Oskar Meding
Palle
Oskar Meding

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XV.

Der Dom hatte sich nach den Schreckensszenen, deren Schauplatz der sonst in feierlicher Stille daliegende Tempelbau geworden war, schnell geleert, das Volk war auf die Straße hinausgestürzt, um die Opfer seiner Rache zu verfolgen.

Der Priester hatte den Kardinal Raffaello in die alte Sakristei geführt und auch die Anhänger der Medici hatten den Tempel verlassen, um die Schuldigen zu verfolgen und das Mediceische Haus vor irgend einem Handstreich, den man fürchten mußte, zu schützen.

Allen voran stürmte der Markgraf Gabriele Malaspina. Bleich, ohne Hut, mit entsetzter Miene drängte er sich durch die Menge. Da er allgemein als Freund und Verwandter der Medici bekannt war, so öffnete man ihm den Weg und begrüßte ihn mit dem Ruf: Palle, Palle! so daß er ungehindert den Palast der Medici erreichte, wo er atemlos die Treppe nach der Wohnung seiner Gemahlin hinaufstieg.

Lorenzo saß ernst und traurig auf einem Lehnstuhl in der Sakristei. Tornabuoni hatte ihm das Wams aufgeschnitten und die Wunde, welche der abgleitende Dolch ihm in der Schulter beigebracht, mit Wasser gekühlt.

Die Wunde war ungefährlich, aber der Schmerz und der Blutverlust hatten Lorenzos so besonders empfindliche Natur angegriffen, so daß leichte Fieberschauer ihn schüttelten.

»Habe ich,« sagte er traurig, »so viel Haß verdient, habe ich nicht, allen meinen Vorfahren gleich, nur Wohlthaten meiner Vaterstadt gebracht und allen ihren einzelnen Bürgern, soweit ich es vermochte? – Tiefer als diese Wunde schmerzt mich so bitterer Undank und fast möchte ich mich in die Einsamkeit zurückziehen, auch wenn dieser Ansturm überwunden wird.«

»Er ist überwunden,« fiel Cosimo ein, welcher vorsichtig die Thür geöffnet hatte, »und Ihr dürft jetzt nicht daran denken, Euch um des Frevels einzelner Willen von Eurer Vaterstadt zu trennen. Laßt uns aufbrechen, damit ihr so schnell als möglich nach Hause kommt und die Eurigen beruhigen könnt, die in bitterer Sorge sein werden.«

»Cosimo hat recht,« rief Politiano, »kommt, erlauchter Herr, Madonna Clarice wird Euch sehnsüchtig erwarten, sie muß schon Kunde von dem Vorgefallenen haben – hier von dieser Sakristei führt eine Nebenthür hinaus und kürzt den Weg zu Eurem Hause ab.«

»Und Giuliano,« fragte Lorenzo unruhig, »wo ist er, wohin hat er sich gerettet? – ich sah nur die Dolche um ihn blitzen, als mich der Stoß Maffeis traf.«

Einen Augenblick schwiegen alle Anwesenden und schlugen vor Lorenzos forschendem Blick die Augen nieder.

»Du bist ein Mann, Lorenzo,« sagte Tornabuoni, »es wäre thöricht, dir die Wahrheit zu verschweigen, die doch erfahren und ertragen werden muß – Giuliano ist tot – gefallen unter den Dolchstichen des elenden Bandini und des Francesco Pazzi, den ich solcher Frevelthat niemals für fähig gehalten hätte.«

»Tot« – schrie Lorenzo mit erschütterndem Wehlaut auf – »mein Giuliano, den ich liebte wie meinen Bruder und meinen Sohn zugleich, auf den ich so stolze Hoffnungen baute für unser Haus und das Vaterland – er ist tot, jammervoll dahingemordet in der Blüte der Jugend und Schönheit! Und warum ist er nicht gerettet – warum hat mich nicht der tödliche Stoß getroffen, wenn einer von uns fallen sollte, mich, der ich den Keim der tödlichen Krankheit in mir fühle, die dennoch meinem Leben ein frühes Ende machen wird.«

Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen; schmerzliche Seufzer rangen sich aus seiner Brust.

»Rechte nicht mit der Vorsehung,« sagte Tornabuoni, »danke Gott, wie wir es thun, daß du wenigstens uns erhalten bist – dein Leben wird dem Vaterlande vielleicht nützlicher sein können, als Giulianos.«

»Ihr wißt nicht, wie ich ihn geliebt habe,« seufzte Lorenzo.

»Wo ist er,« sagte er schnell aufstehend – »wo ist er – führt mich zu ihm, ich muß ihn sehen, ich muß versuchen, ob nicht der Hauch meines Atems ihn wieder zum Leben erwärmen kann!«

»Er ist tot,« sagte Tornabuoni, »keine Rettung ist mehr möglich, aus vielen Wunden ist ihm das edle Blut entströmt, er ist den Heldentod gestorben fürs Vaterland, das muß uns trösten und wird sein Andenken heiligen – nicht jetzt darfst du ihn sehen, wie er jammervoll und entstellt daliegt – komm, komm, wir werden dafür sorgen, daß sein Bild dir auch im Tode eine freundliche Erinnerung zurückläßt – nicht rückwärts sollst du blicken, du gehörst den Deinen und dem Vaterlande und große heilige Pflichten erwarten dich, die deine volle Kraft erfordern.«

Noch stand Lorenzo schweigend und zögernd da.

Dann aber richtete er sich hoch auf und fuhr mit der Hand über die thränenden Augen. Begeisterter Mut verklärte sein bleiches Gesicht, stolze Willenskraft flammte in seinen Blicken auf.

»Ihr habt recht,« sagte er, »nicht an mich darf ich denken, nur dem Vaterlande soll von dieser Stunde an meine ganze Kraft geweiht sein, so lange mir Gott die Kraft der Arbeit und des Handelns läßt. – Kommt! Die Lebenden gilt es zu trösten und zu schützen, jetzt ist nicht die Zeit, die Toten zu beweinen!«

Er nahm Tornabuonis Arm. Politiano warf ein weites Wams über seine Schultern, die Wunde zu bedecken.

Cosimo ging voran. Die Übrigen folgten und so kamen sie schnell, über die hier menschenleere Straße dahinschreitend, nach einem Seitenthor des Mediceischen Palastes, vor dessen Hauptportal sich bereits die Menge zusammendrängte.

Lorenzo wurde in seine Gemächer geführt.

Politiano eilte, Madonna Clarice und die Kinder herbeizuführen.

Mit einem Jubelruf umarmte Clarice den Gemahl, den sie schon verloren zu haben geglaubt.

Pierro küßte die Hand des Vaters und der kleine Giovanni streckte ihm halb weinend, halb lachend die Händchen entgegen.

Das Kind konnte sich kaum eine Vorstellung machen von dem, was geschehen war, aber es hatte seine Mutter vorher weinen gesehen und empfand es nun, daß irgend etwas Glückliches geschehen sein müsse.

Kurze Zeit nur gab sich Lorenzo der Freude hin, die Seinigen nach so schwerem Schlage wiederzusehen, dann gebot er, ihn allein zu lassen und vor allem der Madonna Lucretia, seiner Mutter, die Kunde seiner Rettung zu bringen; er sei gekommen, um seine Pflichten zu erfüllen und seine Mutter werde es verstehen, daß er nun vor allem dem Vaterlande gehöre.

Kalt und ruhig fragte er nach dem Kardinal und als Tornabuoni ihm sagte, daß dieser mit den Priestern in die alte Sakristei geflüchtet, befahl er, ihn verhaften zu lassen und in sicheren, aber seines Standes würdigen Gewahrsam zu bringen.

»Ich glaube nicht,« sagte er, »daß dieser Knabe mitschuldig ist an dieser unerhörten Frevelthat, aber Gericht soll über ihn gehalten werden und wenn er schuldig ist, so soll ihn der Purpur nicht vor der Strafe eines solchen Verbrechens schützen, das nicht gegen mich, sondern gegen die Republik verübt ist.« Dann befahl er Cosimo, sofort die Wachen an allen Thoren verdoppeln zu lassen und ihnen Befehl zu bringen, daß niemand in die Stadt herein und niemand hinaus gelassen werden solle und daß soviel als möglich der Rache des Volks Einhalt gethan werde, damit kein Unschuldiger geopfert und die Schuldigen dem Gericht entzogen würden.

Cosimo gehorchte ohne Zögern – wohl drängte es sein Herz, Giovanna aufzusuchen und ihr Kunde zu bringen, daß er lebe, aber in diesem Augenblick mußte jedes persönliche Gefühl vor der Pflicht des Dienstes zurückstehen, den er nach Lorenzos Beispiel dem Vaterlande schuldig war.

Jetzt erst ließ Lorenzo den schnell herbeigeholten Arzt eintreten, um seine Wunde zu untersuchen und einen Verband anzulegen.

Während der Arzt, der sogleich erklärte, daß die tiefe Fleischwunde ungefährlich sei und in kurzer Zeit geheilt werden würde, noch mit dem Verband beschäftigt war, öffnete sich die Thür und Lorenzos Schwester, Nannina, trat ein, den weiten Mantel über das prächtige Gewand geworfen, das sie für das Fest angelegt hatte. Sie führte ihren Gemahl, Guiglielmo de Pazzi, an der Hand und zog den Zögernden bis zu ihrem Bruder hin, vor dem sie in die Knie sank.

»Er ist unschuldig,« rief sie, »ich schwöre dir, Lorenzo, – er hat nichts gewußt von dem entsetzlichen Anschlag – erbarme dich – rette ihn um meinetwillen!«

Auch Guiglielmo, der einen Mantel über seine prächtige Kleidung geworfen hatte, sank mit totenbleichem Gesicht auf die Knie und sprach mit bebender Stimme, während er die Hand auf sein Herz legte:

»Ich schwöre es dir, Lorenzo, daß ich unschuldig bin an dem Verbrechen, das leider von meinem Hause ausging – sie haben es nicht gewagt, mir davon zu sprechen, da sie wohl wußten, daß ich zu dir gestanden haben würde.«

Lorenzo blickte ernst auf die Knieenden nieder.

»Was sie mir gethan,« sagte er, »das muß ich und will ich vergeben, aber ich habe nicht das Recht, zu verzeihen, was gegen das Vaterland verübt wurde. Ich will dir glauben, Guiglielmo, um Nanninas willen, mein Haus soll dir ein Asyl sein, aber würde deine Schuld erwiesen, so würde ich auch dich nicht zu retten vermögen. Geht dort hinein,« sagte er, auf die Thür des Nebenzimmers deutend, »in meinen eigenen Gemächern sollt Ihr bleiben, bis alles ruhig geworden.«

»Dank, mein Lorenzo –« rief Nannina, »Dank! – Du hast dir die Schwester erhalten für das Leben und den Tod.«

Während sie noch die Hände des Bruders küßte, meldete ein Diener den Gonfaloniere.

»Eilt, eilt,« rief Lorenzo den beiden zu, »er würde nicht so weich sein wie ich, er darf Euch jetzt nicht sehen.«

Die Thür des Nebenzimmers hatte sich kaum hinter Nannina geschlossen, als Cesare Petrucci mit seinen Begleitern eintrat.

Er eilte zu Lorenzo hin, umarmte ihn und rief:

»Gott sei Dank und Preis, daß Ihr gerettet seid, und mit Euch die Republik! – Man hat Euch zerschmettern wollen, um dem Volke seine Freiheit zu rauben – das Volk wird Euch in Liebe und Treue um so inniger verbunden bleiben.«

»Und ich,« sagte Lorenzo, »werde für des Volkes Freiheit den letzten Tropfen meines Blutes zu opfern bereit sein, das feige Mörderhände vergießen wollten!«

Er deutete auf seine Wunde, deren Verband der Arzt soeben vollendet hatte.

Dann stand er auf und drückte den Mitgliedern des Rats, welche Petrucci begleitet, die Hand.

Laute Rufe tönten von der Straße her bis zu dem nach dem Garten hinausgehenden Fenster, – man hörte Lorenzos Namen und Palle, Palle! von tausend Stimmen.

Politiano, der zu Lorenzos Mutter geeilt war, um ihr Bericht zu erstatten, kam und meldete, daß eine zahllose Volksmenge vor dem Portal versammelt sei und Lorenzo zu sehen verlange.

»Kommt,« sagte Petrucci, »kommt und zeigt Euch dem Volk, sie meinen es treu, und wohl möchte es gut sein, wenn Ihr zu ihnen sprecht und sie abmahnt von wilder, zügelloser Rache. – Mir ist es kaum gelungen, die Benediktiner-Abtei, in welche die mörderischen Priester sich geflüchtet, vor der Zerstörung zu retten.

Lorenzo warf den Mantel über die Schulter.

»Noch eins,« fragte er dann, »wo ist der Erzbischof von Pisa?«

Cesare erzählte kurz mit finsterer Miene, wie im Palast der Signorie über den Erzbischof und Francesco Pazzi Gericht gehalten worden.

Lorenzo wiegte nachdenklich den Kopf.

»Ihnen ist Gerechtigkeit geschehen,« sagte er mit tiefem Ernst, »sie haben mit tückischer Bosheit den Zorn des Papstes gegen mich erregt und geschürt, aber Sixtus wird es nie vergessen, daß Ihr die Hand an einen Fürsten der Kirche gelegt – wir müssen uns noch auf einen schweren und erbitterten Kampf gefaßt machen.«

»Wir sind darauf gefaßt!« rief Petrucci, »bei Gott! die Republik wird stark genug sein, um auch vor dem drohenden Bannstrahl nicht zurückzuweichen! – Kommt, kommt, das Volk ruft, von seiner Liebe getragen, dürft Ihr auch vor Rom nicht zittern.«

Er bot Lorenzo seinen Arm und führte ihn nach einem der vorderen Gemächer, das auf einen Balkon nach der Straße ausmündete.

Petrucci führte Lorenzo auf diesen Balkon bis zur Brüstung hinaus und trat dann zurück.

Einen Augenblick herrschte bei Lorenzos Erscheinen tiefes Schweigen in der Kopf an Kopf zusammengedrängten Menge, aus deren Mitte an einer hoch emporgestreckten Lanzenspitze das Haupt Maffeis mit dem zerzausten Haar und den verzerrten Zügen aufragte.

Dann brachen immer stärker anschwellende Rufe aus, wie das Brausen des Sturmes, der das eben noch ruhige Meer in seinen Tiefen aufwühlt.

»Palle! Palle!« klang es von allen Seiten und dazwischen hörte man wilde, drohende Stimmen rufen:

»Tod den Verrätern! Tod den Mördern!« während die Lanze mit dem Leichenhaupte hin und hergeschwenkt wurde.

Lorenzo dankte, indem er sich tief über die Brüstung des Balkons neigte, und mit verstärkter Kraft brausten ihm die Jubelrufe entgegen.

Sein bleiches Gesicht zuckte in tiefer innerer Erregung, aber stolzer Mut strahlte aus seinen Augen und hoch sich aufrichtend, streckte er gebieterisch die Hand aus.

Fast unmittelbar schwieg das Toben und eine tiefe, lautlose Stille trat ein.

Lorenzos Stimme war nicht gemacht, um einen weiten freien Raum zu beherrschen, heute aber schien sie einen mächtigeren und helleren Ton als sonst angenommen zu haben, und weithin verständlich sprach er zu der atemlos lauschenden Menge:

»Mitbürger und Freunde, ich danke euch, das ihr gekommen seid, um mir eure Teilnahme zu bekunden in dieser entsetzlichen Stunde, welche das Vaterland mit dem Verlust seiner Freiheit bedroht und mir den teuren Bruder entrissen hat.«

»Tod den Mördern!« rief es von unten, aber andere Stimmen mahnten sogleich zur Ruhe und Lorenzo sprach weiter:

»Vor euch, meine Freunde, und vor Gott, dessen Himmel sich über uns wölbt, klage ich die Verbrecher an, die in giftigem Haß und Neid mich durch feigen Meuchelmord niederwerfen wollten, statt mir in offenem Kampfe entgegenzutreten, den ich nicht scheue. – Ich klage sie an, nicht weil sie meine Feinde waren, sondern weil sie die Freiheit des Vaterlandes vernichten wollten. Ich selbst, mein Wohl und Wehe und das meines ganzen Hauses, gelten nichts, wo die Sicherheit, die Kraft und die Würde des Staates in Frage kommt. Ich erkläre es hier vor euch allen, daß ich jede Stunde bereit bin, von der Stellung zurückzutreten, die euer Vertrauen mir gegeben, wenn ihr es wollt und es für das Wohl der Republik nötig erachtet.«

»Palle, Palle!« klang es wieder von allen Seiten herauf und: »Es lebe Lorenzo, der wahre Freund des Volks – Tod seinen Feinden, die auch unsere Feinde sind!«

Lorenzo verneigte sich dankend.

Dann wieder gebot er mit ausgestreckter Hand Ruhe.

»Ich danke allen, die mich beschützt und mein Leben gerettet, ich danke euch für euer Vertrauen und eure Liebe – jetzt aber bitte ich euch, keine Rache weiter zu üben und den Spruch der Gerichte abzuwarten, denn auch der gerechteste Zorn kann den Blick trüben und Unschuldige treffen. Hütet euch, meine Freunde, den Feinden der Republik einen Vorwand zu bieten zur Klage und zum Angriff gegen euch. Der blutige und tückische Kampf, den eine verbrecherische Partei gegen unsere Verfassung unternommen, ist traurig, aber er hat dennoch auch Gutes gebracht, die schlechtgesinnten Bürger sind niedergeworfen und haben ihre Ohnmacht erkannt, und das geheime Gift, das die Gesundheit der Republik bedrohte, ist ausgerottet aus unserem Staatsleben. Nun aber, da wir die Sicherheit wiedergewonnen, müssen wir strenge Gerechtigkeit üben in der Strafe des Verbrechens, und die Irrenden und Verführten scheiden von den wirklich Schuldigen, damit die Feinde außerhalb der Grenzen, die den Neid unserer Mitbürger zu den begangenen Verbrechen anspornten, um unsere Macht zu brechen und Herren über uns zu werden, keinen Vorwand zum Angriff finden. – Bewahrt euern edlen Zorn und eure Rache für den äußeren Feind, der vielleicht bald unsere Grenzen bedrohen wird – laßt uns alle zusammenstehen wie ein Mann und der Welt zeigen, daß die Bürger von Florenz ihr altes Recht und Gesetz innerhalb ihrer Mauern ebenso zu schützen wissen, als sie stets bereit und gerüstet sind, jeden Feind, er möge kommen woher er wolle, siegreich mit den Waffen in der Hand zurückzuwerfen. – Ich bürge euch dafür, daß die Schuldigen ihrer Strafe nicht entgehen werden – möge Gott uns beistehen, auch die feindlichen Heere ebenso unschädlich zu machen, wie die Dolche der Meuchelmörder!«

Er neigte sich nach allen Seiten.

Cesare Petrucci trat an die Brüstung des Balkons vor, umarmte ihn und rief hinab:

»Es lebe die florentinische Republik und Lorenzo de' Medici, ihr erster Bürger!«

Dieser Ruf fand einen brausenden Widerhall, »Palle – Palle – es lebe Lorenzo! – es leben die Medici! – es lebe Petrucci, unser tapferer Gonfaloniere!« klang es von allen Seiten, und die Rufe wollten immer noch nicht enden, als Lorenzo schon, aufs Äußerste erschöpft durch seine Anstrengung und seine tiefe Erregung, in das Zimmer trat.

Dem Palast gegenüber unter der erregten Menge stand ein Dominikanermönch in seiner weißen Kutte, unbekümmert darum, daß es heute an diesem Tage gefährlich sein könnte, sich dem Volke im geistlichen Gewand zu zeigen, und gerade diese sichere Ruhe, die in seinem ernsten Gesicht lag, schützte ihn vor dem Mißtrauen der Umstehenden.

Als bei Lorenzos letzten Worten auf Petruccis Anregung ringsum die Jubelrufe erschallten, richtete sich der Mönch auf und rief mit seiner vollen, klaren Stimme:

»Es lebe das Volk und sein Recht! Es lebe die Freiheit!« Seine Worte wurden von den Umstehenden wiederholt, welche sie als eine Huldigung für Lorenzo verstanden, aber sie verklangen unter dem lauten Palle – Palle! das alles andere übertönte.

Kopfschüttelnd wendete sich der Dominikaner ab.

»Da schreien sie,« sagte er bitter, »über die Mörder und sind doch bereit, ihren eigenen Feinden das Gleiche zu thun, sie sprechen das Wort Freiheit nach und jubeln dem zu, der ihr Herr ist und ihnen die Freiheit nach seinem Maße zumißt; er wird ihnen die wahre Freiheit nicht bringen und nur um die Herrschaft über sie kämpfen mit den habgierigen und ehrsüchtigen Hohenpriestern der entarteten Kirche, welche den Tempel schändeten durch Meuchelmord und doch knechtischen Gehorsam verlangen von dem zur Freiheit geborenen Volk! Sie werden auch der weltlichen Macht, die sie heute zerbrechen wollen, wieder die Hand reichen, wenn sie mit ihnen gemeinsam die Ketten des Volkes schmiedet, – ruere in servitiem nannten das die Alten und das verblendete Volk bleibt sich immer gleich, wenn ihm nicht die frei gewordene Kirche erlösend die Augen öffnet.«

Und die Kapuze über seinen Kopf ziehend, schritt Girolamo Savonarola durch die drängende Menge der Vorstadt zu.

Am Thor wurde er von der Wache angehalten, welcher soeben Cosimo Raccellai den Befehl gebracht hatte, niemand aus- und einzulassen.

Der Wortwechsel der Wachmannschaft mit dem Mönch, den die Soldaten anhielten und in festen Gewahrsam bringen wollten, erregte Cosimos Aufmerksamkeit.

»Halt,« sagte er, in das Gesicht Savonarolas blickend, von dem die Kapuze herabgefallen war, »halt – dieser ehrwürdige Bruder ist von jedem Verdacht frei, er war der Gast des Hauses der Medici und ist Lorenzos Freund – ich bürge für ihn. Geht, ehrwürdiger Bruder, Eures Weges, bringt die traurige Botschaft von dem, was hier geschehen, nach Euerm Kloster und betet für unsere Stadt, die so schwer heimgesucht wurde.«

Die Wachen traten zurück.

Savonarola neigte den Kopf und sagte:

»Ich bete für alle, die guten Willens sind und die Gebote des Heilands in Liebe, Demut und Wahrheit erfüllen.«

Er zog wieder seine Kapuze über den Kopf und ging, scharf ausschreitend, die Straße entlang.

Cosimo wendete sein Pferd, um schnell nach dem nächsten Thore weiter zu reiten, da es ihn drängte, den Befehl Lorenzos auszuführen und endlich Giovanna wiederzusehen, als von der Straße her Hufschläge ertönten.

Die Wachen traten vor, um die Nahenden anzuhalten.

Cosimo sah in einiger Entfernung einen Reitertrupp nahen.

Demselben voran sprengte eine Dame in vollem Galopp und parierte ihr edles reich gezäumtes Pferd vor den Spitzen der Hellebarden, welche die Wachen ihr entgegenstreckten.

Sie trug einen Anzug von leichter dunkelblauer Seide, ein gleicher Mantel hing über die Schultern zurück, ein kleiner Hut mit Straußfedern deckte ihr reiches dunkles Haar und das wunderbar schöne und edle Gesicht war vom scharfen Ritt gerötet, ihre Augen blitzten zornig, als sie die Wachen fragte, warum sie ihr den Weg verschlössen.

Cosimo stieß einen Ruf des Erstaunens aus, denn er erkannte die Züge und Stimme der schönen Lucretia, seiner Begleiterin auf der Reise von Florenz nach Rom; schon auch sah er, jeden Zweifel ausschließend, den Zwerg Piccolo auf seinem kleinen Pferdchen herantraben, während das übrige Gefolge, als ihre Herrin anhielt, in langsamer Gangart nachkam.

»Gebt das Thor frei,« rief Cosimo schnell herantretend, »dieser Dame steht der Eintritt offen.«

Der Wachtposten trat zur Seite.

Lucretia zuckte bei Cosimos Stimme zusammen, als er grüßend zu ihr heranritt, färbten sich ihre Wangen mit dunkler Glut und ihre Augen flammten ihm entgegen.

»Wie glücklich fügt es sich,« rief sie, ehe er ein Wort der Begrüßung und der Frage gefunden hatte, »daß Ihr der erste seid, den ich hier am Thore Eurer Vaterstadt begegne! – Wie angstvoll und unruhig habe ich die letzten Stunden des Weges zurückgelegt, seht mein schäumendes Pferd an, fast wäre es zusammengebrochen. Ich hörte in dem Orte, wo ich eine kurze Rast hielt, daß etwas Entsetzliches in Florenz geschehen sei, die erlauchten Medici, so sagte man mir, seien ermordet und alle dem edlen Hause Verwandten und Befreundeten ebenso, nun sehe ich Euch hier, die Ihr den Medici so nahe steht, unverletzt, den Wachen gebietend, vor mir, jene Kunde muß also doch nicht wahr sein.«

Sie zog den Handschuh aus und reichte ihm die Hand zum Gruß.

»Die Kunde, die Ihr vernahmt, ist leider wahr,« sagte er wie in Erinnerung versunken in die Augen der schönen Lucretia blickend, »Lorenzo de' Medici ist verwundet, Giuliano ist unter den Dolchen der Meuchelmörder gefallen, aber die Gefahr ist vorüber, die Schuldigen sind bestraft oder erwarten ihr Gericht und das schwere Unglück, das unser Vaterland bedrohte, ist abgewendet.«

»Gott sei Dank!« rief Lucretia, seine Hand, die sie noch festhielt, mit warmer Innigkeit drückend – »es wäre entsetzlich, wenn ich zu spät gekommen wäre!«

»Zu spät gekommen,« fragte Cosimo verwundert, »was könntet Ihr mit diesem mörderischen Anschlag zu thun haben und was führt Euch nach Florenz gerade in diesen traurigen Stunden, in denen ich die Freude des Wiedersehens nur halb empfinden kann.«

»Doch ich, edler Cosimo, fühle diese Freude ganz und doppelt, weil ich Euch gerettet sehe aus einer Gefahr, die Euch bedrohte und,« fügte sie leiser hinzu, »vor der ich Euch zu warnen gekommen bin.«

»Wie?« sagte Cosimo, »zu warnen? – Doch freilich – ich habe ja niemals gewußt, wer Ihr seid und habe meine Erinnerung nicht an einen Namen knüpfen können.«

»Ihr habt gewußt,« erwiderte sie mit einem Blick voll feuriger Glut, »daß ich Eure Freundin war – haben wir uns nicht Freundschaft gelobt bis zum Wiedersehen? Die wahren Freunde sieht man im Augenblick der Gefahr und bei meinem Namen Lucretia habt Ihr, das hoffe ich, eine freundliche Erinnerung gehabt??«

»Wie könnte ich's anders –« rief er, von ihrem Anblick hingerissen, »nur war es schmerzlich, daß das Wiedersehen, auf das ich schon in Rom hoffte, immer noch auf sich warten ließ.«

»Nun ist es da!« rief sie. »Nun führt mich zu dem erlauchten Lorenzo, denn an ihn bin ich gesendet.«

»An ihn gesendet?« rief Cosimo mit immer wachsendem Erstaunen. »Und woher – von wem?«

»Das ist ein Geheimnis,« sagte sie, indem sie sich zu ihm hinüberbeugte, »das sicher bewahrt bleiben muß – doch nicht vor Euch,« fügte sie hinzu, »nicht vor dem Freunde, vor dem ich mich bisher verbergen mußte – führt mich also zu Euerm Oheim, dem großen Lorenzo.«

»Verzeiht,« sagte sie von ihrem Pferde herabblickend, »daß ich auch hierher meinen Piccolo mitgebracht, er will nicht von mir weichen und ich glaube, er würde sterben, wenn ich ihn verstieße.«

Piccolo grüßte aus dem Sattel seines Pferdchens gravitätisch mit kalter Zurückhaltung.

Er schien über das Wiedersehen nicht so erfreut, wie seine Herrin.

Cosimo mußte trotz seiner ernsten Stimmung lächeln, er erwiderte artig den Gruß des Kleinen und sagte:

»Ich bin im Begriff, edle Lucretia, einen Befehl Lorenzos nach allen Thoren zu bringen und habe nur noch das Thor nach Imola hin zu besorgen – ich darf meinen Dienst nicht aufschieben, ich möchte Euch aber auch nicht allein durch die wildbewegte Stadt ziehen lassen – wollt Ihr mich noch den kleinen Weg bis zu dem Nordthor begleiten, dann will ich Euch sogleich zu Lorenzo führen.«

»Wie dürfte ich Euch von Euerm Dienst abhalten,« sagte sie, »der gewiß heute wichtiger ist als sonst, da er von Cosimo Ruccellai selbst besorgt wird – ich stehe,« fügte sie lächelnd hinzu, »von dem Augenblick, da ich Eure Stadt betreten, auch im Dienste der Medici.«

Sie ritten miteinander fort.

Piccolo trabte daneben.

Die Diener folgten.

Auf dem Wege fragte Lucretia eifrig nach allen Vorgängen des entsetzlichen Tages und hörte schaudernd Cosimos Erzählungen zu.

Sie hatten bald das Thor erreicht.

Cosimo gab den Wachen seinen Befehl, niemand aus- und einzulassen, wer es auch sein möge.

»Wenn Ihr,« sagte der Führer der Wache, »diesen Befehl eine Stunde früher gebracht hättet, so wäre es vielleicht besser gewesen.«

»Eine Stunde früher und warum?« fragte Cosimo aufhorchend. »Ist irgend ein Verdächtiger in die Stadt gekommen oder haben sich die Verbrecher geflüchtet – dann hättet Ihr auch ohne Befehl sie wohl festhalten sollen.«

»Nun, für verdächtig,« erwiderte der Soldat, »dürfte ich ja wohl den Herrn Markgrafen von Fosdinuovo nicht halten, aber gefallen hat's mir doch nicht wollen, daß er so über Hals und Kopf davonjagte, während doch die Freunde der Republik und der erlauchten Medici gerade im Augenblick solcher Gefahr hätten hier bleiben sollen. Es war noch keine Kunde von den furchtbaren Frevelthaten in der Stadt hierher gekommen, wir hörten nur das Geschrei der Tobenden von fern her, als der Markgraf hinausritt, sonst hätte ich's vielleicht doch gewagt, auf eigene Verantwortung das Thor zu sperren.«

Cosimo hatte in starrem Erstaunen den Bericht des Soldaten vernommen, während Lucretia ihn mit unruhig forschenden Blicken beobachtete.

»Der Markgraf von Fosdinuovo hat die Stadt verlassen –« fragte er ungläubig, »kennt Ihr ihn genau – seid Ihr Eurer Sache gewiß?«

»Ganz gewiß –« erwiderte der Soldat, »habe ich ihn doch oft gesehen, wenn er ausritt mit dem erlauchten Lorenzo und dem schönen und freundlichen Giuliano, den sie so schmählich ermordet haben.«

Cosimo erbleichte.

»Und der Markgraf war allein?« fragte er mit zitternder Stimme.

»Nicht allein – er hatte die Marchesa bei sich und seine Tochter, die schöne Marchesina Giovanna, und eine Anzahl von Dienern folgten ihm.«

»Die Marchesa und die Marchesina,« rief Cosimo entsetzt, »mein Gott, was bedeutet das?«

»Das bedeutet,« sagte Lucretia, »daß der Markgraf Gabriele Malaspina ein schlechter und falscher Freund ist – die guten Freunde kommen in der Stunde der Not, aber sie fliehen nicht! Faßt Euch, edler Cosimo,« sagte sie, sich zu ihm herüberneigend mit gedämpfter Stimme – »ich begreife, daß diese Nachricht Euch erschüttert, mich überrascht sie nicht und ich bin gekommen, Euch vor falschen Freunden zu warnen.«

»Der Markgraf,« fuhr der Soldat fort, während Cosimo wie betäubt vor sich hinstarrte, »sprengte auf der Straße nach Imola fort, ganz nahe vor dem Thor begegnete er einem glänzenden Reiterzug, mit dem Grafen Girolamo Riario an der Spitze – auch ihn habe ich wohl erkannt, ich habe ihn oft in Rom gesehen, ehe ich in den Dienst der Republik trat. Er hielt an, als er den Markgrafen begegnete und sie haben eifrig und lange mit einander gesprochen, dann wendete der Markgraf sein Pferd und in rasender Eile jagten beide mit den Damen und ihrem Gefolge weiter nach Imola hin, so daß ich sie bald aus dem Gesicht verlor – auch der Graf Girolamo war wohl nicht in guten Absichten gekommen.«

»Entsetzlich – unglaublich –« stammelte Cosimo.

Lucretia aber sagte kalt und ruhig:

»Ihr habt Euern Dienst gethan, jetzt bitte ich Euch, mich zu Lorenzo zu führen – ich, das schwöre ich, bringe Euch und ihm nichts Böses!«

»Ja, ja,« rief Cosimo auffahrend, »zu Lorenzo! – Licht muß es werden in diesem furchtbaren Dunkel, dort werde ich die Wahrheit erfahren, denn noch kann ich das Unglaubliche nicht für möglich halten.« Er sprengte schnell davon.

Lucretia hielt sich an seiner Seite und bald kamen sie in die innere Stadt.

Sie begegneten der Volksmenge, welche von dem Palast der Medici herkam, das schauerliche Haupt Maffeis ragte auf der Lanzenspitze aus dem Gedränge hervor.

Man stürzte sich ihnen entgegen und wollte sie aufhalten.

Piccolo drängte sein kleines Pferd dicht an Lucretias Seite und rief jämmerlich um Hilfe.

Bald aber war Cosimo erkannt.

»Palle, Palle!« tönte es ihm von allen Seiten entgegen und die Menge öffnete eine Gasse, um den Reiterzug durchzulassen.

Unter dem Portal des Mediceischen Palastes stiegen Cosimo und Lucretia von ihren Pferden und Piccolo wurde trotz seiner jammervollen Bitten, ihn nicht allein zu lassen, den Dienern übergeben.

Cosimo eilte ungeduldig nach Lorenzos Zimmer, wo dieser erschöpft in seinem Lehnstuhl saß und seine Wunde kühlte. Er bat Lucretia, im Vorgemach zu warten und erstattete hastig und unruhig Bericht über die Ausführung seines Befehls.

Lorenzo reichte ihm dankend die Hand und sagte mit wehmütigem Lächeln:

»Du gehörst zu den Treuen, mein Cosimo, ich habe viel verloren, aber auch viel gewonnen, da ich die Liebe des Volks gesehen und diejenigen erkannt habe, auf die ich bauen kann. Mein armer herrlicher Giuliano – ihn haben sie ermordet, der niemand etwas Böses gethan! Du, mein Cosimino, sollst ihn mir ersetzen, auch dein Herz ist treu und rein wie Gold, du wirst mich verstehen und mir beistehen, unter den bitteren Leiden dennoch die schwere Aufgabe zu erfüllen, welche Gottes Vorsehung heute so sichtbar neu in meine Hände gelegt.«

»Gebietet über mich, mein erlauchter Oheim,« sagte Cosimo bewegt, indem er Lorenzos Hand küßte, »mein Leben gehört Euch und dem Vaterlande, Ihr sollt mich stets Eures Vertrauens würdig finden.«

Dann berichtete er mit zitternder Stimme, was der Führer der Thorwache ihm von dem Markgrafen erzählt und von dessen Begegnung mit dem Grafen Girolamo.

Lorenzo horchte auf.

Dann sagte er traurig:

»Es ist wahr, mein Cosimo, Gabriele Malaspina ist fort – in Eile und ohne Abschied ist er aus meinem Hause entflohen, er mag wohl geglaubt haben, daß es dennoch mit uns zu Ende sein würde, oder er steht voraus, daß das Schwerste noch kommen wird, was sie hier im Durst nach Rache und im Taumel der Freude über die für den Augenblick angewendete Gefahr noch nicht begreifen. So ist er denn fortgegangen, wie die Ratten das sinkende Schiff verlassen.«

»Giovanna,« rief Cosimo, »Giovanna hat er mitgenommen – mein Glück hat er mir geraubt – das Herz seiner Tochter hat er zerrissen.«

»Weißt du das?« fragte Lorenzo hart mit bitterem Lächeln. »Doch das darf uns jetzt nicht kümmern, unsere Kraft gehört einer heiligen Sache – wir haben anderes zu thun, als über Verrat und Treulosigkeit zu klagen.«

Cosimo preßte die Lippen aufeinander, eine Thräne schimmerte in seinen Augenwimpern; aber er begriff wohl, daß er in diesem Augenblick von der Qual seines Herzens nicht sprechen dürfe.

Nach kurzem Schweigen berichtete er Lucretias Ankunft und ihr Verlangen, zu Lorenzo geführt zu werden.

Flüchtig und fast befangen berührte er seine Begegnung mit ihr auf seiner letzten Reise nach Rom.

»Und sie hat ihren Namen nicht genannt,« fragte Lorenzo, »was bedeutet Lucretia, wenn ich nicht weiß, wer sie sendet? Die Weiber wissen auch einen Dolch zu führen. – Doch mag es sein, ich will sie hören. Wissen ist Macht, und in einem Augenblick wie dieser darf man sich keinen Faden entgehen lassen, der sich unserer Hand bietet. Führe sie ein, doch bleibe hier, wenn sie da ist, ich will kein Geheimnis vor dir haben, denn du sollst meine rechte Hand sein. Die Natur gab mir einen schwachen Körper,« sagte er seufzend, »ich bedarf einer jugendlichen Kraft, die mir zur Seite steht, wie es mein armer Giuliano thun sollte.«

Cosimo öffnete die Thür des Vorzimmers und führte Lucretia ein.

Sie trat mit edlem Anstand ein und verneigte sich vor Lorenzos Sessel.

»Verzeiht, edle Dame,« sagte dieser, betroffen von ihrer blendenden und doch so lieblich anmutenden Schönheit, »daß ich mich nicht erhebe, Euch zu begrüßen, aber der Dolch meiner Feinde hat mich getroffen und kaum nur bin ich dem Tode entronnen.«

Cosimo schob einen Sessel heran.

Lucretia setzte sich und sagte, voll Teilnahme in Lorenzos bleiches Gesicht blickend:

»Ich bin ohne Namen zu Eurer Magnifizenz gekommen und meine erste Pflicht ist es, Euch zu sagen, daß ich mich Lucretia Vanozza de Catanei nenne und daß der Kardinal Rodrigo Borgia mich zu Euch sendet.«

Tiefes Erstaunen drückte sich in Lorenzos Gesicht aus, dann verfinsterte sich seine Miene ein wenig und mit kalter Höflichkeit sagte er, sich leicht verbeugend:

»Ich bin begierig zu hören, was Seine Eminenz mir mitzuteilen hat, und werde jedem seiner Wünsche nach Kräften entgegenkommen.«

»Der Kardinal,« fuhr Lucretia fort, »bittet Eure Magnifizenz vor allem um das strengste Geheimnis für seine Botschaft, das seine Stellung ihm auferlegt und –«

»Er kann vollkommen auf meine Verschwiegenheit zählen,« sagte Lorenzo, »ich habe noch niemals das Vertrauen getäuscht, das man in mich setzt.«

»Davon ist der Kardinal überzeugt und darum hat er mich zu seiner Sendung gewählt,« fuhr Lucretia fort, »da ein jeder andere Bote Aufsehen hätte erregen können. Mein erster Auftrag war der, Euch zu warnen, dazu bin ich zu spät gekommen, denn der Anschlag gegen Eure Macht und Euer Leben ist ja bereits, wie ich schon auf dem Wege hierher hörte, ausgeführt, glücklicherweise ohne Erfolg und vielleicht ist Eure Macht, die man brechen wollte, dadurch vermehrt und befestigt – habe ich doch bei dem Ritt durch die Stadt gesehen, mit welcher Liebe das Volk von Florenz an Euch hängt. Daß ich zu spät kam, beklage ich nur, weil eine rechtzeitige Warnung das Leben Eures Bruders hätte retten können.«

Lorenzo hatte mit steigender Spannung zugehört.

»So wußte der Kardinal, was gegen mich geplant war?« fragte er.

»Wohl nicht alles,« erwiderte Lucretia, »aber er hat ein feines Ohr und einen scharfen Blick, und es ist ihm nicht entgangen, daß etwas gegen Euch im Werk war, man wollte, so hat er mir aufgetragen Euch zu sagen, Eure Macht in der florentinischen Republik brechen, um den Widerstand gegen die Pläne des Grafen Girolamo Riario zu beseitigen, der darnach strebt, eine feste Macht in der Romagna zu begründen, welche seinen überwiegenden Einfluß im Norden Italiens sichern soll. Der Kardinal hält das für ein Unglück, für eine Quelle fortwährender Zerwürfnisse und Unruhen, er ist der Meinung, daß die Macht des päpstlichen Stuhls, die nicht an das Leben eines Papstes geknüpft sein darf, nur scheinbar gestärkt werden würde und daß nur in dem Bündnis der einigen selbständigen Staaten, deren natürlicher Mittelpunkt in Florenz liegen muß, das Ansehen Italiens im Auslande begründet und dauernd erhalten werden könne.«

»Der Kardinal hat recht,« rief Lorenzo lebhaft, »und ich freue mich aufrichtig, daß auch im heiligen Kollegium eine solche Ansicht vertreten ist, die einem Borgia wohl ansteht –« fügte er verbindlich hinzu.

»Ich sollte Euch darum,« fuhr Lucretia fort, »zunächst warnen vor dem Grafen Girolamo Riario und Euch bitten, dessen Freundschaftsversicherungen nicht zu trauen, da er nur darauf ausgeht, Florenz niederzuhalten und ohnmächtig zu machen, er zieht Truppen zusammen und giebt sich, von dem Einfluß des römischen Hofes unterstützt, Mühe, Venedig und Mailand von dem Bunde mit Euch zu lösen.«

»Ich habe ihm niemals getraut,« sagte Lorenzo lächelnd, »aber doch hätte ich nicht geglaubt, daß er zum Meuchelmord seine Zuflucht nehmen würde, um seine Pläne zu verfolgen.«

»Ihr dürft heute nicht mehr daran zweifeln, mein Oheim,« rief Cosimo, »war doch der tückische Girolamo vor den Thoren, um die Frucht des Verbrechens zu pflücken, dessen Saat er ausgestreut, und sein Neffe, der Kardinal, war ja zugegen, als die unselige That ausgeführt werden sollte.«

Er blickte mit Bewunderung in Lucretias schönes Gesicht und vermochte es kaum zu fassen, daß seine geheimnisvolle Reisegefährtin, die ihn in die Felsengrotten von Sutri geführt, Petrarkas Liebeslieder gesungen hatte und mit den Oden des Horaz so bekannt war, hier nun mit Ernst und Verständnis von den Geheimnissen der Politik sprach. Lucretia verstand seinen Blick und ein flüchtiges Lächeln glitt über ihre Lippen.

»Ich war schon einmal thätig,« sagte sie, »um Girolamos Pläne zu durchkreuzen und also Euch zu dienen, erlauchter Lorenzo. Damals, als ich von Euerem Neffen hier, dem edlen Cosimo Ruccellai, aus den Händen der Räuber befreit und nach Rom geleitet wurde, kam ich zurück von Faenza. Der Graf Girolamo wollte auch das Gebiet von Faenza erwerben, um ringsum von Imola aus die Kette zu schließen, die das florentinische Gebiet einzuschnüren bestimmt ist. Manfredi von Faenza war, von Geldnot gedrängt, bereit, auf den Kauf einzugehen, der Kardinal half ihm aus seiner Verlegenheit und mir,« fügte sie, stolz das Haupt erhebend, hinzu, »ist es gelungen, den Plan scheitern zu lassen.«

»Das hat der Kardinal gethan – durch Euch gethan?« rief Lorenzo. »Bei Gott, ich bin ihm zu großem Dank verpflichtet und Euch nicht minder,« fügte er hinzu. »Ich glaubte wirklich, daß meine Vorstellungen bei Manfredi gewirkt hätten, doch ich sehe, daß Eure Diplomatie feiner und geschickter war, als die meine.«

Er beugte sich zu ihr hinüber, küßte galant ihre Hand und sagte lächelnd:

»Freilich versteht sich das wohl von selbst, wenn die Fäden der Politik von so schönen Händen gesponnen werden.«

»Ich war nur die Botin,« erwiderte Lucretia, indem sie mit glückstrahlendem Blick zu Cosimo hinübersah, »und habe kein anderes Verdienst, als den Auftrag des Kardinals glücklich ausgeführt zu haben. – Diesem geringen Verdienst danke ich es, daß er mich nun zu Euch gesendet. Doch weiter,« fuhr sie fort, »sollte ich Euch auch warnen vor dem Markgrafen Gabriele Malaspina, der sich den Anschein giebt, Euer Freund zu zu sein und Euer Vertrauen nicht verdient, da er auch, wie der Kardinal weiß, in Rom Verbindungen unterhält mit Personen, die Euch feindlich sind. – Weiter hat der Kardinal mich beauftragt, Euch zu bitten, den Markgrafen genau zu überwachen, da er verdächtig ist, auch hier mit Euern Feinden geheime Beziehungen zu unterhalten.«

»Nein, nein,« rief Cosimo, »das ist nicht möglich, das kann nicht wahr sein.«

»Der Kardinal hat es geglaubt,« sagte Lucretia, flüchtig errötend, – »ich kenne den Malaspina nicht, doch daß er heute, gerade heute aus Florenz entflohen und mit Girolamo nach Imola gezogen ist, spricht wohl dafür, daß der scharfe Blick des Kardinals sich in ihm nicht getäuscht hat.«

Ein schwerer und schmerzvoller Seufzer rang sich aus Cosimos Brust.

Lorenzo zog finster die Augenbrauen zusammen und sagte:

»Ich habe den Markgrafen wohl gekannt als schwach und furchtsam, und weil er mich für stark hielt, hat er sich mir angeschlossen. Nun aber meint er in kurzsichtiger Befangenheit, meine Macht sei gebrochen oder werde in dem schweren Kampf, der mir bevorsteht, gebrochen werden, darum verläßt er mich und flieht zu denen, die er für stärker hält. – Mag er gehen, ich habe nichts an ihm verloren. Im Unglück und in der Gefahr sieht man die wahren Gesichter der Menschen und das ist immer ein Gewinn.«

»Daß ein ernster Kampf Euch bevorsteht, erlauchter Lorenzo,« sprach Lucretia weiter, »ist auch die Meinung des Kardinals, denn Girolamo wird nicht aufhören, den Zorn des Papstes gegen Euch zu reizen und schon ist es ihm gelungen, den König Ferrante von Neapel zum Bündnis geneigt zu machen, da er von seiten des Papstes einen Verzicht auf die Lehnshoheit über das Königreich zu erlangen versprochen hat.«

»Ferrante wird betrogen werden wie andere. Er ist gerade der Mann, um durch solche Lockungen sich fangen zu lassen und er ist für mich die größte Gefahr. – Wenn er mit seinen Truppen der römischen Macht zur Seite steht, so wird der Kampf hart und schwer sein, aber dennoch muß er bestanden werden.«

»Und darum,« sagte Lucretia, »muß Eure Magnifizenz, so meint der Kardinal, alles aufbieten, um die feindliche Übermacht zu bewältigen. Dazu aber wird Euer bester Verbündete der König Ludwig von Frankreich sein.«

»Ich weiß es wohl,« erwiderte Lorenzo, »der König Ludwig haßt den römischen Hof und strebt danach, dessen Einfluß zu brechen, was ihm so oft schon gelungen, aber die französischen Heere nach Italien zu rufen, bei Gott, das widerstrebt meinem Gefühl! Warum muß denn dieser traurige Kampf geführt werden? Würde denn der Papst nicht das geistliche und geistige Oberhaupt einer in freiem Bunde geeinigten Nation sein, die dann stolz und gebietend in Europa dastehen könnte, während sie jetzt fremdem Ehrgeiz die Hand bieten muß?«

»Ich bewundere Euch, edler Lorenzo,« sagte Lucretia mit fast kindlich demütigem Ausdruck, »denn bei Gott, auch in meiner Brust schlägt ein italienisches Herz! Aber es würde nicht nötig sein, so hat mir der Kardinal aufgetragen Euch zu sagen, die französischen Heere zu Eurer Hilfe zu rufen, auch würde der schlaue und versteckte König Ludwig, der niemals ein offenes Spiel spielt, dazu kaum geneigt sein, aber er kann den König von Neapel bedrohen, hält er doch den Anjou in seiner Hand, den König René –«

»Das ist es – das ist es,« rief Lorenzo, »bei Gott, schöne Lucretia, Ihr blickt in die Politik Europas, wie in ein aufgeschlagenes Buch.«

»Darum rät der Kardinal,« fuhr Lucretia fort, indem sie lächelnd zu Cosimo aufsah, »Euch vor allem an den König Ludwig zu wenden, er kann die Wege finden, um den König Ferrante zögern und zurückweichen zu lassen, und dann ist Euer Kampf leichter zum Siege zu führen.«

Lorenzo neigte zustimmend den Kopf und blickte sinnend vor sich nieder.

»Und endlich noch rät Euch der Kardinal, sorgfältig alles zu vermeiden, was als eine Verletzung der Würde des Papstes von Euren Feinden gedeutet werden könnte, um jeden Vorwand von vornherein zu benehmen und auch vor allem ihm und Euren Freunden in dem heiligen Kollegium, zu denen besonders der Kardinal Estouteville gehört, die Möglichkeit zu geben, daß sie ihren ganzen Einfluß aufbieten können, um einen Bruch zu vermeiden, und eine Verständigung herbeizuführen, welche für Euch annehmbar sein kann.«

»Bei Gott,« sagte Lorenzo bewegt, »der Rat des Kardinals ist weise und ich kann ihm nicht genug dankbar sein für solchen Beweis freundschaftlicher Gesinnung.«

»Der Kardinal,« sagte Lucretia, »bittet Euch also, den Plänen des Grafen Riario fest und unbeugsam entgegenzutreten, auch den Kampf nicht zu scheuen, wenn er nötig ist, aber dennoch zu versuchen, eine Verständigung zu erreichen und wenn sie unerreichbar bleibt, den Sieg für Euch so leicht und sicher als möglich zu machen. – Dazu bietet er Euch seinen Rat und seinen Beistand soweit er dazu im stande ist, ohne seinen schuldigen Gehorsam gegen den päpstlichen Stuhl zu verletzen.«

»Aber wie ist das möglich?« fragte Lorenzo, den Kopf schüttelnd, »glaubt mir, der Weg von hier nach Rom wird scharf überwacht werden, Boten und Briefe von mir an Seine Eminenz und umgekehrt werden kaum sicher gehen.«

»Der Kardinal hat daran gedacht,« erwiderte Lucretia, und« fügte sie mit fast neckischem Lächeln hinzu, »die Botschaften von mir an meine Schwester in einer nur uns verständlichen Sprache über scheinbar gleichgültige Dinge werden die Neugier der Späher des Grafen Girolamo nicht reizen, niemand weiß, daß ich hier bin, Ihr allein kennt meinen Namen.«

»Und Ihr würdet,« fiel Lorenzo ein, »hier bleiben? Ihr würdet eine solche Korrespondenz zu vermitteln Euch herbeilassen? – Das wäre ein Freundschaftsdienst, wie ich ihn kaum erwarten kann.«

»Der Kardinal hat mir aufgetragen,« erwiderte Lucretia, »mich ganz zu Euer Magnifizenz Verfügung zu stellen, und was mich betrifft, so macht es mir Freude, durch die That meine Dankbarkeit beweisen zu können, die ich Euerm Hause für den unvergeßlichen Dienst schulde, den mir Euer Neffe, der edle Cosimo, geleistet, als er mich unter seinem Schutz nach Rom zurückführte. – Wollt Ihr mir Eure Gastfreundschaft gewähren, so gehöre ich ganz dem Dienst Eurer Sache, nur sorgt dafür, daß niemand erfährt, wer ich bin, und daß so wenig Personen als möglich mich hier sehen. Für meine Diener kann ich bürgen.«

Lorenzo erhob sich und reichte ihr beide Hände.

»Bei Gott, edle Dame,« rief er, »Ihr habt mir gute Botschaft gebracht, ringsum drohen die Feinde, da ist eine Freundin wie Ihr ein kostbares Geschenk des Himmels. – Mein Haus steht zu Eurer Verfügung, Cosimo wird Euch nach Eurer Wohnung führen. Du kennst,« sagte er zu seinem Neffen gewendet, »jene Gemächer in dem Flügel dort drüben nach dem Garten hinaus, welche die Herzogin von Mailand bei ihrem Besuche bewohnte, dort soll alles nach den Wünschen der edlen Dame eingerichtet werden. Ihr werdet niemand sehen, als die Meinen und den kleinen Kreis der Freunde, auf die ich mich verlassen kann. Ruht aus von der Reise und möge Euch auch unter meinem Dache Freude und Glück zu teil werden.«

Er küßte mit ritterlicher Artigkeit ihre Hand und geleitete sie, mühsam aufstehend, bis zur Thür, wo Cosimo ihr die Hand bot, um sie nach der für sie bestimmten Wohnung zu führen.

»Woher kommt mir diese Freundschaft des Borgia?« sagte Lorenzo, als er allein war und erschöpft wieder in seinen Sessel sank. »Wir haben wohl freundlich zu einander gestanden, aber kaum hätte ich daran gedacht, daß er der Erste sein würde, der mir in der Not die hülfreiche Hand bieten würde. Der Kardinal Rodrigo ist nicht der Mann, der etwas umsonst und ohne Grund thut und der Beistand, den er mir bietet, kann ihm gefährlich werden. »Ja, ja,« sagte er nach kurzem Sinnen, »so ist es, er haßt den Grafen Girolamo, der als Gebieter in Rom auftritt und die alten Geschlechter durch seine Anmaßung verletzt, er hat schon der Wahl des Papstes Sixtus widerstrebt, er möchte die Borgia wieder zu dem alten Glanze erheben und denkt wohl daran, einst auf sein Haupt die Tiara zu setzen, er ist mein Freund, weil Girolamo mein Feind ist und weil er sich vielleicht für später meinen Dank sichern möchte. So ist es – und vielleicht ist die Freundschaft die sicherste, die sich auf gemeinsame Feindschaft stützt. Sein Rat ist gut und er kann mir immer noch nützlicher werden – jedenfalls setzt er noch Vertrauen in meine Zukunft und darum darf ich wahrlich den Mut nicht verlieren.«

Er rief seinen Kammerdiener und stieg, auf dessen Arm gestützt, zu seiner Mutter hinauf.

Madonna Lucretia kam ihm entgegen und schloß ihn stumm in ihre Arme.

»Habe Mut, mein Sohn,« sagte sie, »in der schweren Prüfung ist doch Gottes Hand sichtbar, die Dich aus den Mörderhänden gerettet.«

»Ich halte den Mut fest, meine Mutter,« erwiderte Lorenzo, »und habe alles gethan, was die Pflicht gegen das Vaterland in diesem Augenblick von mir fordert – verzeih darum, daß ich erst jetzt zu Dir komme.«

»Sprich nicht davon,« sagte Madonna Lucretia, indem sie sich wieder in ihren Lehnstuhl setzte, »die Mutter steht dem Vaterlande nach. Und Giuliano, unser Giuliano – er ist verblutet unter den Händen der verruchten Mörder!«

»Gott hat ihn berufen,« erwiderte Lorenzo mit fester Stimme, »jetzt ist keine Zeit für den Schmerz und für die Klage um den Toten! – Ich sehe es voraus, daß uns Schweres noch bevorsteht und meine ganze Kraft erfordern wird. Sie werden in Rom nicht nachlassen, uns zu verfolgen, da ihr erster Anschlag mißglückt ist – doch habe ich auch in Rom Freunde gefunden – vor Dir, meine Mutter, habe ich kein Geheimnis –«

Er erzählte ihr von der Botschaft des Kardinals Borgia und von seinem Gespräch mit der schönen Lucretia.

Das Gesicht der Dame hatte sich verfinstert. »Lucretia Vanozza de Catanei?« sagte sie, als er geendet, »das ist die Schwester der Geliebten des Kardinals, einen solchen Gast vermag ich kaum in meinem Hause willkommen zu heißen.«

»Ihre Schwester,« erwiderte Lorenzo, »Rosa Vanozza, soll mit dem Kardinal heimlich vermählt sein, er läßt ihre Kinder den Namen Borgia führen.«

»Die heimliche Ehe eines Kardinals und Priesters der Kirche,« sagte seine Mutter, den Kopf schüttelnd, »ist das nicht allein schon ein Verbrechen?«

»Das Cölibat der Priester,« erwiderte Lorenzo, »ist kein Glaubenssatz der Kirche, der Papst hat es geboten, der Papst kann es wieder aufheben und vielleicht auch eine Ausnahme erlauben. – Das ist eine Gewissenssache für den Kardinal, über die wir nicht zu rechten haben und Lucretia Vanozza ist nicht verantwortlich für ihre Schwester Rosa. – Hat ein Priester den meuchlerischen Dolch gegen mich geführt, so ist das wohl ein schlimmeres Verbrechen, als die heimliche Vermählung eines Kardinals. – Jedenfalls ist sie eine Freundin in der Not und als solche, meine Mutter, bitte ich Dich sie zu betrachten und in unserem Hause zu empfangen.«

»Du hast recht, mein Sohn,« erwiderte Madonna Lucretia, »wir müssen die Waffen für unsern Kampf in Händen haben und jede Waffe wird durch den Dienst des Vaterlandes geweiht!«

»Ich werde mich nur daran erinnern. – Die Mutter dessen, der die Stütze und Hoffnung des bedrängten Vaterlandes ist, darf kein Bedenken haben, wo es gilt, das Vaterland zu retten. Geh jetzt und ruhe und pflege deine Wunde, damit du bald mit voller Kraft den Stürmen trotzen kannst.«

Lorenzo beugte sich zu ihr herab, sie küßte seine Stirn und legte segnend die Hand auf sein Haupt. – –

Cosimo hatte Lucretia Vanozza durch die langen Korridore nach den für sie bestimmten prächtig eingerichteten Gemächern geführt.

»Ich werde sogleich den Befehl geben,« sagte er, »daß für Eure Diener und Pferde gesorgt wird, und daß Madonna Clarice einige von ihren Kammerfrauen Euch zu Diensten stellt.«

»Und meinem Piccolo,« sagte sie lachend, »müßt Ihr hier in meiner Nähe Quartier geben, Ihr wißt ja, daß er wie ein Schoßhündchen an mir hängt und sterben würde, wenn er von mir fern sein müßte.«

Dann aber nahm sie seine Hand und sah ihm mit einem forschenden Blick in die Augen, als ob sie in die Tiefen seiner Seele eindringen wolle.

»Wir haben uns Freundschaft gelobt,« sagte sie, »als wir uns an der Porta del Popolo in Rom trennten; ich habe jenes Gelöbnis treu im Herzen bewahrt und wenn Ihr es nicht ganz vergessen habt, so müßt Ihr mir erlauben, Euch ein Wort des Trostes und der Teilnahme zu sagen an dem Schmerz, der in diesem Augenblick wohl Euer Herz durchbeben muß.«

Er sah sie fast erschrocken an, seine Augen wurden feucht und mit dumpfer Stimme sagte er:

»Darf ich meinem Schmerz nachhängen, wenn mir Lorenzo das Beispiel des Heldenmutes giebt, der an der Leiche des Bruders die Pflicht gegen das Vaterland nicht vergißt?«

»Der Tod,« sagte sie, seine Hand drückend, »ist nicht das Schlimmste. Schlimmer ist die Täuschung, welche die Untreue dem vertrauenden Herzen bereitet.«

»O, sprecht das nicht aus!« rief er fast drohend, »an eine Untreue werde ich niemals glauben – Giovanna hat nur dem Zwange gehorcht, dem Zwange ihres Vaters, der –«

»Läßt sich die Liebe zwingen?« fiel sie mit flammenden Blicken ein, »hier zwingen, wo der feige Malaspina keine Macht befaß, seinem Gebot Gehorsam zu schaffen? Es ist hart, wenn ich Euern Traum zerreiße, aber die Wahrheit ist für jeden Schmerz die beste Arzenei. – Ich werde es nicht fassen und nicht glauben, daß der Zwang ein Herz zum Treubruch fortreißen kann, wenn es wirklich liebt in flammender Glut!«

»O mein Gott,« sagte Cosimo erschüttert, »wenn Ihr recht hättet, wenn es dennoch wahr sein könnte, wenn die Blüte meines Lebens frevelhaft geknickt wäre?«

»Ein Leben wie das Eure,« rief Lucretia, »hat wohl die Kraft, andere und edlere Blüten noch zu treiben! Doch ich will Euch Euer Vertrauen nicht rauben, ich bin gewiß, daß Ihr selbst die Wahrheit erkennen werdet. Eine Bitte nur habe ich an Euch: wenn der Schmerz um die verlorne – um die verratene Liebe Euer Herz ermatten und erkalten läßt, vergeßt nicht, daß ich Eure Freundin bin und daß die Freundschaft, welche die Treue hält, es wohl vermag, dem kranken Herzen frischen Mut und frische Lebenskraft zu bringen. – Klagt mir Euer Leid, daß es nicht in schweigender Qual Euch die Seele vergifte – ich werde den Trost für Euch finden und der ermatteten Triebkraft Eures Lebens den warmen Sonnenstrahl der Hoffnung und des Vertrauens wieder zuführen.«

»Ich danke Euch,« sagte Cosimo bewegt.

Er küßte ihre Hand und als er in ihre wunderbar leuchtenden Augen blickte, da stieg vor ihm jenes Traumbild wieder auf, das ihn in Sutri verfolgt und Giovannas Bild in düsteren Nebeln verschwindend gezeigt hatte, während, von Lucretias Stimme gesungen, Petrarkas Liebesklagen ertönten.

Die Diener kamen mit dem Reisegepäck. Auch Piccolo trippelte herein und faßte Lucretias Hand, als ob er sich an sie anklammern wolle. Cosimo zog sich mit kurzem Gruß zurück; er vermochte es nicht, die fremden Blicke zu ertragen, und sehnte sich nach der Einsamkeit.


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