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Kaiser Constantius verbrachte traurige Tage in Antiochia. Alle befürchteten Unheil.
Nachts hatte er schreckliche Träume; in seinem Schlafzimmer brannten ständig fünf oder sechs helle Lampen, und doch fürchtete er sich vor der Dunkelheit. Stundenlang saß er stumm allein, brütete vor sich hin und fuhr bei dem geringsten Geräusch zusammen.
Einmal sah er im Traume seinen Vater Konstantin den Großen, mit einem starken und bösen Kinde auf den Armen; Constantius nahm das Kind seinem Vater ab und setzte es auf seinen rechten Arm, während er auf dem linken Arm eine riesengroße Glaskugel hielt; das böse Kind stieß aber die Glaskugel herab, sie stürzte, zerbrach und die spitzen Glassplitter drangen Constantius in die Augen, ins Herz, ins Gehirn, in seinen ganzen Körper; sie klirrten, sprangen, funkelten und stachen ihn schmerzhaft und heftig.
Der Kaiser erwachte entsetzt und schweißgebadet.
Er zog die berühmtesten Zauberer, Wahrsager und Traumdeuter zu Rate.
In Antiochia wurde das ganze Heer zusammengezogen und man bereitete sich zu einem Feldzug gegen Julianus vor. Zuweilen überfiel den Kaiser nach langer Unbeweglichkeit großer Tatendurst, viele von den Höflingen hielten seine Übereilung für unvernünftig; man munkelte von neuen, verdächtigen Sonderbarkeiten und seltsamen Einfällen des Kaisers.
Im Spätherbst verließ er mit seinem Heer Antiochia.
Zur Mittagszeit sah der Kaiser dreitausend Schritte von der Stadt entfernt, in der Nähe des Dorfes Hippokephalos, auf der Straße den kopflosen Leichnam eines unbekannten Mannes liegen; der Leib war nach Westen gerichtet und lag zur Rechten von Constantius, als dieser vorüberritt; der Kopf war vom Rumpfe abgetrennt. Der Kaiser erbleichte und wandte sich ab. Niemand von seinen Begleitern sprach ein Wort, doch alle dachten sich, daß es ein böses Vorzeichen sei.
In der Stadt Tarsus zu Cilicien fühlte er plötzlich Mattigkeit und einen leichten Schüttelfrost; er schenkte aber dem keine Beachtung und zog nicht einmal die Ärzte zu Rate; er hoffte, daß der bevorstehende Ritt auf den schwierigen Bergstraßen unter der brennenden Sonne ihn wieder erwärmen und zum Schwitzen bringen würde.
Er wandte sich zum Städtchen Mopsukrene, das am Fuße des Taurus lag und die letzte Station in Cilicien war.
Unterwegs hatte er mehrmals Schwindelanfälle. Es kam so weit, daß er vom Pferde steigen und sich in einer Sänfte tragen lassen mußte. Später berichtete der Eunuch Eusebius, daß der Kaiser auf der Sänfte liegend mehrmals einen Edelstein, auf dem das Bildnis der verstorbenen Kaiserin Eusebia Aurelia eingeschnitten war, hervorgeholt und zärtlich geküßt habe.
Bei einem Kreuzwege fragte er, wohin der andre Weg führe; er bekam zur Antwort, daß es der Weg zu dem verlassenen Schlosse der kappadocischen Könige Macellum sei.
Als Constantius diesen Namen hörte, verfinsterte sich sein Gesicht.
Gegen Abend langten sie in Mopsukrene an. Der Kaiser war abgespannt und schlecht gelaunt.
Kaum hatte er das für ihn vorbereitete Quartier betreten, als einer der Höflinge in unvorsichtiger Weise, trotz des Verbotes des Eusebius, meldete, daß ihn hier zwei aus den westlichen Provinzen eingetroffene Boten erwarteten.
Constantius ließ sie vorführen.
Eusebius flehte ihn an, es auf den nächsten Tag zu verschieben. Der Kaiser erklärte aber, daß er sich wieder wohl fühle, daß sein Fieber gewichen sei, und daß er nur noch einen leichten Schmerz im Nacken spüre.
Der erste Bote trat blaß und zitternd vor ihn.
»Sage alles gleich heraus!« rief Constantius, durch den Gesichtsausdruck des Boten erschreckt.
Der Bote berichtete von der unerhörten Frechheit des Julianus: der Cäsar hätte vor dem Heere das allerhöchste Sendschreiben zerrissen; Gallien, Pannonien und Aquitanien hätten sich ihm ergeben; die Verräter rückten nun mit allen in diesen Provinzen stehenden Legionen gegen Constantius heran.
Der Kaiser sprang mit vor Wut entstelltem Gesicht auf, stürzte sich auf den Boten, warf ihn zu Boden und packte ihn bei der Kehle.
»Du lügst, du lügst, Schurke! Es gibt noch einen Gott, einen himmlischen Vater, der die Könige der Erde beschirmt. Er wird es nicht zulassen, – hört ihr es, ihr Verräter? – er wird es nicht dulden . . .«
Plötzlich brach er zusammen und bedeckte die Augen mit den Händen. Der Bote sprang mehr tot als lebendig zur Türe hinaus.
»Morgen . . .« lallte Constantius dumpf und fassungslos, »morgen ziehen wir weiter . . . Geradeaus über die Berge . . . in beschleunigten Märschen, nach Konstantinopel! . . .«
Eusebius näherte sich ihm und sagte mit sklavischer Verbeugung:
»Göttlicher Augustus, der Herr hat dir, seinem Gesalbten, den Sieg über alle deine Feinde und Widersacher verliehen: du hast den wilden Maxentius, Constans, Vetranio und Gallus besiegt. So wirst du auch den gottlosen Julianus niederwerfen . . .«
Constantius hörte aber nicht auf ihn und flüsterte kopfschüttelnd und blöde lächelnd:
»Folglich gibt es keinen Gott, wenn das alles wirklich wahr ist, so gibt es keinen Gott, und ich bin ganz allein. Soll nur einer behaupten, daß es Ihn gibt, wenn auf Erden solche Dinge geschehen. Ich habe schon oft darüber nachgedacht . . .«
Er sah alle Anwesenden fragend mit seinen trüben Augen an und fügte unvermittelt hinzu:
»Der zweite Bote soll kommen.«
Sein Leibarzt, ein höfischer Stutzer mit einem rasierten, rosigen, frechen Gesicht und listigen Luchsaugen, trat auf ihn zu. Er war Jude, doch spielte er gerne einen römischen Patrizier. Er sagte dem Kaiser ehrerbietig, daß eine zu große Aufregung schädlich sein könne und daß er etwas ausruhen müsse. Constantius winkte ihm aber so ab, als wolle er eine lästige Fliege vertreiben.
Nun ließ man den zweiten Boten eintreten. Es war der Tribun des kaiserlichen Marstalles, Sintula, der aus Lutetia geflohen war. Er brachte eine noch schlimmere Nachricht. Die Einwohner der Stadt Sirmium hätten Julianus die Tore geöffnet, und ihn freudig, als den Retter des Vaterlandes, empfangen; nach zwei Tagen wolle er auf der großen römischen Heerstraße nach Konstantinopel vorrücken.
Der Kaiser schien diese letzte Mitteilung des Boten überhört oder mißverstanden zu haben. Sein Gesicht nahm einen seltsam unbeweglichen Ausdruck an. Er winkte, und alle verließen sein Gemach. Nur Eusebius, mit dem er die Geschäfte erledigen wollte, durfte bleiben.
Nach kurzer Zeit fühlte er sich wieder unwohl und befahl, ihn in sein Schlafzimmer zu führen. Aber schon nach wenigen Schritten stöhnte er plötzlich leise auf, führte beide Hände an den Nacken, als ob er da plötzlich einen heftigen Schmerz verspüre, und schwankte. Die Höflinge konnten ihn noch rechtzeitig stützen.
Er blieb aber bei Besinnung: in seinem Gesicht, in allen seinen Gebärden, in den Adern, die auf seiner Stirne anschwollen, konnte man lesen, daß er alle seine Kräfte anspanne, um etwas zu sagen; schließlich brachte er langsam im Flüsterton, als hätte man ihm die Kehle zugeschnürt, die Worte heraus:
»Ich will sprechen – und – kann nicht –«
Das waren seine letzten Worte: er verlor die Sprache; seine ganze rechte Körperhälfte war gelähmt; die rechte Hand und das rechte Bein hingen wie leblos herab.
Man brachte ihn zu Bett.
Man sah es seinen unruhigen Augen an, daß ihn ein Gedanke quälte. Er wollte anscheinend etwas sagen, vielleicht einen wichtigen Befehl erteilen, doch kamen von seinen Lippen nur unartikulierte Laute, die wie gedämpftes Brüllen eines Ochsen klangen. Niemand konnte erraten, was der Kranke wünschte; er richtete auf alle der Reihe nach seine gespannten Blicke. Die Eunuchen, Höflinge, Heerführer und Sklaven drängten sich um den Sterbenden; sie wollten ihm alle einen letzten Dienst erweisen, wußten aber nicht, was sie für ihn tun konnten.
Zuweilen flammte in seinen verständigen Augen etwas wie Haß auf, und dann klang sein Brüllen zornig.
Endlich kam Eusebius auf den Gedanken, dem Kaiser eine wächserne Schreibtafel zu bringen. Das erfreute ihn sichtlich. Er ergriff fest und ungeschickt wie ein kleines Kind mit der linken Hand den kupfernen Schreibstift und kritzelte mit großer Anstrengung auf die weiche, gelbe Wachsschicht etwas hin. Die Umstehenden entzifferten das Wort: »Taufen«.
Er richtete seinen gespannten Blick auf Eusebius. Alle wunderten sich, daß es ihnen nicht schon früher eingefallen war: der Kaiser wollte vor seinem Tode die heilige Taufe empfangen, denn er hatte, dem Beispiele seines Vaters, Konstantins des Apostelgleichen, folgend, das große Sakrament bis zum letzten Augenblicke hinausgeschoben: er glaubte, daß es ihn auf einmal von allen Sünden seines Lebens rein waschen, seine Seele »weißer denn Schnee« machen könne.
Man suchte eilig nach einem Bischof. Es stellte sich aber heraus, daß es in Mopsukrene keinen gab. Man holte daher den arianischen Presbyter der armen städtischen Basilika herbei. Es war ein schüchterner Mann mit einem Vogelgesicht, einer roten Nase, die wie ein Schnabel aussah, und einem spitzen Bärtchen. Als man ihn holen wollte, saß Pater Nymphidianus gerade bei seinem zehnten Becher billigen Rotweines und schien etwas angeheitert. Man konnte ihm unmöglich klar machen, was man von ihm wollte; er glaubte immer, daß man sich über ihn lustig mache. Als man ihn endlich überzeugt hatte, daß er den Kaiser zu taufen habe, kam er beinahe von Sinnen.
Der Presbyter betrat das Krankenzimmer. Der Kaiser blickte den blassen, bebenden und fassungslosen Pater Nymphidianus so freudig und demütig an, wie er in seinem ganzen Leben noch keinen einzigen Menschen angeblickt hatte. Man begriff, daß er den Tod fürchte und die Vollziehung des Sakraments beschleunigen wolle.
Man suchte in der ganzen Stadt nach einem goldenen, oder wenigstens silbernen Taufbecken, konnte aber ein solches nirgends auftreiben. Es gab allerdings ein prächtiges, edelsteinbesetztes Becken, doch es war etwas anrüchig: es hieß, daß es einst bei den bacchischen Mysterien heidnischen Zwecken gedient hatte. Man zog also doch ein zweifellos christliches Taufbecken vor, obwohl es nur aus Kupfer und sehr alt war und eingedrückte Ränder hatte.
Das Becken wurde vor das Bett gestellt und mit warmem Wasser gefüllt; als der jüdische Arzt die Temperatur des Wassers mit der Hand prüfen wollte, machte der Kaiser eine wütende Gebärde und brüllte: er fürchtete wohl, daß der Jude das Wasser entweihen könne.
Der Sterbende wurde entkleidet, von einigen kräftigen, jungen Schildträgern emporgehoben und wie ein Kind in das Wasser getaucht.
Ohne jeden Ausdruck von Rührung auf dem leblosen, abgemagerten Gesicht, starrte er mit unbeweglichen weit aufgerissenen Augen auf das funkelnde Edelsteinkreuz des goldenen Labarums; sein Blick war unverwandt und blöde wie bei einem Säugling, der seine Augen von einem glänzenden Gegenstand nicht abwenden kann.
Die heilige Handlung hatte den Kranken anscheinend gar nicht beruhigt; er schien sie bald wieder vergessen zu haben. Als Eusebius ihm wieder die Schreibtafel und den Stift reichte, leuchtete in seinen Augen zum letztenmal Willenskraft auf. Constantius konnte nicht mehr schreiben, er kritzelte nur die ersten Buchstaben des Namens »Julianus« hin.
Was hatte es zu bedeuten? Wollte er seinem Feinde vergeben oder seine Freunde mit der Rache betrauen?
Er quälte sich noch drei Tage lang. Die Höflinge tuschelten einander zu, daß er sterben wolle und es nicht könne, daß es eine besondere Strafe Gottes sei. Im übrigen nannten sie den Sterbenden noch aus alter Gewohnheit »Der göttliche Augustus«, »Se. Heiligkeit«, »Se. Ewigkeit«.
Er schien sehr zu leiden. Das Brüllen verwandelte sich in ein ununterbrochenes Röcheln, das Tag und Nacht währte. Diese Töne waren so gleichmäßig und ununterbrochen, daß man schwer glauben konnte, daß sie einer Menschenbrust entstiegen.
Die Höflinge kamen und gingen und erwarteten stündlich die Auflösung.
Der Eunuch Eusebius verließ den Sterbenden für keinen Augenblick.
Der Beamte des allerhöchsten Schlafgemaches glich seinem Aussehen und auch seinem Charakter nach einem alten, bösen, zänkischen und schlauen Weibe; er hatte auf seinem Gewissen zahllose Verbrechen: alle verwickelten Fäden der Angebereien, Spionage, der kirchlichen Streitigkeiten und der höfischen Intrigen liefen in seinen Händen zusammen; er war aber im ganzen Schlosse wahrscheinlich der einzige, der seinen Herrn wie ein treuer Sklave wirklich liebte.
Während beim Anbruch der Nacht alle anderen Höflinge, vom Anblick der großen Schmerzen des Kaisers ermüdet, sich zurückzogen und schlafen gingen, wich Eusebius nie vom Krankenbette; bald richtete er die Kopfkissen, bald netzte er die trockenen Lippen des Kranken mit eiskaltem Getränk, bald kniete er am Fußende des Bettes und schien zu beten. Wenn es niemand sah, zog Eusebius leise den Saum der purpurnen Decke zur Seite und küßte mit Tränen in den Augen die armen, blassen, erkaltenden Füße des sterbenden Kaisers.
Einmal schien es ihm, als ob Constantius diese Liebkosung bemerkt und sie mit einem freundlichen Blicke erwidert habe; zwischen diesen beiden bösen, unglücklichen und einsamen Männern gab es plötzlich etwas wie brüderliche und zärtliche Beziehungen.
Als Eusebius dem Kaiser die Augen zudrückte, sah er, daß auf seinem Gesichte, das so viele Jahre lang den Ausdruck von Majestät und Macht heuchelte, die echte Majestät des Todes erschienen war.
Über Constantius' Bahre wurden die Worte gesprochen, die die Kirche über den sterblichen Überresten der römischen Kaiser zu verkündigen pflegte:
»Erhebe dich, o König der Erde, und vernehme den Ruf des Königs der Könige, der dich da richten soll.«