Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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IV.

Die arianische Basilika des heiligen Mauritius war fast gänzlich aus den Steinen eines zerstörten Apollotempels erbaut.

Der heilige Hof, das Atrium, war von allen vier Seiten von Säulen umgeben. In der Mitte rieselte ein Springbrunnen, an dem die rituellen Waschungen vorgenommen wurden. In einer der Seitenkapellen befand sich ein alter Sarkophag aus dunklem, geschnitzten Eichenholz; er enthielt die Reliquien des heiligen Mama. Eutropius veranlaßte Julianus und Gallus, einen steinernen Sarg für die wundertätigen Gebeine zu bauen. Bei Gallus, der diese Arbeit als eine angenehme Leibesübung auffaßte, ging die Arbeit gut vorwärts. Doch bei Julianus fiel die Mauer immer wieder ein, was Eutropius damit erklärte, daß der heilige Mama das Werk des Knaben, der von teuflischem Hochmut besessen sei, verwerfe.

Um den Sarkophag drängten sich Kranke, die Heilung erflehten. Julianus wußte, wie es gemacht wurde: ein arianischer Mönch hielt eine Wage in der Hand, und die Pilger, die oft aus den entlegensten Dörfern kamen, ließen sich von ihm mitgebrachte Stücke leinener, seidener und wollener Stoffe mit der größten Genauigkeit abwiegen; darauf legten sie die Stoffe auf den Sarkophag und beteten viele Stunden lang, oft ganze Nächte durch; dann ließen sie die Stoffe wieder abwiegen und das Gewicht mit dem ursprünglichen vergleichen; wenn der Stoff schwerer geworden war, so bedeutete es, daß das Gebet Gehör findet: die Gnade des Heiligen wurde wie nächtlicher Tau von der Seide, Wolle oder Leinewand aufgesogen und verlieh dem Gewebe die Kraft, beliebige Krankheiten zu heilen. Oft blieb aber das Gebet unerhört, der Stoff wollte nicht schwerer werden, und in solchen Fällen blieben die Pilger oft tage-, wochen- und monatelang an der heiligen Stätte. Eine alte arme Frau, mit Namen Theodula, kam immer und immer wieder her: die einen hielten sie für verrückt, andere für eine Heilige; seit vielen Jahren verbrachte sie Tage und Nächte am Sarge des Heiligen; ihre kranke Tochter, um deren Genesung sie ursprünglich gebetet hatte, war längst gestorben, Theodula betete aber nach wie vor über einem alten, verblichenen Fetzen.

Aus dem Atrium führten drei Türen in das Innere der Basilika: die eine in die Männerabteilung, die zweite in die Frauenabteilung, und die dritte in die Abteilung für Mönche und den Klerus.

Julianus trat mit Gallus und Eutropius in die mittlere Türe. Er bekleidete das Amt eines »Anagnosten«, eines Vorlesers an der Basilika. Er trug ein langes, schwarzes Gewand mit weiten Ärmeln; seine mit Öl gesalbten Haare wurden von einem schmalen Band zusammengehalten, damit sie ihm beim Lesen nicht in die Augen fielen.

Mit demütig gesenkten Augen schritt er durch die Reihen der Andächtigen. Sein bleiches Gesicht nahm fast unwillkürlich den Ausdruck einer erheuchelten, doch längst zur Notwendigkeit und Gewohnheit gewordenen frommen Demut an.

Er bestieg die hohe arianische Empore.

Die Fresken an der einen Wand stellten das Martyrium der heiligen Euphemia dar: der Henker hatte die Heilige am Kopfe gefaßt und hielt diesen nach rückwärts; ein anderer hatte ihr den Mund mit einer Zange aufgerissen und goß aus einer Schale etwas – vermutlich flüssiges Blei – hinein. Daneben war ein anderes Martyrium der gleichen Heiligen dargestellt: sie war mit den Händen an einem Baume aufgehängt, und ein Henker hobelte mit einem Marterwerkzeug ihre jungfräulichen, beinahe kindlichen Glieder. Darunter war eine Inschrift angebracht: »Mit dem Blute deiner Märtyrer, o Herr, wird die Kirche geschmückt wie mit Purpur und Seide.«

Auf der gegenüberliegenden Wand waren die Sünder in den höllischen Flammen dargestellt; über ihnen aber das Paradies mit den Heiligen und Märtyrern; einer von diesen pflückte von einem Baum eine wunderbare Frucht, ein andrer sang und schlug die Laute, ein dritter lehnte sich über eine Wolke und blickte mit stillem Lächeln auf die Qualen der Hölle hinab. Unten war eine Inschrift: »Da wird sein Heulen und Zähneklappern.«

Die Kranken hatten inzwischen den Sarkophag des heiligen Mama verlassen und drängten sich in die Kirche; da gab es Lahme, Blinde, Krüppel, Gelähmte, Kinder, die auf Krücken gingen und wie Greise aussahen, Besessene und Irrsinnige; die bleichen Gesichter mit den entzündeten Augenlidern drückten stumpfe, hoffnungslose Demut aus. So oft der Chor eine Pause machte, hörte man in der Stille die tiefen Seufzer der schwarzgekleideten Kirchenwitwen – der Kalogerien – und das Klirren der schweren Eisenketten, mit denen sich der alte Pamphilius zur Selbstkasteiung behangen hatte. Dieser Greis, der seit vielen Jahren mit keinem Menschen gesprochen hatte, lallte immer das gleiche Gebet vor sich hin: »Herr! Herr! Gib mir Tränen, gib mir Zerknirschung, laß mich immer an den Tod denken!«

Die Luft war hier warm und schwül wie in einem Grabgewölbe und erfüllt von dem Geruche des Weihrauches, der Wachskerzen, dem Qualme der Lampen und den Ausdünstungen der Kranken.

An diesem Tage mußte Julianus aus der Apokalypse vorlesen.

Vor ihm zogen die schrecklichen Gesichte der Offenbarung vorbei: das fahle Pferd, des Name Tod hieß, flog durch die Wolken, die Völker der Erde trauerten in der Vorahnung des jüngsten Tages; die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack und der Mond wie Blut; und die Menschen sprachen zu den Bergen und Felsen: »Fallet über uns, und verberget uns vor dem Angesichte des, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes. Denn es ist kommen der große Tag seines Zornes, und wer kann bestehen?« – Auch alte Prophezeiungen wurden wiederholt: »Und in denselbigen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht finden; werden begehren zu sterben, und der Tod wird vor ihnen fliehen.« – Es erklang der Schrei: »Selig sind die Toten!« und dann kam ein blutiges Gemetzel unter den Völkern; und die Trauben der Erde fielen in die große Kelter des Zornes Gottes, und die Kelter ward getreten, und das Blut ging bis an die Zäume der Pferde, durch tausendsechshundert Feld Wegs. Und die Menschen lästerten Gott im Himmel vor ihren Schmerzen und vor ihren Drüsen und taten nicht Buße für ihre Werke. Und der Engel sprach mit großer Stimme: »So jemand das Tier anbetet und sein Bild, der wird von dem Wein des Zornes Gottes trinken, der lauter eingeschenkt ist in seines Zornes Kelch; und wird gequält werden mit Feuer und Schwefel vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm. Und der Rauch ihrer Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht, die das Tier haben angebetet und sein Bild.«

Julianus war zu Ende und verstummte; in der Kirche war eine tiefe Stille eingetreten; in der erschrockenen Menge waren nur tiefe Seufzer, das Aufschlagen der Köpfe an dem steinernen Fußboden und das Klirren der Ketten des Irrsinnigen vernehmbar. »Herr! Herr! Gib mir Tränen, gib mir Zerknirschung, laß mich immer an den Tod denken!«

Der Knabe blickte zu dem großen Halbkreis zwischen den Säulen des Kuppelgewölbes hinauf: es war ein arianisches Christusbild aus Mosaik – ein finsteres, drohendes, hageres Antlitz mit goldenem Heiligenschein und einem Diadem, das dem der byzantinischen Kaiser glich; die lange, schmale Nase und die streng zusammengepreßten Lippen verliehen dem Heiland etwas Greisenhaftes; mit der Rechten segnete er die Welt, in der Linken hielt er ein Buch mit der Inschrift: »Friede sei mit euch! Ich bin das Licht der Welt!« Es saß auf einem prächtigen Throne, und ein römischer Kaiser – Julianus glaubte in ihm Constantius zu erkennen – küßte seine Füße.

Doch unten im Halbdunkel stand, von einer einzigen, kleinen Lampe erleuchtet, ein Marmorsarkophag aus den ersten christlichen Jahrhunderten. Er war mit Darstellungen kleiner, zarter Nereiden, Panther und lustiger Tritonen geschmückt; neben diesen waren auch Moses, Jonas mit dem Walfisch und Orpheus, wie er mit den Tönen seiner Leier die wilden Tiere bändigt, dargestellt; ein Olivenzweig, eine Taube und ein Fisch – einfältige Symbole eines kindlichen Glaubens – und zwischen diesen der Gute Hirte, mit dem Lamm auf den Schultern, dem verirrten und wiedergefundenen Lamm – der Seele des Sünders. Dieser barfüßige Jüngling schien freudig und einfach, sein bartloses Gesicht war demütig und mild, wie das eines armen Landmannes. Das Lächeln einer stillen, inneren Freudigkeit umspielte seine Lippen. Julianus schien es, daß jetzt niemand mehr den Guten Hirten kenne oder sehe; mit diesem kleinen Bildwerk aus einer alten Zeit war für ihn ein ferner Traum seiner Kindheit, dessen er sich oft erinnern wollte und nicht konnte, verknüpft. Es schien ihm, als ob der Jüngling mit dem Lamm auf den Schultern ihn, und nur ihn allein, geheimnisvoll und fragend anblicke. Und Julianus flüsterte das Wort, das er einst von Mardonius gehört hatte: »Der Galiläer!«

In diesem Augenblick fielen durch das Fenster schräge Sonnenstrahlen, und sie zitterten in der Wolke des Weihrauches; das finstere, drohende Antlitz Christi flammte plötzlich in goldenem Scheine auf und schien über den Weihrauchwolken zu schweben. Der Chor fiel feierlich ein:

»Es schweige jede menschliche Kreatur, und stehe in Furcht und Zittern und denke an nichts Irdisches. Denn der König der Könige und der Herrscher der Herrschenden kommt in die Welt, um sich zu opfern und seine Gläubigen zu speisen. Engel schreiten ihm voraus, mit aller Gewalt und Kraft, vieläugige Cherubin und sechsflügelige Seraphim. Sie verhüllen ihre Gesichter und singen: Halleluja! Halleluja! Halleluja!«

Das Lied brauste wie ein Sturm über den Köpfen der Betenden.

Das Bild des barfüßigen Jünglings, des Guten Hirten, trat in weite Ferne zurück, doch blickte sein Antlitz Julianus noch immer fragend an. Und das Herz des Knaben krampfte sich zusammen, nicht aus Andacht, sondern aus Grauen vor diesem Geheimnisse, das er in seinem ganzen späteren Leben nicht zu lösen vermochte.


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