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Julianus veranstaltete zu Konstantinopel einen bacchischen Festzug. Er thronte auf einem mit weißen Rossen bespannten Wagen; in der einen Hand hielt er einen goldenen, mit einem Zederzapfen gekrönten Thyrsos, das Symbol der Fruchtbarkeit, und in der anderen eine mit Efeu bekränzte Schale; im Kristallglase spiegelten sich die Sonnenstrahlen, so daß die Schale bis an den Rand mit Sonnenlicht angefüllt zu sein schien. Neben dem Wagen wurden einige zahme Panther geführt, die dem Kaiser von der Insel Serendibos geschickt worden waren. Die Bacchantinnen sangen, schwangen brennende Fackeln und schlugen die Handpauken; in der Rauchwolke, die über dem Festzuge schwebte, sah man als Faune verkleidete Jünglinge, mit Bockshörnern an den Stirnen, die aus großen Krügen Wein in Schalen einschenkten; sie stießen einander an und lachten; oft traf der rote Strahl des Weines die nackte, runde Schulter einer Bacchantin und zerstob als roter Regen. Auf einem Esel ritt ein wohlbeleibter Greis, der Hofschatzmeister, ein großer Spitzbube; er stellte den Silen dar.
Die Bacchantinnen sangen, auf den jungen Kaiser weisend:
Bacchus, du thronest umgeben
Von ewig strahlenden Wolken!
Tausende von Stimmen fielen mit dem Chorliede aus der Antigone ein:
Wohlauf, du glutaussprüh'nder Sterne Führer, o Herr
Nächtlich frohen Jubelschalls,
Zeusentsproßner Knabe!
O erscheine, rings vom Chor naxischer Frauen umschwärmt,
Der Thyien, die dich Nächte hindurch wild entzückt
Im Reihntanze feiern, den Freudespender!
Plötzlich hörte Julianus ein Kichern, Gekreisch und eine zitternde Greisenstimme:
»Ach du mein Kätzchen! . . .«
Ein alter Priester hatte eine niedliche Bacchantin in ihren weißen Ellbogen gekniffen. Julianus, dem es mißfiel, rief den alten Spaßmacher zu sich heran. Der Priester eilte tänzelnd und hinkend zum kaiserlichen Wagen.
»Mein Freund,« flüsterte ihm Julianus ins Ohr, »führe dich doch so auf, wie es deiner Priesterwürde und deinem Alter angemessen ist.«
Der Priester sah ihn aber so erstaunt an, daß Julianus unwillkürlich verstummte.
»Ich bin ein einfacher, ungelehrter Mann und wage es, deiner Majestät zu bemerken, daß ich von der Philosophie wenig verstehe. Doch daß ich die Götter ehre, wird dir ein jeder bestätigen können. In den Tagen der grausamsten Verfolgungen seitens der Christen war ich immer den Göttern treu geblieben, wenn ich aber irgendwo ein niedliches Mädchen sehe, – kann ich nicht anders, – mein ganzes Blut gerät in Wallung! – Ich bin ja ein alter Bock . . .«
Er bemerkte die finstere Miene des Kaisers, hielt plötzlich inne und wurde ernst, was sein Gesicht noch dümmer erscheinen ließ.
»Wer ist das Mädchen?« fragte Julianus.
»Meinst du die, die auf dem Kopfe den Korb mit den Tempelgefäßen trägt?«
»Ja.«
»Es ist eine Hetäre aus der Chalkedonischen Vorstadt.«
»Wie? Hast du es denn wirklich zugelassen, daß eine Dirne mit ihren unreinen Händen die heiligsten, den Göttern geweihten Gefäße berührt?«
»Du hast doch selbst, göttlicher Augustus, diesen Festzug angeordnet. Wen sollten wir nehmen? Alle vornehmen Damen sind Galiläerinnen. Keine von ihnen würde sich entschließen, halbnackt mitzuwirken.«
»Also sind alle . . .?«
»Nein, nein, das doch nicht! Es sind auch Tänzerinnen, Komödiantinnen und Kunstreiterinnen aus dem Hippodrom darunter. Sieh nur hin, wie lustig sie sind, und wie sie sich gar nicht schämen! Das Volk liebt es so. Du kannst es mir altem Mann, glauben! Das ist es, was das Volk braucht . . . Hier ist übrigens auch eine Dame von Adel.«
Es war eine Christin, eine alte Jungfer, die vergebens einen Bräutigam suchte. Sie trug auf dem Kopfe eine Perrücke in Form eines Helmes – »Galerus« –, aus den in jener Zeit sehr beliebten deutschen Haaren verfertigt und mit goldenem Puder überstreut; sie war über und über, wie ein Götzenbild, mit Edelsteinen behangen; ein Tigerfell verdeckte nur halb ihren dürren, schamlos geschminkten Busen; sie lächelte geziert.
Julianus betrachtete angeekelt die Teilnehmer des Festzuges.
Seiltänzer, betrunkene Legionäre, Straßendirnen, Stallknechte aus dem Zirkus, Akrobaten, Faustkämpfer und Mimen tollten um ihn her.
Der Festzug gelangte in eine der Nebengassen. Eine Bacchantin kehrte im Vorbeigehen in ein schmutziges Wirtshaus ein, aus dem es nach faulen, in ranzigem Öl gebratenen Fischen roch. Die Bacchantin holte sich aus dem Wirtshaus einige fette Fladen, die sie um drei Obolen gekauft hatte, und begann sie im Gehen schmatzend zu verzehren; als sie damit fertig war, wischte sie sich die Hände an ihrem Gewande aus Purpurseide ab, einem von jenen, die für diese Veranstaltung der kaiserlichen Schatzkammer entnommen waren.
Der Chor des Sophokles wurde dem Pöbel auf die Länge langweilig. Heisere Stimmen begannen einen Gassenhauer zu singen.
Julianus kam alles wie ein häßlicher und sinnloser Traum vor.
Ein betrunkener Kelte stolperte und fiel hin; seine Kameraden halfen ihm wieder auf die Beine. In der Volksmenge fing man zwei Taschendiebe, die ausgezeichnet die Rolle von Faunen gespielt hatten; die Diebe wehrten sich; es entstand ein Handgemenge. Am anständigsten benahmen sich die Panther, die auch schöner als alle anderen waren.
Endlich erreichte der Zug den Tempel. Julianus stieg aus dem Wagen.
»Werde ich denn wirklich vor den Altar des Gottes mit diesem Gesindel hintreten?« fragte er sich.
Er empfand nichts als Ekel und Abscheu; er sah nur tierische, verwilderte, durch Unzucht entstellte Gesichter, geschminkte und gepuderte Leichengesichter, er sah die elende Nacktheit der durch Blutarmut, Skrofeln, Fasten und alle Schrecken der christlichen Hölle entstellten Menschenleiber; der Menge entströmte der üble Geruch der Schenken und Lupanare; der mit dem Gestank von faulen Fischen und saurem Wein durchsetzte Atem des Pöbels vermengte sich mit dem Dufte des Räucherwerkes. Von allen Seiten streckten sich ihm Hände mit Bittschriften entgegen.
»Man versprach mir den Posten eines Kutschers; ich habe mich von Christo losgesagt und den Posten doch nicht bekommen!«
»Göttlicher Cäsar, nimm dich unser an, verteidige uns, sei uns gnädig! Wir haben dir zuliebe den Glauben unserer Väter abgeschworen. Was fangen wir an, wenn du uns im Stich läßt?«
»Wir sind dem Teufel in den Rachen geraten!« schrie jemand verzweifelt auf.
»Schweige, Esel, was schreist du so?«
Der Chor fiel wieder ein:
»O erscheine, rings vom Chor
Naxischer Frauen umschwärmt . . .«
Julianus betrat den Tempel und versank in Betrachtung der Marmorstatue des Dionysos: nach dem Anblicke der menschlichen Häßlichkeit konnten seine Augen auf den reinen Linien des göttlichen Leibes ausruhen.
Er sah die Menge nicht mehr; er kam sich vor, wie der einzige Mensch unter einer Herde von Tieren.
Der Kaiser schritt zu den Opferungen. Das Volk sah erstaunt zu, wie der römische Cäsar, der Hohepriester – Pontifex Maximus – Arbeiten verrichtete, die nur Dienern und Sklaven ziemten: er spaltete Holz, schleppte auf seinem Rücken Reisigbündel herbei, schöpfte aus dem Brunnen Wasser, reinigte den Altar, entfernte die Asche und fachte das Feuer an.
Ein Seiltänzer raunte seinem Nachbarn ins Ohr:
»Sieh nur hin, wie er sich abmüht. Er liebt wohl wirklich seine Götter!«
»Das will ich meinen!« erwiderte ein als Satyr verkleideter Faustkämpfer, die Bockshörner an seiner Stirne zurechtrückend. »Viele lieben Vater und Mutter nicht so, wie er die Götter.«
»Seht ihr, wie er das Feuer mit vollen Backen anbläst!« spottete ein anderer, leise kichernd. »Blase nur, blase, mein Lieber, es wird doch nichts dabei herauskommen! Es ist zu spät: dein Onkel Konstantin hat das Feuer längst ausgeblasen!«
Die Flamme loderte auf und beleuchtete das Gesicht des Kaisers. Er tauchte einen Wedel aus Roßhaar in eine flache, silberne Schale und spritzte die Menge mit dem heiligen Opferwasser an. Viele verzogen die Gesichter, andere fuhren nur zusammen, als die kalten Tropfen ihre Stirnen trafen.
Als alle Zeremonien beendet waren, fiel es Julianus ein, daß er eine philosophische Rede an das Volk vorbereitet hatte. Er begann:
»Ihr Leute! Gott Dionysos ist das große Prinzip der Freiheit in unseren Herzen. Dionysos löst alle irdischen Banden, verspottet die Mächtigen, befreit die Sklaven . . .«
Er las aber in allen Gesichtern eine solche Verständnislosigkeit, eine solche Langweile, daß ihm die Worte auf den Lippen erstarben; sein Herz wurde von tödlichem Ekel und unendlicher Abscheu ergriffen.
Er winkte, und seine Lanzenträger traten heran und umgaben ihn. Die Volksmenge verzog sich unbefriedigt.
»Nun gehe ich geradewegs in die Kirche und beichte! Vielleicht wird man mir die Sünde vergeben!« sagte einer der Faune, wütend den angeklebten Bart und die Bockshörner herunterreißend.
»Es hatte sich wirklich nicht gelohnt, sein Seelenheil zu riskieren!« bemerkte empört eine Straßendirne.
»Wer braucht dein Seelenheil? Deine ganze Seele ist keine drei Obole wert.«
»Man hat mich betrogen!« rief ein Betrunkener. »Man hat uns den Wein nur aus der Ferne gezeigt, aber nichts davon zu kosten gegeben. Diese verfluchten Teufel!«
Der Kaiser begab sich in die Schatzkammer des Tempels, wusch sich Gesicht und Hände und vertauschte das dionysische Prunkgewand mit der einfachen, frischen, schneeweißen Tunika der Pythagoreer.
Die Sonne war im Sinken. Der Kaiser wartete den Anbruch der Dunkelheit ab, um unbemerkt ins Schloß zurückkehren zu können.
Julianus verließ den Tempel durch die Hintertüre und betrat den heiligen Hain des Dionysos. Hier herrschte eine wunderbare Stille; man hörte nur die Bienen summen und den feinen Wasserstrahl der Quelle rieseln.
Julianus hörte Schritte und wendete sich um. Es war ein Freund, der junge alexandriner Arzt Oribasius, einer der Lieblingsschüler des Maximus. Sie wandelten zusammen auf einem verwachsenen Fußpfade. Die Sonne durchleuchtete die breiten, goldiggelben Blätter der Weinreben.
»Sieh,« sagte Julianus lächelnd, »hier lebt noch der große Pan.«
Er senkte den Kopf und fügte leise hinzu.
»Oribasius, hast du es gesehen? . . .«
»Ja, ich habe es gesehen. Vielleicht bist du aber selbst an allem Schuld, Julianus? Was hast du eigentlich gewollt?«
Sie näherten sich einer mit Efeu umrankten Ruine; es war ein kleiner Silentempel, den die Christen zerstört hatten. Im hohen Grase lagen die Bruchstücke. Eine einzige Säule, deren zartes Kapitäl einer weißen Lilie glich, stand noch aufrecht. Auf ihr lag der verglimmende Widerschein der sinkenden Sonne.
Sie setzten sich auf einen Marmorblock. Es roch nach Wermut, Minze und Kümmel. Julianus schob die hohen Gräser auseinander und zeigte auf ein altes, gesprungene Basrelief.
»Hier ist das, was ich anstrebte, Oribasius! . . .«
Das Basrelief stellte eine alte hellenische »Theoria«, einen feierlichen Zug des Volkes von Athen dar.
»Diese Schönheit ist es, was ich anstrebte! – Warum werden die Menschen von Tag zu Tag häßlicher? Wo sind die gottähnlichen Greise, die strengen Männer, die stolzen Jünglinge, die keuschen Frauen in weißen, wehenden Gewändern? Wo ist diese Schönheit und Freude? Galiläer! Galiläer! Was habt ihr getan?! . . .«
Mit unendlicher Liebe und Wehmut betrachtete er das im hohen Grase liegende Basrelief.
»Julianus,« fragte Oribasius leise, »traust du dem Maximus?«
»Ja, ich traue ihm.«
»In allen Dingen?«
»Was willst du damit sagen?«
Julianus sah ihn erstaunt an.
»Ich war immer der Ansicht, Julianus, daß du an derselben Krankheit leidest, wie deine Feinde, die Galiläer.«
»An welcher Krankheit?«
»An dem Wunderglauben.«
Julianus entgegnete kopfschüttelnd:
»Wenn es weder Wunder, noch Götter gibt, ist mein ganzes Leben Wahnsinn. – Wir wollen aber nicht darüber reden. Meine Vorliebe für die Gebräuche und Wahrsagekünste des Altertums darfst du nicht zu streng beurteilen. Ich weiß selbst nicht, wie ich es dir erklären soll. Die alten, dummen Lieder rühren mich bis zu Tränen. Ich ziehe den Abend dem Morgen und den Herbst dem Frühling vor. Ich liebe alles Vergehende. Ich liebe den Duft verwelkender Blumen. Was soll ich tun, mein Freund, wenn mich die Götter so geschaffen haben? Ich brauche diese süße Trauer, diese goldige, geheimnisvolle Dämmerung. Im fernen Altertum gab es etwas Schönes und Rührendes, was ich nimmer finden kann. Dort strahlte die Abendsonne auf dem vom Alter gelbgewordenen Marmor. Du darfst mir nicht diese wahnsinnige Liebe zu Dingen, die es nicht mehr gibt, nehmen! Das Vergangene ist unendlich schöner als das Gegenwärtige. Die Erinnerung hat eine größere Macht über meine Seele als die Hoffnung . . .«
Er verstummte und richtete lächelnd seine Blicke in die Ferne, den Kopf an die einsame Säule mit dem zarten, einer gebrochenen Lilie gleichenden Kapitäl gelehnt; der letzte Sonnenstrahl war verglommen.
»Du sprichst wie ein Künstler,« versetzte Oribasius. »Die Träume eines Dichters sind aber gefährlich, wenn in seinen Händen das Schicksal der Welt ruht. Ein Mensch, der die Menschheit regiert, muß doch mehr sein, als ein Dichter.«
»Wer ist denn mehr als ein Dichter?«
»Der Schöpfer eines neuen Lebens.«
»Ja, das Neue!« rief Julianus aus. »Zuweilen macht mich das Neue, von dem ihr immer redet, bange! Es erscheint mir kalt und grausam wie der Tod. Ich sage dir ja, daß mein Herz nur für das Alte schlägt! Auch die Galiläer streben nach Neuem, während sie die alten Heiligtümer niedertreten. Glaube mir, das Neue besteht nur im Alten, in dem nie Veraltenden, in dem Unsterblichen, in dem Entweihten, – in dem Schönen!«
Er erhob sich und fuhr mit blassem, stolzem Gesicht und brennenden Augen fort:
»Sie glauben, daß Hellas tot sei! Von allen Ecken und Enden der Welt strömen die schwarzen Mönche, wie die Raben, zum weißen Marmorleib des Hellas zusammen, picken an ihm wie an einem Aas, und krächzen frohlockend: ›Hellas ist tot!‹ Hellas kann aber nicht sterben. Hellas ist hier, in unseren Herzen. Hellas ist die göttliche Schönheit des Menschen auf Erden. Hellas wird auferstehen – wehe dann den galiläischen Raben!«
»Julianus,« sagte Oribasius, »du machst mir Angst. Du willst Unmögliches vollbringen. – An einem lebendigen Körper fressen keine Raben, und das Tote kann nie auferstehen. Cäsar, wenn das von dir ersehnte Wunder nicht geschieht, was dann? . . .«
»Ich fürchte mich nicht: mein Untergang wird mein Triumph sein!« rief der Kaiser so freudig aus, daß Oribasius unwillkürlich zusammenfuhr, als ob das Wunder schon beginne. »Heil den Ausgestoßenen! Heil den Besiegten!«
»Bevor wir aber untergehen,« fügte er mit einem hochmütigen Lächeln hinzu, »werden wir noch kämpfen! Ich will, daß meine, Feinde meinen Haß und nicht meine Verachtung verdienen. Wahrlich, ich liebe alle meine Feinde, weil ich sie besiegen kann. In meinem Herzen wohnt die Freude des Dionysos. Heute erhebt sich der alte Titan und zerreißt seine Ketten; das Feuer des Prometheus wird auf Erden wieder entzündet. Der Titan erhebt sich gegen den Galiläer. Ich will den Menschen eine Freiheit und eine Freude geben, die sie sich noch nie zu ersehnen wagten. Galiläer, dein Reich vergeht wie Rauch! Freut euch, ihr Völker und Geschlechter der Erde! Ich bin der Bote des Lebens, ich bin der Befreier, ich bin der Antichrist!«