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4. Kapitel

Nach dem letzten Zusammentreffen mit der jungen, liebreizenden Gräfin war der Künstler noch für einige Konzerte in anderen Großstädten verpflichtet worden. Ueberall erntete er neue Lorbeeren. Als aber das Weihnachtsfeste nahte, zog es ihn mit Macht nach Hause. Seine Eltern hatten ihn die langen Jahre entbehren müssen. Er wollte endlich einmal wieder mit ihnen Weihnachten feiern. Am heiligen Abend kam er überraschend bei ihnen an. Zu Fuße war er durch die herrliche Winterlandschaft nach Waldenberg gegangen und als dann endlich die glühenden Hochöfen vor seinem Blick erschienen, die heimatliche Umgebung mit ihrem eigenen Reize sich vor ihm ausbreitete, da jubelte er laut auf vor Freude. War es die Ahnung kommenden Glückes? – Bald lag er in den Armen seiner Eltern, welche Freudentränen an seinem Halse vergossen. Dann breitete er seine reichen Geschenke vor ihnen aus. Mit Staunen betrachteten die alten Leute all' die schönen Sachen, und als nun gar der Sohn dem Vater eröffnete, er habe nicht mehr nötig, in der Fabrik zu arbeiten, da Carlo nun imstande sei, seine Eltern vollständig zu erhalten, war der Freude kein Ende.

Am ersten Weihnachtsfeiertage ging der Sohn mit Vater und Mutter zur Kirche. Er sah Helene in dem herrschaftlichen Stuhle sitzen und freute sich aufs neue ihrer taufrischen Schönheit. – Alsbald schickte der Graf einen Diener, Carlo auf das Schloß einzuladen. Am zweiten Feiertag begab sich der junge Künstler dorthin und wurde herzlich von der Familie empfangen. Helene konnte ihre Freude, ihn zu sehen, kaum verbergen. Sie strahlte förmlich in Jugend und Glück. Carlo wurde in das Bescherzimmer geführt und mußte gebührend alles bewundern. Nach einer Weile trat dann die Gräfin auf ihn zu und meinte: »Sie sollen nicht bloß die Geschenke der anderen bewundern, sondern Sie sollen auch selbst etwas haben, zwar ist es nur eine Kleinigkeit,« und sie überreichte ihm ein schönes Rauchservice aus getriebenem Kupfer, das in der Fabrik in Waldenberg selbst hergestellt war. Carlo war freudigst überrascht, aber noch mehr wurde er es, als ihm Helene eine gestickte Violindecke aus Samt überreichte.

»Wollen Sie dies bitte von mir annehmen?« fragte sie leise. »Ich habe es selbst gearbeitet.« –

Der junge Mann wußte kaum Worte des Dankes zu finden. Als die Gräfin-Mutter außer Hörweite war, sagte Helene:

»Nicht wahr, Herr Carlo, an die alten Geschichten denken Sie nicht mehr? Ich war damals ein unartiges Kind!«

»Aber gnädigste Gräfin, sprechen wir nicht mehr davon!« sprach Carlo warm. »Sie haben mich mit Ihrer Aufmerksamkeit ja so glücklich gemacht!«

»Ist's auch wahr?« forschte errötend Helene. »Nichts mehr von früher also? Aber jetzt musizieren wir täglich, wenn's Ihnen recht ist. Papa hört's ja so gern.«

»Natürlich spielen wir zusammen! Ich wüßte nichts, was mich glücklicher machen könnte,« versicherte der Künstler freudig. Helene dankte ihm mit einem Blick und von dieser Minute an wußte sie, daß der Mann da ihr gehörte. Ein berauschendes Glücksgefühl erfaßte sie, denn auch sie liebte Carlo mit aller Innigkeit, seitdem sie ihn in München wiedergesehen hatte. – –

Carlo Cartano musizierte nun täglich mit der jungen Gräfin und täglich wuchs die Neigung der Liebenden. Dennoch fand sich kein Augenblick der Aussprache. Carlo mußte zu einer Konzert-Tournee abreisen. Er trennte sich diesmal mit blutendem Herzen, und auch Helene litt schwer. Beim Abschied hatte sie ihm nur ein Wort zuflüstern können, aber er nahm es mit als süßen Trost: »Komm bald wieder!« hatte es gelautet.

Der junge Mann war klug genug, um die Schwierigkeiten, welche sich ihm bei einer Verbindung mit der jungen Gräfin in den Weg stellten, nicht zu unterschätzen. Er wußte und ahnte, das würden harte Kämpfe geben, aber er fühlte sich stark genug, sie auszufechten. Helene würde ihm dabei helfen, nun er ihrer Liebe sicher sein durfte. – Endlos lang kam Carlo die Zeit vor, welche er fern von der Heimat verbringen mußte. Allein der Stern seines Ruhms war im Steigen. Als kluger Mensch mußte der Künstler die Zeit nützen. Jedes Auftreten brachte ihm neue Erfolge, Ansehen und – Geld. Er war ein äußerst sparsamer Mensch und hatte für sich gar keine Bedürfnisse. Stetig wuchsen deshalb seine Ersparnisse und bei allem dachte er nur an Helene. – Unter Kreuzband schickte er Graf Herzfeld sämtliche Konzertberichte. Er wußte, wer sie mit frohlockendem Herzen lesen würde.

Endlich, Ende Mai durfte sich Carlo auf die Heimreise machen. Wieder hatte er sich seinen Eltern, welche jetzt ein eigenes, hübsches Häuschen bewohnten, nicht angemeldet. Vater Cartano hatte auf des Sohnes Wunsch seinen Posten in dem gräflichen Hüttenwerk abgegeben. Er wohnte jetzt in dem ungefähr eine halbe Stunde entfernten Dörfchen Waldenbach, und da er nicht müßig sein wollte, beschäftigte er sich mit Holzschnitzereien nach Zeichnungen und es wurden kleine Kunstwerke in den geschickten Händen. Mit Staunen sah Carlo die kunstvollen Verzierungen, welche der Vater über der Haustür und den Fenstern angebracht hatte. Es waren Reliefs von meisterhafter Ausführung. Der Vater war hocherfreut über des Sohnes Anerkennung und gestand ihm, daß er Aufträge auf derartige Schnitzereien bereits eine Menge bekommen habe. Sie trugen ihm ein schönes Stück Geld ein. Carlos Mutter freute sich natürlich, den Sohn wieder zu haben, der versprach, den ganzen Sommer da zu bleiben.

»Die gräflichen Herrschaften sind aber nicht da,« erzählte sie. »Sie sind nach Bad Nauheim.«

Carlo wurde ganz blaß, als er das hörte.

»Ist gar niemand von der Familie zu Hause?« fragte er.

»Doch, die Komtesse Helene und eine Verwandte des Grafen,« lautete die Antwort. –

Carlo frohlockte. Kaum hatte er gegessen und getrunken, als es ihn forttrieb. Die Sehnsucht nach Helene war zu mächtig in ihm. Wenn er sie auch heute nicht sprechen konnte und bis zum nächsten Tage mit einem Besuche zu passender Zeit warten mußte, so wollte er doch wenigstens den Ort sehen, wo die Geliebte weilte. Auf Waldwegen begab sich Carlo in die Nähe des Schlosses. Noch nie war ihm seine Heimat so schön erschienen, wie heute. Noch nie hatte ihm das lichte Grün der Buchen so wohlgefallen, noch nie der Gesang der Vögel so lieblich geklungen. Entzückt und beglückt schritt er dahin und seine Brust hob sich in tiefen Atemzügen. Allmählich war er zu einem Aussichtspunkte gelangt, von dem aus man die Herzfeldschen Hüttenwerke sowie das Herrenhaus übersehen konnte. Durch eine Waldlichtung auf einer kleinen Anhöhe sah man direkt unter sich Waldenberg liegen. Es erschien wie ein Bild in lichtgrünem Rahmen. Aber nicht den Maschinenhallen und Fabrikgebäuden, nicht dem Hofraum, auf dem sich viele Menschen jetzt zur Vesperstunde tummelten, galt Carlos suchender Blick. Er schaute gespannt in den schönen Garten, welcher sich dicht unter seinem erhöhten Standorte hinzog. Im Pavillon glaubte er zwei Frauengestalten zu entdecken, die eine in hellem Gewande mußte Helene sein. Carlo setzte sich auf eine Bank und blickte unverwandt nach der lichten Gestalt. Wenn die junge Gräfin ahnen könnte, daß er ihr so nahe war. – Sein Herz klopfte in sehnsüchtiger Ungeduld, am liebsten wäre er hinab zu ihr geeilt. Er sagte sich aber, daß dies nicht statthaft sei, besonders auch, weil er die Verwandte des Grafen, welche zu Besuch da war, nicht einmal kannte. Lange saß der junge Mann und beobachtete jede Bewegung der Damen. Als sie sich endlich ins Haus begaben, erhob sich seufzend Carlo, um auf Umwegen zu seinen Eltern zurückzukehren. Wie erstaunte er aber, diese nicht allein, sondern in Gesellschaft von Frau Gutsverwalter Brandt und ihrer Tochter Else, die inzwischen zu einem lieblichen Mädchen herangewachsen, vorzufinden. Carlo wurde von Frau Brandt, deren Gatte vor zwei Jahren gestorben war, herzlich begrüßt. In Elsens reizendem Gesicht malte sich aber der Ausdruck größter Freude, sie schüttelte Carlo freundschaftlich die Hand, während ihre Augen ihn mit unverhohlener Bewunderung anschauten. Unserem Helden war dies nichts Neues. Auf seiner Künstlerlaufbahn waren ihm viele Frauenherzen zugeflogen. Carlo aber hatte für die Liebe bisher keine Zeit gehabt. All' sein Wünschen war bei seiner Kunst und bei Gräfin Helene. Gerührt von der stillen Verehrung der holden Else aber, von der ihm seine Mutter noch nachträglich erzählte, war Carlo ritterlich artig gegen die einstige Gespielin. Hochbeglückt fühlte sich das Mädchen. – – –

Am nächsten Vormittag machte Carlo sorgfältig Toilette zum Besuch im gräflichen Schloß. Als er seiner Mutter Lebewohl sagte, schaute sie ihn stolz an und sprach:

»Du siehst gerade so vornehm aus, wie die jungen Grafen!«

Der Sohn lachte und entgegnete übermütig:

»Ja, Mutterchen, das will ich auch, und eine Gräfin bring' ich dir einmal als Tochter!«

»Ich glaube ja, du wärst's imstande, Carlo!« sagte seine Mutter. »Etwas muß ich dir auch noch sagen, Gräfin Helene ist oft bei uns gewesen dieses Frühjahr. Sie ist immer so freundlich und gut und stets hat sie nach dir gefragt, wie es dir gehe und ob du nicht bald heimkommst?« – Carlo wandte sein Gesicht ab, damit die Mutteraugen nicht das verräterische Rot sehen sollten, mit dem sich Stirne und Wangen überzogen. Er erwiderte nur:

»Das ist reizend von der Gräfin! Ich werde jedenfalls auch wieder mit ihr viel musizieren!«

»Carlo, nimm dein Herz in acht!« bat die Mutter. »Gräfin Helene ist schön und anziehend – – –«

»Ach was,« antwortete der junge Mann und gab sich den Anschein völliger Ungerührtheit, »dein Sohn hat schon mehr vornehme Damen gesehen! Die sind ihm nicht gefährlich!«

Beruhigt schaute ihm die Mutter nach, als er so stattlich und schön die Straße hinab ging. An der Biegung des Weges winkte er noch einmal mit der Hand zurück.

»Mein guter Bub!« flüsterte innig die Frau. »Eine Königin wäre nicht zu schade für dich mit deinem goldenen Herzen!« – –

Carlo stand bald darauf im Vestibül des Schlosses. Der Diener, welcher ihm seine Karte abgenommen hatte, kam bald wieder mit dem Bescheid:

»Gräfin Helene läßt bitten, in den Garten zu kommen!« – – Einen Augenblick danach stand er vor der Geliebten. Sie war allein. Sie schritt ihm einen Schritt entgegen und bot ihm freundlich die Hand.

»Endlich sieht man den berühmten Weltreisenden wieder einmal in Waldenberg,« scherzte sie, um ihre freudige Bewegung zu verbergen.

»Und mein erster Ausgang gilt Ihnen, Gnädigste!« erwiderte Carlo warm und küßte ihre Rechte.

»Wann sind Sie gekommen?« fragte Helene und lud den jungen Mann zum Sitzen ein.

»Gestern vormittag kam ich,« erzählte Carlo, »und gestern nachmittag saß ich dort oben,« er deutete auf den Aussichtspunkt, »und schaute hier herunter zu Ihnen!« – – Helene wurde rot und lachte:

»Daß Sie eine Anlage zum Ritter Toggenburg haben, wußte ich ja noch gar nicht,« neckte sie.

»Im allgemeinen dürfte diese Anlage auch nicht groß sein,« erwiderte Carlo. »Ich wäre schon so wie so gestern gerne herabgeeilt, Sie zu begrüßen, aber ich wußte, daß Ihre Eltern nicht da sind!«

»Ja leider,« berichtete Helene, »mußte Papa sich zu einer Kur in Nauheim entschließen. Plötzlich sind bei ihm Herzgeschichten aufgetreten. Unter uns gesagt, Papa hat viele Aufregungen dies Frühjahr gehabt. Sie wissen vielleicht, wie ungünstig im Augenblick die geschäftliche Lage für die Eisenindustrie ist und da gibt es überall Kämpfe!«

»Ich bedauere herzlich, daß es Ihrem Papa nicht gut geht,« sprach Carlo. »Hoffentlich ist das Leiden nur ganz vorübergehend!«

»Ja, hoffen wir!« sagte Helene ernst. »Aber wissen Sie, Herr Carlo« (die Gräfin nannte den Künstler immer beim Vornamen), »eine Riesenfreude könnten Sie dem Papa machen, wenn Sie in Bad Nauheim ein Konzert geben wollten!«

»Meinen Sie wirklich?« forschte Carlo, auf der Gräfin Wunsch eingehend. »Ich könnte das wohl einrichten, die Direktion läßt, so viel ich weiß, doch öfters Künstler-Konzerte arrangieren, aber ich müßte dann noch für einen Klavierspieler sorgen!«

»Wenn ich Ihnen mit meinen Kenntnissen gut genug bin,« sagte zögernd Helene, »und wenn es Papa erlaubt, was ich als sicher voraussetze!« – –

»O, Sie sind zu gütig, Gräfin!« rief Carlo warm. »Das wäre ja ganz reizend, wenn Sie mich begleiten wollten. Sie spielen ja so sicher und ausgezeichnet!«

»Ach, machen Sie mich nicht eitel!« wehrte Helene diesem Lob. »Wir werden dann aber flott miteinander üben müssen, nicht wahr?«

»Ja, gerne, so oft es Ihnen angenehm ist!« erwiderte eifrig Carlo und verabredete mit der jungen Gräfin eine tägliche Musikstunde.

Zuletzt erschien dann auch noch die Tante Helenens und Carlo wurde ihr vorgestellt. Es war eine Schwester des Grafen, die in einem adligen Stift lebte, eine feingebildete, unterhaltende Dame. Das Gespräch drehte sich um alltägliche Dinge und mit der Aufforderung, am nächsten Tage zum Diner zu kommen, wurde der junge Künstler endlich entlassen. – – – –

Es verging nun kein Tag, an dem die jungen Leute einander nicht sahen. Stets aber war Gräfin Ada, Helenens Tante, zugegen. So kam es vorläufig zu keiner Aussprache zwischen den Liebenden, und doch wußte eines, wie es um das andere stand. Carlo war voll zartester Ehrerbietung und ritterlicher Galanterie gegen die junge Gräfin, nur seine Blicke verrieten ihr manches Mal, welche heißen Wünsche er im Herzen hegte. Der Plan eines Konzertes in Nauheim kam zur Ausführung. Graf Herzfeld war entzückt davon und stolz darauf, daß seine Tochter auch mitwirken konnte. Tante Ada und Helene reisten zwei Tage vorher schon nach Bad Nauheim, Carlo am Konzerttage in der Frühe. Er hatte mit Helene noch eine kleine Probe verabredet und ihr deshalb die Stunde seiner Ankunft gemeldet. Wie freudig erstaunte er aber, als er beim Verlassen des Zuges die Gestalt der Geliebten auf dem Perron des Nauheimer Bahnhofes erblickte. Jubelnd schwenkte er den Hut. Helene kam ihm, herzliche Freude in den Augen, entgegen. Sie war allein.

»Ich habe ein bißchen Vorsehung für Sie gespielt, Herr Carlo,« berichtete sie eifrig. »Ihr Gepäck geben Sie dem Portier vom Hotel de l'Europe. Dort logieren wir auch! Papa und Mama sind zum Bade gegangen, ebenso Tante Ada, sie lassen Sie einstweilen grüßen. Vertrauen Sie sich also ganz meiner Führung an, Herr Carlo. Zuerst frühstücken wir miteinander im Meiserhof, dann zeige ich Ihnen den schönen Kurpark und zuletzt gehen wir ins Kurhaus zur Probe. Sie stellen sich dann gelegentlich dem Badekommissär noch vor, alles Uebrige ist bestens eingeleitet, auch Ihr Bild wird dem Publikum an allen Ecken und Enden präsentiert!«

Carlo war entzückt von Helenens fürsorglicher Art.

»Gnädigste Gräfin beschämen mich mit Ihrer großen Güte,« sagte er, neben ihr dem Kaiserhof zueilend. Helene sah ihn einen Augenblick durchdringend an und bat dann leise:

»Heute wenigstens, Carlo, lassen Sie die ›gnädigste Gräfin‹ weg! Ich bin hier nur Helene Herzfeld-Waldenberg, Pianistin, die die Ehre hat, den berühmten Geiger Carlo Cartano zu accompagnieren! So lange wir unter uns sind, merken Sie sich das, mon ami!«

Carlo war überglücklich.

»Ihre Wünsche sind mir Befehl, Helene,« erwiderte er und sprach zärtlich ihren Namen aus.

»Für den Anfang bin ich zufriedengestellt,« antwortete Helene. »So, da wären wir!«

Die jungen Leute suchten sich ein ungestörtes, lauschiges Plätzchen aus auf der Terrasse des »Kaiserhof« und Helene gab dem geschäftig herbeieilenden Kellner ihre Aufträge.

»Sie erlauben mir, Carlo,« bat sie neckisch, »auch hier für Sie zu sorgen?«

»Glauben Sie, daß ich verhungert sei unterwegs?« fragte lachend der junge Mann, als bald darauf verlockend aussehende Schüsseln vor ihm aufgepflanzt wurden. Ein eigenes Gefühl der Zusammengehörigkeit umwob Carlo und Helene, als sie nun vergnügt lachend miteinander speisten.

»Die Auswahl des Getränkes überlasse ich Ihnen!« meinte die Gräfin, zu Ihrem Gegenüber lustig hinübersehend. Carlo ließ eine Flasche Kupferberg Gold kommen.

»Unser fröhliches Zusammensein,« sprach er, »muß mit Sekt begossen werden!«

»Ja, sicherlich,« erwiderte heiter Helene, »zudem ist Champagner mein Lieblingsgetränk.« Die jungen Leute stießen miteinander an.

»Auf einen glänzenden Erfolg!« sagte die junge Gräfin. »Der heutige Abend soll leben!«

Carlo trank sein Glas mit einem Zuge leer.

»Dieses Kupferberg-Gold ist nicht von schlechten Eltern,« sagte er anerkennend und füllte wieder die Gläser.

»Ja,« pflichtete ihm Helene bei, »es ist ein recht guter Schaumwein. Ich mag Kupferberg riesig gerne! Wenn ich die lustige Witwe nicht haben kann!«

»Da hätte ich Ihren Geschmack richtig getroffen, Helene,« meinte glücklich Carlo. Er fühlte sich in dem gemütlichen Tete-a-tete mit der Geliebten außerordentlich behaglich und ebenso erging es ihr. Die Gräfin kostete den Reiz dieses Beisammenseins, des ersten ungestörten, voll und ganz. Einige Gäste kamen und fixierten im Vorübergehen das Paar.

»Ich wette,« lachte Helene übermütig, »die Leute halten uns für ein junges Ehepaar! Der Kellner hat mich auch vorhin mit gnädige Frau angeredet!« Carlo sah sie mit liebenden Augen an und wußte nichts zu erwidern. Er hob nur sein Glas und trank Helene zu, indem er leise sprach: »Auf eine glückliche Zukunft!«

Das Mädchen tat ihm ernsthaft Bescheid und über die Gläser hinweg trafen sich die Blicke der beiden in demselben heißen Wünschen.

»Nun müssen wir aber fort,« mahnte endlich Helene. »Ich zeige Ihnen jetzt den schönen Kurpark. Zu dieser Jahreszeit ist er wunderbar. Wir bleiben noch acht Tage hier und ich freue mich sehr darüber. Mir gefällt es hier. Können Sie nicht auch so lange dableiben, Carlo?«

»Wenn es Ihnen angenehm ist, sicherlich!« versprach Carlo. Er ordnete die Rechnung und Helene war schon aufgestanden. Jetzt wiederholte sie nur das eine Wort: »Angenehm?« und sah ihn dabei über die Schulter so süß herausfordernd an, daß Carlo alles Blut zum Herzen schoß. Er ging der Voraneilenden rasch nach und als er sie erreicht hatte, bot er ihr den Arm. Helene nahm ihn ohne Zögern, hier kannte sie ja niemand, und doch sagte in demselben Augenblick ein Vorübergehender zu seinem Bekannten:

»Sehen Sie, das ist der berühmte Carlo Cartano! Der spielt heute Abend im Kurhaus. Er ist der beste Geiger der Gegenwart!«

»War die Dame seine Frau?« erkundigte sich der andere.

»Das weiß ich nicht,« war die Antwort. – –

Helene führte ihren Freund in den im üppigsten Grün prangenden Kurgarten. Auf wohlgepflegten Kieswegen wandelten die beiden fröhlich plaudernd dahin. Carlo bewunderte die schönen Baumgruppen, den Schmelz der jungen Blätter und die schattigen, hübschen Pfade. An den Badehäusern kam man vorbei, wo die ersten Rosen in den Bosketts der Anlagen blühten.

»Nun kommen die Tage der Rosen!« rief Carlo begeistert aus, auf die duftenden Kinder Floras deutend.

»Nicht wahr, hier ist's schön?« meinte Helene. »Aber es kommt noch besser! Jetzt führe ich Sie auf verschwiegenen Pfaden zum ›Eulenturm‹ und zum Teich!« Tatsächlich schlugen die beiden nun einsamere Wege ein, wo niemand ihnen um diese Stunde begegnete. Die Vögel sangen in den Zweigen, die Sonne schien hell und warm. Helene und Carlo schritten ganz versunken dahin. Keines sprach ein Wort. Nur drückte der junge Mann den Arm seiner Begleiterin einen Augenblick fester an sich. Sie hob die Augen zu ihm empor und selbstvergessen ruhten die Blicke aneinander. Da konnte Carlo sich nicht länger beherrschen.

»Ich liebe dich,« sprach sein Mund leidenschaftlich und er zog die Gräfin in seine Arme. Sie wehrte ihm nicht. Sie erwiderte seine heißen Küsse und lauschte beglückt seinem glühenden Liebeswerben.

»Ich liebe dich ja längst, Carlo,« sprach sie, als er geendet. »Lange, lange schon! Vielleicht hat es schon damals angefangen, als ich so unartig zu dir war. Das hast du doch vergessen, Lieber?«

»Natürlich,« versicherte der Glückliche. »Bei dir könnte ich alles vergessen, du Einzige!«

»Ja, das merkt man!« sagte lachend Helene. »Wir stehen hier auf einer öffentlichen Promenade und küssen uns! Komm', laß uns zum Teich gehen, dann führe ich dich zum Donnersgraben, dort dürfen wir uns eher eine kleine Zärtlichkeit gestatten! In den Vormittagsstunden kommt selten jemand dorthin!«

Carlo schritt mit seiner Begleiterin dem verheißenden Ziele zu und sie versicherten sich gegenseitig immer wieder ihre Liebe und daß sie nie von einander lassen wollten.

»Eigentlich sind meine Eltern darin ganz famos,« erzählte Helene, »daß sie mir erlaubt haben, dich abzuholen und so allein mit dir herumzustreichen. Sie halten das anscheinend für ganz ungefährlich, wenn sich zwei junge Menschenkinder so miteinander beschäftigen!«

»Ja,« sprach Carlo, ernst werdend, »ich glaube nicht, daß deine Eltern mir die Kühnheit zutrauen, daß ich meine Augen zu dir, der stolzen Gräfin, erhebe!«

»Ach, sprich doch nicht so!« bat weich Helene. »Wir leben nicht mehr im Mittelalter! Unsere Zeit ist gottlob eine so vorurteilsfreie, daß auch die Standesunterschiede allmählich verschwinden. Denke nur einmal an unsere Fürstenhäuser! Jetzt kann sich auch eher einmal solch' eine arme Prinzessin erlauben, dem Zuge ihres Herzens zu folgen. Die Prinzen taten es schon von jeher und ließen sich ihre Geliebte zur linken Hand antrauen.« –

»Du glaubst also, Herzlieb,« fragte Carlo eifrig, »daß dein Vater seine Zustimmung zu unserer Verbindung geben wird?«

»Laß mich nur machen, Carlo!« bat Helene. »Darin mußt du mir dein unbedingtes Vertrauen versprechen! Ich werde dir sagen, wann der geeignete Zeitpunkt ist, um mit Papa zu sprechen. Heute und morgen kann es noch nicht sein! Wir müssen uns gedulden und abwarten. Wir sehen uns jetzt und in Waldenberg ja täglich. Diesen Winter soll ich die Hofbälle in München mitmachen und da kann es ein gewisser Herr Carlo einrichten, daß er auch um diese Zeit in M. ist. Nicht wahr, Carlo, du vertraust mir?«

»Ich füge mich ganz deinem Wunsche und vertraue dir vollkommen, mein Lieb!« erwiderte Carlo. »Aber offen gestanden, wäre es mir lieber, mich mit deinem Vater sofort auszusprechen!«

»Nein, das kannst du nicht, Herz!« versetzte Helene. »Wir müssen Rücksicht auf Papas leidenden Zustand nehmen. Freilich wird es uns schwer fallen, unser Geheimnis vor fremden Augen zu wahren. Kühl und gemessen müssen wir uns in Gegenwart anderer benehmen. Dafür kommen dann zur Entschädigung solche Stunden, wie diese, wo wir uns selbst angehören dürfen!« – – Unter diesen Reden waren die Liebenden im Walde beim Donnersgraben angekommen und eine kurze, selige Zeit gaben sie sich ganz der Wonne ihres jungen Glückes hin. Als die Mittagsglocke ertönte, erwachte Helene aus ihrer Liebesseligkeit und mahnte zum Heimweg. Noch einmal küßte Carlo den herzigen, süßen Mund seiner Braut, wie er sie von dieser Stunde an immer nannte, und dann begab man sich ins Kurhaus. Eine kleine Probe auf dem bereitstehenden Flügel nahm Helene noch vor und Carlo machte nachher den Herren der Badeverwaltung seine Aufwartung. Um ein Uhr erschien er zur table d'hote im Hotel de l'Europe. Sein Platz war neben Graf Herzfeld reserviert. Herzlich begrüßte ihn die gräfliche Familie. Helene erschien etwas spät bei Tisch. Sie hatte reizende Toilette gemocht, keine Miene jedoch verriet, was zwischen Carlo und ihr am Morgen vorgegangen war. Auch der junge Künstler benahm sich reserviert und beherrschte seine Augen, daß sie mit keinem wärmeren Blick Helene streiften.

Das Konzert verlief großartig. Der große, elegante Saal des Kurhauses war von einer auserlesenen Gesellschaft bis auf den letzten Platz besetzt, trotzdem die Billetpreise sehr hoch waren und im Kurgarten die Badekapelle noch konzertierte. Das Zusammenspiel Helenens und Carlos war so innig und wunderbar fein abgetönt, daß Jedermann entzückt war. Carlo entlockte seiner Amati zauberische Töne, besonders in den beiden Soli für Violine, Arie von Bach, von Sarasate bearbeitet, und einem Nocturno, von Carlo selbst komponiert. Rauschender Beifall lohnte den Künstler. Nach dem Konzert saßen Carlo und Helene im Schutze Tante Adas noch einige Stunden vergnügt mit den Nauheimer maßgebenden Persönlichkeiten und einigen illustren Kurgästen, darunter auch die Prinzessin Margharita X. aus Florenz, zusammen. Letztere, eine noch sehr jugendliche, schöne Frau, war ganz bezaubert von ihrem großen »Landsmann«, wie sie sagte. Sie warf Carlo die schmachtendsten Blicke zu und forderte ihn auf, sie am nächsten Tage in der Villa Alice zu besuchen. Helene sagte aber leise zu Carlo, nur ihm verständlich: »Das wirst du aber nicht tun!« Der junge Künstler war entzückt von dieser kleinen eifersüchtigen Regung. Auf dem Nachhauseweg fand er noch Zeit, seine Braut seiner unwandelbaren Liebe und Treue zu versichern. »Mir wird keine andere Frau jemals gefährlich werden!« sprach er, und das war die Wahrheit. – – Die Tante Helenens, Gräfin Ada, ahnte im Stillen etwas von dem, was die beiden jungen Leute bewegte. Sie dachte an ihre eigene Jugend zurück! Ein junger Pfarrer war es gewesen, dem sie ihre erste und einzige Liebe geschenkt hatte. Es war eine schöne, selige Zeit, mehrere Jahre hindurch war es den Liebenden gelungen, ihr stilles Glück vor den Augen der Welt zu verbergen. Dann wurde der Pfarrer versetzt. Seine Wünsche verstiegen sich nicht bis zum Besitz der Gräfin und Ada war eine zu folgsame Tochter. Sie hatte nicht den Mut, sich ihrem Vater zu entdecken – still lernte sie ertragen. Aber ihr Liebestraum füllte ihr ganzes, kommendes Leben aus. Sie zog sich in das adlige Frauenstift zurück und lebte ihren Erinnerungen. Ihr Liebster aber hatte ein Mädchen vom Lande gefreit und war behäbig und wohlhabend geworden. – – – –

Gräfin Ada gönnte Helene ihr Liebesglück und sie nahm sich vor, der gute Engel der beiden Verliebten zu werden. Vielleicht gelang es ihr, diese Vereinigung zweier Herzen, den bestehenden Adelsvorurteilen zum Trotze, zu erreichen. Die Zeiten hatten sich seit ihren Jugendtagen gewaltig verändert. Fortan besaß die junge Gräfin nun eine stille Verbündete und es wurde ihr dadurch möglich, schon hier in Nauheim mit Carlo manche Stunde des Alleinseins zu genießen. Zusammen reisten dann auch diese drei von dem schönen Nauheim ab. Carlo erwies sich auf der Reise als der angenehme Kavalier, welcher seinen Damen Ritterdienste tut und erwarb sich damit ganz das Wohlwollen der Gräfin Ada. Zu Hause angelangt, blieb Carlo sich gleich. Herrliche Tage des Glückes brachen nun für unser junges Paar an. Mit Musizieren und Spaziergängen füllten sie die Stunden des Beisammenseins aus. Carlos Mutter neckte oft ihren Sohn, er sei ja mehr im Schlosse als bei ihr zu Hause. Im Stillen aber freute sie sich über die Ehre, welche ihr Kind genoß und in ihren kühnen Träumen sah sie den Liebling als den glücklichen Gatten der Gräfin Helene.

Carlos Glück aber war das Leid eines anderen Menschenkindes. Else Brandt verzehrte sich in sehnender Liebe nach dem einstigen Gespielen. Sie verhielt sich auch deshalb sehr ablehnend gegen die Aufmerksamkeiten des neuen Gutsverwalters, eines noch jungen, hübschen Mannes, der Else gar zu gern zur Frau gehabt hatte. Mit Elsens Mutter im Einverständnisse bewarb er sich um das Mädchen und war ein ständiger Gast im Brandtschen Hause. Von Gustav Müller, dem jungen Verwalter, erfuhr auch zufällig Else von dem Verkehr Carlos im gräflichen Schlosse. Auch begegnete Müller oft auf Spaziergängen Carlo und Helene. Er erzählte dies ganz unbefangen, nicht ahnend, mit welch schmerzlicher Eifersucht Else sich quälte. Sie besuchte öfters noch die Mutter des Künstlers, traf jedoch selten Carlo an. War er aber da, so benahm er sich sehr nett gegen Else, war freundlich und unterhaltend, ohne aber auch den leisesten Versuch, ihr den Hof zu machen. Eines Abends blieb das Mädchen so lange da, bis Carlo endlich vom Schlosse zurück kam. In ihrer leicht zu erklärenden Eifersucht brachte sie bald das Gespräch auf Helene.

»Gewiß ist die junge Gräfin ein schönes Mädchen,« sagte sie, »aber sie ist auch schon so gut wie verlobt!«

Carlo erschrak, trotzdem er sich vorsagte, das sei albernes Gerede. Er fragte dennoch, mit dem Bemühen gleichgültig zu sein:

»Verlobt? Mit wem denn?«

»Mit ihrem Vetter, der Offizier in München ist. An Ostern war er hier. Ich sah ihn oft mit der Gräfin zusammen und man erzählte sich damals allgemein, der hübsche Leutnant sei der Bräutigam von Gräfin Helene,« war Elsens Erwiderung. Sie beobachtete bei ihrer Rede Carlo scharf. Der junge Mann verstand jedoch meisterlich, seine Miene zu beherrschen. Nichtsdestoweniger quälte ihn glühende Eifersucht. Er nahm sich vor, morgen bei erster Gelegenheit Helene zur Rede zu stellen. – – Als Else sich zum Fortgehen bereit machte, war die Zeit bereits so vorgerückt, daß Carlo sich zu ihrer Begleitung anbot. Entzückt nahm das Mädchen sie an und hing sich an des jungen Mannes Arm. Munter fing Else von alten Kinder-Erinnerungen zu reden an. Carlo hörte nur halb zu, da alle seine Gedanken bei Helene weilten. Da kam den jungen Leuten eine hohe Männergestalt entgegen und eine etwas scharfe Stimme fragte:

»Fräulein Else, sind Sie es? Ihre Mama hat mich beauftragt, Sie abzuholen!«

»Ach, Herr Müller,« erwiderte das Mädchen mit nicht gerade freundlichem Tone. »Sie sehen, ich bin in ganz gutem Schutze! Herr Carlo Cartano,« stellte sie diesen im Dunkeln vor. – Müller murmelte etwas, das gerade so gut »Freut mich sehr«, als »Hol' ihn der und der,« lauten konnte. Carlo aber sagte verbindlich zu Müller:

»So übergebe ich denn Fräulein Brandt Ihrem ritterlichen Schutze, mein Herr! Adieu, Fräulein Else empfehlen Sie mich Ihrer Frau Mama!« –

Mit einem kurzen »Gute Nacht« noch gegen Müller verschwand Carlo in der Dunkelheit. Gustav Müller atmete auf. Dieser gefährliche Mensch, dieser Cartano räumte ihm das Feld! Offenbar war ihm an einem Alleinsein mit Else nicht viel gelegen. Ihm selbst aber, Müller, lag desto mehr daran. Er wollte diese kurze Zeit nach Kräften nützen. Else duldete stumm, daß er ihren Arm durch den seinen zog. Sie war innerlich wütend auf Carlo, der sich so schnell aus dem Staub gemacht hatte. Sie sah mit dem richtigen Scharfblick der Liebe, daß bei ihm alle ihre Mühe vergebens war. Carlo lag in den Banden der Gräfin. Else freute sich, daß sie ihm mit ihren Reden über Helene nun auch Qualen bereitet hatte. Er sollte sich auch in Eifersucht verzehren, wie sie es tat. Sie aber wollte noch mehr tun, sie würde den Mann an ihrer Seite, diesen Müller, erhören, nur damit Carlo sich ärgere und sähe, wie gleichgültig er ihr sei. Ein tiefer Seufzer an ihrer Seite unterbrach ihren Gedankengang.

»Nun, Herr Müller?« fragte Else jetzt ganz freundlich.

»Erinnern Sie sich jetzt endlich auch 'mal meiner Gegenwart?« kam es bitter von des Verwalters Lippen. »Ich dachte, Ihre Gedanken wären noch ganz bei dem schönen Künstler, der allen Weibern den Kopf verdreht!«

»Bei Carlo Cartano, aber Herr Müller, ich glaube gar, Sie sind eifersüchtig!« sagte lachend die schlaue Evastochter. »Carlo ist ein Jugendfreund von mir, das ist alles!« – – Müller preßte Elsens Arm fester an sich und fragte heiser vor Erregung:

»Sonst nichts? Sie lieben den Menschen nicht?«

Else versuchte jetzt ihren Arm frei zu machen und sprach:

»Ich weiß gar nicht, was Ihnen das Recht gibt, mich so auszufragen, Herr Verwalter!«

»Was mir das Recht gibt, Else?« sprudelte er erregt hervor. »Herrgott, sehen Sie denn nicht, wie ich Sie liebe, Mädchen. Ich gehe ja zu Grunde, wenn Sie mich nicht erhören! Else, Sie müssen die Meine werden, seien Sie barmherzig, sagen Sie ja!« – Das kam alles so ungekünstelt mit dem Tone der echten Leidenschaft heraus, daß Else davon gerührt wurde. Auch fühlte sie an dem Beben des Armes, womit Müller sie umfaßt hielt, wie tief die Bewegung dieses Mannes war. Sie erwiderte jedoch kein Wort. Sie wollte Müller nicht belügen und – ihm die Wahrheit sagen, wäre auch nicht klug gewesen. Der Verwalter deutete sich aber ihr Schweigen zu seinen Gunsten. Er riß Else stürmisch an sich und bedeckte ihr Gesicht mit glühenden Küssen.

»Jetzt bist du meine Braut, du mein schönes, süßes Lieb!« jubelte er, »und nun laß uns rasch zu deiner Mutter eilen! Diese Freude wird ihr nach all' dem Kummer der letzten Jahre wohl tun!«

Müller zog das Mädchen willenlos mit fort und kurze Zeit darauf saß das Brautpaar mit der überglücklichen Frau Brandt beim Abendessen und feierte Verlobung. Die Braut freilich war etwas blaß und still.

Carlo verbrachte eine schlaflose Nacht. Die Höllenqual der Eifersucht zerriß sein Herz. Aber dann tröstete ihn wieder der Gedanke, Helene wäre nie imstande, ihn zu betrügen. Sie liebte ihn zu aufrichtig! Es war ja möglich, daß der Plan bestand, ihre Verbindung mit dem Vetter zu bewerkstelligen. Vielleicht war es ein Wunsch ihres Vaters. Nun, bald holte sich Carlo die Aufklärung aus dem Munde der Geliebten. So früh war der junge Mann noch nie im Schlosse erschienen. Helene ahnte daß ihn was Besonderes herführe. Sie empfing ihn in ihrem Boudoir, das Carlo noch nicht betreten hatte. Ein lichtblaues Morgenkleid, mit Spitzen reich besetzt, kleidete sie herrlich. Carlos Blicke hingen bezaubert an ihrer verführerischen Erscheinung. Am liebsten hätte er sie in seine Arme gezogen, doch legte er sich stets in den Räumen des Schlosses die größte Reserve auf. Aber die kleine Hand, welche ihm Helene reichte, küßte er feurig.

»Was bringst du denn so frühe, Carlo?« forschte die junge Gräfin, indem sie ihren Freund zum Sitzen einlud. Dann fügte sie besorgt hinzu:

»Du siehst so elend aus, mein Lieb!«

»Ja, ich bin auch sehr elend gewesen!« bestätigte Carlo, »elend in dem Gedanken, du könntest mir entrissen werden, Geliebte!« – Helene lachte und sprach heiter:

»Was für Hirngespinste! So kenne ich dich ja noch gar nicht, aber beichte mir alles, was dich drückt!«

»Ist es wahr, daß du verlobt bist?« frug Carlo unvermittelt.

»Aber natürlich!« versicherte Helene und sah ihn liebend an, »mit dir, du Mann meines Herzens!«

Carlo warf sich ihr zu Füßen und sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn.

»Warum so kleingläubig, mein Freund?« mahnte sie. »Du hast mir doch unbedingtes Vertrauen versprochen!«

Carlo erzählte ihr nun, was er von Else Brandt erfahren hatte.

»Ich bin glücklich, daß es nicht wahr ist, Einzige,« schloß er und küßte Helenens Mund, ehe sie ihn zur Antwort öffnen konnte. Endlich aber sagte sie zu ihm:

»Nu setze dich 'mal vernünftig wieder hin, Liebster, und höre mich ruhig an! Mein Vater und Onkel Kurt, der in Schlesien ein Gut hat, haben sich allerdings in den Kopf gesetzt, daß ich meinen Vetter Arnold, Onkel Kurts einzigen Sohn, heiraten soll. Arnold aber, ebenso wie ich, stehen diesem Plane ganz unbewegt gegenüber. Er war an Ostern hier, wohl auf väterlichen Befehl. Wir unterhielten uns auch recht gut zusammen. Arnold versuchte aber nicht, mir den Hof zu machen und ich fand es sehr nett von ihm. Mein Bruder Udo behauptete, Arnold sei ein schlechter Kerl – und ich zu schade für ihn! Wenn es wirklich 'mal Ernst werden sollte, würde Udo Einsprache gegen diese Verlobung erheben. Er weiß, daß ich Arnold auch nicht heiraten will. Bist du nun zufrieden, Schatz?«

»Wenn auch nicht zufrieden, so doch beruhigt!« er widerte Carlo. »Was aber auch kommen möge, Helene, versprich mir, alles gleich zu sagen, damit auch nicht der leiseste Hauch einer Mißstimmung zwischen uns entstehen kann!« – Helene aber entgegnete:

»Du mußt mir eben unbedingt vertrauen, Carlo, wie ich dir! Wenn du im Frühjahr nächsten Jahres nach Amerika zu deiner Tournee gehst, muß ich mich ja auch ganz auf dich verlassen, nicht wahr?«

»O,« rief Carlo beteuernd aus, »ich komme wieder, wie ich ging, als der Deine! Lieber wäre es mir noch, du könntest als meine Frau mich begleiten, bedenke die lange Trennung!«

»Ja, es ist eine harte Prüfung für uns,« bestätigte die Gräfin. »Aber eines sei dein Trost: Lieber werde ich mit meinem Carlo sterben, als ohne ihn leben!« Die Worte klangen wie ein Schwur. Der junge Mann schloß Helene nochmals innig in seine Arme, dann gebot sie ihm zu gehen.


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