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Nachdem ich einmal entschlossen war, das Schiff heimlich zu verlassen und alles über die Bucht in Erfahrung gebracht hatte, was ich konnte, überlegte ich meinen Plan. Der unerträglichste Gedanke war mir der, eingefangen und schimpflich wieder aufs Schiff gebracht zu werden; ich wollte daher keinen unüberlegten Schritt tun, der zu solchem Mißgeschick hätte führen können.
Ich wußte, daß unser würdiger Kapitän, der um die Wohlfahrt seiner Mannschaft so väterlich besorgt war, es nicht leicht zugegeben hätte, daß einer seiner besten Leute sich den Gefahren eines Aufenthalts unter den barbarischen Eingeborenen der Insel aussetzte. Und ich war völlig sicher, daß er, wenn ich verschwand, viele Ellen herrlich bedruckten Kalikos als Lohn für meine Ergreifung bieten würde. Vielleicht schätzte er meine Dienste sogar bis zur Höhe einer Muskete ein, und dann, das wußte ich, machte sich die ganze Bevölkerung, von einem so herrlichen Preise gelockt, sofort zur Verfolgung auf.
Da mir bekannt war, daß die Insulaner aus Gründen der Vorsicht in den Tiefen der Täler zusammen wohnten und Wanderungen in den Bergen und selbst über die Uferhöhen vermieden, es wäre denn auf gemeinsamen Kriegs- und Beutezügen, so nahm ich an, daß ich unbemerkt in die Berge gelangen und leicht dort bleiben und mich von Früchten nähren könnte, bis das Schiff wieder unter Segel ging. Das aber mußte ich sofort wahrnehmen, da ich von oben den ganzen Hafen bequem überschauen konnte.
Dieser Gedanke schien mir praktisch und versprach überdies genußreich zu werden. Wenn ich mir die Freude vorstellte, mit der ich aus einer Höhe von einigen tausend Fuß auf das verhaßte alte Schiff heruntersehen und die grüne Landschaft um mich mit ihrem engen Deck und dem düsteren Vorderkastell vergleichen würde – der bloße Gedanke war erfrischend. Ich sah mich bereits unter einem Kokosnußbaum hoch oben in den Bergen sitzen, einen Pisanghain in erreichbarer Nähe, und die Bewegungen des ausfahrenden Schiffes mit kritischen Blicken verfolgen. Allerdings gab es auch Schattenseiten in dem erfreulichen Bild: die Möglichkeit, einer fouragierenden Truppe blutgieriger Taïpis zu begegnen, deren Appetit, von der Höhenluft geschärft, sie zu für mich unangenehmen Maßnahmen veranlassen konnte. Aber dagegen war nichts zu machen. Wenn ich mein Ziel erreichen wollte, mußte ich die Gefahr auf mich nehmen; ich rechnete auf meine Geschicklichkeit, in den Bergen hinreichende Verstecke zu finden, um den beutegierigen Kannibalen zu entgehen. Außerdem konnte ich mit einer Wahrscheinlichkeit von zehn zu eins annehmen, daß sie ihre Täler nicht verlassen würden.
Ich hatte beschlossen, meine Absichten keinem meiner Schiffsgenossen mitzuteilen und noch weniger einem zuzureden, daß er mich etwa auf der Flucht begleiten sollte. Dennoch geschah es in einer Nacht auf Deck, da ich meine Pläne überdachte, daß ich einen von der Schiffsmannschaft, offenbar in tiefe Gedanken versunken, sich über die Reling lehnen sah. Es war ein junger Bursche, etwa im gleichen Alter wie ich, der mir immer gut gefallen hatte; und Toby, so nannte er sich unter uns – seinen wirklichen Namen wollte er nie sagen –, verdiente das auch. Er war energisch, entschlossen, gefällig, von unbezwinglichem Mut und ungewöhnlich offen und furchtlos im Reden. Ich hatte ihm mehr als einmal geholfen, wenn er dadurch in Schwierigkeiten gekommen war, und er hatte vielleicht deshalb, oder weil eine gewisse Seelenverwandtschaft zwischen uns bestand, meine Gesellschaft stets bevorzugt. Wir hatten manche lange Wache zusammengesessen und uns die trägen Stunden mit Geplauder, Liedern und Geschichten vertrieben, unterbrochen von manchem kräftigen Fluch auf das üble Geschick, das uns beide betroffen hatte.
Toby hatte offenbar wie ich sich vorher in anderen Kreisen bewegt; sein Gespräch verriet es bisweilen, obschon er es zu verbergen versuchte. Er war einer jener Abenteurer, die man manchmal auf dem Meere trifft, die nie ihre Herkunft verraten, nie eine Anspielung auf ihr Zuhause machen und sich, wie von einem geheimnisvollen Schicksal verfolgt, in der Welt umhertreiben.
Vieles an Toby zog mich an; während das Äußere des größten Teiles der Mannschaft ebenso brutal war wie ihr Wesen, sah er ungewöhnlich gut aus. In seiner blauen Jacke und seinen Hosen aus weißem Segeltuch war er ein so schmucker Seemann, als je einer die Planken eines Verdecks betrat; er war auffällig klein und zierlich, aber außerordentlich kräftig und gelenkig. Seine von Natur aus dunkle Hautfarbe war von der Tropensonne noch mehr gebräunt, sein Haar hing in rabenschwarzen, dichten Locken um die Schläfen und ließ seine großen schwarzen Augen noch dunkler erscheinen. Er war ein seltsamer Mensch und wechselnden Stimmungen unterworfen, launisch, heftig, eigensinnig, melancholisch, zuzeiten fast finster und trübselig. Dabei war er von rasch aufloderndem, feurigen Temperament, und wenn er gründlich gereizt war, ging sein Zorn bis zum Wahnsinn. Ich habe kräftige Burschen, denen es sonst an Mut nicht fehlte, vor diesem zarten Jungen zittern sehen, wenn er einen seiner Wutanfälle hatte. Sie waren indessen nicht häufig und er wurde dabei die Galle los, die ruhigere Leute in beständigen kleinen Ärgernissen ausgeben.
Niemand hat Toby je lachen sehen, wenigstens nicht in herzlicher, freier Lustigkeit. Er lächelte mitunter und besaß einen trockenen, spöttischen Humor, der bei seinem unerschütterlichen Ernst um so wirkungsvoller war.
In der letzten Zeit hatte ich beobachtet, daß seine Traurigkeit zunahm; seit unserer Ankunft in der Bucht hatte ich ihn oft sehnsüchtig nach dem Ufer schauen sehen, wenn die übrige Mannschaft sich unten im Schiffsraum ihren wilden Vergnügungen hingab. Es war mir klar, daß auch er das Schiff verabscheute, und ich nahm an, daß er eine gute Gelegenheit zur Flucht gerne benützen würde. Aber der Versuch war an der Stelle, an der wir uns befanden, so gefährlich, daß ich mich für den einzigen Mann an Bord hielt, der tollkühn genug war, es zu wagen. Ich war jedoch im Irrtum. Als ich Toby so in Gedanken versunken über die Reling lehnen sah, kam mir sogleich der Gedanke, daß er Ähnliches im Sinne haben mochte wie ich. Und wenn ich einen meiner Schiffsgenossen zum Gefährten der Flucht wünschte, so war er es. Wer weiß, ob es mir nicht bevorstand, mich in den Bergen wochenlang versteckt halten zu müssen. Wie angenehm mußte dann ein Gefährte sein! Diese Gedanken schossen rasch durch mein Hirn, und ich wunderte mich, daß sie mir nicht früher gekommen waren. Es war noch nicht zu spät. Ein freundlicher Schlag auf die Schulter weckte Toby aus seiner Träumerei; er war bereit, und wenige Worte genügten uns zur Verständigung. In kaum einer Stunde hatten wir unseren Plan fertig. Dann verpflichteten wir uns gegenseitig mit einem freundschaftlichen Handschlag und begaben uns, um keinen Verdacht zu erwecken, jeder zu seiner Hängematte, um die letzte Nacht an Bord der »Dolly« zu verbringen.
Am nächsten Tage hatte die Steuerbordwache, zu der wir beide gehörten, Landurlaub: das war unsere Gelegenheit. Sobald als möglich nach der Landung wollten wir uns unauffällig von den anderen trennen und sogleich in die Berge fliehen. Vom Schiff aus gesehen, schienen ihre Gipfel unersteiglich; aber da und dort zogen sich sanfter geneigte Ausläufer fast bis ans Meer; sie glichen Strebepfeilern, die den Mittelstock des Gebirges stützten und jene ausstrahlenden Täler bildeten, von denen ich sprach. Einen dieser Kämme, der leichter zugänglich schien als die anderen, beschlossen wir hinanzuklettern, und wir suchten uns schon vom Schiff aus mit seiner Lage und den Örtlichkeiten möglichst vertraut zu machen, um dann am Ufer den Aufstieg nicht zu verfehlen. Dann wollten wir uns solange verborgen halten, bis das Schiff die Bucht verließ, hierauf versuchen, welche Aufnahme wir bei den Eingeborenen von Nukuhiva finden würden, und solange auf der Insel bleiben, wie wir den Aufenthalt angenehm fanden, um sie später bei der ersten günstigen Gelegenheit zu verlassen.