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Seit der siegreichen Schlacht bei Argentoratum war mehr als ein Jahr vergangen. – Julianus hatte Gallien von den Barbaren befreit.
Im Frühjahre, als er sich noch in seinem Winterquartier zu Lutetia aufhielt, brachte ihm der Tribun der Notarier, Decentius, einen wichtigen Brief vom Kaiser.
Ein jeder Sieg, den Julianus in Gallien erfocht, verletzte Constantius aufs tiefste und bedeutete einen neuen Schlag für seinen Ehrgeiz: dieser dumme Junge, diese »geschwätzige Elster«, der »Affe in Purpur«, das lächerliche »Siegerlein« hatte sich zum großen Verdruß der höfischen Witzbolde in einen wirklichen und gefürchteten Sieger verwandelt.
Constantius beneidete Julianus um so mehr, als er selbst zu dieser Zeit in seinen asiatischen Provinzen durch die Perser Niederlage auf Niederlage erlitt.
Er magerte ab, verlor Schlaf und Appetit. Zweimal hintereinander bekam er die Gelbsucht. Die Ärzte waren aufs höchste besorgt.
Wenn er in schlaflosen Nächten mit offenen Augen auf seinem Prunkbette unter dem heiligen Banner Konstantins lag, dachte er zuweilen:
»Eusebia hat mich betrogen. Hätte sie mich nicht überredet, so hätte ich den Rat des Paulus und des Mercurius befolgt und dieses Schlangenjunge aus dem Neste der Flanier erdrosseln lassen. Ich war ein Tor und habe ihn selbst an meiner Brust groß gezogen. – wer weiß, vielleicht hat ihn Eusebia einmal zum Geliebten gehabt! . . .«
Die verspätete Eifersucht machte seinen Neid noch unerträglicher: an Eusebia konnte er sich nicht mehr rächen, denn sie war tot; seine zweite Frau, Faustina, war ein hübsches, dummes Mädchen, das er verachtete.
Constantius riß sich nachts vor Wut seine spärlichen Haare aus, die der Barbier jeden Morgen sorgfältig zu Locken wickelte, und weinte bittere Tränen.
Hatte er denn nicht immer die Kirche verteidigt und die Ketzer ausgerottet? Hatte er nicht Kirchen erbaut und ausgeschmückt und jeden Morgen, wie jeden Abend die vorgeschriebenen Gebete verrichtet? Und was war nun der Lohn? – Der Herr der Erde empörte sich zum erstenmal in seinem Leben gegen den Herrn des Himmels. Die Gebete erstarben auf seinen Lippen.
Um seinen Neid wenigstens etwas zu stillen, beschloß er, ein außergewöhnliches Mittel anzuwenden. In alle größeren Städten seines Reiches wurden lorbeerbekränzte »Triumphbriefe« geschickt, die die Siege aufzählten, die Kaiser Constantius durch Gottes Gnade erfochten hätte; die Sendschreiben wurden in den Städten öffentlich verlesen. Nach diesen Schreiben konnte man annehmen, daß es nicht Julianus, sondern Constantius gewesen sei, der viermal den Rhein überschritten hätte, obwohl Constantius zu dieser selben Zeit am anderen Ende der Welt in ruhmlosen Schlachten gegen die Perser Niederlagen erlitt; daß nicht Julianus bei Argentoratum verwundet worden sei und den König Chnodomar gefangen genommen habe, sondern Constantius; daß nicht Julianus sich Wege über Sümpfe und Wälder gebahnt, Festungen belagert, Hunger, Durst und Hitze erlitten, sich mehr als die gemeinen Soldaten abgemüht und weniger als sie geschlafen habe, sondern Constantius. In diesen lorbeerbekränzten Sendschreiben wurde Julianus' Name gar nicht erwähnt, als ob es einen solchen Cäsar gar nicht gäbe. Das Volk beglückwünschte Constantius, den Wiedereroberer von Gallien, und in allen Kirchen zelebrierten die Presbyter, Bischöfe und Patriarchen Messen für das Wohl des Kaisers und dankten dem Herrn für die Siege über die Barbaren, die Er Constantius verliehen hatte.
Alles dies vermochte aber nicht den Neid, der am Herzen des Kaisers zehrte, zu stillen.
Nun beschloß er, Julianus die Blüte seiner Legionen zu nehmen, – ihn allmählich und unbemerkt zu schwächen, wie er es einst mit Gallus getan hatte, ihn langsam in seine Netze zu locken und dann erst dem Wehrlosen den tödlichen Streich zu versetzen.
Zu diesem Zwecke schickte er nach Lutetia seinen erfahrensten Beamten, den Tribunen der Notarier, Decentius, der vom Heere des Cäsars sofort die besten Hilfslegionen – die Herulen, Bataven, Petulanten und Kelten abberufen und sie nach Asien zum Kaiser bringen sollte; außerdem war er ermächtigt, aus jeder Legion je dreihundert der tapfersten Krieger auszusuchen; der Tribun Sintula, der Decentius begleitete, hatte den Auftrag, die besten Schildträger und Gentilen auszusuchen, sich an ihre Spitze zu stellen und sie gleichfalls zum Kaiser zu führen.
Julianus warnte Decentius und wies ihm auf die Gefahr einer Empörung unter den Barbaren hin, die es vorziehen würden zu sterben, als ihre Heimat zu verlassen. Decentius schenkte aber dieser Warnung keine Beachtung und bewahrte auf seinem bartlosen, gelben, listigen Gesicht die wichtige Beamtenmiene.
An einer der Holzbrücken, die die Insel Lutetia mit dem Ufer verbanden, befand sich das lange Gebäude der Hauptkaserne.
Die Soldaten waren schon am frühen Morgen erregt. Nur noch die strenge Disziplin, die Julianus eingeführt hatte, vermochte sie im Zaume zu halten.
Die ersten Kohorten der Petulanten und Herulen waren noch nachts ausgerückt. Ihre Genossen, die Kelten und Bataven rüsteten sich zum Abmarsche.
Sintula kommandierte mit sicherer Stimme, als sich plötzlich ein Murren erhob. Einen widerspenstigen Soldaten hatte man bereits halbtot gepeitscht. Decentius, mit einer Feder hinterm Ohr und Papieren in der Hand, rannte überall herum.
Unter dem trüben Abendhimmel standen auf dem Kasernenhofe und auf der Straße die mit Leinen bespannten großen Wagen für die Soldatenweiber und Kinder bereit. Die Weiber jammerten und nahmen Abschied von ihrer Heimat. Die einen streckten ihre Arme nach den finsteren Wäldern und Einöden aus; die anderen fielen zur Erde, küßten sie heulend, nannten sie ihre Mutter und klagten darüber, daß ihre Gebeine in einer fremden Erde verfaulen sollten; manche blieben stumm und begnügten sich damit, daß sie eine Handvoll von der heimatlichen Erde in einen Lappen banden, um sie als Andenken in die Fremde mitzunehmen. Eine magere Hündin, deren Rippen durch die Haut hervortraten, beleckte eine mit Schweinefett geschmierte Wagenachse. Dann ging sie zur Seite, steckte die Schnauze in den Staub und begann zu heulen. Alle wandten sich nach ihr um und fuhren zusammen. Ein Legionär stieß sie zornig mit dem Fuße. Die Hündin zog den Schwanz ein und lief ins Feld, wo sie stehen blieb und noch kläglicher, noch lauter zu heulen begann. In der Stille des trüben Abends erschien dieses gedehnte Heulen schrecklich und unglückverheißend.
Der Sarmat Aragarius gehörte zu denjenigen, die den Norden verlassen sollten. Er nahm Abschied von seinem treuen Freund Strombicus.
»Onkel, lieber Onkel, wie kannst du mich nur verlassen?!« jammerte Strombicus, die Soldatensuppe schluckend, die ihm Aragarius geschenkt hatte; dieser konnte vor Kummer nicht essen. Strombicus aß sie aber gierig, während seine Tränen in die Schüssel fielen.
»Hör auf zu weinen, Narr,« tröstete ihn Aragarius, wie immer in verachtungsvollem und zugleich zärtlichem Tone. »Es heulen schon so genug Weiber um uns herum! . . . Erzähle mir lieber vernünftig, – du stammst ja aus jener Gegend –, was für Wälder es dort gibt – Eichen, oder mehr Birken?«
»Onkelchen, was fällt dir nur ein? Gott behüte dich! Was für Wälder soll es dort geben? Nichts als Sand und Steine!«
»Im Ernst? Wo verbergen sich dann die Leute vor Hitze?«
»Man kann sich dort nirgends verstecken, Onkel. Es ist ja eine Wüste. Es ist so heiß, wie auf einem Herde. Auch gibt es kein Wasser.«
»Kein Wasser? Nun, gibt es aber genug Bier?«
»Was dir nicht einfällt? Von Bier hat man dort keine Ahnung.«
»Du lügst!«
»Meine Augen mögen mir zerspringen, wenn du in ganz Asien, Mesopotamien und Syrien auch nur ein Fäßchen Bier oder Met findest!«
»Nun, Bruder, es ist traurig! Heiß soll es sein, und dazu weder Wasser, noch Bier oder Met geben. Man treibt uns ans Ende der Welt, wie die Ochsen ins Schlachthaus.«
»Geradewegs dem Teufel in die Krallen, Onkel, dem Teufel in die Krallen!«
Strombicus wimmerte noch kläglicher.
In diesem Augenblick erhob sich in der Ferne Lärm und Stimmengetöse. Beide Freunde eilten aus der Kaserne ins Freie.
Eine Menge Soldaten lief über die Brücke auf die Insel Lutetia. Die Schreie kamen immer näher und näher. Die ganze Kaserne war von Unruhe ergriffen. Die Soldaten liefen auf die Straße, versammelten sich und schrien trotz aller Drohungen und selbst Schläge der Centurionen.
»Was ist geschehen?« fragte ein Veteran, der gerade ein Bündel Reisig zur Kasernenküche schleppte.
»Man sagt, sie hätten zwanzig Mann totgeprügelt.«
»Wieso zwanzig? Nein, hundert!«
»Man wird jetzt alle nacheinander mit Ruten züchtigen, so lautet der Befehl!«
Plötzlich kam ein Soldat in zerrissener Kleidung, mit blassem Gesicht in wahnsinniger Erregung herbeigelaufen und schrie:
»Lauft, lauft alle ins Schloß! Man hat Julianus umgebracht!«
Diese Worte fielen wie ein Funken in trockenes Stroh. Die Flamme des Aufruhrs, die schon lang vorher geglommen hatte, loderte unaufhaltsam empor. Alle Gesichter nahmen einen tierisch rohen Ausdruck an. Niemand verstand, was eigentlich vorging, niemand hörte auf den anderen. Alle schrien zugleich:
»Wo sind die Mörder?«
»Schlagt die Schurken tot!«
»Wen?«
»Die Gesandten des Kaisers Constantius.«
»Nieder mit dem Kaiser!«
»Ihr Feiglinge, einen solchen Feldherrn habt ihr verraten!«
Zwei gänzlich unschuldige Centurionen, die ihnen zufällig in den Weg kamen, wurden zur Erde geworfen, mit den Füßen getreten und beinahe in Stücke zerrissen. Als das Blut emporspritzte, gerieten die Soldaten in noch größere Erregung.
Die Menge stürmte die Brücke und näherte sich der Kaserne, plötzlich hörte man ohrenbetäubende, aber dennoch deutliche Schreie:
»Heil dem Kaiser Julianus, Heil dem Augustus Julianus!«
»Man hat ihn ermordet! Ermordet!«
»Schweigt, ihr Narren! Der Kaiser lebt, wir haben ihn erst eben gesehen!«
»Der Cäsar lebt!«
»Er ist nicht mehr Cäsar, sondern Kaiser!«
»Wer hat denn eben erst gesagt, man hätte ihn ermordet?«
»Wo ist der Schurke?«
»Sie wollten ihn ermorden!«
»Wer wollte?«
»Constantius!«
»Nieder mit Constantius! Nieder mit den verfluchten Eunuchen!«
In der Dämmerung raste an ihnen ein Reiter so schnell vorbei, daß sie ihn kaum erkennen konnten.
»Decentius! Decentius! Fangt den Schurken!«
Der kaiserliche Gesandte hatte noch immer die Feder hinterm Ohr stecken, und an seinem Gürtel baumelte das Feldtintenfaß. Von Gelächter und Flüchen begleitet, verschwand er in der Ferne.
Die Menge wuchs immer mehr an. während der Abend hereinbrach, lärmte und tobte das meuternde Heer immer lauter. Die Wut der Soldaten ging in kindliches Entzücken über, als sie sahen, daß die Legionen der Herulen und Petulanten, die des Morgens ausgerückt waren, zurückkehrten und sich den Meuterern anschlossen. Die Soldaten umarmten ihre Kameraden, Frauen und Kinder, wie nach einer langen Trennung. Manche weinten vor Freude, die anderen schlugen schreiend mit den Schwertern gegen die Schilde. Scheiterhaufen wurden angezündet. Einige Redner traten auf. Strombicus, der in seiner Jugend Possenreißer in einer Schaubude zu Antiochia gewesen war, fühlte plötzlich Inspiration. Seine Kameraden hoben ihn in die Höhe, und er begann mit theatralischen Gebärden: »Nos quidem ad orbis terrarum extrema ut noxii pellimur et damnati« – »Man schickt uns an das Ende der Welt, wie abgeurteilte Verbrecher; unsere Frauen und Kinder, die wir um den Preis unseres Blutes aus der Sklaverei erlöst haben, werden wieder unter das Joch der Alamannen geraten.«
Er war mit seiner Rede noch nicht fertig, als aus der Kaserne ein Geschrei, wie wenn man ein Ferkel schlachtete, ertönte; zugleich hörte man die den Soldaten so wohl vertrauten Rutenstreiche auf den nackten Körper: die Soldaten züchtigten den verhaßten Centurio Cedo-Alteram. Der Soldat, der den Vorgesetzten schlug, warf die blutige Rute zur Seite und schrie zur allgemeinen Belustigung, die Stimme des Delinquenten nachahmend: »Reich eine andere her! – Cedo alteram!«
»Auf ins Schloß! Auf ins Schloß!« tönte es in der Menge, »wir wollen Julianus zum Kaiser ausrufen und krönen!«
Alle liefen fort, den halbtoten Centurio auf dem Kasernenhofe in einer Blutlache zurücklassend. – Wenige Sterne schimmerten durch die Bäume. Ein trockener Wind erhob sich stoßweise und wirbelte auf der Landstraße den Staub auf.
Die Tore, Türen und Fensterläden des Schlosses waren fest verschlossen: das ganze Gebäude war wie ausgestorben.
Julianus, der diese Empörung vorausgeahnt hatte, verließ nicht seine Gemächer, zeigte sich fast gar nicht den Soldaten und beschäftigte sich mit Wahrsagekünsten.
Mit dem langen, weißen Gewand der Pythagoreer bekleidet, eine Lampe in der Hand, stieg er auf einer schmalen Treppe zum höchsten Turm des Schlosses empor. Dort erwartete ihn, die Sterne beobachtend, mit einer spitzen Tiara aus Filz auf dem Kopfe, ein persischer Magier, ein Gehilfe des Maximus von Ephesus; dieser hatte ihn zu Julianus geschickt. Es war jener Nohodares, der einst in der Schenke des Syrax, am Fuße des Berges Argäus dem Tribunen Scudilo sein Schicksal vorausgesagt hatte.
»Nun, wie steht's?« fragte Julianus, unruhig das dunkle Himmelsgewölbe musternd.
»Es ist nichts zu sehen,« erwiderte Nohodares, »die Wolken verdecken die Sterne.«
Julianus machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Kein einziges Zeichen! Als ob Himmel und Erde sich gegen mich verschworen hätten . . .«
Eine Fledermaus flog an ihnen vorbei.
»Sieh hin, vielleicht kannst du aus ihrem Fluge etwas ersehen.«
Die Fledermaus flog so nahe vorbei, daß ihr kalter, geheimnisvoller Flügel beinahe Julianus' Gesicht streifte, und verschwand.
»Es ist eine dir verwandte Seele,« flüsterte Nohodares. »Wisse: heute nacht muß etwas Großes geschehen . . .«
Da ertönten die Schreie der Soldaten; die Worte konnte man nicht erkennen, denn der Wind übertönte das Geschrei.
»Wenn du etwas erfährst, komme zu mir,« sagte Julianus. Er verließ den Turm und begab sich in die Bibliothek.
Er ging in dem großen Saale mit schnellen, unregelmäßigen Schritten aus einer Ecke in die andere. Ab und zu blieb er stehen und horchte. Es schien ihm, als ob jemand ihm unsichtbar folge, und eine seltsame unnatürliche Kälte wehte ihn im Finsteren in den Nacken. Er wendete sich rasch um, konnte aber niemand sehen; sein wilderregtes Blut hämmerte schwer in seinen Schläfen. Er begann wieder auf und ab zu gehen und wieder war es ihm, als ob ihm jemand rasch Worte ins Ohr flüsterte, deren Sinn er nicht verstehen konnte.
Ein Diener meldete ihm, daß ein alter Mann, der soeben aus Athen angelangt sei, ihn in einer dringenden Sache sprechen wolle. Julianus schrie vor Freude auf und eilte, den Gast zu empfangen. Er hatte sich gleich gedacht, daß es nur Maximus sein könne, und er täuschte sich nicht: es war der große Hierophant der Eleusinischen Mysterien, den er mit solcher Ungeduld erwartet hatte.
»Mein Vater,« rief der Cäsar aus, »rette mich! Ich muß den Willen der Götter erfahren. Komm rasch mit mir, alles ist bereit.«
In diesem Augenblick erklang schon ganz nahe am Schloß das betäubende, donnerähnliche Geschrei der Soldaten; die alten Mauern erbebten.
Der Tribun der Schildträger kam totenblaß vor Angst hereingestürzt und rief:
»Ein Aufruhr! Die Soldaten stürmen die Tore!«
Julianus machte eine gebieterische Handbewegung.
»Fürchtet nichts! Später, später! Jetzt soll niemand hereingelassen werden . . .«
Er faßte den Hierophanten bei der Hand und führte ihn die steile Treppe in den finsteren Keller hinunter. Er versperrte hinter sich die schwere, eisenbeschlagene Türe.
Im Keller war alles bereit: Kerzen, deren Flammen sich in der silbernen Statue des Sonnengottes Helios-Mithra spiegelten; zahlreiche Räucherbecken, heilige Gefäße mit Wasser, Wein und Met für die Trankopfer, Mehl und Salz zum Bestreuen der Opfer; Käfige mit den verschiedenen zum Wahrsagen notwendigen Vögeln: Enten, Tauben, Hühnern, Gänsen und einem Adler; ein weißes, gefesseltes Lamm blökte jämmerlich.
»Beeile dich! Schnell!« trieb Julianus den Hierophanten an, ihm ein scharfes Messer reichend.
Der Alte verrichtete in größter Eile die Gebete und Trankopfer. Darauf schlachtete er das Lamm; einen Teil des Fleisches und des Fettes brachte er auf die Kohlen des Altars und begann unter geheimnisvollen Beschwörungen die Eingeweide zu untersuchen; mit geübten Händen nahm er die blutende Leber, das Herz und die Lunge heraus und betrachtete sie von allen Seiten.
»Ein Mächtiger wird gestürzt werden,« sprach der Hierophant, auf das noch warme Herz des Lammes weisend. »Sein Tod wird schrecklich sein . . .«
»Wer? Ich oder er?« fragte Julianus.
»Ich weiß es nicht.«
»Auch du weißt es nicht?«
»Cäsar,« sagte der Alte, »übereile dich nicht. Heute nacht sollst du keinen Entschluß fassen, warte bis zum Morgen: die Vorzeichen sind zweifelhaft und sogar . . .«
Er sprach den Satz nicht zu Ende und nahm das andere Opfer, die Gans, und dann den Adler vor. Von oben tönte das Lärmen der Menge, gleich dem Rauschen einer Überschwemmung. Man hörte Schläge von Beilen an die eisernen Tore. Julianus hörte aber nichts und war ganz in die Betrachtung der blutigen Eingeweide versunken: er hoffte in den Nieren eines geschlachteten Huhnes die Geheimnisse der Götter zu erforschen.
Der alte Priester schüttelte den Kopf und wiederholte:
»Fasse keinen Entschluß: die Götter schweigen.«
»Was hat das zu bedeuten?« rief der Cäsar unwillig. »Es ist doch wirklich nicht die passende Zeit, um zu schweigen! . . .«
Nohodares kam triumphierend herein und sprach:
»Julianus, frohlocke! Diese Nacht wird sich dein Schicksal entscheiden. Beeile dich, wage, sonst wird es zu spät . . .«
Der Magier und der Hierophant warfen einander Blicke zu.
»Sei auf der Hut!« sagte der eleusinische Priester mit finsterer Miene.
»Wage!« sagte Nohodares.
Julianus stand zwischen den beiden und blickte unschlüssig bald den einen, bald den anderen an. Die Gesichter der beiden Auguren waren undurchdringlich; sie waren beide aufeinander eifersüchtig.
»Was soll ich tun? Was soll ich tun?« flüsterte Julianus.
Plötzlich fiel ihm etwas ein und er rief erfreut:
»Wartet: ich habe ein altes sibyllinisches Buch, von den Widersprüchen in den Haruspizien. Wir wollen darin nachschlagen.«
Er lief in die Bibliothek. In einem der Gänge begegnete ihm der Bischof Dorotheus in vollem Ornat, mit dem Kreuz und den Sakramenten in den Händen.
»Was ist das?« fragte Julianus, unwillkürlich zurücktretend.
»Es sind die heiligen Sterbesakramente für deine Frau.«
Dorotheus betrachtete aufmerksam das pytagoreische Gewand, das bleiche Gesicht mit den brennenden Augen und die blutigen Hände des Cäsars.
»Deine Gemahlin,« fuhr der Bischof fort, »wünscht dich vor dem Tode zu sehen.«
»Gut, – doch nicht jetzt . . . Später . . . Ihr Götter! Wieder ein schlimmes Vorzeichen. Dazu noch in einem solchen Augenblick. Alles, was sie nur anstellt, ist zur Unzeit! . . .«
Er kam in die Bibliothek und begann unter den staubigen Pergamentrollen zu suchen. Plötzlich glaubte er eine Stimme zu vernehmen, die ihm ganz deutlich zuflüsterte: »Wage! Wage! Wage!«
»Bist du es, Maximus?« rief Julianus und wendete sich um.
In dem finsteren Zimmer war aber niemand. Er hatte solches Herzklopfen, daß er die Hand an das Herz führen mußte; kalter Schweiß trat ihm auf die Stirne.
»Da ist es nun, was ich erwartet habe!« sagte Julianus vor sich hin. »Das war seine Stimme. Jetzt gehe ich. Es ist besiegelt. Die Würfel sind gefallen!«
Die eisernen Tore stürzten mit betäubendem Krachen ein. Die Soldaten drangen ins Atrium. Er hörte das wilde Geschrei der Menge und das Stampfen unzähliger Füße. Durch die Spalten der Fensterläden drang blutrotes Fackellicht, wie der Widerschein einer Feuersbrunst. Nun durfte er nicht länger zögern. – Julianus warf das weiße pythagoreische Gewand ab, legte seine Rüstung und das kaiserliche Paludamentum an, setzte sich den Helm auf, gürtete das Schwert um und eilte die Haupttreppe zu dem Eingangstor hinauf. Er öffnete das Tor und stand plötzlich mit siegesbewußtem, heiterem Gesicht vor dem Heere.
Alle seine Zweifel waren gewichen: sein Wille war durch diese erste entschlossene Handlung gestärkt; noch nie im Leben hatte er eine solche innere Kraft, Klarheit des Geistes und Nüchternheit gefühlt. Dieses Gefühl teilte sich sofort der Menge mit. Sein bleiches Gesicht schien majestätisch und schrecklich. Er hob die Hand und sofort trat Stille ein.
Er rief den Soldaten zu, sie möchten sich beruhigen, er werde sie nie verlassen und werde es nicht gestatten, daß sie in ein fremdes Land weggeführt würden; er versprach ihnen auch, bei seinem »vielgeliebten Bruder«, dem Kaiser Constantius, dahin zu wirken.
»Nieder mit Constantius!« unterbrachen ihn die Soldaten, einstimmig schreiend. »Nieder mit dem Brudermörder! Du bist unser Kaiser, und wir wollen keinen anderen! Heil dem Unbesiegbaren, dem Julianus Augustus!«
Er heuchelte sehr geschickt Erstaunen, sogar Entsetzen: er schlug die Augen nieder, hob die Hände, als wolle er das frevelhafte Geschenk zurückweisen und sich dagegen wehren. Das Geschrei wurde noch lauter.
»Was tut ihr?« rief Julianus in erheucheltem Entsetzen aus. »Richtet nicht mich und euch selbst zugrunde! Könnt ihr denn wirklich glauben, daß ich den Allerfrömmsten verraten würde? . . .«
»Er ist der Mörder deines Vaters! Der Mörder deines Bruders Gallus!« schrien die Soldaten.
»Schweigt, schweigt!« rief er, erregt mit den Händen winkend, und lief plötzlich der Menge entgegen, »wißt ihr es denn nicht mehr? Vor dem Antlitze des Herrn haben wir ja alle geschworen . . .«
Eine jede seiner Bewegungen war klug berechnet und erheuchelt. Die Soldaten umringten ihn. Er zog sein Schwert aus der Scheide, hob es in die Höhe und richtete es mit der Spitze gegen seine eigene Brust.
»Ihr tapferen Männer! Der Cäsar wird eher sterben, als seinen rechtmäßigen Herrn verraten . . .«
Die Soldaten griffen nach seinen Armen und entrissen ihm mit Gewalt das Schwert. Viele stürzten ihm zu Füßen, umarmten seine Knie und führten ihre bloßen Schwerter gegen die eigene Brust.
»Wir wollen sterben!« schrien sie, »wir sterben für dich!«
Die anderen streckten ihm ihre Arme entgegen und flehten:
»Erbarme dich unser, erbarme dich unser, du bist unser Vater!«
Greise Veteranen knieten vor ihm nieder, griffen nach seinen Händen, um sie zu küssen, legten sich seine Finger in den Mund und ließen ihn die zahnlosen Kiefer betasten; sie sprachen von der unsagbaren Ermüdung und von den ungeheuren Mühen, die sie während ihres langen Dienstes erfahren hatten; viele rissen sich die Kleider vom Leibe und zeigten ihm ihre nackten, alten Körper mit den in zahlreichen Schlachten geholten Wunden, und ihre Rücken mit den schrecklichen Narben, die von Ruten herrührten.
»Erbarme dich unser! Erbarme dich unser! Sei unser Augustus!«
Julianus traten Tränen aufrichtiger Rührung in die Augen: er liebte diese rohen Gesichter, diese ihm wohlbekannte Kasernenluft, diese unbezähmbare Begeisterung, in der er eine große Kraft fühlte. Nach einem besonderen Anzeichen schloß er, daß diese Empörung durchaus ernst zu nehmen sei: die Soldaten schrien nämlich nicht durcheinander, sondern immer einstimmig, wie auf Verabredung, und wenn sie schwiegen, so verstummten alle gleichzeitig, wie auf Kommando; bald hörte er einstimmiges Geschrei, und bald trat plötzliche Stille ein.
Endlich sprach er leise, gleichsam unwillig, als ob er nur der Gewalt weiche:
»Meine geliebten Brüder! Meine Kinder! Ihr seht, ich gehöre euch in Leben und Tod; ich kann euch nichts abschlagen . . .«
»Wir wollen ihn krönen! Bringt das Diadem her!« schrien sie triumphierend.
Es war aber kein Diadem aufzutreiben. Der erfinderische Strombicus schlug vor:
Augustus möchte befehlen, daß man eines der Perlengehänge seiner Gemahlin hole.
Julianus entgegnete darauf, daß ein Frauenschmuck unpassend sei und eine schlimme Vorbedeutung für seinen Regierungsantritt haben könne.
Die Soldaten wollten sich aber nicht beruhigen: sie mußten durchaus auf dem Haupte ihres Auserwählten einen glänzenden Schmuck sehen, um zu glauben, daß er wirklich Kaiser sei.
Ein roher Legionär riß von einem Pferde das kupferne Brustgehänge, die »Phalera«, herunter und machte den Vorschlag, den Augustus damit zu krönen. Dieser Vorschlag fand aber keinen Beifall, denn das Leder roch zu sehr nach Pferdeschweiß.
Alle suchten ungeduldig nach einem andern Schmuck. Der Fahnenträger der Petulanten, der Sarmate Aragarius, reichte dem Cäsar die kupferne Schuppenkette, die er als Abzeichen seines Ranges am Halse trug. Julianus wickelte sich die Kette zweimal um den Kopf: so krönte ihn die Kette zum römischen Kaiser.
»Auf den Schild! Auf den Schild!« schrien die Soldaten.
Aragarius setzte ihm seinen runden Schild vor und hunderte von Armen hoben den Kaiser in die Höhe. Er sah unter sich ein Meer von Helmen und hörte stürmische brausende Rufe:
»Heil dem Augustus Julianus! Heil dem göttlichen Augustus – Divus Augustus!«
Es schien ihm, daß an ihm der Wille des Schicksals in Erfüllung gehe.
Die Fackeln waren erloschen. Im Osten sah man bereits die ersten hellen Streifen. Die plumpen Schloßtürme hoben sich schwarz gegen den Himmel ab. Nur in einem Fenster war noch ein roter Lichtschein zu sehen. Julianus erriet, daß es ein Fenster in jenem Gemache sei, in dem seine Gattin Helena starb.
Als die Erregung der Soldaten sich beim Tagesanbruch etwas gelegt hatte, ging er zu ihr.
Er kam zu spät. Die Tote lag auf ihrem schmalen Mädchenbette. Alle knieten. Ihr Mund war geschlossen, von ihrem trockenen Nonnenleibe wehte ein keuscher, kalter Hauch. – Julianus sah auf dieses blasse, beruhigte Gesicht seiner Frau ohne Gewissensbisse, doch mit schwerer Neugier; er fragte sich: »Warum wollte sie mich noch vor ihrem Tode sehen? Was wollte, was konnte sie mir noch sagen?«