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7. Kapitel

Carlo befand sich wieder einmal in München. – Er hatte sich eine schöne Wohnung gemietet, beabsichtigte in München selbst einige Konzerte zu geben und von hier aus nach den anderen Großstädten zu reisen, wo er zu konzertieren beschlossen. Gräfin Helene war die Erfinderin dieses Planes und hatte Carlo bestimmt, seine Amerika-Reise erst im Frühjahr anzutreten. Offen gestanden war dies auch dem Künstler selbst am liebsten. Vielleicht, so hoffte er, war er bis zu diesem Zeitpunkt der glückliche Verlobte Helenens. Das Befinden ihres Vaters gab in letzter Zeit wieder zu Besorgnissen Anlaß so daß die Reise nach München um vierzehn Tage verschoben werden mußte. Graf Wilhelm begleitete aber dennoch Frau und Tochter, da er sich in die Behandlung eines Münchener berühmten Spezialisten für Herzleiden zu begeben wünschte. Helene benachrichtigte ihren Geliebten von ihrer Ankunft und bezeichnete den betreffenden Zug. Carlo kaufte ein wunderbares Bukett von La-France-Rosen und erwartete die gräfliche Familie. Er traf auf dem Bahnhofe auch die Grafen Udo und Arnold von Herzfeld. Während ersterer ihn ganz wie einen alten guten Freund behandelte, war Arnold nur eben höflich gegen Carlo. Der aber ahnte, weshalb das Verhalten Arnolds derartig kühl war und blieb ebenfalls mehr reserviert. – Als der Zug in die Halle einfuhr, eilten Udo und Arnold voraus, ihre Angehörigen zu empfangen. Carlo hielt sich noch zurück und zu seiner großen Wonne sah er das enttäuschte Gesichtchen seiner Liebsten sich erhellen, als er auch vortrat und Helene seinen Strauß überreichte. Entzückt barg sie ihr Gesicht in die Blumen und versteckte schnell das kleine Billet, das Carlo geschickt darin untergebracht hatte. Es enthielt die sehnsüchtige Bitte um eine baldige Zusammenkunft. – –

Für den Augenblick mußte sich unser Held mit einem innigen Händedruck und einem liebenden Blick begnügen. Er geleitete die Herrschaften zu ihren Wagen, die beiden Vettern fuhren auch mit, nur Carlo mußte zurückbleiben. Die Mutter Helenens suchte jedoch durch gewinnende Freundlichkeit diese unbeabsichtigte Kränkung zu verwischen und lud Carlo zu baldigem Besuche ein. Mit beklommenem Herzen schritt der junge Künstler wieder seiner Behausung zu. – –

Nach den ersten üblichen Begrüßungsreden fragte Graf Wilhelm plötzlich:

»Wie kommt es, daß Cartano an der Bahn war, uns zu begrüßen? Ich ahnte gar nicht, daß er hier ist!«

Helene wurde verlegen, doch antwortete ihr Bruder:

»Cartano bleibt den ganzen Winter hier. Er gibt einige Konzerte und macht von hier aus Konzertreisen nach Oesterreich und Italien. Uebrigens ist er persona grata beim Regenten. Ich bin gleichzeitig mit ihm dort zur Tafel befohlen worden! Carlo Cartano ist ein reizender Mensch, ein vollständiger »Kavalier.« – –

Helene hätte ihren Bruder für diese Worte küssen mögen. Ihr Vater aber inquirierte weiter:

»Also hast du ihm, Udo, auch den Tag unserer Ankunft gesagt?«

»Jedenfalls, Papa,« antwortete leichthin Udo, »wer anders als ich? Es war doch sehr aufmerksam von Carlo, Euch zu begrüßen!«

»Ja,« spöttelte Arnold, »in der Tat! Meiner gnädigen Kusine hat der berühmte Meister sogar Rosen mitgebracht!«

»Was?« fragte Graf Wilhelm überrascht. »Wie kommt er dazu, Helene? Ich will doch nicht hoffen, daß du den jungen Mann zu derartigen Huldigungen ermutigst?«

»Papa,« erwiderte die junge Dame stolz, »ich werde immer wissen, was ich zu tun habe. Carlo Cartano und ich stehen derartig miteinander, daß er sich die Aufmerksamkeit erlauben durfte. Ich habe sie sogar erwartet.«

»Helene musizierte doch immer so viel mit Cartano, lieber Wilhelm, das hast du ganz vergessen!« mahnte die Mama begütigend.

»Ach ja, ich erinnere mich, deshalb« meinte nachdenklich der Graf. Es paßte ihm offenbar nicht, daß ein anderer Mann als Arnold sich seiner Tochter hier noch nähern sollte. Da Graf Wilhelm sich so krank fühlte, wünschte er alle seine Lieben noch glücklich versorgt zu sehen, sollte ihn wider Erwarten sein Leiden allzufrüh dahinraffen. Deshalb trachtete er danach, die Verlobung Helenens mit ihrem Vetter zu beschleunigen. Mit größter Unbefangenheit suchte dieser der Kusine den Hof zu machen. Die guten Vorsätze betreffs Ida waren im Augenblicke vergessen. Arnold war kein schlechter Mensch, aber grenzenlos leichtsinnig. Anders aber war sein Vetter Udo geartet. Udo lebte nach streng sittlichen Grundsätzen und ihm war der flotte Arnold ein Greuel, Von Benno Walter wußte er davon, daß der Vetter gegenwärtig in guten »festen« Händen sei. Wie weit allerdings Arnold gegangen, davon hatte selbst Benno keine Ahnung. Immerhin aber waren Benno und Udo sich einig, daß der »flotte Arnold« kein Mann für die Gräfin Helene sei. Udo hatte sich fest vorgenommen seinen Vater so bald als möglich von diesem Plane abzubringen. Vorerst aber konnte er nichts machen. Arnold war der stete Begleiter seiner Angehörigen, trotzdem ihn Helene gar nicht besonders freundlich behandelte. Eine Mahnung seines Hauptgläubigers war schuld daran, daß sich der leichtsinnige Mann Hals über Kopf gerne mit seiner Kusine verlobt hätte. Arnold war es nur möglich mit dem Hinweis auf diese Verlobung, Aufschub und Prolongierung seiner Wechsel zu erhalten. An eine Heirat dachte Arnold aber nicht, wollte er nicht denken. Es wäre ihm Ida gegenüber zu schlecht erschienen. Nur sich verloben wollte er, damit die drängenden Manichäer getröstet, weiter sich zu warten entschlössen – an das Weitere wollte er nicht denken! Immer noch hatte sich Arnold auch nicht entschließen können, Ida diese Eröffnung zu machen und doch fühlte er, daß es nötig wäre. Erfuhr sie von Anderen von den »dummen Geschichten«, dann war es schlimm – dann verlor sie das Vertrauen zu ihm! –

Arnold verbrachte jetzt sehr selten die Abende in dem gemütlichen Häuschen in Schwabing. Er wußte sich stets bei Ida genügend mit seinen Verpflichtungen gegen Onkel und Kusine zu entschuldigen, und Ida war unbefangen genug, ihm zu glauben. Manchesmal zwar beunruhigte sie der Gedanke, Arnold sei nicht ganz aufrichtig gegen sie. Stets aber verscheuchte sie ihre Besorgnis und ihre Arbeit brachte immer wieder Abwechselung und Zerstreuung. –

Eines Tages aber mußte sie in Geschäften zu ihrem früheren Prinzipal Herrn Reichmann. Als sie dort fertig war, schlenderte sie ziellos noch in den Straßen umher, besah die Schaufenster der Modegeschäfte usw. Da plötzlich kam ihr Arnold entgegen. Er hatte an seiner Seite jene Dame, die Ida einmal gesehen, damals im Odeon und die er als seine Kusine bezeichnete. Eifrig sprach der Offizier auf sie ein, Ida aber schien nicht für ihn vorhanden zu sein, trotzdem sie Arnold fast streifen mußte. Gräfin Helene fiel die elegante Figur Idas und ihr schönes Gesicht auf, dessen sprechende Augen sich mit einem traurigen Ausdruck an Arnolds Zügen festgesogen hatten.

»Welch schönes Mädchen war dies!« rief Helene. »Eine vornehme Erscheinung und so chic in der Toilette.« Ida konnte noch gut diesen Ausruf hören, ebenso Arnolds spöttische Antwort: »Halbwelt« Arme Ida! Diese leichtfertigen Worte des Geliebten, womit er sich über etwaige weitere Fragen und seine Verlegenheit hinwegzuhelfen versuchte, trafen sie wie ein Peitschenhieb. Sinnlos vor Scham und Schmerz langte sie halb verzweifelt zu Hause an. Sie war sich keinen Moment länger im Unklaren mehr, Arnold suchte sie zu täuschen. Vielleicht war er schon mit Helene verlobt, der Treulose! – Ida überlegte und kam nach einer schlaflosen Nacht zu dem Entschlusse, sich von dem Wankelmütigen loszusagen. Besser, daß sie ihm den Abschied gab, als daß er zum Lohn ihrer Treue sie verlasse. Das tapfere Mädchen schrieb mit zusammengebissenen Zähnen den Abschiedsbrief. Sie wollte Arnolds Glück nicht im Wege sein und scheide deshalb freiwillig aus seinem Leben. Möchte er mit der Kusine, an dessen Seite sie ihn gesehen habe, glücklich werden. Das böse Wort aber, das er zu jener über Ida gesagt habe, glaube sie nicht zu verdienen. Zum Schlusse ersuchte sie noch den Geliebten, sich nach einer anderen Wohnung umzusehen und jeden ferneren Annäherungsversuch zu unterlassen – –

Arnold hatte nach jener flüchtigen Begegnung mit seiner Geliebten heftige Gewissensbisse. Er schalt sich; innerlich selbst einen schlechten Kerl. Erst am nächsten Tage aber war es ihm möglich, nach Schwabing zu eilen. Er wollte den freien Abend endlich einmal wieder mit Ida verleben.

Als er sein Zimmer betrat, leuchtete ihm das Schreiben Idas auf dem Tische entgegen. Er las und war von dem Inhalt höchlichst bestürzt. Um keinen Preis hatte er im Sinne, seine Geliebte aufzugeben. Er wartete in Unruhe, bis die Gehilfinnen das Atelier verlassen hatten, dann stürzte er in Idas Wohnung. Sie war eben dabei, Bubi auszukleiden und zu Bett zu bringen. Die Amme stand daneben, verschwand aber sofort, als Herr Herzfeld erschien.

Ida sah Arnold mit ihren traurigen Augen vorwurfsvoll an. »Warum machst du mir meinen Entschluß so schwer?« schien der Blick zu fragen.

Er trat dicht vor sie hin und fragte heiser, auf den Brief in seiner Hand deutend:

»Hast du das geschrieben, du?« Ida nickte: stumm und er fuhr klagend fort:

»Du verdammst mich, ohne meine Verteidigung zu hören. Das ist nicht recht! Hast du mich denn gar nicht mehr lieb, Ida?« – Die Gefragte senkte den Kopf und gab keine Antwort. Nun kam er noch und beklagte sich, wo sie doch allein ein Recht zur Klage hatte. Arnold aber lenkte nun selbst ein. und sprach:

»Es ist allerdings schlecht von mir gewesen, daß ich in der letzten Zeit mich so wenig um dich gekümmert habe. Aber du weißt ja warum! Ich habe dir ja alles gesagt. Auf der Straße konnte ich dich unmöglich anreden.« –

»So, unmöglich?« erwiderte Ida traurig. »Für so gering achtest du mich – aber das böse Wort habe ich nicht verdient, Arnold! Was ich bin, das bin ich durch dich geworden. Du hast mich dazu gemacht! Um deinetwillen habe ich meine Eltern und meine Verwandten verloren und muß dulden, daß mich anständige Menschen über die Achsel ansehen! Aber ich habe es gern getragen, alles um deinetwillen, Arnold! Da war mir nichts zu schwer! Doch jetzt will ich dir auch nicht im Wege stehen kein Hindernis sein, verlobe dich mit der Gräfin, ich gebe dich frei!«

»Ja, ich muß mich mit ihr verloben!« rief Arnold bitter. »Das Messer sitzt mir am Kragen! Der Abraham, der mir das Geld lieh, will nicht länger mehr den Wechsel prolongieren. Nur die Aussicht auf die Verlobung hat ihn beruhigt und das ist der einzige Ausweg aus der Bedrängnis! Aber dich geb' ich deshalb nicht auf, Ida, ich kann nicht! Habe ich erst einmal Aufschub gewonnen, dann kann ich mich vielleicht arrangieren. – Meine Kusine heirate ich deshalb noch lange nicht, und wenn ich sie auch heiratete, bleib' ich doch der Deine!«

»Warum nimmst du mein Geld nicht, dich von dem Wucherer zu befreien?« fragte Ida einfach.

»Ida, das darf ich nicht!« entgegnete Arnold. »Du brauchst es selbst. Ich hoffte immer auf meinen Vater. Der aber gibt keinen Heller mehr und drängt immer nur zur Verlobung mit Helene. Da, lies!« und er überreichte Ida einen Pack Briefe. Sie hatten alle denselben Inhalt, wie Ida sich schnell überzeugte.

Während sie las, hielt Arnold den lustig zappelnden Bubi im Arme und küßte ihn immer wieder auf das kleine, rosige Mäulchen. Der kleine Mann ließ es sich gefallen. Er quiekte vor Vergnügen. Den Ernst der Situation ahnte Bubi nicht. Vergnügt zauste er Arnolds Haar. – Ida hatte die Briefe gelesen, sie gab sie mit trauriger Miene zurück. »Da hilft uns nichts, Arnold.« sagte sie ernst. »Für uns bleibt nur die Trennung. Diese Briefe bestärken mich in meinem Entschlusse! Es muß geschieden sein.« – Sie nahm ihm das Kind ab. Ihre Bewegung suchte sie zu verbergen. Er sollte nicht sehen, wie schwer es ihr ward. Arnold aber fragte tonlos: »Wie kannst du nur? Was wird dann mit Bubi?« – »Das lasse meine Sorge sein!« antwortete Ida stolz. Sie trat mit dem Kinde rasch ins Schlafzimmer, es hinter sich verriegelnd. Sie war am Ende ihrer Kraft. – Arnold wartete, Ida kam nicht mehr zurück. Dann verließ er das Haus, sein Geschick war besiegelt. Ein knabenhafter Trotz gegen die Geliebte, die ihn aufgab, erfüllte ihn. –

Ida aber hoffte noch, hoffte mit der Kraft des liebenden Herzens, das selbst noch aus Scherben sich sein Glück zusammensucht, daß Arnold einen befreienden, energischen Schritt tun werde und wieder zu ihr zurückkehren. – Vergeblich. – – –


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