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Am nächsten Vormittag saß Susi mit ihrer Puppe auf einer Gartenbank und war eifrig damit beschäftigt, das Mark aus einem Stück Holunderstamm herauszubohren, aus welchem sie eine großartige Donnerbüchse verfertigen wollte. Dabei erzählte sie Liesel, um ihre Nachlässigkeit vom Tage zuvor zu rechtfertigen, wer der gestrige Besuch gewesen war.
»Weißt du, Liesel,« sagte sie, »der Onkel Kurt ist der Doktor in Kirchdorf, und er hat so viel zu tun und wir sehen ihn so selten! Kirchdorf ist weit fort, wir müssen ein paar Stunden mit dem Wagen dorthin fahren. Mit der Bahn könnte man auch hin, aber wir sind ja so weit fort von der Bahn! Und Onkel Kurt ist so lustig und Tante Trude auch. Da hab' ich mich so gefreut, daß ich dich ganz vergessen hab'! War es sehr schrecklich auf dem finsteren Baum? Und dann hat uns Onkel Kurt von dem Zirkus erzählt, den er unten im Dorf gesehen hat. Der grüne Wagen steht schon auf dem Anger, sagt er. Warst du schon in einem Zirkus, Liesel? Ich noch nie! Aber ich stelle es mir so schön vor – Mutter hat schon versprochen, daß sie mit uns gehen wird! … Aber schau, Liesel – da kommt ja schon wieder Besuch!« Neugierig sprang Susi von ihrer Bank auf und drückte sich an den Zaun.
Wirklich kamen den Weg herauf zwei fremde Gestalten, eine junge, zarte Frau in städtischen, aber bescheidenen Kleidern, ihr Gesicht war fein und lieblich, aber blaß und wie abgehärmt; bewundernswert war die herrliche Krone blonden Haares, die ihren Kopf zierte. An der Hand führte sie ein kleines Mädchen, etwas älter als Susi, auch schmal und blaß und hold, mit großen dunklen Augen sah es auf Susis Gesicht über den Zaunstäben, und zwei dicke schwarze Zöpfe hingen über ihre Schultern. Susi hatte diese Frau und dieses Mädchen noch nie gesehen.
Jetzt waren sie heran, blieben stehen und blickten Susi wie fragend an.
»Möchten Sie mit meiner Mutter sprechen?« sagte das Förstertöchterlein freundlich. »Kommen Sie nur herein, ich führe Sie hin.«
Die beiden traten ein und gingen auf dem schmalen Gartenweg langsam hinter der eilenden Susi her.
Susi lief an der Seitenwand des Hauses bis zum Küchenfenster und rief mit schallender Stimme durch die Gitterstäbe: »Komm heraus, Mutter! Besuch ist da!« Dann kehrte sie zu den Fremden zurück, die vor der Schwelle innehielten. Sie sah das Mädchen interessiert an, und das Mädchen sah wieder sie an; aber keines traute sich ein Gespräch anzufangen.
»Gefällt dir meine Puppe?« sagte Susi plötzlich und hielt sie der anderen mit einer ihrer jähen Lieblingsgebärden unter die Nase.
Das andere Kind sah aufmerksam auf Liesel herunter, und ihre Wangen färbten sich mit einem leisen Rot. »Sie ist sehr schön,« sagte sie mit einer zarten, melodischen Stimme. »Sie sieht aus wie ein richtiges Kind, und wie eine Jägerin.«
»Das ist sie auch,« erwiderte Susi stolz und drückte ihr Kind wieder an ihre Brust. »Die ist tapfer, du! Die fürchtet sich vor gar nichts! Gestern hat sie bis zwölf Uhr nachts allein auf der Blutbuche gesessen und sich nicht gefürchtet!«
»Wer hat sie denn dann heruntergeholt?«
»Mitten in der Nacht?« sagte das fremde Mädchen mit unglaublichem Staunen.
»Warum denn nicht? Ich fürchte mich doch natürlich auch nicht! Sonst müßte ich mich vor der Liesel schämen!«
Inzwischen war Frau Pausewang in der weißen Küchenschürze und mit erhitzten Wangen in der Tür erschienen und hatte rasch einen Blick auf die Besucher geworfen. Die junge Frau trat einen Schritt näher.
»Guten Morgen, Frau Oberförster!« sagte sie mit dem angenehmen Tonfall des kleinen Mädchens. »Ich bin die Frau des Zirkusinhabers, der gestern im Dorfe angekommen ist. Ich wollte mir erlauben, Sie und Ihre werte Familie zu unseren Vorstellungen einzuladen. Unsere Vorstellungen sind sehr interessant, und auch das vornehmste Publikum ist immer mit denselben zufrieden gewesen.«
Die Frau sagte diese Sätze rasch und eintönig, als ob sie sie schon sehr, sehr oft wiederholt hätte. Sie wollte noch fortfahren, aber Frau Pausewang, die sie aufmerksam von oben bis unten gemustert hatte, unterbrach sie mit freundlicher Miene:
»Ach, Sie sind die Frau Molinari! Mein Bruder, der gestern bei mir war, hat Ihre Plakate unten im Dorf gelesen. Mein Mann und ich haben schon beschlossen, daß wir heute abend hinunterkommen. Ich denke, es wird den Kindern Spaß machen. Ist das Ihre kleine Tochter?«
»Ja, das ist unsere Marietta. Marietta, grüße schön!«
Die Kleine legte die Puppe, die sie grade gestreichelt hatte, in Susis Hände zurück und knickste tief und ehrerbietig.
»Was für ein süßes Gesicht!« dachte Frau Pausewang im stillen. »Wenn sie ein wenig älter wäre, könnte man sie Mignon heißen!« Mignon, müßt ihr wissen, ist der Name eines schönen, geheimnisvollen Mädchens in einem Roman von dem großen Dichter Goethe.
Aber laut sagte die Frau Oberförster: »Ein bißchen blaß sieht sie aus, die kleine Marietta, besonders grad, wenn sie neben unserer Susi steht. Woran fehlt's denn, Kleine?« Sie strich mit ihrer mütterlichen Hand zart um die schmalen Wangen.
»Sie ist nie sehr stark gewesen,« sagte Frau Molinari, »und unser Beruf ist anstrengend …« sie hielt inne.
»Ja,« rief Frau Pausewang, »Susi, geh doch einmal mit der kleinen Marietta zum Kuhstall und laß dir von Loni eine Schale Ziegenmilch geben! Sie ist grade beim Melken. Das wird der Kleinen schmecken, und Ziegenmilch ist so gesund.«
Susi ließ sich das nicht zweimal sagen, nahm die andere bei der Hand und lief mit ihr um die Ecke in den Hof.
»Frau Oberförster sind zu gütig,« sagte die junge Frau leise, aber Frau Pausewang ließ sie nicht weiterreden und sagte freundlich:
»Ja, und Karten nehme ich natürlich auch. Haben Sie welche mitgebracht? Das ist gut. Ich möchte vier Sitze in der ersten Reihe, und dann ein paar für die Jägerburschen und Mägde. Die können abwechselnd auch hingehen. Wie lange bleiben Sie denn?«
»Eine Woche zum mindesten, vielleicht auch länger, wenn das Geschäft gut geht. Uns ist gesagt worden, daß wir hier viel Besuch haben werden.«
»Das glaube ich auch. Die Gemeinde ist groß, und die Leute kommen von weit her, wenn sie sehen, daß etwas los ist. Sind Sie schon lange bei – bei Ihrem Beruf?«
»Solange ich denken kann, Frau Oberförster. Ich bin die Tochter von dem berühmten Salmi. Vielleicht haben Sie schon von ihm gehört.« Aus den Worten der Frau sprach ein bescheidener Stolz.
»Es mag schon sein, Frau Molinari. Da war Ihr Mann wohl auch ein Berufskollege?«
»Ach nein. Mein Mann war eigentlich ein gelernter Maurer. Er sah mich bei einer Vorstellung, und er … er wollte mich eben heiraten. Er hätte bald sollen Meister werden und ich wäre gern … ich hätte gern ein ruhigeres Leben gehabt. Aber mein Vater wollte mich nur einem Künstler zur Frau geben. Da hat mein Mann den Beruf gewechselt. Er war ja jung und stark und gelenkig. Mein Vater war sehr ehrgeizig und wollte einmal einen wirklichen Zirkus haben – einen richtigen, großen, mit einem Zelt und wilden Tieren und allem. Er hätte es auch sicher erreicht, wenn er länger gelebt hätte. Aber er ist zu früh gestorben.«
Die Stimme der jungen Frau zitterte.
»Er ist vom Trapez gefallen und war gleich tot.«
»Das ist traurig zu hören,« sagte Frau Pausewang. »Und da hat dann Ihr Mann das Ganze übernommen?«
»Ja. Und es geht ja ganz gut. Aber einen großen Zirkus wird mein Mann nie haben. Er hat nicht den Unternehmungsgeist, den mein Vater hatte. Aber man muß froh sein, wenn man sich mit den Kindern ehrlich durchbringt.«
»Wieviel Kinder haben Sie denn, Frau Molinari?«
»Drei. Einen großen Buben von vierzehn Jahren – er ist aber so groß und stark, daß ihn jeder für sechzehn hält – und noch einen Buben und die Marietta. Die sind nicht viel auseinander.«
»Und alle arbeiten schon mit?«
»Ja natürlich. Sie sind sehr tüchtig. Oh, Sie werden sie ja heute abend sehen, Frau Oberförster.« Aus den Mienen der Frau strahlte wie zuvor bescheidener Stolz.
»Wir freuen uns schon alle sehr. Aber da kommen ja die kleinen Mädchen. Na, war die Ziegenmilch gut, Marietta?«
»Ja, sehr,« sagte das Mädchen wieder artig und scheu.
»Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Güte, Frau Oberförster.«
»Nichts zu danken, Frau Molinari. Auf Wiedersehen am Abend.«
»Bitte, nicht Molinari, Frau Oberförster,« sagte die junge Frau plötzlich errötend. »Das ist nur unser Künstlername. Wir heißen Müller.«
»Also Frau Müller. Wir freuen uns schon sehr auf die Vorstellung.« Freundlich nickend trat Frau Pausewang mit den Karten ins Haus zurück. Marietta und ihre Mutter wandten sich zum Gehen. Marietta drehte sich nochmals um und gab Susi mit glücklichem Lächeln die Hand. Und Susi rief ihr drei-, viermal durch den Garten nach:
»Heute abend! Heute abend! Ich bin schon so neugierig.«
Vor dem Gartentor blieb Marietta stehen, sah ihre Mutter an und sagte mit ernster Miene: »Das waren gute Leute!«
Und Frau Pausewang erzählte beim Mittagessen ihrem Mann:
»Die Spielersfrau war heute da und hat mir Karten für heute abend verkauft. Du, Andreas, das ist eine ausgesprochen nette Frau und das Kind machte einen lieben und wohlerzogenen Eindruck. Sie hatte ein netteres Benehmen als Susi.«
Susi senkte schuldbewußt das Gesicht über den Suppenteller.
»Aber die Frau sah furchtbar sorgenvoll aus,« fuhr Frau Pausewang nachdenklich fort. »Sie machte geradezu den Eindruck, als ob sie nicht glücklich wäre.«
.»Diese Leute sind doch meist sehr leichtlebig,« meinte der Förster.
»Aber die Frau Müller nicht. Sie hat mir erzählt, daß ihr Vater bei einem Kunststück tödlich verunglückt ist. Das wird ihr wohl immer durch den Sinn gehen, wenn sie sieht, wie ihr Mann und die Kinder sich in die gleiche Gefahr begeben.«
»Macht die Marietta auch Kunststücke, Mutter?« fragte Susi.
»Ja freilich.«
»Oh, da bin ich doppelt so neugierig! Mutter, ich kann es kaum erwarten, daß es Abend wird – und Puppe Liesel auch nicht!«
Und nun war endlich der Abend gekommen.
Susi hatte ihr schönstes Kleidchen angezogen und ein schönes Seidenband in ihre kurzen, roten Locken bekommen und ging an der Hand ihrer Mutter artig vor dem Oberförster und Hubert her. Auf dem Arm trug sie die Puppe, die sie gleichfalls, so nett sie nur konnte, hergerichtet hatte. Als sie sich dem Dorfe näherten, sahen sie schon von weitem grellen Lichtschein durch die Dämmerung strahlen. Auf dem großen Anger, der vor dem Dorfe lag, wo sonst nur die Rinderherde beschaulich weidete, war ein ganz ungewohntes Leben und Treiben. Pfähle waren eingeschlagen und große Zelttücher dazwischengespannt, auf denen mit großen, schwarzen Buchstaben »Zirkus Molinari« stand. Oben auf den Pfählen waren Lampen angebracht, die ein kaltes, blendend weißes Licht in die Nacht hinauswarfen. An einer Ecke war eine Tür in die Plache geschnitten, dort saß Frau Molinari hinter einem Tisch und verkaufte Karten. Sie sah jetzt ganz anders aus als am Vormittag. Ihr reiches, blondes Haar war in vielen Locken kunstvoll aufgesteckt. Ihre Wangen, die Susi damals recht blaß vorgekommen waren, waren rot wie Rosen, sie trug ein ausgeschnittenes Kleid und eine dicke Perlenkette um den Hals. Sie kam Susi sehr schön vor. Aber ihre Stimme klang so sanft und angenehm und ein klein wenig müde wie das erstemal, als sie nun den vielen Männern und Frauen und Burschen, die sich vor ihrem Tisch drängten, unermüdlich Karten zuteilte, Geld von ihnen in Empfang nahm und Wechselgeld zurückgab.
Als die Familie Pausewang, mit den vormittags erworbenen Karten in der Hand, an ihr vorüberschritt, grüßte sie mit einem kleinen gewinnenden Lächeln. Und dann ging Susi, die Puppe fest im Arm, durch die Tür in der Plachenwand und war zum erstenmal in ihrem Leben in einem Zirkus. Sie war im ersten Augenblick recht verwirrt; denn es herrschte darinnen ein großer Lärm, viel Leute waren schon da, und es dauerte eine Weile, bis sie sich durch alle durchgewunden hatten, bis in die erste Reihe, wo sie nun glücklich zwischen dem Herrn Oberlehrer und dem Leitenbauern ihre Plätze fanden. Hier in der ersten und auch noch in der zweiten Reihe waren lauter Stühle nebeneinander gestellt, dahinter gab es Bretter, die über niedrige Böcke gelegt waren, und ganz hinten war der Stehplatz, wo sich die jungen Burschen neugierig zusammendrückten. Auf den paar Bäumen, die in der Nähe der Zeltwand standen, hingen schwarze Klumpen, in denen Susi erst nach längerem Hinschauen die Dorfbuben erkannte, die von dort aus, ohne Eintritt zu bezahlen, die Wunderdinge der Vorstellung bestaunen wollten.
Gerade vor sich sah Susi einen ziemlich großen, leeren Raum, rings um ihn waren die Wände mit roten Tüchern verhängt und mit Girlanden aus bunten Papierblumen geschmückt; auch waren hier noch mehr Lampen angebracht, als weiter hinten. Susi saß voll heißer Erwartung. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis es anfing? Müßte man warten, bis der Zirkus voll war? Sie warf einen Blick nach rückwärts: er war ja voll. Kein einziger Platz unbesetzt! Und horch, nun ertönte plötzlich hinter der Zeltwand eine lustige, rasche Musik. Und zwischen den roten Tüchern trat ein großer Mann hervor.
Ein Flüstern ging wie ein Rauschen durch die Reihen der Zuhörer. Oh, wie prächtig war dieser Mann angezogen! Seine Beine steckten in ganz enganliegenden, scharlachroten Strümpfen, seine Füße in samtenen Stiefeln von derselben Farbe, und an den Stiefeln waren vorn goldene Knöpfe mit Edelsteinen – ja, mit wirklichen Edelsteinen! – aufgenäht. Dazu hatte er ganz kurze, gepuffte Hosen aus rotem Samt mit gelbgefütterten Schlitzen an, und ein enganliegendes, rotes Brustgewand, über dem eine breite, goldene Kette mit vielen bunten Steinen glitzerte und funkelte. Susi hatte noch nie etwas so Prächtiges gesehen. Das Gesicht des Mannes war tief gebräunt; er hatte dicke, krause, schwarze Haare, einen dicken schwarzen Schnurrbart und große schwarze Augen. Susi dachte, wenn er noch eine Krone auf hätte, könnte er ganz gut ein König sein, so schön sah er aus, und gleichzeitig ein bißchen zum Fürchten.
Der seltsame Mann trat vor das Publikum hin, machte tiefe Verbeugungen nach allen Seiten, richtete sich dann stolz auf und während die Musik innehielt, hielt er eine Rede, deren Inhalt Susi in ihrer Erregung nur halb verstand. Sie erriet so viel, daß der Mann in dem wunderbaren, roten Gewand der Signor Molinari sei, daß er die Herrschaften insgesamt herzlich begrüßte und daß er sie bat, von den hervorragenden Leistungen seiner Truppe von vornherein überzeugt zu sein. Er nannte dann mit rascher Zunge eine Unmenge von Namen und Orten, wo er mit seinem Zirkus die größten Triumphe gefeiert hatte. Susi verstand nur ganz wenige, wie »Petersburg«, »Madrid« und »Konstantinopel«. Und zum Schluß versicherte der Mann, er würde nun gleich seine Produktion beginnen und dem verehrlichen Publikum ein paar von seinen Kunststücken zeigen – nur die allerleichtesten zum Anfang.
Das Publikum klatschte laut Beifall, die Musik begann wieder zu spielen und Signor Molinari griff hinter sich auf ein Tischchen, wo eine Reihe bunter Kugeln lagen. Er nahm sie in die Hand und – o Wunder! Die bunten Kugeln begannen nacheinander in sanftem Bogen in die Höhe zu steigen, auf der andern Seite wieder zu sinken und wieder zu steigen; Susi konnte nicht verstehen, wie er das machen konnte, wo er die vielen Kugeln alle hintat, er bewegte kaum die Hände und doch stiegen und fielen die Kugeln unablässig in derselben Reihenfolge, wie ein bunter Springbrunnen. Immer schneller und schneller wirbelten sie herum; auf einmal stockte die Musik und die Kugeln lagen im Kreise ausgebreitet um des Künstlers Füße. Oh, wenn das sein allerleichtestes Kunststück war, wie waren dann erst die schweren? Ja, es kam nun noch eine ganze Reihe, und eines war immer verblüffender als das andere, ganz gleich, ob Signor Molinari nun einen langen, dünnen Stock auf der Nase balancierte, auf dessen Spitze eine Flasche mit zwei in den Kork gesteckten Gabeln tanzte, oder ob er brennendes Werg verschlang und dann, wenn alle dachten, er müßte sich zu Tode verbrannt haben, statt des Wergs viele, viele Meter schönen, bunten Seidenbandes aus dem Munde zog! Die Zuschauer wendeten wie gebannt keinen Blick von ihm und waren fast enttäuscht, als er endlich zurücktrat und die zweite Nummer ankündigte.
Die Musik spielte einen langsamen Marsch und herein trabte ein glänzender Brauner, auf dessen Rücken, wie Susi sofort erkannte, Frau Molinari saß. Sie war wieder anders angezogen; sie trug ein dunkles, enganliegendes Reitkleid und von den schönen Haaren war unter dem schwarzen Hut nicht viel zu sehen. »Ei sieh, sie reitet die hohe Schule!« sagte Frau Pausewang überrascht, und ihr Mann nickte – Frau Molinari lenkte ihr Pferd im Kreis um den freien Raum, und Susi bemerkte, daß es im Takte der Musik den Schritt wechselte und auf einen leisen Ruck der Reiterin allerhand Kunststücke vollbrachte, die ein gewöhnliches Pferd sicherlich nicht konnte. Ihr selbst schien diese Nummer aber nicht so schön wie die erste, wenngleich sie bemerkte, daß ihre Eltern, der Oberlehrer und einige andere gerade hier besondern Beifall spendeten.
Nun aber kam etwas Lustiges. Ein Mann mit einem dicken, runden Gesicht kugelte herein und lachte das Publikum so lustig an, daß die Leute gleich alle mitlachen mußten. Sein Gesicht war ganz weiß angemalt und mit komischen roten Strichen verziert, sein Mund ging von einem Ohr bis zum anderen. Er hatte einen winzigen, spitzen Hut auf und ein weites, bauschiges Gewand mit riesigen Knöpfen an. Und hinter ihm kugelte ein kleiner Kerl herein, genau so angezogen wie der große und geradeso angemalt. Man mußte schon lachen, wenn man die beiden nur ansah. Und nun begannen sie Purzelbäume zu machen, Rad zu schlagen, auf den Händen zu laufen und allerhand solche Dinge. Susi beneidete besonders den kleinen Wurstel brennend darum, wie gut er es konnte. Und dann machten sie allerhand Witze und führten so komische Szenen auf, daß die Leute aus dem Lachen gar nicht herauskamen. Zum Schlusse stellte sich der große Wurstel mit dem Rücken gegen den Schlitz zwischen den roten Tüchern, durch die die Künstler eintraten. Auf einmal – plumps! lag er auf der Nase und hinter ihm erschien ein weißes Pferdchen mit einem großen Federbusch auf dem Kopf. Man hätte es für gefährlich halten können, weil es den Wurstel so einfach umgeworfen hatte, aber sieh, es trat sorgfältig und zierlich, ohne ihm ein Leides zu tun, über ihn hinweg. Der Wurstel freilich schrie, als ob er am Spieße stäke, und sprang auf und rieb sich mit den kläglichsten Gebärden den Rücken. Inzwischen war das weiße Pferdchen, mit dem Kopfe nickend, ruhig weitergetrabt und man sah, daß es auf seinem Rücken eine kleine Gestalt trug – ach! konnte das wirklich ein Menschenkind sein? War es nicht eine Elfe? Susi schaute ehrfürchtig zu ihr hinauf. Auf einmal fuhr sie zusammen und drückte Puppe Liesel fest an ihr Herz. »Marietta,« flüsterte sie aufgeregt, »Marietta, Liesel.«
Ja, es war wirklich Marietta. Sie stand aufrecht auf dem breiten, tischartigen Sattel, den das Schimmelchen trug. Ihre schwarzen Haare flossen aufgelöst in langen Locken um ihr zartes Gesicht, und ein funkelnder Stern blitzte über ihrer Stirn. Gekleidet war sie in ein blaues Seidengewand, das über und über mit silbernen Füttern besetzt war. In den ausgebreiteten Armen hielt sie ein buntes Schleiertuch. Sie sah sehr ernst und gespannt aus. Die Musik spielte ein lustiges, tänzelndes Stück und das Schimmelchen trabte munter und kopfnickend im Kreise. Die beiden Wurstel rannten hinter ihm drein und der große schimpfte, daß es ihn niedergestoßen hatte. Aber das Schimmelchen kümmerte sich nicht darum und auch Marietta nicht. Als das Pferd drei Runden vollendet hatte, verließ sie ihre unbewegliche Haltung und begann zu tanzen. Ja, wirklich auf dem Rücken des trabenden Pferdchens tanzte Marietta! Sie beugte sich, neigte sich, schwang den Schleier, wirbelte um sich selbst, hob sich auf die Fußspitzen; alles mit unnachahmlicher Anmut und Sicherheit. Susi staunte wie gebannt. Kaum konnte sie glauben, daß dieses Zauberwesen, diese tanzende Elfe da oben das gleiche kleine Mädchen sein sollte, das am Vormittag mit ihr im Kuhstall Ziegenmilch getrunken hatte!
Inzwischen war der große Wurstel, voll Ärger, daß der Schimmel sich nicht um ihn kümmerte, hinausgelaufen und kehrte mit einem großen Reifen zurück. Breitbeinig stellte er sich hin, und als das Schimmelchen an ihm vorbei wollte, hob er den Reifen auf, um es am Weitergehen zu verhindern. Aber sieh, das Pferdchen schlüpfte unter dem Reifen durch und Marietta – Marietta sprang durch den Reifen und fiel nicht hin, nein, stand wieder auf dem breiten Sattel und lachte und winkte!
Die Zuschauer klatschten Beifall, der Wurstel aber rannte mit seinem Reifen immer und immer wieder dem Pferd und der Reiterin in den Weg, und immer und immer wieder sprang Marietta durch den Reifen sicher wieder auf des Schimmels Rücken zurück. Der kleine Wurstel brachte andere Reifen, die mit Papier bespannt waren. Da sah die Sache noch viel gefährlicher aus. Aber klatsch – Marietta sprang durch den Reifen, das Papier zerriß, und das Pferdchen trabte mit der lächelnden Reiterin weiter. Die Musik spielte immer schneller, das Schimmelchen trabte rascher, der Wurstel sprang mit seinem Reifen herum wie verrückt, und die kleine Elfe in Himmelblau und Silber flog ungefährdet durch alle Reifen hindurch. Unter donnerndem Beifallklatschen lief das Pferdchen schließlich hinaus.
»Das war himmlisch,« sagte Susi mit einem tiefen Seufzer und lehnte sich in den Sessel zurück. »Sehr niedlich!« meinte ihre Mutter. Susi war ihr fast böse, daß sie kein anderes Wort fand, als »niedlich«. Sie drückte ihre Puppe fest an sich und flüsterte ihr ins Ohr: »Nicht wahr, Liesel, es war himmlisch?« Sie hörte gar nicht, daß inzwischen schon eine neue Nummer angekündet worden war, und überhaupt ging von jetzt an alles, was der Abend brachte, halb unbemerkt an ihr vorüber, sie wartete nur auf den Augenblick, wo Marietta wieder auftreten würde. Und doch gab es so interessante Dinge! Signor Molinari hantierte mit eisernen Kugeln und Stangen, als ob es Kinderspielzeug wäre, legte sich dann auf den Rücken, ließ sich einen schweren Amboß auf die Brust stellen und zwei Schmiedegesellen aus dem Dorfe mußten mit großen Hämmern darauf herumschlagen. Oh, es war ganz fürchterlich anzusehen! Frau Molinari kam in einem gelbseidenen Rock, einem schwarzen Spitzentuch, mit einem hohen Kamm im Haar und einem Fächer in der Hand und tanzte zwei spanische Tänze, die beiden Wurstel balgten sich und machten Witze zum Totlachen; aber Susi paßte erst wieder so recht auf, als es hieß, nun käme das große, noch nie gesehene Trapezkunststück der Geschwister Mario und Marietta, genannt la Molinarina.
Ein junger Bursch trat auf, der dem Signor Molinari sehr ähnlich sah und fast so groß und stark war wie er; er hatte auch ein ähnliches, nur violett gefärbtes Gewand an und trug einen breiten, starken Gürtel um die Hüften, der vorn eine Art Köcher trug. In dem Köcher steckte eine hohe Bambusstange, die sich oben in zwei Arme teilte, und zwischen diesen beiden Armen hing, an einem Querarm befestigt, ein leichtes Trapez. Neben dem Bruder trat Marietta ein, ganz gleich angezogen wie er. Und nun kletterte sie urplötzlich wie eine Katze an ihm empor, sprang, auf seinen Schultern stehend, in die Höhe, erhaschte im Sprung das Trapez, saß im Nu darauf und warf dem Publikum Kußhände zu. Und während der Bruder unten mit beiden Händen das schwankende Gestell hielt und regierte, schaukelte sie oben hin und her, schlug eine Welle um die andere, hing bald an den Füßen, bald an den Händen, verrenkte die zarten Glieder und schien dabei so sicher, als befände sie sich auf festem Boden und nicht auf so unsicherem, schwanken, schmalen Holzgestell.
Die Musik hatte zu spielen aufgehört; die Zuschauer hielten den Atem an. Endlich wirbelte Marietta, an den Knien hängend, zehn, zwanzig, nein – wie viele Male wohl?, um das Trapez herum, ließ sich plötzlich los, und flog in hohem Bogen, sich in der Luft überschlagend, in die Arme ihres Vaters, der sich unbemerkt unten aufgestellt hatte. Als er sein Töchterchen hoch emporhob und den Zuschauern zeigte, schrien alle wie aus einem Munde: »Bravo, bravo!« klatschten in die Hände, trampelten mit den Füßen und wollten sich gar nicht beruhigen lassen. Auch Susi schrie mit ihrem hellen Stimmchen: »Bravo, Marietta!« Und klatschte, so fest sie konnte. Und diesmal war die Mutter auch ihrer Meinung, denn Susi hörte, wie sie zum Herrn Oberlehrer sagte: »Das war originell und wirklich ganz ausgezeichnet!«
Nun kamen noch die Wurstel mit einer sehr komischen Aufführung und dann war eigentlich schon Schluß; zuvor aber stellte sich die ganze Familie noch in einer Reihe vor dem Publikum auf – Signor Molinari in rot, Mario und Marietta in violett, Frau Molinari in dem spanischen Kleid und der kleine Wurstel, der niemand anders war als Mariettens jüngster Bruder – und Signor Molinari dankte den Zuschauern für ihren Beifall und ihr Interesse und sagte, er würde ihnen als Dank nun noch ein Extrakunststück vorführen, nämlich: die menschliche Pyramide! Und damit beugte er sich schon vor, stemmte die Hände auf die Knie, Mario stieg von hinten auf seine Schultern, Marietta und der kleine Wurstel klommen an Mario empor. Dann richtete sich der starke Mann auf, auf seinen Schultern stand Mario, auf Marios Schultern rechts und links die Kinder: sie hielten sich an den Händen und spreizten einen Fuß und eine Hand weit nach außen. Und Frau Molinari hatte plötzlich eine bengalische Fackel angezündet, und von blutrotem Schein übergossen, stand die menschliche Pyramide vor den Zuschauern. Das war wirklich ein großartiger Schluß! Aber Susi war ganz froh, als ihr Liebling nun behend an Bruder und Vater herunterschlüpfte und wieder alle fünf unten in einer Reihe standen und sich dankend vor den Zuschauern verbeugten.
Ja, jetzt war die Vorstellung zu Ende, die wunderschöne, einzige, großartige Zirkusvorstellung! Die Menschen strömten langsam aus dem Zelte und standen draußen auf dem Anger noch lange in Gruppen beisammen, um ihre Eindrücke zu besprechen. Auch der Oberförster hatte sich mit einigen Herren in ein Gespräch vertieft. Inzwischen nahm Frau Pausewang ihre beiden Kinder an der Hand und ging mit ihnen um den Zirkus herum. Da sahen sie einen seltsamen grünen Wagen stehen – fast wie ein Eisenbahnwagen sah er aus –; neben ihm waren drei Pferde angepflockt, in deren einem Susi sofort das Schimmelchen erkannte, das aber jetzt weder Sattel, noch Federbusch trug. Und dort auf der kleinen Stiege, die zum Wagen hinaufführte, saß da nicht Marietta? Ja, Marietta, die schwarzen Locken noch immer gelöst um das kleine, abgespannte Gesichtchen, aber schon in einem einfachen Alltagskleidchen.
»Mutter, da ist Marietta! Darf ich zu ihr hin?«
Die Mutter nickte und Susi lief zu der Kleinen hin, faßte ihre Hände und rief:
»Marietta, es war wunderschön; ach, wenn ich doch auch so turnen und reiten könnte!«
Marietta lächelte glücklich und sagte kein Wort. Eine Frauengestalt trat aus dem Schatten des Wagens und eine leise, sanfte Stimme fragte: »Hat es Ihnen gefallen, Frau Oberförster?«
»Sehr!« sagte Frau Pausewang bereitwillig, »auch meinem Mann und meinem Sohn. Und meiner Susi natürlich vor allem, das haben Sie ja selbst gehört!«
»Wir haben noch ein zweites Programm,« sagte Frau Müller bescheiden, »das werden wir abwechselnd mit dem ersten aufführen!«
»Nun, vielleicht sehen wir uns Ihre Schlußvorstellung noch an, allzuoft möchte ich die Kinder nicht in den Zirkus schicken, sie werden mir sonst zu aufgeregt. Aber wissen Sie was, Frau Molinari –«
»Müller, bitte.«
»Frau Müller, schicken Sie doch Ihre Kleine, wenn sie Zeit hat, morgen vormittag wieder zu uns herauf! Sie kann wieder Ziegenmilch trinken und Susi wird sich riesig freuen.«
»Ach, Frau Oberförster, Sie sind zu gütig!« sagte Frau Müller und wurde rot vor Freude. Susi aber hielt Marietta an beiden Händen und jubelte: »Marietta, du darfst morgen wieder zu mir kommen, denke dir nur! Wirst du kommen, Marietta?«
»Ja, ich komme,« sagte das Kind mit einem glücklichen Lächeln. Nun aber faßte die Mutter Susi bei der Hand. »Wir müssen gehen, der Vater wird uns sonst suchen! Komm, Hubert! Gute Nacht, Frau Müller! Gute Nacht, Marietta!«
»Gute Nacht, gute Nacht!« rief Susi, und Marietta winkte mit der Hand. Und nun gingen die Kinder mit ihren Eltern durch die Sommernacht in ihr Waldhaus zurück, Kopf und Herz voll von dem Gesehenen und Gehörten.
Am nächsten Morgen gab es auf der Wiese hinter der Oberförsterei ein ganz besonderes Tun und Treiben. Die beiden Försterkinder waren da, aber sie spielten nicht ihre gewöhnlichen Spiele. Sie sprangen und liefen und tanzten und drehten sich um sich selbst, bis sie erhitzt und atemlos umfielen. Ach, es war furchtbar schwer, die Kunststücke der Zirkuskinder nachzumachen! Purzelbäume machen konnten sie natürlich schon, und auch Radschlagen ein bißchen, und Hubert hatte es schon zusammengebracht, fünf Sekunden lang auf dem Kopf zu stehen. Aber er mußte es noch viel besser können, und dann war vor allem das Auf-den-Händen-laufen – das war das Allerfeinste gewesen! Und Hubert bemühte sich und ärgerte sich, wenn er immer wieder umpurzelte. Aber Susis Ehrgeiz stand noch höher: sie hatte ganz zeitig in der Frühe das Nudelbrett aus der Küche geholt und war in den Stall gegangen, wo der braune Hans stand, das Pferdchen, das manchmal vor Vaters kleinen Steirerwagen gespannt wurde, und hatte wahrhaftig versucht, das Nudelbrett auf seinem Rücken zu befestigen, um selber als Prinzeß Susi darauf zu tanzen! Leider war dieser Versuch gleich in seinen Anfängen gescheitert, denn das Nudelbrett war gar nicht auf Hansens Rücken hinaufzubringen gewesen, und als nun gar noch Hubert dazukam und seine Schwester fürchterlich auslachte, verzichtete sie darauf, eigenen Ruhm zu suchen und schmiedete einen neuen Plan, in welchem die Ziege, ein kleineres Brettchen und Puppe Liesel die Hauptrolle spielten. Warum sollte nicht Liesel eine berühmte Tänzerin werden? Susi versuchte draußen auf der Wiese gleich, ihrer Puppe die zierliche Haltung zu verleihen, die sie bei Marietta so sehr bewundert hatte. Aber Puppe Liesel war dumm und ungeschickt; solange Sufi sie hielt, machte sie ihre Sache ganz niedlich; aber sobald sie sie losließ, fiel die Puppe hin und Susi war das erstemal ärgerlich auf sie. Zur Abwechslung übte sie sich dazwischen immer wieder einmal im Radschlagen und Kopfstehen, das ihr zweifellos besser gelang als Puppe Liesel das Tanzen.
Da rief es vom Hause her: »Susi! Susi!« und Susi sprang auf und eilte hinunter. Halb hatte sie ja schon erraten, was der Ruf bedeuten sollte. Richtig, da stand ihr bewunderter Liebling, da stand Marietta Molinari, heute keine Prinzessin in Himmelblau und Silber, sondern wieder ein kleines, blasses, schlicht gekleidetes Kind mit langen, schwarzen Zöpfen. Susi flog ihr in ihrer Freude fast um den Hals: »Oh, Marietta, das ist schön, daß du da bist! Komm gleich in den Stall, wir trinken zusammen Ziegenmilch!« Marietta gab ihr die Hand und ging mit ihr weiter. Als sie beim Küchenfenster vorbeikamen, rief Frau Pausewang heraus: »Marietta, komm ein bißchen her! Sag, hast du Zeit zu bleiben oder mußt du gleich wieder nach Hause?«
»Eine Stunde könnte ich schon bleiben,« sagte Marietta in ihrer bescheidenen Art, »Mutter weiß ja, wo ich bin.«
»Gut, dann geht erst eure Milch trinken, und dann, Susi, geh' mit Marietta in den Wald und setzt euch irgendwo hin und unterhaltet euch schön; aber keine wilden Spiele spielen, hörst du? Marietta muß sich ausruhen, am Abend gibt es wieder viel zu tun für sie! Und damit ihr nicht verhungert, geb' ich euch etwas mit!«
Zwei dicke Butterbrote kamen durch das Gitterfenster, eins für Susi, eins für Marietta, und das für Marietta war vielleicht noch ein bißchen dicker als das andere. Die beiden Kinder, glücklich, daß sie beisammen bleiben durften, tranken ihre Milch und spazierten dann einträchtig zum Wald hinauf.
»Was für eine schöne Puppe du hast!« sagte Marietta.
»Gefällt sie dir?« fragte Susi und hob Liesel in die Höhe. »Nicht wahr, sie ist lieb und schön? Ein richtiges Kind, ein Försterkind, nicht wahr? Aber wenn du erst wüßtest, wer sie mir gebracht hat!«
»Sicher das Christkind!«
»O nein!«
»Deine Großmutter?«
»Nein!«
»Ein Onkel?«
»Ach, Marietta, du errätst es nie! Ein wilder Adler hat sie mir gebracht!«
Und nun erzählte Susi der erstaunten Marietta die Geschichte von dem Raubvogel, den der Oberförster geschossen und in dessen Klauen man die Puppe gefunden hatte. Sie machte diese Geschichte noch abenteuerlicher, als sie gewesen war, wandelte den Geier in einen riesigen Adler um und erzählte Ungeheuerliches von der Spannweite seiner Flügel und der Grimmigkeit seiner Krallen. Aber wir müssen es Susi verzeihen, daß sie hier ein bißchen übertrieb, sie war sonst so ein wahrheitsliebendes Kind und dachte wohl nur, ihrer Freundin eine Freude zu bereiten, wenn sie die Geschichte ein bißchen schöner machte. Marietta aber staunte nun wirklich Puppe Liesel mit noch größeren Augen an. Sie waren inzwischen an den Waldrand gekommen und Susi führte ihren Gast an ihr Lieblingsplätzchen im Schatten der Haselbüsche, von wo aus man einen so schönen Blick über das Tal und den Wald und das Dorf unten hatte. Da saßen sie nun und aßen ihr Butterbrot und unterhielten sich, und Marietta hielt die ganze Zeit die Puppe Liesel auf dem Schoß und wiegte sie hin und her. Susi erzählte ihr von ihren vergeblichen Versuchen, die Puppe zu einer berühmten Tänzerin zu machen.
»Es wäre so schön gewesen,« meinte sie seufzend, »unsere weiße Ziege hätte ganz ähnlich ausgesehen wie euer Schimmel und man hätte ihr sicher ganz leicht so einen breiten Sattel machen können. Aber Liesel will und will nicht auf einem Bein stehen.«
»Laß sie nur,« sagte Marietta still, »es gibt ja so viele schöne andere Sachen. Liesel will halt lieber im Garten spazieren gehen als auf dem Schimmel reiten, gelt? Schau, Susi, wir könnten hier einen schönen Garten für Liesel machen!«
Susi wußte nicht recht, wie Marietta es meinte. Aber Marietta hob ein Stück Holz vom Boden und reinigte einen sandigen, ebenen Fleck von allen welken Blättern und Halmen, die darauf lagen. Dann brach sie dünne Äste von den Haselstauden und brach sie in gleich lange Stäbchen; die steckte sie rund um den Platz in gleichen Abständen in die Erde, und es wurde ein allerliebster kleiner Zaun daraus, vorn mit einer Tür aus zwei längeren Stäbchen und einem Querstab. Als Susi sah, wie niedlich der Garten für Liesel zu werden anfing, half sie nach Mariettas Anordnungen eifrig mit. Aus dem grünen Moospolster des Waldes schnitten sie regelmäßige Stücke, die wurden als Rasenplätze in den Garten gelegt und mit lauter blanken, kleinen Steinchen umrändert. Dann suchten die Kinder bunte Beeren und kleine Blumen und steckten sie in hübschen Gruppen in das Moos hinein. Nun mußte noch ganz, ganz feiner Sand herbeigeschafft und auf die Wege zwischen den Moosbeeten gestreut werden – und dann war der herzigste kleine Garten fertig! Susi war voller Begeisterung darüber, wie hübsch er aussah, und wunderte sich nur, daß sie selber, die doch so oft hier am Waldesrand gesessen und Moos, Steinchen und Beeren in den müßigen Fingern gehalten hatte, nie auf den Gedanken gekommen war, so einen kleinen Garten zu machen.
Nun sollte Puppe Liesel ihren Garten aber auch besichtigen. Die beiden Kinder ergriffen sie an den kleinen Händen, leiteten sie durch das Tor und ließen sie auf den Wegen hin und her spazieren. »Schau, was für ein vergnügtes Gesicht sie macht!« rief Susi, »man sieht, daß es ihr gefällt!«
»Sie muß aber noch einen Platz zum Sitzen haben,« meinte Marietta, »sie kann ja nicht immer bloß hin- und hergehen.«
Eine kleine Moosbank mit einem kleinen Stein als Rückenlehne war bald errichtet und Puppe Liesel saß ganz preislich dort und besah sich ihr kleines Königreich. Die Kinder waren noch ganz in ihr Spiel vertieft, als plötzlich weiche, klare Laute von fernher durch die Sommerluft schollen.
»O weh, es lautet zwölf, ich sollte schon zu Hause sein,« rief Marietta bestürzt. Und schon lief sie den Hang hinunter. Susi raffte schnell die Puppe auf und lief hinter ihr her.
»Kommst du morgen wieder?« rief sie ihr nach.
»Wenn ich darf …« meinte Marietta zögernd. Susi sah die Mutter vor dem Hause stehen und lief auf sie zu. »Mutter, darf Marietta morgen wiederkommen?«
Frau Pausewang erwiderte freundlich: »Wenn Mariettas Mutter es erlaubt, darf deine Freundin jeden Tag kommen und Ziegenmilch trinken und mit dir spielen.«
»Hurra, das ist fein!« jauchzte Susi.
Marietta sah Frau Pausewang dankbar an. Dann sagte sie rasch, mit einem plötzlichen Erröten:
»Aber bitte, nennen Sie mich nicht Marietta! So heiße ich nur im Zirkus. Meine Mutter sagt Marie zu mir und Sie …«
»Und ich und Susi werden auch Marie sagen, natürlich!« Marie grüßte mit strahlendem Lächeln und dann stob sie auf leichten Sohlen davon.
»Vater, heute war Marietta bei mir, und wir haben so wunderschön gespielt!« sagte Susi eilfertig, als sie sich zu den andern an den gedeckten Tisch setzte.
»So? Was habt ihr denn gespielt? Hat sie dir recht viel Zirkuskunststücke gezeigt?«
»O nein, kein einziges. Aber sie hat mir gezeigt, wie man aus Moos und Beeren und Steinen und Haselnußzweigen einen Garten macht, oh, so einen süßen Garten, Vater, du kannst dir das gar nicht vorstellen!«
»Ja, der Garten ist hübsch,« sagte Hubert herablassend, »ich hab' ihn mir vorhin auch angeschaut.«
»Und einen Felsen haben wir auch in die eine Ecke gegeben, nämlich einen großen Stein, weißt du, Vater, und eine Moosbank daneben gemacht, auf der kann die Puppe Liesel sitzen, und nachher muß ich noch auf einen sauberen Zettel Papier schreiben ›Elisabethruhe‹ und das wird dann auf den Felsen aufgeklebt.«
»Nun, deine Freundin scheint ja ein Tausendsassa zu sein,« meinte der Förster behaglich.
»Das ist sie auch,« rief Susi begeistert.
»Sie ist ein liebes und wohlerzogenes Kind,« meinte die Mutter nach dem Essen, als sie mit dem Oberförster allein beisammensaß. »Du weißt, sie gefiel mir gleich anfangs so gut. Und sie ist das erste Kind, mit dem Susi Freundschaft geschlossen hat. Bisher sind alle Versuche kläglich gescheitert.«
»Sie waren aber auch darnach,« sagte der Oberförster grimmig. »Die Dorfkinder unten in der Schule sind für Susi zu schwerfällig, sie haben auch alle zu Hause zu arbeiten und können nicht zu uns heraufkommen. Und die beiden Mädel von dem Professor, der voriges Jahr zur Sommerfrische unten war, du lieber Himmel, mir wird ganz schlecht, wenn ich an die faden, bleichsüchtigen Milchgesichter denke.«
»Es waren recht nette und feine Mädchen,« sagte Frau Pausewang mit einem heimlichen Lächeln, »aber für Susis Liebhabereien hatten sie freilich kein Verständnis. Nun, es freut mich wirklich, daß Susi jetzt eine passende Spielgefährtin gefunden hat. Leider wird sie nur zu bald von ihr Abschied nehmen müssen.«
Aber Susi und Marie dachten beide jetzt noch nicht ans Abschiednehmen. Jeden Vormittag waren sie in Wald und Feld, in Garten und Wiese zusammen. Der schöne Puppengarten am Waldrand wurde noch schöner geschmückt und ausgebaut und alles, was darin welk geworden war, gleich entfernt und ersetzt. Aber Marie wußte noch andere Spiele. Ganz in der Nähe von Puppe Liesels Garten war eine Stelle, wo das Erdreich etwa einen halben Meter weit abgerutscht war. Dort begann Marie mit Susis kleiner Schaufel in der senkrechten Wand Höhlen zu graben, eine neben der anderen, das sollten Ställe werden. »Ja, Ställe für Zwergenkühe!« sagte Susi und half eifrig mit. In den Ställen wurden kleine Raufen angebracht und mit Gras gefüllt, der Boden mit dürrer Waldstreu bedeckt; außen herum wurde wieder ein Platz eingezäunt und mit Moos ausgelegt, das war die Weide für die Zwergenkühe. Und dann mußte Hubert sein Taschenmesser borgen und Marie schnitt dürre Fichtenwirbel ab und verstand es, die kleinen Zweiglein so abzuschneiden, daß nur auf der einen Seite vier längere – das waren die Beine – und auf der anderen zwei kleine – das waren die Hörner – übrig blieben. Diese kleinen Holzgestalten waren nun die Kühe, sie wurden schön ordentlich in die Ställe gestellt und bekamen sogar Namen, wie die Kühe in der Försterei. Und wenn die Mädchen zum Waldrand hinaufkamen, da führten sie jedesmal gleich die Kühe aus dem Stall heraus, und sie durften auf der Weide bleiben, bis Marie fortging. Die achtete immer darauf, daß sie vorher hübsch wieder in die Ställe zurückkamen.
»Was würden die Zwerge sagen,« meinte sie zu Susi, »wenn sie ihre Kühe nicht an Ort und Stelle fänden!«
»Ja, da hast du recht; weißt du, die jungen Kühe, die sind überhaupt so wild, die springen vielleicht über den Zaun in den Wald hinein und finden nicht mehr zurück!« stimmte Susi eifrig bei. Sie fand an diesem Spiel ganz besonders viel Gefallen. Sie kam ganz allein auf den Gedanken, noch einen weiteren niedrigeren Stall zu graben, der vorn mit einem Brettchen verschlossen werden konnte. Das war der Schweinestall, und dicke, kurze Tannenzapfen kamen als Schweinchen hinein. Auch einen Backofen bauten sie in die Wand hinein und bucken darin Kirschenkuchen. – So hatten die Kinder am Waldesrand vergnügte Stunden, aber sie saßen nicht immer still, sondern streiften auch durch den Wald, wo Susi jeden Weg und Steg kannte, oder sie spielten im Garten Reifen und Ball. Daß Marie dabei besondere Geschicklichkeit zeigte, und daß sie fast noch flinker und geschickter als Susi auf die Blutbuche hinaufkam, das könnt ihr euch wohl denken! Frau Pausewang aber paßte immer auf, daß diese Spiele nicht zu wild wurden und daß Marie dann wieder eine Weile ruhig sitzen und sich ausruhen konnte. Einmal brachte Marie eine Schürze voll Binsen mit, die sie unterwegs am Bach gepflückt hatte, und flocht für Puppe Liesel einen niedlichen Hut und für Susi ein Körbchen. Ja, Marie konnte wirklich alles.
So verlebten die Kinder zehn himmlisch schöne Tage miteinander. Manchmal durfte Marie sogar über Mittag dableiben und erst um drei oder vier Uhr zum Zirkus zurückkehren. Herr Molinari machte recht gute Geschäfte und so wurde der Aufenthalt der Truppe länger hinausgedehnt, als ursprünglich beabsichtigt gewesen war. Aber endlich nahte doch der Tag, an dem die letzte Vorstellung stattfinden mußte. Der Aufbruch konnte nicht mehr aufgeschoben werden, denn man mußte noch rechtzeitig einen weiter entfernten Ort erreichen, wo am Sonntag Kirchtag sein sollte und viele Besucher zu erwarten waren. Susi brach in ihrer ungestümen Art in Tränen aus, als sie davon erfuhr. Marie weinte nicht, sie streichelte Susis Locken und Wangen und sagte leise: »Im nächsten Jahr kommen wir wieder.«
»Und heute abend gehst du noch einmal mit uns in den Zirkus,« tröstete auch Frau Pausewang. Aber Susi war schwer zu trösten, und ihr Gesichtchen sah am Abend nicht strahlend wie das erstemal, sondern noch immer recht verweint und trübselig aus. Das Zelt war für diese Abschiedsvorstellung ganz besonders schön geputzt worden und Besucher hatten sich womöglich noch mehr eingefunden, als das erstemal. Die Vortragsfolge war aus den besten und wirksamsten Nummern der zwei Programme, über die die Truppe verfügte, zusammengestellt worden; so sah Susi manches Bekannte und manches Neue, aber beides oftmals nur durch einen Tränenschleier. Denn immer wieder mußte sie daran denken, daß heute der letzte Abend sei. Sie hatte zwei Taschentücher mitgenommen, eins zum Winken und eins zum Weinen, aber beide waren bald ganz durchgeweint und sie mußte ein tropfnasses Tüchlein wehen lassen, als Marie in der dritten Nummer als Elfe in Himmelblau und Silber auf dem Schimmelchen angetrabt kam. Aber nun hatte sie eine große Freude: Marie drehte sich unter all den vielen Zuschauern nach ihr, ja, gerade nach ihr um und warf ihr eine Kußhand zu! Susi errötete vor Glück und flüsterte der Puppe, die sie auf dem Schoß hielt, zu: »Liesel, dich und mich hat sie gegrüßt!« Den Höhepunkt des Abends bildete diesmal Mariens und ihres kleinen Bruders Tanz auf dem Seil. Rechts und links von der Bühne waren hölzerne Gestelle aufgestellt, zwischen welchen ein Seil ausgespannt war. Marie und ihr Bruder Heinrich, der auf den Anschlagszetteln Enrico hieß, beide in Rosa mit dicken Rosenkränzen in den Locken, klommen eilfertig hinauf und traten, eine Stange wagrecht in der Hand, bedachtsam auf das Seil hinaus. Sie gingen einander entgegen, verbeugten sich, knixten, schritten wieder zurück, führten künstliche Schritte aus, ja, sie wechselten sogar die Plätze; es war wirklich ein feiner, kunstvoller Tanz in den Lüften. Im Zuschauerraum herrschte wieder dieselbe atemlose Spannung wie damals, als Marietta auf dem Trapez geturnt hatte. Aber Susi fand das Seiltanzen viel, viel schöner und nahm sich trotz ihrem Kummer gleich vor, es morgen auf dem Wäschestrick auch gleich zu probieren. Eben als sie sich das dachte, neigte sich Hubert zu ihrem Ohr und flüsterte: »aber wir müssen den Strick oben im Walde spannen, sonst lassen sie uns nicht!« Es war doch sonderbar, daß der ernste Hubert und die wilde Susi manchmal ganz genau denselben Gedanken haben konnten.
Als aber nun der Tanz der beiden Kinder vorbei war und sie sich, oben auf den Gestellen stehend, immer wieder und wieder vor den klatschenden Zuschauern verbeugen mußten, da winkte Marie wieder – Susi sah es ganz deutlich – zu ihr herüber und warf ihr eine Kußhand zu! »Ach,« dachte sich Susi voll Stolz, während die Leute »Bravo, Marietta« riefen, »euch gefällt sie wohl und ihr lobt sie, aber ihre Freundin bin doch nur ich!« Aber da fiel ihr wieder ein, daß sie noch heute von dieser geliebten Freundin Abschied nehmen müsse, und Tränen verdunkelten wieder ihre Augen. Sie war tapfer, die kleine Susi, und ließ die andern von ihrem Kummer nicht viel merken, aber sie sah von dem Rest der Vorstellung nur noch sehr wenig, und als zum Schlusse wieder die »menschliche Pyramide« kam und Marie von ihres Bruders Schultern hinab in die Tiefe glitt, da hatte die arme kleine Susi das dunkle Gefühl, als ob jetzt der freundlichste Stern an ihrem Kinderhimmel untergegangen sei.
Draußen vor dem Zelt nahm ihre Mutter sie bei der Hand und führte sie, ohne ein Wort zu sagen, dorthin, wo der grüne Wagen stand. Sieh, Marie wartete dort auf sie; sie war noch im Kostüm ihrer letzten Rolle und sah blaß und traurig aus. Susi fiel ihr weinend um den Hals. Frau Pausewang ließ die Kinder stehen und trat zu Frau Müller, die ihr mit bewegten Worten für ihre Freundlichkeit gegen die Kleine dankte.
»Meine Marie hat noch nie so schöne Tage gehabt wie die Zeit, in der sie hier war,« sagte sie. »Die Menschen stehen uns Zirkusleuten meist mit großem Mißtrauen gegenüber, und es gibt ja wirklich manche, die es nicht besser verdienen. Um so mehr muß ich Ihnen für alles danken, Frau Oberförster, was Sie für Marie getan haben. Sie ist ordentlich gesünder und kräftiger geworden in dieser Zeit.«
»Sie sollen mir nicht danken, Frau Müller,« sagte die Försterin herzlich. »Im Gegenteil, wir müssen Ihrer Tochter danken, sie ist die erste Freundin, die Susi in ihrem Leben gehabt hat, und Sie sehen ja, wie sich das Kind an Ihre Marie angeschlossen hat!«
Während die Frauen noch sprachen, kam Susi plötzlich dahergelaufen, warf die Arme um ihre Mutter und sagte mit tränenerstickter Stimme: »Mutter, Marie hat mir so eine hübsche Kette aus bunten Perlen gemacht, sieh sie an meinem Hals! Und ich habe ihr gar nichts zu schenken. Mutter, ach Mutter, darf ich der Marie die Puppe Liesel schenken?«
Frau Pausewang war überrascht, sie wußte, wie lieb Susi ihre Puppe hatte und wollte fragen: »Kind, ist das Opfer nicht zu groß?« Aber dann sah sie in die angstvoll flehenden Augen ihres kleinen Mädchens und sagte: »Ja, du darfst sie ihr schenken.«
Susi riß sich los, lief auf Marie zu, drückte ihr die Puppe in die Arme und schluchzte: »Sie gehört jetzt dir!« Und dann faßte sie ihre Mutter an der Hand und zog sie eilig fort. Ein einziges Mal wandte sie sich noch um und winkte mit der Hand der Freundin zu, die ihr Taschentuch durchs Dunkel wehen ließ.
Der Oberförster wollte eine lustige, tröstende Bemerkung machen, als seine Frau mit der Kleinen zu ihm und Hubert zurückkam. Aber Frau Pausewang winkte ihm zu, zu schweigen. So murmelte er, als sie unter den herrlichen Sternen des Augusthimmels heimwärts gingen, nur leise vor sich hin: »Arme, kleine wilde Hummel! Im Schmerz so heftig wie in der Freude!«
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