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Unser erster Gedanke galt den Früchten, die nun in erreichbarer Nähe wachsen mußten, und wie wir an sie herangelangen könnten.
Taïpi oder Happar, das war die zweite Frage. Ein schrecklicher Tod unter den Händen grausamer Kannibalen oder ein freundlicher Empfang durch einen wilden Stamm von menschlichen Sitten. Was stand uns bevor? Die Antwort mußte sich bald von selbst ergeben. Der Teil des Tales, in dem wir uns befanden, schien vollkommen unbewohnt. Ein fast undurchdringliches Dickicht bedeckte seine ganze Breite, und nicht eine Pflanze, die uns die ersehnte Nahrung geboten hätte, zeigte sich darin. Wir folgten dem Lauf des Wassers und warfen dabei rasche spähende Blicke in die Dschungeln zu beiden Seiten.
Auf Tobys Drängen hatte ich nachgegeben und war mit ihm in das Tal herabgestiegen; jetzt, da es geschehen war, begann er eine Vorsicht zu zeigen, die ich nicht erwartet hatte. Er schlug vor, daß wir, wenn wir nur genug eßbare Früchte fänden, in dem unbewohnten Teil des Tales bleiben sollten. Wir würden hier schwerlich von den Eingeborenen überrascht werden und könnten dann, sobald wir uns genug gestärkt fühlten und einen hinreichenden Reisevorrat gesammelt hätten, leicht nach Nukuhiva zurückgelangen; wir mußten nur so viel Zeit vergehen lassen, daß das Schiff unbedingt die Bucht verlassen haben mußte.
Gegen diesen Vorschlag erhob ich lebhaften Widerspruch: wir kannten die Gegend nicht, die Schwierigkeiten mußten unüberwindlich sein, ich erinnerte ihn an das, was wir bereits durchgemacht hatten, und meinte, wenn wir das Tal einmal betreten hatten, müßten wir auch die Folgen auf uns nehmen, um so mehr als ich überzeugt war, daß wir keine Wahl hatten. Jetzt hieß es, die Eingeborenen zu finden und zu sehen, wie sie uns aufnehmen würden. Mein Bedürfnis nach Ruhe und Pflege war so groß, daß ich mich zu weiteren Mühen und Entbehrungen ganz unfähig fühlte. Widerstrebend gab Toby nach.
Wir waren schon ziemlich weit ins Tal hineingekommen und hatten immer noch das gleiche undurchdringliche Dickicht zu beiden Seiten; ich kam schließlich auf den Gedanken, daß es vielleicht nur den Fluß entlang wuchs und in einiger Entfernung von seinen Ufern freier Boden sein mochte; ich bat Toby daher, nach der einen Seite auszuschauen, während ich auf der anderen nach irgendeiner offenen Stelle in dem Buschwerk spähte. Wir mußten doch endlich an einen Weg kommen, und vorsichtig achteten wir auf irgendwelche Zeichen, die die Nähe der Einwohner verraten konnten. Mit ängstlichen Blicken in den Schatten, der uns umgab, und mit großer Vorsicht schritten wir weiter; in jedem Augenblick konnte uns der Wurfspeer eines im Hinterhalt liegenden Wilden treffen. Zuletzt blieb Toby stehen und wies auf eine schmale Öffnung im Gebüsch. Wir drängten uns hindurch und gelangten bald auf einem, wenn auch undeutlich ausgetretenen Pfad durch das Dickicht zu einer verhältnismäßig freieren Stelle, an deren entgegengesetztem Rande wir Bäume sahen, die von den Eingeborenen »Anuih« genannt werden und die herrliche Früchte tragen.
Wie wir nach ihnen rannten! Das heißt, ich humpelte über den Boden wie ein alter Krüppel, während Toby wie ein Windhund über die Lichtung schoß. Im nächsten Augenblick hatte er zwei oder drei der Früchte von einem der Bäume geholt, aber zu unserem Kummer war nicht viel daran; die Schale war zum Teil von Vögeln aufgerissen und das Fleisch halb verzehrt, der Rest angefault. Aber was noch da war, hatten wir rasch vertilgt, und es schmeckte uns wie Himmelsspeise.
Der Pfad, dem wir bisher gefolgt waren, schien sich in der Lichtung zu verlieren, und wir standen, ungewiß, wohin wir uns wenden sollten. Wir beschlossen endlich, einen nahen Hain zu durchschreiten, aber wir hatten noch keine fünfzig Schritte zurückgelegt, als ich an seinem Rande einen noch völlig grünen Schößling eines Brotfruchtbaums von der Erde aufhob, von dem die zarte Rinde frisch abgezogen war. Er war noch ganz feucht vom Saft und sah aus, als hätte ihn eben jemand weggeworfen. Wortlos zeigte ich ihn Toby, der eine Bewegung der Überraschung machte, denn das bewies, daß die Wilden ganz nahe sein mußten.
Richtig fanden wir in geringer Entfernung ein ganzes Bündel der gleichen Schößlinge, die mit einem Rindenstreifen zusammengebunden waren. Hatte sie ein einsamer Wilder weggeworfen, der, über unseren Anblick erschrocken, davongeeilt war, um seinen Landsleuten die Nachricht zu bringen? Und war es ein Taïpi oder einer von Happar? Zum Umkehren war es in jedem Fall zu spät, wir gingen daher langsam weiter, mein Freund voran, mit vorsichtigen Blicken durch die Bäume spähend, als ich ihn plötzlich wie von einer Natter gestochen zurückfahren sah. Er ließ sich auf ein Knie nieder, winkte mir mit der einen Hand, zurückzubleiben, während er mit der anderen die Blätter zur Seite schob und scharf ausblickte. Ohne seine Warnung zu beachten, kam ich sogleich heran und sah zwei Gestalten, die zum Teil durch das dichte Laub verborgen waren; sie standen dicht nebeneinander und waren völlig regungslos. Offenbar hatten sie uns bereits vorher gesehen und sich in die Tiefe des Waldes geflüchtet, um nicht von uns bemerkt zu werden.
Ich war sogleich entschlossen, ließ meinen Stock fallen, riß unser Bündel auf, entrollte das Baumwolltuch, das wir vom Schiff mitgebracht hatten, hielt es in einer Hand hoch, während ich mit der anderen einen Zweig vom nächsten Busch brach, hieß Toby meinem Beispiel folgen und brach durch das Dickicht, und näherte mich, den Zweig als Friedenszeichen hin und her bewegend, den beiden offenbar scheuen und erschrockenen Gestalten vor mir. Es waren ein halbwüchsiger Knabe und ein Mädchen, beide schlank und anmutig und bis auf einen schmalen Rindengürtel, von dem vorn und rückwärts je ein rötliches Blatt des Brotfruchtbaumes hing, völlig nackt. Der eine Arm des Knaben war, von ihren wilden Haarflechten halb verhüllt, um den Hals des Mädchens gelegt, während er in der anderen Hand die ihre hielt; so standen sie nebeneinander, die Köpfe vorgebeugt, auf das schwache Geräusch lauschend, das wir beim Gehen machten, den einen Fuß vorgestreckt, wie bereit zur Flucht.
Wie wir näher kamen, wuchs ihre Besorgnis sichtlich. Da ich fürchtete, daß sie entfliehen könnten, blieb ich stehen und machte ihnen ein Zeichen, heranzukommen und die Gabe, die ich ihnen mit ausgestrecktem Arm bot, in Empfang zu nehmen; aber sie wollten nicht.
Ich versuchte es mit den wenigen Worten ihrer Sprache, die ich kannte; nicht, daß ich erwartete, daß sie mich verstehen würden, aber um ihnen doch zu zeigen, daß wir nicht vom Himmel heruntergefallen waren. Dies schien ihnen etwas Zutrauen zu geben; ich schritt daher näher, immer den Stoff in der einen Hand und den Zweig in der anderen, und sie zogen sich ebenso langsam zurück. Endlich ließen sie uns doch so nahe kommen, daß wir ihnen den Stoff um die Schultern werfen konnten. Dabei bemühte ich mich, ihnen verständlich zu machen, daß der Stoff ihnen gehörte, und suchte ihnen außerdem durch alle möglichen Gebärden begreiflich zu machen, daß wir Gefühle der wärmsten Freundschaft für sie hegten.
Das erschrockene Paar stand nun still, während wir ihnen klarzumachen versuchten, was wir brauchten und wollten. Insbesondere Toby vollbrachte die erstaunlichste Pantomime; er öffnete seinen Mund soweit als möglich, steckte die Finger hinein, fletschte die Zähne und rollte die Augen, bis ich zu befürchten begann, daß die armen Geschöpfe uns für ein paar weiße Kannibalen halten mußten, die sie zur Mahlzeit verzehren wollten. Als sie uns endlich verstanden, machten sie keine Miene, uns zu helfen. In diesem Augenblick begann es wieder heftig zu regnen, und wir machten ihnen mit Gebärden klar, daß sie uns irgendwohin führen sollten, wo wir Schutz finden könnten. Dazu schienen sie geneigt, aber wie sehr sie uns noch immer fürchteten, ging daraus hervor, daß sie zwar vorausgingen, aber die Augen stets nach rückwärts und auf uns gerichtet hielten, um jede unserer Bewegungen zu beobachten.
»Taïpi oder Happar, Toby?« fragte ich, während wir hinter ihnen hergingen.
»Natürlich Happar«, erwiderte er mit einer Sicherheit, die seine Zweifel verbergen sollte.
»Wir werden es gleich wissen«, rief ich; gleichzeitig trat ich auf unsere Führer zu, sprach die beiden Namen; fragend aus und zeigte dabei ins Tal hinab. Aber sie wiederholten die Worte jedesmal, wenn ich sie aussprach, ohne eines besonders zu betonen, so daß ich keine Ahnung hatte, was sie dabei dachten. Erst nachher erkannten wir, daß wir zwei schlaueren und vorsichtigeren Geschöpfen kaum hätten begegnen können. Ich aber, gespannt zu wissen, welches Schicksal vor uns lag, stellte nun die Worte »Happar« und »Mortarkih« in einer Frage zusammen. »Mortarkih« heißt »gut«. Die beiden Eingeborenen wechselten rasche bedeutsame Blicke und zeigten kein geringes Erstaunen; da ich die Frage wiederholte, berieten sie kurz miteinander, und zu Tobys großer Freude gaben sie eine deutlich bejahende Antwort. Toby geriet in Ekstase, um so mehr, als die Wilden ihre Antwort energisch wiederholten, als wollten sie uns völlig klarmachen, daß wir unter den Happars uns in völliger Sicherheit befanden.
Obschon ich immer noch leise Zweifel hegte, stellte ich mich wie Toby höchst entzückt von ihrer Mitteilung, während er wieder durch eine ganze Pantomime seinen Abscheu vor den Taïpis und seine unermeßliche Liebe für das Tal, in dem wir uns befanden, kundgab; und die ganze Zeit sahen unsere Führer einander ungewiß an, als wüßten sie nicht, wie sie unser Verhalten deuten sollten. Dabei eilten sie weiter, und wir folgten ihnen, bis sie plötzlich einen seltsamen Ruf ausstießen, der von jenseits des Wäldchens erwidert wurde; im nächsten Augenblick standen wir auf offenem Grund, an dessen Ende wir eine lange niedrige Hütte und vor ihr mehrere junge Mädchen erblickten. Sobald sie uns sahen, flohen sie mit wildem Aufschreien in das nahe Dickicht gleich aufgescheuchten jungen Rehen. Wenige Augenblicke später widerhallte das ganze Tal von wildem Geschrei, und die Eingeborenen kamen von allen Seiten auf uns zu gelaufen.
Wäre eine feindliche Armee in ihr Gebiet eingebrochen, sie hätten keine größere Aufregung zeigen können. Bald waren wir von einer dichten Menge umgeben, die in ihrem Eifer, uns zu betrachten, uns beinahe den Weg versperrte. Eine gleiche Zahl umringte unsere jugendlichen Führer, die jetzt mit unglaublicher Gesprächigkeit alle Einzelheiten der Begegnung zu schildern schienen, und jedes Wort, das sie sprachen, schien das Erstaunen der Eingeborenen zu vermehren, und sie warfen forschende Blicke auf uns.
Wir kamen schließlich zu einem großen und stattlichen Gebäude aus Bambusrohr; man gab uns durch Zeichen zu verstehen, daß wir eintreten sollten, und die Eingeborenen öffneten eine Gasse für uns. Sowie wir drin waren, ließen wir uns, erschöpft wie wir waren, auf die geflochtenen Matten fallen, die den Boden bedeckten. Im nächsten Augenblick war der Raum dicht von Menschen erfüllt, und die, die nicht mehr herein konnten, betrachteten uns durch die Öffnungen im Rohrgeflecht der Wände.
Es war bereits Abend, und bei dem trüben Licht konnten wir gerade noch die wilden Gesichter unterscheiden, die von heftiger Neugier und Erstaunen glühten, sowie die nackten Gestalten und tätowierten Glieder kraftvoller Krieger; da und dort die schlankeren Gestalten junger Mädchen; alle aber redeten zugleich mit stürmischer Heftigkeit, natürlich über uns, während die beiden jungen Leute, die uns geführt hatten, die unzähligen Fragen kaum beantworten konnten, die an sie gerichtet wurden. Man kann sich das heftige Gebärdenspiel dieser Menschen, wenn sie einmal in lebhaftes Reden kommen, nicht vorstellen; sie schrien und tanzten dabei umher in einer Art, die uns fast mit Furcht erfüllte.
Nicht weit von uns saßen, die Beine gekreuzt, etwa acht oder zehn Männer von vornehmem Aussehen, Häuptlinge, wie sich bald herausstellte, die, beherrschter als die anderen, uns ernst und aufmerksam betrachteten; und dies beunruhigte uns noch mehr. Insbesondere einer, der im Range der Höchste schien, stellte sich gerade vor mich hin und sah mich mit einer so finsteren Strenge an, daß ich seinen Blick nicht ertragen konnte. Er sprach kein Wort, wendete sein Gesicht nicht ab, sondern fuhr fort, mich mit dem gleichen Ernst zu betrachten. Nie noch hatte jemand mich mit so sonderbaren und starren Blicken angesehen, die nichts von dem verrieten, was in der Seele des Wilden vorging, während er in der meinen zu lesen schien. Ich wurde zuletzt geradezu nervös davon, und um ihn irgendwie abzulenken und mir zugleich das Wohlwollen des Kriegers zu verschaffen, holte ich ein Päckchen Tabak hervor und bot es ihm an. Ruhig wies er das Geschenk zurück und bedeutete mir, daß ich es wieder an seinen Platz tun sollte.
Bei meinem früheren Verkehr mit den Leuten von Nukuhiva und von Teinor hatte ich stets gefunden, daß für ein kleines Stück Tabak jedermann sich zu allen gewünschten Diensten bereit fand. War das Verhalten des Häuptlings ein Zeichen von Feindschaft? Waren es nun Taïpi oder Happar?, fragte ich mich und fuhr empor, denn im selben Augenblick stellte das fremdartige Geschöpf vor mir die gleiche Frage. Ich sah mich nach Toby um; und beim Flackerlicht der Fackel, die ein Eingeborener trug, sah ich ihn bei dieser verhängnisvollen Frage erbleichen. Ich zögerte eine Sekunde und sagte: »Taïpi«. Was mich dazu trieb, weiß ich nicht. Das düstere Standbild vor mir nickte beifällig und murmelte; »Mortarkih?« »Mortarkih!« sagte ich ohne weiteres Zögern, »Taïpi mortarkih!«
Das war eine Veränderung! Die dunkeln Gestalten um uns sprangen auf, klatschten entzückt in die Hände und schrien immer wieder die gleichen Silben, die wie ein Talisman alle Schwierigkeiten gelöst und beendet zu haben schienen.
Als die Erregung ein wenig nachgelassen hatte, ließ sich der Oberhäuptling noch einmal vor mir nieder und hielt, plötzlich in Wut geratend, eine Philippika, die sich wie ich der häufigen Wiederholung des Wortes Happar entnehmen konnte, gegen die Bewohner des Nachbartals richtete. Mein Genosse und ich stimmten ihm durchaus zu, während wir den Charakter der kriegerischen Taïpi priesen. Zwar war unser Lob lakonisch: wir wiederholten den Namen und fügten das bedeutungsschwere Wort »Mortarkih« hinzu. Aber das genügte durchaus; unsere Übereinstimmung in diesem Punkt schien mehr als alles andere geeignet, uns das Volk freundlich zu stimmen.
Endlich war die Wut des Häuptlings verraucht, und er wurde gelassen wie zuvor. Er legte die Hand auf die Brust und gab mir zu verstehen, daß sein Name »Mehivi« sei und daß er den meinen zu wissen wünschte. Ich zögerte einen Augenblick, da mein wirklicher Name für ihn schwer auszusprechen sein mußte, und bedeutete ihm in der besten Absicht, daß ich »Tom« hieße. Aber ich hätte keine verfehltere Wahl treffen können. Der Häuptling vermochte es nicht zu sprechen; »Tommo«, »Tomma«, »Tommi« sagte er, nur »Tom« ging nicht. Da ich sah, daß eine zweite Silbe nötig war, einigten wir uns auf »Tommo«; und so hieß ich während der ganzen Zeit, die ich mich im Tale aufhielt. Dann kam die Reihe an Toby, dessen wohlklingender Name leichter erfaßt wurde.
Der Austausch der Namen ist für diese einfach denkenden Menschen mit einer Erklärung der Freundschaft und des gegenseitigen Wohlwollens gleichbedeutend; da wir dies wußten, waren wir darüber höchst erfreut.
Auf unseren Matten ruhend, hielten wir nun eine Art Empfang ab; ein Trupp von Eingeborenen nach dem anderen kam herein; sie stellten sich vor, indem sie ihre Namen nannten, und zogen sich höchst vergnügt zurück, nachdem wir ihnen die unseren genannt hatten. Das ganze Zeremoniell schien sie aufs äußerste zu belustigen, jede neue Vorstellung von Seiten der Insulaner rief einen neuen Ausbruch von Heiterkeit hervor, so daß ich vermutete, daß wenigstens einige von ihnen die Gesellschaft harmlos auf unsere Kosten unterhielten, indem sie sich die unsinnigsten Titel beilegten, deren Bedeutung wir natürlich in keiner Weise verstanden.
All dies dauerte etwa eine Stunde; sowie das Gedränge ein wenig nachließ, wendete ich mich an Mehivi und gab ihm zu verstehen, daß wir dringend der Nahrung und des Schlafs bedurften. Der aufmerksame Häuptling sprach sogleich einige Worte zu einem der Anwesenden, der verschwand und wenige Augenblicke später mit einer Kalebasse voll »Poï-Poï« und zwei oder drei Kokosnüssen zurückkam, deren zottige Hülle entfernt und aus deren Schale ein Stück ausgebrochen war. Wir setzten diese natürlichen Becher an den Mund und leerten den erfrischenden Trank auf einen Zug. Dann wurde das Poï-Poï uns vorgesetzt, aber so ausgehungert ich war, wußte ich doch nicht, wie ich es essen sollte. Es ist eines der Hauptnahrungsmittel auf den Marquesas und wird aus der Brotfrucht bereitet. In seiner Konsistenz erinnert es an Buchbinderkleister, es ist gelb und der Geschmack ein wenig herb. Schließlich tauchte ich einfach die Hand in die weiche Masse, und zur stürmischen Heiterkeit der Eingeborenen zog ich sie zwar gefüllt mit Poï-Poï zurück, aber außerdem zog ich den Brei an jedem Finger in langen Fäden nach. So zäh war die Masse, daß ich beinahe die Schüssel mit in die Höhe hob. Toby ging es nicht besser, und unsere Ungeschicklichkeit erregte endloses Gelächter.
Sowie sie sich ein wenig beruhigt hatten, bedeutete Mehivi uns, auf sein Tun zu achten, tauchte den Zeigefinger der rechten Hand in die Schüssel, drehte ihn rasch und geübt wie einen Quirl in der Masse herum und zog ihn, mit ihr bedeckt, wieder heraus. Dann bewegte er den Finger so geschickt, daß nichts heruntertropfte, steckte ihn in den Mund und zog ihn sauber wieder heraus. Ich versuchte wohl, es ihm nachzumachen, aber mit sehr geringem Erfolg.
Ausgehungerte Leute fragen nicht allzusehr nach den konventionellen Formen, besonders auf einer Südseeinsel, und so aßen wir das Poï-Poï in unserer ungeschickten Weise, wobei wir uns freilich das ganze Gesicht und die Hände mit der klebrigen Masse beschmierten. Das Gericht schmeckt auch für europäische Gaumen nicht unangenehm; nach wenigen Tagen war ich an sein eigentümliches Aroma gewöhnt und begann es sehr gern zu essen.
Dies war nur der erste Gang; weitere Gerichte folgten, einige davon waren ganz vortrefflich. Zum Schluß verzehrten wir noch zwei junge Kokosnüsse, dann wurde eine seltsam geschnitzte Pfeife herumgereicht, und wir gaben uns dem friedlichen Genuß des Tabakrauchens hin. Während der ganzen Mahlzeit beobachteten die Eingeborenen uns mit größter Neugier, sie verfolgten selbst unsere kleinsten Bewegungen und fanden reichlichen Gesprächsstoff. Aber ihre größte Überraschung kam, als wir unsere unbequemen durchnäßten Kleider ablegten. Mit Staunen sahen sie die weiße Hautfarbe unserer Körper und wußten sich den Kontrast zu der dunkeln Farbe unserer in sechs Monaten von der Sonne des Äquators völlig gebräunten Gesichter nicht zu erklären. Sie befühlten unsere Haut, wie ein Seidenhändler ein besonders feines Stück Atlas untersucht; einige berochen sie sogar. Ich war schon nahe daran, zu glauben, daß sie nie zuvor einen weißen Mann gesehen hatten; aber das war unmöglich, und ich fand seither eine befriedigendere Erklärung für ihr Verhalten.
Durch die schrecklichen Geschichten, die von den Taïpis erzählt werden, abgeschreckt, fährt nie ein Schiff in ihre Bucht ein, während sie infolge ihrer Feindschaft mit den Stämmen in den angrenzenden Tälern nicht nach den Teilen der Insel kommen, die gelegentlich von Schiffen angesteuert werden. Hier und da aber wagt sich doch irgendein besonders furchtloser Kapitän mit zwei oder drei wohlarmierten Booten, von einem Dolmetscher begleitet, ein kleines Stück in die Bucht hinein. Die Eingeborenen, die an der Küste wohnen, sehen die Fremden lange, ehe sie in ihre Gewässer eingefahren sind, und da sie wohl wissen, warum sie kommen, machen sie ihre Ankunft mit lauten Rufen bekannt. Die Nachricht dringt durch eine Art mündlichen Telegraphensystems in unglaublich kurzer Zeit bis in die entferntesten Winkel des Tales, und sogleich strömt fast die ganze Bevölkerung, mit Früchten jeder Art beladen, zum Strand hinab. Der Dolmetsch, der fast immer irgendein durch ein »Tabu« gefeiter Kanake Das Wort »Kanake« wird heutzutage von den Europäern allgemein gebraucht, um die Eingeborenen auf den Südseeinseln zu bezeichnen. In den verschiedenen Dialekten der Hauptgruppen ist es eigentlich nur eine Geschlechtsbezeichnung für den »Mann«, die Person männlichen Geschlechts, wird aber heute auch von den Eingeborenen im Verkehr mit Fremden im gleichen Sinne gebraucht, in dem diese es verwenden. Durch ein »Tabu«, einen Ritus, von dem später ausführlich die Rede sein wird, kann jemand bis zu einem gewissen Grad »Unverletzlich« werden. ist, springt mit den zum Eintausch bestimmten Waren ans Land, während die Boote mit eingelegten Riemen und jeder Mann an seiner Ducht gerade außerhalb der Brandung liegen, den Bug seewärts, bereit, beim ersten unangenehmen Zwischenfall in die offene See hinauszustoßen. Sowie der Handel abgeschlossen ist, rudert eines der Boote, immer von den schußbereiten Musketen der anderen gedeckt, heran, die Früchte werden rasch hineingeworfen, und die flüchtigen Besucher entfernen sich eiligst aus der mit Recht für so gefährlich geltenden Gegend.
Da also der Verkehr mit Europäern auf ein so geringes Maß beschränkt ist, war es kein Wunder, daß die Bewohner des Tals solche Neugier zeigten, als wir in so überraschender Weise plötzlich unter ihnen auftauchten. Ich zweifle nicht, daß wir die ersten Weißen waren, die so tief in ihr Gebiet hineingelangten, jedenfalls die ersten, die es von der Landseite betraten. Was uns hergeführt haben konnte, mußte für sie ein vollkommenes Rätsel sein. Und da wir ihre Sprache nicht kannten, vermochten wir es ihnen auch nicht zu erklären. Alles, was wir auf ihre Fragen, die ihr beredtes Gebärdenspiel uns verständlich machte, erwidern konnten, war, daß wir aus Nukuhiva kamen, und mit diesem Gebiet standen sie, wie man bedenken muß, in offenem Kriege. Die Mitteilung schien sie denn auch aufs lebhafteste zu erregen. »Nukuhiva mortarkih?« fragten sie. Und wir verneinten dies natürlich aufs allerenergischste.
Sie stellten dann noch tausend Fragen, von denen wir nur erfaßten, daß sie sich auf das Vorgehen der Franzosen bezogen, gegen die sie den wildesten Haß zu empfinden schienen. So begierig waren sie, über diesen Punkt mehr zu erfahren, daß sie noch lange fortfuhren zu fragen, obwohl wir ihnen deutlich gemacht hatten, daß wir völlig außerstande waren, sie zu verstehen. Gelegentlich glaubten wir irgendwie zu ahnen, was sie meinten, und suchten ihnen dann nach Kräften die gewünschte Auskunft zu erteilen. Dann kannte ihre dankbare Freude keine Grenzen, und sie verdoppelten ihre Anstrengungen, um sich uns deutlicher zu erklären. Aber es war alles umsonst, und zuletzt sahen sie uns verzweifelt an, als wären wir unschätzbarer Kunde voll, an die sie nicht zu gelangen vermochten.
Allmählich zerstreute sich die Gruppe, und gegen Mitternacht – so kam es uns wenigstens vor – waren nur die noch bei uns, die die dauernden Bewohner des Hauses zu sein schienen. Sie gaben uns frische Matten zum Liegen und Decken aus Tappa, dann verlöschten sie die Fackeln, warfen sich neben uns hin, wechselten noch ein paar Worte untereinander und lagen bald in festem Schlaf.