Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.

Als der Meister und der Jünger auf dem Heimwege bei Panormos, dem belebten Hafen von Ephesus, vorbeikamen, bemerkten sie eine außergewöhnliche Aufregung.

Viele Menschen liefen mit brennenden Pechfackeln durch die Straßen und schrien:

»Die Christen zerstören den Tempel! Wehe uns!«

Andere riefen:

»Tod den olympischen Göttern! Christus hat Astarte besiegt!«

Jamblichus wollte den Weg durch die stillen Nebengassen einschlagen. Doch die rennende Menge zog sie mit sich an den Strand des Kaystros, zu dem Tempel der Ephesischen Artemis fort. Der prächtige Tempel, ein Werk des Dinokrates, hob sich finster, drohend und unerschütterlich wie eine Festung, vom gestirnten Himmel ab. Der Widerschein der Fackeln zitterte auf den riesengroßen Säulen, die auf kleinen Karyatiden standen. Nicht nur das Römische Reich, sondern auch alle Völker der Erde verehrten dieses Heiligtum.

In der Menge rief eine unsichere Stimme:

»Groß ist die Ephesische Artemis!«

Hunderte von Stimmen antworteten:

»Tod den olympischen Göttern und deiner Artemis!«

Über dem schwarzen Gebäude des städtischen Arsenals erhob sich ein blutroter Feuerschein.

Julianus blickte seinen göttlichen Meister an und erkannte ihn nicht wieder. Jamblichus war wieder der schüchterne, kranke Greis, klagte über Kopfweh, äußerte die Befürchtung, daß er nachts wieder Gliederreißen haben werde und daß seine Dienstmagd vergessen haben könnte, ihm die Breiumschläge vorzubereiten. Julianus lieh dem Meister seinen Mantel. Jamblichus fror aber noch immer. Sein Gesicht drückte großen Schmerz aus, und er hielt sich die Ohren zu, um den Lärm und das Gelächter nicht zu hören. Jamblichus fürchtete große Menschenmassen über alles; er pflegte zu sagen, daß es in der Welt keinen dümmeren und häßlicheren Teufel gäbe als den Volksgeist.

Jetzt machte er seinen Schüler auf die Gesichter der Vorüberlaufenden aufmerksam.

»Sieh nur hin, wie häßlich, wie gemein sie sind, und wie unerschütterlich sie an ihr Recht glauben! Ist es denn keine Schande, ein Mensch zu sein, mit dem gleichen Körper begabt und dem gleichen Schmutz behaftet wie diese? . . .«

Eine alte Christin jammerte:

»Und da sagt mir mein kranker Enkel: Großmutter, koche mir eine Fleischsuppe. – Schön, mein Lieber, sage ich ihm, ich will gleich auf den Markt gehen und Fleisch holen. – Ich denke mir dabei: das Fleisch ist jetzt wohl billiger als Weizenbrot. Ich kaufte also um fünf Obolen ein und kochte ihm die Suppe. Plötzlich schreit eine Nachbarin vom Hofe herein: – Was kochst du da? Weißt du denn nicht, daß heute alles Fleisch auf dem Markte unrein ist? – Wieso, sage ich, soll es unrein sein? Was gibt es denn? – Da erklärt sie es mir: die Priester der Göttin Demeter haben heute nacht alle Fleischläden auf dem Markte mit dem Opferwasser besprengt, um die guten Christen zu beschimpfen. Kein Mensch in der Stadt will von dem unreinen Fleisch essen. Deshalb werden jetzt die Priester der Göttin gesteinigt, der teuflische Tempel der Demeter soll aber zerstört werden. – Ich mußte die ganze Suppe dem Hunde geben. Es ist kein Spaß mehr – fünf Obolen! Soviel verdient man kaum an einem Tage. Und doch habe ich meinen Enkel nicht verunreinigen wollen.«

Andere berichteten, daß ein einziger Christ im vergangenen Jahre vom Opferfleisch gegessen habe und ihm danach alle Eingeweide verfault seien; er habe dabei einen solchen Gestank verbreitet, daß alle Verwandten aus dem Hause fortlaufen mußten.

Sie gelangten an den Hauptplatz. Hier stand ein kleiner Tempel der Demeter-Isis-Astarte, der dreiköpfigen Hakate, der geheimnisvollen Göttin der irdischen Fruchtbarkeit, der starken und liebevollen Kybele, der Mutter der Götter. Der Tempel war von allen Seiten von Mönchen umgeben, wie ein Stück Honigwabe von großen, schwarzen Fliegen; die Mönche krochen auf den weißen Vorsprüngen umher, erklommen, Psalmen singend, die Treppen und zerschmetterten die Bildsäulen. Die Säulen bebten; Splitter des zarten Marmors flogen umher. – Der Stein schien zu leiden wie ein lebendiger Körper. Man versuchte das Gebäude in Brand zu stecken; es gelang aber nicht, denn der Tempel war ganz aus Marmor erbaut.

Plötzlich erscholl aus dem Inneren des Tempels ein ohrenbetäubendes und doch melodisches Dröhnen. Die triumphierende Volksmenge heulte zum Himmel:

»Stricke, bringt Stricke her! Bindet sie an den Armen und Beinen!«

Unter Absingen von Gebeten und freudigem Gelächter schleppte die Volksmenge aus dem Tempel den klingenden, silbernen, blassen Leib der Göttin, der Mutter der Götter, ein Werk des Skopas, an Stricken die Tempelstufen hinab.

»Ins Feuer mit ihr, ins Feuer!«

Man schleifte sie durch die Pfützen des Marktplatzes.

Ein rechtskundiger Mönch rezitierte ein Stück aus dem neuen Gesetz des Cäsars Constans, des Bruders des Constantius:

»Cesset superstitio, sacrificiorum aboleatur insania.«

»Es weiche jeder Aberglauben, es werde vernichtet der Wahnsinn der Götzenopfer.«

»Fürchtet nichts! Vernichtet und raubt alles, was ihr im teuflischen Tempel findet!«

Ein Anderer las beim Scheine der Fackeln einen Abschnitt aus dem Buche des Firmicus Maternus »De errore profanarum religionum« vor:

»Heilige Kaiser! Kommt den unglücklichen Heiden zuhilfe. Es ist besser, sie mit Gewalt zu retten, als sie verderben zu lassen. Reißt von ihren Tempeln den Schmuck herunter und bereichert eure Schatzkammern mit ihren Schätzen. Jeder, der den Götzenbildern opfert, soll mit der Wurzel von der Erde vernichtet werden. Töte ihn, steinige ihn, und wenn es auch dein Sohn, dein Bruder, oder dein Weib wäre, das an deiner Brust schläft.«

Durch die Menge ging der Schrei:

»Tod, Tod, den olympischen Göttern!«

Ein großgewachsener Mönch mit zerzausten, schwarzen Haaren, die an der schweißbedeckten Stirne klebten, hatte über der Göttin eine kupferne Axt erhoben und suchte eine Stelle, wo er sie am besten treffen könnte.

Jemand gab den Rat:

»Auf den Bauch, auf ihren schamlosen Bauch!«

Der silberne Leib der Mutter der Menschen und Götter erklirrte unter den Axthieben, verbog sich und bekam Narben und Risse.

Ein alter Heide hatte sein Gesicht mit dem Mantel verdeckt, um diese Schändung des Heiligsten nicht zu sehen; er weinte und dachte, daß jetzt alles zu Ende sei, daß die Welt untergehe: Demeter-Erde werde den Menschen keine Ähren mehr geben wollen.

Ein Einsiedler aus den Wüsten von Mesopotamien, der mit einem Schafsfell bekleidet war und einen Wanderstab mit einem ausgehöhlten Kürbis, der ihm als Trinkgefäß diente, und einfache, eisenbeschlagene Sandalen trug, stürzte sich auf die Göttin.

»Ich habe mich vierzig Jahre lang nicht gewaschen, um meine eigene Nacktheit nicht zu sehen und an ihr kein Ärgernis zu nehmen. So oft man aber in die Stadt kommt, sieht man nichts als die nackten Körper der verdammten Götzen. Sollen wir noch lange dieses teuflische Ärgernis dulden? Überall sieht man nur die unreinen Götter: in den Häusern, auf den Straßen, auf den Dächern, in den Bädern, unter den Füßen und über dem Kopfe. Pfui, pfui, pfui! Man kommt gar nicht mehr aus dem Spucken! . . .«

Der Alte stieß voller Haß mit seiner Sandale gegen die Brust der Kybele. Er trat mit seinen Füßen ihre nackte Brust, die ihm lebendig erschien; er wollte sie mit den spitzen Nägeln seiner schweren Sandalen zertreten. Er flüsterte keuchend vor Haß:

»Da hast du, da hast du, du Schändliche, du Nackte! Da hast du, Hündin!«

Der Mund der Göttin bewahrte auch unter seinen Fußtritten das heitere Lächeln.

Die Volksmenge hob sie empor, um sie ins Feuer zu werfen. Ein betrunkener Handwerker, der aus dem Munde entsetzlich nach Knoblauch roch, spuckte ihr ins Gesicht.

Aus den vom heidnischen Opferwasser verunreinigten Holzläden und Bänken des Marktes hatte man einen riesengroßen Scheiterhaufen errichtet, hoch über der Menge schimmerten durch den Rauch die stillen Sterne.

Man warf die Göttin in den Scheiterhaufen, um ihren silbernen Leib zu schmelzen. Als sie an die brennenden Holzscheite anschlug, gab es wieder einen zarten melodischen Klang.

»Das Silber macht fünf Talente aus. Das sind dreißigtausend kleine Silbermünzen. Eine Hälfte davon wollen wir dem Kaiser schicken, damit er seine Soldaten entlohnt, die andere Hälfte bekommen alle Hungernden. So wird Kybele wenigstens dem Volke nützen. Aus der Göttin werden dreißigtausend Münzen für die Soldaten und die Bettler entstehen.«

»Holz! Noch mehr Holz!«

Die Flamme loderte höher empor, und allen wurde es noch lustiger zumute.

»Wir wollen sehen, wie der Teufel aus ihr fährt! Man sagt, daß in einem jeden Götzen ein Teufel steckt. In den Göttinnen aber ihrer zwei und auch drei . . .«

»Wenn sie zu schmelzen beginnt und es dem Bösen zu heiß wird, wird er aus ihrem verruchten Munde in Gestalt eines blutroten oder flammenden Drachens fahren . . .«

»Nein, man sollte sie früher mit Weihwasser besprengen, sonst wird der Teufel noch in Gestalt einer Natter in die Erde kriechen. Als man vor zwei Jahren einen Tempel der Aphrodite zerstörte, spritzte jemand etwas Weihwasser hin. Und was glaubt ihr, geschah? Aus ihrem Gewande sprangen mehrere winzige Teufel heraus. Hab's mit eigenen Augen gesehen! Sie waren schwarz und zottig, hatten weiße Gewänder, sie stanken und piepsten wie die Mäuse. Als man aber der Aphrodite den Kopf abschlug, sprang aus ihrem Halse der Oberteufel heraus; solche Hörner hatte er und einen nackten, unbehaarten Schweif wie ein räudiger Hund . . .«

Jemand wandte ungläubig ein:

»Ich will es nicht bestreiten. Vielleicht habt ihr auch wirklich die Teufel gesehen; als man aber neulich in Gaza das Götzenbild des Zeus zerstörte, da war ich dabei: es waren aber keine Teufel darin, sondern solcher Unrat, daß es mich ekelt, davon zu sprechen. Von außen sah er so schrecklich und wichtig aus: nichts als Elfenbein und Gold, und in der Hand hatte er Blitze. Im Innern fand man nur Spinngewebe, Ratten, Staub, verrostete Eisenstangen und Hebel, Nägel, stinkendes Pech und der Teufel weiß, was noch für Dreck. Und das soll ein Gott heißen!«

Jamblichus war blaß wie weiße Leinwand, seine Augen waren erloschen. Er faßte Julianus an der Hand und führte ihn zur Seite.

»Siehst du, diese zwei? Es sind Spione des Constantius. Deinen Bruder Gallus hat man bereits unter Bewachung nach Konstantinopel fortgeführt. Sei auf der Hut! Heute noch werden sie eine Anzeige erstatten . . .«

»Meister, was kann ich dagegen tun? Ich bin daran gewöhnt. Ich weiß es, daß sie mich seit langem beobachten . . .«

»Seit langem? . . . Warum hast du es mir nicht schon früher gesagt?«

Seine Hand zitterte in der des Julianus.

»Was haben sie hier zu tuscheln? Paßt auf, vielleicht sind es gar Gottlose? – He, Alter, rühre dich, bring Holz herbei!« rief ihnen ein Bettler zu, der sich hier wie ein Sieger vorkam.

Jamblichus raunte Julianus zu:

»Wollen wir sie verachten und uns fügen. Ist es denn nicht einerlei? Die Dummheit der Menschen kann die Götter nicht beleidigen.«

Der Göttliche nahm aus der Hand eines Christen ein Scheit und warf es in den Scheiterhaufen. Julianus traute seinen Augen nicht. Doch die Spione beobachteten ihn lächelnd, aufmerksam und mit gespannten Blicken.

Da wurde Julianus wieder von Schwäche ergriffen, und seine altgewohnte Heuchelei, Verachtung seiner selbst und der Menschen und Schadenfreude bemächtigten sich seiner Sinne. Obwohl er in seinem Rücken die Blicke der Spione fühlte, wählte er aus einem Holzstoß das allergrößte Scheit und warf es gleich nach Jamblichus in das Feuer, in dem der verstümmelte Leib der Göttin bereits zu schmelzen begann. Er sah, wie das geschmolzene Silber, gleich Todesschweiß, ihr Gesicht herabfloß; doch auf ihren Lippen spielte noch immer das unbezwingbare, ruhige Lächeln.


 << zurück weiter >>