Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nirgends zeigte sich die liebenswürdige Natur und das soziale Empfinden der Taïpis besser als bei ihren großen Fischzügen. Viermal während meines Aufenthaltes im Tal versammelten sich die jungen Männer um die Vollmondzeit und begaben sich zusammen auf den Fischzug. Da sie gewöhnlich etwa achtundvierzig Stunden ausblieben, glaubte ich, daß sie ans offene Meer in einiger Entfernung von der Bucht gingen. Die Polynesier gebrauchen die Angelrute nur selten, sondern verwenden fast immer große feste Netze, die aus den gedrehten Fasern einer bestimmten Baumrinde sehr geschickt geschlungen sind; ich habe mehrere davon untersucht, die am Strand von Nukuhiva zum Trocknen ausgebreitet lagen. Sie glichen ungefähr unseren Schleppnetzen und waren vermutlich ebenso dauerhaft.
Alle Südseeinsulaner essen Fische leidenschaftlich gern, aber vielleicht niemand mehr als die Taïpis. Ich konnte daher nicht begreifen, weshalb sie sie so selten aus ihren Gewässern holten; denn die Fischzüge wurden nur zu bestimmten Zeiten unternommen, und man sah ihnen stets mit nicht geringem Interesse entgegen.
Während der Abwesenheit der Fischer war die ganze Bevölkerung in Aufregung, und überall hörte man nur »Pehih, Pehih« (Fische, Fische). Wenn ihre Rückkehr zu erwarten stand, begann der mündliche Telegraph zu arbeiten: im ganzen Tal kletterten die Eingeborenen auf Felsen und Bäume, jubelnd im Gedanken an das bevorstehende leckere Mahl. Sowie das Nahen der Schar angekündigt wurde, stürzte alles zum Strand; einige blieben jedoch im Tai, um alles für den Empfang der Fische bereitzumachen, die in ungeheuren Blätterpaketen nach den Tabu-Hainen gebracht wurden; jedes dieser Pakete hing an einer Stange, die zwei Männer auf den Schultern trugen.
Bei einer dieser Gelegenheiten war ich im Tai und sah ein höchst interessantes Schauspiel. Als alle Pakete beisammen waren, wurden sie in einer Reihe unter dem Vorplatz des Gebäudes niedergelegt. Die Fische waren alle ganz klein, zumeist von der Größe eines Herings, und spielten in allen Farben. Etwa ein Achtel davon wurde für den Gebrauch des Tais zurückgelegt, der Rest wurde in zahlreiche kleinere Pakete gesondert, die sogleich nach allen Richtungen bis in die entferntesten Teile des Tales verschickt wurden. An ihrem Bestimmungsort angelangt, wurden sie wieder frisch gesondert und gleichmäßig an die einzelnen Häuser jedes Distriktes verteilt. Die Verteilung erfolgte stets in gerechtester Weise, und die Fische standen unter strengem Tabu, bis sie vollzogen war. Durch dieses Vorgehen konnte jeder Mann, jedes Weib und jedes Kind im Tal gleichzeitig sich an dieser Lieblingsspeise erfreuen.
Einmal, erinnere ich mich, kehrten die Fischer um Mitternacht heim, aber auch diese ungewöhnliche Stunde tat der Ungeduld der Leute keinen Abbruch. Man sah die Träger vom Tai nach allen Richtungen durch die Tiefe der Haine eilen; jedem ging ein Junge mit einer brennenden Fackel aus trockenen Kokoszweigen voran; von Zeit zu Zeit, wenn sie ausgebrannt war, wurde neues Holz, das am Wege lag, aufgenommen und angezündet. Das Licht dieser ungeheuren Fackeln, die in die verborgensten Schlupfwinkel des Tales ihren hellen Schein trugen und sich rasch unter dem dunkeln Laubdach fortbewegten, das wilde Schreien der aufgeregten Boten, die die Nachricht von ihrem Kommen brachten und denen andere Rufe von allen Seiten antworteten, der seltsame Anblick ihrer nackten Körper, die sich im Fackelschein von dem finsteren Hintergrund abhoben, all dies hatte eine Wirkung, die ich nicht so bald vergessen werde.
Damals weckte mich Kory-Kory mitten in der Nacht und brachte mir wie in Verzückung mit den Worten »Pehih perni!« (Fische kommen) die Nachricht!
Da ich gerade besonders gut geschlafen hatte, begriff ich nicht, warum er diese wichtige Mitteilung nicht bis zum Morgen verschoben hatte; ich hatte die größte Lust, ihn zu ohrfeigen; aber ich besann mich eines Besseren, stand schweigend auf, trat aus dem Hause und sah mit Überraschung die bewegliche Illumination in den Wäldern.
Als der alte Marheyo seinen Anteil der Beute erhielt, wurden sogleich Vorbereitungen für ein mitternächtliches Bankett getroffen. Kalebassen wurden bis zum Rande mit Poi-Poi gefüllt, grüne Brotfrüchte geröstet und ein mächtiger »Emar«-Kuchen mit einem dünnen Bambussplitter aufgeschnitten und auf ein ungeheures Bananenblatt gelegt. Die Beleuchtung bei der Mahlzeit bestand aus Fackeln, die die jungen Mädchen hielten. Diese Fackeln sind sehr sinnreich gemacht. Es gibt überall im Tal eine Nuß, die die Taïpis »Armor« nennen und die unserer Roßkastanie sehr ähnlich sieht. Man schlägt die Schale auf und nimmt den ganzen Kern heraus. Diese Kerne werden in beliebiger Anzahl an einer langen elastischen Kokosfaser, die aus den Zweigen des Baumes gewonnen wird, aufgereiht. Solche Fackeln sind oft acht bis zehn Fuß lang. Da sie vollkommen biegsam sind, wird das eine Ende zu einem Ring gedreht, an dem man sie festhält, während man sie am anderen Ende anzündet. Die Nuß brennt mit einer flackernden bläulichen Flamme; das Öl, das sie enthält, ist in etwa zehn Minuten verzehrt; so wie die eine niederbrennt, entzündet sich die nächste, die Asche wird in eine Kokosnußschale abgestreift. Man muß diese primitive Kerze stets in der Hand halten und beständig aufpassen. Die Person, die sie hält, erkennt den Zeitablauf an der Zahl der verbrannten Nüsse, die durch Abzählen von Tappastreifen, die in regelmäßigen Zwischenräumen an der Schnur angebracht sind, sich leicht feststellen läßt.
Es tut mir leid, es sagen zu müssen, aber die Bewohner von Taïpi pflegten den Fisch so zu verzehren, wie die zivilisierten Leute einen Rettich essen, nämlich ohne jede weitere Zubereitung. Sie essen sie roh, mit Schuppen, Gräten, Flossen und Eingeweiden. Sie halten den Fisch beim Schwanz fest, stecken den Kopf in den Mund, und das Tier verschwindet mit einer Schnelligkeit, daß man anfangs glaubt, es würde im ganzen verschluckt.
Ja, sie essen Fische roh! Werde ich je den Augenblick vergessen, als ich meine Inselschönheit einen Fisch so verzehren sah? O Fayaweh, wie konntest du dir nur etwas so Schreckliches angewöhnen? Ich muß indessen gestehen, daß, als der erste Schrecken vorbei war, die Sache mir weniger greulich erschien und ich mich bald daran gewöhnte. Es möge auch niemand glauben, daß die entzückende Fayaweh große und ordinäre Fische verschluckte; o nein, mit ihrer schönen kleinen Hand nahm sie ein zartes, kleines, entzückendes, goldfarbenes Fischlein und aß es so elegant und unschuldig, als wäre es feines Biskuit gewesen. »Wer in Rom ist, tue, wie die Römer tun!« In Taïpi machte ich es mir zur Aufgabe, so wie die Taïpis zu tun. Ich aß Poï-Poï; ich ging in der einfachsten Gewandung einher; ich schlief mit ihnen auf dem gemeinsamen Lager; ich tat noch viel anderes, was ihren besonderen Sitten entsprach. Aber das höchste, was ich auf dem Wege der Anpassung erreichte, war, daß ich bei mehreren Gelegenheiten rohe Fische aß. Da sie ungewöhnlich zart und ganz klein waren, so fand ich die Sache gar nicht so unangenehm, ja, ich begann mit der Zeit daran Geschmack zu finden; allerdings unterzog ich die Fische vor dem Essen einer kleinen Operation mit meinem Messer.