|
Die Schatten waren lang geworden
Der Silberpappeln, und aus Norden
Kam Kühle vom Ventour. Die Sonne sank gemach;
Die Männer, die das Feld bebauten,
Maßen an ihr die Zeit und schauten
Mit Sehnsucht auf nach ihren trauten
Genossinnen daheim, nach Dorf und Hüttendach.
Ourrias ritt im Galopp von hinnen.
In finsterm, wutverstörtem Sinnen
Erwog er fort und fort die Schmach, die er erlebt
An jenem Brunnen. Heißes Grollen
Verriet der Augen unstet Rollen,
Der Stirne Zornesadern schwollen,
Daß in verhaltner Wut ihm Herz und Hirn erbebt!
Und über Stock und Steine rennend
Stieß er den Grimm hervor, der brennend,
Wie siedend heißer Dampf, die Lungen ihm geschwellt.
Die Kiesel, zahllos in der Weite
Der Ebne, reizten ihn zum Streite,
Den Treiberstachel an der Seite
Hätt' er am liebsten durch den Sonnenball geschnellt. –
Ein Eber, den aus Waldgesträuchen
Die losgelassnen Rüden scheuchen
Im Jagdgrund des Olymp, an tief verborgnem Horst,
Und den, bevor er, die ihn hetzen
Erlangen kann, sie zu zerfetzen,
Zorn treibt, sein Hauerpaar zu wetzen
Am jungen Unterholz im düstern Eichenforst. –
Dem Hirten, den auf seinen Wegen
Der Grimm zerfleischte, stracks entgegen
Kam wohlgemut Vincèn, und lächelnd, wie im Traum,
Schien seine Seele süßen Klängen
Und holden Bildern nachzuhängen;
Des Morgens dacht' er, da Gesängen
Der Engel er gelauscht dort unterm Maulbeerbaum.
Wie Schilf an der Dürance Borden
War schlank und hoch sein Wuchs geworden;
Von junger Liebe Glück und friedlich heiterm Sinn
Strahlte sein Antlitz. Sanft im Winde
Hob sich und flatterte gelinde
Sein offnes Hemd; er schritt geschwinde,
Barfuß und federleicht den Kieselweg dahin.
Zuweilen, wenn nach Tagesschwüle
Herniedersinkt die Abendkühle
Und fröstelnd sich der Klee verschließt im Wiesenplan,
Mochte die Dämmerzeit ihm frommen,
Bis nahe zum Gehöft zu kommen
Und um die Liebste, ganz beklommen,
Zog er, dem Falter gleich, geräuschlos seine Bahn.
Und in der Büsche dichtem Rahmen
Verborgen, wußt' er nachzuahmen
Bald wie die Drossel pfeift, bald wie die Wachtel schlägt:
Sie aber hatte schnell verstanden
Wer also rief, und beide fanden
Dort, wo die Weißdornhecken standen,
Sich ganz verstohlen ein, die Herzen hold erregt.
Das Mondenlicht, bei dessen Weben
Im Nachttau die Narzissen beben;
Der muntre Abendwind, der sich im Felde regt,
Daß, wie in sanftem Spiel der Wellen,
Die Ähren bald die Häupter stellen,
Bald leise auf und nieder schwellen,
Dem jungen Busen gleich, den Liebe süß bewegt;
Der Gemse Lust, auf Alpenfluren,
Wenn sie gefühlt, daß ihren Spuren
Der Jäger von Queiras gefolgt den ganzen Tag;
Und wenn sie dann, dem Blei entronnen,
Beim letzten Scheidegruß der Sonnen
Rast hält am kühlen Felsenbronnen
Hoch an der Gletscher Rand, im grünen Lärchenhag:
Dies alles durfte dem Empfinden
Zu gleichen nicht sich unterwinden
Mirèios und Vincèns, wenn dort das Paar sich fand.
Doch laßt den Sang nun leise rauschen,
Ihr Lippen, denn die Büsche lauschen! . . .
Der Liebe stummen Druck zu tauschen
Im schattigen Versteck sucht' eins des andern Hand.
Dann konnten oft sie schweigend sitzen,
Die Kiesel mit der Füße Spitzen
Verrückend, und verwirrt auf ein Gespräch bedacht;
Und er, mit heldischem Gebaren,
Erzählte lachend von Gefahren,
Die manchmal ihm begegnet waren
Und wie die Nacht er oft im Freien zugebracht;
Und wie die Hunde bei den Bauern
Mit Bissen auf den Wandrer lauern.
Sie aber sprach von dem, was sie daheim gehört,
Und was sich in den letzten Tagen
Auf ihrem Hofe zugetragen:
Des Vaters Spott, der Mutter Klagen,
Weil eine Ziege ihr den Rebengang zerstört.
Und einst bezwang Vincèn sich nimmer:
Im Heidegras, beim Sternenschimmer
Zu Füßen lag er ihr; er fühlte Herz und Haupt
An ihrem Anblick sich berauschen . . .
Doch laßt den Sang nun leise rauschen.
Ihr Lippen, denn die Büsche lauschen . . .
Mirèio! ach, ein Kuß, ein Kuß sei mir erlaubt!
Mirèio! Trank und Speise munden
Mir nicht mehr, seit ich dich gefunden!
Nur eines fühl' ich klar: daß ich um dich verglüh'!
Den Laut, den deine Lippen wecken,
Ich möcht' ihn trinken, mich erkecken,
Mit heißen Küssen zu bedecken
Deines Gewandes Saum, von früh bis wiedrum früh! –
Vincèn! das wäre schwarze Sünde!
Bedenke, was daraus entstünde;
Denn Amsel, Meis' und Fink verrieten es sogleich! –
Nur keine Furcht, es bleibt verborgen!
Ich will, daß in der Crau bis morgen
Die Vögel alle tot sind, sorgen!
Mirèio, sieh, mein Glück bist du, mein Himmelreich!
Vernimm, Mirèio: Auf dem Grunde
Der Rhone wächst, so ward mir Kunde,
Das Pflänzlein Lockenkraut in grüner Wogennacht;
Es trägt auf zwei getrennten Stielen
Zwei Blüten, die mit zarten Kielen
Wie Schifflein in der Strömung spielen.
Doch kommt die Jahreszeit, da Lieb' in ihm erwacht,
So steigt von beiden Blüten eine
Zur Oberfläche, ganz alleine,
Und schlägt im Sonnenlicht die holden Augen auf;
Da faßt nach ihrer Schönheit Prangen
Die andre sehnendes Verlangen,
Und um sie küssend zu umfangen
Strebt sie so schnell sie kann vom kühlen Grund herauf,
Und reißt und zerrt und will mit Bangen
Dem Schilf entfliehen, das gefangen
Sie an den Locken hält. Doch ach! ihr Stielchen bricht;
Nun ist sie frei, doch zum Verderben
Ward ihr das ungestüme Werben;
Ein Kuß dem Lieb, dann muß sie sterben . . .
Und stürb' im Kuß auch ich, Mirèio, weig'r ihn nicht!
Sie war erbleicht; und wonnetrunken,
In ihren Anblick ganz versunken,
Fährt plötzlich er empor, dem Blitz an Schnelle gleich;
Und von der Hand, die sie umschlungen,
Hat' sie erschreckt sich losgerungen,
Und beinah wär' es ihr gelungen,
Behende zu entfliehn aus seines Arms Bereich . . .
Doch laßt den Sang nun leise rauschen,
Ihr Lippen, denn die Büsche lauschen! –
Hör auf und laß mich gehn! ruft sie und löst sich sacht;
Er strebt mit stürmischem Verlangen
Das schöne Mädchen zu umfangen,
Es sucht sein Kuß die holden Wangen . . .
Sie aber ist entschlüpft . . . und winkt ihm: Gute Nacht!
Und dann verhöhnt sie ihn von ferne,
Die Lose: Freilich! ei, wie gerne! . . .
Und so, im Dämmerschein, von keinem Aug' erblickt,
Säten die beiden, hold verlegen,
Des schönen Mondenweizens Segen,
Ein Himmelsglück, ein Mannaregen,
Die Gott für reich und arm in gleicher Fülle schickt.
Doch weiter: In der Crau Gestade
Trafen sich auf dem Kieselpfade
Am Abend noch Ourrias und des Ambròsi Sohn.
Man sieht den Blitz bei Ungewittern
Den ersten besten Baum zersplittern;
Und mit des wilden Zornes Zittern
Im heisern Ruf begann der Ochsenhirt voll Hohn:
Bist du's am Ende, schöner Tauber,
Der auf Mirèio seinen Zauber
Geübt? Und lenkst zu ihr du jetzt vielleicht den Schritt,
So sage deinem Herzenskätzchen,
Es kümmre mich sein glattes Frätzchen
Nicht mehr, als jenes Leinwandfetzchen,
Das deine Blöße deckt! . . . Verstehst du mich, Bandit!
Der Jüngling zuckte jäh zusammen;
Denn seine Seele schoß in Flammen
Empor, wie Feuerwerk, das in die Lüfte geht:
Hei! wessen darfst du dich erfrechen?
Ich soll dir wohl das Kreuz zerbrechen!
Er glich, im Drang den Schimpf zu rächen,
Dem willen Pardeltier, das vor dem Gegner steht,
Und seines Zornes Feuersprühen
Ließ ihn erzittern und erglühen.
Doch jener rief zurück: Du willst von einem Hieb
Kopfüber in die Kiesel fliegen!
Man braucht, um über mich zu siegen
Mehr Kraft, als nur zum Gertenbiegen!
Du schleichst im Schatten nur, elender Hühnerdieb! –
Jawohl, das Biegen und Verdrehen
Wird gleich an deinem Hals geschehen!
Schrie, außer sich, Vincèn. Fort, Feigling, fort von hier,
Flieh meinen Zorn! Ich schlag' dich nieder;
Und, bei Sankt Jakob, deine Glieder
Sehn nicht gesund die Heimat wieder;
Denn diese Eisenfaust zermalmt die Knochen dir!
Wild froh, den Mann zur Hand zu haben,
Der ihm gefehlt, den Grimm zu laben:
Gemach! erwidert ihm der tückische Kumpan,
Mir ist die Pfeife ausgegangen,
Laß mich nach Stahl und Zunder langen,
Dann, wenn du willst, sei angefangen!
Und als die Pfeife brennt, lacht er ihn höhnisch an:
Hat dir im Staudennest im Haine,
Im Arm dich wiegend, deine feine
Zigeunermutter nie vom Bärenhans erzählt?
Vom Bärenhans, dem Mann gleich vieren,
Der, als sein Herr mit zwei Paar Stieren
Ihn pflügen sandte, ohne Zieren,
Wie man die Bremse faßt, wenn sie die Herde quält,
Die angeschirrten Tiere faßte
Und auf, zum höchsten Pappelaste
Sie durch die Lüfte warf, und hinterdrein den Pflug!
Es ist zu deinem Glück geschehen,
Daß rings hier keine Pappeln stehen! . . .
Ja, einen Esel umzudrehen
Ist so ein Zungenheld nur eben Manns genug!
Vincèn stand da, gleich einem Bracken,
Voll Gier, sein Wild im Sprung zu packen.
Sprich, schrie er überlaut, ob dies den Mut bezeugt,
Daß du dich hoch im Sattel wiegest
Und mich im Schelten nur besiegest?
Wenn du doch erst herunter stiegest,
Dann sehn wir, wer von uns mit bessrer Milch gesäugt!
Du prahlst mit deinem stolzen Barte?
Als ob dich der vor Strafe wahrte!
Die Blume dieser Flur hast du herabgesetzt,
Mirèio, jene Schöne, Gute!
Ihr Freier bindet dir die Rute
Und löscht den Schimpf in deinem Blute;
Und ob du dessen hast, das, Memme, zeigt sich jetzt! –
Hü! brüllt der Hirte, blöder Schreier!
Zigeunerbube! Küchenfreier!
Geduld! ich komme schon! Bist du auf deinen Streich
So sehr erpicht? . . . Er springt vom Pferde,
Die Jacken fliegen weit zur Erde;
Und nun, mit grimmiger Gebärde,
Stürzt blindlings Mann auf Mann, zwei wilden Stieren gleich.
Zwei Stieren gleich, die auf der Heiden
Im heißen Sonnenbrande weiden:
Von fern erschauen sie das glänzend braune Fell
Der jungen Kuh, die in den Rohren
Verlangend brüllt. . . . Von ihr erkoren
Wähnt jeder sich, und wutverloren
Rennt er den andern an, gewaltig, blitzesschnell.
Dann starren sie sich an, und wieder
Prallen die ungeschlachten Glieder
Zusammen, Stoß auf Stoß, die Köpfe tief gesenkt;
Das Erdreich bebt, die Kiesel klingen
Und lang und furchtbar ist das Ringen,
Denn Liebe leiht dem Zorne Schwingen,
Es ist der Liebe Macht, die beide spornt und lenkt.
So trafen auch die zornesbleichen
Gesellen sich mit schweren Streichen.
Der Hirt Ourrias erhielt den ersten Schlag der Faust;
Doch wie der andre nun zum zweiten
Ausholen will in grimmem Streiten,
Läßt er die Hand herniedergleiten,
Die wuchtig auf Vincèn, gleich einer Keule, saust.
Da! da! du Knirps, pariere diesen! –
He? Hat man dir die Faust gewiesen?
So rufen sie sich zu. – Ist jetzt dein Zorn gestillt,
Du Bastard? Zähle doch die Schrammen,
Die dir von meinen Nägeln stammen! –
Du, Scheusal, rechne sie zusammen,
Die Unzen roten Bluts, das deinem Fleisch entquillt!
Nun fassen sie einander, ringen
Und suchen sich hinabzuzwingen;
Die Muskeln treten vor in höchster Kampfeswut.
Dann packen sie sich wie mit Zangen
Und halten kraftvoll sich umfangen,
Umwinden, pressen sich wie Schlangen
Und unter ihrer Haut kocht siedend heiß das Blut.
Stumm halten sie sich lang die Wage;
Es keucht die Brust, dem Flügelschlage
Der schweren Trappe gleich. So stehn sie unbewegt,
Um keinen Zoll vom Platze rückend,
Einander stützend, tragend, drückend,
Wie, den Gardounfluß überbrückend,
Der Pfeiler aus Granit den Riesenbogen trägt.
Und plötzlich trennen sie sich wieder
Und ihre Fäuste sausen nieder
Wie wenn im Mörser laut der schwere Stößer schallt;
Sie brauchen Zähne, brauchen Krallen
In wildem Aufeinanderprallen. . . .
Hei! wie Vincènsens Streiche hallen!
Hei! wie der Hirte ficht in seines Zorns Gewalt!
Zermalmend waren seine Stöße;
Doch auch Vincèn ersah die Blöße
Des Gegners wohl, und fuhr mit raschen Hieben los.
Und wie bei schweren Hagelwettern
Die Schloßen in die Wipfel schmettern,
So schlug in seines Zornes Wettern
Der Jüngling drein und schrie: Nun kommt dein Gnadenstoß!
Doch wie er jetzt im Rückwärtsweichen
Ausholt zu noch verstärkten Streichen:
Packt an den Hüften ihn der starke Ochsenhirt
Und schnellt nach Provenzalenweise,
Wie mit der Schaufel man im Kreise
Den Weizen wirft, in lust'ger Reise
Ihn weithin auf den Plan, daß hell der Kies erklirrt.
Ich schenk' es dir, und mit Vergnügen,
Das Land, das deine Nüstern pflügen!
Da liegst du, Regenwurm, der sich vom Staube nährt! –
Nein! Einzig die drei letzten Streiche
Entscheiden, wer dem andern weiche;
Und wie die Rechnung ich begleiche
Zeig' ich dir, Tölpel! ruft Vincèn, von Haß verzehrt.
Und auf wie ein gereizter Drache
Springt er, nun sicher seiner Rache,
Und wäre sie sein Tod; kaum seiner selbst bewußt,
Mit Mut und Kraft, die seinen Jahren
Erstaunlich überlegen waren,
Fährt er wie's Wetter dem Barbaren
Mit der geballten Faust voll mitten vor die Brust.
Das traf! Vor Ourrias Augen schwankt es
Und unter seinen Füßen wankt es;
Und er tastet umher, und es scheint ihm die Welt
In einem Nebel sich zu drehen
Und eiseskalte Tropfen stehen
Auf seiner Stirne, und geschehen
Ist's um ihn, denn er stürzt wie ein Turm auf das Feld.
Das Craugelände ruhte schweigend;
Die weite Heide, sanft sich neigend,
Verlor sich fern im Meer, das Meer in blauer Luft:
Flamingos mit den Feuerschwingen,
Enten und wilde Schwäne gingen,
Dem Tag den Scheidegruß zu bringen,
Den stillen Weihern zu, im gold'nen Dämmerduft.
Des Hirten Roß schien mit Behagen
Die Kermeseichen zu benagen.
Die Bügel hingen leer herab vom Widerrist;
Ihr Klirren traf der Kämpfer Ohren:
Wenn du dich rührst, bist du verloren;
Nun zeig ich dir verruchtem Toren,
Ob man die Männer nur nach Fuß und Zollen mißt!
In stiller Heide Abendfrieden
Ward jetzt der heiße Kampf entschieden;
Denn auf den Gegner warf Vincèn sich, blaß vor Wut,
Und preßt' ihm mit dem Knie die Rippen.
Der Hirte rang, ihn umzuwippen,
Doch seinen Nüstern, seinen Lippen
Entquollen Ströme schon von Schaum und schwarzem Blut.
Aus Leibeskräften strebt' er dreimal
Sich aufzurichten, aber dreimal
Mit schneidig scharfer Hand schlug auf den Kieselgrund
Meister Ambròsis Sohn ihn nieder;
Und schäumend wand der Hirt die Glieder,
Wutblitze schossen seine Lider,
Es fauchte raubtiergleich der aufgeriss'ne Mund.
Gibt's Männer noch? In keinem Falle
Gebar sie deine Mutter alle,
Du Räuber! schrie Vincèn. Tu deinen Ochsen kund,
Es sei'n auch anderwärts noch Recken!
Geh deine Schande zu verstecken
Und laß die Beulen dir belecken
Von deinem Herdenvieh in der Camargo Grund!
Dies sagend ließ er ihn entfliehen.
So hält ein Scherer mit den Knieen
Den großen Widder fest zur Zeit der Sommerschur,
Entkleidet rasch ihn seiner Wollen
Und treibt das Tier, sich fortzutrollen,
Mit leichtem Schlag. So, wutgeschwollen
Enteilt, mit Staub bedeckt, der Hirte durch die Flur.
Ein höllischer Gedanke faßt ihn
Und treibt und spornt zu wilder Hast ihn;
Er schäumt und bebt und heult vor Wut: Was sucht er denn
Im Ginster, in den Kermeseichen?
Was siehst du ihn vom Boden reichen?
O Gott! Er schwingt zu Todesstreichen
Den schweren Treiberspieß und stürzt sich auf Vincèn.
Als er begriff, daß vor der Waffe
Nichts Hoffnung, nichts Vergeltung schaffe,
Schlug des Ambròsi Sohn die Augen himmelwärts.
Die Farbe wich aus seiner Wange;
Nicht vor dem Sterben war ihm bange:
Daß ehrlos der zum Sieg gelange,
Den ehrlich er besiegt, entrüstete sein Herz.
Verräter, wagst du? . . . sprach er leise.
Dann blieb entschlossen, nach der Weise
Der Märtyrer, er stehn. . . . Dort, unter Bäumen, fern,
Sah man den Hof der Liebsten ragen:
Nach ihr gewendet, ohne Klagen,
Schien er der Holden noch zu sagen:
Ich sterbe! Und für dich, Mirèio, sterb' ich gern!
Ihr, unter jenen Zürgelbäumen,
Galt seiner Seele letztes Träumen. . . .
Sprich schnell noch dein Gebet! so donnert jetzt Ourrias
Mit rauh erbarmungsloser Stimme.
Dann, mit dem Eisen, rennt der Schlimme
Ihn durch und durch in seinem Grimme;
Und stöhnend stürzt Vincèn und zuckend in das Gras.
Sein Blut gerinnt auf Moos und Steinen;
Und an den fahlgeword'nen Beinen
Ziehn ihre Straßen schon die Ämsen sacht empor . . .
Der Ochsentreiber floh zu Pferde:
Bald scheint das Mondlicht auf die Erde,
Dann jubiliert des Crauwolfs Herde
Und labt sich baß am Mahl! stieß höhnend er hervor.
Das Craugelände ruhte schweigend;
Die weite Heide, sanft sich neigend,
Verlor sich fern im Meer, das Meer in blauer Luft:
Flamingos mit den Feuerschwingen,
Enten und wilde Schwäne gingen,
Dem Tag den Scheidegruß zu bringen,
Den stillen Weihern zu, im goldnen Dämmerduft.
Galopp! Galopp! Je mehr, je besser!
Hopp, Hopp! so schrie der Krabbenfresser
Bestelzte, grüne Schar der Schimmelstute zu,
Die unruhvoll ins Weite spähte,
Und aufgeregt die Nüstern blähte. . . .
Schon spinnt das Mondlicht Silbernähte
Dort, wo die Rhone schläft in kühlen Bettes Ruh',
Dem Pilger gleich, der matt die Glieder
Aus Santo-Baumo schleppend, nieder
In einem Hohlweg sinkt, zu lang entbehrter Rast. –
Hallo! das Boot dort im Gezweige!
Ist Raum noch, daß ich es besteige
Mit meiner Stute! . . . ruft der Feige;
Drei Fischern ruft er's zu, in angsterfüllter Hast.
Ja, komm nur, komm nur, schallt mit Lachen
Sogleich die Antwort aus dem Rachen,
Geschwind, der Fischfang eilt! An Bord denn, vorwärts! frisch!
Und wirklich schwimmt schon, in Erregung,
Ums Boot des Stromes junge Hegung
Mit ruhlos zappelnder Bewegung,
Denn auf vom Grunde lockt des Mondes Glanz den Fisch.
Im Achterteil des Schiffes kauert
Der Tückebold. . . . Die Stute schauert:
Es ist kein Platz im Boot, drum schwimmt sie hinterdrein
Am Halfterstrick. Der Fische viele
Tauchten empor am schwanken Kiele;
Es flimmerte von ihrem Spiele
Der Rhone dunkle Flut mit geisterhaftem Schein.
Auf, Lotse! sammle die Gedanken!
Mir scheint, das Boot beginnt zu schwanken!
Ruft von der Bank der Mann, stemmt fest die Füße auf
Und zieht, daß beide Ruder krachen. . . .
Es will mir fast den Eindruck machen,
Wir trügen böse Last im Rachen!
Gibt jener ihm zurück. Der sagt kein Wort darauf.
Das alte Boot, im Weitergleiten,
Neigte sich schwer nach beiden Seiten,
Mit erschreckendem Schwung, wie ein trunkener Mann.
Das Boot war schlecht, von schwachen Flanken
Und halb verfault die alten Planken. . . .
Der Hirte schreit: Was soll das Schwanken?
Und er klammert entsetzt an das Steuer sich an.
Wie unsichtbaren Druck empfindet
Das kleine Fahrzeug, und es windet
Wie eine Schlange sich, der eines Hirten Streich
Die Wirbelsäule brach. – Gesellen!
Was soll das Stoßen, soll das Schnellen?
Gebt acht! Ihr werft mich in die Wellen!
Soll ich ertrinken? schreit Ourrias, wie Gips so bleich. –
Ich kann das Boot nicht mehr bezwingen!
Es bäumt sich auf und scheint zu springen
Gleich einem Karpfen! ruft der alte Steuermann.
Du hast ein Menschenkind erschlagen,
Elender! – Ich? . . . Wer darf es wagen.
Ein solches Wort von mir zu sagen?
Der Teufel ziehe mich, wenn's wahr, in seinen Bann!
Ah, Torheit! rief der Lotse . . . Leute!
Es ist ja Sankt Medardus heute!
Es muß in dieser Nacht aus feuchtem Grab herauf,
Wem Wogenschwall des Lebens Funken
Erstickt, wer je zum Grund gesunken,
In Strom und Teich und Meer ertrunken . . .
Nicht lange währt's, so rollt der bleiche Zug sich auf.
Da sind sie schon, die armen Seelen!
Sieh doch! Auf spitzen Steinen quälen
Sie barfuß sich hinauf zum steilen Uferrand:
Die schlammigen Gewänder triefen,
Das Wasser rieselt in die Tiefen
Vom filz'gen Haar. Die unten schliefen,
Ziehn dort in langen Reih'n, ein Licht in jeder Hand.
Wie sie die Sterne nun betrachten!
Wie den aus tiefem Schlaf Erwachten
Der kalte, zähe Schlamm die blauen Glieder netzt!
Die Armen, die mit Händen, Füßen
Empor sich ruderten, den süßen,
Friedvollen Sternenschein zu grüßen,
Sie sind es, die dem Boot so heftig zugesetzt.
Und immer einer mehr entwindet
Der finstern Grube sich und findet
Den Weg zum steilen Rand. Im Angesicht der Crau
Wie süß die Last, der Erntesegen!
Wie süß am Land ein frei Bewegen! . . .
Aus ihren Kleidern rinnt der Regen
Und immer einer mehr steigt auf zu Strand und Au'! . . .
Frauen und junges Volk und Greise
In Menge! sprach der Bootsmann leise . . .
Wie sie dem Schlamm entfliehn, des feuchten Kerkers Nacht!
Weiber mit abgehärmten Wangen,
Fischer, die froh ans Werk gegangen,
Das Neunaug' und den Barsch zu fangen,
Und die den Fischen sich zur Beute selbst gebracht.
Es geht in jenem dichten Schwarme
Manch holdes Kind in seinem Harme,
In wildem Liebesweh manch herrlich Frauenbild,
Das auf des teuern Mannes Werben
Gehofft: Da brach ihr Glück in Scherben;
Dann hat, erbarmend, ihren herben,
Verzweiflungsvollen Schmerz der Rhonestrom gestillt.
Und sieh! . . . die schönen, jungen Frauen!
O wie sie zittern! Wie im blauen
Zwielicht die kalte Flut von ihren Busen rinnt!
Dort schweben sie mit stummen Klagen;
Vom Haar, das Schleiern gleich sie tragen,
Strömt Regen. . . . Wüßte nicht zu sagen,
Ob es das Wasser ist, ob's bittre Tränen sind!
Der Lotse schwieg. Die Seelen glitten
Am Ufer hin mit leisen Schritten,
Ganz still; man hätte fast der Mücken Flug gehört. –
He, Bootsmann, würde man nicht meinen,
Daß sie bei ihrer Lichtlein Scheinen
Noch etwas suchen in den Steinen?
Fragt der Camargohirt, von Schreck und Graus verstört.
Sie suchen, ja, die armen Seelen,
Gehorsam göttlichen Befehlen,
Was sie an gutem Werk, an frommer Tat gesät
Auf ihres Erdenlebens Reise,
Ein jeglicher nach seiner Weise;
Und finden sie die Himmelsspeise,
Dann hurtig, gleich dem Lamm, das frisches Gras erspäht,
Ergreifen sie, was in die Krume
Sie einst gesenkt: Da wird zur Blume
Die gute Tat; und ist's zu einem Strauß genug,
Spricht Gott: Geh ein zum Gnadenhorte!
Und auf von seinem Prüfungsorte,
Zu Petri offner Himmelspforte,
Trägt den, der ihn gepflückt, sein Blumenstrauß im Flug.
So läßt der Herr den Heilsweg offen
Auch dem, den jäher Tod getroffen.
Doch in die trübe Flut, noch eh' der Morgen graut,
Muß ohne Hoffnung auf ein Später,
Hinab die Rotte der Verräter,
Die Armenschinder, Missetäter,
Ein wurmzerfress'nes Heer, das nie Sein Antlitz schaut.
Sie suchen, was die Seele rette
Und stoßen in des Stromes Bette
An ihrer Schuld Gestein nur stets den nackten Fuß.
Dem Saumtier löst der Tod die Qualen,
Sie aber müssen ewig zahlen
Mit ihrer Pein. In ihren kahlen,
Eiskalten Flutensarg dringt nie der Gnade Gruß.
Den Bootsmann packt mit derbem Griffe
Ourrias: He, Wasser ist im Schiffe! –
So brauch die Kelle, höhnt der Alte, und mit Macht! –
Hei, wie des Hirten Hände flogen!
Wie kämpft' er schöpfend mit den Wogen! . . .
Auf Trenco-Taios Brückenbogen
Hat das Gespenstervolk getanzt in jener Nacht.
Schöpf aus, Ourrias, schöpf aus die Fluten!
Nur zu! Du mußt noch mehr dich sputen. . . .
Die Stute reißt und zerrt wie toll am Halfterband. . . .
Mein Schimmel, graut dir vor den Leichen?
Fragt ihn sein Herr mit allen Zeichen
Der Todesangst. Indes erreichen
Die Wellen, plätschernd, leis, der kleinen Barke Rand.
Ich kann nicht schwimmen! schreit der Feige,
Wer rettet mich? – Es geht zur Neige
Im nächsten Augenblick, schon gähnt der Rhone Schlund!
Doch aus dem Zug der armen Toten,
Der so dich schreckt, wird uns Bedrohten
Vom Ufer her ein Tau geboten.
Der Alte spricht's . . . da fährt das Boot hinab zum Grand.
Und aus dem fernen Dunkel senden
Die Lichter in den Totenhänden
Urplötzlich einen Strahl, der ringsum das Gebiet
Erhellt und quer des Stromes Rinne
Bebrückt. Und wie von einer Zinne
Im roten Frühlicht eine Spinne
Sich niedergleiten läßt am Faden, den sie zieht,
So sind am Strahl entlang gefahren
Die Fischer (die Gespenster waren!).
Sie schwingen sich hinauf zum Ufer, flink und sacht;
Und nach dem Schein greift aus den Wogen
Ourrias . . . er sinkt, hinabgezogen. . . .
Auf Trenco-Taios Brückenbogen
Hat das Gespenstervolk getanzt in jener Nacht. |