der in die Schober kreucht!
Zu Gottes Donner fahret beide!
Schrie er, es bleibt bei dem Bescheide:
Behalte deinen Hund, ich hüte meinen Schwan! –
Ambroi, vom Tische aufgesprungen,
Hat schnell den Hantel umgeschlungen,
Und noch den Gruß sich abgerungen:
Lebt wohl, gereu' euch nie, was ihr an mir getan,
Und mögen Gottes Engelscharen
Boot und Orangen euch bewahren! . . .
Dann, als sich hinter ihm verschloß des Hofes Tor,
Trug ihm der Wind das jugendfrohe
Gejauchz der Schnitter zu, und hohe
Glutzungen schossen aus der Lohe,
Im letzten Dämmerschein, vom Reisigberg empor.
Schon tanzt mit leichtbeschwingter Sohle
Das junge Volk die Farandole.
Die freien Häupter hoch, in langen bunten Reihn,
Im Takte rücken all die strammen
Gestalten um die Glut zusammen;
Es spiegeln die bewegten Flammen
Aus ihren Stirnen sich mit hellem Flackerschein.
Und Tausende von Funken steigen
Zum Himmel auf, im Wirbelreigen.
Der Trommelflöte Klang tönt weithin lustig mit
Zum Krachen aus dem Flammenherde. –
Du nahst mit segnender Gebärde
Der schönen, fruchtgeschwellten Erde,
O hoher Sankt Johann! Sie bebt bei deinem Schritt! –
Der Freudenfeuer Knistern, Prasseln,
Der Tamburine Dröhnen, Rasseln,
Ertönten fort und fort in ernst gemeßnem Chor,
Der Brandung gleich der Meereswogen
Am Fels. Die braunen Tänzer zogen
Die Sicheln blank, die Klingen flogen
Über der muntern Schar im Flammenschein empor.
Dreimal, in weiten Sprüngen, grade
Durchs Feuer, schwang sich die Bravade,
Und dreimal streute man mit hoch erhobner Hand
Die Schoten einer Knoblauchtresse,
Johanniskraut und Eisenkresse
Laut jauchzend in die Glutenesse:
Behüte Frucht und Feld vor Frost und Sonnenbrand,
O Sankt Johannes, Sankt Johannes! . . .
Erscholl es fernhin. Rings begann es
Zu funkeln auf den Höhn gleich einem Sternentau.
Und vor dem scharfen Winde flohen
Rauchwolken aus den roten Lohen;
Ein Weihrauch, schwebten sie zum hohen
Schutzheiligen empor ins dunkle Himmelsblau. |