Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12. Kapitel

In einem kleinen Gehölz in Schwabings nächster Umgebung fand das Duell zwischen dem Grafen Arnold von Herzfeld und dem Leutnant Ritter von Rastenberg statt. Der Versöhnungsversuch war gescheitert. Schon beim ersten Kugelwechsel fiel Arnold, durch die Brust geschossen, wie tot hin. Rastenberg aber stand unversehrt, und da sich die anderen um den leblosen Arnold zu schaffen machten und keiner auf ihn achtete, stürmte er von dannen. Er suchte sein Heil in der Flucht. Der Arzt untersuchte Arnolds Wunde, denn noch war Leben in dem jungen Körper. Benno stand schmerzerfüllt daneben. Er tat ihm leid, der flotte, lustige Kamerad. Jetzt sagt? der Arzt:

»Nach seiner Wohnung können wir ihn nicht bringen, es ist zu gefährlich, denn so lange der Mensch noch atmet, gebe ich die Hoffnung nicht auf! Wenn man ihn in der Nähe in ein Haus tragen könnte!«

»Ich will gleich 'mal sehen, wohin wir ihn bringen dürfen!« sagte eifrig Benno und eilte davon. Der junge Offizier hatte das Bedürfnis in sich, etwas wenigstens für den armen Freund zu tun. An einer Villa, die ihm besonders geeignet erschien, machte er Halt. Es war Franzi, Idas Faktotum, welche gerade die Läden in die Höhe zog, die von Benno Walter angesprochen wurde:

»Fragen Sie doch 'mal rasch Ihre Herrschaft, ob wir einen Schwerverwundeten hierher bringen können!« – Ida, die im Zimmer gestanden hatte, vernahm diese Worte. Die Stimme kam ihr so bekannt vor. Sie trat ans Fenster und ein leiser Schrei entfuhr ihr. Benno aber rief bestürzt:

»Welch' ein Zufall! Gnädigste, Sie erlauben es gewiß, daß wir Ihnen Arnold Herzfeld bringen!« und ohne der vor Aufregung zitternden Ida Antwort zu erwarten, eilte er davon. Franzi aber brach in laute Klagen aus. »Ach, der gute, liebe Herr! Schwer verwundet, o, du mein Gott! Und uns bringen sie ihn! Wohin legen wir ihn denn, in seine Stube? Ach, da ist noch alles, wie es war, als er fortging!«

Ida erholte sich langsam von diesem großen Schrecken, dann aber ordnete sie an, daß Arnold in ihrem eigenen Schlafzimmer untergebracht würde, damit man ihn nicht die Stiege hinauf zu transportieren habe. In fiebernder Hast richteten die Frauen das Lager her. Kaum waren sie zu Ende, da wurde Arnold gebracht. Ida erklärte dem Arzt, sie werde die Pflege des Verwundeten übernehmen. Er könne bis zu seiner völligen Genesung da bleiben. Verwundert sah der Arzt sie an. Benno flüsterte ihm etwas in das Ohr und ein mitleidiges Lächeln huschte über des Doktors Gesicht. Wenn hier nicht ein Wunder geschah, bedurfte der Verwundete keiner langen Pflege mehr. Arnold hatte viel Blut verloren, er war noch bewußtlos. Der Schuß war in die rechte Brustseite gedrungen und am Rücken war die Kugel wieder herausgekommen. Jedenfalls hatte sie die Lunge verletzt, wie sehr, konnte der Arzt nicht feststellen. Daß aber das Leben auf dem Spiele stand, wußte er. Das Blut mußte gestillt werden und Benno holte noch einen zweiten Arzt herbei. – Ida aber hatte inzwischen Arnolds Abschiedsbrief erhalten und gelesen. Nun war ihr alles klar. Sie aber weinte und klagte nicht. Eine starke Hoffnung zog in ihr Herz. Noch konnte alles gut werden, blieb der Geliebte am Leben und sie warf sich auf die Kniee und flehte zu Gott in heißem Gebete. Gestärkt und getröstet suchte sie sich dann im Krankenzimmer nützlich zu machen. Die Aerzte waren fort, nur Benno stand in düsterem Sinnen da. Arnold war noch bewußtlos, doch atmete er schwach.

»Ach,« sagte Benno leise zu Ida, »wollte Arnold doch einmal nur zu sich kommen! Es steht schlimm, er hat zu viel Blut verloren.« – Ida trat an des Verwundeten Lager. Mit inniger Liebe suchte ihr Blick des Geliebten Antlitz. Bleich, wie das eines Toten, ruhte es in den Kissen. Da faßte namenlose Angst ihr Herz, gellend laut schrie sie auf: »Arnold!« – – Der Verwundete zuckte zusammen, groß und weit schlug er die Augen auf. Verwundert sah er sich um, da erkannte er Ida. Seine Wangen färbten sich mit leisem Rot, sein Blick leuchtete aus und er flüsterte: »Ida, mein Schatzerl! Du bist bei mir? O, wie schön!«

Schon aber eilte Benno herbei, um auf des Arztes Geheiß Arnold sofort einen Löffel belebender Medizin einzuflößen. Arnold schluckte gehorsam. Dann aber begann er wieder zu sprechen und fragte: »Gelt, mein Süßes, wie hart? Jetzt muß ich sterben, nicht wahr? Ach!« –

Ida aber legte ihm sanft die Hand auf den Mund und sagte bittend: »Nicht reden, mein Liebling! Ich bleibe jetzt bei dir und pfleg' dich gesund!« – Arnold aber winkte mit der Hand Benno herbei: »Du, mein treuester Freund, tue mir noch den letzten Gefallen! Hol' den Pater Augustin, er muß mich noch mit meiner Ida trauen, ehe ich sterbe!« – Benno wußte, daß es am besten sei, dem Freunde zu willfahren. Er eilte fort. Kaum war aber der Freund zur Türe hinaus, als Arnold Ida bat: »Küsse mich doch, Herzel! Oder bist mir noch bös?« – Und Ida küßte den Liebsten sanft auf den Mund. Ein beseligendes Gefühl zog in des Mannes Brust und das matt nur noch pochende Herz klopfte wieder stärker. Arnold verlangte zu trinken und Ida reichte ihm den Trank, den der Freund schon bereitgestellt hatte. Gierig schlürfte der Verwundete die Flüssigkeit bis auf den letzten Tropfen. Ida aber blieb an seiner Seite und hielt seine Hand – und es war ihr, als dürfe sie die nicht mehr loslassen, als halte sie damit sein Leben! Arnold aber hielt die Erwartung aufrecht. Der Geistliche mußte ja bald kommen, er wohnte sehr nahe, und ihm die Geliebte noch antrauen, ehe er aus diesem Leben schied. – Ida aber war es wie ein Traum, als kurz darauf der Priester den Segen über die Neuvermählten aussprach. Es war eine Nottrauung – war sie vorm Gesetze gültig? Doch gleich viel! Arnold war glücklich. Kaum aber war die Zeremonie vorüber, so schlief er ein, fest und ruhig. Als der Arzt kam, um nachzusehen, konnte er sich nicht genug verwundern. Die Verwundung schien doch nicht tödlich zu sein. – Er reichte Ida die Hand und sprach:

»Gottlob, wir dürfen hoffen, wenn nichts mehr dazwischen kommt, bleibt der Graf dem Leben erhalten!«

* * *

Ein heftiges Wundfieber trat bei Arnold von Herzfeld am zweiten Tage nach dem Duell ein und erfüllte feine Pfleger mit großer Besorgnis. Der Regimentsarzt, der nach Arnold sich täglich umsah, machte ein finsteres Gesicht dazu. Ida aber hatte auch noch ihren Hausarzt, einen sehr gewissenhaften, tüchtigen Mann, der Bubi schon vom Tode gerettet, zugezogen. Morgens und abends kam der Doktor Stark und wendete alle Hilfsmittel, die der Wissenschaft zu Gebote stehen, an, Arnold den finsteren Mächten des Todes zu entreißen. Benno Walter zeigte sich als aufrichtiger, treuer Freund. Jede freie Stunde am Tage widmete er der Pflege Arnolds und löste Ida ab, deren Kräfte oft nicht den Anforderungen gewachsen schienen. Die langen Nächte verbrachte sie wachend am Lager des geliebten Mannes und am Tage mußte sie doch in ihrem Berufe tätig sein und anordnen, zuschneiden, Befehle erteilen, Kundenbesuche erledigen und so fort. Sie wußte oft kaum, wo ihr der Kopf stand, und Bubi kam fast zu kurz. Er fing jetzt gerade an, sich aus die kleinen Füßchen zu stellen und war ungemein lebhaft. Allerliebst waren seine Versuche, zu sprechen. »Mama« und »Dada« brachte er längst fertig. Nun lehrte ihn Franzi das Wort »Papa«, mit dem er seinen Vater, sobald dieser ihn zu sehen wünschte, begrüßen sollte. In Franzis Obhut war Bubi jetzt fast immer. Die Getreue leistete in diesen Tagen Unglaubliches. Ida hatte eine rechte Stütze an ihr. Umsichtig leitete die gute Franzi den Haushalt, so daß Ida sich doch hier um gar nichts zu kümmern brauchte. Dann erinnerte Franzi ihre Herren auch an Essen und Trinken, sie brachte alle paar Stunden Ida eine Stärkung, denn diese vergaß in ihrer Sorge um Arnold alles andere und sah bereits ganz bleich und elend aus. – Das Schneideratelier war in das obere Stockwerk, in Herzfelds frühere Zimmer, verlegt worden. Man hatte die Fußböden mit dicken Teppichen, den Schall zu dämpfen, bedeckt. Der Leidende sollte nicht durch das Gerassel der Nähmaschinen und Stimmengewirr – vierzehn weibliche Wesen plaudern den Tag über etwas zusammen – behelligt werden. Nur im leisen Tone wagten es die Mädchen zu sprechen, nachdem ihnen an jenem Unglücksmorgen eröffnet worden war, daß sich ein Schwerverwundeter im Hause befände. Sie kannten zum Teil Arnold von Herzfeld vom Sehen, er war ihnen als Logisherr von Fräulein Niedermaier seinerzeit bezeichnet worden. Wie sonderbar aber, daß er nun ihr wieder ins Haus gebracht worden war, wo er zu Tode verwundet lag! Das war ein interessantes Geheimnis für die jungen Näherinnen, das ihnen zu denken gab und sie steckten die Köpfe zusammen und flüsterten und tuschelten. Mitleidige Blicke hatten sie aber alle ohne Ausnahme für ihre gütige Meisterin, welche so bleich und übernächtigt am Vormittag oft im Atelier erschien. So ganz geistesabwesend hörte Ida dann die geschäftlichen Dinge an und sie faßte sich oft an die Schläfe, ehe sie eine Antwort oder eine Anregung gab. Ida, welche früher mit Leib und Seele bei der Sache gewesen war, die sich begeistern konnte, ging ein besonders gut gelungenes Stück aus den geschickten Händen ihrer Arbeiterinnen hervor – sie hatte jetzt kaum ein Wort der Bewunderung, der Freude am Werke. Verwundert schüttelten die Mädchen die Köpfe. Das mußte dem Fräulein Niedermaier aber ganz nahe gehen mit dem Herrn Herzfeld! Eines Tages hörte die Eine, daß Herzfeld ein Graf und Offizier sei. Es war denn doch allmählich bekannt geworden. Da war nun des Staunens und Verwunderns erst recht kein Ende. Man befragte Ida selbst, ob das wahr sei, und sie bejahte und tröstete die Neugierigen, sie werde ihnen später alles ganz genau erzählen. Jetzt aber stünde ihr der Kopf nicht danach. Die Sorgen um den Verwundeten seien noch zu groß. Arnold lag nach den heftigen Fieberschauern oft ganz teilnahmslos da. Er war so schwach, daß die Herztätigkeit besonders angeregt werden mußte. Man gab ihm starke Weine, Champagner, eines Tages mußte der Arzt sogar zu einer Kampfereinspritzung seine Zuflucht nehmen. Der Verlauf der Heilung der verletzten Lunge ging genau so wie bei einer durch Erkältung entstandenen Lungenentzündung von statten. Der Arzt begrüßte es als sehr günstiges Zeichen, als Arnold zu husten begann und so auf natürliche Weise die kranken Stoffe einen Ausweg suchten. Es galt nun, die Körperkräfte zu heben und den Leidenden soweit zu stärken, daß er die Anstrengungen beim Husten und alle anderen Tücken der Lungenentzündung überwand. Endlich, endlich, nach nahezu drei Wochen erklärten die beiden Aerzte, Arnold habe die Krisis überstanden. Die Genesung werde nun gute Fortschritte machen. Ida atmete auf. Sie dankte ihrem Gott auf den Knieen, daß er geholfen, wo sie beinahe dem Verzweifeln nahe gewesen war. In der ganzen Zeit hatte sie fast gar nicht geschlafen. Die vielen Hilfeleistungen, welche ein Kranker, der an schwerer Lungenentzündung leidet, nötig hat, wurden von ihr des Nachts allein verrichtet. Wenn auch Benno dann und wann eine Nachtwache übernahm, so ließ es sich Ida doch nicht nehmen, ihm zur Hand zu gehen, und Arnold war es auch am wohlsten, wenn Ida um ihn war. Die gute Franzi, welche so gern einmal ihre Herrin abgelöst hätte, schickte er einfach fort. Nur Benno und Ida wollte er um sich haben. Nun endlich fand der Verwundete auch erquickenden Schlaf, der ihm bisher fast ganz gefehlt hatte. Dieser Schlummer stärkte Arnold zusehends.

Es war an einem Sonntagmorgen, als er sich zum ersten Mal im Bette etwas aufzurichten suchte. Kraftlos sank er jedoch wieder in die Kissen zurück. Sein Blick traf Ida, welche ihm mit Teilnahme zugeschaut hatte:

»Es geht doch noch nicht, mein Lieb,« flüsterte er. Das laute Sprechen war ihm noch vom Arzte untersagt. »Du wirst noch viel Mühe mit mir haben, bis ich wieder gesund bin!« Ida eilte an seine Seite, sanft strich ihm ihre weiche Hand über die Stirne und beruhigend tröstete sie:

»Warte nur, wie rasch das jetzt alles wieder gut wird, mein Herz! Gottlob, daß wir nun so weit sind, das war eine schwere Zeit – doch nun wird alles, alles gut!« – Arnold zog Idas Hand an seine Lippen.

»Dir hab' ich's zu danken, daß ich mit dem Leben davon kam! Im Lazarett wäre ich unfehlbar gestorben!«

Ida widersprach, obwohl sie im Stillen ja doch seiner Meinung war. Diese unendliche Mühe und Sorgfalt hätte man dem Verwundeten nie und nimmer im Krankenhause können angedeihen lassen. Nur die Liebe und die Freundschaft ringen so mit allen Kräften mit dem Tode! Ein stolzes Gefühl schwellte die Brust des jungen Weibes. Hier war sie die Siegerin, sie hatte sich den Geliebten ihres Herzens erkämpft. Nun war er ganz der Ihre! Mit vielen tausend Schmerzen war Ida zum Ziele gelangt, was hatte sie nicht alles erduldet und durchgemacht, bis es endlich so weit war – und nun wollte man ihr Arnold trotzdem nehmen! Das ahnte sie aber nicht! Benno hatte von Arnolds Vater einen Brief erhalten, wonach der alte Graf ganz außer sich darüber war, daß sich sein Sohn mit Ida habe trauen lassen. Diese Zeremonie sei ungültig, schrieb er, es müßten alle Schritte eingeleitet werden, die Sache rückgängig zu machen. Er, Arnolds Vater, werde nach München eilen, seinen Sohn aus den Händen der Sirene zu befreien, Jedenfalls habe dieses intrigante Frauenzimmer alle Mittel angewendet, den schwachen Arnold zu jener Nottrauung zu bestimmen. Benno Walter antwortete umgehend dem Grafen, daß seine Annahmen irrtümlich seien. Er schilderte Arnolds Beziehungen zu Ida von Anfang an, lobte sie als ein tapferes und charaktervolles Mädchen und versicherte, daß Arnold bei ihr in den allerbesten Händen zeitlebens sei. Der Graf möge seine Vorurteile besiegen und gute Miene zum bösen Spiele – das sei es aber übrigens nicht – machen. Die gesetzlichen Formalitäten bei der Trauung hätten allerdings nicht eingehalten werden können, jedoch habe Pater Augustin den Behörden unter Vorlage der betreffenden Papiere Kenntnis gegeben. Die bürgerliche Trauung würde sonach alsbald nach der Genesung Arnolds eingeleitet werden können. Arnold sei majorenn und Herr seines Willens, sowie bei völliger geistiger Klarheit bei dem feierlichen Akt des Ehesakramentes gewesen – sein Vater könnte also dagegen nicht mehr das Geringste ausrichten. – Im Augenblick aber sei nur zu bemerken, daß Arnold noch so schwer leidend sei, daß an einen Transport, wie ihn der Graf vorhabe, nicht zu denken wäre. Auch befände sich der Sohn in solch' vorzüglicher Pflege, wie sie sich der Vater nicht besser für ihn wünschen könnte. Benno Walter riet also dem Grafen, vorderhand ruhig abzuwarten, bis bei Arnold seine Lebensgefahr mehr bestehe. Später wäre es dann vielleicht wünschenswert, wenn der Graf nach München käme, die Ordnung der Angelegenheit seines Sohnes, der den Militärdienst zu verlassen wünschte, übernähme und sich mit ihm in Ruhe ausspräche. Am Geschehenen sei aber nichts zu ändern, wie Benno nochmals ausdrücklich betonte. –

* * *

Der getreue Benno war auch nicht wenig erfreut, als er sich von der endlichen Besserung im Zustande seines Freundes überzeugen konnte. Er traf Arnold an jenem Sonntagnachmittag an, wie er mit Bubi, der auf seinem Bettrande saß, koste. Ida hielt den zappelnden kleinen Mann fest, der gar zu gern zum »Papa« unter die Decke gekrochen wäre. Er begriff es nicht, daß er das nicht heute durfte, was er bei Mama doch so oft und gerne tat. Arnold sah mit verklärten Augen in des hübschen, zärtlichen Kindes Gesicht, das sofort, als erkenne es ihn wieder, zutraulich und lieb mit ihm gewesen war. In diesem Augenblick fühlte sich Arnold von Herzfeld wahrhaft glücklich. Schon, daß er leben durfte! Wer immer so nahe an der Schwelle der Vernichtung stand – wer immer das eisige Nahen des Sensenmannes verspürte, wie Arnold, für den ist dann das Leben ein um so wertvolleres, köstliches Geschenk! Leben, leben – und lieben! Wenn Arnold in Idas seelenvolle, treue Augen sah, durchflutete ihn ein warmer, beseligender Strom – das war die beglückende Gewißheit, daß Ida die Seine war, sein Weib, von dem ihn niemand mehr scheiden sollte! Für Ida und das Kind wollte Arnold ein neues Leben beginnen, für sie arbeiten, kämpfen und ringen.

»Ach, das ist ja ein reizendes Familienbild!« rief heiter der eintretende Benno. »Arnold, was bist du doch für ein glücklicher Mann – du hast ein liebes, gutes Weib, ein herziges, süßes Bübchen! Du bist zu beneiden, Mensch!« – Des jungen Offiziers Augen wurden feucht und auch in Arnolds Blick schimmerte es. Er streckte dem Freund die Rechte entgegen.

»Mein lieber, guter Kerl,« sagte er, »du Haft so viel an mir getan in dieser Zeit! Wie soll ich dir danken?« – Benno bemeisterte seine Rührung, jovial rief er:

»Ach was, Arnold, danken! Das war meine Pflicht und Schuldigkeit als Freund, was ich tat! Nun kannst du mir gar kein größeres Vergnügen machen, als wenn du dich bald völlig erholst.« – Arnold nickte. Dann meinte er:

»Ich muß jetzt auch bald an die Ordnung meiner Angelegenheiten denken! Um Urlaubsbewilligung ist mir ja der Doktor bereits eingekommen – nun muß ich bald das Abschiedsgesuch einreichen. Was rätst du mir aber dann?«

»Ida wird es dir schon sagen, mein Alter!« antwortete Benno. »Heute ist's Sonntag, da sprechen wir nicht von Geschäften, aber in den nächsten Tagen, wenn du noch kräftiger wirst, dann wollen wir weiter sehen.«

* * *

Ungefähr acht Tage danach holte Benno Walter den Vater Arnolds an der Bahn ab. Ernst und gemessen begrüßte ihn der Graf.

»Wie geht es meinem Sohn?« fragte der alte Herr.

»Fortgesetzt besser, zu unserer Freude,« lautete die Antwort. »Gestern war er zum ersten Male zwei Stunden außer Bett. Er ist aber natürlich noch sehr schwach und soll vor Aufregungen behütet werden, befiehlt der Arzt. Ich möchte Sie, Herr Graf, deshalb darum bitten, glimpflich mit meinem armen Freunde zu verfahren.«

»Es ist doch eine heillose Geschichte! Eine ganz verzweifelte Sache, dabei kann ich doch nicht ruhig bleiben, Herr Leutnant,« fuhr Gras Herzfeld auf. »Denken Sie nur einmal an, der Träger eines uralten Namens vergißt sich so weit und heiratet eine Näherin! Und zu der Person soll ich auch jetzt noch ins Haus! Unmöglich, bester Herr!« – Benno zuckte die Achseln. Dann sagte er:

»Dann müssen Sie es eben unterlassen, mit Arnold persönlich zu verhandeln. Die »Person« übrigens hat Ihrem Sohn durch ihre unermüdliche Pflege das Leben gerettet! Die »Person« will auch Arnolds Schulden bezahlen! Ja noch mehr, die »Person« siedelt mit Gatten und Kind nach Amerika über und dort übernimmt Arnold die Bewirtschaftung einer Farm, welche Verwandte der Frau Gräfin Ida von Herzfeld ihr zur Verfügung stellten. Sie sehen also, mein Herr Graf, daß Arnold an dieser »Person«, die übrigens eine charaktervolle, liebenswürdige und schöne Frau aus sehr guter bürgerlicher Familie ist. eine recht gute Partie macht. Es dürfte sonach gar kein Grund zur besonderen sittlichen Entrüstung weiter mehr vorliegen, als jener, daß Arnold selbst sehr schlecht an seiner jetzigen Frau vorher gehandelt hat. Er betörte ein unbescholtenes, vertrauendes Mädchen, verführte es unter Versprechungen, die er nicht hielt und verließ es, um sich mit der gräflichen Kusine auf Ihren Befehl zu verloben! Nach meinen Begriffen deckt sich dieses Betragen nicht mit Den Anschauungen von Ehrlichkeit und Menschenwürde, und Arnold hat es auch noch in der letzten Stunde eingesehen. Er handelte, wie er als Ehrenmann mußte, indem er seinem Kinde angesichts des Todes noch den ehrlichen Vaternamen und seiner Geliebten die Frauenehre zurückgab! Ich glaube kaum, Herr Graf, daß Sie als Kavalier und Edelmann Arnolds Handlungsweise zu mißbilligen berechtigt sein dürfen!« – Still hörte der Graf zu, dann aber versetzte er kleinlaut:

»Man erzieht doch nicht seine Kinder, daß sie so enden sollen! Ich hatte höhere Ziele mit Arnold im Auge – und diese große Enttäuschung ist für ein Vaterherz sehr bitter! Doch Sie sollen Recht behalten – am Geschehenen ist nichts zu ändern. Ich werde versuchen, Arnold ein milder Richter zu sein!« – –

Wider Erwarten verlief denn auch die Unterredung zwischen Vater und Sohn ganz ruhig. Der Graf sah, wie schwach und elend in der Tat Arnold noch war und so begnügte er sich mit den allernötigsten Erörterungen. Zum Schlusse sagte er dann:

»Also nach Amerika willst du auswandern, wirst du denn auch kräftig genug für die Reise und den Beruf des Farmers sein? Ueberlege dir das nur noch recht und überhaste nichts!«

»Es ist das Beste, wenn ich hier für die nächste Zeit verschwinde,« meinte Arnold. »Wenn ich dann später einmal zurückkehre, Vater, dann wirft du auch den Meinigen dein Herz nicht verschließen?« Bittend sah Arnold den Vater an. Da wurde es dem Grafen eigen ums Herz. Zögernd sagte er:

»Wenn deine Frau in der Nähe ist und das Kind – ich möchte sie doch wenigstens sehen!« – Mit Tränen in den Augen haschte Arnold nach des Vaters Hand: »Dank, lieber Vater!« jubelte er und dann drückte er auf die Klingel. Im Rahmen der Türe erschien eine bleiche, schöne Frau, aus dem Arme ein fröhliches, lachendes Knäblein. Das Kind streckte die Händchen nach dem alten Herrn aus und stammelte vergnügt: »Papa – Papa!« Und Arnolds blaue Augen schauten aus dem Kindergesicht verwundert in das bekümmerte Antlitz des Großvaters. Da nahm er das Kind in bis Arme, herzte und küßte es. Dann sprach er, Ida die Hand reichend:

»Jetzt kann ich Vieles begreifen und verstehen!« –


 << zurück weiter >>