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Mit all diesen für uns so neuartigen Ereignissen war unmerklich eine Woche vergangen. Aus irgendeinem geheimnisvollen Grunde wurden die Eingeborenen mit jedem Tag aufmerksamer und dienstfertiger. Wir konnten uns ihr Benehmen gar nicht erklären. Jedenfalls dachte ich, können sie nichts Böses im Schilde führen, aber wozu dieses Übermaß von ehrerbietiger Güte? Was konnten sie von uns dafür erwarten? Es war ein Rätsel. Aber, obwohl ich gewisse Befürchtungen nicht völlig los wurde, der schreckliche Ruf, in dem diese Taïpis standen, schien gänzlich unverdient.
»Sie sind dennoch Menschenfresser!« sagte Toby, als ich den Stamm pries.
»Zugegeben,« erwiderte ich, »aber eine menschlichere, anständigere und freundlichere Gattung solcher Feinschmecker dürfte es im ganzen Stillen Ozean nicht geben.«
Aber obwohl wir so freundlich behandelt wurden, kannte ich die launische Natur der Wilden doch zu gut, und ich wünschte sehr, das Tal zu verlassen. Unter all dem lächelnden Schein konnte immer noch ein schrecklicher Tod drohen. Freilich konnte ich an kein Fortkommen denken, solange ich gelähmt war. Denn trotz all der Kräuter der Eingeborenen wurde das Übel immer schlimmer. Ihre milde Behandlung stillte den Schmerz, aber das Bein blieb lahm, und ich fürchtete, wenn ich nicht bald ärztliche Hilfe fände, daß es ein langes und schweres Leiden werden könnte.
Aber woher sie bekommen? Ich dachte an die Wundärzte der französischen Flotte, die vermutlich noch in der Bucht von Nukuhiva lag; aber wie sollte ich sie von meinem Fall verständigen? In meiner Not schlug ich Toby vor, er sollte versuchen, nach Nukuhiva zu gelangen, und wenn er nicht zu Wasser in einem Boot des Geschwaders nach dem Tal zurückkehren und mich mitnehmen könnte, konnte er mir vielleicht wenigstens geeignete Heilmittel mitbringen und zu Lande wiederkommen.
Mein Gefährte hörte mich schweigend an; die Sache schien ihm anfangs nicht zu gefallen. Auch er war ungeduldig, wegzukommen und wünschte die hohe Gunst, in der wir zur Zeit bei den Eingeborenen standen, zu benützen, um uns einen guten Abgang zu schaffen, ehe in ihrem Verhalten etwa ein plötzlicher Umschlag eintrat. Da er mich nicht in meinem hilflosen Zustand verlassen wollte, beschwor er mich, guten Muts zu sein, es würde mir sicher bald besser gehen und ich würde in wenigen Tagen mit ihm nach Nukuhiva aufbrechen können. Zudem war ihm der Gedanke, nochmals in das gefährliche Tal zurückzukehren, unerträglich, und meine Hoffnung, daß die Franzosen sich dazu bewegen lassen würden, ein bemanntes Boot herzuschicken, um mich aus den Händen der Taïpis zu befreien, hielt er für müßig. Er machte geltend, daß sie schwerlich den Stamm reizen würden, nachdem sie bisher die Bucht gemieden hätten, nur um die Befürchtungen der Taïpis zu beruhigen. »Und wenn sie selbst einwilligten,« sagte Toby, »würde das in dem Tal solch eine Aufregung hervorrufen, daß die Wilden uns leicht dabei umbringen könnten.« Darauf wußte ich nichts zu erwidern; aber ich meinte, daß wenigstens ein Teil meines Planes ausführbar wäre, und er willigte schließlich ein.
Als es uns gelang, den Eingeborenen unsere Absicht begreiflich zu machen, erhoben sie den heftigsten Widerspruch. Der bloße Gedanke, daß einer von uns sie verlassen könnte, betrübte sie aufs lebhafteste. Kory-Kory war vollkommen konsterniert; eine wahre Flut von Gesten sollte uns begreiflich machen, nicht nur, wie sehr er Nukuhiva und dessen barbarische Bewohner verabscheute, sondern auch wie erstaunt er war, daß wir, nachdem wir die herrlichen Taïpis kennengelernt, auch nur den leisesten Wunsch hegen könnten, ihre Gesellschaft, und wenn auch nur zeitweise, aufzugeben.
Ich aber wies auf mein lahmes Bein und versicherte, daß es rasch geheilt werden könnte, wenn Toby nur die geeigneten Mittel brächte. So wurde denn schließlich abgemacht, daß er, von ein oder zwei Bewohnern des Hauses begleitet, aufbrechen sollte, sie wollten ihm einen bequemen Weg zeigen, auf dem er die Bucht vor Sonnenuntergang erreichen könnte.
Bei Tagesanbruch am nächsten Morgen war alles im Hause in Bewegung. Einer der jungen Männer stieg auf einen Kokosnußbaum und warf Früchte herunter, denen der alte Marheyo rasch die grünen Zotten abzog und sie dann an einer kurzen Stange zusammenband. Sie sollten Toby auf dem Weg zur Erfrischung dienen.
Als alles bereit war, verabschiedete ich mich von ihm in nicht geringer Bewegung. Er versprach, spätestens in drei Tagen zurück zu sein, hieß mich in der Zwischenzeit guten Mutes bleiben, und von dem ehrwürdigen Marheyo geführt, verschwand er um die Ecke des Pai-Pais. Ich war sehr niedergeschlagen, kehrte ins Haus zurück und warf mich in fast verzweifelter Stimmung auf die Matten nieder, die den Fußboden bedeckten.
Zwei Stunden später kehrte der alte Krieger zurück und gab mir zu verstehen, daß er meinen Freund ein kleines Stück begleitet, dann ihm den Weg gezeigt und ihn verlassen hätte.
Es war am selben Tage gegen Mittag, zu einer Zeit, in der diese Leute gewöhnlich schlafen; ich lag wach im Hause, die anderen lagen schlummernd umher; das seltsame Schweigen um mich bedrückte mich, als ich plötzlich einen schwachen Ruf zu hören glaubte, der aus den Tiefen des Haines, der vor dem Hause lag, zu kommen schien.
Die Töne wurden lauter und kamen näher, und jetzt hallte das ganze Tal von wildem Geschrei. Die Schläfer um mich sprangen auf und eilten hinaus, um den Grund zu entdecken. Kory-Kory, der der erste gewesen war, kehrte atemlos und beinahe verrückt vor Aufregung wieder. Alles, was ich verstehen konnte, war, daß Toby etwas geschehen war. In schrecklicher Angst stürzte ich aus dem Hause und sah eine wildbewegte Menge, die unter Schreien und Klagen aus dem Hain hervorkam und irgend etwas trug, dessen Anblick sie mit solcher Trauer erfüllte. Als sie näher kamen, verdoppelten sich die Rufe der Männer, während die Mädchen, ihre bloßen Arme in die Luft schwingend, klagend riefen: »Awah, Awah! Toby möckih moih!« »Wehe, wehe! Toby ist tot!«
Die Menge teilte sich, und ich sah den leblosen Körper meines Freundes von zwei Männern getragen; sein Haupt hing schwer über die Brust des Vordermannes. Gesicht, Hals und Brust waren mit Blut bedeckt, das noch immer langsam aus einer Wunde hinter der Schläfe herabtropfte. Unter Aufruhr und Verwirrung wurde der Körper ins Haus getragen und auf eine Matte gelegt. Ich machte den Eingeborenen Zeichen, zurückzutreten und uns Raum und Luft zu lassen, dann beugte ich mich eifrig über Toby, legte die Hand auf seine Brust und fühlte, daß das Herz noch schlug. Überglücklich griff ich nach einer Kalebasse mit Wasser, schüttete sie ihm über das Gesicht, dann wischte ich das Blut weg und untersuchte ängstlich die Wunde. Sie war etwa drei Zoll lang, und als ich das verklebte Haar entfernt hatte, sah ich, daß der Schädel völlig bloßgelegt war. Mit meinem Messer schnitt ich die schweren Locken ab und wusch die Wunde wiederholt mit Wasser.
Nach wenigen Augenblicken kam Toby zu sich, öffnete die Augen, schloß sie aber sogleich wieder, ohne zu sprechen. Kory-Kory, der neben mir kniete, rieb seine Glieder sanft mit den flachen Händen; ein junges Mädchen, das ihm zu Häupten saß, fächelte ihm Luft zu, während ich fortfuhr, Lippen und Stirn zu befeuchten; bald zeigte mein armer Freund Lebenszeichen, und es gelang mir, ihm aus einer Kokosnußschale etwas Wasser einzuflößen.
Jetzt erschien die alte Teinor, sie hatte Heilkräuter in der Hand, die sie inzwischen gesammelt hatte, und bedeutete mir durch Zeichen, daß ich den Saft ausdrücken und in die Wunde träufeln sollte. Dies tat ich und hielt es dann fürs beste, Toby ungestört zu lassen, bis er von selbst wieder zu sich käme. Mehrmals öffnete er die Lippen, aber ich hieß ihn schweigen. Nach zwei oder drei Stunden richtete er sich auf und war genug erholt, um mir zu erzählen, was geschehen war.
»Wir gingen quer durch das Tal«, sagte er, »und erstiegen die gegenüberliegenden Höhen. Gleich hinter ihnen, sagte mir mein Führer, begann das Tal von Happar; über ihren Kamm, um das Talende herum ginge der Weg nach Nukuhiva. Marheyo begleitete mich nur ein kleines Stück die Höhe hinauf, dann blieb er stehen und bedeutete mir, daß er mich nicht weiter begleiten könnte; seine Gebärden sagten, daß er dem feindlichen Gebiet sich weiter zu nähern fürchtete. Er zeigte mir den Pfad, der deutlich vor mir lag, sagte mir Lebewohl und stieg rasch hinunter.
Ganz froh, so nahe bei den Happars zu sein, eilte ich aufwärts und erreichte bald die Höhe. Sie verlief in einem scharfen Grat, von dem ich die beiden feindlichen Täler überschauen konnte. Hier setzte ich mich nieder, ruhte eine Weile und labte mich an den mitgebrachten Kokosnüssen. Ich setzte meinen Weg über den Kamm fort, als ich plötzlich drei Eingeborene, die offenbar gerade aus dem Tal von Happar gekommen sein mußten, in einiger Entfernung vor mir auf dem Wege stehen sah. Sie waren jeder mit einem schweren Spieß bewaffnet; einen hielt ich seinem Aussehen nach für einen Häuptling. Sie riefen etwas, das ich nicht verstehen konnte, und winkten mir, heranzukommen.
Ohne Zögern schritt ich auf sie zu und war noch zwei Schritte von dem vordersten entfernt, als dieser zornig ins Taïpi-Tal wies, einen wilden Ruf ausstieß, mit seiner Waffe blitzartig ausholte und mich zu Boden schlug. Ich verlor die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, sah ich die drei Insulaner eine kleine Strecke von mir entfernt stehen; sie schienen einen heftigen Streit zu haben, der mich betraf. Mein erster Gedanke war Flucht; aber da ich aufzustehen versuchte, fiel ich wieder um und rollte einen kleinen grasigen und steilen Abhang hinunter. Der Sturz schien mich zu mir zu bringen, ich sprang auf und floh den Weg hinab, den ich gekommen war. Ich brauchte mich nicht umzusehen, aus dem Brüllen hinter mir wußte ich, daß die Feinde mich verfolgten. Das Blut lief mir über die Augen und machte mich fast blind, aber von dem wilden, fürchterlichen Geschrei hinter mir gejagt, floh ich wie der Wind den Abhang hinunter. Ich hatte nahezu ein Drittel der Entfernung zurückgelegt, die Wilden schrien nicht mehr, aber plötzlich ertönte ein fürchterliches Geheul, gleichzeitig flog ein schwerer Wurfspeer an mir vorbei und blieb zitternd in einem Baumstamm neben mir stecken. Ein zweiter Wutschrei folgte, und ein zweiter und ein dritter Spieß flogen an mir vorbei und fuhren ein paar Schritte vor mir schräg in die Erde. Die Kerle brüllten vor Wut und Enttäuschung, wagten sich aber wohl nicht tiefer ins Tal von Taïpi hinab und gaben die Verfolgung auf. Ich sah sie ihre Waffen aufnehmen und umkehren, während ich so schnell als möglich weiter eilte.
Was diesen wilden Angriff von Seiten der Happars veranlaßt hatte, ahne ich nicht, es wäre denn, daß sie mich mit Marheyo hatten hinaufsteigen sehen, und daß die bloße Tatsache, daß ich aus dem Taïpi-Tal kam, genügte, sie dermaßen in Wut zu bringen.
Solange ich in Gefahr war, fühlte ich meine Wunde kaum, aber als die Jagd vorüber war, wurde sie mir beschwerlich. Ich hatte meinen Hut verloren und die Sonne brannte mir auf den Kopf. Eine Schwäche befiel mich, und mir wurde schwindlig; ich wankte fort, so gut ich es vermochte, und als ich den Talboden erreichte, sank ich zu Boden. Von da an weiß ich nichts mehr, bis ich auf den Matten hier liegend erwachte und dich mit der Kalebasse über mich gebückt sah.«
Dies war Tobys Bericht von dem traurigen Vorfall. Ich hörte später, daß an der Stelle, wo er umgesunken war, die Eingeborenen Brennholz zu holen pflegten. Ein Trupp von ihnen hatte ihn fallen sehen und ihn unter lauten Rufen aufgehoben; sie hatten vergeblich versucht, ihn am Bach zu sich zu bringen und waren dann mit ihm nach Hause geeilt.
Dieser Vorfall trübte unsere Hoffnungen. Wir waren von feindlichen Stämmen umschlossen und konnten ihr Gebiet nicht durchschreiten, ohne ihren Groll zu spüren. So schien uns kein Weg zur Flucht zu bleiben als übers Meer, das das untere Ende des Tales umspülte.
Unsere Taïpi-Freunde nützten Tobys Unfall, um uns begreiflich zu machen, wie gut wir es bei ihnen hatten, und sie verglichen ihre freundliche Aufnahme mit der Bosheit des Nachbarvolkes. Sie betonten die kannibalischen Neigungen der Happars, denn sie wußten, welche Wirkung dies auf uns machte, während sie ihrerseits derartig scheußliche Sitten in Abrede stellten. Sie wiesen uns endlich die Lieblichkeit ihres Tales, die verschwenderische Fülle, mit der es alle Früchte hervorbrachte, und priesen es vor allen anderen Tälern der Insel. Insbesondere Kory-Kory suchte uns richtige Ansichten hierüber beizubringen; wir hatten uns einige wenige Worte der Taïpi-Sprache angeeignet, und um uns das Verständnis zu erleichtern, faßte er sich so kurz wie möglich.
»Happar kikihno nui,« rief er, »nui, nui, kai-kai kannaka! – ah! ohle mortarkih!« Das hieß: »Schreckliche Burschen, diese Happars – fressen eine erstaunliche Menge Menschen! Ah! schrecklich böse!« Dazu machte er eine Fülle von Gebärden, stürzte mitten im Reden aus dem Hause und zeigte mit deutlichem Abscheu nach dem anderen Tal; dann eilte er wieder ins Haus, damit wir nur ja kein Wort von dem, was er uns sagen wollte, verlören; zuletzt faßte er den fleischigsten Teil meines Arms mit den Zähnen, um mir klarzumachen, daß die Leute da drüben nichts sehnlicher wünschten, als so mit mir zu verfahren.
Als er sicher war, uns darüber völlig aufgeklärt zu haben, ging er zum zweiten Teil des Gegenstandes über: »Ah! Taïpi mi arkih! Nui, nui, meiori – nui, nui wai nui, nui poï-poï – nui, nui koku – ah! Nui, nui kai-kai – ah! Nui, nui, nui!« Das hieß frei übersetzt: »Ah, Taïpi! Das ist ein schönes Land! Hier kann man nicht verhungern, sag' ich dir! Viel Brotfrucht, viel Wasser, viel Pudding, ah, alles viel, viel, viel, viel!« All dies von nicht mißzuverstehenden Zeichen und Gebärden begleitet.
Und genau wie die Redner in kultivierteren Ländern, verlor sich auch Kory-Kory im weiteren Verlauf seiner Rede auf andere Gebiete, vermutlich erging er sich in moralischen Betrachtungen, die sich aus den früheren ergaben, und schwatzte fort, bis ich tatsächlich Kopfschmerzen hatte.